Zwergsagen in der Gegend um Zittau

Textdaten
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Autor: Johann Georg Theodor Grässe
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Titel: Zwergsagen in der Gegend um Zittau
Untertitel:
aus: Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen, Band 2. S. 258–265
Herausgeber:
Auflage: Zweite verbesserte und vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1874
Verlag: Schönfeld
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Erscheinungsort: Dresden
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Quelle: Google-USA* und Commons
Kurzbeschreibung:
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[258]
849) Zwergsagen in der Gegend um Zittau.

Lausitz. Mag. 1823. S. 63. sq. 1839. S. 215. 1838. S. 90. 379. Liebusch, Chronik von Senftenberg 1827. S. 14. 27. sq. Lausitz. Monatschr. 1797. S. 75. sq. Pescheck in Büschings Wöchentl. Nachr. Bd. I. S. 72. sq. 97. sq. 291. 294. Haupt. u. Schmaler, Wendische Volkslieder Bd. II. S. 265. Görlitzer Wegweiser 1833. S. 804 sq. Dietmanns Staats- und Reisegeographie Bd. I. S. 923. Knauth in d. Dresdner Gel. Anz. 1750. XI. S. 294. Preusker Bd. I. S. 50 sq. 156. Bariscia, Bd. IV. S. 82. Winter in d. Const. Z. 1854. Nr. 179. Anton, Progr. de Querxis. Gorl. 1846. in-4.

Das fabelhafte Volk der Zwerge (slavisch ludki[1]) lebt [259] ebenso in den Lausitzer Sagen wie in denen anderer deutscher Provinzen. In der Zittauer Gegend heißen sie Querxe, und man nimmt gewöhnlich kleine Höhlen und Felsenspalten als ihre Wohnsitze an. So giebt es z. B. am Breitenberge bei Haynewalde ein Querxloch und einen Querxbrunnen, desgleichen bei Dittersbach zwischen Großschönau und dem benachbarten böhmischen Dorfe Warnsdorf ein Querxloch etc.

Am Meisten trieben sie sonst ihr Wesen mit den Bewohnern der um den Breitenberg gelegenen Dörfer, wer Muth hatte, konnte ihr Thun und Treiben näher beobachten und es täglich sehen, wie einer nach dem andern zum sogenannten Querxloche aus- und einging. Ebenso quollen beständig neue Zwerge aus dem Querxborne heraus. Den benachbarten Dorfbewohnern wurden sie besonders dadurch lästig, daß sie sie öfters, wiewohl unsichtbar, beschmaußten und ihnen Brod und andere Speisen aus den Häusern nahmen. Zum Glück wußte man endlich eine Vorkehrung gegen diese Broddiebe ausfindig zu machen; die war nämlich der Kümmel, denn ein Brod, worin einige Kümmelkörner mitgebacken worden waren, rühren die Querxe nie an; es hatte dann einen Geschmack, der ihnen zuwider war. Bisweilen sollen sie den Leuten aber auch Geschenke gemacht haben. Einst hörten sie von Ungefähr, daß ein Bauer aus Bertsdorf, der nicht weit von ihnen sein Feld bearbeitete, von seiner Frau nach Hause gerufen wurde, um zu einer Hochzeit, zu der sie beiderseits an jenem Tage geladen waren, sich fertig zu machen. Dies ließen die Querxlein sich nicht ungesagt sein, sie berathschlagten unter sich und waren bald einig, jene Hochzeit auch insgesammt zu besuchen, und sich einmal einen recht guten Tag auf anderer Leute Unkosten zu machen. Ueberall ruften sie einander zu und erinnerten einander noch ausdrücklich, die Nebelkäppchen nicht zu vergessen und mitzunehmen. Dies hörte ein anderer Bertsdorfer Einwohner, der ebenfalls auf dem Felde an des Berges Fuße arbeitete, und halb im Spaße, halb im Ernste rief er den Querxen zu, auch ihm eine Nebelkappe mitzubringen. Die Querxe ließen sich bereitwillig [260] finden, brachten ihm wirklich eine mit, und erlaubten ihm ebenfalls mit zu jener Hochzeit zu gehen, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, bei Tische ja von den Ueberbleibseln nichts mit sich zu nehmen, wenn er sich nicht ihren Zorn zuziehen wolle. Uebrigens ließen sie ihm in Rücksicht des Essens und Trinkens völlige Freiheit. Der Bauer ging mit und ließ sich völlig unsichtbar Alles wohlschmecken. Als der Schweinebraten an die Reihe kam, konnte er aber doch der Lust nicht widerstehen, ein Stückchen für seine Frau und Kinder einzustecken, doch kaum war es geschehen, so riß ihm ein Zwerg das Mützchen vom Kopfe, und er saß nun den Hochzeitsgästen sichtbar mit unter ihnen in seiner Alltagskleidung am Tische. Man staunte nicht wenig, und als er die Ursache des Mitkommens, und daß auch noch Zwerge zwischen jeden zwei Gästen säßen, erzählt hatte, war es den letzteren erklärlich, daß jede Schüssel immer so bald ausgeleert und auf der Hochzeit so äußerst viel gegessen worden sei. Doch der Hausvater zürnte nicht, bat vielmehr den Bauer auch für den andern Tag zu Gaste, und obwohl dies nicht bei den Querxen geschehen war, so merkte man dennoch ihre Gegenwart an dem wiederum sehr sichtlichen Abnehmen der aufgetragenen Speisen.

