Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 27–29
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
Übersetzer:
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[27]
624) Die weiße Frau im Pfarrgarten zu Meerane.
S. Leopold, Chronik von Meerane. S. 252.

In alter Zeit lebte auf dem Schlosse zu Meerane ein Herzog, der von seiner Gemahlin keine Kinder bekam. Daher nahmen sie ein junges Mädchen, eine Gräfin, an Kindesstatt an. Als diese 17 Jahre alt war, starb des Herzogs Gattin. Sie ward bald vergessen und die junge Gräfin kurz nachher von dem Herzog zu seiner zweiten Gemahlin erwählt. Diese gebar ihm in der Folge zwei Kinder, einen Knaben und ein Mädchen. Als nun ersterer acht, letztere zwei Jahre alt war, da starb der Herzog und die junge Frau ließ sich sehr bald von ihrer bösen Lust verleiten, die Bewerbung eines jungen, freilich nicht ebenbürtigen Mannes anzunehmen. Als derselbe nun einmal wieder bei ihr gewesen war, ließ er beim Fortgehen die Worte fallen: „wenn nur vier Augen nicht wären!“ Das verblendete Weib und unnatürliche Mutter deutete diese Worte aber so, daß ihr Liebhaber sie gern heirathen würde, wenn sie nur nicht die zwei Kinder hätte. Sofort faßte sie ihren Entschluß. Sie schickte die Wartefrau mit den Kindern in das nahe bei Meerane gelegene Gottesholz, um daselbst spatziren zu gehen, und ein von ihr gedungener Meuchelmörder, der ihnen dort auflauern mußte, überfiel [28] sie und tödtete zuerst die Kinderfrau. Als der Knabe selbige in ihrem Blute hinsinken sah, da versprach er ihm, er wolle ihm fünf von seinen acht Rittergütern geben, wenn er ihn leben lasse. Allein es half nichts, der Mörder stach ihn nieder. Das kleine Schwesterchen, die nun von ihm gepackt ward, hielt ihm wie zur Abwehr ihre Puppe entgegen, allein er stieß sie zurück und mordete sie unbarmherzig auch.[1] Die Mutter ließ hierauf die drei Leichen heimlich in die Burg bringen und nachdem sie ausgesprengt, alle drei seien schnell einer bösartigen, ansteckenden Krankheit erlegen, in der Schloßkirche beisetzen. Ihrem Liebhaber aber schrieb sie, das Hinderniß ihres Ehebundes sei nunmehr beseitigt, und er [29] solle nun zu ihr kommen. Derselbe kam auch, allein er sagte ihr mit trauriger Miene, er habe sie nur prüfen wollen, ob ihre Sinnlichkeit bei ihr ihre Mutterliebe übersteige, nunmehr könne er sie, eine Kindesmörderin, nicht ehelichen. Jetzt überfiel die unglückliche Frau furchtbare Reue, und da sie meinte, daß ihre entsetzliche Schuld nur durch die schwerste Buße gesühnt werden könne, ließ sie sich ihre beiden Kniee mit Polstern umkleiden und trat nun von ihrer Kammerfrau begleitet in leichtem Bettlergewande ihre Bußfahrt zu dem Papste nach Rom, immer auf den Knien fortrutschend, an. Auf der Hälfte des Weges starb aber ihre Begleiterin und sie mußte nun allein ohne jegliche Unterstützung ihre Reise fortsetzen. Als sie endlich an dem ihr bezeichneten Kloster in Rom, wo sie abtreten und angeblich Absolution finden sollte, angekommen war, schlug gerade die zwölfte Stunde. Sie vermochte es nicht mehr sich aufzurichten und an der Schelle zu ziehen, ihre Füße hatten die Fähigkeit und Kraft verloren, sie zu tragen. Sie sank vor Erschöpfung nieder und wurde früh Morgens vor den noch ungeöffneten Pforten des Klosters von Vorübergehenden todt aufgefunden. Ihre Seele fand daher keine Ruhe, sondern schweift seitdem als weiße Frau in dem Rotengarten oder Raubgarten, dem jetzigen Pfarrgarten von Meerane umher.


  1. In einem alten Buche über Meerane soll diese Begebenheit abgebildet sein mit den Unterschriften:

    Mein lieber H. laß mich leben,
    Ich will dir Neudeck und Nossen geben,
    Pleißenburg, die neue,
    Es wird Dich nicht gereue;

    und:

    Mein lieber H. laß mich leben
    Ich will Dir meine Puppe geben.

    Offenbar ist diese Geschichte oder wenigstens diese Verse aus einer Verwechselung mit der Sage von der Gräfin von Orlamünde, oder der berüchtigten Weißen Frau auf der Plassenburg und in Berlin entstanden. In dem alten Volksliede von derselben (in Brentano’s Wunderhorn, Bd. II. S. 236) sagt der Knabe:

    Lieber Hager, laß mich leben,
    Will Dir Orlamünde geben,
    Auch die Plassenburg, die neue
    Und es soll mich nicht gereuen!

    und das Mädchen sagt:

    Lieber Hager, laß mich leben,
    Will Dir meine Decke geben,
    Engel, Bengel laß mich leben,
    Will Dir meinen Vogel geben.

    Verglichen hat übrigens noch Niemand die zwei Sagen (s. i. mein. Preuß. Sagenbuch I. S. 15.) Letztere wird unten bei den Sagen des Herzogth. Altenburg erzählt werden.

    Jener H. ist offenbar der Hager, der Diener der Gräfin von Orlamünde, der die Kinder ermordet haben soll.