Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen
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des
Königreichs Sachsen.
von
Mit Holzschnitten.
G. Schönfeld’s Verlagsbuchhandlung.
1874.
Es ward von unsern Vätern mit Treue uns vermacht A. v. Chamisso.
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Als im Jahre 1817 die Gebrüder Grimm dem deutschen Volke ihre Sammlung deutscher Sagen überlieferten, da leiteten sie dieselben mit den Worten ein: „Es wird dem Menschen von Heimathswegen ein guter Engel beigegeben, der ihn, wenn er in’s Leben auszieht, unter der vertraulichen Gestalt eines Mitwandernden begleitet; wer nicht ahnt, was ihm Gutes dadurch widerfährt, der mag es fühlen, wenn er die Grenze des Vaterlands überschreitet, wo ihn jener verläßt. Diese wohlthätige Begleitung ist das unerschöpfliche Gut der Märchen, Sagen und Geschichte, welche neben einander stehen und uns nach einander die Vorzeit als einen frischen und belebenden Geist nahe zu bringen streben.“ Der allgemeine Beifall, mit dem das deutsche Volk diese erste ungeschmückte Sammlung vaterländischer Sagen begrüßte, zeigt am Besten, wie wahr jene Worte waren, aber erst lange nachher (1835) führte Jacob Grimm durch seine Deutsche Mythologie den Beweis, wie ohne eine möglichst vollständige Zusammenstellung der in den verschiedenen Theilen unseres großen Gesammtvaterlandes noch bewahrten Localsagen ein vollständiges System der altgermanischen Religion nicht aufgestellt werden könne, weil erst durch die von ihm und seinem Bruder gegebene Anregung zur vaterländischen Sagenforschung auch von anderer Seite her Material zu jenem classischen Werke herbeigeschafft ward, welches wir eben erst wieder in einer viel vermehrten und verbesserten Ausgabe (d. h. als Abdruck der zweiten von 1844) vor uns liegen haben. Ist aber der rein wissenschaftliche Nutzen, welchen die Sagenforschung, insofern jeder Sage ein wirkliches Factum zum Grunde liegt, dem Alterthumsforscher und Historiker gewährt, an sich schon Grund genug, warum dieselbe nach besten Kräften gepflegt werden muß, so wird sich auch noch eine so zu sagen moralische Nothwendigkeit zu ihrer Empfehlung herausstellen, insofern die Sage unbezweifelt als Nährerin und Pflegerin der Vaterlandsliebe betrachtet werden darf. Darum hat man auch den früher so verschrieenen Vater der Baierschen Geschichte, Aventinus, erst in neuerer Zeit so hoch schätzen gelernt, weil er fast der einzige Geschichtschreiber der drei letzten Jahrhunderte ist, der seine Quellen nicht blos in trockenen Urkunden und Jahrbüchern, sondern auch in den mündlichen Ueberlieferungen der Nation suchte, während ein späteres Geschlecht dieselben vornehm verachtete und dadurch die Geschichtschreibung ihrer romantischen Arabesken beraubte. Denn diesen Namen verdienen unsere Sagen, da in ihnen ein ganzer Schatz frischer Volkspoesie verborgen liegt, und seitdem die moderne Aufklärung, das nüchterne Princip der Negation, dem Volke seine Wunder- und Märchenwelt geraubt hat, seitdem mit den alten Volksbüchern auch der alte Aberglaube vertrieben wurde, ist die alte Gemüthlichkeit, Treue und Glaube im Volke um Vieles seltner geworden. Der modernen Bildungsperiode aber, die über Alles Auskunft zu geben sich vermißt, die das Gräschen wachsen hört, die das gemüthvolle Leben deutscher Vorzeit verhöhnt, ist gleichwohl Eins nicht möglich, sie kann keine echten Volkssagen erfinden, denn es mangelt ihr die wahre Poesie. Doch das deutsche Volk hat sich nicht so leicht seine Sagen nehmen lassen, es hängt so fest an ihnen wie an der Scholle, worauf es geboren ist, und darum haben sich auch noch so zahlreiche Reste alter Gebräuche, Sitten und romantischer Traditionen erhalten, daß wir fast von den meisten deutschen Ländern mehr oder weniger vollständige Sagensammlungen vor uns haben. Es kann hier nicht der Ort sein, ein vollständiges Verzeichniß dieser in neuerer Zeit täglich zusehends anwachsenden Literatur zu geben, ich beschränke mich nur darauf, zu bemerken, daß außer den Gebrüdern Grimm