Sage vom Entstehen des Stelzenbaumes

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Sage vom Entstehen des Stelzenbaumes
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 77–78
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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Bearbeitungsstand
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686) Sage vom Entstehen des Stelzenbaumes.
Nach mündlicher Ueberlieferung bearbeitet von Julius Schanz.

In dem Dorfe Thossen war einmal ein guter ehrlicher Schäfer, der schon manchen Winter erlebt hatte, ohne daß sein Haar grau geworden wäre, und der manchen heißen Sommer hindurch die Schaafe mit seinem Spitz treulich bewacht hatte. Noch niemals hatte er ein Schaaf durch den räuberischen Wolf verloren, als er endlich doch von diesem heimgesucht ward. Der Alte hatte sich ein Wenig niedergelegt, um zu schlafen, der Hund war einer Hasenspur gefolgt, und der Wolf, der im Busche gelauert hatte, raubte zwei Schöpse, ohne daß es Jemand bemerkte. Als der Hirt am Abend heimtrieb und der Herr unter der Thüre des Schafstalles stand, und die Heerde musterte, vermißte er die zwei Schöpse und ließ den Alten hart an. Betrübt lief dieser davon, die Verlorenen zu suchen. Da kam ein Knecht des Herrn, der dem Schäfer feind war, und verkündete mit geheimnißvoller Miene, daß der Fleischer so eben zwei Schöpse von der Heerde nach der Stadt getrieben. Der Herr glaubte steif und fest, es seien die seinigen gewesen und lief stracks [78] dem Schäfer nach. Als er seiner von ferne ansichtig wurde, schrie er wüthend: „du heuchlerischer Spitzbube, was suchst Du noch, wenn Du sie dem Fleischer verkauft hast?“ – Der Alte wußte nicht, wie ihm geschehen war, und betheuerte hoch und heilig seine Unschuld. Der Herr aber schrie und tobte und drohte ihm, noch heute all seine Habe zu nehmen, wenn er die gestohlenen Schöpse nicht ersetze. Du hub der Alte feierlich an: „Gott im Himmel, erzeige Gerechtigkeit Deinem unschuldigen Knechte!“ – Und er steckte seinen Stab in die Erde und schwur dreimal und sprach: „Dieser dürre Stab soll wurzeln, wachsen und gedeihen, wenn ich ohne Schuld bin. Ist aber der Diebstahl an mir, so zerfalle er jetzunder in Asche.“ – Als der Herr am andern Tage wieder auf denselben Platz kam, stand der Stock und hatte bereits Knospen und schlug aus. Er wuchs empor zu einem großen, seltenen Baum und steht bis auf diesen Tag, ringsum sichtbar, auf einer Hochebene, damit Jedermann sehe, wie der Herr die Unschuld beschützt.