Vier Monate auf den Marquesas-Inseln Vier Monate auf den Marquesas-Inseln (1847) von Herman Melville, übersetzt von Rudolph Garrigue
Erster Theil
Zweiter Theil
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[VII]
Inhalts-Verzeichniß des ersten Theils.


Vorwort.
Capitel I.
Seite 3–14.

Die See – Sehnsucht nach dem Lande – Ein landkrankes Schiff – Bestimmung der Reisenden – Die Marquesas-Inseln – Abenteuer der Frau eines Missionairs unter den Wilden – Charakteristische Anekdote von der Königin von Nukuheva.

Capitel II.
Seite 15–29.

Fahrt vom Kreuzgrunde nach den Inseln – Laue Zeit am Bord – Südsee-Landschaft – Land ahoi! – Das französische Geschwader in der Bucht von Nukuheva vor Anker – Sonderbarer Lootse – Geleit von Canoes – Eine Flottille von Cocosnüssen – Schwimmender Besuch am Bord der Dolly.

Capitel III.
Seite 30–36.

Die jüngsten Thaten der Franzosen auf den Marquesas-Inseln – Vorsichtiges Benehmen des Admirals – Eindruck durch die Ankunft der Fremden hervorgerufen – Das erste Pferd, welches die Insulaner sahen – Gedanken – Erbärmliche Ausflucht der Franzosen – Übertretungen O’Tahaiti betreffend – Besitznahme der Insel durch den Admiral – Muthiges Benehmen einer englischen Dame.

[VIII]
Capitel IV.
Seite 37–56.

Stand der Dinge am Bord – Inhalt der Speisekammer – Länge von Südsee-Reisen – Erzählung vom fliegenden Wallfischfänger – Entschluß das Schiff zu verlassen – Die Bucht von Nukuheva – Die Typies – Streifzug in ihr Thal durch Porter – Betrachtungen – Schlucht von Tior – Zusammenkunft des alten Königs und des französischen Admirals.

Capitel V.
Seite 57–64.

Gedanken vor dem Versuch zur Flucht – Tobias, ein Schiffsgenosse, entschließt sich das Abenteuer mitzumachen – Die letzte Nacht am Bord.

Capitel VI.
Seite 65–77.

Eine Probe nautischer Beredsamkeit – Kritik der Matrosen – Die Steuerbordwache erhält Urlaub – Die Flucht in die Berge.

Capitel VII.
Seite 78–95.

Jenseits der Berge – Täuschung – Inventur der vom Schiff mitgebrachten Sachen – Theilung des Brotvorraths – Das Innere der Insel – Eine Entdeckung – Eine Schlucht und ein Wasserfall – Eine schlaflose Nacht – Neue Entdeckungen – Meine Krankheit – Eine marquesische Landschaft.

Capitel VIII.
Seite 96–110.

Die wichtige Frage: Typie oder Happar? – Vergebliche Bemühungen – Meine Leiden – Entmuthigende Lage – Eine Nacht in einer Höhle – Morgenbrot – Glücklicher Einfall des Tobias – Reise nach dem Thal.

[IX]
Capitel IX.
Seite 111–126.

Gefährliche Passage der Schlucht – In’s Thal.

Capitel X.
Seite 127–146.

Das Ende des Thales – Vorsichtiges Vorschreiten – Ein Weg – Früchte – Entdeckung zweier Eingeborner – Sonderbares Benehmen derselben – Annäherung an die bewohnten Theile des Thales – Eindruck den unser Erscheinen bewirkt – Empfang im Hause eines Eingebornen.

Capitel XI.
Seite 147–170.

Mitternachtsgedanken – Morgenbesuch – Ein Krieger im Costüm – Ein wilder Äskulap – Ausübung der Heilkunst – Leibdiener – Beschreibung eines Wohnhauses im Thale und seiner Bewohner.

Capitel XII.
Seite 171–188.

Diensteifer Kory-Kory’s – Seine Ergebenheit – Ein Bad im Fluß – Freies Benehmen der jungen Damen von Typie – Spaziergang mit Mehevi – Eine Typie-Landstraße – Die Haine des Taboo – Der Hoolah-Hoolah-Grund – Der Ti – Alte Wilde – Mehevi’s Gastfreiheit – Mitternächtliche Befürchtungen – Abenteuer im Dunklen – Ehrenbezeigungen gegen die Besucher – Sonderbarer Aufzug und Rückkehr nach Marheyo’s Hause.

Capitel XIII.
Seite 189–202.

Versuch aus Nukuheva Entsatz zu erhalten – Gefährliches Abenteuer [X] des Tobias in den Happar-Gebirgen – Kory-Kory’s Beredsamkeit.

Capitel XIV.
Seite 203–219.

Eine große Begebenheit im Thale – Der Insel-Telegraph – Tobias stößt etwas zu – Fayawa zeigt ein gutes Herz – Traurige Betrachtungen – Geheimnißvolles Benehmen der Eingebornen – Kory-Kory’s Ergebenheit – Ein ländliches Lager – Ein Luxus – Kory-Kory macht auf Typie-Weise Feuer an.

Capitel XV.
Seite 220–227.

Güte des Marheyo und der übrigen Insulaner – Beschreibung des Brotfruchtbaumes – Verschiedene Arten die Frucht zu bereiten.

Capitel XVI.
Seite 228–236.

Melancholischer Zustand – Ereigniß im Ti – Anekdote von Marheyo – Scheren des Hauptes eines Kriegers.

Capitel XVII.
Seite 237–250.

Besserung in Zustand und Stimmung – Glückseligkeit der Typies – Ihre Freuden im Vergleich mit denen von aufgeklärteren Völkern – Ein Scharmützel mit Happar-Kriegern.


[1]
Ein Besuch
auf den
Marquesas-Inseln.

[3]
Capitel I.

Die See – Sehnsucht nach dem Lande – Ein landkrankes Schiff – Bestimmung der Reisenden – Die Marquesas-Inseln – Abenteuer der Frau eines Missionärs unter den Wilden – Charakteristische Anekdote von der Königin von Nukuheva.

Sechs Monate auf See! Ja, Leser, so wahr ich lebe, sechs Monate ohne Land zu sehen; auf einer Kreuzfahrt nach Südseefischen unter den versengenden Strahlen der Sonne auf den Wellen des weiten stillen Meeres umhergeworfen – oben Himmel, rundumher Wasser, und weiter nichts! Wochenlang schon waren unsere frischen Provisionen aufgezehrt. Nicht eine süße Kartoffel übrig, nicht eine Yamswurzel. Jene wundervollen Bündel von Bananen, die einst unsern Stern und unser Hinterdeck zierten, ach sie sind verschwunden! und die köstlichen Apfelsinen, die an Stag und Mars aufgehängt waren – auch sie sind fort! Ja Alles ist verschwunden und nur Salzfleisch und Schiffszwieback übrig. Oh! Ihr Cajütenmenschen, die [4] Ihr über eine vierzehntägige Passage über das atlantische Meer so viel Aufhebens macht, die Ihr die Entbehrungen und Leiden der See mit so vielem Pathos erzählt, wenn es Euer hartes Loos war, nach einem Tage, den zwei Frühstücke, ein Mittagsessen von fünf Gängen, Geschwätz, eine Partie Whist und eine Bowle Champagnerpunsch ausfüllten, in kleinen Mahagoni-Zimmerchen zehn Stunden zu schlafen, ohne von etwas Anderm gestört zu werden, als „von den verdammten Matrosen, die oben herumstampfen“ – was würdet Ihr wol zu den sechs Monaten auf hoher See sagen? Ach! nur den erquickenden Anblick eines einzigen Grashalms! – nur eine Handvoll lehmiger Erde, um ihren Duft einzuathmen! Giebts nichts Frisches um uns her? Ist nichts Grünes zu erspähen? Ja, unsere Bollwerke sind inwendig grün gemalt; aber was für ein erbärmliches krankhaftes Grün, als ob nicht einmal eine Ähnlichkeit mit natürlichem Grün sich so weit vom Lande halten könnte. Selbst die Borke des Holzes, welches uns zur Feuerung dient, ist längst durch des Capitäns Sau abgenagt und verschlungen, und zwar so lange her, daß seitdem das Schwein selbst schon verzehrt worden ist.

Im Hühnerhaus ist noch ein einziger Insasse, einst ein draller junger Hahn, der sich so ritterlich gegen die spröden Hennen benahm. Aber seht ihn jetzt an, da steht er, maulend den ganzen Tag, ewig auf dem Einen Bein. [5] Verächtlich wendet er sich ab vom schimmelichen Mais und dem halbsalzigen Wasser, welches man ihm vorsetzt. Ohne Zweifel beweint er seine heimgegangenen Freunde, die ihm buchstäblich einzeln entrissen worden sind und nie mehr gesehen wurden. Aber seine Trauertage sind nicht von Dauer, denn Mungo, unser schwarzer Koch, sagte mir gestern, sein Urtheil sei endlich gesprochen und des armen Pedro Schicksal besiegelt. Sein abgefallener Leib wird am nächsten Sonntag auf des Capitäns Tische paradiren und lange vor Abend mit allen Feierlichkeiten unter der Weste dieses würdigen Individuums begraben sein. Wer sollte glauben, daß irgend Jemand so grausam sein könnte, sich nach des armen Pedro Enthauptung zu sehnen; und doch wünschen die Matrosen jeden Augenblick, das unglückliche Geschöpf möchte befördert werden. Sie sagen, der Capitain würde nie dem Lande zusteuern, so lange noch ein Mundvoll frisches Fleisch am Bord wäre. Dieser unglückliche Vogel ist der letzte frische Bissen und ist er einmal verzehrt, so wird der Capitain endlich vernünftig werden. Ich will dir nichts Schlechtes wünschen, Peter, allein da du doch einmal dazu verdammt bist, früher oder später das Schicksal deines Geschlechtes zu erfahren; und da das Ende deines Lebens das Zeichen unserer nahen Erlösung ist; ja wahrhaftig da wünsche ich, du wärst in diesem Augenblicke schon geschlachtet; denn ach wie sehne ich mich nach der lebendigen [6] Erde! Das alte Schiff selbst sehnt sich, durch seine Klüsen einmal wieder ans Land zu gucken und Jack hatte neulich ganz recht, als der Capitän sein Steuern tadelte.

„Ja sehn Sie, Capitain Bangs,“ sagte der derbe Jack, „ich kann mein Schiff so gut steuern wie irgend Jemand; aber Keiner von uns kann das alte Weibsbild jetzt regieren. Voll und bei ist es gar nicht zu halten; ich mag aufpassen, wie ich will, immer fällt es ab; und dann, Capitain, wenn ich noch so sanft das Ruder in Lee werfe, als wenn ich es freundlich überreden wollte, mir zu folgen, da will es nicht freundlich pariren wie sonst, sondern fällt immer wieder ab; und das ist Alles, weil es weiß, daß Land im Lee ist, Capitain, und weil es nicht mehr in den Wind gehen will.“

Ganz recht, Jack, und warum sollte es auch? wuchs nicht jeder seiner mächtigen Balken am Lande, und hat es nicht Gefühl so gut wie wir?

Armes altes Schiff! Sein bloßer Anblick deutet auf sein Sehnen. Wie elend sieht es aus! Die Farbe an seinen Seiten, von der glühenden Sonne gebrannt, ist voller Blasen und Risse. Seht das Kraut, was es mit sich fortschleppt, und was für eine unabsehbare Menge Entenmuscheln hat sich an ihm herum festgesetzt! und wenn es sich hebt und senkt, zeigt es sein Kupfer in Fetzen herabhängend.

Armes altes Schiff! Ich wiederhole es: Sechs lange [7] Monate ist es umhergerollt und gestampft, ohne Einen ruhigen Augenblick. Aber Muth, alter Kasten, ich hoffe, bald sehe ich dich auf Zwiebackswurf vom heitern Lande, ruhig vor Anker in einer grünen Bucht und geschützt vor den brausenden Winden.

* * * * *

„Hurrah Bursche! ’s ist abgemacht; nächste Woche steuern wir nach den Marquesas-Inseln!“ Die Marquesas-Inseln! Welche sonderbare Träume von ausländischen Dingen beschwört der bloße Name herauf! Nackte Houris – cannibalische Bankette – Cocoshaine – Corallenriffe – tättowirte Häuptlinge und Bambus-Tempel – sonnige Thäler mit Brodbäumen besetzt – geschnitzte Canoes auf dem blitzblauen Wasser einhertanzend – wilde Waldstrecken von gräulichen Götzen gehütet – heidnischer Ritus und Menschenopfer! Das waren die sonderbar gemischten Erwartungen, die mich verfolgten auf dem Wege von dem Kreuzgrunde. Ich fühlte eine unwiderstehliche Neugier, diese Inseln zu sehen, welche alle Reisende mit so glühenden Farben geschildert haben.

Die Gruppe, der wir nun zusteuerten (obgleich eine der ersten europäischen Entdeckungen in der Südsee, denn sie wurde zuerst im Jahre 1595 besucht) ist immer noch von ganz fremdartigen und barbarischen Wesen bewohnt. Die Missionaire, in himmlischem Auftrage dahin gesandt, [8] sind an den lieblichen Küsten vorübergesegelt und haben sie den hölzernen und steinernen Götzen überlassen. Wie interessant sind die Umstände, unter denen sie entdeckt wurden! Wie hingezauberte Bilder erstanden sie auf dem wässerigen Wege des Mendanna, der, um eine Goldgegend zu suchen, kreuzte; und einen Augenblick glaubte der Spanier, sein schöner Traum würde Wahrheit. Dem Marquis von Menzona zu Ehren, der damals Vicekönig von Peru war – unter dessen Auspicien der Seefahrer gesegelt war – gab er ihnen den Namen, welcher den Rang seines Beschützers bezeichnete, und erstattete der Welt bei seiner Rückkehr einen allgemeinen und glänzenden Bericht über ihre Schönheit. Aber diese Inseln, jahrelang ungestört, fielen wieder ganz in ihr altes Dunkel zurück, nur erst kürzlich sind Kenntnisse über dieselbe zu uns gelangt. Einmal in einem halben Jahrhundert ist es wohl vorgekommen, daß ein kreuzender Abenteurer ihre friedliche Ruhe unterbrochen hat, und über den ungewöhnlichen Schauplatz erstaunt, fast versucht worden ist, das Verdienst einer neuen Entdeckung zu beanspruchen.

Von dieser interessanten Gruppe ist überhaupt nur wenig erzählt worden, wenn wir die kurzen Notizen ausnehmen, die Südseefahrer über dieselbe geben. Cook hat auf seinen wiederholten Erdumsegelungen nur die Küsten dieser Inseln berührt, und Alles, was wir über dieselben wissen, [9] rührt aus einigen allgemeinen Erzählungen her. Unter diesen sind zwei, welche besondere Erwähnung verdienen. Porters „Journal auf der Kreuzfahrt der amerikanischen Fregatte Essex im stillen Meere während des letzten Krieges“ soll einige interessante Angaben über die Insulaner enthalten, ich habe das Werk aber zufällig nie gesehen; und Stewart, der Caplan der amerikanischen Kriegs-Schaluppe Vincennes, hat ebenfalls einen Theil seines Buches „Eine Reise nach der Südsee“ demselben Gegenstande gewidmet.

In den letzten Jahren haben englische und amerikanische Schiffe auf ihren ungeheuren Reisen behufs des Wallfischfanges gelegentlich die Küsten der Inseln besucht, wenn ihre Provisionen ausgegangen waren; allein eine Furcht vor den Eingebornen, wol durch das schreckliche Schicksal hervorgerufen, welches so viele Weiße durch die Hand derselben erreicht hat, hat die Mannschaften abgehalten, sich genügend mit der Bevölkerung einzulassen, um ihre eigenthümlichen Sitten und Gebräuche kennen zu lernen.

Die protestantischen Missionen scheinen daran verzweifelt zu haben, diese Inseln dem Heidenthum zu entreißen. Die Behandlung, die sie immer von den Eingebornen zu erdulden hatten, war der Art, daß selbst die Kühnsten davon eingeschüchtert worden sind. Ellis giebt in seinen „Polynesischen Untersuchungen“ einige interessante Berichte über mißlungene Versuche der Mission von O’Tahaiti, [10] eine Zweigmission auf gewissen Inseln der Gruppe zu errichten. Kurze Zeit vor meinem Besuche auf den Marquesas-Inseln trug sich ein etwas komisches Ereigniß zu, welches mit diesen Versuchen in Verbindung steht und welches ich nicht umhin kann zu erzählen.

Ein unverzagter Missionair, der sich von dem schlechten Erfolge aller frühern Versuche, die Wilden zu gewinnen, nicht abschrecken ließ, und der sehr viel auf die Wirksamkeit des weiblichen Einflusses baute, brachte seine junge, schöne Frau unter sie, die erste weiße Frau, die je die Küste betreten hatte. Die Insulaner starrten anfänglich in stummer Bewunderung dieses Wunder an und schienen geneigt, es für eine neue Gottheit anzusehen. Nach kurzer Zeit aber, als sie mit dem reizenden Anblick vertraut und nach den Falten begierig geworden waren, die die schönen Formen umgaben, versuchten sie den heiligen kattunenen Schleier zu durchdringen, in welchen sie gehüllt war, und gingen bei der Befriedigung ihrer Neugier so weit, daß sie das Sittlichkeitsgefühl der Dame aufs Tiefste beleidigten. Als ihr Geschlecht bekannt war, verwandelte sich die Vergötterung in Verachtung, und der Schmach, mit der sie von den Wilden überhäuft wurde, war kein Ende, denn sie waren außer sich über den Betrug, der ihrer Meinung nach an ihnen verübt worden war. Zum Schrecken ihres liebenden Gatten wurden ihr die Kleider genommen [11] und ihr bedeutet, sie könne nicht ungestraft ihre Verstellung fortführen. Die gute Dame war nicht genugsam vom Evangelium durchdrungen, um dies zu ertragen, und neue Unbill befürchtend, zwang sie ihren Mann, sein Vorhaben aufzugeben und mit ihr nach O’Tahaiti zurückzukehren.

Nicht so scheu, ihre Reize zu entfalten, war die Inselkönigin selbst, das schöne Weib des Mowanna, Königs von Nukuheva. Etwa zwei bis drei Jahre nach den Ereignissen, die ich in diesen Blättern erzähle, berührte ich zufällig am Bord eines Kriegsschiffes diese Küsten. Die Franzosen hatten damals die Marquesas-Inseln einige Zeit besessen und thaten schon groß mit den wohlthätigen Erfolgen ihrer Gesetzgebung, die man im Betragen der Eingebornen spüren könne. Wahr genug, daß sie bei einem ihrer Versuche, zu reformiren, etwa hundert und funfzig Mann bei Whitihoo niedergemetzelt haben – aber davon will ich schweigen. Zur Zeit, deren ich gedenke, hatte das französische Geschwader eine Zusammenkunft mit dem unsrigen in der Bucht von Nukuheva, und bei einer Unterredung zwischen einem der Capitaine und unserm würdigen Commodore wurde es vorgeschlagen, daß wir, als das Flaggenschiff des Amerikanischen Geschwaders, einen Gala-Besuch des königlichen Paares empfangen sollten. Der französische Offizier stellte uns auch vor, wie unter ihrer [12] Leitung der König und die Königin richtige Begriffe von ihrer königlichen Würde erworben hätten. Demzufolge wurden Vorkehrungen getroffen, ihre Majestäten in einer ihrem Range entsprechenden Weise am Bord zu empfangen.

Eines schönen Nachmittags sah man ein mit vielen Wimpeln lustig ausstaffirtes Boot von der Seite eines französischen Schiffes abstoßen und gerade auf uns zurudern. Im Hintertheile saßen gemächlich Mowanna und seine Ehehälfte. Als sie sich näherten, erwiesen wir ihnen alle die dem Königthume gebührenden Ehren, die Leute auf den Raaen, die Kanonen-Salve, kurz ein großartiges Hurlumhei.

Sie erstiegen die Seitentreppe, wurden vom Commodore, den Hut in der Hand, empfangen und zum Hinterdeck geleitet, während die Marinesoldaten präsentirten und das Musikcorps „Heil dem Cannibalen-König“ anstimmte. So weit ging Alles gut. Die französischen Offiziere lächelten und schnitten Gesichter, im Innersten erfreut über die anständige Aufführung der erlauchten Personen.

Ihre Erscheinung war jedenfalls geeignet, Effect zu machen. Se. Majestät war mit einer glänzenden Militair-Uniform bekleidet, welche von Gold und Stickerei strotzte, während sein kahles Haupt mit einem enormen Dreimaster bedeckt war, auf dessen Spitze Straußfedern wehten. Indeß war ein kleiner Makel an seiner Erscheinung. Ein [13] breiter tättowirter Streif ging ihm quer über’s Gesicht in einer Linie mit den Augen, was ihm das Ansehen gab, als trüge er Scheuklappen, und Königthum mit Scheuklappen gab zu einigen komischen Gedanken Veranlassung. Aber in der Schmückung der schönen Person seiner dunkeln Ehehälfte hatten die Flottenschneider erst recht die Munterkeit ihres Nationalgeschmacks entfaltet. Sie war angethan mit einem flimmerndem Gewande von scharlachrothem Tuch, mit gelber Seide eingefaßt, welches bis über die Knie reichte und ihre bloßen Beine mit ihrer Spiraltättowirung den Blicken freiließ, die fast aussahen wie trajanische Säulen in Miniature. Auf dem Kopfe trug sie einen phantastischen Turban von purpurnem Sammet mit silbernen Sternen geziert und von einem Büschel bunter Federn überragt.

Die Mannschaft, die sich in der Mitte des Schiffes versammelte, um den Anblick zu genießen, zog bald die Aufmerksamkeit Ihrer Majestät auf sich. Sie suchte einen alten Wettertrotzer heraus, dessen bloße Arme und Füße und offene Brust mit so vielen Inschriften von Tusche bedeckt waren, wie ein ägyptischer Sargdeckel. Ungeachtet aller zarten Winke der Franzosen, näherte sie sich sogleich dem Manne und indem sie seine Brust mehr enthüllte und seine weiten Hosen weiter in die Höhe streifte, betrachtete sie mit Bewunderung die hellen blauen und rothen Punkturen, [14] die sich ihren Blicken zeigten. Sie hing an dem Kerl und bezeigte ihr Entzücken in Liebkosungen und den verschiedensten wilden Ausrufen und Bewegungen. Die Bestürzung der höflichen Gallier über solch’ ein unerwartetes Ereigniß kann man sich leicht denken; aber man denke sich ihr Erstaunen, als plötzlich die königliche Frau, von dem Eifer getrieben, die Hieroglyphen ihres eignen schönen Körpers zu zeigen, sich einen Augenblick bückte und dann, sich rasch umdrehend, den Rand ihres Gewandes in die Höhe warf und einen Anblick darbot, dem die überraschten Franzosen sich eiligst entzogen und in ihren Böten blitzschnell den Schauplatz einer so schauderhaften Begebenheit verließen.


[15]
Capitel II.

Fahrt vom Kreuzgrunde nach den Inseln – Laue Zeit am Bord – Südsee-Landschaft – Land ahoi! – Das französische Geschwader in der Bucht von Nukuheva vor Anker – Sonderbarer Lootse – Geleit von Canoes – Eine Flottille von Cocosnüssen – Schwimmender Besuch am Bord der Dolly – Was daraus entsteht.

Ich kann nie die achtzehn oder zwanzig Tage vergessen, während welcher leichte Passatwinde uns den Inseln zuführten. Auf der Jagd nach dem Pottwall hatten wir einige zwanzig Grade westlich von den Gallipagischen Inseln gekreuzt; und alles, was wir zu thun hatten, war die Raaen vierkant zu brassen, sobald unser Kurs bestimmt war, und das Schiff vor dem Winde zu halten. Der Mann am Steuerruder ärgerte nie das alte Schiff mit überflüssigem Steuern, sondern pflegte in möglichst bequemer Stellung an der Ruderpinne nach der Stunde zu schlummern. Ihrer Aufgabe getreu ging die Dolly ihren Kurs und wie einer jener Charaktere, die am besten sind, wenn man sie [16] sich selbst überläßt, stampfte sie ihren Weg gemüthlich weiter als gute alte Seeveteranin.

Was für eine wundervolle, faule, matte Zeit hatten wir, während wir so dahinglitten! Es gab gar nichts zu thun, ein Umstand, der glücklicherweise unserer Abneigung, irgend etwas zu thun, entsprach. Wir verließen das Bugspriet durchaus und machten ein Zelt übers Vorder-Castell, unter welchem wir den ganzen geschlagenen Tag schliefen, aßen oder faulenzten. Jeder von uns schien wie narkotisch berauscht. Selbst die Offiziere hinten, deren Pflicht ihnen verbot, während der Deckswache zu sitzen, versuchten vergebens sich auf den Beinen zu erhalten und waren immer genöthigt, um die Sache zu verdecken, sich übers Bollwerk zu lehnen und ins Wasser zu starren. Vom Lesen war keine Rede; sobald einer ein Buch in die Hand nahm, war er augenblicklich eingeschlafen.

Obgleich ich nicht vermeiden konnte, häufig der allgemeinen Trägheit mich hinzugeben, so gelang es mir doch bisweilen, den Zauber abzuschütteln und die Schönheit der mich umgebenden Natur zu bewundern. Der Himmel war eine weite Ausdehnung des klarsten und zartesten Blau mit Ausnahme eines schmalen Streifens nahe am Horizont, wo man leichte blasse Wölkchen sah, die nie Form oder Farbe wechselten. Die lange, abgemessene Deining des stillen Meeres rollte heran mit kleinen schäumenden Wellchen [17] auf der Oberfläche, die in den Sonnenstrahlen glitzerten. Jeden Augenblick erhob sich unter dem Bug ein Schwarm fliegender Fische, um im nächsten wie ein Silberregen wieder ins Meer zurückzufallen. Dann sah man den schönen Albatroß mit seinen glänzenden Seiten oben in den Lüften segeln und oft, in Bogen herabstürzend, unter der Oberfläche des Wassers verschwinden. In weiter Ferne sah man den hohen Wasserstrahl des Wallfisches und näher den lauernden Hai, den schurkischen Wegelagerer der See, der sich heranschlich und uns aus vorsichtiger Entfernung mit seinem bösen Blick betrachtete. Zuweilen trieben formlose Ungeheuer der Tiefe sich auf der Oberfläche umher und wenn wir uns näherten versanken sie langsam in den blauen Krystall und entschwanden dem Blicke. Aber das Charakteristische der Gegenden, das den tiefsten Eindruck machte, war die fast nie unterbrochene Stille, die über Himmel und Wasser ausgebreitet war. Man hörte nicht einen Laut; nur gelegentlich das Schnaufen eines Nordkapers und das Plätschern des Wassers am Bug.

Als wir dem Lande näher kamen, begrüßte ich mit Freuden das Erscheinen unzähliger Seevögel. Krächzend und wirbelnd in gewundenen Kreisen begleiteten sie das Schiff und setzten sich bisweilen auf unsere Raaen und Stangen. Der kühne Vogel mit der Piratenphysiognomie, gewöhnlich [18] der Kriegsschifffalke genannt, mit seinem blutrothen Schnabel und rabenschwarzen Gefieder, pflegte uns in immer engern Wendungen zu umkreisen, bis wir deutlich das sonderbare Funkeln seines Auges sahen und dann, als ob mit seinen Beobachtungen zufrieden, pflegte er sich in die Höhe zu schwingen und dem Blicke zu entschwinden. Bald erhielten wir neue Zeichen des nahen Landes und es dauerte nicht lange, so wurde die frohe Botschaft, daß es in Sicht sei, von der Mastspitze verkündet, mit der eigenthümlichen Verlängerung des Tones, den der Matrose so gern in sein „Land ahoi!“ legt.

Der Capitain, im Nu aus seiner Cajüte aufs Deck gesprungen, griff lustig nach seinem Fernrohr; der Steuermann brüllte mit noch lauterm Tone ein mächtiges „Wohinaus?“ zur Mastspitze empor; der schwarze Koch steckte seinen Krauskopf aus der Kabyse; und Bootsmann, der Hund, sprang zwischen die Jungfern und bellte fürchterlich. Land ahoi! – Ja, da war es. Eine kaum bemerkbare blaue unregelmäßige Linie bezeichnete die kühnen Umrisse der Höhen von Nukuheva.

Diese Insel, obgleich gewöhnlich zu den Marquesas-Inseln gezählt, wird von einigen Seefahrern als zu einer besondern Gruppe gehörend angegeben, die die Inseln Ruhooka, Ropo und Nukuheva umfassen soll, und welchen dreien man den Namen der Washington-Gruppe gegeben [19] hat. Sie bilden ein Dreieck und liegen zwischen 8° 38″ und 9° 32″ südlicher Breite bei 129° 20′ und 140° 10′ westlicher Länge von Greenwich. Mit wie wenigem Recht sie als eigne Gruppe bezeichnet werden, geht gleich daraus hervor, daß sie in unmittelbarer Nachbarschaft der andern Inseln liegen, d. h. weniger als einen Grad nördlich und westlich von denselben, sowie daraus, daß ihre Bewohner die marquesische Sprache sprechen, auch ihre Gesetze, Religion und allgemeinen Gebräuche dieselben sind. Der einzige Grund, warum sie so eigenmächtig ausgezeichnet wurden, mag die sonderbare Thatsache sein, daß ihre Existenz der Welt bis zum Jahre 1791 gänzlich unbekannt war; dann entdeckte sie Capitain Ingraham von Boston in Massachusetts, beinahe zwei Jahrhunderte später, als die Entdeckung der Nachbar-Inseln durch den Agenten des spanischen Vicekönigs. Nichtsdestoweniger werde ich dem Beispiele der meisten Reisenden folgen und sie als zur Zahl der Marquesas-Inseln gehörig behandeln.

Nukuheva ist die bedeutenste dieser Inseln, die einzige, an welcher Schiffe oft anlegen und wird als der Platz gefeiert, an welchem der kühne Capitain Porter im letzten Kriege zwischen England und den Vereinigten Staaten seine Schiffe ausbesserte, um dann Streifereien gegen die Wallfischfänger zu machen, die unter feindlicher Flagge die benachbarten Meere durchkreuzten. Die Insel ist etwa 20 [20] englische Meilen lang und eben so breit. Sie hat drei gute Häfen, deren größter und bester von den dortigen Bewohnern „Tyohee“ genannt wird, von Capitain Porter aber den Namen „Massachusetts-Bucht“ erhielt. Von den feindlichen Stämmen, die an den Küsten der andern Buchten wohnen, und von allen Reisenden wird er gewöhnlich mit dem Namen der ganzen Insel „Nukuheva“ benannt. Die Einwohner sind etwas verderbt durch ihre viele Berührung mit den Europäern, doch in Bezug auf ihre eigenthümlichen Sitten und ihre allgemeine Lebensweise haben sie noch ihren ursprünglichen Charakter und sind fast in demselben Naturzustand, in welchem sie zuerst von Weißen gefunden wurden. Die feindlichen Stämme, die auf entfernteren Punkten der Insel wohnen und sehr selten mit Fremden in Berührung kommen, sind in jeder Hinsicht unverändert, wie man sie von jeher gekannt hat.

Die Bucht von Nukuheva war der Ankerplatz, den wir zu erreichen wünschten. Wir hatten die Umrisse der Berge ungefähr bei Sonnenuntergang gesehen, so daß wir uns am nächsten Morgen dicht unter der Insel befanden, nachdem wir die ganze Nacht mit einem sehr leichten Winde gesegelt waren; da jedoch die Bucht, welche wir suchten, auf der entgegengesetzten Seite lag, so waren wir genöthigt eine Strecke längs der Küste hinzusegeln, während welcher [21] Zeit wir gelegentlich einen Blick in ein blühendes Thal, in eine tiefe Schlucht, auf einen Wasserfall, auf rauschende Haine, die hie und da von hervorragenden felsigen Landspitzen verdeckt waren, werfen konnten, und wo jeder Augenblick uns neue überraschende Schönheiten darbot.

Wer zum ersten Male die Südsee besucht, ist gewöhnlich überrascht durch die Erscheinung der Inseln, wenn man sie zuerst von der See aus sieht. Von den ungenauen Berichten, die man über ihre Schönheit hat, malt man sich gewöhnlich sanftwellige Ebenen aus, von reizenden Hainen beschattet und von plätschernden Bächen benetzt, und denkt sich das ganze Land nur wenig über die Oberfläche des Wassers emporsteigend. Die Wirklichkeit ist ganz anders. Kühne, felsenumgürtete Küsten, an denen die Brandung hoch emporschäumt und die hie und da durch tiefe Einschnitte unterbrochen werden, welche dem Blicke dichtbewaldete Thäler zeigen, die wiederum von üppiggrünen Bergvorsprüngen getrennt werden und, von einem hohen und gefurchten Innern auslaufend, sich bis zum Meere hinabziehen, bilden den Hauptcharakter dieser Inseln.

Gegen Mittag befanden wir uns der Einfahrt des Hafens gegenüber und endlich umschifften wir das Vorgebirge und glitten in die Bucht von Nukuheva. Keine Beschreibung [22] würde ihrer Schönheit Gerechtigkeit widerfahren lassen; aber diese Schönheit ging mir damals verloren, ich sah nur die dreifarbige Flagge von Frankreich über den Stern von sechs Schiffen herabhängen, deren schwarzer Rumpf und trotzige Seiten ihren kriegerischen Charakter bekundeten. Da lagen sie in der lieblichen Bucht, und die grünen Hügel der Küste sahen so ruhig auf sie nieder, als ob sie ihnen ihr ernstes Äußere vorwürfen. Für mein Auge konnte es nichts Räthselhafteres geben als die Gegenwart jener Schiffe; wir sollten aber bald erfahren, was sie hierherführte. Im Namen der unbesiegbaren französischen Nation hatte der Contre-Admiral Du Petit Thouars so eben Besitz von der ganzen Inselgruppe genommen.

Diese Nachricht wurde uns von einem merkwürdigen Wesen mitgetheilt, recht eigentlich ein Südsee-Vagabund, der, sobald wir in die Bucht segelten, in einem Wallfischboot uns an die Seite ruderte und mit Hülfe einiger wohlwollender Leute an Bord gelangte, denn unser Besuch war in dem interessanten Grade der Berauschtheit, wo der Mensch liebenswürdig und hülflos ist. Obgleich er durchaus unfähig war, gerade zu stehen oder seinen Kurs übers Verdeck zu steuern, bot er doch großmüthig seine Dienste an, um das Schiff an einen sichern Ankerplatz zu lootsen. Unser Capitain aber bezweifelte seine Geschicklichkeit in diesem Punkte und verweigerte ihm Anerkennung in der Eigenschaft, [23] die er beanspruchte; der Mann jedoch war entschlossen, seine Rolle zu spielen, denn er hatte das Steuerbordboot mühsam erklommen, wo er sich in der Wand festhielt und sogleich anfing seine Befehle mit erstaunlicher Zungenfertigkeit und sehr eigenthümlichen Gesten zu ertheilen. Natürlich gehorchte ihm Niemand, aber da es unmöglich war ihn zur Ruhe zu bringen, trieben wir bei den Schiffen des Geschwaders vorbei, während der Kerl, Angesichts aller französischen Offiziere, seine Capriolen machte.

Später erfuhren wir, daß unser excentrischer Freund Lieutenant in der englischen Marine gewesen sei, aber seine Flagge durch verbrecherisches Betragen in einem Haupthafen des Festlandes entwürdigt habe und deshalb von seinem Schiffe desertirt sei; er habe dann sich viele Jahre auf den verschiedenen Inseln des stillen Meeres umhergetrieben, bis er, weil er zufällig in Nukuheva war, als die Franzosen Besitz von der Insel nahmen, von der neuen Gewalt zum Lootsen der Bucht ernannt wurde.

Als wir langsam die Bucht hinaufglitten, stießen zahlreiche Canoes von den umliegenden Ufern ab und bald waren wir inmitten einer förmlichen Flottille derselben, deren wilde Besitzer sich abmühten, bei uns am Bord zu kommen, und in ihren vergeblichen Versuchen mit einander handgemein wurden. Zuweilen verwickelten sich die Lufbäume [24] ihrer kleinen Fahrzeuge und drohten die Canoes zu kentern, worauf eine Confusion entstand, die unmöglich zu beschreiben ist. Wahrlich nie habe ich weder so sonderbare Ausrufungen gehört, noch so leidenschaftliche Gesten gesehen. Man hätte glauben sollen, die Insulaner hätten sich wollen gegenseitig umbringen, während sie doch nur freundschaftlich damit beschäftigt waren, ihre Böte auseinander zu bringen.

Hie und da zwischen den Böten zerstreut sah man Massen von Cocosnüssen dicht nebeneinander in runden Gruppen treiben und mit jeder Welle sich auf und nieder wiegen. Durch irgend eine räthselhafte Triebkraft näherten sich alle diese Nüsse langsam dem Schiffe. Ich lehnte mich über die Seite des Schiffes und suchte dieses Geheimniß zu durchschauen, als eine Masse, die der übrigen weit voraus war, meine Aufmerksamkeit fesselte. In der Mitte war Etwas, was ich für nichts anderes als eine Cocosnuß halten konnte, aber welches ich allerdings für die sonderbarste Art der Frucht hielt, die ich je gesehen. Es wirbelte und tanzte fortwährend mitten unter den andern Nüssen auf die sonderbarste Weise und als es näher kam, schien es mir, als sei es dem kahlen braunen Schädel eines Wilden merkwürdig ähnlich. Alsbald zeigte es ein Paar Augen und ich erkannte bald, daß Das, was ich für eine der Früchte gehalten hatte, nichts Anderes als der Kopf eines Insulaners war, [25] der diese sonderbare Art, seine Waaren zu Markte zu bringen, angenommen hatte. Die Cocosnüsse waren alle an einander befestigt mit Streifen von ihrem eignen Bast, die theils von der Schale abgerissen und leicht mit einander verbunden waren. Der Eigenthümer steckte seinen Kopf in die Mitte der Früchte und bewegte sie vorwärts, indem er unter dem Wasser mit den Füßen ausgriff.

Ich war einigermaßen erstaunt, unter der Menge der uns umgebenden Insulaner nicht ein einziges Weib zu sehen. Damals wußte ich noch nicht, daß kraft des „Taboo“ der Gebrauch der Canoes überall auf der Insel dem ganzen weiblichen Geschlecht auf das strengste untersagt, und es sein Tod ist, selbst eins am Lande zu besteigen, wenn es trocken gelegt ist; daher gebraucht jede zu Wasser reisende marquesische Dame die Ruder ihres eignen schönen Körpers.

Wir waren bis etwa auf anderthalb englische Meilen an das Ende der Bucht herangekommen, als einige Insulaner, denen es auf die Gefahr hin, ihre Canoes zu kentern, endlich gelungen war unsern Bord zu erklimmen, unsere Aufmerksamkeit auf eine sonderbare Bewegung im Wasser in gerader Richtung vor dem Schiffe lenkten. Wir glaubten erst, sie werde durch einen Schwarm von Fischen verursacht, die unter der Oberfläche der Wassers spielten, aber unsere wilden Freunde versicherten uns, sie werde von [26] einer Schaar „Whinhennies“ (junger Mädchen) verursacht, welche auf diese Art von der Küste herkämen, um uns zu begrüßen. Als sie näher kamen und ich die Hebung und Senkung ihrer Formen beobachtete, wie sie den rechten Arm über dem Wasser erhoben den Gürtel von Tappa emporhielten, ihr langes Haar neben sich herschleifend, während sie schwammen, glaubte ich fast, sie könnten nichts anderes als Nymphen sein: und wahrlich sie benahmen sich ganz wie Nymphen.

Wir waren noch ein gutes Stück vom Ufer entfernt, nur langsam vorwärts treibend, als wir gerade zwischen diese Nymphen hineinsegelten und sie von allen Seiten zu uns an Bord kamen. Einige ergriffen die Kettenhalter und schwangen sich in die Ketten; andere auf die Gefahr hin, übersegelt zu werden, faßten den Bugsprietstag und hingen, ihre schlanken Glieder um die Taue windend, frei in der Luft. Endlich gelang es Allen, an Bord zu kommen; sie hingen an der Schiffsseite von Seewasser triefend und vom Bade glühend; ihre kohlschwarzen Haare hingen lang über die Schultern herab und bedeckten halb ihren sonst nackten[WS 1] Körper. Da hingen sie, funkelnd vor wilder Lebhaftigkeit, lachten einander freudig an und schwatzten mit unendlichem Jubel. Auch waren sie nicht müßig, denn eine Jede leistete der Andern die einfachen Dienste bei der Toilette. Ihre reichen Locken, in den möglichst kleinsten Umfang [27] verschlungen, wurden vom salzigen Element befreit, der ganze Körper sorgfältig getrocknet und aus einer kleinen runden Muschelschaale, die von Hand zu Hand ging, mit wohlriechendem Öle sorgfältig eingerieben. Ihr Schmuck ward vollendet durch einige lose Falten von weißem Tappa, mit dem sie sich züchtig umgürteten. So angethan zögerten sie nicht länger, sondern schwangen sich leicht über die Bollwerke und hüpften fröhlich auf dem Deck umher. Viele gingen vorn ins Schiff und setzten sich auf das Gallion oder liefen auf dem Bugspriet hinaus, während andere sich auf den Hakkebord setzten oder sich längelang auf die Böte streckten. Welcher Anblick für uns Matrosen-Junggesellen! Wie sollten wir so mächtiger Versuchung widerstehen! Denn wer hätte nur daran denken mögen, diese natürlichen Geschöpfe über Bord zu jagen, nachdem sie meilenweit geschwommen waren, um uns zu begrüßen?

Ihre Erscheinung versteinerte mich durchaus; ihre große Jugend, das klare Hellbraun ihrer Haut, ihre feinen Gesichtszüge und unaussprechlich graziösen Figuren, ihre sanftgeformten Glieder und ihre freien, ungesuchten Bewegungen erschienen ebenso sonderbar als schön.

Die „Dolly“ war eingenommen, und ich glaube, nie ist ein Schiff von einem Schwarm so kühner und unwiderstehlicher Enterer erobert worden! Da das Schiff genommen [28] war, konnten wir nicht umhin, uns als Gefangene zu ergeben und die ganze Zeit, daß sie in der Bucht blieb, war sowohl die „Dolly“ als auch ihre Mannschaft durchaus in den Händen der Nymphen.

Abends, nachdem wir vor Anker gelangt waren, ward das Deck mit Laternen erleuchtet und diese malerische Sylphidengruppe mit ihrer verschiedenfarbigen Tappabekleidung eröffnete einen großartigen Ball. Diese Weiber sind leidenschaftliche Tänzerinnen und übertreffen in der wilden Grazie und dem Feuer ihrer Art zu tanzen, Alles, was ich je gesehen habe. Die verschiedenen Tänze der marquesischen Mädchen sind erstaunlich schön, aber es ist eine so ungebundne Üppigkeit in denselben vorherrschend, daß ich sie nicht zu beschreiben wage.

Unser Schiff ward nun durchaus jeder Art und jedem Grade des Schwelgens und der Ausschweifung überlassen. Nicht das leiseste Hinderniß erhob sich zwischen den frivolen Wünschen der Mannschaft und ihrer unbegrenzten Erfüllung. Die scheußlichste Zügellosigkeit und die schändlichste Trunkenheit herrschte mit gelegentlichen, aber nur kurzen Unterbrechungen während der Zeit seines Aufenthalts. O über die armen Wilden, wenn sie so dem Einfluß des befleckendsten Beispiels preisgegeben werden! Natürlich und vertrauend, wie sie sind, werden sie leicht zu jedem Laster verführt, und die Menschlichkeit weint über das Verderben, [29] welches so reulos über sie gebracht wird durch die Europäer, die sie civilisiren sollten. Dreimal glücklich die, welche ein noch unentdecktes Land mitten im Ocean bewohnen und noch frei blieben von der verpestenden Berührung mit den Weißen!


[30]
Capitel III.

Die jüngsten Thaten der Franzosen auf den Marquesas-Inseln – Vorsichtiges Benehmen des Admirals – Eindruck durch die Ankunft der Fremden hervorgerufen – Das erste Pferd, welches die Insulaner sahen – Gedanken – Erbärmliche Ausflucht der Franzosen – Übertretungen, O’Tahaiti betreffend – Besitznahme der Insel durch den Admiral – Muthiges Benehmen einer englischen Dame.

Es war im Sommer 1842, daß wir bei den Inseln ankamen; die Franzosen hatten sie damals einige Wochen in Besitz gehabt. Während dieser Zeit hatten sie einige der Hauptplätze der Gruppe besucht und an verschiedenen Punkten etwa fünfhundert Mann Truppen gelandet. Diese waren mit Aufführung von Vertheidigungswerken beschäftigt und bereiteten sich überhaupt gegen Angriffe der Eingebornen vor, die zu jeder Zeit zu offenen Feindseligkeiten greifen konnten. Die Insulaner sahen auf die Leute, die sich ihre Küsten so cavaliermäßig zueigneten, halb mit Furcht, halb mit Verachtung. Sie haßten sie aus Herzensgrund, [31] aber die Regungen ihres Grolls wurden durch ihre Furcht vor den schwimmenden Batterieen neutralisirt, welche ihre verhängnißvollen Schlünde nicht auf Festungen oder Redouten, sondern auf ein Häuflein Bambushütten in einem Cocoswäldchen gerichtet hielten! Ein tapferer Krieger war ohne Zweifel dieser Admiral Du Petit Thouars, aber auch ein vorsichtiger. Vier schwere zweideckige Fregatten und drei Corvetten, um ein Häuflein nackter Heiden zu unterjochen! Achtundsechszig-Pfünder, um Hütten von Cocosstämmen zu zerstören und Congrevesche Racketen, um ein paar Canoes in Brand zu stecken!