neuerdings Bechstein die bedeutendsten Sagen unseres gemeinsamen Vaterlandes zusammenzustellen suchte, während speciell den Sagenschatz von Thüringen und Franken der letztgenannte Gelehrte, den rheinischen Simrock, den elsässischen Stöber, den niederländischen und niederdeutschen Wolf, Schwartz und die Gebrüder Colshorn, den schleswig-holsteinschen Müllenhoff, den preußischen Tettau und Temme, den märkischen Temme und Kuhn, den schwäbischen Schwab und Meyer, den badischen Schnetzler und Baader, den baierschen Panzer und Schöppner, den des Harzes Pröhle etc. mit großem Fleiße zusammen trugen und so die Strebepfeiler des einstigen Rundbaues deutscher Sagenvergleichung aufführten. Freilich fehlt zur Vollendung desselben noch mancher Stein, weil, abgesehen davon, daß einige neuerlich angelegte Sammlungen, wie z. B. die über Luxemburger, Mecklenburger, Anhaltiner etc. Sagen durch Beimischung fremder Zuthaten verballhornt wurden, ganze Staaten, wie z. B. Oestreich, Sachsen etc. bis jetzt noch fast gar nicht vertreten sind, allein die Gründung eines förmlichen Organs für unsere Wissenschaft durch J. W. Wolf’s treffliche Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde (Göttingen 1853) hat diesem Studium einen neuen Impuls gegeben, der hoffentlich bald die bisher noch fühlbaren Lücken auszufüllen streben wird.
Darum übergebe ich denn auch hiermit dem deutschen und vorzugsweise dem sächsischen Volke einen kleinen Beitrag zur Vervollständigung des großen Cyclus seiner Nationalsagen, indem ich, was ich seit langer Zeit, freilich anfangs zu einem andern Zwecke (zur allgemeinen Sagenvergleichung), über die Sagen des Königreichs Sachsen zusammengebracht habe, veröffentliche. Ich kann sagen, daß meine Arbeit, so mangelhaft sie auch vielleicht sein mag, jedenfalls der erste Versuch ist, die sächsischen Sagen in ihrer ursprünglichen Form, so wie dieselben in Chroniken und Zeitbüchern, sowie in andern Werken und im Munde des Volks erhalten sind, wiederzugeben. Darum vermeide ich es auch, hier weitläufiger von den von mir benutzten Quellen zu sprechen, da dieselben bei jeder einzelnen Sage angegeben sind, nur das will ich erwähnen, daß wesentliche Vorarbeiten nicht existiren, denn die Werke von W. Ziehnert (Sachsens Volkssagen. Annaberg 1838–39. III. 8. 1851. 8.) und Ad. Segnitz (Sagen, Legenden, Märchen und Erzählungen aus der Geschichte des sächsischen Volkes. Meißen 1839–54. II. 8.) können, weil sie in gebundener Rede abgefaßt sind, nicht als solche betrachtet werden, wären sie selbst, was eben ihrer Form wegen nicht möglich war, vollständig. Außerdem hat sich besonders Ziehnert vielfacher, unverzeihlicher Abweichungen und Veränderungen der einzelnen Sagenstoffe schuldig gemacht, was bei Segnitz, der sich einer möglichst treuen Auffassung derselben befliß, nicht der Fall ist. Indeß gilt von der poetischen Behandlungsweise der Volkssagen das Urtheil, welches Grimm, Deutsche Mythologie. (II. Ausg.) S. XII. über die Behandlung der Sagenstoffe in folgenden Worten gefällt hat: „Die Volkssage will aber mit keuscher Hand gelesen und gebrochen sein. Wer sie hart angreift, dem wird sie die Blätter krümmen und ihren eigensten Duft vorenthalten. In ihr steckt ein solcher Fund reicher Entfaltung und Blüte, daß er auch unvollständig mitgetheilt in seinem natürlichen Schmuck genug thut, aber durch fremden Zusatz gestört und beeinträchtigt wäre. Wer diesen wagen wollte, müßte, um keine Blöße zu geben, in die Unschuld der ganzen Volkspoesie eingeweiht sein, wie der ein Wort zu ersinnen ausgienge, in alle Sprachgeheimnisse etc.“ Uebrigens haben beide Herren Verfasser ihre Aufgabe von ihrem Gesichtspunkte aus glücklich gelöst, und die von ihnen gewählte Form hat neuerlich noch an Schöppner (Baiersches Sagenbuch I. S. XI.) einen warmen Vertheidiger gefunden, allein jedenfalls habe ich mit ihnen, da sie überdem einen ganz andern Zweck verfolgen, durchaus keine Vergleichung zu scheuen und bemerke nur noch, daß mir des Herrn Rentamtmann Dr. Preusker treffliche Blicke in die vaterländische Vorzeit (Leipz. 