Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N *** in Briefen entworfen/Band 2

1. Band Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N *** in Briefen entworfen (1760-1762) von Johann Karl August Musäus
Band 2
3. Band
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[I]
Grandison
der Zweite,
Oder
Geschichte
des Herrn v. N***
in Briefen entworfen.


Zweiter Theil.
Eisenach,
Verlegts Michael Gottlieb Griesbach, 1761.


[1]
I. Brief.
Der Hr. von N. an den Hrn. v. W.
Kargfeld, den 19 Sept.

Ist der Roman schon zu Ende? Denke das ja nicht, lieber Herr Bruder! ich bin vielmehr bereit, meine Sache entweder als ein Grandison auszuführen, oder zu sterben. Indessen aber fluche ich auf dich, auf deine Frau, auf den Major, auf den Magister, und auf alle, welche bei dem vermeinten Verlöbnisse waren. Wenn mir Lampert die Stelle aus dem Grandison, wo Sir Carl ein Gespenste gewesen, recht ausgelegt hätte; so würde ich gar nicht auf den Einfall gerathen seyn, dich und deine Frau im Schlafe zu stöhren. Ich war aber von der [2] ganzen Sache so eingenommen und verblendet, daß ich bereits in Gedanken über den zu hoffenden glücklichen Erfolg triumphirete. Warum habt ihr aber den armen Bornseil davon gejagt? Der Kerl ist so unschuldig, wie ein Kind in Mutterleibe. Er wollte nicht einwilligen; er wurde aber überredet. Du weißt, daß, wenn der Magister zu demonstriren anfängt, ihm weder Menschen noch Vieh widerstehen können. Setze ihn wieder in sein voriges Amt, damit der arme Teufel nicht betteln gehen, oder mir seine Kinder vor die Thür legen darf. Thut er es, so lasse ich die Bälge ins Wasser werfen. Mit deiner Frau bin ich gar nicht zufrieden: sie versteht keinen Spaß. Wär sie meine Frau; so bekäm sie alle Tage ihre Prügel. Du mußt ein hartes Leder haben, daß du so viel ausstehen kannst; wiewohl, wenn man dir am Tage Essen und Trinken giebt, und des Nachts deine Ruhe läßt; so bist du mit der ganzen Welt zufrieden.

Außerdem merke ich, daß sie der Major sehr wohl leiden kann. Es ist zwar mehrmals [3] davon gesprochen worden; nunmehro wird mir die Sache immer wahrscheinlicher. Sage mir doch bona fide, war ich damals stark besoffen? ich kann es nicht glauben, ohngeacht Lampert dazu schwöret; sollte ja etwas vorgefallen seyn; so ist der Major an allem Schuld gewesen. Wär ich kein Grandison; so wollte ich den Pursch schon finden, Ich schere mich den Henker um ihn: er mag deiner Frau ihr Vetter seyn oder nicht.

Ich habe eine tüchtige Delicatesse für die Ehre – doch was weißt du, was eine Delicatesse in der Ehre ist; da du sie weiter nicht als nur in einer Pastete und in einem Wildpretsbraten zu suchen gewohn bist. Schreib mir also, ob sich der Major in Reden wider mich vergangen hat. Der Wein fiel mir damals für die Ohren, daß ich nicht alles genau vernehmen konnte. Drohen laß ich mir nicht, das sage ihm. Sir Hargrave und Greville waren andere Kerls als der Major; indessen wußte sie Herr Gevatter Grandison [4] doch zu bändigen. Was dieser kann, das kann ich auch. Ich wär längstens wieder zu dir kommen, wenn mich meine alte Mucke nicht überfallen hätte. Das Podagra ist es nicht, wie der Magister sagt; sondern eine ganz andere Krankheit; die aber weniger zu bedeuten hat. Schreib mir ja bald: damit ich sehe, ob du böse bist oder nicht. Auf meiner Seite soll alles vergeben und vergessen seyn. Inliegenden Brief gib deiner Fräulein Tochter. Du kannst leicht muthmaßen, daß verliebte Leute einander immer etwas zu sagen haben. Lebe wohl! der Himmel behüte deine Beine für allem Uebel! Ich bin

Dein
aufrichtiger Freund
v. N. 

N. S. Reiß meinen Brief in Stücken: damit der Teufel sein Spiel nicht hat. Ich möchte deine Frau nicht gern böse machen. Adieu!

vt supra.

[5]
II. Brief.
Einschluß an Fräulein Julianen von dem Hrn. v. N.
Kargfeld, den 19 Sept.
Hochwohlgebohrnes Fräulein,
Gnädiges Fräulein,

Wenn Ihnen mein letzter Auftritt in Wilmershausen misfällig gewesen ist; so bitte ich dieserwegen hundert Millionen mal um Verzeihung.

Der Henker hole! es war nicht böse gemeint. Ich wollte wie Sir Carl zum ersten male als ein Gespenste erscheinen; aber der Magister und der sappermentische Jeremias verdarben den ganzen Handel. Zum Unglück verstand Ihre Frau Mama keinen Spaß, und so mußte denn freilich alles contrair gehen. Ich höre auch, daß ich damals einen kleinen Rausch soll gehabt haben – – [6] es kann wohl seyn: was ist aber daraus zu machen! der Wein und die Liebe überwältigen oft den bravsten Kerl von der Welt. Ich biethe Ihnen also mein Herz vom neuem an, und bitte demüthig um Ihre Gegenliebe. Schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab, schönstes Fräulein! Erlauben Sie, daß ich kommen, und mich in der Cederstube zu Dero Füßen werfen darf. Ich will im blauen Hechte absteigen und mich erst anmelden lassen; ich will der bescheidenste und artigste Mann seyn; ich will nur das poculum hilaritatis minus trinken; ich will Ihnen ein Geschenk machen, das meinem Vermögen gemäß ist; ja ich will Sie Zeitlebens als eine Göttin verehren, und alsdenn sterben als

Dero
getreuester Sclave
v. N. 

[7]
III. Brief.
Der Herr v. W. an den Herrn v. N.
Wilmershausen, den 19 Sept.

Du hast schön Zeug mit deinem Briefe gemacht. Weißt du denn nicht, daß ich nicht schreiben kann, und daß meine Frau alle Briefe erbricht, die an mich einlaufen? Diesen Brief schreibt mir mein neuer Verwalter, sonst würdest du niemals eine Antwort erhalten haben. Meine Frau war, wie du leicht denken kannst, bei Erbrechung deines Briefes außer sich. Sie gab eine ganze Salve von Flüchen; riß in der Bosheit ihr Nachtzeug ab, und warf es in eine Ecke. Niemals werde ich den Auftritt vergessen. Höre was sie sagte: so ein alter verfluchter Bärenhäuter will sich über mich aufhalten! mich prügeln, wenn ich seine Frau wäre! und hat mich noch darzu mit dem Major im Verdachte! die Augen will ich dem [8] Hunde auskratzen. Ich versuchte zwar, dich zu entschuldigen, und sie zu besänftigen; allein nun fieng sie auch mit mir an, warf mir meine Einfalt, Faulheit und noch andere Dinge vor, die ich nicht gerne erzählen will. Den Augenblick, sprach sie, fordern sie den alten Kerl heraus, wenn sie noch für sechs Pfennige Courage im Leibe haben; sie müssen sich mit ihm schlagen, oder ich lasse mich von ihnen scheiden.

Fürchte dich nicht Bruder, ich werde dich nicht heraus fordern. Beiläufig siehest du, daß aus der Heirath mit meiner Juliane nichts werden wird. Meine Frau ist zu sehr aufgebracht. Ich bin müde, weiter zu dictiren. Mache was du willst.

v. W. 

N.S. Ich höre, daß meine Frau alleweile einen Boten an den Major absendet. Gott wende alles zum Besten!

[9]
IV. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.
Schönthal, den 20 Oct.

Wo werden sich die Thorheiten unsers Oncles endigen? Die Frau v. W. ist ganz rasend. Sie hat den Major aufgehetzt, und dieser ist Willens, sich mit dem alten Ritter zu schlagen. Hier ist der Fehdebrief:

Mein Herr,

Ich würde der Ehre, die Frau von W. meine Base zu nennen, ganz unwürdig seyn, wenn ich sie von Ihnen wollte beschimpfen lassen. Wie haben Sie Sich also unterstehen dürfen, einen so boshaften Brief an ihren Gemahl zu schreiben? Es war nicht genug, daß Sie, als ein zweiter Don Quixotte, die ehrlichen Leuten des Nachts in der Ruhe [10] stöhrten, und öffentlich zu erkennen gaben, daß Sie ein Narr wären; sondern Sie mußten auch nachhero die Ehre dieser Dame durch einen ungegründeten Verdacht beleidigen.

Eine Züchtigung kann Ihnen also nicht schaden. Kommen Sie auf künftigen Donnerstag zu Ihrem und meinem Freunde, den Baron von F. wo wir die Sache mit ein paar Pistolen ins Reine bringen wollen. Adieu.

v. Ln. 

Der Oncle fluchte bei dem Empfange dieser Ausforderung wie ein Botsknecht. Endlich kam der Geist Grandisons wieder zu ihm. Lampert that Vorstellungen; Kunigunde weinte. Ich wußte anfangs selbst nicht, ob es Scherz oder Ernst seyn sollte; aber nunmehro sehe ich, daß der Baron v. F. sich einmal satt lachen will. Der junge Wendelin soll als Geschwindschreiber mitgenommen werden. Du sollst also eine sichere und vollständige [11] Nachricht von dem Zweikampfe dieser Männer erhalten. Lampert hat mir ein Paquet an den eingebildeten Dr. Bartlett gegeben; Du kannst es lesen und aufheben. Ich sehne mich recht sehr, dich mündlich zu sprechen, und dir die aufrichtigsten Merkmaale meiner Liebe zu geben. Lebe wohl!


V. Brief.
Magister Lampert an den Doctor Bartlett.

Ich sehe aus einen Schreiben unsers jungen Cavaliers, daß Ew. Hochwürden meinen Namenstag in Grandisonhall feierlich begangen haben.

Theuerer und schätzbarer Gönner, womit verdiene ich eine solche Gewogenheit? Ich bin gerührt, und es fehlet mir an Worten, Ihnen die dankbarsten Empfindungen meines Herzens abzuschildern. Nehmen Sie [12] hier einen Abriß der merkwürdigsten Umstände meines Lebens hochgeneigt an. Sie können es der Königl. Societät der Wissenschaften in meinen Namen überreichen. Ich arbeite gegenwärtig an einem großen Werke.[1] Aus Dankbarkeit will ich es gedachter Gesellschaft dediciren.

Ich komme nunmehro zur Sache selbst, und liefere Ihnen: memoires pour servir a l’histoire de Monsieur Lampert Vilibald, oder Denkwürdigkeiten der Lampertischen Geschichte. Ich Lampert Wilibald bin unter freiem Himmel zwischen Weißenfels und Merseburg auf der sogenannten Michelshöhe den 29 Februarius 1716 gebohren worden.

[13] Scholion I. Meine Aeltern waren eben auf der Reise. Meine Mutter glaubte nicht, daß ihre Niederkunft so nahe sey; sie wurde also übereilt und nachhero auf einem Karn nach Rosbach gebracht, welcher Ort nunmehro in allen Theilen der Welt bekannt worden ist.

Schol. II. Das Jahr 1716 war ein Schaltjahr. Da ich nun eben den 29 Febr. das Licht der Welt erblickte; so kann ich meinen Geburtstag nur alle vier Jahr feiern, welches auch künftiges Jahr 1760 wenn ich anders noch lebe, zu Kargfeld geschehen wird.

§. 2.

Nachdem meine Mutter ihre sechs Wochen zu Rosbach gehalten hatte; so packte sie mich fein säuberlich in einen Korb, und trug mich nach Hause.

§. 3.

Im sechsten Jahre meines Alters führte mich mein Vater in die zu Dürrenstein befindliche [14] Schule, in welcher ich in allen unterrichtet wurde, in quibus puerilis aetas impertiri debet. Nep. in Attic.

Schol. Der Schulmeister war zugleich ein Metzger; sonst aber sang er einen guten Baß durch die Fistel, und schnitt auf Baurenhochzeiten so manierlich vor, als ein Trabizius. Der gute Mann prophezeihte immer, daß ich meiner klugen Reden wegen frühzeitig sterben würde; es ist aber nicht eingetroffen.

§. 4.

Ich hatte indessen eine unüberwindliche Neigung zu den Wissenschaften; ich machte mir heimlich eine Peruque von Werg; ich war allemal der Gerichtsdirector unter den andern Jungen; und wenn sich einer widerspenstig bezeigte, so peitschte ich ihn, daß er hätte Oel geben mögen. Dieses letztere ist mir desto leichter zu vergeben: weil Cyrus in seiner Jugend dergleichen auch gethan. Nunmehro änderten sich die Umstände zu meinem Vortheile, [15] und ich kam von Dürrenstein weg.

Schol. I. Mein Vater war ein wirklicher Polyhistor. Er riß Zähne aus und setzte Zähne ein; stach den Star; verschnitt den Bauern die Haare und mußte dem Schulzen seinen Bart scheeren. Er konnte aus der Tasche spielen, und tanzte meisterlich auf dem Seile.

Schol. II. Dieser mein Vater nun sollte dem Schulmeister einen Zahn ausziehen; er kam aber über den unrechten, welchen der ehrliche Mann noch brauchen wollte. Dieser albere Streich machte den Küster so wütend, daß er meinen Vater in die Haare fiel, und ihm also Gelegenheit gab, den Cantor tüchtig abzuprügeln. Sie giengen in dem Entschlusse auseinander, niemals wieder Freunde zu werden, und ich wurde sogleich aus der Dorfschule genommen und nach G. in das Gymnasium gebracht.

[16]
§. 5.

Auf diesem Gymnasio habe ich bis 1736 alle Classen durchritten. Ich gieng in die Currente; wurde famulus communis, fraß täglich drei Pfund schwarz Brodt und bewieß in meiner Abschiedsrede: Daß Johannes in der Wüsten keine Heuschrecken, sondern Krebse gegessen habe.

§. 6.

Nunmehro begab ich mich also nach H. Wer kein Vermögen hat, muß sich hier durchfressen. Dieses that ich auf die feinste Art von der Welt. Außerdem disputirte ich zweimal publice und schlug mich sechsmal privatim; wurde aber nur ein einziges mal von einem M. verwundet. 1740 erlangte ich die Würde eines Magisters, welche ich noch mit Ruhme trage.

Schol. Ich führe noch bis dato von obiger Schlägerei eine ansehnliche Narbe als ein Ehrenzeichen auf dem linken Backen.

[17]
§. 7.

In gemeldetem Jahre starb mein Vater. Was sollte ich nun thun? ich begab mich auf die Wanderschaft. Die Haare würden Ihnen, verehrungswürdiger Gönner, zu Berge stehen, wenn ich meine verdrüßlichen Begebenheiten auf dieser Reise erzählen wollte. Hunger und Durst mußte ich ausstehen. Wie viel mal habe ich unter freiem Himmel schlafen müssen! Die Handwerksgenossen waren nicht allemal so höflich, als ich glaubte, daß sie seyn sollten. Für mich war also nichts weiter zu thun, als daß ich 1742 unter die Königl. Preußl. Husaren gieng, und mir einen Bart wachsen ließ. Zum Unglück sahe mein Rittmeister in dem ersten Feldzuge ein, daß ich zu keinem Soldaten gebohren war. Ich bekam meinen Abschied, und gieng voller Verzweifelung nach Dürrenstein. Hier hatte der Himmel für mich gesorgt. Der Hr. von N. brauchte einen Informator, und fand in mir alle Eigenschaften eines solchen Mannes.

[18]
§. 8.

Hier habe ich verschiedene Junkers und Fräuleins erzogen. Die benachbarten Edelleute erfuhren meine Geschicklichkeit, und thaten ihre Kinder bei meinem Herrn Principal in die Kost. Ich machte mich also eben so berühmt, als Melanchthon und Trotzendorf ehedem gewesen waren.

§. 9.

