Das Eierfest auf dem Protschenberge am ersten Osterfeiertage

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Das Eierfest auf dem Protschenberge am ersten Osterfeiertage
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 281–283
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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870) Das Eierfest auf dem Protschenberge am ersten Osterfeiertage.
S. Dresdner Presse 1874. Nr. 95.

Alljährlich eilt am ersten Osterfeiertage in den Mittags- und ersten Nachmittagsstunden, wenn das Wetter es nur einigermaßen erlaubt, Alt und Jung aus Bautzens Mauern nach dem Protschenberge zum Eierschieben. Die Wege nach der luftigen Höhe, durch parkartige Anlagen und grünende Saatfelder führend, vermögen kaum in der Stunde zwischen 1 und 2 Uhr die frohen Schaaren zu fassen. Der Protschenberg, eine von mächtigen Granitfelsen gebildete Anhöhe am linken Spreeufer, westlich von Bautzens altem Schlosse, der Ortenburg, das Flußthal einschließend, trägt auf seinem Scheitel einen Gottesacker, der als Begräbnißort von der zumeist wendischen Bevölkerung des uralten, an der einstigen vom fernen Osten nach Gallien durch Mitteldeutschland führenden Völkerstraße gelegenen Ortes Seidau benützt wird. Ein stark geneigter, von Gras nur spärlich bewachsener, nach dem rauschenden Gewässer der durch die Industrie dem Menschen sehr dienstbar gewordenen Spree blickender Abhang füllt sich rasch mit Seidauer Knaben und Mädchen verschiedenen Alters, und aus dem Munde dieser in rascher Bewegung auf- und absteigenden Kinderschaaren tönt fortwährend, bald in vereinzelten Stimmen, bald in vollen Chören [282] der langgedehnte, vom wendischen Dialecte stark gefärbte Ruf: „Eier!“ Die von Eltern, Geschwistern, Anverwandten und wohl auch Dienstboten begleiteten Kinder der Bewohnerschaft Bautzens und Schaaren von Jünglingen und Jungfrauen schauen, in dichten Reihen die Stirn des Protschenberges einnehmend, heiteren Blickes hinab auf die rufende Menge. Es gilt nun, hart gesottene, mit Farben bunt bemalte Eier, oder auch Obst, Backwerk aller Art und nach Befinden auch Kupfermünzen, möglichst weit hinab in die schreienden Schaaren zu werfen. Je nachdem bald aus der Mitte, oder aus einem der beiden Flügel der Städter die Gaben geworfen werden, je nachdem bewegen sich die Schaaren der auffangenden Kinder nach dieser oder jener Richtung. Personen, die im Werfen geübt sind, vermögen Eier bis in den Fluß zu werfen. Ist dies geschehen, so waten abgehärtete Buben baarfuß in das kalte Wasser und ringen unter dem Beifallsrufe der Menge um das farbige Osterei. Gegen drei Uhr lichten sich die Reihen und in den späteren Nachmittagsstunden verlassen die letzten Kinder mit ihren errungenen Schätzen den Festplatz.

Ueber die Bedeutung und Veranlassung dieses seltsamen Festes herrschen verschiedene Meinungen, aber eine sichere Kunde darüber giebt es nicht. Im Allgemeinen hält man dieses Fest für eine Erinnerungsfeier an jene Zeit, in welcher es dem Christenthume gelang, die heidnischen Götzen von der Höhe des Felsens in die Fluthen des Spreeflusses zu werfen[1]. Daß der Protschenberg früher ein heiliger, sogar befestigter Ort[2] der heidnischen Bevölkerung der Gegend gewesen ist, haben verschiedene Nachgrabungen und die dabei gemachten Funde mit ziemlicher Gewißheit ergeben, allein von einem Eierfeste zum Andenken an den Sieg des Kreuzes [283] über die Götzen ist keine ältere Kunde vorhanden. Man bringt dieses Fest auch mit der Reformation in Verbindung und meint, daß die Protestanten am ersten Osterfeiertage jedes Jahres auf den Protschen gezogen seien, um ihren Groll darüber zu vergessen, daß sie an diesem Tage ihr Gotteshaus den wendisch-katholischen Christen Bautzens und der Umgegend in der Mittagsstunde zur Benutzung zu überlassen gezwungen seien. Bis zum Jahre 1848 fand allerdings nach alten, nun aufgehobenen Verträgen in dem protestantischen Theile der Petrikirche ein wendisch-katholischer Gottesdienst während der Mittagsstunden statt, sodaß der Festgottesdienst der Protestanten erst um drei Uhr seinen Anfang nehmen konnte. Wenn in diesem letzteren Umstande die Veranlassung zum Eierfeste liegen sollte, so könnte die Entstehung desselben bis in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zurückreichen denn im Jahre 1525 wurde bereits der erste protestantische Prediger an der Petrikirche angestellt.

Jedenfalls ist das Eierfest auf dem Protschenberge als ein erster allgemeiner Ausflug sogleich nach dem Beginn des Frühlings nicht ohne Poesie, mag auch seine Entstehung und Veranlassung in tiefes Dunkel gehüllt sein. Mit welcher Zähigkeit man übrigens an diesem Eierfeste auf dem Protschenberge hält, beweist der Umstand, daß wiederholt Versuche angestellt worden sind, den Schauplatz des Festes nach dem zum Spiele für die Kinder weit mehr geeigneten Schießplatze zu verlegen, aber stets vergeblich.


  1. Dies ist irrig und es ist im Gegentheil ein aus dem Heidenthum entlehnter Gebrauch, der die Sage vom Weltei versinnlichen soll. S. Hasche, Mag. Bd. III. S. 297. 471. Hanusch, Slav. Mythol, S. 197. Nork, Myth. Wtbch. Bd. I. S. 505 fg. Friedreich, Symbolik d. Natur. S. 687 fg.
  2. S. Haupt, Laus. Sag. Bd. II. Nr. 95.