1841. III. 8.) von besonderem Nutzen gewesen sind, wie denn auch die Sammlung Lausitzer Volkssagen von Gräve (Bautzen 1839. III Hefte. 8.) stets eine der Hauptquellen für diesen Theil Sachsens bleiben wird[1], während wiederum Hager in seinen Voigtländischen Sagen (1839–40. II Hefte. 8.) seine Stoffe poetisch behandelt und darum für die critische Benutzung fast unbrauchbar gemacht hat.[2] Sonst haben Herr Dr. Wilhelm Schäfer hierselbst, durch seine Forschungen über sächsische Geschichte rühmlichst bekannt, und der bekannte Lyriker, Herr Professor J. Schanz die Güte gehabt, mich mit verschiedenen schätzbaren Notizen zu unterstützen, wofür ich ihnen hiermit pflichtschuldigst danke. Zu bedauern ist es, daß der bekannte Dresdner Geistliche Hilscher, der zu Anfange des vorigen Jahrhunderts verschiedene Monographieen über hier einschlagende Gegenstände veröffentlichte, aus übel angebrachter Aufklärungswuth Vieles, was er wußte und seitdem verloren gegangen ist, ganz verschwieg, und das, was er mittheilte, aus Zelotismus verdrehte und verdarb. Was endlich die Einrichtung meines Werkes selbst anlangt, so habe ich gewissermaßen als Einleitung des Ganzen einige sich an den Namen der Sachsen knüpfende Sagen vorausgeschickt, die zwar speciell nicht auf das heutige Königreich Sachsen Bezug haben, aber doch nicht füglich wegzulassen sind, schon weil sie ein treues Bild des alten naiven Chronikenstyls geben; auf diese habe ich einige das sächsische Fürstenhaus betreffende Traditionen folgen lassen und dann die übrigen Sagen, nach den Kreisdirectionen geordnet, hinzugefügt; am Schlusse des Werkes werden einige Anmerkungen verschiedene Stellen im Texte erläutern, und hoffe ich, daß die geehrten Leser, wenn sie berücksichtigen, wie viele Bücher durchgelesen werden mußten, ehe gegenwärtiges Werk entstehen konnte, etwa noch gelassene Lücken nachsichtig beurtheilen werden.
Dresden, den 25. November 1854.
Im Laufe von 19 Jahren, denn soviel Zeit liegt zwischen der ersten und dieser zweiten Auflage, ist im sächsischen Volke trotz mancher äußerer politischer Veränderungen die Liebe zum sächsischen Vaterlande nicht geringer geworden und darum hoffe ich auch, wird diese neue Auflage meines sächsischen Sagenschatzes, der bei seinem ersten Erscheinen so viele Freunde fand, gewiß mit Freude begrüßt werden. Derselbe ist im Ganzen ziemlich unverändert geblieben, nur sind als weniger passend die in der ersten Auflage die Einleitung bildenden allgemeinen Sagen über den Ursprung der Sachsen weggelassen worden, weil dieselben eigentlich auf unser spezielles engeres Vaterland keinen Bezug haben. Dafür ist eine große Anzahl anderer Sagen, namentlich Dresden und Leipzig betreffend, hinzugekommen, überhaupt sind mehrere Sagen der ersten Auflage nochmals durchgesehen und überarbeitet worden. Einzelne etwas modern gehaltene Sagen der ersten Auflage hätte ich gern geändert, allein da es zufällig solche waren, welche mir von Andern mitgetheilt worden, z. B. von dem zu früh verstorbenen (1874) Dichter Kauffer, glaubte ich aus Pietätsgründen verbunden zu sein, sie so, wie sie ursprünglich geschrieben waren, auch beibehalten zu müssen. Für die historische Begründung mich bei einigen Sagen verantwortlich zu machen, wird wohl Niemandem, der überhaupt ein Verständniß für Sagen hat, einfallen: ich habe eben zusammengestellt und nacherzählt, was mir mitgetheilt ward, ohne weiter groß zu untersuchen, in wieweit der mir zugekommene Stoff einen Fond hatte oder nicht. So ist es gekommen, daß auch einige offenbar erst neugemachte Sagen in meine Sammlung sich eingeschlichen haben, z. B. Nr. 520. Durch Versehen ist eine andere Sage (Nr. 13) doppelt erzählt worden (Nr. 598). Für letztere will ich gleich hier noch eine mir neuerlich erst bekannt gewordene einschalten[3]. Noch muß ich hier dem Hrn. Pastor Dr. Haupt zu Lerchenborn bei Liegnitz und Hrn. Oberlehrer Scholze in Bautzen, sowie Hrn. Dr. Löbe in Rasephas für die mir gemachten Mittheilungen meinen besten Dank sagen.