In Nukuheva waren etwa hundert Soldaten am Lande. Sie lagerten in Zelten, die aus Sparren und alten Segeln des Geschwaders zusammengesetzt waren. Diese standen innerhalb einer Redoute mit ein paar Neun-Pfündern versehen und mit einem Graben umzogen. Jeden zweiten Tag wurden die Truppen in militairischer Haltung nach einem benachbarten flachen Platz geführt und stundenlang in allen möglichen Evolutionen geübt, während die Eingebornen sie mit ebenso viel Bewunderung als Haß umgaben. Ein Regiment der alten Garde hätte bei einer Sommer-Revue auf den elysäischen Feldern keine correctere Haltung zeigen können. Die Offiziersuniformen strotzten von Gold und Stickerei, als ob sie geradezu darauf berechnet wären die Insulaner zu blenden, und sahen aus, [32] als ob sie eben erst aus dem pariser Kasten genommen wären.

Der Eindruck, den die Erscheinung der Fremden hervorgerufen, hatte sich noch nicht im Geringsten verwischt, als wir ankamen. Die Eingebornen versammelten sich noch immer zahlreich bei dem Fort und beobachteten mit der lebhaftesten Neugier Alles, was in demselben vorging. Eine Schmiede, welche in einem nahen Hain aufgestellt worden war, zog einen solchen Haufen herbei, daß die Schildwachen alle Mühe hatten, die neugierige Menge weit genug zurückzuhalten, um den Arbeitern zu der ihnen übertragenen Arbeit Raum zu lassen. Nichts aber ward so allgemein bewundert, als ein Pferd, welches der „Achilles“, eins der Schiffe des Geschwaders, von Valparaiso mitgebracht hatte. Das Thier, beiläufig gesagt, ein ausgezeichnet schönes Pferd, war gelandet und eine Cocoshütte innerhalb des Forts zu seinem Stalle eingerichtet worden. Zuweilen ward es hervorgezogen und, schön aufgezäumt, von einem der Offiziere über das feste Sandufer galloppirt. Dieses Schauspiel durfte sicher auf allseitigen Beifall rechnen, und die Insulaner erklärten einstimmig das „Puarkee Nuee“ (große Schwein) für das Bewundernswertheste aus der Zoologie, was ihnen bis dahin vorgekommen sei.

Die Expedition gegen die Marquesas-Inseln war im Frühjahr 1842 von Brest gesegelt, und das Geheimniß [33] ihrer Bestimmung war ausschließlich im Besitz ihres Commandeurs. Kein Wunder, daß Diejenigen, welche einen so schreienden Bruch der Menschenrechte beabsichtigten, diese Schändlichkeit so lange wie möglich vor den Augen der Welt zu verbergen suchten. Und dennoch, trotz ihrer ungerechten Thaten in dieser und in andern Sachen, haben die Franzosen sich immer damit gebrüstet, die menschlichste und gebildetste Nation zu sein. Übrigens scheint ein hoher Grad von Bildung unsere bösen Neigungen nicht eben sehr zu unterdrücken, und wollte man die Civilisation nach vielen ihrer Folgen beurtheilen, so würde es bei weitem wünschenswerther für den sogenannten barbarischen Theil der Welt sein, unverändert zu bleiben.

Ein Beispiel von den vielen schamlosen Ausflüchten, mit welchen die Franzosen bereit sind, jede ihrer Grausamkeiten gegen die Marquesianer zu vertheidigen, verdient wohl hier aufgezeichnet zu werden. Unter irgend einem nichtigen Vorwande ist Mowanna, König von Nukuhewa, den die Eroberer durch Überredungen für ihre Interessen gewonnen haben, und wie eine bloße Puppe bewegen, zum rechtmäßigen Herrscher über die ganze Insel ausgerufen worden, zum rechtmäßigen Regenten über verschiedene Stämme, die sich ewig als getrennte Nationen betrachtet haben! Um die Würde dieses schwerverletzten Fürsten wieder herzustellen, sind sie vom fernen Frankreich hergekommen; [34] die uneigennützigen Fremden sind entschlossen, durchzusetzen, daß seine Rechte anerkannt werden sollen. Sollte irgend ein Stamm sich weigern, die französische Autorität durch unbedingte Ehrfurcht vor dem gestickten Federhut Mowannas anzuerkennen, so möge er die Folgen der Widerspenstigkeit sich selbst zuschreiben. Unter ähnlichem Vorwande sind alle die Gräuel und Metzeleien auf O’Tahaiti, der schönen Königin der Südsee, ausgeführt worden.

Auf diese Seeräuber-Expedition begab sich der Contre-Admiral Du Petit Thouars in der Fregatte Reine Blanche. Den Rest seines Geschwaders ließ er bei den Marquesas-Inseln, welche er damals etwa fünf Monate im Besitz gehabt hatte. Bei seiner Ankunft verlangte er als Sühne für Beleidigungen, die, wie er behauptete, der Flagge seines Landes widerfahren seien, daß die Summe von zwanzig bis dreißig Tausend Dollars sogleich ihm ausgezahlt werde, und drohte, wenn nicht gezahlt würde, zu landen und das Land in Besitz zu nehmen.

Die Fregatte ging an Springtauen vor Anker und lag mit losen Kanonen, und die Mannschaft auf ihren Posten, in der runden Bucht von Papiti, ihr Geschütz auf die Stadt gerichtet, während ihre zahlreichen Böte an der Seite bereit waren, um unter dem Schutze ihrer Kanonen eine Landung zu bewerkstelligen. Sie blieb mehrere Tage in dieser kriegerischen Stellung, während eine Menge Untersuchungsgeschäfte [35] im Gange waren und ein panischer Schrecken sich über die ganze Insel verbreitete. Viele O’Tahaitier waren gleich entschlossen, ihre Zuflucht zu den Waffen zu nehmen und den Feind von ihren Küsten zu vertreiben, aber endlich gewannen friedlichere und schwächere Rathschläge die Oberhand. Die unglückliche Königin Pomare, unfähig, die drohende Gefahr abzuwenden, erschrocken über die Arroganz des frechen Franzosen und vollkommen zur Verzweiflung getrieben, floh Nachts in einem Canoe nach Emio.

Während der Dauer des panischen Schreckens ereignete sich ein Beispiel weiblichen Heldenmuths, dessen Mittheilung ich nicht unterlassen kann.

Auf dem Gebiete des britischen Consuls Pritchard, welcher gerade abwesend war, indem er sich auf einer Reise nach London befand, wehte wie gewöhnlich während des Tages die englische Consulatsflagge an einer wenige Ellen vom Strande und Angesichts der Fregatte aufgepflanzten hohen Stange. Eines Morgens erschien in der Verranda vor Herrn Pritchards Hause ein Offizier an der Spitze einer Abtheilung französischer Mannschaft und verlangte in gebrochenem Englisch die Frau vom Hause zu sprechen. Sie erschien alsobald, und der höfliche Franzose richtete mit seiner besten Verbeugung und in süßem Tone seine Botschaft aus, indem er zugleich mit den Nesteln spielte, die auf seiner Brust [36] glänzten. „Der Admiral wünsche, daß die Flagge abgenommen würde – hoffe, sie würde keine Einwendungen machen – die Mannschaft stände bereit, ihre Pflicht zu thun.“

„Sagt dem Piraten, Eurem Herrn“, rief die muthige Engländerin, indem sie nach der Stange deutete, „daß, wenn er wünsche, diese Flagge zu streichen, er selber kommen und es thun müsse; ich werde nicht leiden, daß jemand Anderes es thue.“ Darauf verneigte sich die Dame stolz und zog sich ins Haus zurück. Als der geschlagene Offizier langsam fortging, blickte er zur Flagge hinauf und sah, daß die Leine, an der sie aufgezogen war, von der Spitze der Stange nach einem obern Fenster im Wohnhaus ging, an welchem die Dame, die ihn so eben entlassen hatte, ruhig strickend saß. Wurde die Flagge gestrichen? Mrs. Pritchard meint, nein, und man glaubt, daß Contre-Admiral Du Petit Thouars derselben Meinung sei.


[37]
Capitel IV.

Stand der Dinge am Bord – Inhalt der Speisekammer – Länge von Südsee-Reisen – Erzählung vom fliegenden Wallfischfänger – Entschluß, das Schiff zu verlassen – Die Bucht von Nukuheva – Die Typies – Streifzug in ihr Thal durch Porter – Betrachtungen – Schlucht von Tior – Zusammenkunft des alten Königs und des französischen Admirals.

Unser Schiff war nur wenige Tage im Hafen gewesen, als ich den Entschluß faßte, es zu verlassen. Daß ich viele und gewichtige Gründe zu diesem Entschlusse gehabt hatte, geht daraus hervor, daß ich lieber unter Wilden mein Heil versuchen wollte, als noch eine Reise mit der Dolly machen.

Um die einfache, aber treffende Redeweise der Matrosen zu gebrauchen, ich war fest entschlossen, „auszureißen.“ Da nun aber mit dem Worte „Ausreißer“ eine für das betreffende Individuum keineswegs schmeichelhafte Meinung verbunden wird, so bin ich es meiner eignen Ehre schuldig, mein Betragen einigermaßen zu erklären.

[38] Als ich am Bord der Dolly in Dienst trat, unterzeichnete ich natürlich die Schiffsgesetze oder die Musterrolle, wodurch ich mich willig erklärte und rechtlich band, auf derselben in einer gewissen Eigenschaft für die Dauer der Reise zu dienen. Allein wird nicht in allen Contracten, wenn ein Theil seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt, der andere der seinigen entbunden? Wer würde wohl dieses in Abrede stellen wollen?

Da ich somit das Prinzip festgestellt habe, wende ich es nun auf meinen speciellen Fall an. In unzähligen Fällen waren nicht allein die angedeuteten, sondern sogar die speciell aufgeführten Schiffsgesetze von Seiten des Schiffes, auf welchem ich diente, auf das Empörendste übertreten worden. Die Behandlung der Mannschaft war tyrannisch, die Kranken wurden auf das Unmenschlichste vernachlässigt, die Provisionen geizig verwaltet und die Kreuzfahrten auf unsinnige Weise ausgedehnt. Der Capitain war der Urheber dieser Ungebürlichkeiten; es wäre thöricht gewesen, eine Änderung seines Betragens zu erwarten, denn er war äußerst eigenmächtig und grausam. Seine schnelle Antwort auf jede Klage oder Vorstellung war – das dicke Ende einer Handspeiche, welches er so überzeugend anwandte, daß er den Klagenden immer vollständig zur Ruhe brachte.

An wen hätten wir uns um Besserung der Zustände [39] wenden sollen? Gesetz und Recht hatten wir an der andern Seite des Caps zurückgelassen, und unglücklicherweise bestand unsere Mannschaft, mit einigen wenigen Ausnahmen, aus einem Haufen niederträchtiger Kerle von der gemeinsten Gesinnung, die unter einander zerfallen und die nur im stillen Ertragen der unbegrenzten Tyrannei des Capitains einig waren. Es wäre geradezu Tollheit gewesen, wenn zwei oder drei, ohne Beistand der Übrigen, versucht hätten, der schlechten Behandlung Grenzen zu setzen. Sie würden entweder sich selbst die Wuth des „Planken-Autokraten“ in erhöhtem Grade zugezogen, oder ihre Schiffskameraden noch größeren Leiden ausgesetzt haben.

Bei alledem hätte dieses wohl noch eine Weile ertragen werden können, wäre nur die geringste Aussicht auf eine baldige Erlösung vorhanden gewesen, wenn wir unserer Dienstpflicht getreulich nachkamen. Aber welch’ eine traurige Aussicht hatten wir in dieser Beziehung! Die Dauer von Reisen um das Cap Horn ist sprichwörtlich geworden; sie erreicht häufig vier bis fünf Jahre.

Gewisse langhaarige, milchbärtige Jünglinge, die dem vereinten Einfluß eines Capitain Marryat und schlechter Zeiten folgen, auf eine Lustfahrt nach dem stillen Meere gehen und von ihren besorgten Müttern mit eingekochter Milch für diese Tour versehen werden, kehren oft als gesetzte Männer in den besten Jahren zurück.

[40] Schon die Vorbereitungen zu einer solchen Reise genügen, um Einen einzuschüchtern. Da das Schiff keine Ladung mit hinausnimmt, so wird sein Raum mit Provisionen zu eigenem Verbrauch vollgestopft. Die Rheder agiren bei solchen Gelegenheiten selbst als Proviantmeister und versehen die Speisekammer mit einem Überfluß von Leckerbissen. Zarte Stücke Pökelfleisch und Speck, von allen Theilen des Thieres kunstgerecht ausgeschnitten und von allen erdenklichen Größen und Gestalten, werden sorgfältig in Salzlake verpackt und in Fässern weggestaut; sie liefern eine nie endende Abwechselung in ihren verschiedenen Graden von Zähigkeit und in der Eigenthümlichkeit ihrer Salzhaltigkeit. Auch köstliches altes Wasser in ungeheuren Stückfässern giebt es, von welchem dem Mann ein Quart täglich zugemessen wird. Auch ein reichlicher Vorrath von Schiffszwieback, welcher vorher in den Zustand völliger Versteinerung versetzt wird, um ihn vor Verderbniß oder auch vor zu raschem Schwinden auf gewöhnlichem Wege zu bewahren, wird zur Nahrung und für den gastronomischen Genuß der Mannschaft geliefert.

Aber abgesehen von der Qualität dieser Matrosenkost, ist die Masse, in welcher sie an Bord genommen wird, fast unglaublich. Oft wenn wir im Raume Platz machen mußten und mein Auge über die Reihen von Fässern und Tonnen glitt, deren nur zu bekannter Inhalt noch in gehöriger [41] Zeit von der Schiffsmannschaft verzehrt werden sollte, ist mir das Herz schwer geworden.

Obgleich im Allgemeinen ein Schiff, welches in der Jagd auf Wallfische Unglück hat und seine Räume nur sehr langsam füllt, seine Kreuzfahrten nach Fischen nur so lange fortsetzt, bis die Provisionen bis auf das zur Rückreise nöthige Quantum aufgezehrt sind und dann ruhig in die Heimath zurückkehrt; so giebt es doch Fälle, in welchen eigensinnige Capitaine selbst dieses natürliche Hinderniß besiegen und mit erneutem Eifer und ungebrochener Ausdauer auf eine neue Fahrt gehen, nachdem sie die Früchte ihrer angestrengten Bemühungen in irgend einem fernen Hafen von Chili oder Peru gegen neue Provisionen vertauscht haben. Vergebens schreien die Rheder und treiben zur Rückreise, damit er um ihretwillen nur das Schiff nach Hause bringe, da es den Anschein habe, als wolle es ihm nicht glücken, seine Räume zu füllen. Gott bewahre! Er hat ein Gelübde gethan, entweder das Schiff mit gutem Spermaceti zu füllen oder nie wieder auf einer Yankee-Rhede vor Anker zu gehen.

Ich kannte einen Wallfischfänger, der nach vieljähriger Abwesenheit für verloren gehalten wurde. Die letzten Nachrichten von ihm meldeten, er habe eine der vielen Inseln der Südsee berührt, deren ungewisse Lage die neuen Südseekarten sich fortwährend zu bestimmen bemühen. Nach [42] langer, langer Zeit ward indeß „die Ausdauer“ – denn das war der Name des Schiffes – irgendwo am Ende der Welt angesprochen, wo sie so ruhig wie immer kreuzte; ihre Segel waren eitel Flickwerk, ihre Stangen mit alten Faßdauben beschält und ihre Takelage in jeder erdenklichen Weise geknotet und gespleißt. Ihre Mannschaft bestand aus einigen zwanzig alten Wettertrotzern, die wie Pensionairs von Greenwich aussahen und mit Mühe sich auf dem Deck hin- und herschleppten. Die Enden aller laufenden Taue, mit Ausnahme der Signal- und Flaggenleine, waren durch fliegende Blöcke gezogen und nach der Gangspille geleitet, so daß kein Segel gesetzt, kein Raa gebraßt wurde, ohne Hülfe von Maschinerie.

Ihr Rumpf war wie mit Entenmuscheln kandirt, die ihn durchaus verhüllten. Drei Lieblingshaifische folgten in ihrem Kielwasser und kamen täglich an die Seite heran, um sich an dem Inhalt des Kücheneimers zu erquicken, der ihnen zugeworfen wurde. Bonettas und Albatrosse umschwärmten sie fortwährend in großer Menge.

Diesen Bericht empfing ich über das Schiff und der Gedanke daran verfolgte mich fortwährend. Was endlich aus ihm wurde, habe ich nie erfahren, aber es ist nie nach Hause gekommen, und ich vermuthe, es wendet noch regelmäßig zweimal täglich irgendwo in der Gegend von der Buggery-Insel oder der Teufelsklippe.

[43] Nachdem ich dieses über die gewöhnliche Länge von Südsee-Reisen gesagt habe, und dem Leser ferner sage, daß die unsrige eben erst begonnen hatte, da wir nur funfzehn Monate vom Hause fort waren, und selbst da noch als neue Ankömmlinge begrüßt und um Neuigkeiten angesprochen wurden, so wird man begreifen, daß der Blick in die Zukunft wenig Ermuthigendes hatte, namentlich da ich stets das Vorgefühl einer schlechten Reise gehabt hatte, welches durch unsere Erfahrungen auch bewährt worden war.

Ich kann hier hinzufügen und auf mein Ehrenwort versichern, daß, obgleich mehr als drei Jahre verflossen sind, seitdem ich die Dolly verließ, sie noch immer im stillen Meere kreuzt, und erst vor einigen Tagen sah ich sie rapportirt als bei den Sandwichs-Inseln angelaufen und auf dem Wege nach der Japanesischen Küste begriffen.

Aber auf meine Geschichte zurückzukommen. Unter den mitgetheilten Umständen und ohne die geringste Aussicht, sie verbessert zu sehen, wenn ich am Bord der Dolly bliebe, entschloß ich mich kurz, sie zu verlassen: es war nicht eben rühmlich, mich von denen fortzuschleichen, die mir Unrecht und Unbill zugefügt hatten, welches ich nicht vergelten konnte; aber wie hätte ich anders handeln können, da es die einzige Alternative war, die mir übrig blieb? Als mein Entschluß gefaßt war, suchte ich mir alle mögliche [44] Auskunft über die Insel und ihre Bewohner zu verschaffen, um danach den Plan zu meiner Flucht zu machen. Den Erfolg dieser Forschungen will ich hier erzählen, damit die folgenden Mittheilungen verständlicher werden.

Die Bucht von Nukuheva, in welcher wir lagen, ist eine Wasserfläche, deren Gestalt dem innern Raum in einem Hufeisen nicht unähnlich ist. Ihr Umfang beträgt etwa neun englische Meilen. Von der See gelangt man durch eine enge Einfahrt hinein, die an jeder Seite zwei Zwillings-Inselchen hat, welche sich kegelförmig etwa fünfhundert Fuß aus dem Wasser erheben. Von diesen Inseln aus fällt die Küste zu beiden Seiten zurück und bildet einen tiefen Halbkreis.

Vom Rande des Wassers erhebt sich das Land gleichförmig an allen Seiten mit grünen sanften Abhängen, bis es sich von anmuthigen Hügeln zu mächtigen und majestätischen Höhen aufthürmt, deren blauen Umrisse die Landschaft ringsumher begrenzen. Der wunderbar schöne Anblick der Küste wird noch durch tiefe Schluchten erhöht, die in fast gleichen Entfernungen von einander bis ans Wasser herablaufen, als wenn sie wie Strahlen von einem Mittelpunkt ausliefen, und deren fernes Ende sich im Schatten der Berge verliert. Von jedem dieser kleinen Thäler fließt ein klarer Strom herab, der dann und wann die Gestalt eines kleinen Wasserfalls bildet, dann dem Auge entschwindet, [45] später als größerer Wasserfall wieder zum Vorschein kommt und endlich ruhig murmelnd der See zugleitet.

Die Häuser der Eingebornen sind von gelbem Bambusrohr nach Art der Bienenkörbe geflochten und mit Palmblättern gedeckt; sie liegen in diesen Thälern unter dem Schatten der Cocosbäume unregelmäßig hingestreut.

Nichts kann die großartige Landschaft dieser Bucht übertreffen. Von unserm Schiff aus gesehen, welches mitten im Hafen vor Anker lag, sah sie aus wie die Ruinen eines riesigen, natürlichen Amphitheaters, mit Ranken aller Art bewachsen. Die tiefen Schluchten, welche die Seiten unterbrachen, nahmen sich wie ungeheuere Risse aus, die der Einfluß der Zeit hervorgebracht. Oft, wenn ich in Bewunderung der unendlichen Schönheit vollkommen verloren da saß, habe ich von ganzer Seele bedauert, daß eine so bezaubernd schöne Gegend in diesem Winkel der Erde den Blicken der meisten Bewunderer der Natur so ganz verborgen sei.

Außer dieser Bucht hat die Insel mehrere andere große Einschnitte, zu denen sich breite grüne Thäler herabziehen. Diese sind von ebenso vielen verschiedenen wilden Stämmen bewohnt, welche, obgleich sie verwandte Dialecte derselben Sprache sprechen und dieselben Gesetze wie dieselbe Religion haben, sich seit undenklichen Zeiten erblich angefeindet und bekriegt haben. Die zwischenliegenden Berge, gewöhnlich [46] zwei bis dreitausend Fuß hoch über der Meeresfläche, begrenzen die Besitzungen der verschiedenen Stämme, und sie überschreiten dieselben nur bei kriegerischen oder räuberischen Streifzügen. Gleich an Nukuheva, und nur durch die Berge, die man vom Hafen aus sieht, von diesem getrennt, liegt das liebliche Thal von Happar, dessen Bewohner mit denen von Nukuheva im freundlichsten Verkehr leben. An der andern Seite von Happar, und zwar unmittelbar hinter demselben, ist das wundervolle Thal der gefürchteten Typies, die unversöhnlichen Feinde von beiden erstgenannten Stämmen.

Diese gefeierten Krieger scheinen den andern Insulanern eine unaussprechliche Furcht einzuflößen. Ihr Name allein ist ihnen furchtbar, denn das Wort „Typie“ bedeutet in der Marquesischen Sprache: ein Freund von Menschenfleisch. Es ist sonderbar, daß sie allein diese Benennung führen, denn alle die Eingebornen dieser Inselgruppe sind ausgemachte Cannibalen. Vielleicht bezeichnet der Name nur ihre außergewöhnliche Wildheit und soll wohl auch eine Art von Schandfleck auf sie werfen.

Diese Typies genießen eines schrecklichen Ruhmes auf allen Inseln. Die Eingebornen von Nukuheva erzählten uns oft pantomimisch von ihren Grausamkeiten und zeigten uns Narben aus Kämpfen mit ihnen. Waren wir am Lande, so kam es wohl vor, daß sie versuchten, uns zu [47] erschrecken, indem sie auf Einen ihres eignen Stammes zeigten und ihn „Typie“ nannten. Sie bezeugten dann unverholenes Erstaunen, wenn wir bei einer solchen Schreckensnachricht nicht gleich die Flucht ergriffen. Auch war es komisch, mit welchem Ernst sie jede cannibalische Neigung bei ihrem Stamme leugneten, während sie ihre Feinde als hartnäckige Gourmands im Menschenfleisch darstellten; doch ist dies eine Eigenthümlichkeit, auf die ich später zurückkommen werde.

Obgleich ich überzeugt war, daß die Bewohner unserer Bucht so eingefleischte Cannibalen seien, wie irgend ein anderer Stamm auf der Insel, so konnte ich doch einen besondern, ungebundenen Abscheu gegen die Typies nicht unterdrücken. Selbst ehe ich die Insel besuchte, hatte ich von andern Reisenden, die diese Küsten berührt hatten, die empörendsten Berichte über die Thaten dieser Wilden bekommen. Namentlich stand das Abenteuer des Capitains der „Katharina“ lebhaft vor meinem Gedächtniß, der nur wenige Monate vorher sich unvorsichtigerweise in einem bewaffneten Boote in diese Bucht gewagt hatte, um einen Tauschhandel zu machen. Er ward von den Wilden ergriffen, eine Strecke weit ins Thal geführt und entging einem grausamen Tode nur durch Vermittlung eines jungen Mädchens, das ihm Nachts zur Flucht, die Küste entlang, nach Nukuheva behülflich war.

[48] Ich hatte mir auch von einem englischen Schiffe erzählen lassen, welches vor vielen Jahren, nach einer beschwerlichen Kreuzfahrt, versucht hatte, in die Bucht von Nukuheva zu gelangen und welchem auf zwei bis drei englische Meilen vom Lande entfernt ein großes Canoe mit Wilden gefüllt begegnete, die sich erboten, es an einen sichern Landungsplatz zu führen. Der Capitain, der die Örtlichkeit der Insel nicht kannte, nahm freudig das Anerbieten an; das Canoe ruderte voran und das Schiff folgte. Bald war es in eine wunderschöne Krieke geführt und warf Anker im Schatten der hohen Küste. Die nächste Nacht überfielen die verrätherischen Typies zu Hunderten das Schiff, welches sie glücklich in ihre verhängnißvolle Bucht gelockt hatten und mordeten ohne Ausnahme die ganze Mannschaft.

Eine Äußerung eines unsrer Matrosen, als wir langsam vor dieser Bucht vorbeiglitten, auf unserm Wege nach Nukuheva, wird mir ewig unvergeßlich bleiben. Wir standen in Betrachtung der grünen Vorgebirge versunken, als Tom, nach dem verrätherischen Thal zeigend, ausrief: „Dort – dort ist Typie! Oh die blutdürstigen Cannibalen! Was für eine Mahlzeit würden wir ihnen liefern, wenn es uns einfiele, dort zu landen! Aber Matrosenfleisch mögen sie nicht, es ist ihnen zu salzig. Hört, Steuermann, möchtet Ihr wohl dort ans Land gesetzt werden?“ Wie wenig dachte ich damals, als ich mich schaudernd [49] abwandte, daß ich wenige Wochen später wirklich in jenem Thale gefangen sein würde!

Die Franzosen hatten zwar die Feierlichkeit, ihre Flagge an allen Hauptpunkten der Inselgruppe aufzuziehen, vollzogen, allein sie hatten die Typie-Bucht noch nicht besucht, da sie von den dortigen Wilden wol einen hartnäckigen Widerstand befürchten mochten, den sie vor der Hand allerdings zu vermeiden wünschten. Vielleicht trieb sie die Erinnerung an den kriegerischen Empfang des Capitain Porter zu dieser Politik, welcher im Jahre 1814, als der tapfre und gediegene Offizier, welcher er war, seine Truppen gegen diesen Stamm führte, um den tödtlichen Haß der ihm verbündeten Nukuhevas und Happars zu befriedigen.

Damals soll eine bedeutende Abtheilung Matrosen und Marinesoldaten von der Essex im Verein mit wenigstens zweitausend Kriegern von Nukuheva und Happar an der Mündung der Bucht gelandet sein und nach kurzem Vordringen im Thale den hartnäckigsten Widerstand gefunden haben. Obgleich mit großem Verlust, vertheidigten die Typies jeden Zoll ihres Grund und Bodens und zwangen nach heißem Kampfe die Angreifer zum Rückzuge und zum Aufgeben ihres Vorhabens.

Diese trösteten sich auf ihrem Rückzuge nach der See über ihre Niederlage dadurch, daß sie jede Hütte und jeden Tempel auf dem Wege in Brand steckten. Eine lange [50] Reihe von rauchenden Ruinen störte die Schönheit der lachenden Gegend und verkündete den heidnischen Bewohnern den Geist christlicher Soldaten. Wer kann nach solchen unverschuldeten Grausamkeiten sich über den tödtlichen Haß wundern, den die Typies gegen alle Fremden nähren?

Auf diese Weise werden die Menschen, die wir Wilde nennen, dahin gebracht, diesen Namen zu verdienen. Wenn die Bewohner einer einsamen Insel zuerst das „große Canoe“ der Europäer erblicken, das aus der Ferne zu ihnen heranrollt, so eilen sie zur Küste hinab, um die Fremden mit offnen Armen zu empfangen. Unglückliche Bewillkommnung! Sie drücken die Natter an ihr Herz, deren Stich bestimmt ist, alle ihre Freuden zu vergiften, und die instinktmäßige Liebe ihrer Herzen verwandelt sich bald in bittersten Haß.

Die Gräuel, die in der Südsee an den gutmüthigen Insulanern verübt worden sind, gehen ins Unglaubliche. Solche Dinge werden nicht zu Hause ausgeführt. Sie geschehen in einem Winkel der Erde, wo Niemand ist, sie aufzudecken. Aber es giebt manchen erbärmlichen Kauffahrer, dessen Reise durch das stille Meer von Insel zu Insel verfolgt werden könnte nach den Spuren einer Reihe von überlegten Räubereien, Seelenverkäufereien und Mordthaten, deren Größe genügend erscheinen dürfte, um jede Planke im Schiffe in die Tiefe des Meeres zu versenken.

[51] Zuweilen dringen ungenaue Berichte von dergleichen Dingen bis zu unsern heimathlichen Heerd, und wir tadeln sie kalt als ungerecht, unpolitisch, unnöthig, streng und gefährlich für die Mannschaften anderer Schiffe. Wie verschieden ist unser Ton, wenn wir die hochtrabende Beschreibung der Niedermetzelung der Mannschaft des Hobomak durch die Fidschies lesen; wie bedauern wir die unglücklichen Opfer, und mit welchem Abscheu blicken wir auf die teuflischen Heiden, welche im Grunde doch nur die unverschuldeten Beleidigungen gerächt haben, die an ihnen verübt worden sind! Wir athmen nur Rache, wir bewaffnen Schiffe, um tausende von Meilen über den Ocean zu ziehen und jene Schuldigen zu bestrafen. Nach derer Ankunft am Orte ihrer Bestimmung brennen, schlachten und zerstören sie auf jede Weise nach allerhöchsten Instructionen, und wenn sie den Schauplatz ihrer Verwüstungen verlassen, rufen sie die ganze Christenheit um Beifall für ihre Tapferkeit und Gerechtigkeit an!

Wie oft wird der Name „Wilde“ falsch angewandt! Bis jetzt wurden noch Keine, die ihn wirklich verdienten, von Reisenden zu Wasser oder zu Lande gefunden. Sie haben Heiden und Barbaren gefunden, die sie durch schauderhafte Grausamkeiten erst zur Verzweiflung getrieben und zu Wilden gemacht haben. Ich kann, ohne Widerspruch zu befürchten, behaupten, daß, wo immer Polynesier [52] Ungebürlichkeiten und Gräuel verübt haben, Europäer zu irgend einer Zeit damit den Anfang gemacht haben, und daß der grausame und blutdürstige Charakter einiger der Insulaner lediglich europäischem Beispiel zuzuschreiben ist.

Ich kehre nun zu meiner Erzählung zurück. In Folge der gegenseitigen Feindseligkeiten der verschiedenen genannten Stämme sind die gebirgigen Landstriche, die ihre Gebiete trennen, gänzlich unbewohnt; die Eingebornen wohnen immer in den Thälern und sind besorgt, jedem räuberischen Einfall ihrer Feinde zu begegnen, die oft an ihren Grenzen hinschleichen, bereit, jeden unvorsichtigen Wanderer abzuschneiden oder einen Angriff auf eine abgelegene Hütte zu machen. Ich habe öfter bejahrte Leute getroffen, die aus diesem Grunde nie die Grenzen ihres Geburtsthales überschritten hatten; einige von ihnen waren nie bis halbwegs über die Berge gewesen, viel weniger hatten sie irgend eine Ahnung von den andern Gegenden der Insel, deren Umfang vielleicht im Ganzen sechszig englische Meilen beträgt. Der unbedeutende Raum, auf welchem einige dieser Stämme leben und sterben, scheint fast unglaublich.

Die Schlucht von Tior giebt hiervon das beste Beispiel. Der bewohnte Theil derselben ist nicht über vier englische Meilen lang und ihre Breite ist verschieden von einer halben bis weniger als ein Viertel einer englischen Meile. Die felsigen, mit Wein berankten Abhänge an der einen [53] Seite thürmen sich fast senkrecht auf bis zur Höhe von über funfzehnhundert Fuß, während auf der andern Seite, in überraschender Abweichung von der ersten, grasbewachsene Hügel sich zu blühenden Terrassen übereinander erheben. Auf diese Weise durch riesige Verschanzungen begrenzt, würde das Thal gänzlich von der übrigen Welt isolirt sein, wenn es nicht an einem Ende von der See und durch einen Engpaß am andern zugänglich wäre.

Der Eindruck, den diese wundervolle Schlucht beim ersten Anblick auf mich machte, wird sich nie verwischen.

Ich kam von Nukuheva zu Wasser im Schiffsboote. Es war gerade um Mittag, als wir in die Bucht von Tior gelangten; bei drückender Hitze und wenig Wind waren wir auf der langen gleichmäßigen Deining des Oceans hergetrieben. Die Sonnenstrahlen hatten ihre ganze Wuth an uns ausgelassen, und um unser Leiden vollständig zu machen, hatten wir vergessen, Wasser mitzunehmen, als wir das Schiff verließen. Hitze und Durst zugleich hatten mich so begierig nach dem Landen gemacht, daß ich, als wir uns dem Ufer näherten, vorn im Boote zum Sprunge bereit stand. Als es, von zwei bis drei starken Ruderschlägen getrieben, zwei Dritttheile seiner Länge auf den Strand schoß, sprang ich mitten in einen Haufen kleiner Wilder hinein, die herabgekommen waren, uns freundlich zu empfangen; sie folgten [54] mir auf dem Fuße, wie lauter kleine Teufelchen krächzend, als ich über einen freien Platz am Strande fort- und dem nächsten Haine zustürzte, wo ich auf Taucherart verschwand.

Welch ein köstliches Gefühl verspürte ich da! Es war als schwämme ich in einem neuen Element und wunderbare, rieselnde, tröpfelnde, flüssige Laute umrauschten mich. Man sage, was man wolle, über die Erquickungen eines kalten Bades, aber mir gebe man, wenn ich erhitzt bin, die Schattenbäder von Tior, unter den herrlichen Cocosbäumen und in der köstlichen Luft, die sie umgiebt!

Wie beschreibe ich die Landschaft, die mein Auge von diesem grünen Lager aus überblickte? Das enge Thal mit seinen steilen, weinbekleideten Wänden, und mit seiner Überwölbung von den verschiedenartigsten Schlingpflanzen, deren Geflecht von reichem Grün fast ganz verdeckt war, nahm sich von meinem Standpunkt wie eine ungeheure Laube aus, durch die man eine Aussicht genießt, und erweiterte sich unmerklich bei weiterem Vorschreiten zu der lieblichsten Schlucht, die je ein Auge sah.

Es traf sich gerade, daß an dem Tage, wo ich in Tior war, der französische Admiral mit allen Böten seines Geschwaders dahinkam, um von dem Ort förmlich Besitz zu nehmen. Er blieb etwa zwei Stunden im Thale und [55] hatte während der Zeit eine ceremonielle Zusammenkunft mit dem König.

Das patriarchalische Oberhaupt von Tior war ein hochbejahrter Mann, aber obgleich das Alter seinen Körper gebeugt hatte, zeigten doch seine riesigen Glieder noch alle ihre ursprüngliche Hoheit und Größe. Er näherte sich langsam und mit augenscheinlicher Mühe, indem er seine schwankenden Schritte mit dem schweren Kriegsspeere unterstützte, den er in der Hand hielt; eine Gruppe graubärtiger Häuptlinge begleiteten ihn, von denen hauptsächlich Einer ihn beim Gehen unterstützte. Der Admiral trat mit entblößtem Haupte und dargebotener Hand vor, während der alte König ihn durch ein stolzes Schwingen seiner Waffe begrüßte. Im nächsten Augenblicke standen sie neben einander, diese beiden Extreme der gesellschaftlichen Stufenleiter, der gebildete, glänzende Franzose und der arme tättowirte Wilde. Beide waren große schöne Männer, aber sonst welch unendlicher Unterschied! Du Petit Thouar trug alle die äußern Zeichen seines hohen Ranges in der Marine. Er hatte eine reichverzierte Admiralsuniform an, trug einen gallonirten Hut und auf der Brust eine Menge Bänder und Orden, während der einfache Insulaner, eine ungekünstelte Umgürtung der Lenden ausgenommen, als ein ganz nackter Naturmensch dastand.

Welche unermeßliche Kluft, dachte ich, liegt zwischen [56] diesen Beiden! In dem Einen zeigt sich die Frucht Jahrhunderte lang fortschreitender Civilisation und Bildung, welche nach und nach aus dem bloßen Geschöpf ein dem Höchsten und Erhabensten ähnliches Wesen gemacht haben, während der Andere in demselben Zeitraume noch nicht einen Schritt auf der Bahn des Fortschritts gethan hat. „Und dennoch,“ sagte ich zu mir selbst, „frei von tausend ihm unbekannten Bedürfnissen und fern von erschlaffenden Sorgen, wie er ist, sollte nicht am Ende doch der Wilde der Glücklichere von Beiden sein?“ Solche Gedanken beschäftigten mich, als ich das außergewöhnliche Schauspiel vor mir betrachtete. Es war ein sehr merkwürdiges und wird nicht leicht dem Gedächtniß entschwinden. Noch jetzt sehe ich im Geiste die Gesichtszüge jedes Einzelnen. Der schattige Platz, wo die Zusammenkunft stattfand – die herrliche tropische Vegetation umher – die malerischen Gruppen der Soldaten und Eingebornen durcheinander und selbst das goldige Bündel Bananen, die ich in der Hand hielt und von denen ich dann und wann aß, während ich obige philosophischen Betrachtungen machte – Alles steht so klar vor mir, als habe es sich erst gestern begeben.


[57]
Capitel V.

Gedanken vor dem Versuch zur Flucht – Tobias, ein Schiffsgenosse, entschließt sich das Abenteuer mitzumachen – Die letzte Nacht am Bord.

Fest entschlossen, das Schiff heimlich zu verlassen, und mit allen Notizen über die Bucht versehen, die ich in meiner Lage hatte sammeln können, fing ich nun ernsthaft an, alle Pläne zur Flucht, die mir einfielen, gründlich zu überlegen, da ich nur mit äußerster Vorsicht einen Versuch machen wollte, dessen Mißlingen so viele unangenehme Folgen haben konnte. Der Gedanke, eingeholt und schimpflich an Bord zurückgebracht zu werden, war mir so abscheulich, daß ich beschloß, nicht durch übereilte oder unvorsichtige Maßregeln ein solches Ereigniß wahrscheinlich zu machen.

Ich wußte, daß unser würdiger Capitain, der so väterlich um das Wohl und Wehe seiner Mannschaft besorgt war, nicht gutwillig zugeben würde, daß einer seiner besten [58] Leute sich den Gefahren eines Aufenthalts unter den Eingebornen einer barbarischen Insel aussetzte; und ich war überzeugt, daß seine väterliche Besorgniß im Fall meines Verschwindens ihn bewogen haben würde, viele Ellen buntgedruckten Kattuns für meine Wiedereinbringung zu bieten. Ja er hätte so weit gehen können, meine Dienste einer Flinte gleich zu schätzen, in welchem Falle ich bestimmt die ganze Bevölkerung, erfaßt von der Gier nach einem so reichen Besitz, auf den Fersen gehabt haben würde.

Da ich mich des vorhin erwähnten Umstandes versichert hatte, daß nämlich die Insulaner aus Vorsicht nur in den Thälern wohnen, und Wanderungen in die höheren Theile der Küste nur bei Kriegs- und Raubzügen unternehmen, so hoffte ich, wenn ich ungesehen ins Gebirge schleichen könnte, mich leicht dort von Früchten und Wurzeln nähren zu können, bis das Schiff abgesegelt wäre, welches ich augenblicklich wissen würde, da ich von der Höhe herab den ganzen Hafen übersehen könnte.

Dieser Gedanke gefiel mir sehr. Er vereinigte mit leichter Ausführbarkeit die Aussicht auf nicht geringen ruhigen Genuß; denn wie herrlich würde es nicht sein, aus der Höhe von einigen tausend Fuß auf das verhaßte alte Schiff herabzublicken und das liebliche Grün um mich her mit der Erinnerung an seine engen Räume und das finstere Vordercastell zu vergleichen? Ja der bloße Gedanke daran [59] war erquickend, daher fing ich geradezu an, mich im Geiste in den Schatten einer Cocospalme auf der Spitze des Gebirges zu versetzen, leicht erreichbare Platanen um mich her, und damit beschäftigt, von meiner Höhe herab die Bewegungen des Schiffes zu bekritteln, wie es langsam aus dem Hafen glitt.

Übrigens wurden die Annehmlichkeiten dieser Vorfreuden nicht wenig geschmälert durch den Gedanken an die Möglichkeit, einem Haufen mehrerwähnter Typies zu begegnen, deren Appetit vielleicht durch die Höhenluft noch geschärft, sie dazu treiben dürfte, Einen zu verschlingen; ich gestehe, dies war eine sehr unangenehme Seite der Sache.

Man denke sich nur eine Anzahl dieser unnatürlichen Gourmands, die den Einfall bekommen, aus einem armen Teufel eine lustige Mahlzeit zu machen, der weder Mittel zur Flucht, noch zur Vertheidigung hatte: indeß, das war nun nicht zu ändern. Ich war einmal entschlossen, einige Gefahren zu ertragen, um mein Vorhaben auszuführen, und zählte sehr auf meine Geschicklichkeit, mich vor den lauernden Cannibalen in den vielen Verstecken, die das Gebirge darbot, zu verbergen. Auch war Zehn gegen Eins zu wetten, daß sie nicht ihr eignes Gebiet verlassen würden.

Ich hatte beschlossen, meine Absicht, zu fliehen, keinem meiner Schiffsgenossen mitzutheilen, noch weniger [60] Jemanden aufzufordern, mit mir davonzugehen. Allein es traf sich in einer Nacht, wo ich gerade auf dem Deck war und im Geiste meine verschiedenen Pläne musterte, daß ich einen jungen Cameraden über die Schiffsseite gelehnt fand, der augenscheinlich in tiefe Träumereien versunken war. Er war ein Bursche meines Alters, den ich immer sehr lieb gehabt hatte, und Tobias (diesen Namen führte er am Bord, seinen eigentlichen Namen wollte er uns nie sagen) verdiente meine Achtung in jeder Weise. Er zeigte sich thätig, munter und gefällig, von unzweideutigem Muth, merkwürdig offen und furchtlos im Ausdruck seiner Meinungen und Gefühle. Oftmals hatte ich ihm aus Verlegenheiten geholfen, in die er durch diese Eigenschaft gerathen war, und, ich weiß nicht ob aus dieser Ursache oder weil eine gewisse Übereinstimmung der Charaktere zwischen uns herrschte, er hatte immer gern meine Gesellschaft gesucht. Manche langweilige Wachtstunde war von uns mit Plaudern, Singen und Erzählen verbracht worden, auch wol mit zahlreichen Verwünschungen des harten Looses, das, wie es schien, wir gemeinschaftlich zu ertragen bestimmt seien.

Tobias hatte sich augenscheinlich, wie ich, in einer andern Sphäre der Gesellschaft bewegt und seine Unterhaltung verrieth dieses oft, obgleich er es zu verbergen suchte. Er war einer derjenigen Käutze, die man zuweilen auf der [61] See trifft, die nie ihrer Herkunft erwähnen, nie ihre Heimath nennen und über die ganze Erde wandern, als ob sie von einem geheimnißvollen Geschick getrieben würden, dem sie auf keine Weise entrinnen können.

Selbst in Tobias’ äußerem Erscheinen war etwas, was mich zu ihm hinzog, denn während die andern Matrosen großentheils ebenso gemein an Körper wie an Geist waren, hatte Tobias ein höchst einnehmendes Äußere. Mit einem blauen Rock und Segeltuchshosen bekleidet, war er der schönste Matrose, den man sich denken kann; er war sehr klein und fein gebaut und von einer merkwürdigen Gelenkigkeit. Seine von Natur dunkle Gesichtsfarbe war durch die tropische Sonne noch dunkler geworden und reiche glänzend schwarze Locken, die seine Schläfe umflossen, gaben seinem großen schwarzen Auge einen noch dunklern Ausdruck. Er war ein sonderbarer, wunderlicher Geselle, sinnend, launig, melancholisch oft bis zur Düsterheit. Auch hatte er ein rasches, feuriges Wesen, welches ihn, wenn er sehr gereizt wurde, oft fast bis zur Raserei treiben konnte.

Es ist sonderbar, welche Gewalt ein leidenschaftlicher Geist über schwächere Naturen hat. Ich sah einen starken muskulösen Mann, dem es an gewöhnlichem Muthe nie gebrach, vor diesem zarten Bürschchen weichen, als es einst in Wuth war. Dies war übrigens äußerst selten der Fall, und mein hochherziger Camerad wurde in solchen Anfällen [62] die Galle vollständig los, deren sich andere ruhigere Geschöpfe durch fortwährende Kleinlichkeiten und erbärmliche Plackereien entledigen.

Niemand hat je den Tobias lachen sehen; ich verstehe darunter den herzlichen Erguß breitmäuliger Heiterkeit. Er lächelte zwar zuweilen und ihm war viel trockner Witz und Sarkasmus eigen, welcher um so größere Wirkung that, als er ihn mit seinem unverwüstlichen Ernst in Ton und Haltung vorbrachte.