An Vermögen fehlt es mir nicht. Die Menschen, welche um mich sind, haben von Natur muntere Seelen. Alles lacht und scherzt. Nur mein gnädiger Patron hat manchmal ernsthaftere Gedanken; Fräulein Kunigunde lacht schon seit 30 Jahren nicht mehr: die andern aber sind desto lustiger. Die beständigen Abwechselungen machen, daß ich mich zeithero nach keiner Pfarrstelle gesehnt habe. Nur eins liegt mir im Kopfe: ich seufze nach Hanchen ihrer Gegenliebe. Der unempfindlichste Stoiker müßte bei dem Anblicke dieses reizenden Mädchens verliebt werden. Vielleicht [19] ändert sich ihre Gesinnung, wenn ich nach den Versprechen meines Principals ihrem Vater im Amte nachfolge. Wo nicht – – doch es muß seyn, es muß seyn.

Von Natur bin ich ein Sanguineo cholericus. Das Geld ist mir gleichgültig; ich ziehe die Lustbarkeiten dem Besitze der ganzen Welt vor.

Hier haben Sie also, theuerster Gönner, eine kurze Nachricht von meinen Lebensumständen. Sollten Sie diese memoires der Königl. Societät vorlesen; so melden Sie mir doch, was für Urtheile darüber gefällt werden. Doch diesen letztern §. den ich blos zu Ihrer Nachricht beygefüget und auf ein besonders Blatt geschrieben habe, werden Sie vorhero schon davon thun. Ich bin stark Willens, eine Academie im kleinen, auf dem Rittersitze meines Hrn. Principals, anzulegen. Die schönen Künste sind ja Kinder des Ueberflusses. An Essen und Trinken mangelt es uns nicht, und ich habe den Hrn. von N. welcher [20] den Witz eines großen Mannes besitzt, bereits darzu aufgemuntert. Es sollen vier Classen geordnet werden. Die erste wird sich mit der Landwirthschaft beschäftigen. Erfahrne Verwalter und Bauern können hierinnen nützliche Mitglieder abgeben: denn diese Männer verstehen von der Oekonomie mehr als die Gelehrten. Die zweite Classe ist der französischen und lateinischen Sprache gewidmet; die dritte aber tractirt Staatssachen. In diesen beiden sollen Pastores, Mamsells und politische Kannengieser angenommen werden. Die vierte heißt die musicalische. Der Grund ist bereits gelegt: denn es wird wöchentlich bei uns Concert gehalten. Vor drei Wochen ließ sich ein reisender Schulmeister auf der Orgel hören. Mein Principal verehrte ihm ein paar lederne Hosen, die ihm sehr nöthig und angenehm waren. Ich denke, es sollen mehrere Virtuosen kommen. Da ich Willens bin, den ersten Präsidenten in der Akademie vorzustellen, so werde Ew. Hochwürden in kurzem nähere Nachricht durch den ordentl. Secretair, [21] von dem Erfolge der Sache, geben lassen; bleibe indessen mit Hochachtung

Dero
gehorsamster Diener
M. Lampert Wilibald.


VI. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
Wilmershausen, den 26 Sept.

Was werden Sie denken, daß ich eine ganze Woche lang ein tiefes Stillschweigen beobachtet habe? Wenn Sie meine Briefe auch so lange unbeantwortet lassen wollten; so würde ich mich mit tausend argwöhnischen Gedanken schlagen. Ich bin nun einmal so, und ich werde nicht irren, wenn ich mich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz vergleiche: ich mache mir einen Haufen Sorge und ängstige mich, wo [22] ich es nicht nöthig habe. Sie besitzen einen glücklichen Charakter. Sie lachen mit dem Herrn v. F. über die ganze Welt und machen sich nicht eine ängstigende Vorstellung. Nicht wahr, Sie haben sich nicht einmal über mein Stillschweigen gewundert? Sie dachten wohl nicht daran, daß die Ursache davon eine Unpäßlichkeit seyn könnte; oder daß mir vielleicht gar der Briefwechsel mit Ihnen, wie der Clarisse mit dem Fräulein Howe könnte untersagt seyn. Solche Vorstellungen würde ich furchtsames Mädchen mir nur haben machen können, wenn ich an Ihrer Stelle wäre und Sie Sich an der meinigen befänden; aber davon wissen Sie nichts. Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich keine so unnöthige Sorge machten, ich befinde mich wohl und habe auch noch nicht den grausamen Befehl erhalten, mit Ihnen keine Briefe mehr zu wechseln. Meine Mutter ist zwar mit Ihnen ganz und gar nicht zufrieden, und wenn der Herr v. N. noch wohl bei ihr angeschrieben stünde; so könnte es seyn, daß sie sich öffentlich gegen Sie erklärete: [23] Doch die glückliche Zwietracht zwischen ihr und dem Herrn Oncle von Ihnen macht sie gegen mich etwas geschmeidiger, sie gestattete es, daß ich unter der Hand einen Briefwechsel mit Ihnen unterhalten darf; ob sie mir gleich bis jetzo noch nicht erlauben will, Ihnen selbst meine Aufwartung zu machen.

Die Ursache meines Stillschweigens ist diese. Ich hatte neulich eben meinen Brief gesiegelt und solchen meinem Mädchen gegeben, um ihn durch Jobsten bestellen zu lassen, da ich zu meinem Vater gerufen wurde. Er gab mir einen entsiegelten Brief der so viele Falten hatte, als wenn er aus Verdruß von jemand wäre zusammengedruckt worden, er war von dem Herrn v. N. Ich las ihn flüchtig durch, und war so bestürzt, daß ich zitterte. Er enthält, so viel ich mich noch davon erinnere, eine feierliche Abbitte wegen deinen Beleidigungen, die er mir dadurch zugefügt zu haben glaubte, daß er sich an einem Tage, an welchem ich die Seinige werden sollte, im Trunke übernommen hätte; er versprach [24] diesen Fehler zu verbessern und bat mich Millionen mal um Verzeihung. Wenn mir recht ist, so gelobte er mir eine ewige Treue. Ehe ich noch den Brief ganz durchgelesen hatte, trat meine Mutter mit einem verdrüßlichen Gesichte in das Zimmer, welches mich muthmaßen ließ, daß es einen kleinen Zwist zwischen meinem Vater und ihr müßte gesetzt haben, der zusammengedruckte Brief sahe dem Zankapfel sehr ähnlich. Das Fräulein hat doch noch, sagte sie, den albernen Misch in die Hände bekommen? Zerreißen Sie ihn den Augenblick in tausend Stücke und werfen Sie den Plunder zum Fenster hinaus. Ich war im Begriff, diesen Befehl meiner Mutter zu erfüllen, Sie wissen, daß Sie von jedermann, dem Sie zu befehlen, ein Recht zu haben glaubt, einen blinden Gehorsam fordert, und ich wünschte, daß mir nie ein Gebot von ihr schwerer zu erfüllen seyn möchte, als dieses. Allein mein Vater befahl mir gerade das Gegentheil. Unterstehe dich – willst du – sagte er, da ich eben das Urtheil meiner Mutter vollstrecken wollte, [25] und erhob sich von seinem Stuhle. Ich werde es nicht zugeben, daß mein Freund von euch Weibesleuten beschimpfet wird, meine Frau hat ihm ohnedem bereits nicht für einen Pfennig Ehre gelassen. Gieb du mir den Brief nur wieder her, ich will ihn aufheben. Meine Mutter winkte mir zwar, ich sollte ihn, ehe ihn mein Vater in die Hände bekam, geschwinde zerreißen: ich gehorsamte aber meinem Vater. Er legte ihn sehr sorgfältig und in einer gewissen Entfernung von seiner Gemahlin zusammen, vielleicht aus Beisorge, daß sie einen Angriff darauf wagen möchte, um sich desselben zu bemächtigen, und schloß ihn in seinen Schrank. Ich kann nicht errathen, aus was für einer Absicht sie nicht gestatten wollte, daß ich diesen Brief zu Gesichte bekäme, wenn es nicht diese ist, mir die Gelegenheit zu benehmen, über sie zu spotten, daß sie mir einen Mann so sehr angepriesen hat, von dem sie jetzo wünscht, daß sie ihn nie möchte veranlasset haben, an mich zu gedenken. Sie will, wie es scheint, alle schriftliche Denkmaale seiner Liebe gegen [26] mich auch aus dieser Ursache vertilgen: damit diese ihr nicht einmal zu Vorwürfen in ihrem Gewissen gereichen. Ich glaubte immer, eine Gelegenheit zu finden, dieses Schreiben wiederum in meine Gewalt zu bekommen, um es ihnen mitzutheilen, weil aber mein Vater mit keinem Worte wiederum daran gedacht hat: so sehe ich nicht, unter was für einem Vorwande ich es von ihm zurück fordern soll. Sie sehen also die Ursache der Verspätung meiner Antwort.

Der Major Ln. ist beinahe jetzo unser täglicher Gast. Gestern ließ ihn meine Mutter durch einen expressen Boten einladen; er ist aber erst heute gekommen. Sie unterredet sich eben jetzo mit ihm, und ich höre, daß ihr Gespräch oft sehr lebhaft wird, ich vermuthe, es betrifft ihre Familienangelegenheiten. Was der Mann lachen kann! Man hört ihn weiter als man ihn sieht. Er ist unten im Saale, und wenn er lacht, so giebt mein Klavier hier neben mir allezeit einen Wiederschall. Es müssen doch wohl keine Dinge [27] von allzugroßer Wichtigkeit auf dem Tapet seyn. Nun werde ich allem Ansehen nach wohl niemals die Ehre haben, mich ihre Tante zu nennen; ich bin aber nicht weniger stolz darauf, wenn ich nur beständig ein Recht habe mich zu nennen

Ihre
aufrichtige Freundin und Dienerin
Juliane v. W. 


VII. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein v. W.
Schönthal, den 29 Sept.

Glauben Sie es nur, ich bin im höchsten Grade auf Sie eifersüchtig. Ich habe mich immer für das gelehrteste Mädchen in unsrer ganzen Gegend gehalten, Sie wissen, daß ich zu den Füßen [28] eines grundgelehrten Mannes, eines Lamperts gesessen habe, der sich über den großen Haufen gemeiner Lehrmeister, gleichwie unser Kirchthurm hoch über die niedrigen Strohdächer hinausschwinget: allein ich werde künftig nicht mehr Ursache haben, meiner Eitelkeit zu schmeicheln; ich sehe daß Sie auch ein Bisgen gelehrt thun können. Sie vergleichen sich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz, dieser Vergleich hat ein vielzugelehrtes Ansehen, als daß ich dabey gleichgültig bleiben sollte. Wenn Sie Sich mit dem Menschenfeinde des Moliere verglichen hätten, so würde ich es noch haben hingehen lassen. Doch ich will mich auch nicht deswegen mit Ihnen zanken, weil sie wissen, daß ein Terenz in der Welt gewesen ist. Sie kennen diesen Mann doch nicht anders als aus einer Uebersetzung; ich hingegen, ich kann mich rühmen, unter Anführung meines treflichen Lehrers, ein gutes Stück der Ueberbleibsel dieses Schriftstellers in der Grundsprache gelesen zu haben. Sehen Sie, wie weit ich Sie hinter mir lasse? Aber dem ohngeachtet bin ich fest entschlossen, [29] die erste gelehrte Vergleichung, die Sie wieder machen, mit einem lateinischen Briefe zu bestrafen. Ich kann noch ziemlich gut dekliniren, Ancilla und Scamnum macht mir eben keine Schwürigkeiten. Sie haben nun einmal meinen Trieb rege gemacht, bey aller Gelegenheit etwas gelehrtes auszukramen; schreiben Sie Sich es also selbst zu, daß Sie diesmal einen Brief, nach den Regeln des Lampertischen Geschmacks eingerichtet, von mir erhalten, das ist, in welchen so viele Sprüchwörter und Sentenzen eingestreuet sind, als ich werde aufbringen können. Eine habe ich schon auf der Zunge, ich will Sie damit bestechen, daß Sie meinen Scherz nicht für eine Satire aufnehmen. Ihnen gefällt mein aufgeräumtes Gemüth. Sie nennen es einen glücklichen Charakter, daß ich mich nicht immer mit einem Haufen Sorgen schlage, und ein Vergnügen darinne finde, mich selbst zu beunruhigen: aber Sie irren Sich. Sie haben bei Ihrer furchtsamen und ängstlichen Gemütsart, die Sie Sich zueignen, vor mir gar vieles zum Voraus. [30] Dadurch, daß Sie alles fürchten, werden Sie auf eine genaue Untersuchung aller Umstände geführet, die Ihnen vorkommen; Sie sehen alle unangenehme Folgen von weiten, und werden von keinem Verdrusse unbereitet überraschet; Sie können also mit leichter Mühe vielen Verdrüßlichkeiten ausbeugen, worinn mich meine Leichtsinnigkeit unbemerkt verwickelt. Ihr Mistrauen führet Sie zur Sicherheit. La mésiance est la Mere de la Sûreté, das ist Richelets Ausspruch, eines Mannes, der bei mir sehr viel gilt.

Die Frau v. W. hat nicht gestatten wollen, daß Sie den Brief Ihres Anbeters zu Gesichte bekämen, Sie versuchen es, ihre Absicht dabei zu entdecken; aber mich dünkt, Sie sind hierbei nicht sonderlich glücklich gewesen. Ich will Ihnen das Verständniß eröffnen. Ihre Frau Mutter hasset gegenwärtig meinen Oncle eben so sehr, als sie ihn vor einigen Wochen hoch schätzte, und sie bemühet sich mit eben dem Eifer, die Flammen auszutilgen, mit welchem sie solche entzündet [31] hat. Ist es nicht der Klugheit gemäß, ihm alle Gelegenheit abzuschneiden, sich einen Zugang zu Ihrem Herzen zu verschaffen? Wie leicht könnten Sie nicht, durch einen so zärtlichen Brief, als Ihr Anbeter unfehlbar geschrieben hat, zum Mitleiden gegen ihn bewogen werden? Wenn eine Schöne nur erst einem schmachtenden Liebhaber ihr Mitleiden schenket, habe ich sagen hören, alsdenn hat er gewonnen Spiel. Der Herr v. N. hat auf das Ihrige die gerechtesten Ansprüche. Hat er nicht Ihrentwegen Wind und Wetter auf sich losstürmen lassen? Hat er nicht um Ihrentwillen Leib- und Lebensgefahr ausgestanden? Hat er nicht Ihnen zu Ehren sich tapfer bezeigt, und sind Sie nicht die einzige Ursache, daß er auf seinem Lager unter den Schmerzen seines podagrischen Fußes seufzet? Alle diese Umstände, wenn ihnen der reizende Liebesbrief noch einiges Gewichte gegeben hätte, würden ein so sanftes Herz als das Ihrige nothwendig erweichet haben. Untersuchen Sie ob ich die Absichten der Frau v. W. nicht tiefer eingesehen [32] habe, als Sie selbsten. Ja ja, das war eine Probe ihrer Staatsklugheit, daß sie Ihnen den Brief des Herrn v. N. verheelen wollte, sie dachte an das alte Sprüchwort: petit à petit l’oiseau fait son nid. So ist es! Aus einem kleinen Funken entstehet oft ein großes Feuer.

Aber sagen Sie mir doch, warum Sie immer bereit sind, Ihrer Stiefmutter einen blinden Gehorsam zu leisten, nicht anders, als wenn sie Ihre Priorin wäre, sie kann Sie doch nicht mit der Katze essen lassen, wenn Sie es nicht thun? Sie befiehlt, und Sie erfüllen ihre Befehle pünktlich, auch da, wo es Ihnen viel beschwerlicher wird, ihr Gehorsam zu leisten, als wenn Sie ihr solchen versagen. Meine Stiefmutter dürfte sie nicht seyn. Der blinde Gehorsam, was für ein verhaßtes Wort! Doch vielleicht würde sich meine Gemüthsart besser für sie schicken, als die Ihrige. Nach einem kleinen Hauskriege von vierzehn Tagen würden wir die besten Freunde seyn. Wagen Sie es einmal, [33] und kündigen Sie ihr eine Zeitlang allen Gehorsam auf, Sie werden Wunder sehen. Sie muß in ihrem Elemente angegriffen werden. Wenn sie schnäubt und braußt, so erwiedern Sie gleiches mit gleichem. Wenn sie mit einer angenommenen Freundlichkeit etwas bitteres sagt; so geben Sie ihr alles mit eben dieser freundlichen Mine zurück. Dem Gifte muß durch seinen Gegengift die schädliche Wirkung benommen werden. Hören Sie, wie ein guter Auctor sich über diese Materie ausdruckt:

Oignez vilain il vous poindra,
Poignez vilain il vous oindra.