Uebrigens waren die Querxe nicht immer so begehrlich und gewinnsüchtig, sondern ihre Besuche waren bisweilen vortheilhaft für die Bewohner eines Hauses, z. B. wenn sie sich bei Taufgastmählern und überhaupt in Wochenstuben einstellten, dann drängten sie sich nicht als ungebetene Gäste zu den Tischen hin, sondern hielten, wenn auch vielleicht nicht für Alle, doch wenigstens für die Wöchnerin sichtbar, ihr eigenes Mahl, entweder unter dem Ofen oder unter dem Bette der Wöchnerin, wo man sie, um die Wöchnerin nicht etwa Gefahren auszusetzen, gern ungestört und in Ruhe ließ. Sie waren auch wohl höflich und brachten der Wöchnerin etwas von ihren Eßwaaren, z. B. einen Zwieback, zum Geschenk in’s Bette. Einst hörte eine Wöchnerin, die noch das Bett hütete, und eben allein in der Stube war, plötzlich ein [261] ungewohntes Geräusch in ihrem Zimmer, sie blickte nach der Gegend, von wo es herzukommen schien, und sieht zu ihrem nicht geringen Erstaunen, daß in der Nähe des Ofens unten an der Wand plötzlich eine, nur unbedeutend große Oeffnung sichtbar wird, und daraus ein kleines graues Männchen oder Querxlein hervorkommt, mit vielen Grüßen ihrem Bette sich nahend. Er redet sie mit Höflichkeit an, und erbittet sich die Erlaubniß, daß eine ganze Gesellschaft ein Gastmahl in dieser Stube halten möge, und verspricht für die Erlaubniß im Namen Aller erkenntlich zu sein. Die Wöchnerin ertheilt die erbetene Erlaubniß und das Männchen empfiehlt sich mit vielen Begrüßungen wieder. Bald darauf hört die Wöchnerin durch jene Oeffnung ein neues noch größeres Geräusch, und das kleine graue Männchen erscheint wieder an der Spitze von einer Menge ebenso kleinen Hausgesindes, das wie geschäftige Ameisen, kleine Tische und Stühle und ganze Körbe voll der köstlichsten Eßwaaren und Speisen durch jene Wandöffnung herbeibringt, und nun damit die Tische auf’s Schönste besetzt. Jetzt erschallen Töne aus der Ferne, sie nähern sich allmälig, und es treten nun, ebenfalls durch jene Oeffnung mehrere Tonkünstler mit Saiten- und Blastonwerkzeugen ein, an die sich ein langer bunter Zug von lauter solchen kleinen Wesen anschließt. Die Gesellschaft nimmt Platz an den Tischen und hält ein lebhaftes vergnügtes Mahl unter der angenehmsten Tischmusik. Nach aufgehobener Tafel ertönt eine muntere Tanzmusik, und schon fangen die kleinen Leutchen an sich bunt durch einander zu drehen und zu schwenken, als plötzlich ein neues Querxlein in’s Zimmer gestürzt kommt, die Hände über dem Kopfe zusammenschlägt und voller Betrübniß ausruft: „O große Noth, o große Noth! Die alte Mutter Pump ist todt!