Ich hatte bemerkt, daß Tobias kürzlich viel melancholischer geworden war, und ich hatte oft gesehen, daß er sehr gedankenvoll die Küste betrachtete, während die Andern sich unten ihren Ausschweifungen überließen. Ich wußte, daß ihm das Schiff herzlich verhaßt war, und glaubte, daß er jede sich darbietende gute Gelegenheit zur Flucht freudig benutzen würde. Aber der Versuch war so gefährlich von dem Punkte aus, an welchem wir damals lagen, daß ich mich für den Einzigen am Bord hielt, der tollkühn genug wäre, um ihn zu machen. Hierin irrte ich mich jedoch.

Als ich Tobias, wie gesagt, ans Bollwerk gelehnt in Sinnen versunken fand, blitzte der Gedanke in mir auf, der Gegenstand seines Brütens möchte wohl derselbe sein, der mich beschäftigte. Und sollte das der Fall sein, wäre nicht gerade er unter allen Matrosen mir der liebste Begleiter [63] bei meinem Unternehmen? und warum sollte ich nicht einen Genossen mitnehmen, um die Gefahren zu theilen und die Leiden zu erleichtern? Vielleicht würde es nöthig sein, mich wochenlang in den Gebirgen verborgen zu halten. Welcher Trost würde nicht in diesem Falle ein Begleiter sein!

Diese Gedanken drängten sich mir schnell auf und ich begriff nicht, warum ich nicht längst schon die Sache aus dem Gesichtspunkte angesehen hatte. Aber es war ja noch nicht zu spät. Ein leichter Schlag auf die Schulter weckte Tobias aus seinen Träumereien; ich fand ihn reif für das Unternehmen und wenige Worte genügten zu gegenseitigem Verständniß. Binnen einer Stunde hatten wir alle Vorkehrungen getroffen und unsre Pläne entschieden. Wir besiegelten dann unser Bündniß mit einem herzlichen Händedruck und gingen, um keinen Verdacht zu erregen, jeder nach seiner Hängematte, um die letzte Nacht am Bord der Dolly zuzubringen.

Den nächsten Tag sollte die Steuerbordwache, der wir angehörten, auf Urlaub an’s Land, und wir beschlossen, diese Gelegenheit zu benutzen, uns nach der Landung sobald als thunlich, ohne Aufsehen zu erregen, von der übrigen Mannschaft zu trennen und sogleich dem Gebirge zuzueilen. Vom Schiffe aus gesehen, schienen die Bergspitzen unzugänglich, aber hie und da liefen schräge Vorsprünge [64] fast bis ans Meer hinab und dienten dem Hochlande, mit dem sie zusammenhingen, als Strebepfeiler, während sie zugleich die schönen Thäler, die ich oben beschrieben habe, bildeten. Einen dieser Vorsprünge, der wegsamer schien, als die übrigen, hatten wir zum Erklimmen ausersehen, indem wir überzeugt waren, daß wir auf diesem Wege die fernen Höhen erreichen würden.

Demzufolge beobachteten wir sorgfältig seine Lage und Örtlichkeit vom Schiffe aus, damit wir keine Gefahr liefen, ihn zu verfehlen.

Bei diesem Allen war unser Hauptzweck, uns bis zur Abfahrt des Schiffes zu verbergen, dann unser Glück in Nukuheva zu versuchen, bezüglich einer Aufnahme von Seiten der Eingebornen; und endlich nach einem Aufenthalt auf der Insel, dessen Länge von seinen Annehmlichkeiten abhängen sollte, dieselbe mit der ersten günstigen Gelegenheit zu verlassen.


[65]
Capitel VI.

Eine Probe nautischer Beredsamkeit – Kritik der Matrosen – Die Steuerbordwache erhält Urlaub – Die Flucht in die Berge.

Am andern Morgen früh wurde die Steuerbordwache auf dem Hinterdeck gemustert und unser würdiger Capitain, der auf der Cajütentreppe stand, redete uns an wie folgt: „Nun, Bursche, da wir gerade eine sechsmonatliche Kreuzfahrt gemacht haben und beinahe mit aller Arbeit in diesem Hafen durch sind, so vermuthe ich, daß Ihr einmal ans Land gehen möchtet. Gut, ich gedenke Euch von der Wache heute frei zu lassen, drum könnt Ihr Euch, sobald es Euch gefällig ist, fertig machen und gehen; aber versteht mich recht, ich gebe Euch frei, weil ich vermuthe, daß Ihr murren würdet wie alte brummige Feuerwerker, wenn ichs nicht thäte; zugleich aber, wenn Ihr meinem Rathe folgen wollt, so bleibt jeder Muttersohn von Euch am Bord; und haltet Euch fern von den blutgierigen Cannibalen. Zehn [66] gegen Eins, Jungens, wenn Ihr ans Land geht, kriegt Ihr irgend einen Skandal und der wird Euer Ende; denn wenn die tättowirten Schurken Euch nur erst eine Strecke in ihr Thal hinein haben, so erwischen sie Euch – darauf könnt Ihr fluchen. Genug weiße Männer sind hier ans Land gegangen und nie wieder gesehen worden. Da ging z. B. die alte Dido hier vor zwei Jahren vor Anker und gab einer Wache Urlaub ans Land; von den Kerlen hörte man über eine Wochelang nichts – die Eingebornen schworen, daß sie nichts von ihnen wüßten – und nur drei kamen überhaupt wieder ans Schiff, wovon dem Einen das Gesicht für ewige Zeiten geschändet war, indem die verdammten tättowirten Heiden ihn quer über seine Gallion tättowirt hatten. Aber zu Euch reden ist nutzlos, denn Ihr geht doch, das sehe ich klar, und Alles, was ich Euch noch zu sagen habe, ist daher, daß mich die Schuld nicht trifft, wenn die Wilden Euch fricassiren. Übrigens bleibt Euch eine Hoffnung, ihnen zu entgehen, wenn Ihr Euch in der Nähe des französischen Lagers haltet und vor Sonnenuntergang wieder an Bord kommt. Dessen gedenket, wenn Ihr auch alles Andere von meiner Rede vergeßt. So, vorwärts nun und takelt Euch auf und seid bereit, wenns fortgeht. Um zwei Glasen[1] wird das Boot [67] bemannt sein, Euch ans Land zu bringen. Gott sei Eurer Seele gnädig!“

Der Ausdruck auf den Gesichtern der Steuerbordwache bei dieser Rede war höchst verschieden, aber beim Schluß derselben trat eine einmüthige Bewegung nach dem Vordercastell ein und wir waren alle emsig beschäftigt, uns für den Festtag fertig zu machen, den uns der Schiffer so ominös angekündigt hatte. Während dieser Vorbereitungen wurde seine Rede in keineswegs gemäßigten Ausdrücken commentirt, und Einer unter uns, der ihn erst als einen lügnerischen Hund bezeichnet hatte, welcher einem armen Kerl nicht eine Stunde Freiheit gönne, rief fluchend aus: „Aber Du wirst mich nicht durch Furcht um meine Freiheit bringen, alter Hahn, mit all’ Deinem Gekrähe, denn ich ginge ans Land, selbst wenn jedes Steinchen am Strande eine glühende Kohle wäre, und jeder Baumstrunk ein Rost, und wenn die Cannibalen da ständen, um mich lebendig zu braten.“

Der Geist dieser Rede theilte sich allen den Leuten mit und wir beschlossen, trotz des Capitains Gekrächze, einen lustigen Tag zu haben.

Aber Tobias und ich, wir hatten unser eignes Spiel zu spielen und benutzten die Verwirrung, die immer herrscht, wenn eine Mannschaft sich zum Landgange vorbereitet, um uns zu besprechen und unsere Vorkehrungen zu vollenden. [68] Da uns daran lag, möglichst schnell ins Gebirge zu gelangen, so beschlossen wir, uns so wenig wie möglich mit überflüssigen Dingen zu belästigen; demgemäß begnügten wir uns, während die Andern sich ausstaffirten, augenscheinlich in der Absicht, Parade zu machen, mit neuen starken Segeltuchshosen, zweckmäßigen Schuhen und schweren Havre-Röcken, und ein Payta-Hut vollendete unsern Anzug.

Als die Andern sich darüber wunderten, sagte Tobias in seiner komisch-ernsten Weise, die Andern möchten thun, was ihnen gefiele, allein er wolle seine Landgangs-Kleider, für die spanische Küste aufheben, wo es noch von Belang sei, ob ein Matrose sein Halstuch gut oder schlecht knotete; aber für einen Haufen heidnischer Sansculotts sei er nicht gesonnen, seine Kiste auszupacken, sondern viel eher geneigt, selbst in puris unter ihnen zu erscheinen. Die Leute lachten über seinen drolligen Einfall, wie sie es nannten, und so entgingen wir dem Verdacht.

Es mag sonderbar scheinen, daß wir, unsern eignen Schiffsgenossen gegenüber, so behutsam waren, aber es waren einige darunter, die, hätten sie nur die leiseste Ahnung von unserm Vorhaben gehabt, in der Hoffnung auf eine unbedeutende Belohnung uns augenblicklich an den Capitain verrathen haben würden.

Sobald zwei Glasen geschlagen waren, erhielt die beurlaubte [69] Mannschaft Befehl, ins Boot zu gehen. Ich zögerte einen Augenblick im Vordercastell, um einen Abschiedsblick auf die gewohnten Räume zu werfen und war eben im Begriff hinaufzusteigen, als mein Auge auf den Brodkorb und den Fleischtopf fiel, in welchen die Überreste unserer letzten eiligen Mahlzeit standen. Obgleich es mir nie eingefallen war, Mundvorrath für unsern beabsichtigten Ausflug mitzunehmen, so konnte ich doch dem Drange nicht widerstehen, von diesen Resten ein derbes Frühstück einzustecken. Demgemäß nahm ich zwei Händevoll von jenen kleinen zerbrochenen, steinigen Schiffszwiebacken, die unter dem Namen „Midshipmans-Nüsse“ so allgemein bekannt sind, und füllte damit eine Brusttasche meines Rockes; in ein ähnliches weites Behältniß hatte ich früher schon ein paar Pfund Tabak und einige Ellen Baumwollenzeug gestopft, mit welchen Gegenständen ich das Wohlwollen der Eingebornen zu erkaufen gedachte, sobald wir nach der Abfahrt des Schiffes unter sie treten würden.

Kaum hatte ich dieses beendet, als mein Name aus einem Dutzend Kehlen erscholl, worauf ich eilig aufs Deck sprang und sah, daß die Leute im Boote ungeduldig meiner harrten, um abzustoßen. Ich sprang rasch über die Seite und nahm mit den Andern im Hintertheil des Bootes Platz, während die armen Backbordleute mit ihren Rudern ausgriffen, um uns ans Land zu bringen.

[70] Es war gerade Regenzeit auf den Inseln und der Himmel hatte den ganzen Morgen einen jener heftigen Schauer verkündet, welche in dieser Zeit so häufig sind. Große Tropfen fielen schon und trieben Blasen auf dem Wasser, als wir noch nicht weit vom Schiffe waren, und als wir landeten, goß es in Strömen. Wir suchten Schutz unter einem großen Canoe-Schuppen, welcher dicht am Ufer stand, und wollten die erste Wuth des Ungewitters austoben lassen.

Es regnete aber unaufhörlich fort, und das eintönige Rauschen über uns auf dem Schuppendache fing an, seinen einschläfernden Einfluß auf die Leute zu äußern, welche sich hier und dort auf die Kriegscanoes warfen und nach kurzem Plaudern ruhig einschliefen.

Dies war der Augenblick, auf den wir warteten und Tobias und ich benutzten ihn sogleich, indem wir uns aus dem Schuppen stahlen und in das Wäldchen eilten, welches gleich dahinterlag. Nach zehn Minuten erreichten wir einen offnen Platz, von welchem aus wir den Gebirgsvorsprung erkennen konnten, den wir zu ersteigen beabsichtigten; man konnte ihn durch den Regen dunkel erkennen und er war, wie wir glaubten, etwa eine englische Meile entfernt. Der direkte Weg dahin ging durch einen ziemlich bewohnten Theil der Bucht, aber da uns daran lag, die Eingebornen zu meiden und ungehindert das Gebirge zu erreichen, so [71] beschlossen wir einen Umweg durch ein weitgestrecktes Dickicht zu machen, um der Berührung mit ihnen gänzlich zu entgehen.

Der anhaltend gießende Regen begünstigte unser Unternehmen, da er die Insulaner in ihre Wohnungen trieb und ein zufälliges Zusammenstoßen mit ihnen verhinderte. Unsere schweren Röcke waren bald vollständig mit Wasser getränkt und verzögerten durch ihr Gewicht, vermehrt durch die unter ihnen verborgenen Gegenstände unser Fortkommen beträchtlich. Aber wir hatten keine Zeit zu verlieren, da wir jeden Augenblick von einem Trupp Wilder überrascht und gezwungen werden konnten, im Augenblicke der Ausführung unser Vorhaben aufzugeben.

Wir hatten, seitdem wir den Canoe-Schuppen verlassen, nicht eine Sylbe mit einander gesprochen; jetzt waren wir an eine zweite schmale Öffnung des Waldes gelangt und sahen wieder den Bergrücken vor uns, der sich schräg hinauf zum Hochgebirge erstreckte. Da faßte ich Tobias beim Arm und sagte mit gedämpfter Stimme: „Nun, Tobias, kein Wort, keinen Blick rückwärts, bis wir die Spitze jenes Berges erreicht haben! also nicht gezögert, sondern vorwärts so lange es irgend geht und in wenigen Stunden können wir fröhlich lachen! Du bist der leichteste und gewandteste, also Du voraus, ich folge!“

„Schon recht, Bruder,“ sagte Tobias, „Schnelligkeit [72] muß unser Spiel gewinnen; nur laß uns dicht zusammenhalten, das Übrige findet sich“; und damit schwang er sich mit der Leichtigkeit eines Rehes über einen Bach, der zu unsern Füßen hinrauschte und eilte raschen Schrittes vorwärts.

Als wir nahe am Bergrücken angekommen waren, wurden wir durch eine Menge gelben Rohres aufgehalten; es stand so dicht wie nur denkbar und war so zäh und ungefügig wie Stahl. Zu unserm großen Verdruß sahen wir endlich, daß es sich bis zur Hälfte der Anhöhe hinaufzog, die wir zu ersteigen beabsichtigten.

Einen Augenblick sahen wir uns nach einem wegsamern Punkte um; es wurde uns aber gleich klar, daß uns nichts übrig blieb, als dieses Dickicht von Zuckerrohr zu durchbrechen. Wir änderten nun unsere Stellung; ich, als der Stärkere und Schwerere, ging voran, in der Hoffnung, einen Weg durch diesen Wald zu brechen und Tobias schloß sich an mich an.

Ich machte zwei bis drei Versuche, mich zwischen das Zuckerrohr zu drängen und es zu biegen oder zu brechen, um vorwärts zu kommen, aber eben so gut hätte ein Frosch versuchen können, sich durch die Zähne eines Kammes zu drängen, und verzweifelt stand ich von meinem Vorhaben ab.

[73] Wüthend über ein Hinderniß, welches wir so wenig erwartet hatten, warf ich mich mit ganzer Gewalt gegen dasselbe und drückte mit meiner eignen Last die nächsten Rohre zu Boden, dann sprang ich wieder auf und wiederholte das Verfahren mit gleichem Erfolg. Zwanzig Minuten so angestrengter Arbeit erschöpften mich beinahe ganz, allein wir waren doch dadurch eine Strecke im Dickicht vorgedrungen. Bis dahin hatte Tobias die Früchte meiner Mühe geerntet, indem, er mir auf dem Fuße folgte; aber als er mich so erschöpft sah, erbot er sich den Pionierdienst zu übernehmen, um mir Zeit zu lassen, mich zu erholen. Er war aber so zart gebaut, daß es ihm nur schlecht gelang und bald mußte ich wieder an die Arbeit gehen.

Mit unendlicher Mühe ging es nur schrittweise vorwärts; der Schweiß troff in Strömen an uns herab, unsere Kleider und Hände waren an den Splittern des gebrochenen Rohres zerrissen; wir waren etwa bis in die Mitte des Dickichts vorgedrungen, als es plötzlich zu regnen aufhörte und die Luft unbeschreiblich dumpfig und schwül wurde. Die Elasticität des Rohres warf dasselbe in seine alte Stellung zurück, sobald der Druck unsers Gewichtes nachließ, so daß es uns den Weg wieder sperrte, wenn wir vorwärts drangen, und mithin das Bischen Luftzug vollends abschnitt, welches sonst vielleicht bis zu uns gedrungen wäre. Außerdem verhinderte seine Höhe, uns [74] irgendwie umzusehen, so daß wir nicht wußten, ob wir nicht vielleicht eine ganz falsche Richtung verfolgten.

Von meiner fortwährenden Anstrengung ermüdet und athemlos, fühlte ich mich durchaus unfähig zu weiterem Arbeiten. Ich wand den Ärmel meines Rockes aus und preßte seinen nassen Inhalt in meinen völlig ausgetrockneten Mund. Aber die wenigen Tropfen, die ich so erhielt, konnten mich nicht erquicken und ich sank einen Augenblick in eine Art mürrischer Gleichgültigkeit zusammen, aus welcher ich von Tobias aufgeschüttelt wurde, der mittlerweile einen Plan zu unserer Befreiung aus dem uns umgebenden Gewirre entworfen hatte.

Er hieb lustig mit seinem Seitenmesser um sich, kappte das Rohr rechts und links wie ein Mäher und hatte bald einen kleinen Platz um uns her frei gemacht. Dieser Anblick belebte mich wieder; ich zog mein eignes Messer und hieb und hackte um mich her ohne Gnade. Aber ach! je weiter wir kamen, desto dicker und stärker und, dem Anschein nach, auch desto unabsehbarer wurde das Rohr.

Ich fing an zu glauben, wir wären nicht übel in der Falle, und war beinahe überzeugt, daß wir ohne Flügel nie diesem Labyrinth würden entrinnen können, als ich plötzlich rechts durch das Rohr einen Lichtstrahl sah; ich machte Tobias darauf aufmerksam und nachdem wir mit neubelebtem Muthe bald eine Öffnung bis dahin gemacht [75] hatten, sahen wir uns plötzlich allen Leiden entronnen und zwar ganz in der Nähe des Bergrückens.

Nachdem wir einige Augenblicke ausgeruht hatten, fingen wir an, ihn zu ersteigen und nach einigem angestrengten Klettern waren wir fast an der Spitze desselben angekommen. Statt aber am Rande desselben hinzugehen, wo wir den Blicken der Wilden im Thale unten vollkommen ausgesetzt gewesen wären, die uns, wenn sie gewollt, dann leicht hätten abschneiden können, krochen wir vorsichtig auf Händen und Knieen, wie ein paar Schlangen durch das hohe Gras, welches uns den Blicken Aller entzog. Nach einer Stunde dieser nichts weniger als angenehmen Art vorwärts zu kommen, erhoben wir uns wieder und setzten nun kühn unsern Weg am Rande des Abhanges fort.

Der weitgestreckte Vorsprung des Hochgebirges, welcher die Bucht einschloß, erhob sich in einem scharfen Winkel aus dem Thale und hatte, mit Ausnahme einiger steiler Abhänge, das Ansehen einer schrägen Ebene, die sich von den fernen Höhen bis an die See herabzog. Wir erstiegen ihn nahe an seinem Ende, an seinem niedrigsten Punkte und nun lag unser Weg ins Gebirge deutlich vor uns, den scharfen Rücken des Vorsprungs entlang, der mit sanften Rasen bewachsen und oft nicht über wenige Fuß breit war.

Ermuthigt durch den guten Fortgang unsers Unternehmens [76] und gestärkt durch die schöne Luft, die wir jetzt einathmeten, setzten Tobias und ich in heiterster Stimmung unsern Weg den Bergrücken entlang rasch fort, als wir plötzlich das wilde Geschrei der Eingebornen im Thale vernahmen, die uns eben gesehen hatten und denen unsere Gestalten auf dem hellen Hintergrunde des Himmels deutlich hervortreten mußten.

Als wir ins Thal hinabblickten, sahen wir seine wilden Bewohner, als ob sie von einem plötzlichen Alarm aufgeschreckt worden wären, eilig hin und her rennen; sie kamen uns von unserer Höhe hinab wie Pygmäen vor und ihre weißgedeckten Häuser sahen wie Puppenhäuser aus. Mit einem eigenthümlichen Gefühl von Sicherheit betrachteten wir diese Insulaner; denn wir waren überzeugt, daß selbst im Falle einer Verfolgung, sie uns bei dem Vorsprunge, den wir hatten, erst im Hochgebirge würden erreichen können, wohin, wie wir wußten, sie nicht sehr gern vordringen würden.

Indeß hielten wir es doch für zweckmäßig, unsere Zeit zu benutzen, und eilten daher, wo es der Boden erlaubte, rasch den Bergrücken entlang, bis wir an einem steilen Felsen anhalten mußten, der anfänglich ganz geeignet schien, allen unsern Bestrebungen ein Ziel zu setzen. Indeß gelang es uns, nach vielem anstrengenden Klettern und nicht ohne große Gefahr die Hälse zu brechen, denselben [77] zu ersteigen, und nun eilten wir wieder mit unverminderter Schnelligkeit vorwärts.

Wir hatten den Strand am Morgen verlassen und befanden uns nun etwa drei Stunden vor Sonnenuntergang, nach ununterbrochenem, wenngleich oft schwierigem und gefährlichem Steigen, an dem anscheinend höchsten Punkte der Insel, auf einem ungeheuer überhängenden, mit Schmarotzerpflanzen bewachsenen Basaltfelsen. Wir mußten über dreitausend Fuß über der Meeresfläche sein, und die Landschaft nahm sich aus dieser Höhe unvergleichlich schön aus.

Die einsame Bucht von Nukuheva mit den schwarzen Schiffen des französischen Geschwaders lag ruhig ausgestreckt am Fuße des sie kreisförmig umgebenden Hochlandes, dessen grüne Seiten, hie und da von tiefen Schluchten und lachenden Thälern unterbrochen, die schönste Aussicht bildeten, die ich je gesehen hatte, und sollte ich hundert Jahre alt werden, ich würde dennoch das Gefühl anbetender Bewunderung nicht vergessen, das mich damals bewegte.


[78]
Capitel VII.

Jenseits der Berge – Täuschung – Inventur der vom Schiffe mitgebrachten Sachen – Theilung des Brotvorraths – Das Innere der Insel – Eine Entdeckung – Eine Schlucht und ein Wasserfall – Eine schlaflose Nacht – Neue Entdeckungen – Meine Krankheit – Eine marquesische Landschaft.

Meine Neugierde nach dem Charakter des Landes, an das wir jenseits der Berge gelangen würden, war in nicht geringem Grade rege geworden. Tobias und ich hatten geglaubt, daß wir gleich bei Ankunft auf der Bergspitze die Buchten von Happar und Typie auf der einen Seite zu unsern Füßen ausgestreckt sehen würden, wie die von Nukuheva es auf der andern war. Doch hierin hatten wir uns geirrt.

Statt die andere Seite des Berges, wie die, welche wir erklommen, in ein schönes großes Thal hinabgestreckt zu finden, sahen wir, daß dies Gebirge vielmehr, so weit das Auge reichte, den Charakter einer weitgestreckten Hochebene [79] beibehielt, die nur hie und da von einer Reihe von Bergrücken mit den dazwischen liegenden Thälern unterbrochen wurde, deren meist sehr abschüssige Seiten mit üppigem Grün bewachsen waren; auch sahen wir hie und da kleine Baumgruppen, unter welchen jedoch keine derjenigen Fruchtbäume waren, auf deren Segen wir zu unserer Erhaltung so sicher gerechnet hatten.

Dies war eine sehr unerwartete Entdeckung, die unsere Pläne gänzlich zu vernichten drohte, denn wir durften nicht daran denken, an der Seite von Nukuheva nach Nahrung hinabzusteigen. Sollten wir genöthigt sein, zu diesem Zwecke den Rückweg einzuschlagen, so liefen wir große Gefahr, auf Eingeborne zu stoßen, die, wenn sie uns nichts Schlimmeres anthaten, uns jedenfalls nach dem Schiffe zurückgebracht haben würden, um den Lohn in Cattun und Flitterkram zu verdienen, den unser Schiffer zweifelsohne für unsere Wiedereinbringung ausgesetzt hatte.

Was also sollten wir thun? Die Dolly würde vielleicht in den nächsten zehn Tagen nicht segeln, und wie sollten wir so lange unser Leben fristen? Ich bereute bitter, nicht einen Vorrath von Schiffszwieback mitgenommen zu haben, was so leicht hätte geschehen können. Mit kläglichem Gesichte gedachte ich jetzt der ärmlichen Handvoll Brot, die ich in meine Brusttasche gesteckt hatte, und ich war begierig, wie viel davon die etwas unzarte Behandlung beim Ersteigen [80] des Berges überlebt haben würde. Ich schlug daher Tobias vor, daß wir eine gemeinschaftliche Revision der mitgebrachten Dinge halten möchten. Zu diesem Ende setzten wir uns ins Gras und etwas gespannt, wie viel Umsicht mein Begleiter beim Füllen seiner Taschen, die eben so dickleibig waren wie die meinigen, entfaltet hätte, forderte ich ihn auf, mit Auskramen den Anfang zu machen.

Er griff also in den Busen und holte zuerst etwa ein Pfund Tabak heraus, dessen innere Theile zusammenhielten, während die Außenseite mit aufgeweichten Brodkrumen überzogen war. Es war triefend naß und sah aus, als sei es eben aus der Tiefe des Meeres hervorgeholt. Ich beachtete aber dieses, für unsere jetzige Lage so nutzlose Produkt nur wenig, sobald ich die Andeutungen gewahrte, die es von Tobias’ Vorsorge für eßbaren Proviant an sich trug.

Ich fragte eifrig, wie viel er mitgebracht? worauf er wieder eine Weile unter seiner Jacke umhergriff und eine Handvoll so weichen, teigigen und farblosen Stoffes zum Vorschein brachte, daß wir Beide anfänglich nicht begreifen konnten, wie dieser scheußliche Teig in seinem Busen möglicherweise hätte entstehen können. Ich kann ihn nur eine Composition von aufgeweichtem Brot und Tabaksstaub nennen, die durch die vereinten Einwirkungen von Schweiß und Regen diese zähe Consistenz erhalten hatte. Aber wenn [81] mir auch dieser schmierige Teig zu jeder andern Zeit abscheulich gewesen wäre, so betrachtete ich ihn doch jetzt als einen beneidenswerthen Schatz und sammelte ihn sorgfältig in einem großen Blatte, das ich von einem nahen Busche pflückte. Tobias sagte mir, er habe am Morgen zwei ganze Schiffszwiebacke eingesteckt, in der Absicht, sie während der Flucht zu genießen, wenn er Appetit bekäme. Aus diesen war also die zweideutige Masse entstanden, die ich so eben auf das Blatt gethan hatte.

Ein neuer Griff in den Rock, und vier bis fünf Ellen Cattun entfalteten sich vor unsern Blicken, deren geschmackvolles Muster durch das Tabaksdecoct, das es durchzogen, nicht übel zugerichtet worden war. Als Tobias diesen Cattun langsam Zoll für Zoll hervorzog, sah er fast aus wie ein Hanswurst, der das Kunststückchen mit dem nie endenden Bande macht. Das Nächste war, was die Matrosen ihren „Krambeutel“ nennen, welcher Faden, Zwirn, Nadeln und andere Nähartikel enthält; dann kam ein Rasirzeug und endlich zwei bis drei Stückchen Kautabak, welche vom Boden der nun ausgeleerten Tasche hervorgeholt wurden.

Wie man sich nach dem Zustande der von Tobias mitgebrachten Eßwaaren denken kann, war mein Vorrath von einer noch schrecklichern Beschaffenheit und namentlich auf eine so kleine Menge eingeschrumpft, daß ein hungriger [82] Mensch kaum einige Mundvoll gehabt haben würde, selbst wenn er sich nichts daraus gemacht hätte, diese tabakshaltige Substanz zu verzehren. Also dies Bischen Brot, einige Ellen Cattun und ein paar Pfund ausgesuchter Rollentabak bildeten meinen Vorrath.

Aus allen diesen Dingen machten wir nun ein kleines Bündel, welches wir abwechselnd tragen wollten. Die traurigen Überreste des Zwiebacks durften wir nicht geradezu wegwerfen, denn wir betrachteten sie in unsrer eigenthümlichen Lage als das, wovon vielleicht der ganze Ausgang unsers Abenteuers abhängig war. Nach einer kurzen Erörterung, in welcher wir beide unsern festen Entschluß ausgesprochen hatten, vor Abfahrt des Schiffes nicht nach der Bucht hinabzusteigen, schlug ich vor, daß wir den Brotvorrath, so gering er auch war, in sechs gleiche Theile theilen möchten, und ein Theil davon die tägliche Portion für uns Beide sein sollte. Hierauf ging Tobias ein und ich fing an, die genaue Theilung vorzunehmen, nachdem ich mein Halstuch zur Aufnahme der einzelnen Theile in sechs gleiche Stücke zerschnitten hatte.

Anfänglich wollte Tobias mit einem, meiner Ansicht nach höchst unzeitigen Hochmuth die Tabakstheilchen, die der Teig enthielt, herauslesen, dem aber widersetzte ich mich, weil dadurch die Menge um ein Bedeutendes vermindert worden wäre.

[83] Nach vollendeter Theilung fanden wir, daß eine Tagesration für uns Beide nicht vielmehr als ein guter Eßlöffel voll war. Jede einzelne Portion ward nun in den dazu bestimmten seidenen Flecken gewickelt, dann aus den einzelnen Päckchen ein kleines Packet gemacht, und dieses übergab ich der Obhut des Tobias mit einer feierlichen Ermahnung zur Treue. Wir beschlossen, den Rest dieses Tages zu fasten, weil wir uns am Morgen an einem Frühstück gestärkt hatten. Nun begannen wir uns nach einem Obdach für die Nacht umzusehen, welche nach den Anzeichen am Himmel dunkel und stürmisch zu werden drohte.

In unsrer Nähe fanden wir kein Plätzchen, welches diesem Zwecke irgendwie entsprechen konnte; daher wandten wir uns von Nukuheva weg und fingen an die uns noch unbekannte Gegend zu untersuchen.

Nach dieser Seite hin war, so weit das Auge reichte, nicht ein Zeichen von Leben, nicht das Geringste, was auch einen nur vorübergehenden Aufenthalt menschlicher Wesen bekundet hätte, zu erspähen. Die ganze Gegend schien eine ununterbrochene Einöde, und das Innere der Insel war augenscheinlich seit Anbeginn der Welt unbewohnt gewesen. Als wir in dieser Wildniß fortwanderten, klangen uns unsere eignen Stimmen fremdartig, als ob noch nie eine menschliche Stimme die unheimliche Stille dieses Ortes unterbrochen hätte, die nur durch [84] das leise Murmeln eines entfernten Wasserfalles gestört wurde.

Unser Ärger darüber, daß wir die Fruchtbäume, auf die wir gerechnet hatten, nicht fanden, wurde übrigens durch den Gedanken bedeutend vermindert, daß wir dann auch viel weniger Gefahr liefen, zufällig auf Wilde zu stoßen, da diese bekanntlich nur im Schatten derjenigen Bäume sich aufhalten, die ihnen Nahrung geben.

Wir wanderten immer weiter und warfen spähende Blicke in jedes Gebüsch, an dem wir vorbeikamen, bis ich, als wir eben einen der vielen Bergrücken, die die Ebene unterbrachen, erklommen hatten, plötzlich vor mir im Grase etwas entdeckte, welches einem halbverwischten Fußsteig sehr ähnlich sah, der den Bergrücken entlang kam und in eine tiefe Schlucht sich zu verlieren schien, welche etwa eine halbe englische Meile vor uns lag.

Robinson Crusoe kann über den Fußtapfen im Sande nicht heftiger erschrocken sein, als wir über diese höchst unwillkommene Entdeckung. Mein erster Gedanke war, so schnell wie möglich uns zurückzuziehen und unsre Schritte nach einer andern Richtung zu lenken; aber unsre Neugierde, zu sehen, wohin der Steig führen könnte, trieb uns, ihn zu verfolgen. Wir gingen also vorwärts; die Spur wurde immer deutlicher, bis sie am Rande der Schlucht plötzlich abbrach.

[85] „Also,“ sagte Tobias und blickte in den Schlund hinab, „Jeder, der diesen Weg wandert, macht hier einen Sprung, he?“

„Ich glaube nicht,“ sagte ich, „denn ich denke, man kann auch ohnedies hinunterkommen; was meinst Du, probiren wir das Kunststück?“

„Und was glaubst denn Du, beim Kuckuck, das da unten in dem Loche zu holen ist, außer einem zerbrochenen Genick? – es sieht, weiß Gott, finstrer aus als unser Schiffsraum, und das Gebrüll der Wasserfälle genügt, um Einen verrückt zu machen.“

„Bewahre Gott, Tobias,“ rief ich lachend, „aber es muß da etwas zu sehen sein, das ist klar, sonst wäre kein Steig da, und ich will ausfindig machen, was es ist.“

„Und ich will Dir einmal was sagen, närrischer Kerl,“ antwortete Tobias rasch, „wenn Du in Alles und Jedes Deine Nase stecken willst, was Deine Neugierde erregt, so wirst Du bald was auf den Kopf kriegen; ehe Du Dich dessen versiehst, bautz bist Du auf Deinen Entdeckungsfahrten mitten in einem Haufen von Wilden, das ist mal gewiß, und ich zweifle sehr, ob Dir das so ausnehmend gefallen würde. Nimm diesmal wenigstens Vernunft an, also gewendet und einen andern Kurs gesteuert! überdies ist’s spät und wir müssen doch irgendwo für die Nacht vor Anker gehen!“

[86] „Das ist’s ja eben, was ich will,“ erwiderte ich, „und ich denke, diese Schlucht wird gerade unserm Zweck entsprechen; denn sie ist geräumig, abgelegen, hat gutes Wasser und kann uns vor’m Wetter schützen.“

„Ja, und vor’m Schlaf dazu,“ sagte Tobias mit augenscheinlichem Widerwillen gegen den Gedanken, „und Schnupfen und Rheumatismus werden wir auch gerade genug in den Kauf kriegen.“

„Gut, mein Junge,“ sagte ich, „da Du nicht mit willst, so gehe ich allein; morgen früh bin ich wieder bei Dir.“ Darauf ging ich an den Rand des Felsens und begann mich an den Ranken und Sträuchern herabzulassen, die alle Vorsprünge und Kanten bedeckten. Wie ich vorausgesehen hatte, folgte Tobias, trotz seiner frühern Einwendungen, meinem Beispiel. Mit der Leichtigkeit eines Eichkätzchens schwang er sich von Spitze zu Spitze, hatte mich sehr bald überholt und war im Grunde angelangt, ehe ich noch zwei Drittheile des Weges zurückgelegt hatte.

Der Anblick, der unten unsrer harrte, wird mir immer lebhaft vor Augen stehen. Aus fünf verschiedenen Felsenschluchten stürzten ebenso viele schäumende Ströme, vom jüngsten Regen doppelt angeschwellt, vereinigten sich zu einem rasenden Sturz von wol achtzig Fuß, rauschten mit Donnergewalt in ein tiefes schwarzes Loch, welches im finstern Felsen ausgehöhlt war, bildeten dann eine Gesammtmasse [87] und ergossen sich wüthend einen schrägen Canal hinab, der bis in die innersten Eingeweide der Erde zu dringen schien. Über uns hingen riesige Baumwurzeln von den Felsen herab, welche vom Regen und dem Spritzschaum des Wasserfalles troffen und von der Gewalt des brausenden Stromes zitterten. Es war nun Sonnenuntergang und das schwache unbestimmte Licht, welches bis in diese Höhlen und waldigen Tiefen drang, erhöhten das Fremdartige ihres Anblicks und mahnten uns, daß wir in kurzer Zeit uns in gänzlicher Finsterniß befinden würden.

Sobald ich meine Neugierde in Betrachtung dieser Umgebung befriedigt hatte, sann ich darüber nach, wie wir wohl die Spur, die uns an diesen sonderbaren Ort gebracht, für einen Weg hätten halten können, und ich fing an zu vermuthen, daß ich mich in der Annahme, die Spur rühre von Insulanern her, doch wohl geirrt haben könnte. Dies war kein unangenehmer Gedanke, denn er verminderte unsere Furcht vor einem zufälligen Zusammentreffen mit ihnen, und am Ende sah ich ein, daß wir eigentlich gar keinen bessern Schlupfwinkel hätten finden können, als diesen, dem uns der Zufall zugeführt hatte. Hierin gab mir Tobias Recht und wir fingen gleich an, die zerstreut umherliegenden Äste zu sammeln, um eine Hütte für die Nacht daraus zu machen. Diese mußten wir dicht am Fuße des Wasserfalls bauen, denn der Strom streifte [88] beinahe beide Seiten der Schlucht. Die wenigen Augenblicke, wo wir noch Tageslicht hatten, wandten wir an, um unsere Hütte mit einer Art von breitblätterigem Grase zu decken, welches in jeder Spalte der Schlucht wuchs. Unsere Hütte, wenn ich sie so nennen darf, bestand aus sechs oder acht der geradesten Äste, die wir finden konnten, und welche wir schräg an die steile Felswand lehnten, so daß das untere Ende derselben kaum zwei Fußbreit vom Rande des Stromes stand. Wir krochen in den so bedeckten Raum und streckten unsere müden Glieder, so gut es gehen wollte.

Werde ich je die schreckliche Nacht vergessen? Dem armen Tobias konnte ich kaum eine Sylbe entlocken. Es wäre mir ein Trost gewesen, seine Stimme zu hören, allein er lag oder saß die ganze lange Nacht, seine Kniee bis ans Kinn in die Höhe gezogen, mit dem Rücken gegen die feuchte Felswand gelehnt, und zitterte, als wenn ihn der Schlag gerührt hätte. In dieser schaurigen Nacht schien nichts zu unserm vollkommenen Elend zu fehlen. Der Regen goß in solchen Strömen herab, daß unser elendes Obdach mir wie ein Hohn vorkam. Vergebens suchte ich mich vor den unaufhörlichen Güssen zu schützen, die mich überrieselten; wenn ich eine Stelle schützte, setzte ich die andere nur um so mehr dem Wasser aus, welches sich immer neue Öffnungen machte, um uns zu durchweichen.

[89] Ich habe in meinem Leben manche nasse Jacke gehabt und frage in der Regel nicht viel danach, allein die aufgehäuften Schrecken dieser Nacht, die Todtenkälte des Ortes, die fürchterliche Finsterniß und der Gedanke an unsere traurige Lage überhaupt, entmannte mich beinahe.

Man wird nicht bezweifeln, daß wir den nächsten Morgen früh auf waren und sobald ich nur den ersten Schein eines Lichtstrahles sah, schüttelte ich meinen Begleiter beim Arm und sagte ihm, es sei Sonnenaufgang. Der arme Kerl hob den Kopf in die Höhe und nach einer kurzen Pause sagte er mit dumpfer Stimme: „Dann bin ich blind geworden, denn es scheint mir jetzt bei offenen Augen dunkler, als vorhin bei geschlossenen.“

„Unsinn!“ rief ich, „Du bist bloß noch nicht wach.“

„Wach!“ brüllte Tobias wüthend, „willst Du damit etwa sagen, daß ich geschlafen hätte, was? Es ist eine Beleidigung, zu glauben, daß ein Mensch in solch’ ’ner Hölle schlafen könnte.“

Während ich mich bei meinem Freunde für die irrige Auslegung seines Schweigens entschuldigte, wurde es etwas heller und wir krochen aus unserm Lager hervor. Der Regen hatte aufgehört, aber Alles troff noch um uns her. Wir zogen unsere durchweichten Kleider aus und wanden sie so viel wie möglich aus. Es gelang uns, durch starkes Reiben unser Blut ein wenig wieder in Umlauf zu [90] bringen und nachdem wir uns im Strome gewaschen und unsre noch nassen Kleider wieder angezogen hatten, fanden wir es rathsam, etwas zu genießen, da wir nun gerade vierundzwanzig Stunden gefastet hatten.

Demgemäß nahmen wir unsre Tagesration heraus, nahmen auf einem Felsblocke Platz und fingen an sie zu theilen; erst in zwei gleiche Theile, wovon einer zum Abendessen wieder eingewickelt und aufbewahrt wurde, und dann die Hälfte wieder in zwei möglichst gleiche Theile; dann loosten wir um die Wahl. Ich hätte den mir zufallenden Theil auf eine Fingerspitze legen können, aber nichtsdestoweniger richtete ich es so ein, daß volle zehn Minuten verstrichen, ehe ich den letzten Krummen verschluckte. Wie ist das Sprüchwort doch wahr: „Hunger ist der beste Koch!“ Diese wenige erbärmliche Nahrung hatte eine Würze und einen Geschmack, den zu einer andern Zeit das schönste Gericht nicht für mich gehabt haben würde. Ein reichlicher Trunk vom klaren Wasser zu unsern Füßen vollendete unsre Mahlzeit, dann erhoben wir uns neu belebt und für etwaige Begegnisse gestärkt.

Nun untersuchten wir genau den Schlund, in welchem wir die Nacht zugebracht hatten. Wir überschritten den Strom und erreichten die andere Seite des Loches, dessen ich vorhin erwähnte, wo wir Zeichen fanden, die verriethen, daß Jemand den Ort kurz vor unsrer Ankunft besucht [91] haben müsse. Weitere Beobachtungen überzeugten uns, daß der Ort regelmäßig besucht werde, und zwar, wie wir aus gewissen Zeichen schlossen, um eine besondere Wurzel zu bekommen, aus welcher die Wilden eine Art Balsam ziehen.

Diese Entdeckungen bestimmten uns, sogleich einen Ort zu verlassen, der nur den Vorzug der Sicherheit für uns gehabt hatte; nach langem Suchen fanden wir endlich einen ziemlich wegsamen Punkt, um die Felsen ersteigen zu können, und nach einer halben Stunde angestrengten Kletterns standen wir wieder auf der Spitze desselben Abhanges, von welchem wir Abends zuvor hinabgestiegen waren.

Ich schlug nun Tobias vor, statt auf der Insel umherzuwandern und uns auf jedem Schritt dem Entdecktwerden auszusetzen, lieber einen bestimmten Aufenthaltsort zu wählen, wo wir, so lange unsere Nahrung ausreiche, bleiben, uns eine Hütte bauen und so vorsichtig und umsichtig wie möglich sein wollten. Mein Begleiter war mit Allem einverstanden und wir gingen daher gleich ans Werk.

In dieser Absicht überstiegen wir, nach vergeblicher Untersuchung einer kleinen Schlucht in der Nähe, mehrere der Bergrücken, deren ich gedacht habe, und befanden uns etwa um Mittag am Fuße einer langen schräg aufsteigenden Ebene, ohne jedoch bis dahin einen zu unserm Vorhaben geeigneten Platz gefunden zu haben. Schwere niedrighängende [92] Wolken drohten ein nahes Ungewitter und wir eilten daher, den Schutz einer Gruppe dichten Gebüsches zu erreichen, welche die lange Steigung zu begrenzen schien. Wir streckten uns unter dem Busche hin, rauften eine Menge langes Gras, welches umher wuchs, ab und bedeckten uns dicht mit demselben. So erwarteten wir das Unwetter.

Es kam aber nicht so schnell, wie wir erwartet hatten, und nach wenigen Minuten war Tobias fest eingeschlafen und auch ich ging diesem Zustande glücklichen Vergessens rasch entgegen. Aber wie ich eben in diesem Übergang war, fing der Regen auf eine Weise an zu stürzen, die jeden Gedanken an Schlaf verscheuchte. Obgleich wir ziemlich geschützt waren, vergingen doch nur wenige Minuten, ehe unsere Kleider so naß wie je waren, was allerdings nach der Mühe, die wir uns gegeben hatten, sie zu trocknen, ärgerlich genug war, aber es war doch nun nicht zu ändern und ich empfehle allen kühnen Jünglingen, die ihre Schiffe in einem romantischen Lande während der Regenzeit verlassen wollen, doch ja sich mit Regenschirmen zu versehen.

Nach etwa einer Stunde hörte der Regenschauer auf. Tobias verschlief ihn ganz oder that wenigstens so, und nun er vorbei war, hatte ich nicht das Herz, ihn zu wecken. Wie ich so auf dem Rücken lag, durchaus unter Grün begraben, die belaubten Äste über mir und unter der Grasdecke hingestreckt, konnte ich nicht umhin, unsre Lage [93] mit der der lieblichen Kinder im Walde zu vergleichen. „Armen Kleinen! Ich begreife wol, daß Eure Kräfte brachen unter den Leiden, denen Ihr ausgesetzt waret.“

Während der Stunden, die ich unter dem Schutze dieses Gebüsches zubrachte, begann ich Symptome zu fühlen, die ich sogleich den Einwirkungen der letzten Nacht zuschrieb. Kalte Schauer und Anflüge von Fieberhitze wechselten mit einander ab, während eines meiner Beine so anschwoll und mich so schmerzte, daß ich glaubte, von einer giftigen Schlange gestochen zu sein, die unser letztes Nachtlager getheilt haben mochte. Ich bemerke hier beiläufig, was ich später erst erfuhr, daß die sämmtlichen Polynesischen Inseln, gerade wie Irland, in dem Ruf stehen, keine giftigen Reptilien zu haben, ob sie aber je von St. Patrick[2] besucht worden sind, lasse ich dahin gestellt sein.