Ich glaube, er hat Recht. Das ist aber wohl Ihrem sanftmüthigen Charakter entgegen, Sie sind ein gutes frommes Kind, Sie wollen lieber Ihre Gebietherin mit guter Art gewinnen, als mit Sturm überwinden; Sie denken: il faut mieux plier que rompre. In der That, Sie sind auf einem guten Wege, ich billige ihn; für mich aber wäre er zu langweilig. Die Sonne mußte einen Wandrer lange liebkosen, ehe er ihr zu [34] Gefallen seinen Pelz ablegte; da er aber dem Sturmwinde eben diese Gefälligkeit versagte: so warf ihn dieser mit sammt seinem Pelze in einem Graben.

Was hat denn Ihre Frau Mutter mit dem Major v. Ln. für Familienangelegenheiten zu berichtigen? Haben sie etwan miteinander eine reiche Erbschaft gethan; oder wollen sie erst einen alten abgelebten Vetter sterben lassen? Halten Sie mir diese Frage zu gute, ich verlange nicht, daß Sie ihre Geheimnisse ausforschen sollen; ich bringe sie nur aus Bewunderung vor, daß die Frau v. W. und der Major noch gute Freunde sind. Sie eiferte ja sonst immer über ihn, und wünschte sich die Gelegenheit, ihm ihre Meinung einmal unter die Augen sagen zu können. Es scheint, daß Sie über den Major eine kleine Spötterei auslassen wollen. Sie scherzen über etwas, das mit zu seinen Vollkommenheiten gereichet. Ein Soldat, und besonders ein Major muß eine gesunde Lunge haben. Wie er sein Regiment muß überschreien können; so muß er auch alle Gesellschaften [35] überlachen können. Ich rathe es Ihnen, daß Sie ihn nicht zum Gegenstand Ihres Witzes machen; er scheint mit alledem ein feiner Mann zu seyn. Wenn ihn gleich nicht der Hof erzogen hat; so besitzt er doch eine gute Lebensart, wenigstens kann man nicht das Sprüchwort auf ihn anwenden: il est du tems, qu’on se mouchoit sur la manche. Sie werden denken: la belle plume fait le bel oiseau, der blaue Rock mit rothen Aufschlägen – wie mein Oncle sagte. Nein, dieser erweckt bey mir kein Vorurtheil. Ich denke, es ist Zeit, daß ich meinem Gewäsche ein Ende mache; wer weiß ob Sie Sich die Mühe nehmen, es zu lesen. Sie sind nicht gewohnt, die Schönheiten des Lampertischen Geschmacks einzusehen. Ich will es Ihnen gerne vergeben, wenn Sie den größten Theil meines Briefes überschlagen, wenn Sie nur die Versicherung annehmen, daß Sie nie aufhören wird zu lieben

Dero
aufrichtige Freundin und Dienerin
Amalia v. S. 

[36]
VIII. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
Den 3 Octob.
Loses Fräulein,

Wie weit können Sie einen kleinen unschuldigen Ausdruck treiben, von dem ich kaum glaubte, daß er Ihrer Aufmerksamkeit würdig wäre. Sie bestrafen mich für eine kleine Pedanterei, darein ich nach Ihrem Urtheile soll verfallen seyn, mit einem Briefe nach Lampertischen Geschmack. Eine gnädige Strafe in der That! die mir sehr vieles Vergnügen verschafft hat, und für welche ich glaube, Ihnen verbunden zu seyn. Um aber Ihren Verweisen in Zukunft zu entgehen: so habe ich mir vorgenommen, mein Pfund ganz und gar zu vergraben. Sie sollen Ihr Tage nichts wieder von mir hören, das, wie Sie [37] sagen, ein gelehrtes Ansehen hat. Das mag es seyn, was ich Ihnen wegen Ihres leichtfertigen Schreibens sagen wollte. Bereiten Sie Sich zu, nun eine Sache von Wichtigkeit zu vernehmen. Erschrecken sie nicht, sagt man, wenn man Jemand recht sehr erschrecken will, ich möchte es bald zu Ihnen sagen. Denken Sie nur, der Herr v. N. hat den Major in einem Briefe an meinen Vater aufs empfindlichste beleidiget. Meine Mutter hat ihn in die Hände bekommen, und nach ihrer Gewohnheit sogleich entsiegelt. Der Herr v. N. soll sie darinne auch nicht geschonet haben, und sie ist darüber so sehr aufgebracht, daß sie den Major heftig anliegt, seine und ihre Ehre zu retten. Das ist die Ursache ihrer geheimen Unterredung gewesen; welcher ich in meinem Briefe gedachte. Ich würde nichts von der ganzen Sache erfahren haben, wenn mir der Major das Geheimniß nicht selbst entdeckt hätte. Meine Mutter war nicht zugegen, und mein Vater schlief auf seinem Sorgestuhle. Was werden Sie davon denken, Fräulein Base, sagte er, wenn [38] ich mit ihrem Verehrer dem Herrn v. N. Händel bekomme, werde ich dadurch ihre Ungnade verdienen? Der Mann hat es zu arg gemacht, er verdient eine kleine Züchtigung, und ich hoffe nicht, daß Sie ungehalten darüber werden, wenn ich ihn ein wenig bessere.

Wie? der Herr v. N. sollte Sie beleidiget haben? das kann ich nicht begreifen, Sie haben ihm, so viel ich weiß nicht die geringste Gelegenheit dazu gegeben. Vielleicht gründet sich ihr Unwille gegen ihn nur auf einen Misverstand, er legt seine Worte nicht eben allezeit auf die Waage. O nein! sagte der Major, ich kann mich in der That von ihm beleidiget halten, wenn ich es thun will. Wie ich sehe, so wissen Sie noch nichts von unserm Zwiste; ich will Ihnen den ganzen Verlauf der Sache erzählen. Er eröffnete mir, was es für eine Bewandtniß mit dem Briefe hätte, den der Herr v. N. an meinem Vater geschrieben hat. Er fügte hinzu, seine Base, die Frau v. W. hätte ihm neulich durch einen expressen Boten [39] einladen lassen, und da er den Tag darauf gekommen wäre, hätte sie sich aufs heftigste über den Herrn v. N. beklaget; sie hätte ihn auch eine Abschrift dieses Briefes gezeiget, und wäre so erbittert auf den Herrn v. N. gewesen, daß sie es gerne würde gesehen haben, wenn er von Stund an sich nach Kargfeld zu dem podagrischen Greise begeben, und sich mit ihm auf dem Bette duelliret hätte. Um die ungestüme Frau nur in etwas zu besänftigen und sie abzuhalten, daß sie ihn nicht einer Feigheit beschuldigen möchte, hätte er in ihrer Gegenwart ein Cartel gegen den Herrn v. N. aufgesetzt; da ihr aber dieses viel zu glimpflich geschienen: so hätte sie ihm selbsten einen verwünschten Brief dictiret, welcher dem guten Manne das Podagra gewiß in den Leib würde getrieben haben, wenn er ihm solchen während dieses schmerzhaften Zufalls zuschicken wollte. Er hätte sich aber ein Gewissen daraus gemacht, die Quaal des Patienten zu vergrößern, und er würde ihm den Fehdebrief nicht eher einhändigen lassen, bis er wieder wohl wäre. [40] Ich sagte, es würde am besten seyn, wennes ganz und gar unterblieb, ich wüßte gewiß, daß der Herr v. N. nicht die Absicht gehabt hätte, ihn in dem Briefe an meinem Vater zu beleidigen, und wenn ja ein und der andere Ausdruck in demselben könnte gemißdeutet werden; so wäre es doch Niemand als meine Mutter, die eine schlimme Auslegung darüber machte, und ihrem Urtheile könnte man nicht trauen, da sie jetzo gegen den Herrn v. N. so sehr aufgebracht wäre. Er würde ganz und gar nichts an seiner Ehre verlieren, wenn er auch gleich diese Beleidigungen an dem Herrn v. N. nicht rächete, und er sollte selbst urtheilen, was man davon denken würde, wenn er den Grund zu seinen Händeln aus einem unterschlagenen Briefe herleiten wollte.

Er erkennte, daß dieses weder für ihn noch für die Frau v. W. sogar vortheilhaft wäre, da er sich aber einmal gegen diese anheischig gemacht hätte, ihr und seine beleidigte Ehre gegen den Herrn v. N. zu vertheidigen: so [41] läge es an weiter nichts, als an meiner Erlaubniß hierzu. Es wäre ihm bekannt, wie sehr ich wünschte, daß jedermann gut von mir urtheilen möchte; es könnte aber leichtlich geschehen, daß der Herr v. N. oder seine Anverwandten auf die Gedanken kommen könnte, ich hätte ihn aus Unwillen gegen diesen verhaßten Anbeter angestiftet, ihn vor die Klinge zu fordern: deswegen wollte er nichts unternehmen, bis ich ihm erst meine Meinung hierüber entdeckt hätte.

Dieser Vorwand schien mir ziemlich gezwungen zu seyn, er wollte etwas sagen, daß das Ansehen hätte, als wenn er wünschte, sich bei mir ein Verdienst zu machen: im Grunde aber wollte er nichts anders thun, als mir ein höfliches Kompliment machen. Ich that mein bestes, eben dieses auch gegen ihn zu beobachten; zugleich versuchte ich es, ihn dahin zu bewegen, aus dieser Kleinigkeit keinen Ernst zu machen. Er lächelte, und antwortete so, daß es schien, als wenn er geneigt wäre, die ganze Sache für einen [42] Scherz aufzunehmen; doch glaube ich, daß er es mehr that aus Gefälligkeit gegen mich, um mir nicht zu widersprechen, als daß es sein rechter Ernst war. Ich hatte mir vorgenommen, seine wahren Gesinnungen auszuforschen; aber die Wiederkunft meiner Mutter unterbrach das Gespräche. Sie kennen den Character derselben, sie wird alles anwenden, das Gemüth des Majors gegen Ihren Oncle zu erhitzen, und ich zweifle nicht daran daß es ihr gelingen wird. Diese Unterredung mit dem Major schien mir zu wichtig zu seyn, als daß ich sie Ihnen verschweigen[WS 1] sollte; Sie werden nebst Ihrem Herrn Schwager, von dieser Nachricht also nach ihrer Klugheit den Gebrauch zu machen wissen, der für ihrem Herrn Oncle der vortheilhafteste ist. Suchen Sie es wenigstens dahin zu bringen, daß der Herr v. N. sich eine Zeitlang ruhig hält, bis die erste Hitze vorüber ist, und wo Sie können, so suchen Sie es zu verhüten, daß er nicht etwa meine Mutter vom neuen erbittert. Diese kleinen Beleidigungen könnten für ihn von wichtigen [43] Folgen seyn. Der Herr Baron und der Major v. Ln. sind ja sehr gute Freunde von Alters her, ich dächte, wenn sich Ihr Herr Schwager ins Mittel schlüge; so sollte wohl die ganze Sache so überhin gehen, ohne daß etwas sonderliches daraus gemacht würde. Dieses ist auch der aufrichtige Wunsch

Ihrer
ergebensten Dienerin
Juliane v. W.     


IX. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein v. W.
Den 5 Oct.

Ich war ganz außer Athem, da ich Ihren Brief gelesen hatte. Wie Sie mich doch erschrecket haben mit Ihrem thrasonischen Major! Ich kann es Ihnen [44] nicht vergeben. Er hat meine Achtung verlohren, weil er einen Eisenfresser vorstellen will. Glauben Sie es nur, der Herr v. N. hat nichts von ihm zu fürchten – Nein ganz und gar nichts! Leute die von ihren Händeln so viel Wesen machen, und immer erzählen, wieviel sie noch erschlagen wollen, die bringen keinen Menschen ums Leben. Stellen Sie Sich mein Schrecken auch nur nicht gar zu außerordentlich vor; ich freue mich vielmehr, und wünsche, daß das Duell zwischen den beiden Männern zu Stande kommen möge, ich habe Lust meinem Oncle einen leichten Sieg in die Hand zu spielen. Er stehet seinen Mann, das weiß ich, und ich darf ihm nur den Rath geben, den Cäsar einsmals seinen Soldaten gab, um seinen Gegner aus der Fassung zu bringen. Wissen Sie, worinnen dieser bestund? Wo wollen Sie das wissen! das sind Dinge, die nur uns gelehrten Mädchens bekannt sind, und davon haben Sie Sich ausgeschlossen. Gut, ich will es Ihnen dann erzählen, sitzen Sie fein stille, und hören Sie zu. Cäsar und [45] Pompejus waren einsmals im Begriffe, einander eine Schlacht zu liefern, um das Schicksal Roms, so wie ihr eigenes, zu entscheiden. Cäsars Heer bestund aus alten versuchten Soldaten, lauter Schnurbärten von dem martialischen Ansehen meines Oncles; zu dem Pompejus hingegen hatte sich der größte Theil des römischen Adels geschlagen, meistens feine süße Herrn, die den ersten Feldzug mit machten, geschickter in dem zärtlichen Rom, als im Felde Eroberungen zu machen. Die Legionen des Cäsars wurden durch die Menge und den hitzigen Angriff der jungen Krieger, in etwas schüchtern gemacht; der General aber hatte ihnen nicht so bald zugerufen: Soldaten, nach der Stirn führt eure Streiche, so kehrten die jungen Römer dem Feinde den Rücken, um eben die Larve wieder nach Rom zu bringen, die sie von da mitgenommen hatten. Was meinen Sie, sollte sich diese Kriegslist nicht hier auch anwenden lassen? Der Major hat von seiner Bildung, wie es scheint, keine geringen Begriffe; aber der Herr v. N. hat sein Gesicht bald [46] um zwanzig Jahre überlebt. Verlassen Sie Sich auf mein Wort, Ihr prahlender Major soll ein Ehrenzeichen bekommen, oder mein Oncle muß auf dem Platze bleiben –.

Nun, das nennen Sie gottloß, frommes Kind! Nicht wahr? Es ist auch ein Bisgen zu arg; wenn ich in dieser Sprache fortreden wollte, so würden Sie mir bald eine nachdrückliche Strafpredigt halten; oder Sie verdammten wohl gar meinen Brief zum Feuer. Thun Sie es ja nicht, es ist so böse nicht gemeinet, ich habe Ihnen nur zeigen wollen, daß Sie nicht unrecht haben, wenn Sie von mir sagen, ich machte mich über die ernsthaftesten Dinge lustig. Es ist wahr, ich habe einen Hang dazu, über das zu scherzen, worüber andere erschrecken, oder sich betrüben; diese muthwilligen Anfälle gehen aber sogleich vorüber, wenn ich Niemand finde, der mit lachen will. Da Sie dieses jetzo gewiß nicht thun werden; so will ich meine Ernsthaftigkeit nun wieder zurück rufen. [47] Es ist andem, Ihr letztes Schreiben hat uns in etwas bestürzt gemacht. Sie dürfen nicht denken, daß ich hier in der Sprache großer Herren rede, und mich alleine verstehe, der Baron und meine Schwester lesen Ihre Briefe, und ich glaube, Sie gestatten es. Zu einem ernstlichen Duell zwischen meinem Oncle und dem Major will es der Baron durchaus nicht kommen lassen, und wenn er sich selbst mit dem letztern herumschlagen müßte; indessen denkt er nicht, daß es so gefährlich ist. Er ist gestern mit dem Major in Reichenberg in Gesellschaft gewesen; er hat sich aber nicht das geringste von einem Unwillen gegen meinen Oncle merken lassen. Der Baron glaubt, die Frau v. W. müßte ihm ein Stillschweigen auferlegt haben, damit er sich nicht zum Schiedsrichter unter den Partheien aufwerfen möchte. Diesem Vormittag war der Magister hier. Ich machte mich an ihn, um zu erfahren; ob sein Patron auf dem Brief an den Herrn v. W. eine Antwort erhalten hätte. Er verwunderte sich außerordentlich darüber, daß ich wußte, daß der [48] Hr. v. N. an den Herrn v. W. geschrieben hätte, und er konnte gar nicht begreifen, durch was für einen Canal ich dieses erfahren hätte. Aus seiner Verwunderung schloß ich, daß die Sache sehr geheim hatte zugehen sollen. Endlich gestund er, daß sein Gönner von dem Herrn v. W. eine Antwort erhalten hätte, die ihm aber gar nicht gefällig wäre. Der Herr v. W. wäre der rechtschaffenste Cavalier von der Welt; seine Gemahlin aber machte gefährliche molimina, den Herrn v. N. vielen Verdrüßlichkeiten auszusetzen, die er jedoch, so bald er nur wieder einen Fuß regen könnte, nach dem Beispiele Sir Carls durch großmüthige Bewegungen alle zu übersteigen hoffte. Die Frau v. W. würde bald dahin gebracht werden, daß Sie, wie alle Feinde des Baronets, ihre Fehler erkennen und sich derselben schämen würde. Der Magister stellte zugleich zwischen ihr und der Frau Jervois eine weitläuftige Vergleichung an. Sie ließ sich noch so ziemlich hören, nur darinne schien er es nicht getroffen zu haben, daß er den Major einen von ihren auf [49] eine Zeitlang angenommenen Männern nennte. Mich dünkt, wenn Sie doch ja nie Henriette Byron seyn sollen: so würde er eher dem Greville ähnlich seyn; doch wer weiß, wie viele Rollen mein Oncle und der Magister diesem guten Manne aus dem Grandison noch spielen lassen. Ich glaube ganz gewiß, mein Oncle hat einen ungegründeten und recht bösen Verdacht auf den Major geworfen; die Vergleichung des Magisters, bringt mich auf diese Gedanken; er siehet aber die Sache nicht recht ein. Die Gefälligkeiten des Majors gegen die Frau v. W. haben etwas ganz anderes zum Gegenstande. Er hütet sich, die Dame zu beleidigen, damit sie ihm nicht den Zutritt zu ihrer Fräulein Tochter versagen soll. Warum will sich denn der Mann durchaus ein Verdienst bey Ihnen machen? Die täglichen Visiten – die haben etwas mehr als Familienangelegenheiten zu bedeuten, diese würden keine täglichen Conferenzen erfordern; aber der Argwohn meines Oncles ist lächerlich. Geben Sie nur Achtung, mein Kind, ob nicht der Major [50] den Augen meines Oncles bald ein Greville oder gar Sir Hargrave Pollexfen seyn wird. Ich denke, wir werden über diesen Punkt noch oftmals etwas zu lachen bekommen, wenn nur erst der Zwist der beiden Männer in der Güte beigeleget ist. Ich hoffe, der Baron wird alles zum besten kehren, und da Sie bereits Ihre Bemühungen selbst zu dieser Absicht angewendet haben; so kann die Sache keinen andern, als einen guten Ausgang gewinnen. Wir hoffen alle das beste, inzwischen ist dabey am wenigsten besorgt