“ Wie ein Donnerschlag tönt dies den kleinen Gästen in die Ohren, so schnell als möglich nimmt jeder die Flucht. Alles was von Sachen da war, wird eiligst hinweggeschafft, und zwar Alles zu der Oeffnung wieder hinaus, wo es hereingekommen war. Die ganze Stube war nun wieder leer und einsam, nur jenes kleine Wesen, das [262] allem Anschein nach die Stelle eines Geprängmeisters bekleidete, war noch zu sehen; es kam auf die Wöchnerin zu, erzählte ihr, daß der plötzliche Tod der Ahnfrau ihres Stammes sie in Schreck und große Betrübniß versetzt habe, und daß sie nun sehr unglücklich werden könnten; es bedankte sich übrigens höflich für die ertheilte Erlaubniß des Zutritts in die Wochenstube, und schenkte der Wöchnerin im Namen der ganzen Gesellschaft zum Danke dafür drei Geschenke, nämlich einen goldenen Ring, einen silbernen Becher und ein Waizenbrödchen. Diese drei Dinge, sagte das Männchen, seien von der größten Wichtigkeit, denn so lange sie alle drei vereint in dem Stamme bleiben würden, werde er immer größer, angesehener und reicher werden, und Glück und Ruhm werde sein Eigenthum sein. Sie müßten daher alle drei als ein werthes Heiligthum betrachtet und sorgfältig aufbewahrt werden, der Ring aber solle allemal in dem Geschlechte des ältesten Sohnes verbleiben und von dessen Gemahlin getragen werden. Hierauf empfahl sich das Männchen höflichst wieder, und verschwand durch die bewußte Oeffnung und diese mit ihm. Der Wöchnerin war es, als ob sie aus einem Traume erwache, und sie würde auch Alles für einen Traum gehalten haben, wenn nicht die drei Geschenke ihr so in die Augen geglänzt hätten. Sie rief nun ihre ganze Sippschaft zusammen, und man berathschlagte, wie diese Kostbarkeiten am Besten zu verwahren seien. Es ward ein fester steinerner Thurm erbaut, und der silberne Becher und das Waizenbrödchen tief in seinem Innersten verwahrt, so daß Niemand im Stande war, diese heilbringenden Gaben dem Stamme zu entwenden, den Ring aber trug die, der er geschenkt worden war, unablässig an der Hand. Nach ihrem Tode aber erbte er als ein Altersantheil der Vorschrift gemäß von Glied zu Glied fort, und das Geschlecht war seit dem Besitze dieser Zaubergaben immer größer, reicher und angesehener geworden, so daß man das Glück, welches ihnen von Jahr zu Jahr immer schöner erblühte, nur einem höheren Schutze zuschreiben konnte. Siehe, da war einst die Besitzerin dieses Ringes so unvorsichtig, ihn [263] zu verlieren, und alles Nachsuchens ungeachtet war er schlechterdings nicht wieder aufzufinden. Trostlos brach die Familie in Klagen aus, und fürchtete den Zorn jener Wesen, deren Hülfe sie sich bisher zu erfreuen gehabt hatten. Mit Recht, denn ein Ungewitter erhob sich plötzlich über jenem alten Thurme, der als Trutz- und Schutzwehr dieser Geschenke galt, spaltete ihn nach einem furchtbaren Blitz und Gekrach von oben bis unten, und verschlang in einem Nu die verehrten Heiligthümer. Von diesem Augenblicke aber ging der Verheißung nach der Stern dieses Geschlechtes unter, denn mit dem Besitze dieser Geschenke war auch seine Größe und Wohlstand für immer dahin.