In Bezug auf den bei dieser neuen Auflage hinzugekommenen Anhang, die Sagen des Herzogthums Sachsen-Altenburg, habe ich zu bemerken, daß ich es für passend fand, um mein Buch abzurunden, diese allerdings nicht sehr reichhaltige Sammlung hinzuzufügen, weil gerade dieser Theil des deutschen Vaterlands bisher von den neuern Sagenforschern noch wenig berücksichtigt worden war, denn Greß in seinen Holzlandsagen und Eisel in seinem Voigtländischen Sagenbuche hatten die Altenburgischen Sagen nur in soweit, als es der Plan ihrer Arbeiten verlangte, in ihren Bereich gezogen. Freilich ist das Herzogthum Sachsen-Altenburg überhaupt arm an Sagen, weil das einheimische Volk, Slaven, mißtrauisch gegen ihre deutschen Bezwinger, gegen diese wohl absichtlich nicht mittheilsam in Bezug auf ihre nationalen Mythen waren. Vieles haben auch die verschiedenen religiösen Richtungen, in welche man namentlich die Dorfschullehrer hineinlenkte, seit Ende des vorigen Jahrhunderts gänzlich vernichtet. Auch die Geschichts- und Alterthumsforschende Gesellschaft in Altenburg hat ihre höchst verdienstvollen Forschungen lediglich der reinen Geschichte gewidmet und sich gerade dieser Branche nicht angenommen, weshalb mein Versuch in dieser Beziehung, als der erste, wohl Entschuldigung finden dürfte und Andern Anregung und Veranlassung geben soll, weiter zu sammeln und meine Sammlung nur als Grundlage zu betrachten.
Dresden, den 1. Junius 1874.
des
Königreichs Sachsen.
von
G. Schönfeld’s Verlagsbuchhandlung.
1874.
- ↑ Dies ist ein Irrthum. Neuerdings hat Hr. Dr. Haupt in seinem trefflichen Sagenbuche der Lausitz, einer gekrönten Preisschrift (Lpzg. 1862. 2 Bde. m. Nachtr. im N. Laus. Mag. Bd. 41 u. 44.) nachgewiesen, daß Gräve viele Sagen durch fremdartige Zusätze verballhornt hat. Folglich kann man eigentlich jetzt nur Haupt folgen.
- ↑ Diese Lücke ist jetzt ausgefüllt durch: J. A. E. Köhler, Volksbrauch, Aberglauben, Sagen etc. im Voigtlande. Lpzg. 1867 in 8. – R. Eisel’s Sagenbuch des Voigtlandes. Gera, 1871 in 8. betrifft das sächsische Voigtland nicht.
- ↑ In Dresden auf der Ostraallee Nr. 3 befindet sich das königliche Hofwaschhaus für die Leibwäsche JJ. Majest., (nicht zu verwechseln mit dem Hofwaschhaus für die königl. Tafelwäsche auf der Sophienstraße), welches an der Stelle eines frühern Mönchsklosters errichtet worden ist. In diesem soll es angeblich umgehen, man hört des Nachts vielen Lärm mit Thürenwerfen, scharfen Tritten wie von geharnischten Personen etc. und namentlich im Keller, von dem aus ein noch offener, aber bis an seine Endpunkte wohl noch nicht genau erforschter Gang bis zu der Kreuzkirche und Sophienkirche führen soll, scheint es nicht geheuer zu sein. Im obern Stock ließ sich bis auf die neuere Zeit manchmal in der Nacht eine weißgekleidete Nonne sehen, ja man behauptet, in einem Alkofen öffne sich zuweilen eine Wand und man erblicke dann für kurze Zeit darin eine Nonne mit einem Kinde auf den[WS 1] Armen. Einmal hat man auch, als in einer Nacht wieder furchtbarer Lärm gewesen war, früh auf dem Tisch eine sehr alte Münze gefunden, die der angebliche Geist dort zurückgelassen hatte. Natürlich kann ich für die Begründung dieser Erzählung nicht einstehen.
- ↑ Nr. 387 u. 388 sind aus Versehen beim Drucken übersprungen worden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: dem