Ihre
ergebenste Freundin und Dienerin
Amalia v. S. 

[51]
X. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v. W.
Kargfeld, den 19 Oct.

Das ist eine schreckliche Verwirrung in dem Hause! Alles läuft wider einander. Zu keiner ungelegnern Zeit hätte ich einen Besuch in Kargfeld abstatten können als heute. Um nicht in dem Getümmel erdruckt oder beschädiget zu werden, habe ich mich in Tante Kunigunden ihre Zelle geflüchtet, und will mich für langweiliger Zeit mit der Beschreibung dieses unerwarteten Zufalls beschäftigen. Haben Sie die Geduld, mir zuzuhören, ich will Ihnen die Sache vom Anfang bis auf den gegenwärtigen Augenblick erzählen. Sie wissen, daß mein Oncle von seiner Unpäßlichkeit vollkommen wieder hergestellet ist. Er ließ uns deswegen auf heute zu sich einladen, um wegen [52] seiner glücklichen Genesung, allerley Lustbarkeiten anzustellen. Meine Schwester und ich haben uns eingefunden. Der Baron hatte sich schon auf heute bei einem Freunde versprochen, und will, wenn er sich von seiner Gesellschaft loßreißen kann, erst gegen Abend kommen. Alles war bei unserm Oncle, wie zur Begehung eines Festes zugeschickt. Der Herr v. H. der nie gesünder gewesen, als seitdem er auf seiner Heimreise von Wilmershausen mit dem Pferde gestürzet hat, war nebst seinen beiden Brüdern auch zugegen. Mein Oncle wollte einen Ball anstellen, um jedermann zu zeigen, daß er wieder wohl zu Fuße sey. Vorhero sollte ein vortrefliches Concert, von der Composition eines Lorenz Lobesans, wozu der Magister Lampert den Text verfertiget hatte, aufgeführet werden. Man entdeckte allenthalben Zeichen der lebhaftesten Freude. Unter einem künstlichen Präludio, wozu der Cantor alle sieben Register der Hausorgel meines Oncles gezogen hatte, wurden bereits die Instrumenten gestimmet; zwölf Adjuvanten strichen schon [53] die langen goldgelben Haare aus dem Gesichte, um die Noten desto besser sehen zu können; zwei davon bemüheten sich, alle vorräthige Luft in dem Musikzimmer einzuathmen, und setzten bereits ihre Waldhörner an, um sie durch lebhafte Töne wieder auszulassen. Jedermann hatte seinen Platz eingenommen, und Lampert, der die Partitur führte, war eben im Begriff, den linken Fuß und die rechte Hand aufzuheben, um durch einen nachdrücklichen Tritt und Schlag das Zeichen zum Anfange einer lermenden Fuge zu geben: da der Jäger des Majors v. Ln. in das Zimmer geführet wurde, der meinem Oncle einen Brief überbrachte, den er mit einer ernsthaften und verächtlichen Mine entsiegelte. Er hatte ihn nicht so bald gelesen; als er seine Cantate voll Verdruß auf den Tisch warf und eiligst nebst dem Magister das Musikzimmer verließ, um mit ihm, wie er sagte, über eine Sache von der äußersten Wichtigkeit zu rathschlagen. Jedermann erwartete ihre Wiederkunft mit einer solchen Begierde, als wenn man hätte wollen Hanns [54] Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich [55] also glücklich, daß ich noch zu rechter Zeit, durch eine Nebenthür, mich aus dem Gedränge machen konnte.

Sie werden leicht einsehen, was diesen Aufruhr veranlasset hat. Mein Oncle hat den Fehdebrief von dem Major erhalten. Ich bin darüber sehr bestürzt, so wenig Sie es auch an meinem Briefe wahrnehmen können. Den Scherz bei Seite gesetzt, so können Sie glauben, daß diese Aufforderung das ganze Haus meines Oncles in Verwirrung gesetzet hat. Die Aufführung des Concerts wurde dadurch unterbrochen; aus dem Balle wird auch nichts; die Geiger und Pfeifer sind aus dem Hause getrieben; das lermende Vergnügen hat auf einmal mit einer traurigen Stille gewechselt. Mein Oncle befindet sich noch immer nebst dem Herr v. H. und seinen Brüdern in einer tiefen Berathschlagung. Wigand ist die einzige lebendige Creatur, die einiges Geräusche macht. Er sitzt im Hofe und putzt das Gewehr. Alleweile schleift er einen abscheulichen langen verrosteten Degen. Ich [56] denke noch immer, daß die ganze Sache ein bloßes Spielgefechte seyn soll, und daß sich der Major, nur um Ihrer Frau Mutter gefällig zu seyn, entschlossen hat, meinem Oncle ein Cartel zuzuschicken. Er scheint doch ein Mann zu seyn, der die Geister prüfen kann, und wird also leicht einsehen, daß seine Ehre bei dieser Schlägerei nicht viel gewinnen wird. Wenn er es ernstlich meint, so verdient er deswegen verachtet zu werden, und wir wollen uns beide alsdenn vereinigen, um ihm aus jeder Mine lesen zu lassen, was er für eine kleine Figur in unsern Augen macht. Ich erwarte die Ankunft des Barons mit der größten Ungeduld. Er hat mir sein Wort gegeben, daß aus diesem Handel kein Unglück entstehen soll; ich werde ihn dabei halten. Wenn es in seinem Vermögen stehet, so erfüllt er gewiß sein Versprechen. Sehen Sie, ich bin nicht so schlimm, als Sie denken, ich lasse mir die Verdrüßlichkeit meines Oncles sehr zu Herzen gehen, und ich weiß nicht, was ich drum geben wollte, wenn ich im Stande wäre, sie den Augenblick [57] zu haben: aber ich kann mich des Scherzes so wenig dabei enthalten, als Tante Kunigunde der Thränen; doch diese werden die Sache nicht mehr verbessern, als sie mein Scherz schlimmer macht. Sie würden selber mit lachen, wenn Sie hier wären. Es werden nicht Anstalten zu einem Duell gemacht, sondern zu einem Kriege. Wenn das Faustrecht noch im Schwange gienge, so glaubte ich, der Major hätte meinen Oncle befehdet, mit 30 reißigen Knechten gegen ihn auszuziehen. Es werden alle Schwerdter, Degen und Pistolen, in ganz Kargfeld zusammen gebracht, daß man, im Fall der Noth, eine Rotte Knechte damit bewaffnen könnte. Man sagt mir, daß mein Oncle im Begriff sey, einen Boten an Ihren Herrn Vater abzuschicken. Ich bekomme dadurch eher als ich vermuthete, eine Gelegenheit, Ihnen meinen Brief einhändigen zu lassen. Damit Sie aber doch bey den kritischen Umständen, worinnen sich mein Oncle befindet, nicht ganz ruhig seyn mögen: so will ich Sie nur daran erinnern, daß Sie die erste Gelegenheit [58] gegeben haben, ihn darein zu verwickeln. Ich würde Ihnen nicht diese Erinnerung machen, wenn ich nicht wünschte, daß Sie die Sorge über den bevorstehenden Zweikampf meines Oncles, mit mir theilen sollten. Wenn ich unruhig bin, so sollte die ganze Welt unruhig seyn, wenn es nach meinem Sinne gienge. Vergeben Sie diese kleine Bosheit, wenn es ja eine seyn soll

Ihrer
aufrichtigen Freundin
Amalia v. S.     


XI. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v. W.
Schönthal, den 22 Oct.

Geben Sie Sich zufrieden, mein Kind, und machen Sie Sich wegen der Händel unsrer beiden Anverwandten [59] weiter keine Sorge. Wir haben nichts zu fürchten; wenigstens bin ich seit gestern geneigt, dieses zu glauben. Wissen Sie es schon, daß der Major uns gestern einen Besuch gegeben hat? Eine wunderbare Frage, als wenn es Ihnen etwas unbekanntes wäre, ohnfehlbar haben wir Ihnen diesen freundschaftlichen Besuch zu danken. Doch, wer weiß, Sie hätten mir wohl ein Wort davon gemeldet. Ich will Ihr Stillschweigen so annehmen, als wenn Sie noch nichts davon wüßten, und ich werde den Major aus einem vortheilhaftern Gesichtspunkte betrachten können, wenn ich glaube, daß er aus eigner Bewegung zu uns gekommen ist. Im Vertrauen, der Baron fing es an, übel zu nehmen, daß er schon einen Monath hier ist, ohne ihn einen Besuch gegeben zu haben. Er entschuldigte sich deswegen sogleich bei seiner Ankunft, und seine Entschuldigung fand Beifall, sie war gegründet. Ich bekam eine bessere Meinung von ihm als ich bisher gehabt hatte, und ich fange es an zu bereuen, daß ich ihn einen prahlenden Soldaten [60] genennet habe. Man darf von Ihnen nur so urtheilen, wie Sie es verdienen, um meine Achtung zu erhalten. Glauben Sie es nur, ich ließ meinen Groll gegen den Major sogleich fallen, da er sich für Sie er klärete, und Ihre Parthie gegen Ihre Mutter ergriff. Er ließ sich über Sie in viele Lobsprüche heraus –. Werden Sie nicht ungehalten auf mich, wenn ich jetzo einmal die Person der Fräulein Anna Howe spiele, und Sie frage: ob Ihnen nicht das Herz bei diesen Zeilen stärker schlägt? Ich bin sehr verwegen, strafen Sie mich, wenn ich es verdiene – Ich will nicht weiter in Sie dringen; ich will es Ihnen aber doch ins Ohr sagen, daß Sie einen eifrigen Verehrer an dem Herrn v. Ln. bekommen haben. Bei aller seiner Mühe, seine Leidenschaft zu verstecken, kann man ihm bis auf den Grund des Herzens sehen. Wenn er gegen Ihre Frau Mutter eben so offenherzig ist, als gegen den Baron: so getraue ich mir im voraus zu prophezeien, daß die Freundschaft zwischen beiden am längsten gedauert hat. [61] Er erzählte mit einer lobenswürdigen Freimüthigkeit, daß ihn die Frau v. W. verleitet hätte, unserm Onkle eine Ausforderung zuzuschicken. Er hätte seine Ursachen gehabt sich nicht durch seine Widerspänstigkeit ihr misfällig zu machen. Können Sie diese Ursachen wohl einsehen? Ich kann es –. Es wäre gar nicht seine Absicht, dasjenige, wodurch er sich von dem Herrn v. N. beleidiget halten könnte, zu rächen. Der Mann hat seine Würmer, sagte er, man muß seine Schwachheit übersehen. Wenn ihn auch das nicht bereits einer vollkommenen Verzeihung würdig machte, daß er ein Anverwandter des Barons wäre: so würde ihn doch sein wunderbarer Charakter genugsam für aller Rache schützen. Er wäre auf eine sonderbare Art in das Lustspiel gezogen worden, welches mein Oncle zum Vergnügen seiner Freunde und Nachbarn aufführte: er wünschte nun auch seine Rolle so zu spielen, daß er sie mit Beifall endigte. Unser Oncle schien keine Lust zu haben, sich mit ihm herum zu balgen. Er hätte ihm einen Brief [62] zugeschickt, davon der Magister Lampert schien der Concipient zu seyn. Er suchte, den Zweikampf von sich abzulehnen, und führte allerlei Gründe an, daß man denken sollte, er wäre unter die Herrnhuter gerathen; der Major aber hätte ihm wieder geantwortet, daß es zwischen ihnen beiden nun einmal so weit gekommen sei, daß einer den andern aus dem Sattel heben müßte. Schon in dem ersten Fehdebriefe wäre Schönthal zum Kampfplatze vorgeschlagen worden, obgleich die Frau v. W. dazu eine Gränzscheide ausersehen gehabt hätte. Der 25 October wäre, wie dem Baron schon würde bekannt seyn, zum Termine des Zweikampfs anberaumt. Der Baron möchte der Sache nur so einen Schwung geben, daß die Sache auf eine scherzhafte Art geendiget würde, und daß es so schien, als wenn beide Theile mit Ehren aus dem Handel geschieden wären.

Ich konnte nicht immer gegenwärtig seyn, um zu hören, was der Major mit dem Baron [63] vor einen Entwurf machte. So viel weiß ich, daß heute mit dem frühesten der Baron nach Kargfeld gereiset ist, um alles der Abrede gemäß einzurichten. Sie sind gewiß eben so begierig als ich, den Ausgang dieses Zwistes zu vernehmen, ich werde Ihnen mündlich oder schriftlich davon einen getreuen Bericht abstatten. Das Schreiben meines Oncles an den Major, und die Antwort auf dasselbige, lege ich hier bei. Senden Sie mir beide, nebst ein paar Zeilen von Ihrer Hand zurück; angenehmer wird es mir aber seyn, wenn Sie Sich die Mühe nehmen wollen, solche selbsten zu überbringen

Ihrer
ergebensten Dienerin
Amalia v. S.     

