Die lange Schicht zu Ehrenfriedersdorf

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Die lange Schicht zu Ehrenfriedersdorf
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 1. S. 454-457
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[454]
518) Die lange Schicht zu Ehrenfriedersdorf.
Textor, hist. Bildersaal Bd. V. S. 120 sq. u. b. Dietrich a. a. O. Bd. I. S. 167 sq. Poetisch beh. v. Ziehnert, Bd. I. S. 1 sq.[1]

Einst lebte in der uralten sächsischen Bergstadt Ehrenfriedersdorf [455] im Erzgebirge ein junger Bergmann, Namens Oswald Barthel, des alten Bergmanns Michael Barthel Sohn, der von seinen Vorgesetzten so geschätzt war, daß ihm der reiche Obersteiger Baumwald seine einzige Tochter Anna verlobte. Nun sollte er im tiefen Stolln, Gutes Glück, im Sauberge anfahren, um einen Durchschlag (Durchbruch in einen andern alten Stolln) zu machen, welches wegen des entgegenstehenden Wassers unter die gefährlichsten Arbeiten des Bergbaues gehört. Er und diejenigen seiner Kameraden, welche die Reihe hierzu traf, traten nun, nachdem sie zuvor mit ihrem Steiger an der Spitze gebeichtet und das h. Abendmahl genommen, am Tage St. Katharinä, im Jahre 1508 die Fahrt mit einem herzlichen Glückauf! an. Als sie an dem gefährlichen Punkte angekommen waren, ward die Arbeit sofort in rolliger, sehr gebrechlicher (d. h. weicher, nicht zusammenhängender, erdiger) Bergart betrieben und das Einstürzen der Firste durch Zimmerung verhütet. Die Last war groß, die auf dieser Zimmerung ruhte, und als der Steiger, etwas zurückstehend, eben eine Anordnung treffen wollte, hörte er ein heftiges Krachen in der Firsten-Zimmerung und im nächsten Augenblick ein Gleiches: Brüder, rettet Euch! rief er, schnell, es macht einen Bruch (die Zimmerung bricht)! Diesem Rufe folgten alle in der größten Eile, nur Oswald, der jüngste und rascheste von allen blieb auf eine bis jetzt unbegreiflich gebliebene Weise zurück und wurde so verschüttet. Zwar gab man sich die unsäglichste Mühe, den armen Oswald zu retten, und immer neue Arbeiter lösten die bereits ermatteten ab, aber vergebens, es brach immer mehr nach und der Unglückliche ward nicht wieder gefunden. Als nun aber die Braut des armen Bergmanns die furchtbare Kunde vernahm, sank sie zuerst in eine tiefe Ohnmacht, aus der sie nur wieder erwachte, um in eine tödtliche Krankheit zu verfallen. Zwar besiegte ihre Jugendkraft dieselbe und sie ward dem Leben erhalten, allein als sie nach ihrer Genesung zum ersten Male wieder das Gotteshaus betrat, da brachte sie am Altar der hochheiligen Mutter des Herrn das Gelübde [456] ihrem Oswald treu zu bleiben und ihr Leben lang nur als Jungfrau zu leben und zu sterben; dann hing sie ihren Brautkranz mit eigner Hand unter den übrigen Todtenkränzen in der Kirche auf und lebte nun in tiefster Stille den Segen der Armen verdienend.

So gingen denn seit jenem Unglückstage viele Jahre dahin und zuletzt waren nur noch die jungfräuliche Braut, sowie drei Bergleute, Balthasar Thomas Kendler, Andreas Reiter der ältere, beide in Ehrenfriedersdorf, sowie Simon Löser, in Drebach wohnhaft, von allen denen übrig, die damals das unglückliche Ereigniß mit angesehen hatten. Da fügte es sich, daß in Brünlers Fundgrube am Sauberge ein Stolln bewältigt wurde, und als man in die siebente Lachter im rolligen Gebirge fortgerückt war, stieß man auf einen in der Erde liegenden menschlichen Körper, der noch in seinen unverwesten Kleidern dalag. Mit vieler Mühe machte man ihn von seiner drängenden Umgebung frei und schaffte ihn nach dem Tageschachte, da brach dieser harte Leichnam mitten auseinander, und man konnte ihn also nur in zwei Stücken heraufwinden. Der Leib, Kopf und Arme waren noch beisammen, doch der Körper, wahrscheinlich beim Herausziehen zerrissen oder vielmehr zerbrochen. Diese Begebenheit wurde sogleich dem damaligen Bergmeister, Valentin Feige, gemeldet, welcher den Geschwornen, Thomas Langer, rufen und die obengenannten Greise an Bergamtsstelle bescheiden ließ. Diese Männer sagten nun aus, daß sie sich noch wohl erinnerten, wie einst in der Zeit ihrer Jugend, vor 60 Jahren, ein junger Bergmann, Namens Oswald Barthel, in der Gegend, wo der Leichnam jetzt gefunden worden, so verfallen sei, daß ihn Niemand retten können. Und als man nun den Leichnam brachte, erkannten sie ihn als den Verschütteten. Dieses Wiederfinden geschah am 20. Sept. 1568, so daß der Verschüttete 60 Jahre 9 Wochen und 3 Tage in der Erde gelegen hatte, als man ihn wiederfand, worauf er am 26. desselbigen Monats mit einem feierlichen Leichenbegängniß wieder zur Erde bestattet wurde, welche ihn schon so lange [457] umschlossen gehabt hatte. Es war ein Begräbniß, wie Ehrenfriedersdorf noch keins gesehen hatte. Der Leichenzug bestand aus Tausenden, die herbeigekommen waren, um dem so wunderbar Wiedergefundenen das letzte Geleite zu geben. Als die Leiche eingesenkt werden sollte, eilte auch seine treugebliebene Braut herbei und sprach den Wunsch aus, ihm bald folgen zu können, und nach wenigen Tagen ward ihre Hoffnung auch erfüllt. In der Gedächtnißpredigt, welche der damalige Ortspfarrer, M. Georg Reute – als Oswald verschüttet ward, herrschte hier noch das Papstthum, jetzt aber hatte dasselbe längst der Reformation weichen müssen – hielt, sagte derselbe am Eingange, es sei eine wunderbare Mähr, daß er, der Pfarrer, der schon im 31. Jahre stehe, heute einer Leiche die Gedächtnißpredigt halte, welche schon 30 Jahre vor seiner Geburt gestorben sei. Noch heute heißt aber die Hauptzusammenkunft der Bergknappschaft zu Ehrenfriedersdorf am Montag nach Ostern zum Andenken an obige Begebenheit die lange Schicht.


  1. Ist der schwedischen Sage von dem Brautpaare von Falun (b. Lyser, Abendl. 1001 Nacht, Bd. XIV. S. 86 sq.) sehr ähnlich.