Beim Zunehmen des Fiebers warf ich mich umher, entfernte mich aber einige Ellen weit von Tobias, den ich immer noch nicht stören wollte. Zufällig bog ich einen Ast zur Seite, wodurch plötzlich ein Anblick vor mir enthüllt wurde, dessen ich mich noch jetzt mit der Lebhaftigkeit des ersten Eindrucks erinnere. Hätte ich einen Blick ins Paradies thun dürfen, er hätte mich nicht höher entzücken können.

Von dem Fleck aus, wo ich in Überraschung und Entzücken [94] festgebannt lag, sah ich gerade hinab in den Schoos eines Thales, welches sich in langen Wellenlinien bis an den blauen Ocean in der Ferne hinzog. Auf halbem Wege zur See sah man die Palmendächer der Wohnungen der Eingebornen hie und da durchs Laub blicken und in der Sonne glitzern, die sie blendend weiß gebleicht hatte. Das Thal war über drei englische Meilen lang und an der breitesten Stelle etwa eine Meile weit.

Zu beiden Seiten war es von steilen grünen Abhängen begrenzt, welche sich nahe an dem Orte, wo ich lag, zu einem Halbkreise von grasbewachsenen Felsen schlossen, über die hinab zahllose Cascaden hüpften. Doch die Hauptschönheit der Aussicht war das reiche Grün von allen Seiten, und hierin, glaube ich, liegt der eigenthümliche Reiz aller polynesischen Landschaften. Überall unter mir, vom Fuße des Abhanges, an dessen jähem Rand ich unbewußt gelegen hatte, bis in die weiteste Ferne zeigte sich eine solche Masse von Laub in so reichlichem Überfluß, daß man unmöglich bestimmen konnte, welche Baumarten es waren.

Nichts aber machte einen schönern Eindruck auf mich, als diese stillen Wasserfälle, deren schlanke Wasserfäden, von Fels zu Fels hüpfend, sich endlich in dem Grün des Thales verliefen.

Über die ganze Landschaft war das tiefste Schweigen verbreitet, welches ich mich fast zu brechen scheute, aus [95] Furcht, eine einzige Sylbe könne den Zauber lösen, wie in den Gärten der Feenmährchen. Lange Zeit blieb ich in den Anblick versunken, ohne weder an meine eigne Lage, noch an meinen schlafenden Cameraden zu denken, denn ich konnte kaum begreifen, wie sich so plötzlich dies Schauspiel vor meinem entzückten Auge aufgethan.


[96]
Capitel VIII.

Die wichtige Frage: Typie oder Happar? – Vergebliche Bemühungen – Meine Leiden – Entmuthigende Lage – Eine Nacht in einer Höhle – Morgenbrot – Glücklicher Einfall des Tobias – Reise nach dem Thal.

Als ich mich von meinem Erstaunen über die reizende Gegend vor mir erholt hatte, weckte ich schnell den Tobias und theilte ihm meine Entdeckung mit. Wir gingen nun zusammen bis an den Rand des Abhanges und meines Begleiters Bewunderung kam der meinigen gleich. Einige Überlegung verminderte übrigens die Freudigkeit unserer Überraschung über die Nähe dieses Thales, denn die Thäler von Happar und Typie, welche auf dieser Seite von Nukuheva lagen und sich eine ziemliche Strecke ins Land hineinziehen sollten, mußten etwa hier endigen.

Nun war die Frage, auf welchen der beiden Plätze wir eigentlich hinabsahen. Tobias behauptete, das Thal sei von Happars bewohnt, ich aber war der Meinung, es sei [97] das Thal ihrer grimmigen Feinde, der Typies. Ich war allerdings meiner Sache nicht ganz gewiß, aber Tobias’ Vorschlag, ohne Weiteres ins Thal hinabzusteigen und Gastfreundschaft zu erbitten, schien mir denn doch zu gewagt auf eine bloße Vermuthung hin, und ich beschloß, mich demselben zu widersetzen, bis wir genauer unterrichtet sein würden.

Der Zweifel war eine Lebensfrage für uns, denn die Eingebornen von Happar hatten nicht allein Frieden mit denen von Nukuheva, sondern standen sogar im allerfreundlichsten Vernehmen mit denselben; auch standen sie im Ruf eines sanften menschenfreundlichen Charakters, der uns, wenn auch nicht eine herzliche Aufnahme, doch ein Obdach bei ihnen erwarten ließ während der kurzen Dauer unsers Aufenthalts auf ihrem Gebiet.

Auf der andern Seite ward bei dem bloßen Namen Typie mein Herz von einem Schrecken ergriffen, den ich nicht einmal zu verbergen versuchte. Der Gedanke, uns diesen grausamen Wilden freiwillig in die Hände zu geben, schien mir geradezu Tollheit zu sein; und fast ebenso unsinnig schien es mir, uns in das Thal zu wagen, ohne genau zu wissen, von welchem der beiden Stämme es bewohnt sei. Daß das Thal zu unsern Füßen von einem derselben besessen wurde, schien uns ganz außer allem Zweifel, da wir wußten, daß ihre Wohnungen in dieser Richtung [98] von Nukuheva wären, ohne jedoch weitere Nachrichten über dieselben zu besitzen.

Mein Begleiter aber, welcher der versuchenden Aussicht auf reichliche Nahrung und andere Freuden, die das Thal bot, nicht widerstehen konnte, blieb fest bei seiner unüberlegten Ansicht und all mein Zureden, um sie wankend zu machen, war vergeblich. Wenn ich ihm die Unmöglichkeit vorhielt, daß Einer von uns irgend etwas Bestimmtes wissen könnte, und wenn ich das schreckliche Schicksal ausmalte, das uns erwartete, falls wir unüberlegterweise ins Thal hinabstiegen und zu spät unsern Irrthum entdeckten, so setzte er dem eine Aufzählung aller Übel unserer gegenwärtigen Lage entgegen und aller der Leiden, die wir noch würden zu ertragen haben, wenn wir blieben, wo wir wären.

In der Absicht, ihn von dem Gegenstande abzulenken, da ich sah, daß es vergeblich sei, seinen Sinn beugen zu wollen, lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf eine lange schöne unbewaldete Landstrecke, welche von den Höhen im Innern herabkam und ins Thal vor uns sich hinabsenkte. Dann machte ich ihn darauf aufmerksam, wie hinter diesem Bergrücken leicht ein geräumiges unbewohntes Thal sein könne, wo Früchte aller Art im Überfluß wären, denn ich hatte gehört, es gäbe einige solche, und schlug vor, wir möchten versuchen, es zu erreichen, und fänden wir es unsern [99] Erwartungen entsprechend, wollten wir gleich uns dort niederlassen und so lange bleiben, als es uns gefiele.

Er beruhigte sich bei dem Vorschlage und wir begannen sogleich das vor uns liegende Land zu untersuchen, in der Absicht, den günstigsten Weg zu unserm Ziele einzuschlagen; allein wir hatten wenig Wahl, denn der ganze Zwischenraum war von steilen Klippen mit dazwischenliegenden finstern Schluchten durchzogen und zwar so, daß sie alle parallel quer über unseren direkten Weg lagen. Alle diese Klippen und Schluchten hatten wir zu übersteigen und zu durchschreiten, ehe wir zu unserm Ziele gelangen konnten.

Eine mühsame Reise! Aber wir entschlossen uns, sie zu unternehmen, obgleich ich für meinen Theil sehr wenig Kraft fühlte, ihre Strapazen zu ertragen, da ich abwechselnd von Fieberfrost geschüttelt und von der glühendsten Hitze überfallen wurde; anders kann ich die verschiedenen Empfindungen nicht bezeichnen, denen ich ausgesetzt war; auch litt ich große Schmerzen in meinem gelähmten Bein. Hierzu kam noch die Schwäche in Folge unsrer entsetzlich schmalen Kost, ein Leiden, welches Tobias in gleichem Maße zu ertragen hatte.

Diese Umstände erhöhten übrigens nur mein Verlangen, einen Ort zu erreichen, der uns Fülle und Ruhe verhieß, ehe sich mein Zustand vielleicht so verschlimmerte, daß es mir unmöglich würde, den Weg dahin überhaupt [100] zu unternehmen. Demgemäß begaben wir uns sogleich auf denselben, indem wir die fast senkrechte Seite einer engen Schlucht hinabkletterten, die uns einen Wald von dichtgewachsenem Rohr entgegenstellte. Es gab nur eine Art vorwärts zu kommen. Wir setzten uns auf den Boden und glitten hinab, während wir uns am Rohre festhielten und lenkten. Die Schnelligkeit dieser Art des Hinabsteigens brachte uns sehr bald an einen Punkt, wo wir von unsern Füßen wieder Gebrauch machen konnten und in wenigen Minuten standen wir am Rande des Stromes, der in der Tiefe der Schlucht ihrer Länge nach dahinras’te.

Nach einem erquickenden Trunk aus demselben machten wir uns an ein noch viel schwierigeres Unternehmen, als das letzte. Jeder Fußbreit unsers letzten Herabsteigens mußte auf der entgegengesetzten Seite der Schlucht wieder erklommen werden, was durch den Umstand noch unangenehmer gemacht wurde, daß diese senkrechten Strecken unsers Weges uns unserm Ziele kaum um hundert Ellen näher brachten. Aber wie undankbar auch die Aufgabe war, so machten wir uns doch mit musterhafter Geduld daran, und nach einer oder anderthalb Stunden hatten wir, mit der Langsamkeit der Schnecken, endlich etwa die Hälfte der zu ersteigenden Höhe erreicht, als plötzlich mein Fieber, das mich eine Zeitlang verlassen hatte, mit solcher Wuth und von einem so rasenden Durst begleitet zurückkehrte, daß [101] Tobias aller seiner Überredungsgabe bedurfte, um mich zu verhindern, alle Früchte meiner letzten Bemühungen aufzugeben und nach dem Wasser, welches unten so verführerisch floß, über alle die Klippen wie wahnsinnig zurückzueilen, die wir so eben erklommen hatten. In dem Augenblicke schienen alle meine Hoffnungen und Befürchtungen in diesem einen Wunsche aufzugehen, und ich war ganz gleichgiltig gegen die möglichen Folgen seiner Erfüllung. Ich kenne kein Gefühl, weder der Freude noch der Trauer, welches Einen so gänzlich der Macht beraubt, seinen Antrieben zu widerstehen, wie dieser höllische Durst.

Tobias beschwor mich auf das Dringendste, doch fortzufahren im Emporklimmen; wenige Anstrengung, sagte er, würde uns bis an die Spitze bringen und dann wären wir in weniger als fünf Minuten am Flusse, der doch nothwendig auf der andern Seite der Felsen fließen müßte.

„Kehre nicht um,“ rief er, „ich beschwöre Dich, da wir einmal so weit gekommen sind, denn ich weiß bestimmt, weder Du noch ich werden Muth genug haben, zum zweiten Male diese Höhe zu erklimmen, wenn wir noch ein Mal von unten nach dem Punkte hinaufblicken würden, an dem wir jetzt stehen.“

Ich war noch nicht besinnungslos genug, um diesen Vorstellungen mein Ohr zu verschließen, und quälte mich daher weiter aufwärts, indem ich vergebens versuchte, [102] meinen fürchterlichen Durst durch den Gedanken zu lindern, daß ich ihn bald nach Herzenslust würde stillen können.

Endlich erreichten wir den Gipfel der zweiten Höhe, der höchsten der beschriebenen Parallel-Felsenlinien, die zwischen uns und dem Thale lagen, welches wir zu erreichen wünschten. Von hieraus übersah man die ganze zurückzulegende Strecke, und entmuthigt, wie ich durch andere Umstände war, brachte mich diese Aussicht vollends zur schrecklichsten Verzweiflung. So weit das Auge reichte, nichts als finstere schreckliche Schluchten, steile scharfzackige Felsen, und senkrechte Klippenwände dazwischen! Hätten wir von Spitze zu Spitze über diese steilen, aber engstehenden Klippen schreiten können, so würden wir leicht die Strecke zurückgelegt haben, aber wir hatten bis zur tiefsten Tiefe jeden dieser gähnenden Schlünde hinabzusteigen und nach einander jede einzelne der vor uns liegenden Klippenwände zu erklimmen. Selbst Tobias, der doch nicht so leidend war wie ich, blieb nicht gleichgiltig bei den entmuthigenden Eindrücken dieses Anblicks.

Aber wir verloren nicht lange Zeit mit Betrachtung desselben, da ich unbeschreiblich ungeduldig war, den Strom unter uns zu erreichen. Mit einer Gefühllosigkeit gegen jede Gefahr, deren ich jetzt nicht ohne Schaudern gedenken kann, stürzten wir der Tiefe der Schlucht zu, weckten jeden Augenblick die Echos ihrer wilden Einsamkeit durch die [103] hinabstürzenden Felsbröckel, welche unser Fuß losbrach, wenn wir gegen die Unsicherheit unsrer Schritte völlig gleichgiltig, uns tollkühn kleinen Wurzeln und Zweigen anvertrauten, ohne zu wissen, ob sie uns im Vorübereilen würden tragen können oder ob sie vielleicht verrätherisch unter unsern Händen brechen müßten. Ich meinestheils wußte kaum, ob ich hülflos aus der Höhe von Spitze zu Spitze hinabstürzte oder ob die furchtbare Schnelligkeit, mit der ich hinabstieg, ein Werk meiner eignen Willenskraft war.

In wenigen Minuten erreichten wir die Tiefe des Schlunds und ich beugte mich von einem überhängenden Felsenvorsprung über den Strom. Welch’ ein köstliches Gefühl durchströmte mich da! Einen Augenblick zögerte ich, um meine ganze Genußfähigkeit zu sammeln, und dann tauchte ich meine heißen Lippen in das klare Wasser. Wären die sodomitischen Äpfel in meinem Munde zu Asche geworden, ich hätte nicht eine vollständigere Austrocknung empfinden können. Ein einziger Tropfen der kalten Flüssigkeit schien jeden Blutstropfen in mir zu erstarren; die Fieberhitze, die mich förmlich ausgebrannt hatte, wich augenblicklich aus meinen Adern und machte einem wahren Todtenschauer Platz, der mich ergriff und wie mit elektrischen Schlägen schüttelte, während der Schweiß, den meine heftige Anstrengung hervorgebracht, zu eisigen [104] Tropfen auf meiner Stirn gerann. Mein Durst war vergangen und ich empfand einen tiefen Abscheu vor dem Wasser. Ich sprang auf und hatte beim Anblick dieser feuchten Felsen, aus deren Spalten überall Wasser sickerte und zwischen denen der schwarze Strom dahinschoß, unter neuen heftigen Frostanfällen einen ebenso räthselhaften Drang, den Sonnenstrahlen entgegenzuklettern, als ich vorhin empfand, in die Schlucht hinabzugelangen.

Nach zwei Stunden der gefährlichsten Anstrengung standen wir auf dem Gipfel einer neuen Felswand und nur mit Mühe konnte ich begreifen, daß wir durch den schwarzen klaffenden Schlund hinter uns wirklich hindurchgedrungen seien. Wieder blickten wir auf die Umgebung, die man übersehen konnte, und sie war ebenso entmuthigend, wie die frühere.

Nun fühlte ich, daß es in unserer jetzigen Lage vergeblich sein würde, bei der Hoffnung zu beharren, die vor uns liegenden Hindernisse zu besiegen, und ich gab den Gedanken auf, das jenseits derselben liegende Thal zu erreichen, während ich doch keine Ahnung hatte, wie es uns eigentlich gelingen sollte, aus unserer schwierigen Lage zu kommen.

Es fiel mir nicht einen Augenblick ein, nach Nukuheva zurückzukehren, ehe wir der Abfahrt des Schiffes gewiß waren, und es ist auch sehr zu bezweifeln, ob wir es hätten [105] erreichen können, da uns eine unberechenbare Entfernung von dort trennte, und überdies unser Örtlichkeitsgedächtniß durch unsere letzten Wanderungen wol sehr verblüfft sein mochte. Übrigens war auch der Gedanke unerträglich, durch die Rückkehr alle unsre Mühe und Noth nutzlos zu machen.

Es giebt kaum Etwas, was Einem in einer schwierigen Lage mehr Abscheu einzuflößen geeignet wäre, als der Gedanke, geradezu umzukehren und mit Vorbedacht den schon betretenen Weg wieder zurückzumachen; namentlich wenn man irgend Liebhaber vom Abenteuerlichen ist, wird ein solcher Entschluß entschieden verwerflich erscheinen, so lange noch die geringste Hoffnung bleibt, durch noch unbestandene Abenteuer sich zu helfen.

Dies Gefühl trieb uns, die entgegengesetzte Seite der eben erstiegenen Klippenreihe hinabzuklettern, obgleich es uns schwer geworden sein würde, unsere eigentliche Absicht dabei zu sagen.

Ohne ein Wort zu wechseln gaben wir, Tobias und ich, einstimmig den Plan auf, der uns so weit gelockt hatte, indem wir Einer im Gesichte des Andern den verzweifelnden Ausdruck erblickten, welcher beredter war, als Worte.

Am Ende dieses mühsamen Tages standen wir Beide in der Tiefe der dritten Schlucht, durchaus unfähig zu [106] irgend einer weitern Anstrengung, bevor wir nicht durch Nahrung und Ruhe Kräfte gesammelt haben würden.

Wir suchten uns den am wenigsten unbequemen Fleck aus, den wir finden konnten, und Tobias zog aus seiner Brusttasche das heilige Packet hervor. Schweigend verzehrten wir das kleine Bischen, welches vom Frühstück übriggeblieben war, und ohne nur einen Bruch unsers Vertrages in Bezug auf den übrigen Vorrath vorzuschlagen, machten wir uns auf und an die Errichtung eines Schutzes für die Nacht, unter welchem wir den Schlaf zu finden hoffen konnten, dessen wir so sehr bedurften.

Glücklicherweise war der Ort besser für unsern Zweck geeignet, als der, an welchem wir die letzte fürchterliche Nacht zugebracht hatten. Wir räumten das große Rohr von einem kleinen, aber fast ebenen Fleck und flochten daraus eine kleine korbartige Hütte, die wir reichlich mit dickem Laube bedeckten, das uns ein naher Baum lieferte. Wir streuten es dick an allen Seiten um die Hütte und ließen nur ein kleines Loch, um unter das so bereitete Obdach kriechen zu können.

Diese tiefen Klüfte sind zwar vor den Stürmen geschützt, welche die Gipfel ihrer Seiten umsausen, aber dennoch in einem Grade feucht und frostig, den man kaum in diesem Klima erwarten sollte, und da wir nur unsere wollenen Röcke und dünne Segeltuchhosen hatten, um uns [107] gegen die Kälte des Orts zu schützen, so waren wir doppelt bedacht, unser nächtliches Obdach so warm und bequem einzurichten wie nur möglich. Daher pflückten wir alles Laub vom Baume, welches wir erreichen konnten und häuften es auf das Geflecht unsrer Hütte, in die wir nun krochen und wo wir aus eigens dazu aufbewahrtem Laube ein Lager machten.

Diese Nacht verhinderten mich nur die Schmerzen, die ich litt, am Schlafen. Doch schlummerte ich zwei bis drei Mal recht erquicklich, während Tobias an meiner Seite so fest schlief, als sei er zwischen die schönsten Matratzen gebettet. Glücklicherweise regnete es diese Nacht nicht und wir entgingen dem Elend, welchem uns ein schwerer Regen preisgegeben haben würde.

Früh morgens ward ich durch die laute Stimme meines Begleiters geweckt, der mir zurief, aufzustehen. Ich kroch aus meinem Laubhaufen hervor und war erstaunt, welche Veränderung die gute Nachtruhe in Tobias’ Aussehen bewirkt hatte. Er war so fröhlich und vergnügt, wie ein junger Vogel und stumpfte die erste Schärfe seines Morgenappetites dadurch ab, daß er die Schaale eines jungen Zweiges abnagte, was er auch mir als prächtiges Mittel gegen den nagenden Hunger empfahl.

Was mich betraf, so konnte ich, obgleich ich mich wesentlich besser fühlte, als am vorigen Tage, dennoch das [108] Bein, welches mich ab und zu so sehr geschmerzt hatte, nicht ohne eine innere Angst ansehen, deren ich nicht Herr werden konnte. Ich wollte die gute Laune meines Begleiters nicht stören und verbiß daher die Klagen, die ich zu einer andern Zeit wol hätte laut werden lassen, indem ich mich auf unser fürstliches Mahl durch ein Bad im Strome vorbereitete, rief ich ihm zu, das Frühstück zu bereiten. Nach dem Bade verschlangen wir jeder unsern Bissen oder besser, wir ließen ihn durch eine eigenthümliche langsame Art von Saugen verschwinden und eröffneten dann Verhandlungen über die zunächst einzuschlagenden Schritte.

„Was ist nun zu thun?“ fragte ich ziemlich verstimmt.

„In dasselbe Thal hinabzusteigen, welches wir gestern sahen,“ rief Tobias mit einer Kraft des Ausdrucks und der Stimme, daß man hätte glauben sollen, er habe heimlich im Dickicht einen halben Ochsen verzehrt. „Was bleibt uns denn wol Andres zu thun übrig? Hier verhungern wir Beide, das ist ’mal gewiß, und mit Deiner Furcht vor den Typies ist’s doch blos Unsinn, verlaß Dich d’rauf. Es ist unmöglich, daß die Bewohner eines so lieblichen Ortes, wie wir ihn gestern sahen, etwas Anderes als gute Kerls sein können, und wenn Du den Hungertod in diesen feuchten Höhlen vorziehst, so stimme ich wenigstens für ein kühnes Hinabsteigen in das Thal und will die Gefahr laufen.“

[109] „Und wer soll uns hinlootsen,“ fragte ich, „selbst wenn wir uns entschließen sollten, Deinen Vorschlag auszuführen? Sollen wir wieder diese jähen Tiefen auf und absteigen, die wir gestern durchklettert haben, bis wir die Klippe erreichen, von der wir ausgingen und dann mit einem Sprung ins Thal hinabstiegen?“

„Weiß Gott, daran dacht’ ich nicht,“ sagte Tobias; „nicht wahr, beide Seiten des Thales waren durch steile Felswände begrenzt?“

„Ja,“ antwortete ich, „steil wie die Seiten eines Dreideckers und hundertmal so hoch.“ Mein Begleiter ließ den Kopf eine Weile auf die Brust sinken und versank in tiefes Nachdenken. Plötzlich sprang er auf und sein Auge strahlte von jenem Feuer, welches irgend einen guten Einfall bezeichnet.

„Ja, ja,“ rief er aus, „die Ströme fließen alle nach derselben Richtung und müssen nothwendig durch das Thal gehen, ehe sie die See erreichen; wir brauchen also nur diesem Strome zu folgen, der uns früher oder später ins Thal führen muß.“

„Du hast Recht, Tobias,“ rief ich, „Du hast Recht; der Strom muß uns hinführen und zwar recht schnell, denn sieh nur, wie schräg das Wasser hinabrauscht.“

„Wahrhaftig!“ rief Tobias, froh, daß ich seine Theorie bekräftigte, „wahrhaftig, es ist ja ganz klar; laß [110] uns nur gleich fort und komm’, fort mit den dummen Gedanken an Typie, und Hurrah! es lebe das liebliche Thal von Happar!“

„Ich sehe, es soll nun einmal Happar sein, mein guter Junge; Gott gebe, daß Du Dich nicht irren mögest,“ bemerkte ich mit ungläubigem Kopfschütteln.

„Amen dazu und zu vielem Andern!“ rief Tobias und eilte voran; „aber es ist Happar, es muß Happar sein und kann nur Happar sein. Oh das wundervolle Thal – die himmlischen Brotfruchtwälder – die lieblichen Cocoshaine – die unendlichen Guavabüsche! – Camerad komm, zögere nicht, fort zu allen den herrlichen Früchten, ich sterbe vor Verlangen, bei ihnen zu sein. Komm doch, komm doch; nur vorwärts, bist ein fixer Kerl; was kümmern Dich die Felsen; stoß’ sie aus dem Wege wie ich; und morgen, Camerad, sind wir in Üppigkeit, mein Wort darauf. Komm nur, komm!“ und damit rannte er wie toll die Schlucht entlang und vergaß ganz, daß ich lahm sei und nicht mit ihm Schritt halten könne. Aber in wenigen Minuten verflog der Rausch seiner heitern Laune und er wartete einen Augenblick, damit ich mich wieder an ihn anschließen könnte.


[111]
Capitel IX.

Gefährliche Passage der Schlucht – In’s Thal.

Das furchtlose Vertrauen des Tobias war ansteckend, denn auch ich fing an, an Happar zu glauben. Doch konnte ich ein gewisses Gefühl der Angst nicht bemeistern, als wir durch diese finstern Einöden dahinwanderten. Anfangs war unser Weg verhältnißmäßig leicht, dann wurde er immer schwieriger. Das Flußbett war mit Bruchstücken von zerbrochenen Felsen bedeckt (die von oben herabgestürzt waren und dem raschen Lauf des Stromes viele Hindernisse entgegenstellten), welche er umschnaubte und an denen er grollend vorbeistürzte, indem er hie und da mit kleinen Wasserfällen sich in tiefe Becken ergoß, dann wieder wie rasend neue Steinmassen umschäumte.

Die Enge der Schlucht machte jede andere Art des Fortkommens, als durch das Wasser, unmöglich und hier stolperten wir jeden Augenblick über irgend ein verborgenes Hinderniß unter dem Wasser oder verfingen uns in den [112] riesigen Wurzeln der Bäume. Aber das schlimmste Hinderniß waren eine Menge knorriger Äste, die fast wagerecht von den Seiten der Schlucht ausgingen und sich wenig über der Oberfläche des Wassers zu so verwirrten Massen verflochten, daß uns kein anderer Durchweg blieb, als durch die kleinen Bogen, die sie auf der Wasserfläche bildeten, unter welchen wir auf Händen und Füßen über die nassen Felsen oder durch tiefe, mit Wasser gefüllte Löcher durchkriechen mußten, während es kaum hell genug war, um unsern Weg zu erkennen. Gelegentlich stießen wir auch wohl mit den Köpfen an einen Ast oder Knorren und wurden, wenn wir unvorsichtig den verletzten Theil rieben, gegen Felssplitter geschleudert, wo wir uns schnitten und rissen, während der unbarmherzige Strom über unsere hingefallenen Leiber dahinrauschte. Balzoni kann auf seinem Wege durch die ägyptischen Katakomben nicht größern Hindernissen begegnet sein, als wir hier zu bewältigen hatten. Aber wir kämpften muthig, denn wir wußten, daß unsre einzige Hoffnung im Vorschreiten läge.

Gegen Sonnenuntergang hielten wir an einem Punkt an, den wir zum Nachtlager ausersahen. Hier machten wir eine Hütte in ziemlich derselben Weise wie früher und krochen hinein, um unsrer Leiden schlafend zu vergessen. Mein Begleiter, glaube ich, schlief ziemlich gut, aber als wir bei Tagesanbruch aus unserm Versteck krochen, fühlte [113] ich mich fast unfähig zu irgend einer weitern Anstrengung. Tobias verordnete für meinen Fall, den Inhalt eines unsrer kleinen seidnen Päckchen auf ein Mal zu nehmen. Aber wie sehr er auch darauf drang, so verweigerte ich standhaft die Annahme dieses Mittels, und nachdem wir daher jeder unsern Bissen stumm verzehrt hatten, setzten wir unsern Weg fort. Es war nun der vierte Tag, seit wir Nukuheva verlassen hatten und der Hunger fing nun an, auf schmerzliche scharfe Weise an uns zu nagen. Wir stillten ihn ein wenig, indem wir junge Schößlinge kauten, die, wenn sie uns auch nicht viel Nahrung gaben, doch zart und angenehm von Geschmack waren.

Wir konnten die steile Wasserstraße hinab natürlich nur langsam vorwärts dringen, um Mittag hatten wir noch nicht über eine englische Meile gemacht. Ungefähr um diese Zeit begann das Geräusch eines sehr entfernten Wasserfalles, welches wir am Morgen zuerst vernommen hatten, deutlicher zu uns zu dringen, und es dauerte nicht lange, so standen wir an einem jähen Felsenabhange von beinahe hundert Fuß Tiefe, der die ganze Breite der Schlucht einnahm und den hinab der wilde Strom sein Wasser in einem ununterbrochenen Falle mit donnerndem Getöse ergoß. Zu beiden Seiten waren die Wände der Schlucht, sowol oberhalb als unterhalb des Falles, schroff und überhängend, [114] so daß es keine Möglichkeit war, den Wasserfall auf einem Umwege umgehen zu können.

„Was ist nun zu thun, Tobias?“ sagte ich.

„Nun, da wir zurück nicht können, so dächt’ ich, es wäre eben so gut, wir sähen zu, wie’s vorwärts geht,“ erwiderte er.

„Sehr wahr, liebster Freund; aber wie denkst Du diese wünschenswerthe Sache ins Werk zu setzen?“

„Indem ich von der Spitze des Wasserfalls hinabspringe, wenn’s keinen andern Weg giebt,“ antwortete Tobias furchtlos, „jedenfalls ist das die rascheste Art, hinunterzukommen; aber da Du nicht ganz so gewandt bist, wie ich, so wollen wir eine andere Art versuchen.“

Indem er dies sagte, kroch er vorsichtig weiter vor und lugte über den Abhang in die Tiefe, während ich begierig erwartete, wie wir möglicherweise dies unübersteiglich scheinende Hinderniß besiegen könnten. Sobald mein Begleiter mit seiner Untersuchung fertig war, fragte ich eifrig nach dem Erfolg.

„Den Erfolg meiner Untersuchungen willst Du wissen, nicht wahr?“ sagte Tobias mit einem seiner drolligen Blicke; „ja, mein Junge, der Erfolg meiner Beobachtungen ist bald mitgetheilt. Es ist gegenwärtig ungewiß, wer von uns den Hals zuerst brechen wird, doch ist wol ohne Gefahr Hundert gegen Eins zu Gunsten dessen zu wetten, der zuerst springt.“

[115] „So ist es also eine unmögliche Sache, nicht wahr?“ fragte ich düster.

„Nichts weniger, Camerad; im Gegentheil, es ist das Leichteste von der Welt; die einzige kitzliche Seite ist, wie unsere unglücklichen Glieder unten aussehen werden und was für eine Art von Reise-Costüm wir später aufzuweisen haben werden? Aber folg’ mir nur dreist und ich will Dir die einzige Hoffnung zeigen, die uns bleibt.“

Damit führte er mich an den Rand des Wasserfalles und zeigte längs der Seite der Schlucht auf eine Anzahl sonderbarer Wurzeln von drei bis vier Zoll im Umfange, welche in den Felsspalten verschlungen waren und von denselben, zu langen Spitzen ausgestreckt, lothrecht hinabschossen und über dem Schlunde wie schwarze Eiszapfen herabhingen. Sie bedeckten die eine Seite der Schlucht fast ganz und die untersten reichten beinahe bis an die Wasserfläche. Viele waren mosig und verfault, auch wol dicht an dem Felsen geknickt und die ganz in der Nähe des Falles befindlichen waren naß und schlüpfrig.

Der verzweifelte Plan meines Begleiters war nun, uns diesen verrätherisch aussehenden Wurzeln anzuvertrauen und, indem wir von einer zur andern uns herabließen, die Tiefe zu gewinnen.

„Bist Du willig, es zu wagen?“ fragte Tobias, indem [116] er mich ernst ansah, aber kein Wort über die Ausführbarkeit des Planes sagte.

„Ich bin’s,“ war meine Antwort, denn ich sah, es war unser einziger Ausweg, um vorwärts zu kommen und jeder Gedanke an den Rückweg war längst aufgegeben worden.

Nachdem ich meine Einwilligung gegeben, kroch Tobias, ohne ein Wort zu sagen, den triefenden Vorsprung entlang, bis er die Spitze desselben erreicht hatte, von wo aus er gerade eine der größten der hier hängenden Wurzeln fassen konnte; er schüttelte sie – sie zitterte in seiner Hand und als er sie losließ, schwang sie sich in der Luft wie ein starker Draht, der heftig geschlagen wird. Mit dieser Untersuchung zufrieden, schwang sich mein leichtfüßiger Gefährte auf dieselbe, umschlang sie auf Matrosenart mit seinen Beinen und glitt acht bis zehn Fuß daran hinab, wo sein Gewicht dieselbe pendelartig hin und her bewegte. Er durfte sich nicht weiter hinunterwagen; daher hielt er sich mit einer Hand an, indem er mit der andern alle die feinen Wurzeln, die er erreichen konnte, schüttelte, und als er endlich eine fand, die er für zuverlässig hielt, schwang er sich zu derselben hin und setzte seinen Weg nach unten fort.

So weit war Alles gut; allein ich konnte nicht umhin, meinen schwerern Körper und meinen kranken Zustand mit seiner leichten Gestalt und außerordentlichen Gewandtheit [117] zu vergleichen; aber es ließ sich nun einmal nicht ändern und daher verging kaum eine Minute, so hing ich gerade über seinem Kopfe. Sobald sein Auge mich über sich schwebend erblickte, rief er in seinem gewöhnlichen trocknen Tone, denn die Gefahr schien gar keinen Eindruck auf ihn zu machen: „Camerad, thu’ mir den einzigen Gefallen und fall’ nicht, bis ich aus dem Wege gegangen bin.“ Dann schwang er sich mehr seitwärts und fuhr fort, hinabzugleiten. Indessen begab ich mich vorsichtig von der Wurzel, an der ich hinabgeglitten war, an zwei andere, die nahe bei derselben hinabhingen, indem ich zwei Stränge an meinem Bogen für sicherer hielt, als einen, und ihre Stärke sorgfältig untersuchte, ehe ich ihnen mein Gewicht anvertraute.

Als ich an dem Ende der zweiten Station dieser lothrechten Reise anlangte, erschrak ich nicht wenig, als alle die langen Wurzeln um mich her, die ich schüttelte, eine nach der andern abbrachen wie Pfeifenstiele und in Stücken an der Felswand hinab und endlich in das Wasser in der Tiefe stürzten.

Als die verrätherischen Wurzeln eine nach der andern meinem Ruck nachgaben und in den Strom fielen, sank mein Muth entsetzlich. Die Wurzeln, an denen ich über dem jähen Schlunde hing, schwangen hin und her im Luftzuge und ich erwartete jeden Augenblick, daß sie brechen [118] würden. Zum Tode erschrocken vor der Gefahr, die mir drohte, haschte ich verzweifelt nach der einzigen großen Wurzel, die noch in meiner Nähe war, aber vergeblich, ich konnte sie nicht erreichen, obgleich meine Finger bis auf wenige Zoll hinreichten. Ich versuchte wiederholt, sie zu fassen, bis zuletzt, durch den Gedanken an meine Lage zur Verzweiflung getrieben, ich mich kräftig durch einen Fußtritt gegen den Felsen schwenkte und in dem Augenblick, wo ich der großen Wurzel nahe kam, dieselbe eifrig faßte und mich an sie schwang. Sie zitterte heftig bei der plötzlichen Last, aber zum Glück brach sie nicht.

Mein Gehirn schwindelte bei dem Gedanken an die schreckliche Gefahr, der ich so eben entronnen war, und ich schloß unwillkührlich die Augen, um nicht die Tiefe unter mir zu sehen. Für den Augenblick war ich sicher und ich verrichtete ein inbrünstiges Dankgebet für meine Rettung.

„Ziemlich gut ausgeführt,“ schrie Tobias unter mir, „Du bist flinker, als ich glaubte und hüpfst da oben umher, wie ein junges Eichkätzchen von Wurzel zu Wurzel. Wenn Du Dich genug amüsirt hast, möchte ich Dir rathen, weiter herabzusteigen.“

„Ei, ei, Tobias, Alles hübsch langsam; noch zwei bis drei so herrlicher Wurzeln, wie diese, und ich werde bald bei Dir sein.“

[119] Der Rest meines Hinabsteigens war verhältnißmäßig leicht; die Wurzeln wuchsen reichlicher und an einigen Stellen halfen hervorstehende Felsspitzen mir bedeutend. In einigen Minuten war ich zur Seite meines Gefährten.

Ich ersetzte den Stock, den ich oben am Abhange weggeworfen, mit einem andern und nun setzten wir unsern Weg längs der Schlucht fort. Bald hörten wir vor uns ein Geräusch, das lauter und lauter wurde, während der Lärm des Wasserfalles hinter uns nach und nach erstarb.

„Ein neuer Abhang für uns, Tobias.“

„Schön; Du weißt, wir können hinab; komm nur.“

Nichts schien diesen unverzagten Gesellen zu entmuthigen oder einzuschüchtern. Typies oder Niagaras, ihm war Alles gleich und ich wünschte mir tausendmal Glück, einen solchen Begleiter bei einem Unternehmen dieser Art zu haben.

Nach einer Stunde des mühsamsten Fortganges erreichten wir den Gipfel eines andern Wasserfalls, der noch höher, als der frühere und ebenso mit steilen Felsmassen oben und unten eingefaßt war, welche übrigens hie und da schmale Vorsprünge hatten, auf denen dünne Erdlagen eine Menge Bäume und Büsche trugen, deren schönes Grün herrlich gegen den schäumenden Wasserfall abstach, welcher zwischen ihnen hinabstürzte.

[120] Tobias, der überall der Erste war, fing nun an, zu untersuchen. Bei seiner Rückkehr berichtete er, daß die Felsenschichten rechts es uns möglich machen würden, ohne große Gefahr die Tiefe des Sturzes zu erreichen. Daher verließen wir das Strombett gerade wo das Wasser hinabdonnerte und fingen an, einen der schrägen Felsränder hinabzukriechen, bis wir auf demselben bis auf einige Fuß an einen andern ähnlichen Rand herankamen, der in noch steilerem Fall unter dem ersten sich abwärts erstreckte und auf dem wir unter gegenseitigem Beistand glücklich ankamen. Vorsichtig krochen wir diesen entlang, indem wir uns an den nackten Wurzeln des Gebüsches festhielten, welches in jeder Spalte wuchs. Je weiter wir vorschritten, desto enger wurde der Rand, so daß es sehr schwierig war, festen Fuß zu fassen, bis wir plötzlich an einer Ecke der Wand, wo man hätte glauben müssen, der Weg würde weiter werden, wahrnahmen, wie er plötzlich wenige Ellen vor uns zu unserem Schreck an einem Punkte abbrach, über den zu gelangen wir unmöglich hoffen konnten.

Tobias bildete wie immer den Vortrab und ich erwartete athemlos, was er vorschlagen würde, um uns aus dieser Klemme zu ziehen.

„Nun, mein Junge,“ rief ich nach Verlauf einiger Minuten, während welcher Tobias nicht ein Wort geäußert hatte, „was ist nun zu thun?“

[121] In ruhigem Tone antwortete er, daß es in unserer jetzigen Lage wol das Gescheiteste wäre, sobald wie möglich aus derselben herauszukommen.

„Ja, mein lieber Tobias, aber sag’ mir nur, wie wir herauskommen können?“

„Ungefähr auf diese Art,“ sagte er, und im selben Augenblick glitt er zu meinem Schrecken seitwärts über den Felsen und fiel, wie ich damals glaubte, durch einen glücklichen Zufall zwischen die weitgedehnten Äste einer Art von Palmbaum, welcher seine festen Wurzeln längs eines Felsrandes tief unten ausstreckte, während sein Stamm nach oben an der Felswand emporwuchs, und etwa zwanzig Fuß unterhalb des Ortes, wo ich stand, eine mächtige Laubkrone entfaltete. Unwillkührlich hielt ich den Athem an, in der Erwartung, meinen Gefährten, nachdem er einige Augenblicke durch die Zweige des Baumes aufgehalten sein würde, durch die schwache Stütze brechen und der Tiefe zustürzen zu sehen. Allein zu meiner freudigen Überraschung machte er sich von den geknickten Blättern frei und rief mir mit heitrer Stimme zu: „Komm nur nach, Herzblatt, es giebt doch keine Wahl!“ und damit wand er sich durch die Blätter, glitt am Stamme hinunter und stand in einem Augenblick wenigstens funfzig Fuß unter mir auf der breiten Felsschicht, von welcher der Baum, den er hinabgeklettert war, sich in die Höhe streckte.

[122] Was hätte ich in dem Augenblick nicht darum gegeben, schon an seiner Seite zu sein. Der Sprung, den er eben gemacht, grenzte wirklich ans Wunderbare und ich traute meinen Sinnen kaum, als ich die weite Entfernung sah, durch welche eine einzige kühne Handlung uns getrennt hatte.

Wiederum erscholl das ermuthigende: „So komm doch!“ von Tobias, und da ich fürchtete, alles Selbstvertrauen zu verlieren, wenn ich länger den Schritt erwöge, blickte ich noch einmal hinab, um mich von der Stellung des Baumes im Verhältniß zur meinigen zu überzeugen und dann schloß ich die Augen, stieß einen zusammengedrängten Gebetsausruf aus und befand mich nach einem athemlosen Augenblick in der Baumkrone, deren Blätter und Zweige unter meinem Gewicht zerbrachen und zersplitterten, bis ich endlich nach langem Sinken von Zweig zu Zweig auf einen dicken Ast traf, der meinem Druck widerstand und meinen Fall aufhielt.

In wenigen Augenblicken stand ich am Fuß des Baumes und betastete mich von Kopf bis zu Fuß, um mich zu überzeugen, wie viel an mir noch unverletzt sei. Zu meinem Erstaunen waren ein paar unbedeutende Quetschungen, die nicht der Erwähnung verdienen, die einzigen Folgen meines Sprunges. Der letzte Theil unsers Hinabklimmens wurde leicht zurückgelegt und in einer halben Stunde hatten [123] wir die Tiefe der Schlucht erreicht, wie gewöhnlich unsern Abendimbiß genossen, unsre Hütte gemacht, und krochen nun für die Nacht in dieselbe.

Den nächsten Morgen setzten wir trotz unsrer Schwäche und den Schrecken des Hungers, die wir jetzt litten, obgleich Keiner es dem Andern gestand, unsern immer noch schwierigen und gefährlichen Weg langsam fort, indem uns die Hoffnung erheiterte, bald eine Spur des Thales vor uns zu sehen, und gegen Abend drang das Geräusch eines Wasserfalles, das wir lange in der Ferne, wie den tiefen Baß zur Musik der kleinern Cascaden, gehört hatten, immer deutlicher an unser Ohr, so daß wir nun wußten, wir kämen demselben rasch näher.

Am Abend standen wir am jähen Rand eines Abhanges, über welchen der dunkle Strom in einem letzten Sturz von über dreihundert Fuß in die Tiefe schoß. Der gebogene Fall endigte in der Gegend, die wir so lange gesucht hatten. Zu beiden Seiten des Falles dienten zwei hohe senkrechte Felsenkegel den riesigen Felswänden als Strebepfeiler und streckten sich vor bis in das Meer von Laub, das im Thale wogte, während eine Reihe ähnlicher Vorsprünge in einem Halbkreise das Ende des Thales umgaben. Über den Rand des Wasserfalls erhoben sich reiche grüne Terrassen[WS 2], die eine bogenförmige Öffnung für die Wasserwand [124] ließen, was der Landschaft etwas eigenthümlich Pittoreskes gab.

Das Thal lag nun vor uns; aber anstatt daß uns ein allmäliger Fall des tiefen Flußbettes, welches wir so weit verfolgt hatten, in seinen lieblichen Schoos führte, schien plötzlich alle unsre Mühe und Anstrengung durch dieses steile Ende der Schlucht ganz fruchtlos gemacht zu werden. Aber, wenngleich bitter getäuscht, verzweifelten wir doch nicht ganz.

Wie die Sachen standen, beschlossen wir diese Nacht zu bleiben, wo wir waren und den nächsten Morgen, gestärkt durch Schlaf und durch den Genuß unseres ganzen übrigen Mundvorraths auf ein Mal, das Herabsteigen ins Thal zu bewerkstelligen oder bei dem Versuch umzukommen.

Die Nacht legten wir uns zur Ruhe an einem Fleck, dessen ich nie ohne Schaudern mich erinnern kann. Eine kleine Felsentafel, welche über den Abhang an der einen Seite des Stromes hinausreichte und vom Spritzschaum des Wasserfalles naß war, trug den ungeheuren Stamm eines Baumes, den irgend eine große Überschwemmung dahin gebracht haben mußte. Er lag schräg mit einem Ende auf dem Felsen, das andere gegen die Wand der Schlucht gelehnt. An diesen Stamm lehnten wir schräg eine Menge halbverwelkter Äste, bedeckten diese wiederum mit Zweigen und Laub, und erwarteten [125] den Morgen unter dem elenden Schutz, den dieses Obdach bot.

Während dieser Nacht vereinigten sich das ewige Gebrüll des Wasserfalls, das dumpfe Heulen des Sturmes in den Bäumen, das Plätschern des Regens und die tiefe Finsterniß, um mein Gemüth auf eine Weise zu erschüttern und niederzudrücken, wie es früher nie der Fall gewesen war. Naß, halbverhungert und bis im Innersten erstarrt durch die feuchte Kälte des Orts, so wie von den Schmerzen, die mich zerrissen, fast zur Raserei getrieben, sank ich unter dieser Last von Leiden zu Boden und überließ mich den schrecklichsten Vorgefühlen von Bösem; auch mein Begleiter, dessen Muth und Laune doch endlich ein wenig gebrochen war, sagte während der ganzen Nacht kein Wort.

