Das unglückliche Todaustreiben zu Radeberg

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Das unglückliche Todaustreiben zu Radeberg
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. S. 144–146
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Quelle: Google-USA* und Commons
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[144]
157) Das unglückliche Todaustreiben zu Radeberg.

Dresd. Magaz. Bd. II., S. 439. sq. Curiosa Sax. 1745. S. 121. sq. Grundig, Samml. z. Nat. Gesch. v. Obersachsen. Bd. I. 3. S. 219. Poet. beh. v. Segnitz. Bd. I. S. 32. sq.

An einigen Orten im alten Churfürstenthum Sachsen war es früher gebräuchlich, am Sonntage Laetare den Tod auszutreiben. Die Knaben machten nämlich aus Stroh eine menschliche Figur, behingen sie mit Lumpen, steckten diesen Popanz an eine Stange und trieben ihn so mit großen Geschrei und unter Absingung eines besondern Reims[1] durch die Stadt. [145] warfen ihn dort in eine Grube und liefen dann eiligst zurück, indem der Aberglaube besagte, daß, wer von den Austreibern hinter den übrigen zurückbliebe, dieser in demselben Jahre noch sterben müsse. Am 28. März des Jahres 1745 haben nun aber an diesem sogenannten Todtensonntage neun Knaben in der Stadt Radeberg den Tod mit großem Geschrei ausgetrieben und bei einem sumpfigen Orte vor der Stadt in eine Grube geworfen, weil sie aber daselbst ein Kraut und Wurzel, die man Schirling nennt, angetroffen, und einer der Knaben, sonder Zweifel mit Eingebung des Satans, diese Wurzel ausgezogen, für eine Möhre gehalten, davon gegessen, auch einigen andern etwas gegeben mit dem Beifügen, daß, wer von der Wurzel esse, wacker laufen könne; allein da, wie bekannt, dieser Schirling pures Gift ist und die Menschen tödtet, so sind alsbald acht dieser Knaben daran erkrankt (der neunte hatte gar nichts davon genossen), auf der Gasse umgefallen, haben stark geblutet, auch einen heftigen Anfall von Epilepsie gehabt. Vier von denselben, die von der Wurzel wirklich gegessen, sind noch diesen Abend verstorben, einer hat noch bis den andern Tag gelebt, drei andere aber, denen man sogleich mit dienlichen Medicamenten beigesprungen, haben zwar lange krank gelegen, sind aber am Leben erhalten worden. Merkwürdig ist es übrigens, daß alle diese Knaben an dem erwähnten Todtensonntag Mittags um 1 Uhr mit Samuel Gläntzel’s Leiche zu Grabe gegangen [146] waren, dann haben sie gegen 4 und 5 Uhr jenen Unfug vorgenommen und Abends gegen 8 Uhr sind die ersten vier schon todt gewesen.


  1. Nach B. Schnurr, Kunst-, Haus- und Wunderbuch, Frkfrt. a. M. 1690. 8. S. 127. lautete dieser Reim also:

    Nun treiben wir den Tod auß,
    Dem alten Juden in seinen Bauch,
    Dem jungen in den Rücken,
    Das ist sein Ungelücke.
    Wir treiben ihn über Berg und tieffe Thal,
    Daß er nicht wieder kommen soll,
    Wir treiben ihn über die Hayde,
    Das thun wir den Schäfern zu Leyde.

    Darnach kamen sie wieder zu Hause und sangen:

    Nun haben wir den Tod hinauß getrieben,
    Und bringen den lieben Sommer wieder,
    Den Sommer und auch den Meyen,
    Der Blümelein sind mancherleyen.

    Uebrigens sang man diesen Reim an verschiedenen Orten immer anders, z. B.:

    Nun treiben wir den Tod hinaus
    Den alten Juden/Weibern in das Hauß
    Den jungen/reichen in den Kasten
    Morgen wollen wir fasten.

    [145] Eine andere Version ist folgende:

    Wir tragen den alten Thor hinaus
    Hinters alte Hirtenhaus,
    Wir haben den Sommer nun gewonnen
    Und Krode’s Nacht ist weggekommen.

    Bei J. Chr. Hellbach, Archiv v. u. f. Schwarzburg 1787. Nachr. p. 51.

    Bekanntlich hat Luther selbst für die Kinder zu diesem Zwecke ein Lied von 7 4zeiligen Strophen gedichtet: Nun treiben wir den Pabst heraus etc., welches bei R. Chr. Hilscher, Curiose Gedanken Von dem Gebrauche am Sonntage Laetare Welchen man insgemein nennet Den Todt austreiben. A. d. Lat. übers. d. M. M. Dresd. u. Lpzg. 1701. 8. S. 39. sq. abgedruckt ist.