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Autor: Heinrich Gottlob Gräve
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Titel: Die Wunderblume
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aus: Volkssagen und volksthümliche Denkmale der Lausitz, S. 41–44
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Erscheinungsdatum: 1839
Verlag: F. A. Reichel
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Erscheinungsort: Bautzen
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Quelle: MDZ München, Commons
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[41]
VI. Die Wunderblume.

Auf demjenigen Theile des bekannten Löbauer Berges, welcher wegen der darauf wachsenden Kräuter der Kräutergarten genannt wird, blühet in der Nacht des Tages: Johannisenthauptung, mit dem Glockenschlag eilf Uhr eine Blume, welche kein Naturforscher, vom Aristoteles und Plinius, Ulysses Altrovandi, Conrad Geßner, Leonhard Meister bis Linné und Harald Lenz, und wie sie sonst alle heißen mögen, die sich der Naturgeschichte und besonders Flora’s Lieblingskindern geweiht haben und – so weit es Menschen möglich – in ihr Allerheiligstes gedrungen sind, jemals gesehen zu haben sich rühmen kann.

[42] Ihre Farbe ist purpur mit goldner Einfassung, grün mit Silberrändchen ihre Lotus ähnliche Blätter, veilchenblau ihr Stängel und glänzend himmelblau der Stämpel. Sie hat – wiewohl großartiger – der Lilie Gestalt und weit und breit duften – wenn sie ihren Kelch erschließt – ihre Wohlgerüche, denen die lieblichsten Blumendüfte weder in der alten noch neuen Welt gleichen. – Keines Sterblichen Auge hat je ihre Wurzel erblickt.

Im Jahre 1570, als der Löbauer Rathsförster: Kajetan Schreier, auf gedachtem Berge einen Rehbock blattete, empfanden seine Geruchswerkzeuge jenes wunderliebliche Duften, dessen Ursache er sich nicht zu erklären vermochte, und da der Duft, den der Wind ihm zuwehte, immer stärker wurde, ging er (den Rehbock vergessend und ihm eine kleine Dilationsfrist schenkend) einige Schritte vorwärts; allein, sonderbar; denn, der jede Schritte und jedes Strauchwerk daselbst kennende Weidmann ging irre und drehte sich in einem Kreise, bis endlich sein Ohr eine sanfte, Aeolsharfen- oder Harmonikatönen ähnliche Musik vernahm und er die Wunderblume, vom magischen Lichte erleuchtet, erblickte. Er wußte nicht, was mit ihm geschah, blieb unentschlossen, ob er hören, sehen, riechen, oder die Blume brechen sollte, seine Sinne schwanden, um in kurzer Zeit wieder zu himmlischem Genuß zu erwachen. So stand er zweifelhaft – da verkündete der Seigerschlag in Löbau die zwölfte Mitternachtsstunde – es blitzte, ein Krach erscholl und die Blume – war verschwunden. Nun wußte der Jäger, was er hätte thun sollen, um sich in den [43] Besitz dieses Kleinods zu setzen. Nun erst – aber zu spät – eilte er an den Ort, wo die Blume gestanden, gewahrte aber keine Spur mehr davon, wohl aber wehte der kühle Morgenwind einen Zettel von schwarzem Pergament, der folgende, mit goldener Mönchsschrift geschriebene, Worte:

„Mortalis, immaculati cordis, qui tempore floris mei, fortuitu huc venit casu, carpere me potest, et vti bonis, quae praebeo, sin minus, fugiat longe,“[1]

enthielt, dem Betäubten zu.

Eine alte fast unleserliche Handschrift, die noch Anfangs des vorigen Jahrhunderts mit dem Pergamentzettel in Urschrift, nebst einer gerichtlich aufgenommenen Registratur über die Aussage des Försters auf der Löbauer Rathsbibliothek vorgezeigt wurde, enthielt Folgendes:

„Blühet in dem Gärtlein uf dem Löbawer Berge, allein nur aller hundert Johr, gar in der Mitternachts Stund von St. Joannis Enthäubtung gar ein wunderseltsam Blühmlein, von anmuthiger Gestalt vndt lieblichem Gedüft, welches der, so reinen Herzens ist, leicht aus der Erd reissen kan vndt dadurch zu hoher Ehr vndt vielen Geld gelangt, sintemalen die starke, große Wurz, [44] so wie das Blühmlein selbst vom puren Gold, Silver vndt köstlichen Gestein ist. Wer sich aberst nit vest vndt sicher wiß, der berühr es ja nit; sonst verleuert er sin Leven. Wo für Gott behut.“

  1. Der Löbauer Rektor M. Martin Boreck 1571 (bekannt durch seine Zwistigkeiten mit dem dasigen past. primar. M. Johann Telischer, der 1579 seines Amts entlassen wurde), hat dieses, eben nicht ernestische Latein, folgendermaaßen übertragen: „Der Sterbliche von reiner Seele, der zu meiner Blüthenzeit von ungefähr hierher kommt, kann mich brechen, und das Glück, das ich ihm gewähre, genießen.“