Endlich graute der Tag, wir erhoben uns von unserm elenden Lager, streckten unsere steifen Glieder, aßen Alles, was uns an Brot noch geblieben war, auf, und bereiteten uns dann vor, die letzte Station unsrer Reise zu machen. Ich will nicht die vielen Gefahren erzählen, denen wir nur haarscharf entrannen, noch aller der Schwierigkeiten gedenken, die wir zu überwinden hatten, ehe wir im Schooße des Thales ankamen. Da ich Ähnliches schon beschrieben habe, so wird es genügen, wenn ich sage, daß wir endlich, nach unglaublicher Anstrengung und großen Gefahren, [126] Beide mit gesunden Gliedern am Ende jenes großartig schönen Thales standen, welches fünf Tage früher sich so plötzlich meinen Blicken gezeigt hatte, und zwar fast gerade im Schatten jener Höhe, von deren Spitze wir die Aussicht genossen hatten.


[127]
Capitel X.

Das Ende des Thales – Vorsichtiges Vorschreiten – Ein Weg – Früchte – Entdeckung zweier Eingeborner – Sonderbares Benehmen derselben – Annäherung an die bewohnten Theile des Thals – Eindruck, den unser Erscheinen bewirkt – Empfang im Hause eines der Eingebornen.

Wie die Früchte erlangen, die, wie wir überzeugt waren, ganz in der Nähe wachsen mußten, war unser erster Gedanke.

Typie oder Happar? Ein schrecklicher Tod durch die Hand der scheußlichsten Cannibalen oder ein freundlicher Empfang bei einem sanftern Stamme der Wilden? Was harrte unsrer? Doch es ist zu spät, eine solche Frage noch näher zu erörtern, da sie sich doch bald lösen muß.

Der Theil des Thales, wo wir waren, schien durchaus unbewohnt zu sein. Ein fast undurchdringliches Dickicht zog sich von einer Seite zur andern, ohne eine einzige Pflanze zu umschließen, die uns die heißersehnte und bestimmt [128] erwartete Speise gegeben hätte, um nun solche zu erspähen, setzten wir unsern Weg längs des Flusses fort, indem wir eifrige Blicke in jedes Gestrüpp warfen.

Mein Begleiter, auf dessen inständige Bitten ich ins Thal herabgestiegen war, begann, da der Schritt nun einmal gethan war, eine Vorsicht zu entfalten, die ich ihm gar nicht zugetraut hatte. Er schlug vor, daß, im Falle wir den nöthigen Vorrath von Früchten fänden, wir in diesem unbewohnten Theil des Thales bleiben möchten, bis wir genügend gestärkt sein würden, um unsre Reise wieder anzutreten, denn wir würden hier wenig Gefahr laufen, von den Bewohnern, wer solche auch sein möchten, entdeckt zu werden; und dann könnten wir, mit einem unsren Bedürfnissen entsprechenden Vorrath von Früchten versehen, zur Bucht von Nukuheva zurückkehren, nach einem hinreichenden Zeitraum, um der Abfahrt des Schiffes gewiß zu sein.

Diesem Vorschlage widersetzte ich mich mit aller Macht, wie annehmbar er auch schien, denn die Schwierigkeiten des Rückweges würden fast unbesiegbar sein, um so mehr, als wir mit den Örtlichkeiten der Insel so wenig vertraut waren. Ich erinnerte meinen Gefährten an die eben überstandenen Leiden, kurz, ich sagte, daß, da wir einmal es rathsam gefunden hätten, ins Thal zu kommen, wir nun auch die Folgen muthig hinnehmen müßten, welcher Art sie auch sein möchten, namentlich da ich überzeugt sei, [129] es würde uns gar keine andere Wahl bleiben, als gleich den Eingebornen zu begegnen und es kühn auf den Empfang ankommen zu lassen, den sie uns würden zu Theil werden lassen: und daß, was mich beträfe, ich durchaus Obdach und Ruhe bedürfe, und daß ich, bis ich es gefunden, durchaus unfähig sein würde, solche Beschwerden wieder zu ertragen, welche wir eben durchgemacht hatten. Etwas zögernd pflichtete Tobias der Richtigkeit dieser Bemerkungen bei.

Wir waren überrascht, so weit vorgedrungen, noch so unwegsame Dickichte zu finden; und da wir dachten, daß die Ufer des Flusses noch eine Strecke mit solchem bewachsen sein könnten, während etwas weiter davon freies Feld sein dürfte, bat ich Tobias, recht scharf auf der einen Seite auszusehen, während ich auf der andern dasselbe that, um irgend eine Öffnung im Gestrüpp zu entdecken und hauptsächlich auf jede Spur eines Weges genau Acht zu haben, der auf die Nähe der Insulaner schließen lassen könnte.

Was für aufmerksame und eifrige Blicke warfen wir in diese halbdunkeln Schatten! Mit welcher Befangenheit schritten wir vorwärts; wir wußten nicht, wie bald wir mit dem Wurfspieß irgend eines versteckten Wilden begrüßt werden konnten! Endlich stand mein Begleiter still und lenkte meine Aufmerksamkeit auf eine kleine Öffnung im Laube. [130] Wir bogen in dieselbe ein und auf einem undeutlich sichtbaren Wege führte sie uns bald an einen verhältnißmäßig freien Raum, an dessen entgegengesetztem Ende wir eine Anzahl jener Bäume sahen, deren Name in der Landessprache „Annuee“ ist und die köstliche Früchte tragen.

Oh welches Wettrennen! Ich hinkte dahin, wie ein unglücklicher Krüppel, aber Tobias flog hinüber in den großen Sprüngen eines jungen Windspiels. Er kletterte rasch auf einen der Bäume, an welchem zwei bis drei Früchte saßen, aber zu unserm Ärger waren sie sehr verfault, indem die Vögel die Schalen durchbohrt und sie so dem Verderben preisgegeben hatten. Indeß wir verzehrten sie dennoch rasch und keine Ambrosia hätte uns besser schmecken können.

Wir sahen uns um und wußten nicht recht, wohin wir nun unsere Schritte lenken sollten, da der Weg, der uns bis hieher geführt hatte, plötzlich abzubrechen schien. Endlich beschlossen wir, in einen nahen Hain zu gehen, und waren einige Schritte gegangen, als ich gerade am Rand des Wäldchens eine schlanke Brotfruchtschoote aufhob, die vollkommen grün war und deren zarte Borke eben abgeschält zu sein schien. Sie war vom Saft noch ganz schlüpfrig und augenscheinlich eben erst bei Seite geworfen worden. Ich sagte nichts, sondern hielt sie nur dem Tobias [131] hin, der über dieses sichere Zeichen der Nähe der Wilden sichtlich erschrak.

Die Zeichen wurden nun häufiger. Eine kleine Strecke weiter lag ein kleines Bündel derselben Frucht mit Bast zusammengebunden. Sollte es von einem einzelnen Eingebornen dahingeworfen sein, der bei unserm Anblick erschrocken, seinen Landsleuten zugeeilt ist, um die Nachricht von unserem Herannahen mitzutheilen? – Typie oder Happar? – Aber es war zu spät, umzukehren; daher gingen wir langsam vorwärts, mein Begleiter voraus, der eifrige Blicke rechts und links ins Gebüsch warf, bis er plötzlich zurückbebte, als sei er von einer Natter gestochen. Er sank aufs Knie, während er mir mit der einen Hand winkte, still zu stehen, und mit der andern einige hindernde Zweige zurückschob, um aufmerksam auf einen gewissen Gegenstand zu blicken.

Seinen Wink nicht beachtend, eilte ich vielmehr rasch zu ihm hinan und sah zwei Gestalten halb im Dunkel des Laubes versteckt; sie standen dicht neben einander und zwar durchaus unbeweglich. Sie mußten uns früher gesehen haben und in das Dickicht geeilt sein, um unserer Aufmerksamkeit zu entgehen.

Mein Entschluß war gleich gefaßt. Ich warf meinen Stock fort, riß das Packet vom Schiff mitgebrachter Sachen auf und rollte das Baumwollenzeug auseinander; [132] dann nahm ich dieses in eine Hand und pflückte mit der andern einen kleinen grünen Zweig, winkte Tobias, meinem Beispiel zu folgen und brach durch die Laubwand vor mir, indem ich den verschwindenden Gestalten als Zeichen des Friedens mit dem kleinen Zweige zuwinkte.

Es war ein Knabe und ein Mädchen, schlank und graziös, und ganz nackt, mit Ausnahme eines Gürtels von Borke, von welchem an entgegengesetzten Punkten zwei der braunrothen Blätter des Brotbaumes herabhingen. Ein Arm des Knaben, halb von ihren wilden Locken bedeckt, umschlang den Hals der jungen Wilden, während er mit der andern Hand eine der ihrigen festhielt; so standen sie zusammen und lauschten, die Köpfe vorgebogen, um das leise Geräusch aufzufangen, welches wir bei unserer Annäherung machten, und den einen Fuß halb vorgestreckt, als seien sie geneigt, aus unserer Nähe zu fliehen.

Als wir näher kamen, wuchs ihre Angst zusehends. Da ich fürchtete, daß sie fliehen möchten, stand ich still und deutete ihnen an, näher zu kommen und die Gabe zu empfangen, die ich ihnen entgegenhielt; aber sie wollten nicht; dann äußerte ich ein paar Wörter aus ihrer Sprache, die ich kannte; ich glaubte zwar nicht, daß sie mich verstehen würden, sondern that es, um ihnen anzudeuten, daß wir nicht geradezu aus den Wolken zu ihnen herabgekommen [133] seien. Dies schien ihnen etwas Vertrauen einzuflößen, daher näherte ich mich mehr, in der einen Hand den Kattun, in der andern den Zweig, während sie sich langsam zurückzogen. Endlich erlaubten sie uns, so nahe zu kommen, daß wir ihnen das Baumwollenzeug um die Schultern werfen konnten, indem wir ihnen zu verstehen gaben, daß es ihnen gehöre, und indem wir versuchten, ihnen mit vielen Gesten begreiflich zu machen, daß wir die höchste Achtung vor ihnen hätten.

Das erschrockene Paar stand nun still, während wir versuchten, ihnen unsere Wünsche begreiflich zu machen. Hiezu gab Tobias eine ganze Reihe von pantomimischen Erläuterungen: öffnete den Mund von einem Ohre zum andern, steckte die Finger in den Schlund, fletschte mit den Zähnen und rollte die Augen, so daß ich wirklich glaubte, die armen Geschöpfe hielten uns für ein Paar weiße Cannibalen, die aus ihnen eine Mahlzeit machen wollten. Als sie uns übrigens verstanden, zeigten sie keine Lust, unserm Bedürfnisse abzuhelfen. Es begann nun sehr stark zu regnen und wir baten sie, uns zu irgend einem Obdach zu bringen. Diese Bitte schienen sie gern zu erfüllen, aber nichts bewies mehr die Furcht, die sie vor uns hatten, als die Art, mit der sie uns fortwährend im Auge behielten und jede unserer Bewegungen wie auch unsere Blicke beobachteten, obgleich sie vor uns gingen.

[134] „Typie oder Happar, Tobias?“ fragte ich, während wir ihnen folgten.

„Natürlich Happar,“ antwortete er mit einem Ausdruck von Überzeugung, der seine Zweifel verdecken sollte.

„Das wollen wir bald erfahren,“ rief ich aus und trat zugleich zu unsern Führern, durch die ich gleich auf’s Reine zu kommen versuchte, indem ich die beiden Namen fragend aussprach und dabei auf den niedern Theil des Thales zeigte. Sie wiederholten die Wörter mehrere Male, nachdem ich sie gesprochen, ohne aber das eine oder das andere mehr zu betonen, so daß ich gar nicht wußte, wie ich sie verstehen sollte, wie es denn überhaupt mir später klar wurde, daß die beiden Kleinen bei dieser Gelegenheit eine ganz außerordentliche Verschlagenheit gezeigt hatten.

Immer neugieriger, unser Schicksal zu erfahren, machte ich eine Art von Frage aus den Wörtern „Happar“ und „Motarkee“, welches letztere in ihrer Sprache „gut“ bedeutet. Die beiden Eingebornen wechselten bei dieser Frage Blicke von besonderer Meinung mit einander und bezeigten nicht wenig Überraschung; aber als wir die Frage wiederholten, antworteten sie nach einigem Rathschlagen, zu Tobias’ großer Freude, bejahend. Tobias war nun außer sich vor Entzücken, zumal da die beiden jungen Wilden fortfuhren, ihre Antwort zu wiederholen, als ob sie uns [135] tief einprägen wollten, daß wir uns für vollständig sicher halten möchten, da wir unter den Happars seien.

Obgleich ich noch einige Zweifel hatte, erkünstelte ich große Freude bei dieser Nachricht, während mein Begleiter sich einem pantomimischen Abscheu gegen Typie und unbegrenzter Liebe gegen das Thal überließ, in welchem wir uns befanden; unsre Führer aber blickten sich unruhig an, als ob sie sich unser Benehmen nicht erklären könnten.

Sie eilten vorwärts und wir folgten ihnen, bis sie plötzlich ein sonderbares Halloh! anstimmten, welches von der andern Seite des Wäldchens beantwortet wurde, das wir gerade durcheilten, und bald standen wir auf einem freien Platz, an dessen Ende wir eine lange niedrige Hütte sahen und vor derselben mehrere junge Mädchen. Sobald sie uns erblickten, verschwanden sie mit wildem Geschrei ins nahe Dickicht, wie aufgescheuchte Rehe. Einige Augenblicke darauf widerhallte das ganze Thal von wildem Geheul und von allen Seiten kamen die Eingebornen auf uns zugerannt.

Wenn eine Armee von Eroberern in ihr Thal eingedrungen wäre, sie hätten nicht größere Aufregung zeigen können. Wir waren bald von einem dichten Gedränge umgeben und wurden fast von ihnen aufgehalten in ihrem Eifer, uns zu sehen; eine gleiche Zahl umgab unsere jungen Führer, welche mit unbegreiflicher Zungenfertigkeit alle [136] Umstände ihres Zusammentreffens mit uns zu erzählen schienen; jeder Punkt der Mittheilung schien die Wilden mit neuem Erstaunen zu erfüllen, indem sie uns forschend anblickten.

Endlich erreichten wir ein großes hübsches Gebäude von Bambusrohr und man bedeutete uns, hineinzugehen, indem die Wilden uns Platz machten, damit wir vorüber konnten; ohne Umstände traten wir ein und streckten unsere ermüdeten Körper auf die Matten hin, die den Fußboden bedeckten. In einem Augenblick war das kleine Zimmer ganz mit Leuten angefüllt, während diejenigen, die nicht mehr hineinkonnten, uns durch das Flechtwerk der Hütte betrachteten.

Es war nun Abend und bei dem schwachen Tageslicht konnten wir eben die wilden Gesichter erkennen, die uns mit höchster Neugier umstanden; die nackten Gestalten und tättowirten Glieder sehniger Krieger und hie und da die schlankeren Körper junger Mädchen, alle in einem wahren Sturm von Unterhaltung begriffen, deren einziger Gegenstand natürlich wir waren; während unsere Führer vollauf zu thun hatten, die unzähligen Fragen zu beantworten, die von allen Seiten an sie gerichtet wurden. Nichts kann die kühnen Bewegungen dieser Leute übertreffen, wenn sie in lebhafter Unterhaltung begriffen sind und bei dieser Gelegenheit ließen sie ihrer natürlichen Lebhaftigkeit freien [137] Lauf und schrien und tanzten auf eine Weise, die völlig geeignet war, uns einzuschüchtern.

Dicht neben dem Platz, wo wir lagen, kauerten sechs bis acht Häuptlinge von edlem Äußern, denn als solche stellten sie sich später heraus, welche weniger ausgelassen, als die Übrigen, uns mit ernster und finsterer Aufmerksamkeit betrachteten, die unsern Gleichmuth nicht wenig erschütterte. Einer unter ihnen vorzüglich, der als der höchste an Rang erschien, setzte sich mir gerade gegenüber und sah mich mit so festem Blick an, daß ich die Augen niederschlagen mußte. Er sprach nicht ein Wort, sondern behielt seinen strengen Ausdruck bei, ohne auch nur einen Augenblick sein Gesicht abzuwenden. Noch nie war ich einem so ausdauernden Blick ausgesetzt gewesen; er verrieth nicht das Geringste vom Gemüth des Wilden, während er mein Innerstes zu durchschauen schien.

Nachdem ich diese Durchforschung ertragen, bis ich förmlich nervenschwach davon wurde, nahm ich in der Absicht, sie wo möglich abzubrechen und die gute Meinung des Kriegers zu gewinnen, etwas Tabak aus der Tasche und bot es ihm an. Er wieß ruhig die dargebotene Gabe zurück und deutete mir ohne zu sprechen an, sie an ihren Platz zurückzustecken.

Bei früherer Berührung mit den Eingebornen von Nukuheva und Tior hatte ich gefunden, daß ein kleines Stückchen [138] Tabak hinreichend sei, um die ergebenste Dienstfertigkeit zu erkaufen. War diese Handlungsweise des Häuptlings ein Zeichen von Feindschaft? Typie oder Happar? fragte ich mich im Stillen. Ich fuhr bestürzt auf, denn in demselben Augenblick that das sonderbare Wesen vor mir dieselbe Frage. Ich drehte mich nach Tobias um; das flackernde Licht einer Kerze zeigte mir sein Gesicht blaß vor Schreck bei dieser Frage. Ich zögerte einen Augenblick, dann antwortete ich, ich weiß nicht aus welchem Antriebe, „Typie“. Die dunkle Natur vor mir nickte beifällig und murmelte dann „Motarkee!“ „Motarkee,“ sagte ich ohne weiteres Zögern, „Typie Motarkee!“

Welcher Übergang! Die dunklen Gestalten um uns her sprangen auf, klatschten entzückt in die Hände und wiederholten schreiend diese zauberischen Wörter, die, wie es schien, jeden Zweifel beseitigt hatten.

Als diese Bewegung ein wenig nachgelassen hatte, setzte sich der erste Häuptling noch einmal mir gegenüber und ergoß sich, augenscheinlich mit großer Wuth, in eine Reihe von philippischen Reden, deren Inhalt ich sehr leicht entzifferte, weil das Wort Happar sehr häufig darin vorkam und gegen die Eingebornen eines benachbarten Thales gerichtet schien. Mein Begleiter und ich fügten uns ruhig in alle diese Denunciationen, während wir den Charakter der kriegerischen Typies priesen. Unsere Lobreden waren [139] zwar etwas lakonisch, denn sie bestanden nur in einer Wiederholung des Namens und des mächtigen Beiworts „Motarkee“. Aber das war genügend und gewann uns das Wohlwollen der Eingebornen, auf welche unsere gleiche Denkart über diesen Punkt einen günstigern und für uns vortheilhaftern Eindruck machte, als irgend etwas Anderes hätte thun können.

Endlich verflog die Wuth des Häuptlings und in wenigen Minuten war er so ruhig wie vorher. Er legte die Hand auf seine Brust und deutete mir an, sein Name sei „Mehevi“ und er wünsche dagegen zu wissen, wie ich mich nenne. Ich zögerte einen Augenblick, weil ich glaubte, daß mein wahrer Name ihm schwer auszusprechen sein würde, und sagte dann in der besten Absicht von der Welt „Tom“. Aber ich hätte keine schlechtere Wahl treffen können; der Häuptling konnte den Namen nicht bezwingen: „Tommo“, „Tomma“, „Tommy“, Alles, nur nicht das einfache „Tom“. Als er darauf bestand, das Wort mit noch einer Silbe zu zieren, verglich ich mich mit ihm zur Anerkennung von „Tommo“ und unter diesem Namen ging ich während meines ganzen Aufenthalts in dem Thale. Derselbe Auftritt fiel mit Tobias vor, der den melodischen Namen „Toby“ wählte, welcher leicht gefaßt wurde.

Der Austausch der Namen ist bei diesem einfachen Volke gleichbedeutend mit einem Friedens- und Freundschaftsvertrag; [140] da wir dieses wußten, so waren wir nicht wenig darüber froh, daß er bei dieser Gelegenheit stattgefunden hatte.

Darauf gaben wir, auf unsere Matten hingestreckt, förmlich Audienz an eine Reihe von Eingebornen, die sich einführten, indem sie ihre Namen sagten und höchst erfreut gingen, wenn sie dagegen die unsrigen vernommen hatten. Während dieser Feierlichkeit herrschte die größte Fröhlichkeit; fast jede neue Vorstellung wurde mit einem neuen Erguß der ungebundensten Heiterkeit begrüßt, welches uns glauben machte, daß wenigstens Einige von ihnen die Andern auf unsere Kosten belustigten, indem sie sich mit einer Reihe von dummen Titeln bezeichneten, deren Witz wir natürlich durchaus nicht verstehen konnten.

Hierüber verging fast eine Stunde; dann hatte sich das Gedränge ein wenig verlaufen und ich wandte mich an Mehevi und bedeutete ihm, wir bedürften Speise und Schlaf. Sogleich richtete der aufmerksame Häuptling einige Worte an einen der Umstehenden, welcher verschwand und in wenigen Augenblicken mit einer Kalabasse voll „Poee-Poee“ und zwei bis drei halbzerschlagenen Cocosnüssen zurückkehrte. Wir setzten Beide diesen natürlichen Becher an die Lippen und tranken das erquickende Getränk, welches er enthielt, in einem Augenblick aus. Der Poee-Poee ward uns dann vorgesetzt, und trotz meines wüthenden [141] Hungers mußte ich einen Augenblick überlegen, wie ich ihn in den Mund bringen sollte.

Dieses stehende Gericht unter den Marquesas-Insulanern wird aus der Frucht des Brotbaums gemacht. Es sieht unserm Buchbinderkleister nicht unähnlich, ist von gelber Farbe und von etwas herbem Geschmack.

Da war das Gericht, dessen Verdienste ich jetzt zu untersuchen begierig war. Ich betrachtete es eine Weile mit großem Ernst, dann aber unfähig, länger auf die Form zu bestehen, tauchte ich meine Hand in die zähe Masse und zog sie zur lauten Freude der Eingebornen mit Poee-Poee beladen hervor, der in langen Fäden von allen Fingern herabhing. Die Zähigkeit desselben war so hartnäckig, daß die langgezogenen Fäden fast die Kalabasse von der Matte hoben, als ich meine schwerbeladene Hand zum Munde führen wollte. Dies linkische Benehmen, welches Tobias, beiläufig gesagt, nachahmte, verursachte bei den Umstehenden ein förmlich krampfhaftes Lachen.

Sobald die Heiterkeit etwas nachgelassen hatte, winkte mir Mehevi, aufzupassen, tauchte seinen Zeigefinger in die Schüssel, gab demselben durch rasches Umdrehen eine kunstgerechte Bewegung und zog ihn schnell aus der Schüssel zurück, und zwar mit einem dünnen Überzuge von dem Gericht versehen. Mit einer zweiten eigenthümlichen Schwingung des Fingers verhinderte er das Herabtröpfeln der [142] Masse, indem er sie zum Munde führte, steckte ihn hinein und zog ihn sogleich gänzlich frei von irgend einem anklebenden Stoff wieder heraus. Dieses geschah augenscheinlich zu unserer Belehrung; ich versuchte also nach dem gesehenen Beispiel die Sache noch einmal, aber mit sehr schlechtem Erfolge.

Ein halbverhungerter Mensch kümmert sich übrigens nicht sehr um die Gesetze der Schicklichkeit, namentlich auf einer Südseeinsel; daher machten Tobias und ich uns auf unsere linkische Weise über die Schüssel her, wobei wir unsere Gesichter größtentheils mit der klebrigen Masse überzogen und unsere Hände bis ans Handgelenk besudelten. Diese Art von Speise ist übrigens dem Gaumen eines Europäers durchaus nicht unangenehm, obgleich die Art, sie zu essen, es anfänglich für ihn sein kann. Was mich betrifft, so gewöhnte ich mich nach wenigen Tagen an ihren eigenthümlichen Geschmack und aß sie zuletzt außerordentlich gern.

Das war der erste Gang; dann folgten einige andere Schüsseln, von welchen einige wirklich erstaunlich wohlschmeckend waren. Wir endigten unsere Mahlzeit mit dem milchartigen Inhalt von noch zwei Cocosnüssen und ergötzten uns dann an dem würzigen Tabaksrauch, den wir aus der sorgsam geschnitzten Pfeife einathmeten, die von Hand zu Hand kreiste.

[143] Während der Mahlzeit beäugelten uns die Eingebornen mit gespanntester Aufmerksamkeit, beobachteten unsere kleinsten Bewegungen und schienen in den gewöhnlichsten Dingen unendlichen Stoff zu Bemerkungen über uns zu finden. Ihre Überraschung stieg aufs Höchste, als wir anfingen, uns unserer unbequemen Kleidungsstücke zu entledigen, die vom Regen getränkt waren. Sie bewunderten unsere weißen Glieder, deren Farbe so grell gegen die unserer dunklen Gesichter abstach, die sechs Monate hindurch dem glühenden Sonnenbrande der Linie ausgesetzt gewesen waren, und konnten sich diesen Contrast gar nicht erklären. Sie befühlten unsere Haut, wie etwa ein Seidenhändler einen erstaunlich feinen Stoff anfassen würde, und Einige gingen sogar so weit, die Geruchswerkzeuge bei der Untersuchung zu gebrauchen.

Ihr eigenthümliches Benehmen brachte mich fast auf den Gedanken, sie hätten wol noch nie einen weißen Menschen gesehen; aber etwas Nachdenken belehrte mich, daß das nicht wol der Fall sein könnte und später ist mir ein wahrscheinlicherer Grund ihres Betragens eingefallen.

Durch die gräßlichen Erzählungen von den Bewohnern dieser Bucht abgeschreckt, kommen nie Schiffe in dieselbe, so lange die Feindseligkeiten zwischen den Typies und den Nachbarthälern dieselben verhindern, den Theil der Insel zu besuchen, wo zuweilen Schiffe liegen. In langen Zwischenräumen [144] indeß berührt wol ein unerschrockener Capitain die Küste der Bucht mit zwei bis drei bewaffneten Bootsmannschaften und einem Dollmetscher. Die Eingebornen, welche nahe am Meere wohnen, erspähen die Fremden lange, ehe sie ihre Gewässer erreichen und verkünden laut ihr Herannahen, da sie schon wissen, warum sie kommen. Durch eine Art von Vokal-Telegraphen erreicht die Meldung die entferntesten Punkte des Thales in fast unglaublich kurzer Zeit, und ruft fast die ganze Bevölkerung, mit allen erdenklichen Früchten beladen, ans Meer herab. Der Dollmetscher, der immer ein „tabotirter Kannaka“[3] ist, springt mit den zum Tauschhandel bestimmten Waaren ans Land, während die Böte mit eingelegten Rudern und jedem Mann an seinem Posten unmittelbar vor der Brandung liegen bleiben, und zwar mit der Spitze von der Küste ab, um beim ersten feindlichen Zeichen augenblicklich der offnen See zuzufliehen.

[145] Sobald der Handel abgeschlossen ist, rudert eines der Böte unter dem Schutze der Musketen der andern ans Land, die Früchte werden rasch eingenommen und die flüchtigen Besucher enteilen schnellmöglichst der Nähe, die sie wol mit Recht für gefährlich halten.

Da die Berührung mit den Europäern so selten und kurz ist, so war es kein Wunder, daß die Bewohner des Thales unsertwegen viel Neugierde verriethen, da wir unter so eigenthümlichen Umständen unter ihnen erschienen waren. Ich bezweifle nicht, daß wir die ersten Fremden waren, die so weit in ihr Gebiet eingedrungen waren, oder wenigstens die ersten, die vom Ende des Thales herabgekommen waren.

Was uns dahingebracht habe, mußte ihnen ein vollkommenes Räthsel sein, und bei unsrer völligen Unkunde ihrer Sprache war es uns unmöglich, sie darüber aufzuklären. Als Antwort auf die Fragen, die ihre lebhaften Geberden uns zu verstehen erleichterten, konnten wir ihnen nur zu verstehen geben, daß wir von Nukuheva kämen, mit welchem Ort sie, wol zu merken, in offnem Kriege waren. Diese Nachricht schien sie mit heftiger Gemüthsbewegung zu erfüllen. „Nukuheva motarkee?“ fragten sie. Natürlich, antworteten wir auf das Bestimmteste verneinend.

Dann bestürmten sie uns mit tausend Fragen, von [146] denen wir nur so viel verstehen konnten, daß sie sich auf die letzten Bewegungen der Franzosen bezogen, gegen welche sie einen eingefleischten Haß zu nähren schienen. Sie waren so eifrig, über diesen Punkt Aufschluß zu bekommen, daß sie immer noch fortfuhren, uns mit Fragen zu überschütten, als wir schon längst gezeigt hatten, daß wir durchaus unfähig seien, sie zu beantworten. Zuweilen faßten wir eins oder das andere aus ihren Reden und versuchten auf jede uns zu Gebote stehende Weise ihnen die Auskunft, die sie wünschten, verständlich zu machen. In solchen Fällen war ihre sichtliche Zufriedenheit unbegrenzt und sie verdoppelten dann ihre Bemühungen, sich uns immer deutlicher mitzutheilen. Aber Alles vergeblich; zuletzt blickten sie uns verzweifelt an, als seien wir die Behältnisse, in welchen unschätzbare Nachrichten verschlossen wären; aber wie sie zu denselben gelangen sollten, wußten sie nicht.

Nach einer Weile verlor sich die Gruppe um uns her einzeln und, wie wir annahmen, etwa um Mitternacht waren wir allein mit den Leuten, welche die eigentlichen Bewohner des Hauses zu sein schienen. Diese gaben uns jetzt frische Matten zum Lager, deckten uns mit einigen Lagen von Tappa zu und warfen sich, nachdem sie die Kerze ausgelöscht hatten, neben uns nieder. Sie sprachen noch einige Worte, schliefen aber sehr bald fest ein.


[147]
Capitel XI.

Mitternachtsgedanken – Morgenbesuch – Ein Krieger im Costüm – Ein wilder Aeskulap – Ausübung der Heilkunst – Leibdiener – Beschreibung eines Wohnhauses im Thal und seiner Bewohner.

Es bewegten mich die verschiedensten und widersprechendsten Gedanken während der stillen Stunden, die den eben erzählten Begebenheiten folgten. Tobias, den die Anstrengungen des Tages erschöpft hatten, schlummerte schwer an meiner Seite; aber die Schmerzen, welche ich litt, verscheuchten allen Schlaf von meinen Augenlidern und ich blieb mir unserer jetzigen höchst gefährlichen Lage schrecklich bewußt. War es denn möglich, daß wir nach allen unsern schweren Abenteuern wirklich in’s gefährliche Thal von Typie gerathen und der Willkür seiner Bewohner, eines wilden grausamen Stammes, preisgegeben waren?

Typie oder Happar? Ich schauderte, als ich bedachte, [148] daß darüber kein Zweifel mehr herrschte und daß wir nun, ohne die geringste Hoffnung zur Flucht, in eben der Lage waren, deren bloße Erwähnung mich noch vor wenigen Tagen mit Schauder erfüllt hatte. Welch schreckliches Loos konnte unsrer hier harren? Bis jetzt waren wir zwar nicht gewalthätig, vielmehr freundlich und gastfrei behandelt worden. Aber wer kann der wankelmüthigen Leidenschaft vertrauen, die die Brust des Wilden beherrscht? Seine Unbeständigkeit und Falschheit sind sprüchwörtlich. Wäre es nicht möglich, daß unser freundlicher Empfang nur eine Maske verrätherischer Absichten sei, und daß er nur der Vorläufer irgend eines schrecklichen Schicksals wäre? Wie lebhaft drängten sich diese Vorgefühle mir auf, als ich auf meinem Mattenlager ruhelos da lag, zwischen den kaum erkenntlichen Gestalten der Leute, die ich so sehr fürchtete.

Aus der Aufregung dieser schwarzen Gedanken versank ich gegen Morgen in einen unruhigen Schlummer. Ich träumte wild und als ich aus einem erschütternden Traum erwachte und um mich blickte, sah ich die neugierigen Gesichter vieler Eingebornen über mich gebeugt.

Es war heller Tag; das Haus war fast ganz angefüllt von jungen Weibern, die mit Blumen phantastisch geschmückt waren und mich, als ich mich erhob, halb mit kindischer Freude, halb mit der lebhaftesten Neugierde ansahen. Nachdem sie Tobias geweckt hatten, setzten sie sich auf die Matten [149] um uns her und ließen jener neugierigen Fragesucht den Zügel schießen, welche von Alters her dem liebenswürdigen Geschlecht eigenthümlich gewesen ist.

Da diese unverstellten jungen Geschöpfe nicht von eifersüchtigen Duennas bewacht wurden, so war ihre Handlungsweise durchaus ohne alle Förmlichkeiten und frei von gekünstelter Zurückhaltung. Sie unterwarfen uns einer langen und sorgfältigen Untersuchung und waren dabei von so ungebundener Heiterkeit, daß ich ganz schüchtern wurde, während Tobias, über ihre Vertraulichkeit im höchsten Grade wüthend war.

Diese lebhaften jungen Damen waren erstaunlich höflich und menschenfreundlich; sie fächelten die Insekten fort, die uns nahe kamen, gaben uns Speise und sahen mich in meinen Schmerzen mit dem Ausdruck des aufrichtigsten Mitleids an. Aber trotz aller ihrer Liebkosungen beleidigten sie mein Schicklichkeitsgefühl entschieden, denn ich mußte sie der Uebertretung der Grenzen weiblichen Anstandes schuldig sprechen.

Nachdem sie sich nach Herzenslust ergötzt hatten, zogen sich unsere jungen Besucher zurück und machten verschiedenen Abtheilungen des andern Geschlechts Platz, welche bis Mittag fortwährend dem Hause zuströmten; um diese Zeit, glaube ich, daß der größte Theil der Bewohner des Thales sich in unsern wohlwollenden Augen gespiegelt hatte.

[150] Endlich, als ihre Zahl abzunehmen begann, bückte ein prächtig aussehender Krieger die aufgethürmten Federn seines Kopfputzes bei dem niedrigen Eingang des Hauses und trat ein. Ich sah gleich, daß er eine ausgezeichnete Person sein mußte, denn die Eingebornen sahen ihn mit sichtlicher Unterwürfigkeit an und machten ihm Platz, als er herankam. Lange wunderschöne Schwanzfedern vom Paradiesvogel, mit bunten Hahnenfedern reich untermischt, thürmten sich auf seinem Kopf zu einem ungeheuren aufrechtstehenden Halbkreis auf, und waren mit dem untern Ende in einem Halbmond von Perlen befestigt, der seine Stirn umspannte. Um seinen Nacken waren mehrere ungeheure Halsbänder von Eberhauern geschlungen, die wie Elfenbein polirt und so geordnet waren, daß die längsten und dicksten auf seiner muskulösen Brust ruhten. Durch die großen Löcher in seinen Ohren, waren kleine Pottfischzähne so gesteckt, daß ihre hohlen Seiten nach vorn standen; in diese waren frisch gepflückte Blätter gesteckt, und das andere Ende der Zähne war zu sonderbaren kleinen Bildern und Schnörkeln geschnitzt. Diese barbarischen Berlocken, auf solche Weise an ihren offnen Enden geschmückt und am andern Ende spitz zugebogen, sahen kleinen Füllhörnern gar nicht unähnlich.

Die Lenden des Kriegers waren mit schweren Falten von dunkelfarbigen Tappa umgürtet, welche vorn und hinten [151] in Bündeln geflochtener Quästchen herabhingen; Arm- und Beinspangen von lockigem Menschenhaar vollendeten sein höchst eigenthümliches Costüm. In der rechten Hand hatte er einen wunderschön geschnitzten, schaufelartigen Wurfspieß, beinahe funfzehn Fuß lang, der aus hellem Buchsbaumholz, an dem einen Ende scharf gespitzt, an dem andern wie eine Ruderschaufel geformt war. In einer Schlinge von feinem Baste hing schräg von seinem Gürtel herab eine reichverzierte Pfeife; ihr Stiel, aus einem zarten Rohr gemacht, war mit einer schönen rothen Farbe überzogen und um denselben, wie um den Kopf, der ein Götzenbild war, hingen kleine Streifchen vom dünnsten Tappa herab.

Was aber am merkwürdigsten in der Erscheinung des prachtvollen Insulaners war, war die sorgfältige Tättowirung jedes seiner schönen und edlen Glieder. Alle ersinnlichen Linien, Bogen und Figuren waren auf seinem ganzen Körper gezeichnet, und ich konnte ihre unendliche Verschiedenheit und ihren Reichthum nur mit den dichten Gruppirungen der sonderbaren Muster vergleichen, die man zuweilen auf kostbaren Spitzen sieht. Die einfachste und merkwürdigste aller dieser Verzierungen war die, welche das Gesicht des Häuptlings schmückte. Zwei schräge tättowirte Streifen liefen vom Mittelpunkt seines kahlen Scheitels aus, über beide Augenlider und reichten bis ein wenig [152] unter beide Ohren herab, wo sie sich mit einem andern Streifen vereinigten, der von einem Ohr zum andern quer über die Oberlippe hinlief und die Basis des Dreiecks bildete. Der Krieger konnte wegen der vollendeten Schönheit seines Körperbaues wol als einer der Edelleute der Natur angesehen werden, und es ist möglich, daß die Linien in seinem Gesicht seinen hohen Rang bezeichnet haben.

Diese kriegerische Person setzte sich, nachdem er eingetreten war, in einiger Entfernung von Tobias und mir, während die übrigen Wilden bald uns, bald ihn anblickten, als ob sie etwas erwarteten und in ihrer Erwartung getäuscht wären. Als ich den Häuptling aufmerksam ansah, kamen mir seine Züge bekannt vor. Sobald sein Gesicht ganz mir zugekehrt war, und ich wieder seine sonderbare Verzierung sah, und demselben ernsten Blick begegnete, dem ich die vorhergehende Nacht ausgesetzt gewesen war, erkannte ich gleich, trotz seiner sehr veränderten Erscheinung, den edlen Mehevi. Als ich ihn anredete, kam er gleich auf die freundlichste Art näher und schien sich, indem er mich herzlich begrüßte, nicht wenig über den Eindruck zu freuen, den sein barbarisches Costüm auf mich machte.

Ich beschloß sogleich, wo möglich das Wohlwollen dieses Menschen zu gewinnen, da ich leicht einsah, daß er großen Einfluß bei seinem Stamme besaß und denselben mit Erfolg in der Bestimmung unsers künftigen Schicksals [153] ausüben konnte. Ich wurde bei dem Versuch nicht zurückgewiesen, denn sowol gegen meinen Begleiter, als gegen mich war er von einer unvergleichlichen Freundlichkeit. Er streckte seine riesigen Glieder neben uns hin, und versuchte, uns die ganze Fülle des freundlichen Gefühls begreiflich zu machen, das ihn bewegte. Die fast unübersteigliche Schwierigkeit einer Unterhaltung mit uns erfüllte den Häuptling mit nicht geringer Trauer. Er zeigte ein eifriges Verlangen, über die Sitten des fernen Landes belehrt zu werden, welches wir verlassen hätten, und welches er oft unter dem Namen Maneeka erwähnte.

Aber was mehr, als irgend ein anderer Gegenstand, seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, waren die jüngsten Bewegungen der „Frances“, wie er die Franzosen nannte, in der benachbarten Bucht von Nukuheva. Dies schien für ihn ein unerschöpfliches Thema, über das er nie des Fragens müde wurde. Alle Auskunft, die es uns gelang, ihm zu geben, beschränkte sich darauf, daß wir sechs Kriegsschiffe in der feindlichen Bucht gesehen hätten, als wir sie verließen. Bei dieser Nachricht machte Mehevi eine Art von Zahlenkunststück an seinen Fingern, als ob er berechne, wie viele Franzosen das Geschwader enthalten möchte.

Nachdem er seine Geistesgaben auf diese Weise angestrengt hatte, bemerkte er zufällig die Geschwulst meines Beines. Sogleich untersuchte er es mit großer Aufmerksamkeit, [154] und nachdem er dies gethan, schickte er einen Knaben, der eben neben ihm stand, mit einer Botschaft ab.

Nach wenigen Augenblicken kehrte das Bürschchen mit einem alten Insulaner zurück, den man für den leibhaftigen Hippokrates hätte halten können. Sein Kopf war so kahl, wie die polirte Oberfläche einer Cocosschale, und sah einem solchen Gefäß sowol an Farbe, wie an Glätte ähnlich, während ein silberweißer Bart fast bis auf seinen Gürtel von Baumrinde herabhing. Ein Reif von geflochtenen Omooblättern umschloß seine Schläfe und war zum Schutze seines schwachen Auges gegen die Sonne bis auf die Augenbrauen hinabgedrückt. Seine schwankenden Schritte unterstützte er mit einem langen dünnen Stabe, ähnlich dem Zauberstabe eines Zauberers auf der Bühne, und in einer Hand trug er einen, aus einem Cocosblatte frisch gefalteten Fächer. Ein weites Gewand von Tappa, hing lose von seinen Schultern herab um die gebeugte Gestalt und erhöhte die Ehrwürdigkeit seiner Erscheinung.

Mehevi grüßte diesen Greis und winkte ihm mit der Hand, sich zwischen uns zu setzen, entblößte dann mein Bein und hieß ihn es untersuchen. Der Arzt sah aufmerksam erst mich, dann Tobias an, und machte sich endlich an’s Werk. Nachdem er das kranke Glied genau besehen hatte, fing er an es zu betasten; dabei glaubte er wahrscheinlich, daß die Krankheit jedes Gefühl aus demselben [155] vertrieben habe, denn er kniff, drückte und hämmerte auf meinem armen Bein in einer Weise umher, daß ich vor Schmerz ordentlich aufbrüllte. Ich war der Meinung, daß ich so gut wie irgend ein anderer nur die nöthigen Kniffe und Püffe versetzen könnte, und widersetzte mich daher dieser ärztlichen Behandlung. Aber es war keine leichte Sache, aus den Klauen dieses alten Hexenmeisters zu kommen; er befestigte das arme Bein, als ob es etwas wäre, was er längst gesucht habe, und setzte unter dem Gemurmel einer Art von Zauberformel sein Prügeln und Stoßen so derb fort, daß ich bald verrückt geworden wäre; während Mehevi, etwa wie eine liebende Mutter ihr widerstrebendes Kind in dem Stuhl des Zahnarztes festhält, mich mit seiner mächtigen Umarmung zur Ruhe zwang und den Peiniger förmlich zur Fortsetzung seiner Torturen ermuthigte.

Fast rasend vor Wuth und Schmerz, kreischte ich wie ein Tollhäusler; während Tobias sich in allen Stellungen eines Modellstehers übte, und versuchte, die Eingebornen durch seine Zeichen und Geberden zur Vernunft zu bringen. Wer Tobias gesehen hätte, wie er aus Mitleid für meine Schmerzen, versuchte ihnen ein Ende zu machen, hätte ihn für das verkörperte Taubstummen-Alphabet halten können. Ob nun mein Peiniger den Bitten meines Begleiters nachgab, oder aus gänzlicher Erschöpfung aufhörte, weiß ich nicht; aber er brach plötzlich seine Bearbeitung meines Beines [156] ab. Zugleich ließ mich auch der Häuptling los, und ich sank athemlos und ohnmächtig von dem überstandenen Leiden auf mein Lager zurück.

Mein unglückseliges Bein, war nun ziemlich in dem Zustande eines Beefsteaks, welches das Klopfen vor dem Braten glücklich durchgemacht hat. Nachdem sich mein Arzt von seiner Anstrengung erholt hatte, nahm er, gleichsam als wolle er für seine rauhe Handlungsweise sich entschuldigen, einige Kräuter aus einer kleinen Tasche, die ihm vom Gürtel herabhing, tauchte sie in Wasser und legte sie auf den entzündeten Theil, indem er zugleich entweder eine Zauberformel flüsterte, oder eine heimliche Unterredung mit einem eingebildeten Teufelchen hatte, das irgendwo in meiner Wade stecken mußte. Nun ward mein Bein mit frischen Laubumschlägen verbunden und ich wurde der Ruhe überlassen, wofür ich dem Himmel aus tiefinnerster Seele dankbar war.

Bald darauf stand Mehevi auf, um zu gehen; aber ehe er sich entfernte, sprach er gebieterisch mit einem der Eingebornen, den er Kory-Kory nannte; und aus dem Wenigen, was ich verstand, ging hervor, daß er ihn als den Mann bezeichnete, dessen ausdrückliche Pflicht es künftig sein würde, für meine Person zu sorgen. Ich bin nicht gewiß, ob ich damals schon so viel verstand, aber das Betragen meines zuverläßigen Leibdieners von Stund an zeigte [157] mir deutlich genug, daß Mehevi nichts anderes gesagt hätte.

Mich ergötzte höchlichst die Art, in welcher mich der Häuptling bei dieser Gelegenheit anredete; er sprach nämlich zehn bis fünfzehn Minuten lang mit einer solchen Ruhe zu mir als hätte ich jede Sylbe verstehen können. Ich bemerkte später bei verschiedenen Gelegenheiten dieselbe Eigenthümlichkeit bei vielen der andern Insulaner.