Aehnliche Geschichten werden übrigens von verschiedenen Adelsgeschlechtern erzählt (s. Grimm, deutsche Sagen Nr. 35. 41. u. oben Nr. 395), nur mit dem Unterschiede, daß in einer Familie der Unglücksbote gerufen haben soll: „der König ist todt,“ und in einer andern wieder: „Urban ist todt.“

Zu dem Besitzer der am Berge bei Dittersbach auf dem Eigen in der Oberlausitz gelegenen Halbhufe kam einst, während er ackerte, ein Zwerg und bat ihn, es Hübel (einem weiblichen Zwerg) zu sagen, daß Habel (ein männlicher Zwerg) gestorben sei. Als nun der Bauer diesen ihm sonderbaren Vorfall beim Mittagsessen erzählt, kommt ein bisher nie bemerktes Weiblein aus einem Winkel der Stube zum Vorschein, eilt wehklagend zum Hause hinaus und den Berg hinauf, ohne daß man es je wieder gesehen hat.

Uebrigens heißt es in einer alten Chronik des Eigenschen Kreises also: „Die Einwohner melden, daß von der Zeit, ehe die große Glocke (nämlich zu Dittersbach) ist gegossen worden, so geschehen 1514, im Dietrichsberge Zwerge gewohnt haben. Sie sind oft in’s Dorf gekommen und haben sich in die Häuser und Stuben verfüget, also daß die Leute ihrer gar gewohnt gewesen, nachdem aber die Glocke gegossen und geläutet worden, hat sie der harte Schall des Erzes, welchen sie nicht erdulden können, vertrieben, daß man derselben keines mehr gespüret hat.“ Die, welche auf oder in [264] dem breiten Berge hausten, preßten aus dem nahen Dorfe Haynewalde einen Bauer mit ein Paar Wagen und ließen sich fortfahren (nach Böhmen). Die beiden Wagen wurden gepfropft voll, denn die ganzen Querxe hingen sich darauf und daran, so daß an jeder Latte und jeder Speiche ein Querxlein hing. Den Bauer, der diese Fuhre übernahm, belohnten sie sehr reichlich, so daß er dadurch zu einem reichen Manne wurde, und alle seine Nachkommen sich dieses Glückes noch erfreuen konnten. Die Querxe sagten beim Abschiede, dann würden sie wiederkommen, wenn die Glocken wieder würden abgeschafft sein, und „Wenn Sachsenland (d. h. die Lausitz) wieder käm’ an Böhmerland“, dann, meinten sie, würden auch bessere Zeiten sein.[2]

Uebrigens soll sich alle fünf Jahre um 11 Uhr in der Nacht von Johannis Enthauptung auf jenem Berge eine Art Leichenzug sehen lassen. Ist nämlich der Mitternachtsstunde letzter Ton verhallt, so entsteigt dem daselbst befindlichen sogenannten Querxloche eine Menge in tiefste Trauer gehüllter Zwerge. Lange Flöre entwallen ihren kleinen runden Hütchen, acht Mann, welche gedämpften Posaunen Klagetöne entlocken, schreiten voran, ihnen folgt ein langer Zug, in dessen Mitte unter Vortritt eines Vornehmern als die andern sechzehn Zwerge, die das Sargtuch tragen, und denen eben so viel zur Seite stehen, ein offener Sarg folgt, in welchem ein ebenfalls so kleines todtes Männchen mit Silberhaaren und Bart, eine Krone auf dem Haupte und einen Scepter in der rechten Hand, liegt. Mit Blumen aus arabischem Golde und wundervollen köstlichen Edelsteinen ist der Sarg geschmückt. Nachdem sie dreimal in die Runde gezogen sind, wird der Sarg, nachdem er geschlossen, wiederum unter Wehklagen der Erde übergeben. Ist der Sarg in die Erde versenkt, so reinigen sich die Zwerge in dem daselbst befindlichen Querxborne, ordnen sich in Reihe und Glied, die Trauermusik [265] beginnt, und nach und nach verschwinden sie wieder im Querxloche.


  1. Die vor dem Berliner Thore von Lübben befindliche Hügelkette heißt jetzt noch die Ludjenberge, weil die Zwerge in ihnen ihren Aufenthalt halt gehabt haben sollen.
  2. Diese Sage ist poetisch beh. von Segnitz a. a. O. Bd. I. S. 76. sq. Die folgende erzählt Gräve S. 149.