[64]
XII. Brief.
Der Hr. v. N. an den Major v. Ln.
Kargfeld, den 20 Oct.
Mein Herr,

Was gehet Sie mein Brief an, den ich an meinem Freund den Herrn v. W. geschrieben habe, und wer hat Ihnen das Recht gegeben, die Ehre seiner Gemahlin zu vertheidigen? Habe ich Sie beleidiget, so ist ihr Gemahl Mannes genug, diesen Schimpf zu rügen, ohne einen fremden Beistand nöthig zu haben. Wollen Sie Sich für Ihre Muhmen und Vettern schlagen, zumal wenn sie einer Vertheidigung ganz unwürdig sind: so werden Sie viel zu schaffen haben, und doch wenig Ehre dabei erjagen. Daß ich vor einigen Wochen, in Wilmershausen eine kleine Unruhe verursachet habe, darüber haben Sie gar nichts zu [65] sagen: wenn es der Herr v. W. als Wirth leiden konnte, so können Sie als ein Gast auch darzu stille schweigen. Zu dem bin ich für meine Ausschweifung schon gnug bestrafet worden: meine Knochen haben mir einen Monat lang allen Gehorsam aufgekündiget gehabt, und ich muß ihnen noch ziemlich gute Worte geben, wenn sie mich ein paar hundert Schritte fortschleppen sollen. Was ich von Ihnen und der Frau v. W. geschrieben habe, das sind blos meine Gedanken gewesen, und Gedanken sind Zollfrei. Ich habe Ihnen ja nichts Schuld gegeben, und wenn ich es auch gethan hätte, was wäre es denn nun? Wenn Sie ein gut Gewissen haben, so brauchen Sie nichts zu fürchten; sind Sie aber nicht sicher, so thäten Sie besser, Sie schwiegen. Da ich Ihnen nun also nicht gnugsame Ursache gegeben habe, sich für beleidiget zu halten: so achte ich mich auch nicht verbunden, Ihre Ausforderung anzunehmen. An meiner Herzhaftigkeit zweifelt Niemand, und Sie sollten derjenige seyn, der sich am wenigsten an mich wagte, [66] da ich mich noch gar wohl erinnere, daß ich Ihnen bei dem Herrn v. W. erzählte, wie manchen braven Kerl ich das Lebenslicht ausgeblasen habe, und daß ich sogar einen meiner Gegner, der für Schrecken zum Fenster hinaus sprang, zwischen Himmel und Erde, nicht anders als ein Vogel in der Luft, erlegt habe. Ich würde mit Ihnen gewiß auch kurz Federlesen machen, und nicht das geringste Bedenken haben, mich noch einmal herum zu schlagen: wenn ich nicht nach der Zeit verständiger worden wäre, und nunmehro einsähe, daß der Zweikampf eine alte gothische und barbarische Gewohnheit ist, welche man mehr zu unterdrücken als aufrecht zu erhalten verbunden ist. Lesen Sie Herr Gevatter Grandisons Leben; so werden Ihnen die Augen aufgehen, und Sie werden erkennen, daß ein solcher unchristlicher und abentheuerlicher Gebrauch anfängt, aus der Mode zu kommen, seitdem vernünftige Männer einen bessern Weg gefunden haben, ohne Blutvergießen, ihre Händel durch gütliche Vergleiche beizulegen. Mit einem Worte, [67] ich komme nicht nach Schönthal als ein Schläger, wenn ich ja noch komme. Indessen weiche ich Niemand aus, und werde mich meiner Haut tapfer wehren, wo Sie mich anfallen. Mein Rath wäre, daß Sie es nicht versuchten. Ich denke immer, die gerechte Sache wird siegen, und es konnte leicht kommen, daß ich Ihnen den Hals bräche, ehe Sie Sichs versähen. Wie gesagt, beleidigen laß ich mich nicht, wenn Sie also noch einige Ueberlegung haben: so stehen Sie von Ihrem bösen Vorhaben ab, und besuchen Sie mich auf eine freundschaftliche Art, damit ich Sie überzeugen kann, daß ich mir ein Vergnügen daraus mache, zu seyn

Ihr
ergebenster Diener
v. N. 

[68]
XIII. Brief.
Der Major v. Ln. an den Herrn v. N.
Den 21 Octob.

Ihr Brief hat Ihnen ohnfehlbar viel Mühe gemacht. Es scheinet Ihnen leichter, Fehler zu begehen, als Fehler zu entschuldigen. Warum soll ich meiner Base keine Satisfaction verschaffen, da Sie ihre Ehre und die meinige zugleich antasten? Die Art und Weise Sie abzustrafen ist so barbarisch nicht, als Sie denken. Es ist diese Gewohnheit einmal bei Cavaliers hergebracht, daß sie ihre Streitigten mit dem Degen in der Faust beilegen; wir haben solche nicht aufgebracht, wir wollen sie auch nicht wieder abbringen, es mag immer bei dem alten bleiben. Es ist auch nicht nöthig, daß wir erst untersuchen, ob dieser Gebrauch von den Heiden oder Türken entlehnt sey, gnug, der Adel darf keine Beleidigungen auf sich [69] sitzen lassen, und nun ist es mit uns einmal so weit gekommen, daß einer den andern aus dem Sattel heben muß. Ich bin eben kein Feind von der neuen Mode, und wenn das verdammte Schlagen abkäme: so wäre ich es wohl zufrieden; aber ich fange diese Mode nicht zuerst an. Ihr Gevatter mag seyn wer er will, und wenn er auch ein abyßinischer Prinz wäre, so soll er mir keine Gesetze vorschreiben. Mit einem Worte, wir müssen unsere Sache als brave Cavaliers ausmachen, ehe wir wieder gute Freunde werden. Es kann also unser Zwist nicht durch einen gütlichen Vertrag, wie Sie Sich einbilden, beigeleget werden; ich lasse mich auch in keine mündliche Unterredung mit Ihnen ein: vor jetzo kann ich nicht anders als auf Hokippo mit Ihnen reden. Sie wollen mir durch die Anführung einiger Ihrer Heldenthaten eine Furcht einjagen; allein Sie irrensich. Ich lasse sie zwar alle auf ihrem Werth und Unwerth beruhen; aber wenn ich ihnen auch Glauben beimesse, so frischen mich solche nur noch mehr an, mit einem so [70] tapfern und unüberwindlichen Ritter, ein Speerrennen zu wagen, um zu sehen, wer den letzten begräbt. Ich könnte, nach der langverjährten Mode, wenn ich meine ritterlichen Thaten den Ihrigen entgegen stellen wollte, Ihnen Hohn sprechen: ich will Ihnen aber lieber in der That zeigen, daß ich ein Mann bin, der sein Herz am rechten Orte hat. Finden Sie Sich nur auf den 25sten dieses bei dem Herrn Baron v. F. ein, dort wollen wir einander sprechen, und wenn wir unsere Sache ausgemacht haben, alsdenn will ich es versuchen, ob ich mich jemals werde überwinden können, in der That zu seyn

Ihr
ergebenster Diener
v. Ln. 

[71]
XIV. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
Den 23 Oct.

Sie empfangen hier die beiden Einschlüsse Ihres gestrigen Briefes mit vielem Danke zurück. Ich traue es dem Major zu, daß er die ganze Sache als ein Schattenspiel treiben will, um meiner Mutter etwas vorzuspiegeln, dadurch ihre Rache einigermaßen befriediget wird, und dadurch er sich in der guten Meinung befestiget, die sie jetzo von ihm heget. Sie irren Sich sehr, wenn Sie glauben, daß er die Freundschaft mit meiner Mutter meinetwegen zu unterhalten suche, ich muß Ihnen diesen Irrthum benehmen. Ich mache mir schon Sorge, daß ich Ihre Gewogenheit darüber einbüßen könnte, wenn dieser Gedanke einmal bei Ihnen Wurzel gefasset hätte. Der Major stehet bei Ihnen ganz wohl angeschrieben, wie [72] ich merke, ich werde mich also vor Ihrer Eifersucht hüten. Diese werde ich, wie ich hoffe, nicht zu befürchten haben, wenn Sie die Absicht des Majors wissen, warum er die Freundschaft meiner Mutter beizubehalten sucht. Sie hat aus dem Lehngute, welches ihm neulich zugefallen ist, noch ein Capital von 6000 Thalern zu fordern. Sie ist ihm nie recht gut gewesen, weil sie glaubt, daß ihr Oncle, der Vater des Herrn v. Ln., sie und ihre Schwester bei einer Erbschaft sehr verkürzt habe. Sie hat ihm deswegen das Capital schon seit einiger Zeit aufgekündiget, um sich, wegen des alten Verdrusses, einiger maßen an ihm zu reiben. Er hat, wie Sie wissen, vor ein paar Monaten seine Equipage verlohren, und ist deswegen hauptsächlich hieher auf sein Gut gegangen, um sich solche von neuem anzuschaffen. Dieses und die Anforderung meiner Mutter, wenn sie darauf hätte bestehen wollen, würden ihn in Weitläuftigkeiten gesetzet haben; er würde ein starkes Capital haben aufnehmen müssen, um beide Posten davon zu bestreiten. [73] Er dachte deswegen auf Mittel sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, und suchte meine Mutter durch ein höfliches Bezeigen zu gewinnen, daß sie jetzo nicht in ihn dringen möchte, ihr das Capital abzutragen. Einigermaßen hat er sie gewonnen, aber noch nicht völlig; sie verspricht ihm einige Nachsicht zu geben, wenn es ihre Umstände leiden wollten, das Geld noch eine Zeitlang zu missen. Sobald er ihr aber die geringste Gelegenheit zu einem Verdrusse giebt: so wird sie das Geld nicht eine Stunde länger entrathen können. Schreiben Sie also dieser Ursache allein alle seine Beeiferungen zu, sich ihr gefällig zu machen.

Ich muß Ihnen wegen einer kleinen Schmeichelei verbunden seyn, Sie schenken dem Major Ihre Achtung, weil er so von mir urtheilet, wie Sie glauben, daß ich es verdiene. Sie handeln sehr großmüthig; aber ich denke, er hat mir diese Ehre nicht alleine zu verdanken; Die persönlichen Eigenschaften tragen zu dem Urtheile, welches [74] man über die Leute fällt, auch oft etwas bei. In einem Stücke bin ich nicht mit Ihnen zufrieden. Sie haben nicht die besten Begriffe von mir. Sie fragen mich: ob mir das Herz nicht stärker schlägt, wenn ich höre, daß sich Jemand in Lobsprüche über mich heraus läßt, wollen Sie mir dadurch einen Vorwurf meiner allzugroßen Eigenliebe machen? Haben Sie davon Beweise in Händen, daß ich mir etwas darauf habe zu gute gethan, wenn ich bin gelobet worden? Ich denke nicht, seitdem ich aus der Schule bin, hat man mir nie etwas zu meinen Lobe ins Gesichte gesagt, darauf ich hätte können stolz seyn. Dort verdiente ich manchmal von meinem Informator eine kleine Lobrede, wenn ich den langen Psalm ohne Anstoß herbeten konnte. Ich will es Ihnen gedenken, daß Sie mich für ein so ruhmräthiges Mädchen halten. Warum nicht auch für falsch? Die Ruhmrätigen und Falschen stehen sonst immer bei einander. Bald hätte ich Lust, eine Lanze mit Ihnen deswegen zu brechen. Dieser Ausdruck, der Ihnen eigenthümlich [75] zustehet, gefällt mir besser, als das Speerrennen des Majors. Ich muß hier noch ein Wort von den beiden Briefen der Duellanten gedenken. Halten Sie nicht einen für so drolligt wie den andern? Wenn der Major so dächte, wie er hier geschrieben hat, so würden weder Sie noch ich, ihn uns einander zum Anbeter aufdringen wollen. Ich wenigstens würde glauben, Sie durch einen solchen Scherz zu beleidigen. Heute las er meiner Mutter das Original des einen, und die Abschrift des andern Briefes vor. Ich war gegenwärtig; ob mich meine Mutter gleich in ihrem Herzen weg wünschte. Ich stellte mich, als wenn ich etwas ganz neues hörte, und keine Abschrift von diesen Briefen zu Gesichte bekommen hätte. Meine Mutter vergnügte sich so sehr über die Antwort des Majors, daß sie ihn mehr als einmal Herzensmann nennte. Sie ist die rachsichtigste Frau in ganz Deutschland. Ich hätte es nicht gedacht, daß ihr Zorn so lange dauern könnte. Ich wagte es, da der Major das Zimmer verlassen hatte, ihr ein wenig [76] ins Gewissen zu reden. Sie können sich stellen, gnädige Frau, sagte ich, als wenn es ihr rechter Ernst wäre, daß der Herr v. Ln. ihren Zwist mit dem Herrn v. N. ausfechten sollte. So viel ich einsehe, gründet sich ihr Unwille gegen den Herrn v. N. hauptsächlich auf seine Aufführung bei der neulichen Gasterei. Sie wollen seine Vergehungen ahnden, und der Major hat sich erbothen, diese Beleidigenden so anzunehmen, als wenn sie ihn selbst angiengen. Ich kann mir nicht einbilden, daß ihn der Herr v. N. besonders beleidiget hat.

Ja, das hat er gethan! Wenn sie wissen sollten wie er sich vergangen hat, so würden sie erstaunen – den heillosen Brief – Doch was soll ich ihnen die albernen Possen erzählen, es ist auch eben nicht nöthig, daß Sie alles wissen. Genug, er muß bestrafet werden.

Sie müssen ihm eine Schwachheit zu gute halten. Sie kennen ihn ja von vielen Jahren her, und wissen, daß er es nicht so [77] böse meint, wenn er auch gleich seine Worte nicht allemal auf die Waagschaale legt.

Ich glaube, sie nehmen seine Parthie? Denkt doch! läßt das nicht, als wenn Sie in ihn verliebt wären? Nehmen sie ihn! Unter dieser Bedingung will ich mich wieder mit ihm aussöhnen, um der Freundschaft willen werde ich es freilich so genau nicht nehmen dürfen. Als Schwiegermutter will ich ihm verzeihen.

Sie hätte in der That diesen Punkt nicht berühren sollen. Beschämte sie sich nicht dadurch selbsten, daß sie mir einen Mann hatte aufdringen wollen, der ihr selbst unleidlich war? Legte sie nicht dadurch ein Zeugniß wider sich selbst ab, daß sie nur um mich zu peinigen, diese Heirath hatte stiften wollen? Allein das ist ihre Sache nicht, daß sie so weit herum denken sollte.

Sie scherzen, sagte ich, und wenn sie scherzen, so ist ihr Zorn vorbei. Ich habe ohnedem nie recht glauben können, daß es ihr [78] Ernst gewesen ist, wenn Sie dem Herrn v. Ln. aufgemuntert haben, an den Herrn v. N. Händel zu suchen.

Wie? was? Ich sollte den Major aufgemuntert haben, an Ihrem Schatze Händel zu suchen? das ist mir nicht in die Gedanken gekommen. Ich verlange nichts von ihm, als daß er meine Ehre zugleich mit der seinigen vertheidigen soll. Er muß ihm Satisfaction geben, wenn er ein rechtschaffener Cavalier seyn will. Er hat ihn beleidiget.

Aber bedenken sie, daß aus diese Sache ein Unglück entstehen könnte, und daß sie sich ewig ein Gewissen daraus zu machen hätten, wenn – –

Ha ha! Sie predigen, glaube ich gar? Wie lange ist es, daß sie unter die Pietisten gerathen sind? Machen sie sich aber nur nicht zu viel Sorge um ihren Liebsten, es wird keiner von beiden auf dem Platze bleiben. Der Major ist so grimmig nicht, und der furchtsame v. N. wird seinem Gegner [79] auch keine tödtliche Streiche beibringen. Es ist eben nicht auf Leben und Tod angefangen; aber wenn man alle Beleidigungen mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken wollte: so käme es endlich dahin, daß man jedem Unverschämten zum Gespötte diente, das muß nicht seyn.

Das darf auch nicht seyn. Es giebt unterdessen wohl andere Wege, dadurch man dieses Uebel vermeiden kann. Ich dächte, wenn man den Herrn v. N. wollte zu erkennen geben, daß man mit seinem Bezeigen nicht zufrieden wäre, so dürfte man nur seine Gesellschaft vermeiden, und ihn den Zutritt in unser Haus versagen. Aber zwei Personen wegen einer Kleinigkeit, die man übersehen könnte, in Lebensgefahr zu setzen, das heißt, die Sache zu weit treiben. Sie glauben, der Herr v. N. wäre furchtsam, ich will es zugeben; aber die Furchtsamen, wenn sie sich in Gefahr sehen, sind der Verzweifelung nahe. Wie? wenn nun ein Unglück entstünde?

[80] Solche Vorstellungen muß man sich nicht machen. Es wird nicht gleich ein Unglück entstehen. Und wenn es auch so wäre, so ist die Sache nicht zu ändern, davor sind sie Cavaliers. Wissen sie nicht, was der Major in seinem Briefe an den Herrn v. N. sagt: es ist ein altes Herkommen, daß der Adel keine Beleidigungen auf sich sitzen lassen darf, wir haben es nicht aufgebracht, wir wollen es auch nicht wieder abbringen.