Als Mehevi nun fort war und auch der Hausarzt Abschied genommen hatte, blieben wir etwa um Sonnenuntergang allein mit den zehn oder zwölf Eingebornen, die, wie wir nun herausfanden, die Haushaltung ausmachten, welcher Tobias und ich zugetheilt worden waren. Da die Wohnung, in die wir zuerst geführt wurden, mein dauernder Aufenthalt blieb, während der ganzen Zeit, daß ich im Thale war, und da ich nothwendigerweise auf dem vertrautesten Fuß mit den Bewohnern derselben lebte, so kann ich gleich hier eine kurze Beschreibung von Haus und Leuten geben. Diese Beschreibung wird auch auf fast alle andern Wohnungen im Thale passen und einen Begriff von der Mehrzahl der Eingebornen geben.

Nahe an einer Seite des Thales und etwa auf halber Höhe, eines ziemlich steilen Hügels, der mit dem üppigsten Grün überzogen war, waren große Steine, bis zur Höhe von beinahe acht Fuß, in Lagen über einander gelegt und [158] so vertheilt, daß die Form ihrer ebenen Oberfläche mit der Wohnung übereinstimmte, die darauf gebaut war. Indeß war vor dem Gebäude ein kleiner Raum auf der Spitze des Steinhaufens (den die Eingebornen einen „Pi-Pi“ nennen) vorbehalten, der mit Zuckerrohren eingeschlossen war und fast das Ansehen einer Verranda hatte. Die Außenwände des Hauses waren von großen Bambusrohren, die aufrecht eingepflanzt und mit Querstangen von leichtem Holze durch Baststricke verbunden waren. Die hintere Seite des Hauses, welche von über einander gebundenen Cocosstämmen aufgeführt und künstlich mit Blättern durchflochten war, stand nicht ganz senkrecht und erstreckte sich von dem äußern Rande des „Pi-Pi“ bis etwa zwanzig Fuß über denselben, von wo aus das abschüßige Dach, welches mit langen spitzigen Palmenblättern schuppenartig gedeckt war, bis auf etwa fünf Fuß vom Boden herabreichte, während die Dachrinnen, mit einer Art von Quasten verziert, über die Vorderseite des Hauses schräg herabgingen. Diese waren von leichtem hübschen Zuckerrohr gemacht, welches durchbrochen gearbeitet und sehr geschmackvoll mit Bastgeflechten, verziert war, welche zugleich dazu dienten, die einzelnen Stücke derselben zusammen zu halten. Die Seiten des Hauses waren ähnlich zusammengesetzt, so daß die Luft frei das Haus durchziehen konnte, während es für den Regen undurchdringlich war.

[159] Dies malerische Gebäude war etwa achtzehn Ellen lang, während es wol nicht über achtzehn Fuß breit war. So viel vom Äußern dieses Häuschens, welches durch seine drahtartig mit Rohr durchflochtenen Seiten mich nicht wenig an ein großes Vogelhaus errinnerte.

Man trat etwas gebückt durch eine enge Öffnung an der Vorderseite des Hauses ein; gerade gegenüber lagen zwei lange, durchaus gerade, und schön polirte Cocosstämme, die die ganze Länge der Wohnung einnahmen; der eine lag dicht an der Hinterwand, der andere etwa drei Ellen davor in ganz gleicher Richtung; der Raum zwischen beiden war mit einer Menge bunter Matten angefüllt, die fast alle von verschiedenem Muster waren. Dieser Raum war das allgemeine Lager und der gemeinschaftliche Ruheplatz, der etwa dem orientalischen Divan entsprach. Hier schlief man während der Nacht, und genoß einer üppigen Ruhe während des größten Theils des Tages. Der übrige Theil des Fußbodens bestand nur aus den kühlen glänzenden Steinen, von welchen der „Pi-Pi“ gebaut war.

Vom Giebelrücken des Hauses herab hingen eine Anzahl großer Packete in grobem Tappa, von denen einige Festanzüge und andere Gegenstände enthielten, die hoch in Ehren gehalten wurden. Diese Packete waren leicht zugänglich, denn sie hingen an einem Ende von Schnüren herab, deren anderes Ende an der Seitenwand befestigt war, so [160] daß man die Packete nach Gefallen hinauf ziehen oder herablassen konnte.

Gegen die entferntere Wand des Hauses waren in geschmackvoller Anordnung eine Menge von Speeren und Wurfspießen aufgestellt, so wie andere zur Kriegskunst der Wilden gehörige Geräthschaften. Außen vor der Wohnung in der verrandaartigen Vorhalle war eine Art von Verschlag, der als Speise- und Vorrathskammer diente und eine Menge Sachen zu häuslichem Nutzen und Vergnügen enthielt. Einige Ellen vor dem „Pi-Pi“ war ein großer Verschlag von Cocosstämmen, in welchem der „Poee-Poee“ bereitet und alle Küchengeschäfte besorgt wurden.

So war das Haus und die Nebengebäude, und man muß gestehen, daß eine bequemere und dem Klima angemessenere Wohnung nicht wol hätte erdacht werden können. Sie war kühl, der frischen Luft zugänglich, sehr reinlich und über die Feuchtigkeit des Bodens erhoben.

Jetzt will ich seine Bewohner schildern, und nehme den Vorrang für meinen geprüften Diener Kory-Kory in Anspruch. Da sein Charakter nach und nach in meiner Erzählung gezeichnet werden wird, so beschränke ich mich hier auf eine Beschreibung seiner äußern Erscheinung. Kory-Kory war, obgleich der ergebenste und gutmüthigste Diener von der Welt, von einer förmlich widerlichen Häßlichkeit. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, sechs Fuß groß [161] stark und proportionirt gebaut, hatte aber ein Gesicht, das wirklich einen merkwürdigen Anblick darbot. Sein Kopf war sorgfältig rasirt, mit Ausnahme von zwei runden Flecken, von der Größe eines Thalers, nahe am Scheitel, wo das Haar, welches bis zu einer überraschenden Länge gewachsen und in zwei große emporstehende Knoten geflochten war, die ihm das Ansehen gaben, als habe ihn die Natur mit Hörnern ausgestattet. Sein Bart, der an jedem andern Theil des Gesichts mit der Wurzel ausgerupft war, hing in vier langen Büscheln, deren zwei auf der Oberlippe und zwei am Kinn saßen, weit über die Brust herab.

Kory-Kory hatte in der Absicht, das Werk der Natur zu verbessern, und vielleicht um die Reize seiner Gesichtszüge zu erhöhen, für gut befunden, sein Gesicht mit drei breiten tättowirten Streifen zu versehen, welche wie Landstraßen, die trotz aller Hindernisse immer gerade fortgehen, über seine Nase stiegen, in seine Augenhöhlen sich senkten, und selbst den Rand seines Mundes berührten. Jeder derselben umspannte sein ganzes Gesicht; der eine lief gerade über die Augen, der zweite über die Nase und der dritte quer über seine Lippen von einem Ohr zum andern. Seine auf diese Weise mit dreifachen Reifen umgebene Physiognomie erinnerte mich immer an die unglücklichen Geschöpfe, die ich zuweilen traurig durch das Gitterfenster eines Gefängnisses habe blicken sehen, während der ganze Körper meines wilden [162] Dieners mit Bildern von Fischen, Vögeln und einer Masse von ganz unerklärlichen Geschöpfen bedeckt war, und mir wie ein malerisches Museum der Naturgeschichte, oder wie eine illustrirte Ausgabe von „Goldsmiths lebende Welt“ vorkam.

Es ist aber fast herzlos, so über den armen Insulaner zu schreiben, dessen unermüdlicher Pflege ich gewiß mein Leben zu danken habe. Guter Kory-Kory, ich meine es nicht böse mit meinen Bemerkungen über Deine äußern Verzierungen; aber sie waren für mein ungewöhntes Auge so sonderbar und daher erwähne ich sie. Deine treuen Dienste aber werde ich nie, selbst in meinen unbesonnesten Augenblicken, weder vergessen, noch zu gering anschlagen.

Der Vater meines anhänglichen Dieners war ein Eingeborner von riesiger Gestalt, und hatte früher ungeheure Körperkraft besessen; jetzt jedoch wich die hohe Gestalt dem Einfluß der Zeit, obgleich es schien, daß Krankheit nie den alten Krieger heimgesucht hatte. Marheyo, so nannte er sich, schien sich von jedem thätigen Antheil an den Angelegenheiten des Thales zurückgezogen zu haben, und begleitete selten oder nie die Eingebornen auf ihren verschiedenen Ausflügen. Er wandte den größten Theil seiner Zeit dazu an, eine Art von Schuppen vor dem Hause zu bauen, welcher ihn unter meinen Augen vier Monate lang beschäftigte, ohne daß er irgend sichtlich damit vorwärts rückte. Ich glaube der alte Herr war kindisch, denn er zeigte bei verschiedenen [163] Gelegenheiten die charakteristischen Merkmale dieser besondern Lebensperiode.

Ich entsinne mich, daß er ein Paar sehr schöner Ohrenverzierungen hatte, die aus den Zähnen irgend eines Seeungeheuers gemacht waren. Diese pflegte er wol funfzig mal am Tage einzustecken und abzunehmen, indem er jedesmal mit allergrößter Ruhe von seinem Hüttchen kam und wieder hinging. Zuweilen ergriff er, wenn er sie eingesteckt hatte, seinen langen dünnen Spieß, der einer Fischruthe glich, und irrte in dem nahen Wäldchen umher, als wolle er irgend einem kannibalischen Ritter ein Treffen liefern. Er kehrte aber bald wieder zurück, wickelte seine Riesenberlocken in ein Stück Tappa, verbarg seinen Spieß unter der Dachrinne des Hauses und kehrte so ruhig zu seiner friedlichen Beschäftigung zurück, als habe er sie gar nicht unterbrochen.

Aber trotz dieser närrischen Eigenheiten war Marheyo ein guter warmfühlender Kerl und glich hierin sehr seinem Sohn Kory-Kory. Die Mutter des Letztern war die Herrin der Familie, eine tüchtige Hausfrau und ein sehr fleißiges altes Weib. Verstand sie auch nicht Eingemachtes, Crèmes, Torten und dergleichen Erbärmlichkeiten zu machen, so hatte sie dagegen tiefe Einsicht in die Geheimnisse der Bereitung von „Amar“, „Poee-Poee“, „Kokoo“ und vieler andern handfesten Gerichte. Sie war eine wahre Ameise; sie rannte im Hause umher, wie die Wirthin einer [164] Landschenke bei der Ankunft unerwarteter Gäste; sie gab ewig den jungen Mädchen Arbeiten auf, die die kleinen Hexen doch eben so oft nicht ausführten; sie durchstöberte alle Winkel, untersuchte Bündel von altem Tappa und machte großes Geräusch unter den Kalebassen. Zuweilen sah man sie vor der Thüre hingekauert an einem großen hölzernen Gefäß, in welchem sie mit athemlosem Eifer „Poee-Poee“ knetete und dabei so fürchterlich mit dem steinernen Stößel handtirte, als wollte sie das Gefäß kurz und klein schlagen; zu andern Zeiten wieder rannte sie wie besessen im Thale umher und suchte ein gewisses Kraut, welches sie bei irgend einer heimlichen Kocherei brauchte, und kehrte erschöpft und in Schweiß gebadet mit einem Bündel nach Hause zurück, unter dessen Last die meisten Weiber zusammengesunken sein würden.

Kory-Korys Mutter war in Wahrheit die einzige arbeitsame Person im ganzen Thale von Typie; sie hätte nicht thätiger sein können, als sie war, wenn sie eine sehr starke unglückliche Wittwe, mit einer ungewöhnlichen Anzahl von Kindern, in dem freudenlosesten Theil der civilisirten Welt gewesen wäre. Der größte Theil der Arbeit, die die Alte machte, war im höchsten Grade unnöthig: sie schien aber aus einem unwiderstehlichen Antriebe zu arbeiten, und ihre Glieder bewegten sich fortwährend, als ob eine unermüdliche [165] Maschine in ihrem Körper verborgen gewesen wäre, die sie in unaufhörlicher Bewegung erhalten hätte.

Bei allen diesem darf man aber nicht glauben, daß sie ein tobendes oder keifendes Weib gewesen wäre; sie war vielmehr das beste Herz von der Welt, und behandelte mich vorzüglich auf wahrhaft mütterliche Art, steckte mir dann und wann die ausgesuchtesten Bissen zu, wie fremdartige wilde Früchte in Gestalt von polynesischem Backwerk, wie eine liebende Mutter ein krankes Kind mit Torten und Zuckerwerk beschenkt. Ich denke mit warmer Dankbarkeit an die Güte der lieben, freundlichen alten Tinora!

Außer den erwähnten Bewohnern des Hauses gehörten noch drei junge Leute dazu, recht lüderliche, nichtsnutzige, wilde Kerle, die entweder Liebesabenteuer mit den Mädchen des Stammes verfolgten, oder sich in Gesellschaft gleichgesinnter Gesellen bei „Arva“ und Tabak berauschten.

Unter den festen Bewohnern des Hauses waren auch einige allerliebste junge Mädchen, die, statt wie die jungen Damen der civilisirten Welt, auf dem Pianoforte zu trommeln und Romane zu lesen, diese Beschäftigungen mit der Fabrikation einer Art feinen Tappa’s ersetzten, aber doch den größten Theil ihrer Zeit damit zubrachten, von Haus zu Haus zu laufen, und mit ihren Freundinnen zu plaudern und zu schwatzen.

Ich muß aber vor den Übrigen besonders die reizende [166] Nymphe „Fayawa“ hervorheben, die mein erklärter Liebling war. Ihr freier geschmeidiger Körper war das Bild der Vollkommenheit weiblicher Schönheit und Grazie. Ihre Hautfarbe war ein üppig dunkles Oliv, und wenn ich das Erglühen ihres Gesichts genau beobachtete, bemerkte ich auf den schönen Wangen das Durchschimmern eines leichten Roth. Ihr Gesicht war von einem herrlichen Oval und jeder ihrer Züge so vollkommen schön, wie eines Mannes Herz oder Phantasie es nur wünschen konnte. Ihre vollen Lippen enthüllten beim Lächeln Zähne von blendender Weiße, und wenn sie in wilder Heiterkeit laut auflachte, sahen dieselben aus wie die milchweißen Samenkörner der „Arta“, eine Frucht des Thales, die, wenn man sie spaltet, ihre Kerne in zwei dichten Reihen in ihrem saftigen Fleische zeigt. Ihr Haar war dunkelbraun, in der Mitte gescheitelt, floß in reichen natürlichen Locken über ihre Schultern herab und fiel, so oft sie sich bückte, verhüllend um ihren lieblichen Busen. Blickte man ihr, wenn sie sinnend da saß, in die tiefblauen Augen, so erschienen dieselben eben so sanft wie unergründlich; wenn sie aber bei einer lebhaften Gemüthsbewegung leuchteten, so strahlten sie wie ein Paar Sterne dem Beschauer entgegen. Fayawa’s Hände waren so zart und weich wie die einer Gräfin, denn die Jugend und selbst die mittleren Jahre eines Typie-Weibes werden gänzlich mit grober Arbeit verschont. Ihre [167] Füße waren, wenngleich ganz nackt, eben so klein und schön geformt wie die, welche unter dem Kleide einer Dame von Lima hervorgucken. Die Haut dieses jungen Wesens war durch fortwährendes Einreiben mit wohlriechendem Balsam von überraschender Glätte und Zartheit.

Es könnte mir vielleicht gelingen, einige von Fayawa’s schönen Zügen zu beschreiben, allein die allgemeine Lieblichkeit ihrer Erscheinung, zu welcher sie alle gleichmäßig beitrugen, versuche ich gar nicht zu schildern. Die leichten ungekünstelten Reize eines Naturkindes, wie sie war, welches von Kindheit an eine ewige Sommerluft geathmet hat, das die einfachen Früchte des Thales genährt und welches man mit Erfolg von jeder schädlichen Neigung fern gehalten hat, erfreuen das Auge in einer Weise, die durchaus nicht geschildert werden kann. Dies Bild ist keine ersonnene Skizze, sondern nach der lebhaften Erinnerung der beschriebenen Person gezeichnet.

Wenn man mich fragte, ob die schöne Gestalt Fayawas ganz von dem häßlichen Makel des Tättowirens frei war, so würde ich gezwungen sein, dies zu verneinen. Aber die Meister dieser barbarischen Kunst, die so schonungslos mit den sehnigen Gliedern der Krieger verfahren, scheinen doch zu wissen, daß es nicht der Hülfe ihrer Kunst bedarf, um die Reize der Mädchen des Thales zu erhöhen. Diese werden nur sehr geringfügig auf solche Weise verziert, und Fayawa, [168] wie auch die andern Mädchen ihres Alters, waren viel weniger tättowirt als die Weiber von vorgerückterem Alter. Der Grund dieser Eigenthümlichkeit wird später erwähnt werden. Die ganze Tättowirung, welche die eben beschriebene Nymphe an ihrem Körper zeigte, ist leicht geschildert. Drei kleine Punkte, nicht größer als ein Stecknadelknopf schmückten jede ihrer Lippen und waren auf eine kleine Entfernung schon gar nicht mehr sichtbar. Gerade auf der Rundung der Schulter waren zwei feine parallele Linien, etwa einen halben Zoll von einander und drei Zoll lang. Der Raum zwischen denselben war mit zartausgeführten Figuren gefüllt. Diese schmalen tättowirten Bänder erinnerten mich immer an die Epaulettebänder der Offiziere in halber Uniform, welche statt der Epaulettes ihren Rang bezeichnen.

Fayawa war nur so weit tättowirt, als habe die kühne Hand, die ihr Werk der Entstellung so weit vollführt, nicht das Herz gehabt, weiter zu gehen.

Aber ich habe noch nicht der Kleidung dieser Nymphe des Thales erwähnt.

Fayawa – ich muß die Thatsache gestehen – hielt sich größtentheils an die ursprüngliche Sommertracht des Paradieses. Aber welch ein kleidsames Costüm! Es zeigte ihre schöne Gestalt im allervortheilhaftesten Lichte; und nichts hätte dem eigenthümlichen Charakter ihrer Schönheit entsprechender sein können. Für gewöhnlich trug sie sich [169] genau wie ich die beiden jungen Wilden beschrieben habe, denen wir bei unserm ersten Eintritt ins Thal begegneten. Zu andern Zeiten, wenn sie in den Wäldchen lustwandelte oder ihre Freundinnen besuchte, trug sie eine Tunika von weißem Tappa, die ihr von der Taille bis an die Knie reichte; und wenn sie sich auf längere Zeit den Sonnenstrahlen aussetzte, schützte sie sich immer gegen dieselben durch einen wallenden Mantel von demselben Stoff, der ihre Glieder loose umschloß. Ihren Galaanzug werde ich später beschreiben.

Wie die Schönheiten unseres Landes sich so gern mit Geschmeiden bedecken, die sie um den Hals thun, in die Ohren hängen oder um ihre Arme spannen, so pflegten auch Fayawa und ihre Gespielen sich mit ähnlichen Anhängseln zu schmücken.

Flora war ihr Juwelier. Zuweilen trugen sie Halsbänder von rothen Nelken, die wie Rubinen auf eine Tappafaser gezogen waren, oder sie zeigten in ihren Ohren eine einzelne weiße Knospe, deren Stiel durch die Oeffnung nach hinten gesteckt war, und deren enggekräuselte Kelchblätter vorn wie eine fleckenlose Perle aussahen. Auch umschlangen sie oft ihre Schläfe mit Kränzen, die wie das Erdbeerendiadem einer englischen Herzogin geordnet und von Blättern und Blüthen gewunden waren; und Arm- und Beinspangen von demselben geschmackvollen Muster sah man [170] sehr häufig. Die Mädchen des Thales liebten in der That die Blumen sehr und wurden nie müde, sich mit denselben zu schmücken, ein lieblicher Zug ihres Charakters, dessen ich später näher erwähnen werde.

Obgleich in meinen Augen Fayawa unbestritten die Schönste in Typie war, so paßt doch die Beschreibung, die ich von ihr gemacht habe, einigermaßen auf alle jungen Mädchen des Thales. Urtheile danach, Leser, was für schöne Geschöpfe sie waren.


[171]
Capitel XII.

Diensteifer Kory-Kory’s – Seine Ergebenheit – Ein Bad im Fluß – Freies Benehmen der jungen Damen von Typie – Spaziergang mit Mehevi – Eine Typie-Landstraße – Die Haine des Taboo – Der Hoolah-Hoolah-Grund – Der Ti – Alte Wilde – Mehevi’s Gastfreiheit – Mitternächtliche Befürchtungen – Abenteuer im Dunkeln – Ehrenbezeigungen gegen die Besucher – Sonderbarer Aufzug und Rückkehr nach Marheyos Hause.

Als Mehevi, wie im vorigen Capitel erzählt worden ist, das Haus verlassen hatte, trat Kory-Kory den ihm angewiesenen Dienst an. Er brachte uns verschiedene Speisen und bestand darauf, mich mit seinen eignen Händen zu füttern, als ob ich ein kleines Kind gewesen wäre. Dem widersetzte ich mich, wie begreiflich, aus allen Kräften, aber vergeblich; er setzte eine Kalebasse mit Kokoo vor mir hin, wusch seine Hände in einem Becken mit Wasser und fing dann an, den Kokoo in lauter kleine Kugeln zu drehen, die er mir dann einzeln in den Mund steckte. Alle meine [172] Einwendungen gegen dieses Verfahren machten ihn blos doppelt zudringlich, so daß ich genöthigt war, mich zu fügen, und da hiedurch das Füttern leichter wurde, so war die Mahlzeit bald beendet. Was Tobias betrifft, so durfte er sich selbst auf seine eigne Weise helfen.

Als die Mahlzeit vorüber war, ordnete mein Diener die Matten auf dem Lager und winkte mir, mich niederzulegen, deckte mich mit einem großen Mantel von Tappa zu, indem er mich beifällig betrachtete und dazu rief: „Ki-Ki, muee muee, ah! moee moee motarkee“ (iß genug, ja! und schlaf sehr gut). Ich fühlte mich nicht aufgelegt, die Philosophie dieses Satzes zu bestreiten, denn da ich mehrere Nächte nicht geschlafen hatte und der Schmerz in meinem Bein viel geringer war, fühlte ich nun große Lust, die dargebotene Gelegenheit zu benutzen.

Als ich am nächsten Morgen erwachte, sah ich Kory-Kory an meiner einen, Tobias an meiner andern Seite hingestreckt. Ich fühlte mich durch den gesunden Schlaf der Nacht merklich gestärkt, und willigte gleich in den Vorschlag meines Dieners, zum Flusse zu gehen und mich zu waschen, obgleich ich die Schmerzen fürchtete, die diese Bewegung mir verursachen dürfte. Dieser Furcht ward ich indeß bald überhoben, denn Kory-Kory sprang vom Pi-Pi, stellte sich mit dem Rücken dagegen, wie ein Lastträger, der einen Koffer aufnehmen will, und gab mir in lauten [173] Tönen und einer Masse von Geberden zu verstehen, daß ich auf seinen Schultern bis zum Fluß getragen werden sollte, der etwa zweihundert Schritt vom Hause floß.

Unser Erscheinen auf der Verranda zog eine Menge Eingeborner herbei, die uns betrachteten und sich laut und mit lebhaften Geberden unterhielten. Sie erinnerten an die Gruppen von Müssiggängern, die sich um eine Dorfschenke versammeln, wenn die Equipage eines hohen Reisenden vorfährt. Sobald ich meine Arme um den Nacken des ergebenen Burschen geschlungen hatte und er mit mir davontrabte, folgte die Menge, die hauptsächlich aus jungen Mädchen und Knaben bestand, und begleitete uns mit Schreien, Springen und unendlicher Fröhlichkeit an das Ufer des Flusses.

Als wir es erreicht hatten, watete Kory-Kory bis an die Hüften in das Wasser und trug mich etwa halbwegs über den Strom, wo er mich auf einen glatten schwarzen Stein niedersetzte, der etwas über die Oberfläche des Flusses hervorragte. Der amphibienartige Haufe sprang uns nach ins Wasser, kletterte auf die bemoosten Felsblöcke, die hie und da im Strombett lagen, und wartete neugierig auf das Schauspiel meiner Morgenwäsche.

Ich war befangen durch die Gegenwart der vielen jungen Mädchen, und da ich meine Wangen vor schamhafter Furcht erglühen fühlte, machte ich aus meinen beiden Händen [174] ein natürliches Becken und kühlte ihre Gluth in dem Wasser, welches ich damit schöpfte. Dann zog ich meinen Rock aus, beugte mich über den Strom und wusch mir den Oberleib bis an die Hüften. Sobald Kory-Kory sah, daß hiemit mein Bad beendet sein sollte, schien er wie versteinert vor Erstaunen, eilte dann aber auf mich zu, stieß einen Strom von verächtlichen Worten über ein so mangelhaftes Werk aus und befahl mir mit unzweideutigen Zeichen, meinen ganzen Körper zu baden. Er zwang mich, zu gehorchen; der ehrliche Geselle schien mich wie ein launiges unerfahrnes Kind zu betrachten, dem er dienen müsse auf die Gefahr hin, seinen Zorn auf sich zu laden, hob mich vom Felsblock und badete meinen Unterkörper auf sehr sanfte Weise. Als dies beendet war und ich wieder auf dem Steine saß, konnte ich nicht umhin, die Gegend, die mich umgab, innig zu bewundern.

Nun glitten die Eingebornen von den großen grünen Steinen herab in das Wasser und schwammen und tauchten um mich her in jeder Richtung; die jungen Mädchen sprangen frohlockend hoch auf und enthüllten ihre nackten Glieder bis an die Hüften; ihre langen Locken flatterten um ihre Schultern, ihre Augen funkelten wie Thautropfen in der Sonne und ihr lustiges Lachen erscholl bei ihren heitern Scherzen.

Am Nachmittag des Tages, wo ich mein erstes Bad [175] im Flusse genommen hatte, empfingen wir einen zweiten Besuch von Mehevi. Der edle Wilde schien in derselben guten Laune zu sein und war eben so herzlich in seinem Benehmen wie früher. Nachdem er etwa eine Stunde dagewesen war, erhob er sich von den Matten und indem er Miene machte, das Haus zu verlassen, lud er Tobias und mich ein, ihn zu begleiten. Ich wies auf mein Bein, aber Mehevi wies seinerseits auf Kory-Kory und widerlegte so meinen Einwurf; ich bestieg also wieder die Schultern des treuen Dieners, wie der alte Mann in Sindbad’s Reisen, und folgte dem Häuptling.

Die Beschaffenheit des Weges, den wir nun gingen, fiel mir mehr als irgend etwas früher Bemerktes als für den unthätigen Charakter der Insulaner bezeichnend auf. Der Weg war augenscheinlich der geebnetste im ganzen Thale; einige andere führten von beiden Seiten in denselben und er war gewiß durch mehrere Menschenalter die Hauptstraße des Orts gewesen. Und doch schien sie mir, bis ich mich nach und nach an ihre Schwierigkeiten gewöhnte, ebenso beschwerlich zu passiren, wie das Innere einer felsigen Einöde. Ein Theil derselben umzog einen steilen Hügel, dessen Oberfläche sehr uneben und dicht mit Felsblöcken besäet war, deren Spitzen oft vom Laube der reichen Baumgruppen verdeckt waren.

Zuweilen ging der Weg gerade über diese Hindernisse, [176] zuweilen wand er sich ausweichend hindurch; in einem Augenblick ging es gerade über einen steilen Felsblock, der schon ganz glatt getreten war, und im nächsten eben so steil in die Schlucht auf der andern Seite und dann durch das steinige Bett eines Baches. Bald ging es durch eine lichte Stelle im Walde, wo man oft gebückt unter den überhängenden Ästen gehen mußte, bald über riesige Stämme und Äste, die quer über den Weg lagen und faulten.

So war die große Landstraße von Typie. Nachdem wir eine Strecke auf derselben gewandert waren und Kory-Kory unter seiner Last keuchte und schwitzte, stieg ich von seinen Schultern und ging über die zahlreichen Hindernisse auf dem Wege, indem ich mich auf Mehevis Speer stützte, den ich ergriffen hatte, da ich diese Art des Vorwärtskommens der andern vorzog, die wegen der Schwierigkeiten des Weges mir eben so beschwerlich war als meinem ermüdeten Diener.

Unsere Wanderung war bald zu Ende; denn nachdem wir eine steile Höhe erklommen hatten, waren wir plötzlich am Orte unserer Bestimmung. Ich wünschte, es wäre möglich, den Ort in Worten so lebhaft zu schildern, wie ich mich seiner erinnere.

Hier waren die Haine des Taboo, der Schauplatz mancher großen Festlichkeit, manches schrecklichen Religionsgebrauchs. Unter dem Schatten der geheiligten Brotfruchtbäume [177] herrschte ein feierliches Zwielicht, ein Halbdunkel wie in einem mächtigen Dome. Der schreckliche Geist heidnischer Götterverehrung schien schweigend über den Ort gebreitet und seinen Zauber auf alle umliegenden Gegenstände zu hauchen. Hie und da im Dunkel des Haines und halb von überhängendem Laube verdeckt, erhoben sich die abgöttischen Altäre der Wilden, aus riesigen, schwarzen polirten Steinen ohne verbindenden Kalk bis zur Höhe von zwölf bis funfzehn Fuß aufgethürmt; rohe offne Tempel überragten dieselben mit einer niedrigen Einfassung von Zuckerrohr, und auf den Altären sah man Spenden von Brotfrüchten und Cocosnüssen in den verschiedensten Graden der Fäulniß, und die verpestenden Überreste eines neulichen Opfers.

In der Mitte des Haines war der geheiligte „Hoolah-Hoolah-Grund“, welcher zu den Feierlichkeiten der phantastischen Religionsübungen der Eingebornen abgesteckt war. Er bestand aus einem sehr großen länglichen Pi-Pi, der zu beiden Seiten hohe terrassenförmige[WS 3] Altäre hatte, die von zwei Reihen scheußlicher hölzerner Götzen bewacht wurden; die letzten beiden Seiten waren mit einem Gehege von Bambusrohr eingefaßt, durch das man ins Innere des so gebildeten Parallelogramms gelangte. In der Mitte desselben standen große Bäume, die den Raum dicht beschatteten und um deren Stämme man kleine Bühnen aufgebaut [178] hatte, die einige Fuß über dem Boden erhoben und mit Geländern von Zuckerrohr eingefaßt waren. Diese Bühnen dienten als Kanzeln, von denen herab die Redner ihre frommen Zuhörer belehrten.

Dieses Allerheiligste war durch die strengsten Gesetze des allmächtigen „Taboo“ vor Entweihung geschützt, welche jedes Weib, das seine Grenzen berührte oder überschritte, oder nur den durch den Schatten seiner Bäume geheiligten Boden betrete, zu augenblicklichem Tode verurtheilten.

Der Haupteingang war eine laubenartige Öffnung auf der einen Seite, einer Anzahl himmelanstrebender Cocospalmen gegenüber, die in kleinen Zwischenräumen längs des etwa hundertundfunfzig Ellen langen Geheges gepflanzt waren. Am entfernteren Ende dieses Raumes sah man ein Gebäude von beträchtlichem Umfange, welches den Priestern und den Wärtern des Haines zur Wohnung diente.

In der Nähe desselben stand ein anderes merkwürdiges Gebäude, welches wie gewöhnlich auf einem Pi-Pi gebaut und wenigstens zweihundert Fuß lang, aber nur zwanzig Fuß tief war. Die ganze Vorderseite desselben war offen und eine schmale Verranda lief von einem Ende derselben zum andern hin und war am Rande des Pi-Pi mit einem Stacket von Zuckerrohr eingefaßt. Das Innere dieses Hauses hatte das Ansehen eines ungeheuren Ruheplatzes, denn [179] der ganze Fußboden war mit vielen Lagen von Matten bestreut, die zwischen parallelen Cocosstämmen lagen, welche zu dem Ende aus den geradesten und symmetrischsten ausgewählt waren, die das Thal darbot.

In dieses Gebäude, welches in der Sprache der Eingebornen der „Ti“ genannt wurde, führte uns jetzt Mehevi. So weit waren wir von Haufen von Eingebornen beiderlei Geschlechts begleitet worden; sobald wir aber in die Nähe des „Ti“ kamen, trennten sich die Weiber von der Menge, indem sie bei Seite traten und uns vorbeigehen ließen, denn die unbarmherzigen Verbote des Taboo erstreckten sich auch auf dieses Gebäude und wurden bei derselben schrecklichen Strafe aufrecht erhalten, welche den Hoolah-Hoolah-Grund vor der eingebildeten Schändung durch die Gegenwart eines Weibes bewahrte.

Als wir eintraten, überraschte es mich, sechs Flinten gegen die eine Bambuswand gelehnt zu sehen, an deren Läufen je ein kleiner Leinwandbeutel zum Theil mit Pulver gefüllt hing. Diese Flinten waren auf die Art, wie man die Cajütenwände eines Kriegsschiffs mit krummen Säbeln und Hirschfängern verziert, mit einer großen Menge der verschiedensten spitzen und ruderförmigen Speeren, Wurfspießen und Kriegskeulen umgeben. „Das muß wol das Zeughaus des Stammes sein,“ sagte ich zu Tobias.

Bei weiterem Vorschreiten im Gebäude fielen uns vier [180] bis fünf schrecklich häßliche alte Gestalten auf, deren verkrüppelte Glieder durch die Zeit und durch Tättowiren jeder Spur von Menschlichkeit beraubt waren. In Folge der genannten Operation, welche bei den Kriegern erst aufhört, wenn die in der Jugend gezeichneten Figuren alle ineinander laufen, welches übrigens nur bei sehr langem Leben der Fall wird, waren die Körper dieser alten Männer von matter einförmiger grüner Farbe, welche die Tättowirungen nach und nach annehmen, wie der Tättowirte an Alter zunimmt. Ihre Haut hatte ein häßliches schuppiges Ansehen, welches, bei ihrer eigenthümlichen Farbe, ihren Gliedern das Aussehen von staubigem Epheu gaben.

Ihr Fleisch hing theils in dicken Falten an ihnen, wie die überhängenden Runzeln des Rhinoceros. Ihre Köpfe waren durchaus kahl und ihre Gesichter, die keine Spur von Bart zeigten, waren in tiefen Furchen zusammengeschrumpft. Die merkwürdigste Eigenthümlichkeit aber an ihnen waren ihre Füße; ihre Zehen zeigten wie Kompaßstriche nach allen Himmelsgegenden; ohne Zweifel kam dieses daher, daß sie fast hundert Jahre ohne allen äußeren Druck gewesen waren und daher freien Spielraum einer zu engen Nachbarschaft vorzogen.

Diese abschreckenden Geschöpfe schienen den Gebrauch ihrer Beine ganz verloren zu haben und saßen in anscheinender Geistesabwesenheit mit unterschlagenen Hacken auf [181] dem Boden. Sie beachteten uns nicht im geringsten und schienen unsere Gegenwart nicht einmal zu bemerken, während Mehevi sich mit uns auf die Matten niederließ und Kory-Kory etwas unverständliches Kauderwelsch ausstieß.

Nach wenigen Augenblicken kam ein Knabe mit einer hölzernen Schüssel voll Poee-Poee; beim Genuß desselben mußte ich mich wieder der diensteifrigen Vermittlung meines unermüdlichen Dieners unterwerfen. Verschiedene andere Schüsseln folgten und der Häuptling zwang uns mit gastfreundlichster Zudringlichkeit, davon zu genießen, indem er, um unserer Bescheidenheit Grenzen zu setzen, selbst mit gutem Beispiel voranging.

Als die Mahlzeit vorüber war, wurde eine Pfeife angezündet, die von Mund zu Mund gereicht wurde, und in Folge ihrer narkotischen Wirkung, der Stille des Orts und des mit dem sinkenden Tage eintretenden Dunkels verfielen mein Gefährte und ich in eine Art trunkner Ruhe, während der Häuptling und Kory-Kory an unserer Seite zu schlummern schienen.

Ich erwachte, wie ich glaubte, etwa um Mitternacht aus einem unruhigen Schlaf und sah, als ich mich auf der Matte halb aufrichtete, daß uns das tiefste Dunkel umgab. Tobias lag in festem Schlaf, aber unsere Begleiter waren verschwunden. Der einzige Laut, der die Stille unterbrach, war das engbrüstige Athmen der Greise, die [182] in einiger Entfernung von uns ruhten. Außer ihnen war, so viel ich bemerken konnte, Niemand im Hause.

Ich befürchtete Böses und weckte meinen Gefährten, mit dem ich über die unerwartete Entfernung der beiden Eingebornen flüsterte, als plötzlich in der Tiefe des Haines, uns gerade gegenüber, hohe Flammen aufloderten und die umliegenden Bäume grell beleuchteten, dagegen aber, durch den Kontrast, den Ort, wo wir uns befanden, doppelt finster machten.

Während wir noch diesem Schauspiel zusahen, erschienen Gestalten, die sich vor den Flammen hin und her bewegten; andere tanzten und sprangen umher und sahen aus wie wahre Teufel.

Ich betrachtete diesen neuen Anblick mit nicht geringem Zittern und fragte meinen Begleiter, was alles dieses wol bedeuten möge.

„Oh nichts,“ antwortete er; „sie machen das Feuer zurecht, denke ich.“

„Feuer!“ rief ich, und mein Herz schlug wie ein Eisenhammer, „was für ein Feuer?“

„Nun, das Feuer, um uns zu braten, natürlich; was zum Henker sollten die Cannibalen so viel Spektakel machen, wenn’s nicht darum wäre.“

„Ach Tobias! laß Deine Späße; es ist jetzt keine Zeit zum Spaßen; ich bin überzeugt, es wird etwas geschehen.“

[183] „Späße, das wäre!“ rief Tobias ärgerlich, „hast Du mich je scherzen hören? Wozu glaubst Du denn wol, daß uns die Teufel so vortrefflich gefüttert haben während der letzten drei Tage, wenn es nicht zu einem Zwecke wäre, vor dem Dir zu bange ist, um davon zu sprechen? Sieh nur den Kory-Kory an! hat Dich der nicht mit seinen verdammten Klößen genudelt, gerade wie man bei uns die Schweine behandelt, ehe sie geschlachtet werden? Verlaß Dich drauf, diese Nacht noch werden wir gefressen, und das ist das Feuer, an welchem wir gebraten werden sollen.“

Diese Ansicht von der Sache war durchaus nicht geeignet, meine Befürchtungen zu besänftigen, und ich schauderte, wenn ich bedachte, daß wir wirklich der Willkür eines Cannibalenstammes preisgegeben waren und daß das schreckliche Schicksal, welches Tobias erwähnte, keineswegs im Bereich der Unmöglichkeit lag.

„Da, sagte ich es nicht? sie kommen, uns zu holen,“ sagte mein Gefährte den nächsten Augenblick, als wir die Gestalten von vier Insulanern, auf dem hellen Hintergrunde scharf hervortretend, den Pi-Pi ersteigen und auf uns zukommen sahen.

Sie kamen geräuschlos, ja schleichend heran und näherten sich durch das Dunkel um uns her, als seien sie bereit, sich auf irgend einen Gegenstand zu stürzen, den sie nicht stören wollten, ehe sie sich desselben versichert hätten. – [184] Großer Gott! was für schreckliche Gedanken bestürmten mich in diesem Augenblick! – Kalter Schweiß perlte auf meiner Stirn und sprachlos vor Schreck erwartete ich mein Schicksal.

Plötzlich ward das Schweigen von der wohlbekannten Stimme des Mehevi unterbrochen und durch die freundliche Betonung seiner Worte wurde meine Furcht augenblicklich verjagt. „Tommo, Toby, kiki!“ (essen). – Er hatte mit seiner Anrede gewartet, bis er sich überzeugt hatte, daß wir Beide wach waren, worüber er einigermaßen erstaunt schien.

„Ki-Ki! wirklich?“ sagte Tobias in seinem rauhen Ton; „gut, bratet uns erst, hört ihr? – aber was ist das?“ fügte er hinzu, als ein anderer Wilder erschien, der eine Schüssel mit dampfendem Fleisch, welches am Geruche erkenntlich war, zu Mehevis Füßen niedersetzte. „Ein gebacknes Kind, wahrscheinlich! aber ich will nichts davon haben, mag es sein, was es will! Daß ich ein Narr wäre, mich mitten in der Nacht wecken zu lassen, um zu schwelgen und zu prassen, blos um aus mir selbst einen fetten Bissen für diese blutdürstigen Cannibalen zu machen, wenn es ihnen einfallen wird, mich nächster Tage zu verspeisen! Nein, ich sehe klar, was sie wollen, und darum bin ich entschlossen, zu fasten, bis ich blos Haut und Knochen bin, dann mögen sie mich auftragen, [185] wenn sie wollen! Aber Tommo, Du willst doch nicht von dem Gericht da im Dunkeln essen, was? Wie kannst Du denn wissen, was es ist?“

„Wenn ich’s schmecke, natürlich,“ sagte ich, ein Stück kauend, welches Kory-Kory mir in den Mund steckte, „und es schmeckt ausgezeichnet gut, will ich Dir nur sagen, gerade wie Kalbfleisch.“

„Ein gebacknes Kind bei Capitain Cooks lebendiger Seele!“ schrie Tobias mit schrecklicher Kraft; „Kalbfleisch! es ist ja nie ein Kalb auf der Insel gewesen, bis Du ans Land kamst. Ich sage Dir, Du frißt da einen Mundvoll nach dem andern von dem Leichnam eines Happarkindes, so wahr Du lebst, das ist keine Frage!“

Brechmittel und lauwarmes Wasser! Was für ein Gefühl im Unterleibe! Wahrhaftig, woher hätten die blutigen Teufel Fleisch bekommen sollen? Aber auf alle Fälle wollte ich mich überzeugen; ich wandte mich also an Mehevi und machte dem gefälligen Häuptling bald begreiflich, daß ich Licht wünsche. Als die Kerze kam, blickte ich eifrig in das Gefäß und erkannte die zerhackten Glieder eines Frischlings. „Puarkee!“ rief Kory-Kory, der wohlgefällig in die Schüssel sah, und von dem Tage an habe ich nicht vergessen, daß das in dem marquesischen Kauderwelsch ein Schwein bedeutet.

Nachdem wir am nächsten Morgen wiederum reichlich [186] von Mehevi bewirthet worden waren, erhoben Tobias und ich uns, um zu gehen. Aber der Häuptling bat uns, es noch aufzuschieben. „Abo, abo“ (wartet, wartet), sagte er und demgemäß nahmen wir wieder unsere Plätze ein, während er, vom eifrigen Kory-Kory unterstützt, damit beschäftigt schien, den Eingebornen draußen Befehle zu geben zu den Vorkehrungen, die sie eifrigst trafen, deren Sinn wir aber nicht enträthseln konnten. Wir blieben aber nicht lange ohne Aufschluß über dieselben, denn nach wenigen Augenblicken winkte uns der Häuptling, näher zu kommen, und wir sahen, daß er eine Art von Ehrenwache angeordnet hatte, um uns nach dem Hause des Marheyo zurückzubegleiten.

Der Zug wurde von zwei ehrwürdigen Wilden eröffnet, die jeder einen Spieß trugen, von dessen Spitze Wimpel von milchweißem Tappa herabhingen. Nach ihnen kamen einige Jünglinge, die auf ihren emporgehobenen Händen Kalebassen mit Poee-Poee trugen; diesen folgten wiederum vier starke Kerle, die lange Bambusstangen trugen, an denen, wenigstens zwanzig Fuß von der Erde, große Körbe mit grüner Brotfrucht aufgehängt waren. Dann kam ein Trupp Knaben, welche Bündel reifer Bananen und Körbe aus geflochtenen Cocosblättern trugen, die mit jungen Früchten desselben Baumes gefüllt waren, deren braune Schaalen, vom Baste befreit, durch das grüne [187] Flechtwerk schimmerten. Zuletzt kam ein dicker Insulaner, der in einer hölzernen Schüssel auf dem Kopfe die Überreste unserer mitternächtlichen Mahlzeit trug, welche übrigens durch eine Decke von Brotbaumblättern dem Blicke entzogen waren.

Trotz meines Erstaunens über diesen Aufzug konnte ich nicht umhin, über sein groteskes Ansehen zu lächeln. Mehevi wollte, wie es schien, Marheyos Speisekammer füllen, weil er vielleicht fürchtete, daß ohne dieses seine Gäste sich nicht so wol befinden möchten, als sie wünschen dürften.

Sobald ich vom Pi-Pi herabgestiegen war, bildete sich der Zug von neuem, welcher uns in die Mitte nahm, wo ich blieb, indem ich theils von Kory-Kory getragen wurde, theils auf einen Spieß gestützt vorwärts hinkte. Als wir uns fortbewegten, stimmten die Eingebornen ein musikalisches Recitativ an, welches sie mit einigen Abwechselungen fortsetzten bis wir am Ort unserer Bestimmung ankamen.

Auf dem Wege gesellten sich Haufen von jungen Mädchen zu uns, die aus den Wäldchen hervorsprangen und uns mit einem Jubel und einer lauten Heiterkeit umschwärmten, die fast die tiefen Töne des Gesanges übertäubte. Als wir uns dem Hause des alten Marheyo näherten, eilten die Bewohner heraus, um uns zu bewillkommnen; [188] und während man die Gaben Mehevis ablieferte, machte der uralte Krieger mit einer gastfreundschaftlichen Wärme den angenehmen Wirth seiner Hütte, wie ein englischer Squire sie zeigt, wenn er seine Gäste auf seinem Erbgut empfängt.


[189]
Capitel XIII.

Versuch, aus Nukuheva Entsatz zu erhalten – Gefährliches Abenteuer des Tobias in den Happar-Gebirgen – Kory-Korys Beredsamkeit.

