Ein Doppelgänger läßt sich sehen
In einem in der Nähe von Meißen gelegenen Städtchen wohnete vor einiger Zeit ein Rechnungsführer, Namens Conradi. Ob nun gleich dieser Mann eines Tages in Geschäften für mehrere Tage nach Dresden verreist war, ist doch die Magd in seine Stube gegangen, um daselbst aufzuräumen, damit er bei seiner Rückkehr Alles in Ordnung fände. Nach geöffneter Stubenthür sieht sie ihren Herrn am Tische im Schlafrocke sitzen und schreiben, erschrickt aber bei solchem unverhofften Anblicke furchtbar und tritt sprachlos zurück, macht auch die Thüre ganz leise zu und läuft die Treppe hinunter, um ihrer Frau die ihr zugestoßene Neuigkeit zu hinterbringen. Sie sagt also: ich habe gedacht, unser Herr wäre verreist, und kam hinauf in die Stube und wollte solche auskehren, da saß er in seinem Schlafrocke und schrieb. Die Hausfrau wunderte sich hierüber und sprach: Du bist nicht klug, Du weißt ja, daß mein Mann verreist und noch nicht wieder nach Hause gekommen ist! Die Magd aber schwur dazu und sagte: ich werde ja wohl meinen Herrn kennen, er ist ganz gewiß oben und schreibt! Bittet noch die Hausfrau, [83] eilends mit hinauf zu gehen, da werde sie ihn sehen. Diese that es auch, ging mit hinauf, machte die Stube auf und sah hinein, da stand aber der leere Stuhl da und Niemand saß darauf. Hierüber hat sich aber die Magd nicht genug wundern können, daß ihr Herr nicht mehr da war, da sie ihn doch vor kaum einer Viertelstunde an diesem Orte mit ihren Augen gesehen hatte.