Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben 1. Theil | |
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der mich begrub, und die Bergspitzen musterte, die mich einzäunten, so war ich fast geneigt, zu denken, ich sei in dem „glücklichen Thal“ und daß jenseits jener Berge nur eine Welt voll Kummer und Sorge läge.
Als ich meine Wanderungen im Thale ausdehnte und vertrauter mit den Sitten der Bewohner wurde, mußte ich einräumen, daß der polynesische Wilde, trotz der unvortheilhaften Seiten seiner Lage, umgeben von den ewigreichen Spenden der Natur, ein viel glücklicheres obgleich weniger geistiges Leben führt, als der selbstgefällige Europäer.
Der unglückliche Nackte, der unter dem frostigen Himmel von Patagonien friert und in seinen ungastlichen Einöden hungert, könnte allerdings durch Civilisation glücklicher werden, denn sie würde seinen materiellen Bedürfnissen abhelfen. Aber der üppige Indier, dem die Vorsehung jeden Wunsch erfüllt und jede Quelle reiner und natürlicher Freuden öffnet, während sie so manche Uebel des Lebens von ihm fern hält – was hat der wol von der Civilisation zu erwarten? Sie mag „seinen Geist aufklären“, mag „seine Gedanken erheben“; (das sind glaube ich die gewöhnlichen Phrasen) aber wird er glücklicher werden? Laßt die einst lachenden und dicht bevölkerten Inseln von Haiwai mit ihren jetzt kranken hungernden und sterbenden Eingebornen die Frage beantworten. Mögen die Missionaire die Sache entstellen, wie sie wollen, leugnen läßt sie sich nicht;
Herman Melville Übersetzt von Rudolph Garrigue: Vier Monate auf den Marquesas-Inseln oder ein Blick auf Polynesisches Leben, 1. Theil. Gustav Mayer, Leipzig 1847, Seite 239. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Melville-Vier_Monate_auf_den_Marquesas-Inseln._Teil_1.djvu/249&oldid=- (Version vom 1.8.2018)