Unter diesen neuen Eindrücken verging eine Woche fast unmerklich. Die Eingebornen verdoppelten aus irgend einem geheimnißvollen Antriebe ihre Aufmerksamkeiten von Tage zu Tage. Ihr Benehmen gegen uns war unerklärlich. Gewiß, dachte ich, würden sie uns nicht so behandeln, wenn sie Böses gegen uns im Schilde führten. Aber warum diese übertriebene unterwürfige Güte? und welcher Gegendienste mögen sie uns für fähig halten?

Wir konnten es uns auf keine Weise erklären. Aber trotz der Befürchtungen, die ich nicht unterdrücken konnte, schien mir der schreckliche Name, den die Typies hatten, durchaus unverdient.

„Nun, es sind Cannibalen!“ sagte Tobias, als ich einmal den Stamm lobte. „Zugegeben,“ erwiderte ich, [190] „aber ein menschlicherer, wohlerzogenerer und liebenswürdigerer Haufe von Epicuräern lebt gewiß nicht auf irgend einer Insel der Südsee.“

Aber trotz der freundlichen Behandlung, die wir erfuhren, kannte ich den wankelmüthigen Charakter der Wilden zu gut, um nicht sehnlichst zu wünschen, mich aus dem Thal zu entfernen und mich aus dem Bereich des schrecklichen Todes zu begeben, der unter dieser freundlichen Maske uns dennoch drohen konnte. Aber der Erfüllung dieses Wunsches stand ein Hinderniß entgegen. Es wäre vergeblich gewesen, an eine Entfernung zu denken, ehe ich von der schmerzhaften Lähmung meines Beines geheilt wäre; meine Krankheit fing in der That an, mich sehr zu beunruhigen, denn trotz der Kräutermittel der Wilden ward sie immer schlimmer und schlimmer. Die milden Umschläge linderten zwar den Schmerz, hoben aber nicht die eigentliche Krankheit, und ich war überzeugt, daß ich ohne bessere Hülfe langen und heftigen Leiden entgegensehen müsse.

Wie sollte aber diese Hülfe verschafft werden? Die Ärzte der französischen Flotte, die wahrscheinlich noch in der Bucht von Nukuheva lag, hätten mir wol helfen können, wäre es mir nur möglich gewesen, sie von meinem Fall in Kenntniß zu setzen. Wie sollte ich aber das bewerkstelligen?

Endlich schlug ich in meiner traurigen Lage Tobias [191] vor, er solle versuchen, nach Nukuheva zu gehen und, wenn er nicht in einem Boote des Geschwaders zu Wasser zurückkehren könnte, sollte er mir wenigstens einige passende Medicamente zu verschaffen und seine Rückkehr über Land zu bewerkstelligen suchen.

Mein Gefährte hörte mir schweigend zu und schien anfänglich den Gedanken gar nicht zu mögen. Die Sache war, er war ungeduldig, aus dem Thale zu entkommen, und wünschte die gute Stimmung der Eingebornen zu benutzen, damit wir mit guter Art davonkommen könnten, ehe wir eine plötzliche Änderung in ihrem Benehmen erführen. Da er nicht daran denken konnte, mich in meiner hülflosen Lage zu verlassen, beschwor er mich, guten Muths zu sein, versicherte mir, mein Zustand müsse sich bald bessern, und ich würde in wenigen Tagen im Stande sein, mit ihm nach Nukuheva zurückzukehren.

Dazu kam, daß er den Gedanken nicht ertragen konnte, noch einmal an diesen gefährlichen Ort zurückzukehren; und was die Erwartung betraf, daß die Franzosen eine Bootsmannschaft daran setzen würden, um mich von den Typies zu befreien, so hielt er sie für durchaus vergeblich und bewies mit Gründen, die ich nicht widerlegen konnte, die Unwahrscheinlichkeit, daß sie durch eine solche Maaßregel Feindseligkeiten von Seiten des Stammes hervorzurufen wagen würden, namentlich da sie, in der Absicht die Befürchtungen [192] desselben zu beruhigen, sich bis jetzt eines jeden Besuchs der Bucht enthalten hätten. „Und selbst wenn sie einwilligten,“ sagte Tobias, „so würden sie blos dadurch eine Bewegung im Thale verursachen, bei welcher wir Beide durch die wilden Insulaner umgebracht werden könnten.“ Dagegen ließ sich nichts sagen; dennoch glaubte ich beharrlich, es könne ihm gelingen, den andern Plan auszuführen, und endlich besiegte ich seine Zweifel und er willigte ein, einen Versuch zu machen.

Sobald es uns gelang, den Eingebornen unsere Absicht begreiflich zu machen, brachen sie in stürmische Widersprüche gegen ein solches Verfahren aus und eine Zeitlang verzweifelte ich ganz daran, ihre Einwilligung zu erlangen. Beim bloßen Gedanken, daß Einer von uns sie verlassen wollte, zeigten sie den lebhaftesten Schmerz. Namentlich war der Kummer und die Bestürzung des Kory-Kory unbegrenzt; er überließ sich einem förmlichen Paroxismus von Geberden, welche uns nicht nur seinen Abscheu vor Nukuheva und dessen uncivilisirten Bewohnern zu erkennen geben sollten, sondern auch sein Erstaunen darüber, daß wir, nachdem wir mit den aufgeklärten Typies bekannt geworden wären, noch den leisesten Wunsch zeigen könnten, ihre angenehme Gesellschaft, auch nur auf kurze Zeit, zu verlassen.

Indeß besiegte ich seine Einwürfe, indem ich meine [193] Lähmung andeutete und zu verstehen gab, ich würde schnell von derselben befreit werden, wenn Tobias mir die nöthigen Heilmittel verschaffen dürfte.

Man kam überein, daß mein Gefährte früh am nächsten Morgen, von einigen der Hausgenossen begleitet, aufbrechen sollte, die ihm einen bequemen Weg zeigen wollten, auf welchem er die Bucht vor Sonnenuntergang erreichen könnte.

Bei Tagesanbruch war unser Haus munter. Einer der jungen Leute stieg auf einen nahen Cocosbaum und warf eine Anzahl junger Früchte herab, die Marheyo schnell von ihrem Baste befreite und einen kurzen Stab zusammenband. Diese waren dazu bestimmt, Tobias auf seiner Wanderung zu erquicken.

Nach getroffenen Vorbereitungen trennte ich mich nicht ohne große Bewegung von meinem Gefährten. Er versprach, spätestens in drei Tagen zurück zu sein, bat mich, während der Zeit guter Laune zu bleiben, bog mit dem alten Marheyo um die Ecke des Pi-Pi und war bald meinen Blicken entschwunden. Sein Weggehen erfüllte mich mit Trauer und ich kehrte fast verzweifelt in das Haus zurück und warf mich auf die Matten hin.

In zwei Stunden kam der alte Krieger wieder und machte mir verständlich, er habe Tobias eine Strecke weit [194] begleitet, ihm den rechten Weg gezeigt und ihn dann allein weiterziehen lassen.

Es war etwa um Mittag desselben Tages, welche Stunde dies Volk gern schlafend zubringt, als ich im Hause von dessen schlummernden Bewohnern umgeben lag. Plötzlich hörte ich einen schwachen Ausruf, der von einigen Leuten im Wäldchen zu kommen schien, das in einiger Entfernung vor dem Hause lag.

Die Töne wurden immer lauter und kamen immer näher und bald widerhallte das ganze Thal von wildem Schreien. Die Schläfer um mich her sprangen erschrocken auf und eilten hinaus, um die Ursache der Bewegung zu erfahren. Kory-Kory, der einer der Ersten war, welche hinaussprangen, kam bald athemlos wieder und fast wahnsinnig von einer Aufregung, die ihn im Innersten zu bewegen schien. Alles, was ich aus ihm herausbringen konnte, war, daß meinem Gefährten ein Unglück zugestoßen sei. Einen furchtbaren Unfall befürchtend, sprang ich aus dem Hause und erblickte einen dichten Haufen, der mit Geschrei und Klagen eben aus dem Wäldchen kam und etwas zu tragen schien, dessen Anblick allen diesen Wilden Schmerz verursachte. Als sie näher kamen, verdoppelten die Männer ihr Geschrei und die Mädchen rangen die Hände und riefen trauernd: „Awah, awah! Toby muckee moee!“ (Ach, Ach! Toby ist erschlagen!)

[195] In einem Augenblick öffnete sich der Kreis und enthüllte den leblosen Körper meines Gefährten. Zwei Männer trugen ihn und sein Kopf lag schwer auf der Brust des vorderen. Sein ganzes Gesicht, Hals und Nacken waren mit Blut bedeckt, das fortwährend langsam aus einer Wunde hinter seinen Schläfen sickerte. Unter dem größten Lärm und der schrecklichsten Unordnung ward der Körper in das Haus getragen und auf eine Matte niedergelegt. Ich winkte den Wilden, sich zurückzuziehen, um Platz und Luft zu machen und fühlte, als ich meine Hand auf seine Brust legte, daß sein Herz noch schlüge. Höchst erfreut hierüber, ergriff ich eine Kalebasse mit Wasser, deren Inhalt ich ihm über das Gesicht goß, dasselbe wusch und anfing die Wunde sorgfältig zu untersuchen. Sie war etwa drei Zoll lang, und als ich die klebrigen Haare von derselben entfernte, zeigte sich der Schädel so weit völlig blosgelegt. Augenblicklich schnitt ich die reichen Locken mit meinem Messer ab und fuhr fort die Wunde mit Wasser zu baden.

In wenigen Augenblicken belebte sich Tobias, öffnete die Augen eine Sekunde lang und schloß sie wieder, ohne zu sprechen. Kory-Kory, der neben mir kniete, rieb nun seine Glieder sanft mit dem Innern seiner Hand, während ein junges Mädchen über den Leidenden gebeugt fortfuhr ihm zu fächeln, und ich das Benetzen seiner Augen und Lippen fortsetzte. Bald zeigte mein armer Gefährte [196] Spuren wiederkehrenden Lebens und es gelang mir, ihm aus einer Cocosschaale einige Mundvoll Wasser einzuflößen.

Nun erschien auch die alte Tinora mit einigen heilsamen Kräutern, die sie gesammelt hatte und bat mich, den Saft derselben in die Wunde zu drücken. Nachdem ich dieses gethan, hielt ich es für rathsam, Tobias ungestört zu lassen bis er Zeit gehabt hätte, seine Sinne wieder zu sammeln. Einige Male öffnete er die Lippen, aber da ich für sein Leben fürchtete, bat ich ihn, zu schweigen. Indeß nach zwei bis drei Stunden hatte er sich so weit erholt, daß er aufsitzen und mir mittheilen konnte, was vorgefallen war.

„Nachdem Marheyo und ich das Haus verlassen hatten,“ erzählte er, „durchkreuzten wir das Thal und erstiegen die Höhen der andern Seite. Gleich auf der entgegengesetzten Seite derselben, berichtete mir mein Führer, läge das Thal von Happar, während mein Weg nach Nukuheva den Bergrücken entlang am Rande der Thalgrenze hinginge. Nachdem wir eine Strecke gestiegen waren, stand mein Begleiter still und bedeutete mir, er könne mich nicht weiter begleiten, und gab mir durch Zeichen zu verstehen, er wage nicht, sich dem Gebiet der Feinde seines Stammes noch mehr zu nähern. Er zeigte mir übrigens meinen [197] Weg, der nun deutlich vor mir lag, sagte mir Lebewohl und stieg rasch wieder in das Thal hinab.

„Ganz stolz, so nahe bei den Happars zu sein, klomm ich eilig den Abhang hinan und erreichte bald die Höhe desselben. Sie erhob sich zu einer scharfen Bergspitze, von welcher herab ich beide feindlichen Thäler sehen konnte. Hier setzte ich mich, um ein wenig auszuruhen und aß von meinen erquickenden Cocosnüssen. Ich war bald wieder unterwegs den Bergrücken entlang, als ich plötzlich drei Insulaner vor mir auf dem Wege stehen sah, die eben aus dem Thale von Happar heraufgekommen sein mußten. Sie waren alle mit schweren Spießen bewaffnet und Einen unter ihnen hielt ich, seinem Äußern nach, für einen Häuptling. Sie stießen einen Ausruf hervor, den ich nicht verstand und winkten mir, näher zu kommen.

„Ohne im Geringsten zu zögern, ging ich auf sie zu und war bis auf einige Fuß an den vordersten herangekommen, als er mit einem aufgebrachten Fingerzeig auf das Thal von Typie und mit einem wilden Schrei seine Waffe mit Blitzesschnelle schwang und mich augenblicklich zu Boden schlug. Der Schlag brachte mir diese Wunde bei und machte mich bewußtlos. Sobald ich wieder zu mir kam, bemerkte ich die drei Insulaner in einiger Entfernung von mir, offenbar in einem mich betreffenden heftigen Wortwechsel verwickelt.

[198] „Mein erster Gedanke war, die Flucht zu versuchen; aber beim Versuch aufzustehen, fiel ich zurück und rollte einen kleinen Rasenabhang hinab; die Erschütterung gab mir meine Kräfte wieder; ich sprang also auf und floh den Weg hinab, den ich eben erstiegen hatte. Ich brauchte mich nicht umzusehen, denn durch das wüthende Geschrei hinter mir wußte ich, daß meine Feinde mich mit aller Schnelligkeit verfolgten. Von ihren wilden Ausrufungen getrieben, stürzte ich mit Windeseile den Abhang hinab und beachtete die empfangene Wunde gar nicht, obgleich das Blut mir in die Augen lief und mich fast blendete. Bald hatte ich fast ein Drittheil des Weges zurückgelegt und die Wilden hatten ihr Geschrei eingestellt, als plötzlich ein fürchterliches Heulen an mein Ohr schlug und in demselben Augenblick ein schwerer Wurfspieß an mir vorbeisauste und zitternd in einen Baum dicht vor mir schlug. Ein zweiter Schrei folgte und ein zweiter und dritter Spieß schossen auf einen Fußbreit neben mir durch die Luft und bohrten sich vor mir schräg in die Erde. Die Kerle brüllten vor Wuth und getäuschter Erwartung; aber ich vermuthe, sie getrauten sich nicht weiter in das Typiethal herab und gaben die Jagd auf. Ich sah sie ihre Waffen wiederholen und umkehren und setzte meine Flucht mit möglichster Schnelligkeit fort.

„Ich konnte nicht verstehen, was einen so grausamen [199] Angriff von Seiten der Happars verursacht haben könnte; sie müßten mich denn mit Marheyo den Berg haben ersteigen sehen, oder der Umstand allein, daß ich vom Typiethale kam, müßte genügen, sie zu reizen.

„So lange ich in Gefahr war, fühlte ich kaum die erhaltene Wunde; aber als die Jagd vorbei war, fing sie an, mich sehr zu schmerzen. Ich hatte meinen Hut auf der Flucht verloren und die Sonne versengte meinen bloßen Kopf. Ich fühlte mich schlaff und ohnmächtig, aber ich fürchtete außer dem Bereich des Beistandes niederzusinken, darum schleppte ich mich fort, so gut ich konnte, bis ich die Tiefe des Thales erreicht hatte, dann aber sank ich zu Boden; von dem Augenblick an weiß ich nichts von mir, bis ich hier auf diesen Matten zu mir kam und Du mit der Wasserkalebasse über mich gebeugt standest.“

Das war meines Begleiters Bericht über seinen traurigen Unfall. Später erfuhr ich, daß er zufällig gerade an dem Ort hingesunken sei, wo die Eingebornen ihre Feuerung holen. Einige von ihnen sahen ihn fallen, gaben das Lärmzeichen und hoben ihn auf, und nach vergeblichen Versuchen, ihn im Bache wieder zu beleben, waren sie mit ihm dem Hause zugeeilt.

Dieser Unfall verdunkelte unsere Aussichten sehr. Er erinnerte uns daran, daß wir von feindlichen Stämmen umgeben wären, deren Gebiet wir auf unserm Wege nach [200] Nukuheva nicht hoffen durften, zu durchschreiten, ohne ihre grausame Rache zu empfinden. Es schien uns kein anderer Ausweg zur Flucht übrig zu bleiben, als die See, die das untere Ende des Thales bespülte.

Unsere Typie-Freunde benutzten das Unglück des armen Tobias, um uns die Segnungen lebhaft vorzuhalten, die wir unter ihnen genössen, indem sie ihre gastfreundschaftliche Bewillkommnung der offnen Feindseligkeit ihrer Nachbarn entgegenhielten. Sie legten auch großes Gewicht auf die cannibalischen Neigungen der Happars, die, wie sie wol wußten, uns sehr beunruhigen mußten; zugleich wiesen sie jede Theilnahme an solchen schrecklichen Gebräuchen als verabscheuenswerth von sich. Auch vergaßen sie nicht, unsere Aufmerksamkeit für die natürliche Lieblichkeit ihres Thales in Anspruch zu nehmen; priesen die reiche Fülle seiner köstlichen Früchte und erhoben es mit Bezug auf dieselben über alle umliegenden Thäler.

Kory-Kory schien von einem so innigen Wunsch erfüllt, uns richtige Begriffe über diese Punkte beizubringen, daß es ihm, mit Hülfe der geringen Kenntniß ihrer Sprache, die wir erlangt hatten, wirklich gelang, uns einen beträchtlichen Theil dessen, was er sagte, verständlich zu machen. Um uns das richtige Verständniß seiner Meinung zu erleichtern, drängte er anfänglich seine Gedanken in einen möglichst kleinen Umfang zusammen.

[201] „Happar keekeeno nuee,“ rief er; „nuee, nuee, kiki Kannaka! – ah! owle motarkee!“ das heißt: „Schreckliche Kerle diese Happars! – verschlingen eine fürchterliche Masse Menschen! ja, niederträchtig schlecht!“ So weit erklärte er sich durch eine Menge der verschiedensten Geberden, bei denen er zum Hause hinausschoß, um mit Abscheu nach Happar hinüber zu zeigen, dann wieder mit einer Schnelligkeit zu uns heraneilte, die uns zeigte, wie sehr er fürchte, wir möchten einen Theil seiner Meinung wieder vergessen, ehe er den andern aussprechen könnte; er setzte seine Erläuterungen fort, indem er den fleischigen Theil meines Armes mit seinen Zähnen ergriff und dadurch andeutete, daß die Leute im Nachbarthale nichts lieber thun würden, als mich auf solche Weise zu behandeln.

Als er sich überzeugt hatte, daß wir über diesen Punkt völlig aufgeklärt wären, ging er zu einem andern Zweig seiner Mittheilungen über. „Ah! Typie motarkee! – nuee, nuee Mioree – nuee, nuee Wuäh – nuee, nuee Poee-Poee – nuee, nuee Kokoo – ah! nuee nuee kiki – ah! nuee, nuee, nuee!“ welches wörtlich übersetzt bedeutet: „Ja Typie! ist das nicht ein herrliches Thal! – hier giebts keine Gefahr, zu verhungern, sage ich Euch! – vollauf Brotfrüchte, vollauf Wasser, vollauf Poee-Poee, vollauf von Allem und Jedem! – ja Haufen, sage ich Euch, Haufen!“ Alles dieses begleitete er [202] mit einem unaufhörlichen Commentar von Geberden, die nicht mißzuverstehen waren.

Im Verlauf seiner Rede ging indeß Kory-Kory, nach Art unserer gebildeten Redner, wahrscheinlich in eine Menge von Seitenbetrachtungen der moralischen Gedanken über, die sich an sein Thema knüpfen ließen und fuhr in einem solchen Strom von unverständlichem und verblüffendem Kauderwelsch fort, daß er mir für den übrigen Theil des Tages heftiges Kopfweh verursachte.


[203]
Capitel XIV.

Eine große Begebenheit im Thale – Der Insel Telegraph – Tobias stößt etwas zu – Fayawa zeigt ein gutes Herz – Traurige Betrachtungen – Geheimnißvolles Benehmen der Eingebornen – Kory-Kory’s Ergebenheit – Ein ländliches Lager – Ein Luxus – Kory-Kory macht auf Typie-Weise Feuer an.

Nach Verlauf weniger Tage hatte sich Tobias von den Folgen seines Abenteuers mit den Happars gänzlich erholt; seine Kopfwunde heilte rasch unter der Kräuterkur der guten Tinora. Weniger glücklich als mein Gefährte fuhr ich indeß fort an einer Krankheit zu leiden, deren Ursprung und Charakter noch immer ein Geheimniß war. Gänzlich abgeschnitten von jeder Berührung mit der civilisirten Welt; überzeugt von der Nutzlosigkeit der Heilmittel der Eingebornen; von der Unmöglichkeit durchdrungen in meiner jetzigen Lage das Thal zu verlassen, welche Gelegenheit sich auch darbieten möge; und immer noch in der Angst, wir [204] möchten eine plötzliche Änderung im Benehmen der Eingebornen gegen uns erfahren; gab ich jetzt alle Hoffnung auf Wiederherstellung auf und verfiel in den schwärzesten Tiefsinn. Es überfiel mich eine so tiefe Muthlosigkeit, daß weder die freundlichen Zureden meines Gefährten, noch die unterwürfige Aufmerksamkeit des Kory-Kory, noch alle beruhigenden Versuche der schönen Fayawa mich derselben zu entreißen vermochten.

Eines Morgens lag ich tief melancholisch auf den Matten, ohne den geringsten Sinn für irgend etwas um mich her, als Tobias, der mich vor etwa einer Stunde verlassen hatte, eilig zurückkehrte und mich freudig aufforderte mich zu ermuntern und guten Muths zu sein, denn er glaube, aus der Bewegung unter den Wilden schließen zu können, daß Böte sich der Bucht näherten.

Diese Nachricht wirkte wie ein Zauber auf mich. Die Stunde unserer Befreiung war nahe; ich sprang auf und überzeugte mich bald, daß etwas Ungewöhnliches vorgehe. Das Wort „Botee, Botee!“ erscholl in allen Richtungen und aus der Ferne ertönten Ausrufungen, erst schwach und undeutlich, dann immer näher und lauter bei jeder Wiederholung, bis sie an einen Eingebornen auf einem Cocosbaume dicht bei uns gelangten, von demselben laut wiederholt wurden und dann aus dem nächsten Wäldchen widerhallten, von wo aus sie nach und nach sich in die abgelegenen [205] Theile des Thales schwach und immer schwächer verloren, als die Nachricht von Punkt zu Punkt bis in die fernste Tiefe des Thales befördert wurde. Das war der Vokal-Telegraph der Insulaner, vermittelst desselben Meldungen in kurzen Sätzen in wenigen Minuten von der See bis an die entferntesten Wohnungen wol acht bis zehn englische Meilen weit gelangten. Bei dieser Gelegenheit war er in voller Thätigkeit; eine Meldung folgte der andern mit unbegreiflicher Schnelligkeit.

Es schien nun die größte Bewegung zu herrschen. Bei jedem neuen Punkte der Meldung bezeigten die Eingebornen das lebhafteste Interesse und verdoppelten den Eifer, mit welchem sie Früchte zum Verkauf an die erwarteten Fremden sammelten. Einige rissen den Bast von Cocosnüssen, andere saßen in den Bäumen und warfen ihren Genossen Brotfrüchte herab, die diese in Haufen zusammen trugen; noch andre rührten eifrig die Hände beim Flechten von Bastkörben, in welchen die Früchte getragen werden sollten.

Es gingen zu gleicher Zeit auch noch andere Dinge vor. Hier sah man einen derben Krieger seinen Speer mit einem Stück alten Tappa putzen oder die Falten seines Gürtels um seine Hüften ordnen; dort ein junges Dämchen sich mit Blumen schmücken, als habe es eine mädchenhafte Eroberung im Sinne; während, wie in allen Fällen von Eile und Verwirrung in der ganzen Welt, eine Menge Menschen [206] mit überraschendem Ernst und Eifer hin und herliefen, selbst nichts thaten und andere hinderten.

Noch nie hatten wir die Eingebornen in solchem Zustand von Ueberraschung und Aufregung gesehen, und der Auftritt bewies uns deutlich, daß solche Begebenheit nur äußerst selten war.

Wenn ich bedachte, wie lange Zeit verstreichen dürfte, ehe eine zweite Gelegenheit zur Flucht sich uns darbieten möchte, bedauerte ich schmerzlich, daß ich nicht Kraft genug hatte, um diese mit Erfolg zu benutzen.

Aus Allem, was wir erfahren konnten, ging hervor, daß die Eingebornen fürchteten, zu spät an die Küste zu kommen, wenn sie sich nicht sehr beeilten. Krank und lahm, wie ich war, wollte ich dennoch gleich mit Tobias aufbrechen, allein Kory-Kory weigerte sich nicht allein, mich zu tragen, sondern bezeigte auch den unüberwindlichsten Abscheu vor dem Gedanken, daß wir die Nähe des Hauses verlassen wollten. Die übrigen Wilden widersetzten sich ebenfalls unsern Wünschen, und schienen über den Ernst meiner Bitten eben so betrübt als erstaunt. Ich sah deutlich, daß, während mein Diener allen Anschein, meine Schritte zu hindern, vermied, er dennoch entschlossen schien, meine Wünsche zu vereiteln. Er schien mir bei dieser Gelegenheit, wie auch oft bei spätern, den Befehlen einer andern Person mit Bezug auf mich zu gehorchen, obgleich er selbst die wärmste Liebe zu mir fühlte.

[207] Tobias, der entschlossen war, die Insulaner, wenn es möglich wäre, zu begleiten, sobald sie zum Aufbruch fertig wären und der aus diesem Grunde sich der Unruhe enthalten, die ich gezeigt hatte, stellte mir nun vor, daß es unnütz für mich wäre, zu hoffen, den Strand früh genug zu erreichen, um sich etwa darbietende Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.

„Siehst du nicht,“ sagte er, „daß die Wilden selbst fürchten, zu spät zu kommen, und ich würde gleich jetzt forteilen, wenn ich nicht fürchtete, durch zu großen Eifer jeden Vortheil von diesem glücklichen Ereigniß zu verlieren. Wenn du nur versuchen willst, ruhig und theilnahmlos zu[WS 4] scheinen, so wird das ihren Verdacht am besten beruhigen und ich zweifle nicht, daß sie mir dann erlauben werden, mit an den Strand zu gehen in dem Glauben, ich ginge nur aus Neugierde. Gelingt es mir zu den Böten zu gelangen, so will ich die Lage schildern, in der ich dich verlassen und dann können Maaßregeln zu unserer Befreiung getroffen werden.“

Ich mußte der Vernunft dieses Vorschlages beipflichten und beobachtete mit dem lebhaftesten Interesse, welchen Eindruck die Anfrage des Tobias machte, als die Eingebornen ihre Vorbereitungen beendigt hatten. Sobald sie von Tobias verstanden, daß ich zurückbleiben wolle, schienen sie gar keine Einwendungen gegen seinen Vorschlag zu [208] machen, vielmehr denselben mit Freuden anzunehmen. Ihr sonderbares Benehmen bei dieser Gelegenheit verwirrte mich damals nicht wenig und vermehrte das Geheimnißvolle späterer Ereignisse.

Nun eilten die Insulaner den Weg entlang zum Strande. Ich schüttelte Tobias herzlich die Hand und gab ihm meinen Paytahut, um seinen verwundeten Kopf gegen den Sonnenbrand zu schützen, da er den seinigen verloren hatte. Er erwiderte den Druck meiner Hand aufs herzlichste, versprach heilig, wiederzukommen, sobald die Böte den Strand verlassen würden, sprang fort und war in einem Augenblick im nahen Wäldchen verschwunden.

Trotz der unangenehmen Gedanken, die mich beschäftigten, erheiterte mich dennoch der neue und belebte Anblick vor mir. In langer Reihe eilten die Wilden den Weg entlang, ein jeder von ihnen mit einer Auswahl von Früchten beladen. Hier ging Einer, der nach vielen vergeblichen Versuchen, ein junges Schwein an der Leine vernünftig fortzubringen, genöthigt worden war, das widerspenstige Geschöpf vor sich gegen die Brust gedrückt zu tragen, wo es sich ohne Unterlaß sträubte und fürchterlich schrie. Dort gingen Zwei, die man füglich aus einiger Entfernung für die jüdischen Späher hätte halten können, die mit der großen Traube zu Moses zurückkehrten. Sie gingen hintereinander und trugen an einer Stange auf den Schultern einen riesigen Büschel Bananen [209] zwischen sich, der bei der wiegenden Bewegung ihres Ganges hin und her schwang. Hier lief ein Anderer, der, in Schweiß gebadet, einen Korb mit Cocosnüssen schleppte und sich nicht um die Früchte kümmerte, die ihm entfielen, als käme es ihm nur darauf an, seinen Bestimmungsort zu erreichen, nicht aber, daß auch seine Ladung bis dahin käme.

Bald sah man den letzten Nachzügler seinen Weg eifrig verfolgen und die Ausrufungen der Vordern verhallten schon ganz. Unsere Gegend schien fast ausgestorben, denn Kory-Kory, sein bejahrter Vater und einige uralte Greise waren die Einzigen die bei mir zurück geblieben waren.

Gegen Sonnenuntergang fingen die Insulaner an, in kleinen Gruppen vom Strande zurückzukehren und ich blickte unter ihnen eifrig nach meinem Gefährten aus, als sie dem Hause näher kamen. Aber nach einander gingen sie alle vorbei, ohne daß ich eine Spur von ihm sah. Ich dachte indeß, er würde bald mit den Hausgenossen kommen, beruhigte meine Befürchtungen und hoffte ihn bald in Begleitung der schönen Fayawa zu sehen. Endlich sah ich Tinora in Gesellschaft der jungen Mädchen und Burschen herankommen, die in unserm Hause wohnten; aber mein Camerad kam nicht mit ihnen, und von tausend Aengsten erfüllt, suchte ich eifrigst die Ursache seines Ausbleibens zu entdecken.

[210] Meine dringenden Fragen schienen die Eingebornen in große Verlegenheit zu setzen. Alle ihre Antworten widersprachen sich: Einer gab an, Tobias würde sehr bald bei mir sein; ein Anderer sagte, er wisse nicht wo er sei, während ein Dritter sich heftig gegen ihn ausließ und andeutete, er habe sich fortgeschlichen und würde gar nicht wiederkommen. Es schien mir damals, als versuchten sie durch diese verschiedenen Aussagen irgend ein schreckliches Unglück vor mir zu verbergen aus Furcht, ich möchte die Kunde davon nicht ertragen können.

Ich besorgte irgend ein gräßliches Unglück und suchte die junge Fayawa auf, um wo möglich von ihr die Wahrheit zu erfahren.

Dieses sanfte Geschöpf hatte mich längst gefesselt, nicht allein durch ihre erstaunliche Schönheit, sondern auch durch den ansprechenden Ausdruck ihrer Züge, die Verstand und Gefühl verriethen. Von allen Eingebornen schien sie die Einzige, welche den Einfluß verstand und würdigte, den die Eigenthümlichkeit unserer Lage auf meine und meines Begleiters Stimmung ausübte. Wenn sie mich anredete, namentlich wenn ich in Schmerzen auf den Matten lag, so geschah es mit einer Herzlichkeit in Ton und Ausdruck, die ich weder mißverstehen noch gleichgiltig bemerken konnte. So oft sie in das Haus trat, drückten ihre Züge das lebhafteste Mitleid mit mir aus; dann pflegte sie mit einer barmherzigen [211] Geberde des einen Armes an mich heranzukommen, mich mit ihren großen sprechenden Augen anzusehen und mit einem klagenden „Awha! Awha! Tommo!“ traurig bei mir niederzulassen.

Ihr Betragen bewies mir, daß sie meine verlassene Lage fern von Vaterland und Freunden und außer dem Bereich aller Hülfe, auf das Innigste bedauerte. Ja zuweilen glaubte ich sogar, bei ihr Regungen des Gemüths zu spüren, die kaum von ihres Gleichen zu erwarten waren; sie schien zu wissen, daß die Banden, die uns an unsere Heimath fesselten, zerrissen, seien; daß Brüder und Schwestern sorgenvoll unserer Rückkehr harrten und uns vielleicht nie wiedersehen würden.

In diesem schönen Lichte erschien mir die liebliche Fayawa, und in vollem Vertrauen auf ihre Aufrichtigkeit und ihren Verstand wandte ich mich jetzt in meiner Angst um Tobias an sie.

Meine Fragen schmerzten sie augenscheinlich. Sie sah einen der Umstehenden nach dem andern an, als ob sie nicht wisse, was sie mir antworten solle. Endlich gab sie meinem Drängen nach und sagte mir halb mit Worten halb mit Geberden, Tobias sei mit einem der Böte, die die Bucht besucht hätten, fortgegangen, habe aber versprochen in drei Tagen wieder zu kommen. Anfänglich glaubte ich, er habe [212] mich verrätherischer Weise verlassen; aber als ich ruhiger die Sache überlegte, warf ich mir vor, ihn einer so feigen Handlung beschuldigt zu haben und beruhigte mich mit dem Gedanken, er habe die Gelegenheit benutzt, um nach Nukuheva zu gelangen und Anstalten zu treffen, um mich aus dem Thale abzuholen. In jedem Falle, dachte ich, wird er mit Medicamenten für mich zurückkehren, und bin ich dann erst wieder hergestellt, so sind die Schwierigkeiten einer Flucht zu überwinden.

Mit diesen Gedanken beruhigte ich mich und legte mich jene Nacht heiterer zur Ruhe, als seit langer Zeit der Fall gewesen war. Der nächste Tag verging, ohne daß die Eingebornen Tobias nur erwähnt hätten, was sie absichtlich zu vermeiden schienen. Dies machte wieder einige Befürchtungen in mir rege; aber als es Abend wurde, wünschte ich mir Glück, daß der zweite Tag vergangen und daß der nächste Morgen mir meinen Gefährten wiederbringen würde. Doch der nächste Tag kam und verging, und mein Gefährte erschien nicht. Oh! dachte ich, er rechnet drei Tage vom Morgen seines Aufbruchs – morgen wird er kommen. Aber auch der Tag ging zu Ende, ohne daß Tobias kam. Auch da wollte ich noch nicht die Hoffnung aufgeben; ich glaubte, er sei durch irgend etwas aufgehalten worden, daß er in Nukuheva auf ein Boot warten und spätestens in einigen Tagen kommen müsse. Aber Tag auf Tag verging [213] in neuer Täuschung und ich verfiel endlich in die schrecklichste Verzweiflung.

Ja, dachte ich finster, er hat seine eigne Flucht bewerkstelligt und kümmert sich nicht um das Loos seines Cameraden. Thor der ich war, nur einen Augenblick zu glauben, er würde sich freiwillig in die Gefahren dieses Thales zurückbegeben, nachdem er ihnen einmal entronnen! Er ist fort und überläßt es mir, die Gefahren, die mich umgeben, allein zu bekämpfen. Ich suchte den Trost der Verzweiflung darin, ewig über dem Verrath meines Gefährten zu brüten, oder mich einer bittern Reue hinzugeben, weil ich durch meine eigne Unvorsichtigkeit das Schicksal heraufbeschworen, welches, wie ich fest glaubte, meiner harrte.

Zuweilen dachte ich auch, die verrätherischen Wilden hätten ihn abgethan, und daß daher ihre Verlegenheit käme, wenn ich so häufig nach ihm fragte, und auch darin der Grund ihrer widersprechenden Antworten zu suchen sei; noch schrecklicher war der Gedanke, er möge vielleicht in einem andern Theil des Thales gefangen sein oder schon das Schicksal erfahren haben, welches mich mit Abscheu und Schreck erfüllte. Aber alle diese Vermuthungen waren vergeblich; ich hörte nichts wieder von Tobias; er war und blieb fort.

Das Benehmen der Insulaner war unerklärlich. Sie vermieden sorgfältig jede Erwähnung meines verlornen Cameraden, [214] und wenn ich sie ja einmal zwang, auf meine Fragen zu antworten, so bezeichneten sie ihn immer als einen undankbaren Ausreißer, der seinen Freund verlassen, und sich nach der erbärmlichen und verächtlichen Bucht von Nukuheva begeben hätte.

Aber was auch sein Schicksal gewesen sein mochte, gegen mich verdoppelten die Eingebornen seit seiner Entfernung ihre freundschaftlichen Aufmerksamkeiten und behandelten mich mit einem Grad von Unterwürfigkeit, die nicht größer hätte sein können, selbst wenn ich ein himmlischer Gast gewesen wäre. Kory-Kory verließ mich nie einen Augenblick, außer wenn er ging, um einen meiner Wünsche zu befriedigen. Der treue Mensch bestand darauf, mich zweimal am Tage, in der Kühle des Morgens und des Abends, nach dem Fluß zu tragen und mich in dessen erquickendem Wasser zu baden.

Oft trug er mich des Nachmittags an einen gewissen Punkt des Flusses, wo die Schönheit der Landschaft einen wohlthätigen Einfluß auf mein Gemüth ausübte. Hier floß der Strom zwischen rasigen Ufern hin, wo ungeheure Brotfruchtbäume ihre dichten Kronen zu einem hohen Baldachin vereinigten; nahe am Flusse waren einige glatte schwarze Felsen. Einer von diesen, der mehrere Fuß über die Wasserfläche hinausragte, hatte oben eine natürliche Grotte, [215] welche, mit frischem Laub angefüllt, ein herrliches Lager bildete.

Hier lag ich oft stundenlang mit einem Schleier von feinstem Tappa bedeckt und Fayawa saß mit ihrem Cocosfächer neben mir und verscheuchte die Insekten, die mich umspielten, während Kory-Kory, in der gutmüthigen Absicht, meine Schwermuth zu zerstreuen, alle ersinnlichen Kapriolen im Wasser ausführte.

Wenn ich den Blick diesen romantischen Strom entlang gleiten ließ, traf er wol auf die Gestalt eines schönen Mädchens, die halb im krystallhellen Wasser stehend eine Art kleiner Muscheln fing, mit denen diese Naturkinder sich so gern schmücken. Zuweilen saß auch ein ganzer Haufe dieser geschwätzigen Nymphen auf einem Felsblock mitten im Strom und beschäftigte sich unter Scherz und Gesang mit der Anfertigung von Bechern aus Cocosschaalen. Sie reiben diese Schaalen unter dem Wasser mit scharfen Steinen, wodurch sie dünn und blank werden, und fast ein Ansehen bekommen wie die aus Schildplatt gedrehten Becher.

Aber die erhebenden Eindrücke reizender, durch neues liebliches Treiben belebter Gegenden waren nicht meine alleinigen Trostquellen.

Jeden Abend sammelten sich die Mädchen des Hauses um mich, verjagten Kory-Kory, der übrigens in ganz geringer [216] Entfernung stehen blieb und ihrem Treiben eifersüchtig zusah, und rieben meinen ganzen Körper mit einem wohlriechenden Oele ein, welches sie zwischen zwei Steinen aus einer kleinen gelben Wurzel preßten, die in der Landessprache „Aka“ heißt. Der Saft dieser „Aka“ ist sehr erquickend und angenehm für die Haut, namentlich wenn er von süßen Nymphen eingerieben wird, deren strahlende Augen dabei mit unendlicher Güte auf Einem ruhen; und ich sah mit Entzücken der täglichen Wiederholung dieses üppigen Verfahrens entgegen, bei welchem ich alle meine Schmerzen vergaß und jeden Kummer verscheuchte.

Zuweilen trug mich mein ergebener Diener an kühlen Abenden hinaus auf den Pi-Pi vor dem Hause, setzte mich an den Rand desselben, verjagte die Insekten mit einem Streifen Tappa und beschäftigte sich wenigstens zwanzig Minuten lang damit, Alles für meine vollständige Bequemlichkeit zu ordnen und einzurichten.

Wenn er damit fertig war, holte er mir meine Pfeife und reichte sie mir angezündet. Zu dem Ende war er oft genöthigt, Feuer anzumachen, und da die Art wie er das that ganz abweichend von irgend einer mir bekannt gewordenen war, so will ich sie beschreiben.

Man findet in jedem Typiehause, eben so unfehlbar wie bei uns Streichhölzchen, einen geraden, trocknen, theilweise [217] verolmten Stab von Habiskusholz, etwa sechs Fuß lang und drei Zoll im Durchmesser, und ein kleines Stück einer harten Holzart, nicht über einen Fuß lang und kaum einen Zoll dick.

Die Insulaner stellen den großen Stab schräg gegen irgend eine Wand oder einen Baum in einem Winkel von etwa fünf und vierzig Graden, setzen sich rittlings darauf wie Knaben auf ihr Steckenpferd, nehmen den kleinen Stock fest in beide Hände und reiben mit der Spitze desselben langsam auf dem großen Stab etwa drei Zoll hin und her, bis eine kleine Vertiefung entsteht, die am entfernteren Ende steil abbricht und so eine kleine Höhlung bildet, wo der Staub, der durch das Reiben entsteht, sich sammelt.

Kory-Kory fing immer ganz leise an, rieb aber nach und nach immer schneller, wurde durch die Anstrengung heiß und trieb nun den spitzigen Stock wüthend in der rauchenden Vertiefung hin und her, während der Schweiß ihm in Strömen von der Stirn rannte. Wenn seine Anstrengung die höchste Höhe erreichte, keuchte er fast athemlos und seine Augen traten fast aus ihren Höhlen heraus. Dies war der kritische Augenblick des Verfahrens; alle frühere Anstrengung wäre vergeblich gewesen, wenn er nicht die gleiche Schnelligkeit beibehalten konnte bis der zögernde Funke sich zeigte. Plötzlich hielt er an und stand ganz regungslos. [218] Er hielt den Stock noch fest in den Händen und zwar krampfhaft gegen das entferntere Ende der Höhlung gepreßt, als habe er eben ein kleines giftiges Thier durchbohrt, welches sich unter der Spitze hin und her wände, um seiner Waffe zu entfliehen. Im nächsten Augenblicke stieg ein feiner Kranz von Rauch aus der Vertiefung und die Staubtheile in derselben glühten, während Kory-Kory fast athemlos von seinen, Roß stieg.

Dieses Verfahren schien mir die schwierigste Arbeit, die in Typie gemacht wurde; und hätte ich genügende Kenntniß der Sprache gehabt, um meine Gedanken darüber auszusprechen, so würde ich den Eingebornen auf das Dringendste empfohlen haben, einen Tempel der Vesta zu errichten, um von den Vestalinnen ein ewiges Feuer unterhalten zu lassen, um den ungeheuren Aufwand von Kraft und Ausdauer zu ersparen, der beim Feueranmachen in Anspruch genommen würde. Doch dürften auch der Ausführung dieses Planes besondere Schwierigkeiten entgegentreten.

Welch ein klares Bild der ungeheuren Kluft zwischen wildem und civilisirtem Leben giebt nicht dieses Verfahren! Ein Typie Vater kann eine zahlreiche Familie haben und seinen Kindern eine sehr gute cannibalische Erziehung geben mit weniger Mühe, als er aufwenden muß, um einmal Feuer anzumachen, während der europäische Arbeiter, der [219] mit einem Streichhölzchen in einem Augenblick Feuer machen kann, daran verzweifeln muß, seinen hungernden Kindern die Nahrung zu verschaffen, welche die polynesischen Kleinen, ohne ihrem Vater zur Last zu fallen, von jedem Baum selbst pflücken können.


[220]
Capitel XV.

Güte des Marheyo und der übrigen Insulaner – Beschreibung des Brotfruchtbaums – Verschiedene Arten die Frucht zu bereiten.

Alle Bewohner des Thales behandelten mich mit großer Freundlichkeit; unvergleichlich aber waren die Anstrengungen Marheyos und meiner übrigen Hausgenossen, um mir den Aufenthalt bei sich angenehm zu machen. Für die stete Zufriedenheit meines Gaumens hatten sie die unermüdlichste Sorge. Sie forderten mich immer auf, Speisen anzunehmen, und wenn ich nach herzhaften Mahlzeiten die Gerichte zurückwies, die sie fortfuhren mir vorzusetzen, so schienen sie zu glauben, daß mein Appetit pikanter Reizmittel bedürfe, um wieder zu erwachen.

Aus solchem Antriebe pflegte der alte Marheyo selbst des Morgens nach der See hinabzueilen, um verschiedene seltene Seegrasarten zu sammeln, von denen einige von diesen Leuten als die größten Leckerbissen betrachtet werden. [221] Nachdem er den ganzen Tag hiemit zugebracht hatte, kehrte er in der Dämmerung mit einigen Cocosschaalen voll verschiedener Tangspitzen zurück. Bei der Zubereitung derselben entfaltete er das ganze Gepränge eines eingebildeten Kochs, obgleich das Geheimniß hauptsächlich nur darin bestand, die gehörige Menge Wasser auf den schleimigen Inhalt der Gefäße zu gießen.

Als er mir zum ersten Male einen solchen salzigen Salat vorsetzte, glaubte ich natürlich, daß das, was mit so großer Mühe gesammelt sei, auch eigenthümliche Verdienste haben müsse; aber ein Mundvoll war eine hinreichende Dosis; und groß war die Bestürzung der Eingebornen über die Blitzesschnelle, mit welcher diese epikuräische Leckerei wieder zum Vorschein kam.

Wie wahr ist es doch, daß die Seltenheit einer Sache ihren Werth auf das Überraschendste steigert. In einer Gegend des Thales, wahrscheinlich an der See, pflegten die Mädchen zuweilen kleine Portionen Salz, etwa einen Fingerhutvoll zur Zeit zu gewinnen, wobei fünf bis sechs von ihnen beinahe einen ganzen Tag beschäftigt waren. Dieses werthvolle Product brachten sie in mannigfach gefalteten Blättern nach Hause, und breiteten, als besonderes Zeichen ihrer Hochachtung und Liebe, ein großes Blatt vor mir aus, auf welches sie jedes einzeln einige Körnchen des Salzes streuten, und forderten mich auf, es zu kosten.

