Die Wunderblume auf dem Löbauer Berge

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die Wunderblume auf dem Löbauer Berge
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 188–190
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[188]
791) Die Wunderblume auf dem Löbauer Berge.

Auf demjenigen Theile des bekannten Löbauer Berges, der wegen der darauf wachsenden Kräuter der Kräutergarten genannt wird, erblüht in der Nacht des Tages Johannis Enthauptung mit dem Glockenschlage 11 Uhr eine Blume, welche kein Naturforscher je gesehen oder bestimmt zu haben sich rühmen kann. Ihre Farbe ist purpur mit goldener Einfassung, grün mit Silberrändchen ihre Lotusähnlichen Blätter, veilchenblau ihr Stengel und glänzend himmelblau der Stempel. Sie hat, wiewohl großartiger, der Lilie Gestalt, und weit und breit duften – wenn sie ihren Kelch erschließt – ihre Wohlgerüche, denen die lieblichsten Blumendüfte weder in der alten noch neuen Welt gleichen. Keines Sterblichen Auge hat je ihre Wurzel erblickt. Im Jahre 1590, als der Löbauer Rathsförster Kajetan Schreier auf gedachtem Berge einen Rehbock blattete, empfanden seine Geruchswerkzeuge jenes wunderliebliche Duften, dessen Ursache er sich nicht zu erklären vermochte, und da der Duft, den der Wind ihm zuwehte, immer stärker wurde, ging er, den Rehbock vergessend, einige Schritte [189] vorwärts, allein sonderbar, der jeden Schritt und jedes Strauchwerk daselbst kennende Waidmann ging irre und drehte sich in einem Kreise, bis endlich sein Ohr eine sanfte, Aeolsharfen- oder Harmonikatönen ähnliche Musik vernahm und er die Wunderblume vom magischen Lichte erleuchtet erblickte. Er wußte nicht, was ihm geschah, blieb unentschlossen, ob er hören, sehen, riechen oder die Blume brechen sollte, seine Sinne schwanden, um in kurzer Zeit wieder zu himmlischem Genuß zu erwachen. So stand er zweifelhaft – da verkündete der Seigerschlag in Löbau die zwölfte Mitternachtsstunde – es blitzte, ein Krach erscholl und die Blume war verschwunden. Nun wußte der Jäger, was er hätte thun sollen, um sich in den Besitz dieses Kleinods zu setzen. Nun erst, aber zu spät, eilte er an den Ort, wo die Blume gestanden, gewahrte aber keine Spur mehr davon, wohl aber wehte der kühle Morgenwind einen Zettel von schwarzem Pergament, der folgende mit goldener Mönchsschrift geschriebene Worte: Mortalis immaculati cordis, qui tempore floris mei fortuito huc venit casu, carpere me potest et uti bonis, quae praebeo, sin minus, fugiat longe[1] enthielt, dem Betäubten zu.

Eine alte unleserliche Handschrift, die noch Anfangs des vorigen Jahrhunderts mit dem Pergamentzettel in Urschrift, nebst einer gerichtlich aufgenommenen Registratur über die Aussage des Försters auf der Löbauer Rathsbibliothek vorgezeigt wurde, enthielt Folgendes:

„Blühet in dem Gärtlein uf dem Löbawer Berge, allein nur aller hundert Johr, gar in der Mitternachts Stund von St. Joannis Enthäubtung gar ein wunderseltsam Blühmlein, von anmuthiger Gestalt vndt lieblichem Gedüft, welches der, so reinen Herzens ist, leicht aus der Erd reissen kan vndt dadurch zu hoher Ehr vndt vielen Geld gelangt, sintemalen [190] die starke, große Wurz, sowie das Blühmlein selbst vom puren Gold, Silver vndt köstlichem Gestein ist. Wer sich aber nit vest vndt sicher weiß, der berühr es ja nit; sonst verleuert er sein Leven. Wofür Gott behüt.“


  1. Der Löbauer Rector M. Martin Boreck 1571 hat dieses Latein folgendermaßen übertragen: Der Sterbliche von reiner Seele, der zu meiner Blüthenzeit von ohngefähr hierherkommt, kann mich brechen und das Glück, das ich ihm gewähre, genießen (der Schluß fehlt: wo nicht, so fliehe er so weit er kann).