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Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben
1. Theil

und der frömmste Christ, der diese Inselgruppe ohne Vorurtheil besucht, muß, wenn er sie verläßt, traurig fragen: „Ach! sind das die Früchte von fünf und zwanzigjähriger Aufklärung?“

Im ursprünglichen Zustand der menschlichen Gesellschaft sind die Freuden zwar wenig zahlreich und höchst einfach, aber sie verbreiten sich über viele und sind unverfälscht; aber die Civilisation bringt für jeden Vortheil, den sie gewährt, hundert Uebel mit sich; – die Lustseuche, die Eifersucht, der gesellschaftliche Rangstreit, die Familienzerrüttungen und die unzähligen selbstauferlegten Unbequemlichkeiten des gebildeten Lebens, welche zusammen den Inbegriff des wachsenden menschlichen Elends ausmachen, sind unter diesen Naturvölkern unbekannt.

Man wird einwerfen, daß diese schrecklichen zügellosen Menschen Cannibalen sind. Sehr wahr; und man muß einräumen, daß dies ein sehr schlechter Zug ist. Aber sie sind es nur, wenn sie die Leidenschaft der Rache an ihren Feinden zu befriedigen suchen; und ich frage, ob das Essen von Menschenfleisch so entsetzlich viel barbarischer ist, als die Sitte, die noch vor wenigen Jahren im hochgebildeten England bestand: – einem überführten Verbrecher, vielleicht einem Mann, welcher der Ehrlichkeit, der Vaterlandsliebe oder derartiger mißliebiger Verbrechen für schuldig befunden war, wurde der Kopf mit einem riesigen Beil abgehackt, die Eingeweide

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Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben, 1. Theil. Gustav Mayer, Leipzig 1847, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Melville-Vier_Monate_auf_den_Marquesas-Inseln._Teil_1.djvu/250&oldid=- (Version vom 1.8.2018)