[222] Nach dem übertriebenen Werth, den man auf dieses Product legte, glaube ich bestimmt, daß man für einen Scheffel gewöhnliches Liverpooler Salz alles feste Besitzthum in Typie hätte kaufen können. Mit einer Prise Salz in der einen und dem Viertheil einer Brotfrucht in der andern Hand würde der größte Häuptling im Thale alle Leckereien einer Pariser Tafel übersehen haben.

Die Berühmtheit des Brotfruchtbaumes und die Auszeichnung der Brotfrucht auf einer Speisekarte von Typie veranlaßt mich, eine allgemeine Beschreibung des Baumes und der verschiedenen Arten der Zubereitung seiner Frucht hier einzuschalten.

Der ausgewachsene, in Kraft und Saft gesunde Brotfruchtbaum ist ein großartiger hoher Baum, der in marquesischen Landschaften den Rang der patriarchalischen Esche in Neu-England einnimmt. Er ist derselben sowol an Höhe und in der weiten Ausbreitung seiner starken Äste, wie auch an ehrwürdigem und imposantem Ansehen sehr ähnlich.

Die Blätter sind sehr groß und ihr Rand ebenso phantastisch geschnitten und gezackt, wie der Spitzenkragen einer Dame. Beim jährlichen Welken kommt der Reichthum ihrer nach und nach sich ändernden Farben fast den ineinanderfließenden Schattirungen des sterbenden Delphins an Schönheit gleich. Die herbstlichen Farben unserer amerikanischen [223] Wälder verschwinden, trotz ihrer erhabenen Schönheit, neben der Farbenpracht des Brotfruchtbaumes ganz.

Die Eingebornen machen aus dem Blatte in einem gewissen Grad des Welkens, wo alle prismatischen Farben auf seiner Oberfläche zu sehen sind, erstaunlich schöne Kopfbedeckungen. Sie spalten den mittleren Nerv so weit wie nöthig, biegen die elastischen Seiten auseinander und stecken den Kopf in die Öffnung, so daß das Blatt an den Seiten so sitzt, daß die vordere Hälfte keck über den Augenbrauen in die Höhe steht, während die andere Hälfte hinter den Ohren zurückfällt.

Die Frucht gleicht an Größe und äußerm Ansehen etwa unserer Citronen-Melone, nur hat sie nicht die kerbenartigen Linien der Melone. Ihre Oberfläche ist mit kleinen kegelförmigen Erhöhungen besäet, die den Knöpfen auf alten Kirchthürmen nicht unähnlich sind. Die Rinde ist etwa einen Achtelzoll dick; wenn sie abgenommen ist und die Frucht ihre höchste Vollkommenheit erreicht hat, ist diese eine schöne Kugel von weißem Fleisch, welche mit Ausnahme eines kleinen Kerngehäuses, das man leicht entfernen kann, ganz eßbar ist.

Übrigens wird die Brotfrucht nie genossen oder ist vielmehr eigentlich ungenießbar, bis sie auf eine oder die andere Art der Wirkung des Feuers unterworfen worden ist.

Die einfachste und wie ich finde die beste Art, dies zu [224] thun, ist, die frischgepflückte, nur bis zu einem gewissen Grade reife Frucht in heiße Asche zu legen, wie man Kartoffeln röstet. Nach etwa zehn Minuten wird die Rinde braun und platzt und man sieht durch die Risse das milchweiße Fleisch. Sobald sie kalt wird, fällt die Rinde ab und dann hat man das zarte Fleisch in seiner reinsten und köstlichsten Gestalt. So gegessen, schmeckt die Frucht süß und angenehm.

Mitunter holen die Eingebornen die halbgerösteten Früchte aus der Asche hervor, lassen das heiße Fleisch aus der abgerissenen Schaale in kaltes Wasser fallen und quirlen daraus das Gericht, welches sie „Bo-a-scho“ nennen. Ich habe diese Zusammensetzung nie essen mögen und bei den feineren Typies wird sie auch gar nicht gemacht.

Es giebt übrigens eine Art, die Frucht zu bereiten, welche sie für eine Königstafel geeignet macht. Sobald sie aus dem Feuer kömmt, wird die Rinde abgenommen, das Kerngehäuse herausgezogen und das Übrige in einem steinernen Mörser mit einem eben solchen Stößel stark bearbeitet. Während eine Person dieses thut, nimmt eine andere eine reife Cocosnuß, bricht sie mit großer Geschicklichkeit in zwei Hälften und fängt an, ihren saftigen Kern zu ganz kleinen Körnchen zu zerreiben. Hiezu bedient sie sich einer Perlmutterschaale, deren gerade Seite wie eine feine Säge genau gezackt ist und die an einem schweren Knittel [225] befestigt wird. Dieser Knittel ist oft ein grotesk gestalteter Baumast, von dem drei bis vier Zweige wie ungestaltete Beine ausgehen und denselben zwei bis drei Fuß über dem Boden tragen.

Der Eingeborne stellt eine Kalebasse unter die Nase dieses hölzernen Pferdes, wie ich sagen möchte, um darin die zerriebene Nuß aufzufangen, besteigt dann rittlings diesen Bock und dreht die innere Seite einer seiner Cocosnuß-Hemisphären um die scharfen Zacken der Perlmutterschaale, so daß das reine weiße Fleisch zerrieben wie Schneeflocken in das untenstehende Behältniß fällt. Wenn er hinreichend gerieben hat, thut er es in ein Beutelchen, von feinen Cocosfasern gewebt, und preßt es über die hinreichend gestoßene Brotfrucht, die nun in eine hölzerne Schüssel gethan ist, als dicke Sahne aus. Diese köstliche Flüssigkeit umgiebt bald die ganze Brotfruchtmasse, welche nur noch eben über die Oberfläche derselben sich erhebt.

Dieses erstaunlich wohlschmeckende Gericht heißt „Kokoo“. Der Holzbock, der Mörser und der Stößel hatten fast nie Ruhe, so lange ich im Hause war und Kory-Kory entwickelte große Geschicklichkeit in ihrem Gebrauch.

Die hauptsächlichen stehenden Gerichte jedoch, die aus der Brotfrucht von den Eingebornen gemacht werden, sind das „Amar“ und das „Poee-Poee“, welche in großen Vorräthen aufbewahrt werden.

[226] Zu bestimmten Jahreszeiten, wenn die Früchte der hundert Wäldchen des Thales reif sind und golden von jedem Zweige herabhängen, versammeln sich die Eingebornen zur Ärnte und sammeln den sie umgebenden Reichthum ein. Die Bäume werden ihrer Last beraubt, welche mit leichter Mühe von Rinde und Kerngehäuse befreit und in große hölzerne Gefäße gethan wird, in welchen die fleischigen Früchte mit großen steinernen Stößeln zu einer teigigen Masse zerstampft werden, die die Eingebornen „Tutao“ nennen. Diese wird dann in einzelne Packete getheilt, die wieder zu großen Packen vereinigt, in mehrfache Blätterdecken eingehüllt, mit Reifen von starkem Bast gebunden und in unterirdischen Behältnissen aufbewahrt, bis sie zum Verbrauch wieder hervorgezogen werden.

In diesem Zustande bleibt der Tutao oft jahrelang und soll durch das Alter sogar an Güte zunehmen. Ehe er aber genießbar wird, muß er noch einer weiteren Behandlung unterworfen werden. Man schaufelt einen Raum in der Erde in Gestalt eines Backofens aus, belegt den Boden desselben mit Steinen und zündet ein großes Feuer darin an. Sobald die nöthige Hitze erreicht ist, entfernt man die Asche, bestreut die Steine mit einer dicken Lage von Laub und legt einen der großen Packen Tutao darauf und darüber eine zweite Lage von Laub. Dann häuft man schnell Erde darüber, so daß das Ganze einen schrägen Damm bildet.

[227] Der so gebackene Tutao heißt „Amar“ und ist durch die Hitze des Ofens zu einer bernsteinfarbigen, kuchenartigen Masse geworden, die etwas herbe, aber durchaus nicht unangenehm schmeckt.

Durch ein anderes und letztes Verfahren verwandelt man das „Amar“ in „Poee-Poee“. Die Verwandlung geschieht sehr schnell. Das Amar wird in ein Gefäß gethan, mit Wasser zu einer puddingartigen Lockerheit ausgerührt und ist so zum Verbrauch fertig. In dieser Gestalt wird der „Tutao“ am meisten genossen. Die sonderbare Art, das „Poee-Poee“ zu essen, habe ich schon beschrieben.

Ware nicht die Brotfrucht zur Aufbewahrung auf lange Zeit geeignet, so könnten die Eingebornen leicht einmal Hungersnoth erleben; denn aus irgend einer unbekannten Ursache tragen die Bäume zuweilen gar keine Früchte, und in solchen Fällen sind die Insulaner auf ihre aufgespeicherten Vorräthe angewiesen.

Der stattliche Brotfruchtbaum kommt nur selten auf den Sandwich-Inseln vor und dann nur von sehr geringer Güte; auch auf O’Tahaiti ist er nicht so häufig, daß seine Frucht das Hauptnahrungsmittel wäre; aber auf den Marquesas-Inseln erreicht er bei unzähliger Menge seine höchste Vollkommenheit und eine ungeheure Größe.


[228]
Capitel XVI.

Melancholischer Zustand – Ereigniß im Ti – Anekdote von Marheyo – Scheren des Hauptes eines Kriegers.

Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, und mir die unzähligen Beweise von Liebe und Achtung, welche ich von den Eingebornen des Thales erhielt, ins Gedächtniß zurückrufe, so kann ich nicht begreifen, wie trotz so vieler tröstender Umstände mein Gemüth von so schwarzen Ahnungen geplagt und der tiefsten Melancholie verfallen sein konnte. Freilich waren die verdächtigen Umstände bei dem Verschwinden meines Cameraden hinreichend, um mein Mißtrauen gegen die Wilden zu rechtfertigen, in deren Gewalt ich mich doch befand, namentlich wenn ich dabei bedachte, daß diese Leute, trotz ihrer Güte und Zuvorkommenheit gegen mich, nichts Besseres als ein Haufe Cannibalen waren.

Aber die Hauptursache meines Kummers, welcher alle meine Freuden vergiftete, war die räthselhafte Krankheit [229] meines Beines, die immer noch nicht nachließ. Alle die Kräuterumschläge der alten Tinora wie auch die rauhere Behandlung des Arztes und die treue Pflege des Kory-Kory waren vergeblich. Ich war fast ein Krüppel und die Schmerzen, die ich zuweilen litt, waren rasend. Die unerklärliche Krankheit ließ nicht nach; im Gegentheil, sie wuchs von Tage zu Tage und drohte einen schrecklichen Ausgang zu nehmen, wenn ihr nicht durch irgend ein wirksames Mittel kräftig entgegengearbeitet würde. Es schien als sollte ich dem harten Leiden unterliegen oder daß es mich wenigstens unfähig machen würde, irgend eine Gelegenheit zur Flucht zu benutzen.

Ein Umstand, der sich, so weit ich mich erinnere, etwa drei Wochen nach der Flucht des Tobias zutrug, überzeugte mich, daß die Eingebornen mir jedes mögliche Hinderniß in den Weg legen würden, damit ich sie nicht verließe, obgleich ich den Grund dazu nicht durchschauen konnte.

Eines Morgens zeigten sie nicht geringe Aufregung, die, wie ich bald entdeckte, durch ein loses Gerücht verursacht wurde, als näherten sich Böte aus weiter Ferne der Küste. Augenblicklich war Alles Leben und Eifer. Es traf sich, daß ich gerade an dem Tage weniger Schmerzen in meinem Bein fühlte und eingewilligt hatte, Mehevi im „Ti“ zu besuchen, der, wie ich früher beschrieben habe, am Rande [230] des Taboo-Haines lag. Dieser heilige Ort war nicht weit von Marheyos Wohnung entfernt und lag zwischen derselben und der See. Der Weg zum Strande führte am Ti vorbei und von da längs des Waldsaumes hin.

Ich lag auf den Matten im heiligen Gebäude mit Mehevi und einigen andern Häuptlingen, als das erste Gerücht herankam. Ein Freudenstrahl durchzuckte mein ganzes Wesen; vielleicht kehrte Tobias zurück! Ich sprang augenblicklich auf und es trieb mich instinktmäßig, sogleich der Küste zuzueilen, ohne daß ich die Entfernung und meine Lähmung bedacht hätte. Sobald Mehevi sah, welchen Eindruck die Nachricht auf mich gemacht und wie dringend ich wünschte, den Strand zu erreichen, nahmen seine Züge jenen unbeugsam strengen Ausdruck an, der mich an dem Nachmittage unserer Ankunft in Marheyos Hause so sehr eingeschüchtert hatte. Als ich mich anschickte, den Ti zu verlassen, legte er seine Hand auf meine Schulter und sagte ernst: „abo, abo!“ (warte, warte). Mit dem einzigen Gedanken, der mich beschäftigte, vor der Seele, beachtete ich seine Bitte nicht, sondern rannte eben an ihm vorbei, als er plötzlich einen befehlenden Ton annahm und mir zudonnerte: „moee!“ (setz Dich). Obgleich mich die Änderung in seinem Benehmen überraschte, so war meine innere Aufregung doch zu groß, um mich dem Befehl ruhig nachkommen zu lassen und ich hinkte noch immer dem [231] Rande des Pi-Pi zu mit Kory-Kory, der mich mit aller Gewalt zurückzuhalten suchte, als plötzlich alle umsitzenden Eingebornen aufsprangen und die offne Seite des Gebäudes sperrten, während Mehevi mit einem finstern Blick auf mich seinen Befehl mit verdoppelter Strenge des Ausdrucks wiederholte.

In diesem Augenblicke, als funfzig aufgebrachte wilde Gesichter mich anstarrten, fühlte ich zum ersten Male wirklich, daß ich ein Gefangner im Thale sei. Diese Überzeugung drängte sich mir mit Gewalt auf und mich übermannte diese Bestätigung meiner ärgsten Befürchtungen. Ich sah ein, daß Widerstand nutzlos sei und muthlos setzte ich mich wieder auf die Matten und überließ mich der Verzweiflung.

Ich sah nun die Eingebornen einen nach dem andern am Ti vorbei und dem Strande zueilen. Diese Wilden werden sich bald vielleicht mit meinen eignen Landsleuten unterhalten, dachte ich, die mich mit Leichtigkeit würden befreien können, wenn sie um meine Lage wüßten. Keine Worte beschreiben das Gefühl der Unglückseligkeit, das mich erfüllte; mit der ganzen Bitterkeit meiner Stimmung schleuderte ich tausend Flüche auf den verrätherischen Tobias, der mich verlassen und gewissem Untergange überlassen hatte. Umsonst brachte mir Kory-Kory Speisen, umsonst reichte er mir meine Pfeife oder machte seine linkischen [232] Kapriolen, die mich oft ermuntert hatten. Mich hatte das letzte Unglück vollständig zu Boden geschmettert, welches ich wol gefürchtet, aber nie den Muth gehabt hatte, mir klar zu überlegen.

Verschlossen gegen Alles bis auf meinen Kummer, blieb ich mehrere Stunden im Ti, bis Geschrei und unterbrochene Ausrufungen im nahen Wald die Rückkehr der Eingebornen vom Strand verkündeten.

Ob an jenem Morgen Böte in der Bucht gewesen oder nicht, habe ich nie mit Bestimmtheit erfahren. Die Eingebornen leugneten es immer, doch glaube ich, daß sie mich in diesem Punkte täuschten, um meinen heftigen Kummer zu lindern. Dem sei aber wie ihm wolle, dieser Fall zeigte mir deutlich, daß die Typies die Absicht hätten, mich als Gefangenen festzuhalten. Da sie mich aber immer mit derselben freundlichen Aufmerksamkeit behandelten wie früher, so konnte ich mir ihr räthselhaftes Betragen gar nicht erklären. Hätte ich ihnen die Anfangsgründe irgend eines Handwerks zeigen können oder sonst nur Lust gezeigt, mich irgendwie ihnen nützlich zu machen, so hätte ihr Benehmen doch noch einen Grund gehabt, so aber war es völlig unerklärlich.

Während meines ganzen Aufenthalts auf der Insel kam es nur zwei bis drei Male vor, daß sich die Eingebornen an mich wandten, um von mir belehrt zu werden, und [233] diese Fälle kommen mir jetzt so lächerlich vor, daß ich nicht umhin kann, sie zu erzählen.

Die wenigen Sachen, welche wir von Nukuheva mitgenommen und beim Herabsteigen in das Thal abwechselnd getragen hatten, waren, wie ich erzählt habe, in ein kleines Bündel zusammengebunden. Dieses hatte ich die erste Nacht als Kopfkissen gebraucht; aber als ich es am nächsten Morgen öffnete, um den Wilden den Inhalt zu zeigen, betrachteten sie die verschiedenen Sachen mit einer Bewunderung, als wären es Diamanten gewesen, und bestanden darauf, es müsse besser aufbewahrt werden. Es wurde also an eine Schnur gebunden und bis unter den Dachrücken hinaufgewunden, wo es gerade über meinem gewöhnlichen Platze hing. Wünschte ich etwas daraus, so hatte ich nur die Schnur, die neben mir befestigt war, zu fassen und das Bündel herabzulassen. Das war erstaunlich bequem und ich verfehlte nicht, den Eingebornen meine Bewunderung ihrer Erfindung zu erkennen zu geben. Der Hauptinhalt des Bündels war ein Rasirzeug, ein Vorrath von Nadeln und Zwirn, einige Pfund Tabak und ein Paar Ellen bunter Kattun.

Ich hätte schon erwähnen sollen, daß ich bald nach dem Verschwinden des Tobias, in Betracht der Ungewißheit des Zeitraumes, den ich würde im Thale bleiben müssen (wenn ich überhaupt je würde fliehen können) und in [234] Erwägung des Umstandes, daß meine ganze Garderobe aus einem Hemde und einem Paar Hosen bestand, mich entschlossen hatte, diese Kleidungsstücke gleich zurückzulegen, um sie für mein etwaiges späteres Erscheinen unter civilisirten Wesen im Stande zu erhalten. Daher war ich genöthigt, das Costüm der Typies anzunehmen, mit einigen Änderungen übrigens, um es meinen Begriffen von Schicklichkeit etwas mehr anzupassen, und ich zweifle nicht, daß ich so vortheilhaft aussah, wie ein römischer Senator in den Falten seiner Toga. Einige Falten von gelbem Tappa umgürteten meine Hüften und fielen wie ein Damenkleid bis auf meine Füße herab, nur mit der Ausnahme, daß ich nicht die Polsterungen anwandte, mit welchen unsere jungen Damen die vornehmen Rundungen ihrer Gestalt zu erhöhen pflegen. Dies war meine gewöhnliche Haustracht; wenn ich ausging, fügte ich hiezu noch einen weiten Überwurf von demselben Stoff, welcher mich ganz einhüllte und gegen die Sonnenstrahlen schützte.

Eines Morgens machte ich einen Riß in diesen Mantel und um den Insulanern zu zeigen, mit welcher Leichtigkeit dies auszubessern sei, ließ ich mein Bündel herab, nahm Nadel und Zwirn heraus und fing an, das Loch zu stopfen. Sie betrachteten diese wunderbare Anwendung von Kenntnissen mit inniger Bewunderung und während ich fortstopfte, schlug sich der alte Marheyo, der einer der Zuschauer [235] war, plötzlich vor die Stirn, lief in einen Winkel des Hauses und brachte einen Streifen schmutzigen und zerfetzten alten Kattuns, den er wol einmal an der Küste erhandelt haben mochte, und bat mich, meine Kunst daran zu üben. Ich willigte gern ein, obgleich meine groben Nadeln nichts weniger als zum Kattunnähen geeignet waren. Als ich mit der Reparatur fertig war, umarmte mich Marheyo väterlich, warf seinen „Maro“ (Gürtel) ab, schlang den Kattun um seine Hüften, steckte die geliebten Ohrenzierden ein, ergriff seinen Spieß und stolzirte aus dem Haus wie ein tapfrer Tempelherr in einem neuen Waffenschmuck.

Ich brauchte nie mein Rasirmesser während meines Aufenthalts auf der Insel, aber, obgleich es ein geringes Ding war, hatten es die Wilden doch sehr bewundert, und Narmonee, ein, großer Held unter ihnen, der sehr genau in seinem Anzuge und die am schönsten tättowirte und am mühsamsten entstellte Person im ganzen Thale war, dachte, es müsse erstaunlich vortheilhaft sein, es an seinem schon geschornen Scheitel anwenden zu lassen.

Das Instrument, welches sie gewöhnlich zum Rasiren anwenden, ist ein Haifischzahn, der ungefähr so geeignet dazu ist, wie eine einzackige Gabel zum Heuaufladen. Es war also kein Wunder, daß der scharfsichtige Narmonee die Vorzüge meines Rasirmessers vor dem gewöhnlichen [236] Instrument erkannte. Eines Tages bat er mich, als besondern Freundschaftsbeweis ihm mit meinem Messer den Kopf zu rasiren. Als Antwort gab ich ihm zu verstehen, es sei so stumpf, daß es, um gebraucht werden zu können, erst geschärft werden müsse. Um mich deutlicher auszudrücken, ahmte ich das Schleifen auf der innern Hand nach. Narmonee begriff augenblicklich, was ich meinte, rannte aus dem Haus und kam im nächsten Augenblick mit einem großen rauhen Felsstück, so groß wie ein Meilenstein, wieder und deutete mir an, dies sei gerade, was ich bedürfe. Natürlich blieb mir nichts Anderes übrig, als mich an die Arbeit zu machen, und ich begann eifrigst zu schrapen. Er wand und krümmte sich unter meinen Händen, aber im vollen Vertrauen auf meine Geschicklichkeit ertrug er den Schmerz wie ein Märtyrer.

Obgleich ich Narmonee nie im Gefecht gesehen habe, so will ich mein Leben auf seinen Muth und seine Kraft wetten. Vor der Operation war sein Kopf voll ganz kurzer borstiger Haare gewesen, nach derselben sah er beinah aus wie ein Stoppelfeld, über das eine Egge gezogen worden ist. Da aber der Häuptling seine lebhafte Zufriedenheit mit mir aussprach, war ich zu klug, um eine abweichende Meinung zu verrathen.


[237]
Capitel XVII.

Besserung in Zustand und Stimmung – Glückseligkeit der Typies – Ihre Freuden im Vergleich mit denen der aufgeklärteren Völker – Ein Scharmützel in den Gebirgen mit Happar-Kriegern.

Tag auf Tag verging, ohne daß das Benehmen der Insulaner gegen mich sich geändert hätte. Nach und nach verlor ich ganz den Faden der Zeitrechnung nach Tagen und Wochen und verfiel unmerklich in jene Gleichgiltigkeit, die so häufig auf heftige Ausbrüche von Verzweiflung folgt. Mein Bein wurde plötzlich besser, die Geschwulst setzte sich, der Schmerz hörte auf und ich hatte alle Ursache, zu glauben, daß ich bald ganz von dem Leiden, welches mich so lange gequält hatte, wieder hergestellt sein würde.

Sobald ich im Stande war, im Thale umherzuwandern, in Begleitung der Eingebornen, von welchen immer sehr viele sich an mich anschlossen, wenn ich das Haus verließ, fühlte ich wieder eine Schwungkraft des Gemüths, welche [238] mich den schwarzen Ahnungen unzugänglich machte, denen ich früher unterworfen war. Wohin ich kam, ward ich mit unterwürfigster Güte empfangen, mit den ausgesuchtesten Früchten beschenkt; schwarzäugige Nymphen gaben mir Heilmittel und Erquickungen; mein treuer Kory-Kory war voll rührender Liebe gegen mich; wahrlich für einen Aufenthalt unter Cannibalen war der meinige gewiß der schönste, den man sich denken kann.

Freilich waren meinen Wanderungen Grenzen gesetzt. Ein strenges Verbot von Seiten der Wilden verwehrte mir, nach der See zu gehen, und nach einigen meist aus Neugierde unternommen, fruchtlosen Versuchen, an die Küste zu gelangen, gab ich den Plan ganz auf. Es wäre vergeblich gewesen, wenn ich mich hätte hinschleichen wollen; denn die Wilden begleiteten mich haufenweise auf Schritt und Tritt und ich entsinne mich nicht, je einen Augenblick allein gewesen zu sein.

Die grünen abschüssigen Höhen am Ende des Thales, wo Marheyos Wohnung lag, verhinderten jeden Gedanken an Flucht nach dieser Seite hin, selbst wenn ich hätte den tausend wachsamen Augen der Wilden entgehen können.

Aber diese Gedanken beschäftigten mich nur selten; ich lebte für den Augenblick und genoß ihn; und stieg ja einmal ein finstrer Gedanke in mir auf, so verjagte ich ihn schnell. Wenn ich mich in dem grünen Schlupfwinkel umsah, [239] der mich begrub, und die Bergspitzen musterte, die mich einzäunten, so war ich fast geneigt, zu denken, ich sei in dem „glücklichen Thal“ und daß jenseits jener Berge nur eine Welt voll Kummer und Sorge läge.

Als ich meine Wanderungen im Thale ausdehnte und vertrauter mit den Sitten der Bewohner wurde, mußte ich einräumen, daß der polynesische Wilde, trotz der unvortheilhaften Seiten seiner Lage, umgeben von den ewigreichen Spenden der Natur, ein viel glücklicheres obgleich weniger geistiges Leben führt, als der selbstgefällige Europäer.

Der unglückliche Nackte, der unter dem frostigen Himmel von Patagonien friert und in seinen ungastlichen Einöden hungert, könnte allerdings durch Civilisation glücklicher werden, denn sie würde seinen materiellen Bedürfnissen abhelfen. Aber der üppige Indier, dem die Vorsehung jeden Wunsch erfüllt und jede Quelle reiner und natürlicher Freuden öffnet, während sie so manche Uebel des Lebens von ihm fern hält – was hat der wol von der Civilisation zu erwarten? Sie mag „seinen Geist aufklären“, mag „seine Gedanken erheben“; (das sind glaube ich die gewöhnlichen Phrasen) aber wird er glücklicher werden? Laßt die einst lachenden und dicht bevölkerten Inseln von Haiwai mit ihren jetzt kranken hungernden und sterbenden Eingebornen die Frage beantworten. Mögen die Missionaire die Sache entstellen, wie sie wollen, leugnen läßt sie sich nicht; [240] und der frömmste Christ, der diese Inselgruppe ohne Vorurtheil besucht, muß, wenn er sie verläßt, traurig fragen: „Ach! sind das die Früchte von fünf und zwanzigjähriger Aufklärung?“

Im ursprünglichen Zustand der menschlichen Gesellschaft sind die Freuden zwar wenig zahlreich und höchst einfach, aber sie verbreiten sich über viele und sind unverfälscht; aber die Civilisation bringt für jeden Vortheil, den sie gewährt, hundert Uebel mit sich; – die Lustseuche, die Eifersucht, der gesellschaftliche Rangstreit, die Familienzerrüttungen und die unzähligen selbstauferlegten Unbequemlichkeiten des gebildeten Lebens, welche zusammen den Inbegriff des wachsenden menschlichen Elends ausmachen, sind unter diesen Naturvölkern unbekannt.

Man wird einwerfen, daß diese schrecklichen zügellosen Menschen Cannibalen sind. Sehr wahr; und man muß einräumen, daß dies ein sehr schlechter Zug ist. Aber sie sind es nur, wenn sie die Leidenschaft der Rache an ihren Feinden zu befriedigen suchen; und ich frage, ob das Essen von Menschenfleisch so entsetzlich viel barbarischer ist, als die Sitte, die noch vor wenigen Jahren im hochgebildeten England bestand: – einem überführten Verbrecher, vielleicht einem Mann, welcher der Ehrlichkeit, der Vaterlandsliebe oder derartiger mißliebiger Verbrechen für schuldig befunden war, wurde der Kopf mit einem riesigen Beil abgehackt, die Eingeweide [241] ausgerissen und ins Feuer geworfen, und der geviertheilte Körper mit dem abgehauenen Kopf wurde auf Stangen gesteckt, um angesichts aller Menschen zu verfaulen und von den Vögeln gefressen zu werden!!

Die teuflische Geschicklichkeit, die wir bei der Erfindung aller Arten von todtbringenden Maschinen entwickeln, die Rachsucht unserer Kriegsführung und das Elend und die Noth, die durch unsere Kriege hervorgerufen werden, sind an und für sich schon Beweise genug, daß der Weiße das grausamste Geschöpf auf Gottes Erde ist.

Die überlegte Grausamkeit der Weißen zeigt sich in vielen Einrichtungen in meinem eignen Vaterlande. Namentlich ist in einem der vereinigten Staaten eine Anstalt begründet, die sich rühmt, aus Menschlichkeit hervorgegangen zu sein. Man hält es für menschlicher, die Missethäter auszurotten, indem man das Blut tropfenweise in ihren Adern austrocknet, welches man zu feige ist mit einem Schlage zu vergiessen, der den Leiden derselben mit einem Male ein Ende machen würde; man hält es für edler und mehr dem Zeitgeist entsprechend, als die alte Todesstrafe auf dem Schaffot; und welche Sprache hätte wol Worte um die unendlichen Schrecken zu beschreiben, welche wir über diese Unglücklichen bringen, die wir in den kleinen Zellen unserer Gefängnisse einmauern zu ewiger Einsamkeit, inmitten der dichtesten Bevölkerung!

[242] Aber es ist unnütz, noch mehr Beispiele civilisirter Grausamkeit aufzuzählen; sie übertreffen bei weitem das Elend; sie veranlassen die Verbrechen, die wir mit Abscheu bei unsern weniger aufgeklärten Mitmenschen gewahren.

Ich halte den Ausdruck „Wilde“ für sehr häufig falsch angewandt, und wenn ich die Laster, Grausamkeiten und Ungebührlichkeiten aller Art betrachte, die inmitten einer fieberhaften Civilisation entspringen, so glaube ich, soweit die verhältnißmäßige Verderbtheit der beiden Völker in Erwägung kommt, daß vier bis fünf Marquesas-Insulaner mit eben so vielem Nutzen als Missionaire nach Amerika geschickt werden könnten, als dieselbe Anzahl amerikanischer Missionaire nach den Marquesas-Inseln.

Ich hörte einmal als Beweis der schrecklichsten Verworfenheit eines gewissen Stammes der Südsee anführen, er habe in seiner Sprache kein Wort, um den Begriff „Tugend“ auszudrücken. Die Behauptung war ungegründet; aber selbst wenn sie wahr gewesen wäre, so hätte man dagegen anführen können, daß die Sprachen jener Stämme auch durchaus frei von Bezeichnungen[WS 5] für die erhabenen Begriffe sind, die unser endloses Verzeichniß civilisirter Verbrechen enthält.

Bei meiner veränderten Stimmung sah ich Alles, was sich meiner Beobachtung darbot, in einem neuen Lichte und die Gelegenheit, die ich nun hatte, Sitten und Gewohnheiten [243] der Thalbewohner zu beobachten, half, den günstigen Eindruck zu befestigen. Eine Eigenthümlichkeit, die meine Bewunderung fesselte, war die ewige Heiterkeit, die überall im Thale herrschte. Es schien in ganz Typie keine Sorgen, keinen Kummer, keine Bedrängniß und keinen Ärger zu geben. Die Stunden enteilten so heiter, wie lachende Paare sich in ländlichem Tanze schwingen.

Es gab keine der tausend Quellen des Zornes, die die aufgeklärte Welt erfunden hat, um ihre eigne Zufriedenheit zu untergraben. In Typie kannte man keine verfallenen Pfänder, keine protestirten Wechsel, keine zahlbaren Anweisungen, keine Ehrenschulden, keine Mahner irgend einer Art; keine Advokaten, um Streit anzufachen und dann ihre Klienten zu prellen; keine armen Verwandten, die ewig die Fremdenzimmer bewohnen und die eigne Familie einengen; keine unglücklichen Wittwen mit Kindern, die bei der Kaltherzigkeit der Welt verhungern; keine Bettler, kein Schuldgefängniß, keine stolzen und hartherzigen Millionairs, oder um Alles in Ein Wort zu fassen – kein Geld! „Diese Wurzel alles Übels“ ward nicht im Thale gefunden.

In diesem traulichen Wohnsitz des Glückes gab es keine keifenden alten Weiber, keine grausamen Stiefmütter, keine verwelkte alte Jungfer, kein liebeskrankes Mädchen, keinen versauerten alten Junggesellen, keinen unaufmerksamen Ehemann, keinen melancholischen Jüngling, keine [244] ungezogenen Jungen, keine schreienden Säuglinge. Alles war Heiterkeit, Scherz und Jauchzen. Trübsinn, Hypochondrie und Schwermuth verbargen sich in den Winkeln und Rissen der Felsen.

Hier sah man einen Haufen Kinder den ganzen Tag scherzen und spielen, und keinen Streit, keinen Unfrieden unter ihnen. Dieselbe Anzahl würde bei uns nicht eine Stunde zusammen gewesen sein, ohne sich zu zanken und zu kratzen. Dort sah man eine Menge junger Mädchen zusammen, nicht ihre Reize gegenseitig beneidend, nicht ein läppisches Rangwesen beobachtend, nicht in Fischbeinschnürleiber wie Automaten eingezwängt, sondern frei, natürlich, glücklich und ungezwungen.

An einigen Punkten des sonnigen Thales pflegten sie sich oft zu versammeln, um sich mit Blumenketten und Kränzen zu schmücken. Wenn man sie so sah, im Schatten der wundervollen Haine hingestreckt, Haufen von frisch gepflückten Blumen und Knospen um sich her, und unter Scherzen und Singen damit beschäftigt, Kronen und Halsbänder aus den Blüthen zu machen, wahrlich man hätte glauben sollen, Floras ganzes Gefolge sei vereinigt, um seiner Herrin ein Ehrenfest zu bereiten.

Unter den Jünglingen gab es immer eine Lustbarkeit oder ein Geschäft, welches eine Reihe abwechselnder Freuden veranlaßte. Aber sie mochten nun fischen, oder Canoes [245] schnitzen, oder ihren Schmuck putzen, nie sah man unter ihnen nur den Schein eines Streits oder einer Uneinigkeit.

Die Krieger betrugen sich mit würdigem Ernst, wanderten zuweilen von Haus zu Haus und wurden immer mit der Aufmerksamkeit empfangen, die ausgezeichneten Gästen gebührt. Die Greise, deren es viele im Thale gab, standen selten von ihren Matten auf, auf denen sie lagen und sich mit der dem Alter eignen Schwatzhaftigkeit unterhielten.

Das fortwährende Glück, welches, soviel ich urtheilen konnte, im Thale vorherrschte, entsprang hauptsächlich aus dem Gefühl einer vollständigen körperlichen Gesundheit, welches ein Jeder empfand und welches Rousseau einmal empfunden haben will. In diesem Punkte waren die Typies wahrhaft glücklich zu preisen, denn Krankheit war eigentlich ganz unbekannt. Während meines ganzen Aufenthalts bei ihnen sah ich nur einen Kranken, und ihre Haut war von der ganzen Reinheit und Glätte vollkommner Gesundheit.

Die allgemeine Ruhe, deren ich eben erwähnt habe, wurde übrigens um diese Zeit von einem Ereigniß unterbrochen, welches bewies, daß die Insulaner doch nicht ganz frei von den Zufällen sind, die den Frieden der civilisirten Welt stören.

Ich war nun eine ziemliche Zeit im Thale gewesen, und fing an, mich zu wundern, daß die furchtbaren Feindseligkeiten, die zwischen den Bewohnern desselben und denen der [246] benachbarten Bucht von Happar herrschen, sich nie in kriegerischen Zusammentreffen äußerten. Obgleich die tapfern Typies durch Geberden ihren unauslöschlichen Haß gegen ihre Feinde ausdrückten, wie ihren Abscheu vor deren cannibalischen Neigungen; obgleich sie sich oft über die mannigfachen Beleidigungen ausließen, welche die Happars ihnen zugefügt hätten, so schienen sie doch mit lobenswerthem Langmuth geduldig die Beleidigungen zu tragen und von der Rache abzustehen. Die Happars saßen hinter ihren Bergen eingepfercht, zeigten sich nicht einmal auf den Spitzen derselben und schienen mir nicht genügende Veranlassung zu so eingefleischter Feindseligkeit gegeben zu haben, wie die heldenmüthigen Inhaber unsers Thales an den Tag legten, und ich war fast geneigt, anzunehmen, daß die blutigen Thaten, die sie ihnen zuschrieben, bedeutend übertrieben seien.

Auf der andern Seite fing ich an, da bis zu diesem Zeitpunkt kein Kriegsgeräusch die Heiterkeit des Thales gestört hatte, an dem Ruf der stolzen und kriegerischen Typies zu zweifeln. Wahrlich, dachte ich, alle diese schrecklichen Geschichten von der Hartnäckigkeit ihrer Kriegsführung, von ihrem tödtlichen Haß und von der teuflischen Freude, mit welcher sie ihn am leblosen Körper ihrer Feinde stillen, sind bloße Fabeln und ich muß gestehen, daß ich fast bedauerte, in meinen schrecklichen Erwartungen getäuscht zu werden. Ich hatte ungefähr das Gefühl, welches [247] einen Lehrjungen beschleicht, der in das Theater geht, um sich an einem Mord- und Spektakelstück zu ergötzen und fast Thränen der Täuschung weint, wenn ein feines Lustspiel gegeben wird.

Ich konnte nicht umhin, zu finden, daß ich auf ein sehr verleumdetes Volk gestoßen sei und machte die allerschönsten Betrachtungen über das Unglück, einen schlechten Ruf zu haben, welcher in diesem Falle einem Stamm Wilder, die so friedlich wie die Lämmer waren, den Namen einer Bande von Riesentödtern verschafft hatte.

Spätere Ereignisse bewiesen mir aber, daß ich mit diesem Schluß etwas übereilt gewesen war. Eines Tages befand ich mich etwa um Mittag im Ti und hatte mich mit mehreren Häuptlingen auf die Matten gelegt; ich war eben im Übergange zu der köstlichsten Siesta, als mich plötzlich ein fürchterlicher Schrei aufschreckte und ich die Eingebornen mit ihren Spießen bewaffnet forteilen sah, während der stärkste Häuptling die sechs Flinten an der Wand erfaßte, ihnen nacheilte und bald im Wäldchen mit ihnen verschwand. Diese Aufregung war von wilden Ausrufungen begleitet, in denen „Happar, Happar“ sehr häufig wiederholt wurde. Jetzt rannten die Insulaner am Ti vorüber und der Seite von Happar zu quer durch das Thal. Bald hörte ich das scharfe Krachen einer Flinte aus den nahen Bergen und gleich darauf hundertstimmiges Geschrei aus derselben Richtung. Hierauf erhoben die Weiber, die sich in den Wäldchen versammelt hatten, ein schreckliches Gejammer, wie sie überall bei Lärm und Aufregung thun, in der Absicht, sich zu beruhigen und andere Leute zu stören. In [248] diesem Falle machten sie einen so heillosen Lärm und zwar mit solcher Ausdauer, daß hundert Flinten im Gebirge hätten abgefeuert werden können, ohne daß ich sie gehört haben würde.

Als dieser weibliche Tumult ein wenig nachgelassen, schärfte ich meine Aufmerksamkeit, um den Ereignissen in den Bergen zu lauschen. Endlich, krach, ein zweiter Schuß und dann wieder das fürchterlichste Geheul von den Höhen herab. Wieder war Alles still und zwar so lange, daß ich anfing, zu glauben, man wäre um Waffenstillstand übereingekommen, als plötzlich, paff, der dritte Schuß losging und ein ähnliches Brüllen zur Folge hatte. Hierauf war fast zwei Stunden lang Alles ruhig und nur einzelne halbverhallte Ausrufungen drangen bis zu mir, wie von einem Rudel Knaben, die sich im Wald verlaufen.

Während dieser Zeit stand ich auf dem Pi-Pi des Ti, welcher gerade nach der Happarseite ging, allein mit Kory-Kory und den uralten Wilden, deren ich früher erwähnt habe. Diese rührten sich nicht von den Matten und verriethen auch durch keine Miene, daß sie irgend etwas von dem außergewöhnlichen Ereignisse merkten.

Was Kory-Kory betrifft, so schien er zu glauben, wir ständen inmitten großer Katastrophen und suchte eifrigst mir die gebührende Ehrfurcht vor ihrer Bedeutung beizubringen. Jeder Laut, der bis zu uns drang, brachte ihm irgend eine wichtige Nachricht. Dann gab er mir, als habe er die Gabe des Hellsehens, in den verschiedensten pantomimischen Erläuterungen ein klares Bild von der Art, wie jetzt die fürchterlichen Typies ihre frechen Feinde züchtigten. „Mehevi Hanna pippee nuee Happar!“ rief er jeden Augenblick, [249] wodurch er mir andeutete, daß die Krieger seines Stammes unter diesem Anführer Wunder der Tapferkeit ausführten.

Da ich nur vier Mal den Knall einer Flinte hörte, so glaubte ich, die Insulaner handhabten sie wie Sultan Soliman’s schweren Geschütze bei der Belagerung von Byzantium, von denen keines unter ein paar Stunden geladen und gerichtet wurde. Endlich, da kein Laut irgend einer Art mehr gehört wurde, dachte ich, daß das Treffen auf eine oder die andere Weise entschieden sein müsse. Es zeigte sich auch, daß dem so war, denn bald erschien ein athemloser Bote am Ti und berichtete, daß seine Landsleute einen großen Sieg erfochten hätten: „Happar poo arva! – Happar poo arva!“ (die Happarhunde sind geflohen). Kory-Kory war außer sich vor Freude, und ergoß sich in einer feurigen Rede, welche, soviel ich verstehen konnte, das Resultat als ganz seinen Erwartungen entsprechend schilderte und mir einprägen sollte, daß es ein völlig vergebliches Bemühen sein würde, selbst von einer Armee von Feuerfressern, die unwiderstehlichen Helden seines Stammes anzugreifen. Ich stimmte natürlich seiner Meinung in Allem und Jedem bei und sah der Rückkehr der Sieger mit gespannter Erwartung entgegen, denn ich fürchtete, sie möchten den Sieg theuer erkauft haben.

Hierin irrte ich mich aber wieder; denn Mehevi neigte sich in seinen kriegerischen Unternehmungen mehr zur Fabischen als zur Napoleonischen Taktik, indem er seine Kräfte sparte und seine Truppen nicht unnöthig aussetzte. Der ganze Verlust der Sieger bei diesem hartnäckigen Scharmützel an Todten, Verwundeten und Vermißten war – [250] ein Zeigefinger und ein Stück von einem Daumennagel, welche der frühere Besitzer in der Hand mit sich trug, eine derbe Armquetschung und ein reichlicher Blutstrom aus dem Schenkel des Häuptlings, der einen bösen Stoß mit einem Happar-Spieße bekommen hatte. Was der Feind gelitten, habe ich nicht ermitteln können, aber ich nahm an, es sei ihm gelungen, seine Todten und Verwundeten mit sich fortzubringen.

Das war der Ausgang des Treffens, soweit ich ihn beobachten konnte, und da es schien, als lege man demselben erstaunliche Wichtigkeit bei, so schloß ich daraus, daß die Kriege der Insulaner nicht sehr blutig wären. Später erfuhr ich, wie das Scharmützel entstanden. Eine Anzahl von Happars waren auf der Seite des Gebirges, die zu Typie gehört, bemerkt worden, wo sie, natürlich in böser Absicht, umherschlichen; man hatte das Zeichen zum Schlagen gegeben und die Eindringlinge waren, nach langem Widerstand, in ihr Gebiet zurückgedrängt worden! Aber warum hatte der kühne Mehevi sie nicht bis nach Happar verfolgt? Warum war er nicht ins feindliche Thal eingedrungen und hatte Siegeszeichen von dort geholt – irgend einen Gegenstand zu einem cannibalischen Feste, die, wie ich gehört hatte, jeden Kriegszug beschlössen? Ich muß doch annehmen, daß solche schreckliche Feste nur äußerst selten unter den Insulanern vorkommen, wenn sie überhaupt je stattfinden.

Zwei bis drei Tage lang sprach man allgemein vom letzten Ereigniß; dann verlor sich die Aufregung nach und nach und die gewöhnliche heitre Ruhe des Thales trat wieder ein.


Ende des ersten Theils.

  1. Neun Uhr.
  2. Der Schutzgeist von Irland, der die Schlangen vertrieben haben soll.
  3. Das Wort „Kannaka“ ist heutzutage gäng und gebe unter den Europäern in der Südsee und bedeutet Insulaner. In den verschiedenen Mundarten der hauptsächlichsten Inselgruppen ist es eigentlich nur eine Geschlechtsbezeichnung für die Männer, aber jetzt gebrauchen es die Wilden bei ihren Berührungen mit Fremden in demselben Sinne wie diese letztern.
    Ein „tabotirter Kannaka“ ist ein Insulaner, dessen Person durch eine gewisse Operation, deren ich später erwähnen werde, bis zu einem gewissen Grade unantastbar gemacht worden ist.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: nackten ten
  2. Vorlage: Terassen
  3. Vorlage: terassenförmige
  4. Vorlage:zu zu
  5. Vorlage: Bezeichungen
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