Ich beruhigte mich hierbei, ohne diese Unterredung weiter fortzusetzen, und schätzte mich außerordentlich glücklich, daß ich derselben war gewürdiget worden. Sie scheint nicht so blutgierig als ich geglaubt hatte. In der That sucht sie nichts, als dem Herrn v. N. eine Furcht einzujagen, um ihn gegen sich in Respect zu erhalten. Wenn es also auch nicht zu einer Schlägerei kommt, und die Sache nur so beigeleget wird, daß dadurch ihre Ehre wieder hergestellet scheinet; so wird sie sich, wie ich hoffe, beruhigen. Mein Vater ist seit einigen Tagen über diese [81] Sache sehr mit ihr zerfallen. Seit dem 19 dieses, da der Herr v. N. einen Boten an ihn abgeschickt hat, welcher mir zugleich Ihren Brief von Kargfeld überbrachte, hat er sich in seine Studierstube verschlossen. Sie werden sich erinnern, daß er seine Werkstatt so nennet, wo er seine Wachtelgarne stricket, und die künstlichen Vogelbauer verfertiget. Er hat nicht einmal mit uns gespeiset, sondern sich das Essen hinauf bringen lassen. Die Verdrüßlichkeiten, worein er auf Antrieb seiner Gemahlin seinen Freund verwickelt siehet, gehen ihm sehr zu Herzen; um aber nicht in einen Hauskrieg verwickelt zu werden, worinnen er gewiß den kürzern ziehen würde, will er sich nicht weiter in diese Händel mischen. Der neue Verwalter, und Jacob, unser Jäger, machen jetzo seine Gesellschaft aus. Seine Gemahlin hat ihn noch nicht in seiner Einsiedelei besucht. Wenn sie ihm etwas zu hinterbringen hat, so braucht sie dazu ihre Tochter; und weil ich die nächste Nachbarin meines Vaters bin, wir wohnen in einen Stockwerke, so läßt er mich meistentheils [82] rufen, wenn er meiner Mutter etwas zu sagen hat. Was ist es doch für eine elende Gemüthsberuhigung für ein paar Eheleute, die gegen einander aufgebracht sind, wenn sie miteinander eine Zeitlang schmollen; da sie doch zum Voraus sehen, daß sie sich gewiß wieder aussöhnen müssen, wenn sie nicht für ihre übrige Lebenszeit unglücklich seyn wollen. Ich bin versichert, daß mein Vater und seine Gemahlin, ihre Aussöhnung wünschen; aber keines will einen Durchbruch machen, und dem andern das erste gute Wort geben. Ich will von diesen verdrüßlichen Dingen nichts mehr gedenken, mein angefüllter Bogen erinnert mich an etwas angenehmers, dieses bestehet darinne: daß ich die Ehre habe mit einer unverletzlichen Freundschaft gegen Sie zu verharren

Dero
ergebenste Dienerin
Juliane v. W.     

[83]
XV. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.
den 26 Octob.

Das Schauspiel hat sich geendiget, der Vorhang ist zugezogen, die Zuschauer, die ein Trauerspiel vermutheten, haben ein Lustspiel gesehen und sind nicht unzufrieden darüber, daß der Cothurn seinen hohen Absatz verlohren hat. Der Zwist unsers Oncles und des Majors ist ohne das Geräusche furchtbarer Waffen beigeleget worden. Alles wurde nach dem Geschmacke Grandisons ausgeführet, und jerdermann, selbst die rachsüchtige Frau v. W. ist beruhiget. Der Baron hat keinen Fleiß gesparet den Hauptpersonen ihre Rolle wohl einzuprägen, damit bey der Ausführung sich kein Fehler einschleichen möchte, der einen komischen Auftritt in einen tragischen hätte verwandeln können. Vorgestern, am 24sten, besuchte er Vormittage [84] unsern Oncle, um seine Gesinnungen auszuforschen. Er blieb dabei, daß er sich nicht in einen Zwiekampf mit seinem Gegner einlassen würde: er wäre aber entschlossen, in Schönthal zu erscheinen, um ihm, nach dem Beispiele seines Freundes, aus vernünftigen Gründen, die Thorheit eines Duells darzuthun, und ihn durch Gelassenheit und Großmuth zu überwinden. Der Baron suchte ihn in diesem Vorhaben zu stärken. Da er gieng, begleitete ihn der Magister Lampert, und sagte ihm ins Ohr: es würde wohl gethan seyn, wenn der Baron zu seiner eigenen Sicherheit bei einer Sache, wo Mord und eine Inquisition auf die Hitze folgen könnte, einen Geschwindschreiber irgends wohin versteckte, der die Unterredung seines Gönners und des Majors nachschreibe. Der Baron hatte diesen Vorsatz schon lange gefaßt, aber nicht aus der Beisorge, daß im Fall ein Unglück entstünde, er den Rücken frei behielt, und seine Unschuld in der Sache dadurch darthun könnte, denn dieses befürchte er eben nicht: sondern er wollte es nur um [85] deswillen thun, damit eine so sonderbare Unterredung nicht möchte verlohren gehen. Unterdessen wollte er dem Magister doch nicht so gleich beipflichten: Was, sagte er, wollen sie mich zu dem lüderlichen Bagenhall machen? Ich halte keine Geheimschreiber, es wird auch Niemand den Verdacht auf mich werfen, daß ich gegen ihren Gönner ein Complot gemacht habe, um ihn in meinen Hause umbringen zu lassen. Es werden schon Zeugen dabei seyn, die ich, wenn ich in Ungelegenheit kommen sollte, aufstellen kann, daß ich an der ganzen Sache keinen Theil genommen habe. Lampert beruhigte sich hierbei nicht, sondern suchte dem Baron die Nothwendigkeit eines solchen Geheimschreibers weitläuftig darzuthun, und dieser stellte sich endlich, als wenn er seinen Gründen weichen müßte, und versprach, alles so einzurichten, wie er es gut befänd. Nachmittags gab uns der Major einen Besuch. Beigelegte Briefe [2] [86] werden dir seinen Charakter ziemlich genau kennen lernen. Ich würde einen Theil derselben bereits meinem letzten Schreiben haben anschließen können, wenn nicht die Eilfertigkeit, in der ich mich damals befand, mich genöthiget hätte, dieses bis zu einer andern Gelegenheit zu versparen. Du wirst daraus sehen, daß der Major nie geneigt gewesen ist, Ernst aus dem Zwist mit unsern Oncle zu machen, und daß er nur, um die Frau v. W. nicht gegen sich aufzubringen und ihre Freundschaft zu verlieren, ihm ein doppeltes Cartell zugeschicket hat. Er ließ sich es gerne gefallen, daß diese Streitigkeit auf eine scherzhafte Art ohne Duell beigeleget würde. Der Baron richtete ihn vollkommen zu seinem Auftritte ab, und der Ausgang hat gewiesen, daß er seine Person gut gespielet hat. Unser Schwager ließ alles auf den folgenden Tag zu einem Schmause veranstalten. Der Major versprach, den Herrn von W. mitzubringen. Der Herr v. H. sollte auch eingeladen werden. Es wurde verabredet, daß sich der Major und die übrige Gesellschaft [87] um 9 Uhr des Morgens einfinden sollte; unser Oncle hatte versprochen erst gegen 10 Uhr da zu seyn. Der Baron ließ den jungen Wendelin von Kargfeld herüber holen, um sich seiner als eines Geschwindschreibers zu bedienen. Ehe ihm dieser wichtige Posten anvertrauet wurde, sollte er erstlich eine Probe seiner Kunst ablegen; er versicherte aber, daß er darinne ein Meister wäre. Er hätte seine Collegia auf Universitäten von Wort zu Wort nachgeschrieben, sagte er, und ohngeachtet einige seiner Docenten sehr geschwind geplaudert hätten: so wäre doch seine Hand so flüchtig gewesen, daß er noch immer einen kleinen Zeitraum übrig behalten hätte, um anzumerken, wenn ein Professor seinen Spaß belacht hätte. Es kostete Mühe, einen Platz ausfündig zu machen, wo der Schreiber alles hören und sehen könnte, was in dem Zimmer vorgieng, und wo er von Niemanden könnte gesehen werden. Ich that den Vorschlag, man sollte ihn unter einen großen Tisch logiren, den man mit einem Teppich verhängen könnte; allein dieser Ort schien [88] zu unbequem, es hätte leichtlich ein Jagdhund unter denselben gerathen können, wodurch der geheime Secretär, eben so, wie dort der Liebhaber der saubern Eswara, hätte können endecket werden. Der Baron sagte, er hätte schon einen schicklichern Ort zur geheimen Canzelei ausersehen: er wollte sich aber noch nicht weiter darüber herauslassen. Er beschäftigte sich den übrigen Theil des Tages, den jungen Wendelin zu unterrichten, damit dieser das Protokoll so führen möchte, wie er es wünschte. Der junge Wendelin hat dem Baron vor einer Stunde eine Abschrift davon gebracht, die ich meinem Briefe beilege, du wirst dir gefallen lassen sie an diesem Orte einzurücken, damit der Verfolg meiner Erzählung nicht unterbrochen wird.

Das Protokoll.

Ich Johann Caspar Wendelin, juris vtriusque Candidatus et Notarius publ. Caes. meines Alters zwischen drei und vier und zwanzig Jahr, begab mich am 25 October [89] jeztlaufenden 17 – – Jahres des Morgens um 7 Uhr, auf hohen Befehl des S. T. Hochwohlgebohr. Reichsfreiherrn Herrn Joh. Adolph v. F. Erb-Lehn und Gerichtsherrn auf Schönthal, Güldenau etc. nach dem Hochadlichen Schlosse in Schönthal auf den Weg, und langte um halb 9 Uhr auch wirklich zu Fuße daselbst an, um eine Unterredung nachzuschreiben, die am besagten Tage zwischen S. T. dem Hochwohlgebohr. Herrn Herrn Ehrhardt Rudolph v. N. Erb-Lehn- und Gerichtsherrn auf Kargfeld, Dürrenstein etc. an einer, und dem auch Hochwohlgebohr. Herrn, Herrn C. F. v. Ln. Sr – – wohlbestallten Major beidem löbl. – – – schen Regimente Infanterie, an der andern Seite, vorgehen sollte, und davon man Folgen von großer Wichtigkeit zu besorgen hatte.

Nachdem ich meine Lebensgeister durch ein gutes Frühstück gestärket hatte, ließ man mich in ein Zimmer treten, wo sich erwähnter Herr Major v. Ln., der Herr v. W. und der Herr v. H. befanden, die in einer Unterredung von [90] der jetzigen veränderlichen Witterung und dem herannahenden Winter begriffen waren, die zu meinem Zwecke nicht gehörten und die ich also aufzuzeichnen keinen Befehl hatte.

Damit ich nun die erwartete Unterredung weniger gestöhrt aufzeichnen möchte, ward ich befehliget, in einen großen Schrank zu kriechen, der ausdrücklich zu dieser Absicht war in das Zimmer gebracht worden. Ich hatte die Ehre, daß der Herr v. F. mich eigenhändig darinne verschloß, und den Schlüssel zu sich nahm. Ungeachtet der Herr v. N. wohl mag gewußt haben, was dieser große unschickliche Schrank in einem Zimmer, das mit seidenen Tapeten ausgeschlagen war, zu bedeuten hatte: so sollte es doch lassen, als wenn ohne sein Wissen diese Unterredung nachgeschrieben würde. Ich wurde dahero befehliget, mich ruhig zu halten, weder zu husten noch zu niesen, vielweniger durch das Anziehen oder Fortsetzen eines Fußes mit meinen Stiefeln ein Gepoltere oder Geräusche zu erregen; hingegen aber sollte ich alles, was vorgienge, [91] aufrichtig und redlich nachschreiben, so, daß ich auf Erfordern die Richtigkeit desselben mit meinem großen Notariat-Insiegel bekräftigen könnte.

Beim Eingange in dies enge Behältniß fand ich, daß der obere Boden des Schrankes weggenommen war, damit das Licht hinein fallen, und ich auch leichter vernehmen könnte, was in dem Zimmer gesprochen würde. Zu mehrerer Bequehmlichkeit, war ein Stuhl hineingesetzet worden, nebst einem Schreibepulte, welches mit den nöthigen Werkzeugen der Schreiberei überflüßig versehen war. In der Thür fand ich eine Oeffnung angebracht, von der Größe eines Spundloches, welches von innen mit einem Gork verstopfet war, den ich heraus nehmen konnte, um alle Bewegungen in dem Zimmer, wenn es nöthig wäre, bemerken zu können.

Ohngefehr um 10 Uhr sagte man, daß der Herr v. N. käme und daß er von dem Herrn Magister Lampert Wilibald begleitet würde, der einen langen spanischen Degen [92] an der Seite hatte. Einige Herren lachten hierauf sehr laut, aber was sie sagten, hielt ich mich nicht befehliget aufzuzeichnen. Der Herr v. W. den ich daran kennete, weil er allezeit über laut jähnete, ehe er anfieng zu reden, sagte zu dem Major: bedenken sie, daß der Mann mein Freund ist, thun sie ihm nichts zu leide, wenn sie der meinige seyn wollen.

Der Major, der sich durch eine männliche und gesetzte Stimme von den übrigen unterschied, sagte: machen sie sich keine Sorge, ich werde säuberlich mit ihm fahren, ich stehe für allen Schaden.

Der Herr v. H. welchen ich an seinen Flüchen erkannte, Sapperment! Wollen sie von ihm keine Satisfaction haben? Sie haben ihn ja herausgefordert.

Der Major. Ich werde sie nicht von ihm erzwingen, wenn er sich nicht freywillig dazu verstehet.

Es schien, daß der Herr Baron sich aus dem Zimmer begeben hatte, um den Herrn [93] v. N. zu empfangen. Ich hörte hierauf, daß ein Fenster geöffnet wurde. Sehen sie, sagte der Major, der vermuthlich am Fenster stand, siehet der Herr v. N. in seiner großen weißen Perucke nicht aus, wie der Admiral Byng, da er sollte arquebusiret worden? Alle Herren rückten hierauf mit den Stühlen, um den Herrn v. N. zu empfangen.

Indem zog ich meinen Gork aus der Oeffnung, und sahe durch solchen den Herrn v. N. in das Zimmer treten. Er hatte eine sehr entschlossene Miene, und schien durch solche seinem Gegner eine Furcht einjagen zu wollen. Der Mag. Lampert folgte ihm mit einem langen Stoßdegen bewaffnet, der ihn verhinderte in dem Zimmer viele Bewegungen zu machen. Er stieß von ungefehr, da er ein Kompliment machen wollte, mit solchem an die Thür meines Behältnisses, daß ich darüber in großes Schrecken gerieth. Die Unterredung fing alsdenn folgender maßen an.

[94] Der Hr. v. N. Ihr Diener, meine Herren, ich erfreue mich, sie allerseits wohl zu sehen.

Der Major. Ich bin der ihrige. Haben sie die vergangene Nacht wohl geruhet?

v. N. Nicht gar wohl.

Der Major. Wie befinden sie sich?

v. N. So hin. Was giebts guts neues, hört man nichts vom Frieden?

Der Major. Ganz und gar nichts.

v. N. Wenn doch die großen Herren des Blutvergießens einmal müde würden, zuletzt gewinnt doch keiner nichts.

Der Major. Sie fechten für die Ehre und in diesem Stücke werden wir ihnen heute ähnlich seyn.

v. N. Wir? Keinesweges! Darzu werde ich mich nicht bringen lassen, daß ich mich [95] mit ihnen schlage, ich komme als Freund und nicht als Feind.

Der Major. Wir wollen sehen, ob wir heute Freunde werden können, bis jetzo sind wir es noch nicht. Wir müssen vorhero erst unsere Sachen miteinander ausmachen.

v. N. So wahr ich ein Mann bin, will ich nicht! Was ich geschrieben habe, dabei bleibt es. Ich komme nicht, mich zu schlagen: aber beleidigen laß ich mich nicht. Wenn meine Person angefallen wird, so weiß ich, wie ich mich vertheidigen soll – Alsdenn nehmen sie sich in Acht.

Der Major. Das werde ich gewiß thun, ohne daß sie mich daran erinnern. Haben sie jemanden als einen Secundanten bei sich, so lassen sie ihn herein kommen.

v. N. Niemanden, als diesen ehrlichen Mann, (er wies auf den Magister Lampert.)

Der Magister. Was soll dieser Schulmann hier, soll er secundiren?

[96] v. N. Das wird nicht nöthig seyn, er ist mein Waffenträger.

Hr. Lampert. Ich trage die Waffen meines Gönners zur Vertheidigung, aber nicht zur Beleidigung. Er gehet jederzeit defensive und nie offensive, sie haben also von diesen Waffen nichts zu fürchten, wenn sie solche nicht selbst gegen sich reizen.

v. H. Vor dem Donner! Wozu nützen diese Reden? Macht eure Sache mit einander aus, ihr Herren, wie es braven Cavaliers zustehet, alsdenn könnt ihr schwatzen, so lange ihr wollt, wenn ihr da noch schwatzen könnt. Bald darzu, bald darvon.

Der Maj. Nehmen sie eine von diesen beiden Pistolen, Herr v. N. Ich handele ehrlich, ich lasse ihnen die Wahl. Dort auf dem Acker, den sie hier vor sich sehen, linker Hand nach dem Gehölze zu, dort wollen wir unsere Sachen ausmachen.

v. N. Seyn sie nicht hitzig, ich rathe es ihnen[WS 2] . Der Acker könnte leichtlich ihr Gottesacker [97] werden. Lassen sie uns frühstücken, bei einer Tasse Koffee wird sich alles geben.

v. H. Sapperment, wie stellen sie sich! Weisen sie diesem Herrn, daß sie Courage haben. Sie reden ja wie eine alte Frau.

v. N. An meiner Courage wird so leicht niemand zweifeln, und ich rede so, wie es meine Grundsätze erfordern.

v. H. Was zum Henker sind das für Grundsätze, die möchte ich sehen! Nach diesen Grundsätzen getraue ich mir nicht, ein Glas Wein mehr mit ihnen zu trinken.

v. N. Das können sie halten, wie sie wollen, ich werde mich dadurch nicht aufbringen lassen. Wenn sie einmal zu mir kommen und eben durstig sind, werden sie froh seyn, wenn ich ihnen nur ein Glas Wein vorsetze.

v. H. Der Henker hole! Ihre Sprache hat sich seit einigen Tagen treflich geändert. Da sie den Ausforderungsbrief von dem [98] Herr Major erhielten, wollten sie alle Bäume ausreißen, sie ließen Spieße und Schwerder zusammen tragen, und thaten, als wenn sie ihn fressen wollten, und nun, da es Ernst werden soll, sind sie verzagt:

v. N. Ich verzagt? Ich dächte sie kennten mich besser. Habe ich ihnen nicht – wie lange wird es nun seyn? vor ungefehr 10 Jahren gewiesen, daß ich Muth habe? Sie werden die Zeichen davon wohl mit in ihr Grab nehmen.

v. H. Dort waren sie ein andrer Mann. Aber ich denke, ich wehrte mich meiner Haut tapfer, und sie bekamen auch etwas, daß sie an mich denken konnten.

v. N. Dieses gehöret jetzo nicht hieher. Wenn wir indessen damals gescheut gewesen wären, so hätten wir nicht nöthig gehabt, uns wie die unsinnigen Menschen herum zu balgen, wir würden unsere Streitigkeit eben so haben beilegen können, wie ich die meinige mit dem Herrn Major jetzo beizulegen gedenke.

[99] Der Maj. Sie haben die Wahl, ob dieses auf den Degen oder Pistolen geschehen soll.

v. N. Weder auf diese noch auf jene Art, und dieses, hoffe ich, wird mich zu dem Titel ihres besten Freundes berechtigen, daß ich es abschlage, mich mit ihnen in einen Zwiekampf einzulassen.

Der Maj. Wie? Sie halten sich zu den Titel meines besten Freundes berechtiget, daß sie mir eine rechtmäßige Satisfaction, die ich wegen einiger Beleidigungen von ihnen verlange, versagen? Ist dieses nicht eine offenbare Verachtung?

v. N. Nein, das ist die stärkste Probe meiner Freundschaft, die ich ihnen geben kann. Ich will sie nicht unglücklich machen: denn es würde ihnen eben nicht besser ergehen, als allen ihren Vorgängern, die ich vor der Klinge gehabt habe.

Der Maj. Ich werde also Ursache haben, mich bei ihnen zu bedanken, daß sie so großmüthig [100] mit mir verfahren, und sie muntern mich auf, ihrem Beispiele zu folgen. Ich werde sie also, wenn sie mir keine Satisfaction geben wollen, mit nächsten beleidigen, um hernach, wenn ich ihnen solche gleichfalls versage, ihnen dadurch einen Beweiß meiner Freundschaft geben zu können.

Hr. Lampert. Was höre ich, welchen Schluß! Beurlauben sie mich gnädiger Herr, wenn sie nicht wollen, daß mir, als einem Meister in der Kunst zu schlüssen, bei dergleichen falschen Schlüssen, wenn ich sie nicht widerlegen darf, eine Ohnmacht zuziehen soll. Ich besorge, es dürfte mir gehen, wie jenem großen Kunstrichter, der für heftigen Entsetzen zu Boden sank, da ein Idiot in seiner Gegenwart einigen Tonkünstlern zurief: Salvete domini Musicantes. (Er wollte sich wegbegeben)

v. N. Bleib er hier, Herr Lampert, er muß sich einmal mir zu Gefallen Gewalt anthun. Ich werde schon die falschen Schlüsse widerlegen. Es geschiehet nicht zu meiner [101] Beschützung, mein Herr, daß ich den Herrn Lampert ersuche, hier zu bleiben, er soll nur von der Richtigkeit meiner Schlüsse, die ich den ihrigen entgegen zu setzen gedenke, urtheilen. Sie stehen in dem Wahne, ich hätte sie beleidiget, und wollte ihnen keine Satisfaction geben. Ich beleidige Niemand; der Grund von unserm Zwiste rühret nur vom Zufalle her. Ich habe auch nie den Vorsatz gehabt, sie zu beleidigen, wenn man Jemanden beleidigen will, so muß man – wie soll ich sagen – so muß man Jemanden etwas zu Leide thun. Nicht wahr Herr Lampert?

Hr. Lampert. Allerdings, so ist es.

v. N. Nun habe ich ihnen nie etwas zu Leide gethan. Wenn es geschehen wäre, so sagen sie, bei welcher Gelegenheit: also habe ich sie auch nie beleidiget. Ist das nicht richtig geschlossen, Herr Lampert?

Hr. Lampert. Der Schluß ist in Forma richtig.

[102] v. N. Was sagen sie dazu, Herr Major?

Der Maj. Sie fangen es sehr fein an, daß sie darauf dringen, die Gelegenheit zu entdecken, bei welcher sie mich beleidiget haben. Sie wissen wohl, daß ich Ursache habe, dieses nicht zu thun; es ist aber auch nicht nöthig. Mit einem Worte, ich halte mich von ihnen für beleidiget, und dieses ist genug, Cavalier Satisfaction zu[WS 3] verlangen.

v. N. Das will ich ihnen nicht wehren, aber ob ich verbunden bin, ihnen solche zu geben, das ist eine andere Frage. Wenn es genug wäre ohne hinlängliche Ursache Händel anzufangen, und wenn man denen die solche suchen, allezeit Satisfaction geben müßte: so hätte man nichts zu thun, als sich immer herum zu hauen und zu schießen, und das ist vor jetzo meine Sache nicht.

v. H. Wo T… muß die plötzliche Veränderung bei dem Manne herkommen! Sie waren ja vor diesem so eisern nicht, und nur noch vor wenig Tagen hatten sie ganz andere Gedanken.

[103] v. N. Ich ließ mich damals von den Ausbrüchen meines Zorns, denen ich immer nicht widerstehen kann, in etwas übereilen, und es war ihr Glück, Herr Major, daß sie mir den Tag nicht in den Wurf kamen. Da ich aber die Sache etwas genauer überlegte, und meinen Sirach, so nenne ich die Geschichte des Herrn Grandisons, zu Rathe zog: so stund ich von dem mörderischen Vorhaben ab, mich mit ihnen herum zu balgen. Wenn sie meinem Rathe gefolget, und diese Geschichte gelesen hätten, so würden sie jetzo meiner Meinung seyn.

Der Maj. Da ich es aber nicht bin, und keine so erleuchteten Einsichten habe: so müssen sie mir als dem schwächsten Theile nachgeben. Ich handele ehrlich, daß ich ihnen die Wahl unter diesen Pistolen lasse. Kommen sie, ohne uns in einen weitern Wortwechsel einzulassen, ich dringe darauf, sie müssen!

v. N. Seyn sie nicht hitzig, wir wollen frühstücken.

v. W. Ich dächte es wäre Zeit, es gehet stark auf den Mittag loß.

[104] v. N. zu dem Major. Nehmen sie eine Buttersemmel, das wird ihnen Zeit geben, gelassen zu werden.

Der Maj. Ueber die verdammte Gelassenheit! Ich denke, ich bin lange genug gelassen gewesen, ich habe noch bei keinem Duell einen solchen Wortwechsel geführet, als bei diesem. Endlich zerreißt mir der Gedultsfaden. Kurz, ich bestehe darauf, sie müssen eine von diesen Pistolen wählen.

v.H. Zeigen sie, daß sie noch Ehre im Leibe haben, sie können es warlich nicht ausschlagen! Nehmen sie eine.

Der Herr v. N. stund von seinem Stuhle auf, und nahm beide von dem Major. Er besahe sie lange, endlich sagte er: Die Wahl hält schwer, sowohl die eine als die andere scheint zum Unglück zubereitet. Ich will nicht an ihnen zum Mörder werden.

Der Maj. Wohlan! So soll der Degen unsern Zwist entscheiden.

[105] v. N. Da es also zugestanden ist, meine Herren, die Pistolen wegzulassen; und da ihr Anblick schon zum Unglück zu reizen scheinet: so werden sie erlauben, daß ich sie losbrenne.

Er öffnete ein Fenster, um sie loszuschiessen, sie versagten aber beide. Nach der Erzählung ist der Schreiber versichert, daß sie nicht geladen waren. Er saß also beständig ganz ruhig in seinem Schranke, weil er wußte, daß kein Unglück vorgehen konnte. Der Major stellte sich, als wenn er es verhindern wollte, daß die Pistolen nicht losgebrennt würden; der Herr v. N. sahe sich also genöthiget, zu Verhütung alles Unglücks, sie zum Fenster hinunter zu werfen. Da nun eine kleine Bewegung entstund, weil jedermann nach dem Fenster gieng, um zu sehen, was der Lerm zu bedeuten hätte, den man gleich darauf im Hofe hörete: so glaubte der Herr v. N. man hätte ein Absehen auf ihn. Er legte mit einer gravitätischen Mine die Hand an den Degen, und sagte ganz gelassen: [106] meine Freunde nehmen sie sich in Acht, daß ich niemanden beschädige, ich werde meinen Degen ziehen, wenn man mich anfällt.

Die Ursache des Lerms im Hofe war diese. Wigand, der Reitknecht des Herrn v. N. hatte sich unter dem Fenster, aus welchem der Herr v. N. die Pistolen herunter warf, gesönnet, es war ihm eine davon auf den Buckel gefallen, worüber er so heftig zu schreien anfieng, daß alles Gesinde zusammen lief. Weil man Pistolen neben ihn liegen sahe, so glaubte man, er hätte einen Schuß bekommen.

Der Major zu dem Herrn v. N. Wollen sie mir auf den Degen Satisfaction geben? Das ist gut, endlich entschließen sie sich doch zu etwas.

v. N. Ich ziehe ihn nur zu meiner Vertheidigung, ich dachte sie wollten sich über mich hermachen, weil ich ihr mörderisches Gewehr zum Fenster hinausgeworfen habe.

Der Major. Ja, das ist eine neue Beleidigung, so verächtlich begegnen sie mir.

[107] v. N. Ich habe es nicht aus Verachtung gethan, sondern zu ihrem Besten. Sie sollen ihr Leben nicht durch meine Hand verlieren, sie können es besser anwenden, wenn sie es dem Vaterlande zum Besten aufopfern; sie haben einen Beruf für solches zu streiten. In einiger Zeit, wenn sie die Sache ruhig überlegen, werden sie es vielmehr billigen, daß ich meine Pistolen ihnen aus den Zähnen gerückt habe, damit sie nicht zu dem Gebrauch könnten angewendet werden, zu dem sie bestimmt waren.

Der Maj. Vereiteln sie mir nicht meine Freude, die sie mir dadurch machten, daß sie die Hand an den Degen legten. Kommen sie hinunter in den Grasgarten, dort wollen wir ein paar herzhafte Gänge thun, und unsere Sache ausfechten.

v. N. Ich habe ihnen schon mehr als einmal gesagt, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund hieher kommen bin, um meine gerechte Sache zu vertheidigen.

[108] Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich?

v. N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.

Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!

Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für [109] angethane Beleidigungen eine Genugthuung zu verschaffen. Sie aber haben mich beleidiget und wollen mir keine Satisfaction geben: also schlüße ich daraus, daß sie nicht großmüthig sind, sondern furchtsam.

Hr. Lampert. Heu! quae qualis quanta!

v. N. Stille! (zu dem Major) hören sie, meiner Ehre wird dadurch nichts abgehen, sie mögen von mir glauben was sie wollen. So viel will ich ihnen nur sagen: sie haben ihr Leben meinen Grundsätzen zu danken. Ich bin von Natur hitzig, ich habe auch vielen Stolz; ich habe aber nach dem edlen Beispiele Sir Carls beides unterdruckt, und das ist jetzo ihr Glück. Wenn ich der wäre, der ich ehmals war: so würden ihnen ihre Beschuldigungen theuer zu stehen kommen.

v. W. (welcher bishero sich beschäftiget gehabt, das Frühstück, welches für die ganze Gesellschaft aufgetragen war, alleine zu verzehren, und eben jetzo damit fertig war.) [110] Ich dächte, sie ließen es nicht aufs äußerste ankommen, Herr Major, wenn v. N. seinen tollen Kopf aufsetzt, so ist er ärger als der T… Vertragt euch in der Güte miteinander, ihr Herren, zuletzt behält doch keiner Recht.

Der Maj. Wenn durch einen gütlichen Vertrag meine Ehre wieder hergestellet werden könnte, so wollte ich einem Vergleiche gern die Hand biethen. Da aber meine Ehre, in den Augen der Welt, mehr dabei verlieren als gewinnen würde: so bin ich entschlossen, die Entscheidung unsers Zwistes auf den Degen ankommen zu lassen.

v. N. Ihre Ehre kann nicht wider hergestellet werden, denn sie ist nicht beleidiget worden. Ich wollte mir eher auf deutschen Fuß die kehle abschneiden, oder nach englischer Manier, mich an den nächsten Balken hängen, ehe ich jemanden an seiner Ehre und guten Namen den geringsten Eintrag thun wollte.

[111] Der Baron. Welch ein vortreflicher Gedanke! Wenn sie nicht mit dieser Erklärung zufrieden sind, so weiß ich nicht, was sie weiter verlangen.

v. H. Vor dem Henker! Ich kann aus euch Leuten nicht klug werden. Der eine schwatzt einen Haufen von Beleidigungen, und will mit der Sprache doch nicht heraus, worinne sie bestehen sollen, und der andere will durchaus nicht eingestehen, daß er jenen beleidiget hat. Sie gehen um die Sache herum, wie die Katze um den heissen Brey, ohne daß etwas ausgemacht wird. Mein Rath wäre, ihr Herren vertrügt euch entweder in der Güte miteinander, wie es der Herr v. W. haben will, oder durch den Degen.

Der Major. Gut, bei diesem Ausspruche soll es bleiben, ich erwähle das letztere.

v. N. Ich ergreife das erstere. Sie kennen meine Grundsätze, und bestehen nur auf dem Duell, weil sie wissen, daß ich mich in kein Duell einlassen will.

[112] v. H. Aber warum nicht? Der Herr Major hat sie einmal heraus gefordert, und sie müssen ihm Satisfaction geben.

v. N. Ich kann diese Ausforderung, wenn ich auch sonst keine Gründe für mich anzuführen hätte, aus der Ursache nicht annehmen, weil es ein unchristlicher Gebrauch ist, wegen einer vermeinten, oder auch gegründeten Beleidigung sich den Hals brechen zu lassen, oder ihn seinem Nebenmenschen brechen zu wollen.

Der Major. Das sind Worte eines frommen Schwärmers.

v. N. Die Heiden und Türken verabscheuen eine solche gottlose Gewohnheit, und die alten Römer.

v. H. Was T – – gehen uns die alten Graubärte an! Sie reden, als wenn ihr Magister ihnen die Worte in den Mund geleget hätte.

v. N. Lassen sie mich zum Worte kommen, die alten Römer haben niemals mit einander Kugeln gewechselt.

[113] Der Major. Ja, zu der Zeit war das Pulver noch nicht erfunden, sonst würden sie sich wohl tapfer herumgeschossen haben.

v. N. Das sagen sie nicht. Wie hätten denn die Römer so viele Vestungen einnehmen können, wenn sie kein Pulver gehabt hätten? Aber dieses bei Seite gesetzt, so will es nicht einmal der Papst leiden, daß sich seine Unterthanen duelliren sollen.

Der Maj. Was hat uns der Papst zu befehlen, meine Ehre ist mir wichtiger, als alle päpstliche Bullen.

v. N. Ein alter Kirchenvater, Namens Concilius Tridentinus, gehet noch weiter, er erkläret alle die, welche in einem Zwiekampf umkommen, für Selbstmörder, und schlägt ihnen ein christlich Begräbniß ab.

v. H. Wenn wir die Gesetze der Ehre aus den Kirchenvätern herlangen wollen, so müssen wir uns freilich auf einen ganz andern Fuß setzen. Wir müssen feige Memmen werden, und in der Feigheit eine Ehre suchen; [114] unsere Ahnen aber, die sich durch ritterliche Thaten empor geschwungen haben, müssen wir als Mörder und Straßenräuber verdammen.

v. N. Wir können eher dieses thun, als daß wir in ihre Fußtapfen treten, und es eben so arg machen, wie sie. Die Fehler muß man ausrotten, wo man sie findet.

Der Baron. Der Herr v. N. spricht wie ein Orakel. Ich will heute noch meinen Degen einleimen lassen, damit ich nie wieder in die Versuchung gerathe, ihn gegen jemand zu ziehen.

Der Maj. Es ist wahr, die Gründe des Herrn v. N. haben einigen Schein, und wenn ich ihm weiter zuhörete, so glaube ich, ich dächte eben so wie er. Aber die Vorurtheile der Welt halten mich ab, daß ich ihm nicht beipflichten kann.

v. N. Ist es aber nicht besser, ein Mann von Ehre zu seyn, als daß man in den Augen der Welt dafür angesehen wird, ohne es [115] zu seyn? Um die Vorurtheile der Welt muß man sich nicht bekümmern. Eine wilde und unbändige, ich will nicht sagen unchristliche Gewohnheit als das Duelliren ist, kann gar keinen Beweiß angeben, daß man auf die Erhaltung seiner Ehre bedacht ist. Denn jeder Schurke, der nicht für einen Pfennig Ehre besitzt, kann einen braven Mann heraus fordern, um sich vor der Welt ein Ansehen zu machen.

Der Major. Sie reden, als wenn es gedruckt wäre, und ich wiederhole es nochmals, wenn ich mich überzeugen könnte, daß sie so vortreflich dächten als sie sprechen, so wollte ich mich eher vor ihnen erniedrigen, als vor dem großen Magol auf seinem Throne.

v. N. Sie können es auf mein Wort glauben, daß ich das jederzeit denke, was ich sage, denn wenn man reden will, so muß man denken; aber ich meine es auch so, wie ich rede. Kurz, sie können sich darauf verlassen, ich werde ihnen um meines Gewissens und um meiner Ehre willen keine Satisfaction [116] geben, wenn ich sie auch wirklich beleidiget hätte, welches doch aber nie geschehen ist. Der Gebrauch der Waffen stehet nur Königen und Fürsten zu, ich will den Göttern dieser Erden nicht ins Amt fallen. Privatleute müssen sich in der Güte mit einander vertragen.

Der Baron. Ich bin ganz entzückt über ihre Gesinnungen und ich fange beinahe an überzeugt zu werden, daß alles, was sie gesagt haben, vortreflich und nachahmungswürdig ist.

v. H. Der Meinung bin ich auch. Wie es scheint, Herr Baron, so gehet es ihnen eben so, wie es mir manchmal zu gehen pfleget. Wenn ich aus der Kirche komme, so denke ich, alles was der Pfarr gesagt hat, ist gut, und er hat Recht. Wenn ich aber alles das thun sollte, was er sagt, so müßte ich ganz und gar umgegossen werden, und das hält schwer, ich denke, wie meine Vorfahren sind in Himmel kommen, die alle nicht besser gewesen sind als ich, so getraue [117] ich mir auch hinein zu kommen. Jezt bin ich durch des Herrn v. N. Predigt abermals ganz und gar umgewendet, ich denke, er hat vollkommen Recht; aber wenn ein Cavalier doch gleichwohl soll leben, wie eine alte Frau, das stehet mir nicht an.

Der Major. So geht es mir ebenfalls. Wenn ich bedenke, daß das Duelliren eine so abscheuliche Sache ist, daß man darüber um ein ehrliches Begräbniß kommen kann: so möchte ich es verreden mich jemals wieder in Händel einzulassen. Aber wenn man darüber in Gefahr gerathen sollte, für scheinheilig oder furchtsam ausgeschrieen zu werden, so will ich lieber den Papst und alle Kirchenväter wider mich haben, als das Urtheil der Welt.

Der Baron. Weichen sie diesmal der Uebermacht, und erkennen sie sich überwunden. Sie können eben so wenig dem Winke der Vernunft widerstehen als ich. Wenn man sich über die Vorurtheile des Pöbels hinaussetzen kann, so muß man nothwendig [118] zugestehen, daß es ein thörigter und lächerlicher Gebrauch sey, einem Unheil durch etwas abzuhelfen, woraus ein viel größeres entstehen kann.

Der Major. (Zeigt auf den Herrn v. N.) Dieser Mann wird uns noch alle zu seinen Neubekehrten machen. Aber der T. wenn ich auch einen Heldenmuth beweisen, und meiner Leidenschaft Gewalt anthun wollte, mich nicht wegen der Beleidigungen an ihm zu rächen, so liegt mir noch etwas anders im Wege.

v. N. Ohne Zweifel ist der Mann ein Held, der seine Leidenschaft überwinden, und eine wirkliche Beleidigung, geschweige denn eine eingebildete vergessen kann. Und einem Helden muß nichts im Wege liegen, als was sich für ihm demüthiget, oder was er kaput gemacht hat.

Der Baron. Höchst vortreflich! Können sie noch widerstehen, Herr Major?

Der Maj. Nein, ich sehe mich genöthiget, ihnen gewisse Vorschläge zu thun, auf [119] welche ich mich mit ihnen zu vergleichen gedenke. Ich will wenigstens die Ehre haben, eben so großmüthig gegen sie zu verfahren, als sie gegen mich zu seyn glauben. Ich lasse meine Forderung wegen einer Genugthuung für dasjenige, wodurch ich mich von ihnen beleidiget halte, fallen; jedoch unter der Bedingung: daß sie meiner Base, der Gemahlin des Herrn v. W. eine schriftliche Abbitte und Ehrenerklärung thun, wegen der nachtheiligen Reden, die sie von ihr geführet haben, und alsdenn müssen sie mich überzeugen, daß es ihnen keinesweges an Muthe fehlt. Wenn sie richtige Beweise ihres Muthes anführen können, so will ich mich alsdenn beruhigen, und glauben, daß sie nach den Grundsätzen ihres Gevatters handeln.

v. N. Sie wollen ihre Forderungen gegen mich fallen lassen, und machen immer neue Forderungen, in der That haben sie gar keine an mich zu machen. Weil sie indessen auf einem guten Wege sind, so will thun, was ich kann, sie dabei zu erhalten. [120] Ihre zweite Bedingung kann ich ohne Bedenken erfüllen; die erste aber entstehet aus einem Vorurtheile, das leicht zu widerlegen ist. Ich habe die Frau v. W. nicht beleidiget, also ist auch eine Abbitte unnöthig. Was ich von ihr gesagt habe, das sind nur zufällige Gedanken gewesen, die ich nie vor Wahrheiten ausgegeben habe. Wenn sie sich dadurch beleidiget glaubt, so muß man ihr als einem schwachen Werkzeuge ihre Ehre geben, und sie begütigen. Eine Ehrenerklärung aber wird mir nicht schwer fallen, ich halte jede Dame für eine Dame von Ehre, bis ich es anders finde. Die Frau v. W. ist die Gemahlin meines Freundes, ich gestehe ihr alle die Ehre zu, die sie dadurch erhält.

Der Baron. Getrauen sie sich gegen diese Erklärung ein einziges Wort aufzubringen?

Der Major. Nicht ein Wort. Ich bin damit zufrieden, ich sehe daß ein Misverstand unsern ganzen Zwist erreget hat. Ich ärgere mich nur, daß ich gegen diesen vortreflichen [121] Mann, der alles so klug zu wenden weiß, daß er immer gegen mich in Vortheile bleibt, so eine elende Figur mache. Das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.

v. H. Bei meiner Seele! v. N., sie kommen heute gut weg. Ich dachte, es würde Mord und Todschlag aus dem Handel entstehen, oder sie würden sich doch tapfer herum hauen müssen, wenn sie den Herrn Major satisfaciren sollten. Ich kann gar nicht einsehen, wie sich das Ding so gedrehet hat, daß diese Händel einen gütlichen Vergleiche nahe sind, und jeder bei Ehre bleibt, gleichwohl scheint es, als wenn es gar nicht anders hätte seyn können. Gebt nur einander die Hände, ihr Herren, es wird aus der Schlägerei doch nichts, vertragt euch in der Güte.

Der Major. So weit sind wir noch nicht, (zu dem Hrn. v. N.) Sie müssen meiner zweiten Bedingung noch vorhero Genüge leisten. Sie hatten, wie es scheint, nicht immer die Grundsätze, die sie jetzo haben; sie [122] zeigten ehedem ihren Gegnern ihrer Muth in der That, so wie sie ihn mir heute durch Worte gezeiget haben. So viel ich weiß, sind sie mehrmals vor der Klinge gewesen, und vor Zeiten würden sie sich sehr bedacht haben ihre Händel auf diese Manier wie jetzo beizulegen.

v. N. Beleidigen habe ich mich niemals lassen, wenn mich einer nur über die Achsel ansahe, so schlug ich ihn hinter die Ohren.

Der Baron. Damals hatten sie also nicht die Großmuth, die Gelassenheit, die Standhaftigkeit, die wir jetzo an ihnen bewundern.

v. N. Damals focht ich noch mit dem ersten Schwerdte, jedermann mußte sich vor mir fürchten.

Der Major. Ein Beispiel ihres Muths, Herr v. N.!

v. N. Zehne für ein. Da ich noch unter dem Prinzen Eugen gegen die Franzosen [123] zu Felde lag, wurde ich einmal mit 50 Mann in ein Dorf commandiret, um Fourage beizutreiben. Es wohnte daselbst ein Beamter, der ehedem auch ein Soldat gewesen war. Ungeachtet es in Freundes Land war, so that ich doch aus Gefälligkeit gegen meine Leute, als wenn ich dieses nicht wüßte, und ließ sie auf Discretion leben. Der Beamte beschwerte sich deswegen bei mir, und um mir eine Furcht einzujagen, sagte er, wenn ich diesem Unheil nicht abhelfen wollte, so würde er mich, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre, herausfordern. Ich, der ich mich nie für einen Menschen fürchte, seitdem ich das Wort Mensch buchstabiren kann, gab ihm zur Antwort, einmal schlagen und ein paar Gläser Wein austrinken, wäre mir einerlei; ich gab ihm zugleich meinen Handschu und verlangte von ihm, eine Zeit und Ort zu bestimmen, wo wir einander finden wollten. Er versprach, dieses zu thun, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre. Nach einiger Zeit, da wir in den Winterquartieren lagen, schickte er mir ein Cartell, [124] daß ich mich nebst zween Secundanten an einem gewissen Gränzorte, auf den und den Tag einfinden sollte. Ich hielt die Secundanten für überflüßig und nahm nur meinen Reitknecht zu mir. Mein Gegner war sehr unwillig, daß ich keine Secundanten mitgebracht hatte, ich sagte: meine Pistolen und mein Degen sind meine Secundanten. Wie, wenn wir uns nun alle dreie mit ihnen schlagen wollten, sagte er? Dazu bin ich bereit, ich nehme es mit euch drei Kerls auf einmal an, ihr seyd keine Cavaliers. Sie wurden darüber erbittere; ich aber nicht faul, ergriff mit der einen Hand die Pistole und mit der andern den Degen. Sie erstaunten über meine Herzhaftigkeit und machten links um, ich hinter ihn drein wie ein Satan. Einen davon, der kein so flüchtiges Pferd hatte als die andern, holte ich ein. Nehmen sie sich in Acht, sagte ich, jetzt werde ich sie auf den Pelz brennen. Er schrie erbärmlich um Pardon. Gut denn, jagte ich, reiten sie hin mit Frieden, ich will ihnen das Leben schenken. Er bewunderte meine Großmuth, und ich behielt [125] das Feld. Ich habe seit der Zeit kein Wort wieder von ihnen gehöret, und glaube die ersten beiden sind ohne Zweifel in einem großen Fluße umkommen, durch welchen sie setzen mußten, um sich zu retten.

Der Major. Das ist eine ganz außerordentliche Begebenheit, die sich in den neuern Zeiten nur alle hundert Jahre einmal zuträgt.

v. N. Dergleichen Begebenheiten sind mir mehrere begegnet.

Alle Herren baten ihn hierauf noch einige zu erzählen.

v. N. In Italien commandirte ich einmal eine Freicompagnie, die mehrentheils aus Banditen bestund. Ich hielt die Schurken ein bisgen kurz, und sie machten deswegen eine Meutherei gegen mich. Eines Tages hatte ich sie lassen ein wenig voraus marschiren, und ich wollte nachkommen. Sie hatten sich meine Abwesenheit zu Nutze gemacht, [126] und hatten sich zusammen verschworen, mich kalt zu machen, zugleich hatten sie einen Preiß auf meinen Kopf gesetzt, daß derjenige, welcher sich zuerst an mich wagen würde, mein Nachfolger seyn und sie commandiren sollte. Ein Deuscher verrieth mir diesen Anschlag, und gab mir den Rath, mich ja nicht vor den desperaten Kerls blicken zu lassen, wenn ich nicht wollte auf dem Platze niedergemacht seyn. Ich wie der Wind zu Pferde auf und davon – –

v. W. Daran thatest du gescheut, Herr Bruder, daß du Reisaus gabest, ich hätte es selbst so gemacht.

Der Baron. Ich fühle jetzo sehr lebhaft ihre Gefahr und ihre Entrinnung. In der That ihr Heil bestand damals in der Flucht.

Herr Lampert. Schweigen sie meine Herren, der Herr v. N. ist noch nicht fertig, hören sie nur.

v. N. Ich setzte mich also zu Pferde und suchte die Cujons auf. So bald ich sie ansichtig [127] wurde, gab ich meinem Gaul die Sporen, und mitten unter sie hinein.

v. W. Das ist ein anders.

Der Maj. Jezt kommt es erst.

Der Baron. Wie lief es ab? Ich stehe ihrentwegen in großer Furcht – wenn sie nur nicht – doch was mache ich mir vor gefährliche Vorstellungen, sie stehen ja da frisch und gesund vor mir.

v. N. Hier, Kammeraden bringe ich meinen Kopf selbst, sagte ich, um den Preiß zu verdienen, den ihr darauf gesetzt habt! Wer mir diesen streitig machen will, der trete heraus. Sie erstaunten über meinen Muth, sie stunden wie die Mauren, es regte sich keiner. Pursche, streckt das Gewehr! Rief ich ihnen zu und zog zugleich den Degen. Sie gehorsameten, und ich trieb sie hierauf vor mir weg, wie eine Heerde Schaafe, bis ins Hauptquartier. Das Gewehr befahl ich auf ein paar Wagen zu laden, die ihre Tornister führten.

[128] Der Baron. Nun, was machten sie mit ihren Leuten?

v. N. Hierauf ließ ich ihnen einen kurzen Proceß machen, und sie miteinander aufhängen.

Der Maj. Das war zuarg! Sie verfuhren mit den armen Teufeln zu barbarisch, es ist wohl mancher feine lange Kerl mit darunter gewesen. Sie haben ihrer Heldenthat dadurch einen garstigen Schandfleck gemacht.

v. N. Ja, die Hunde waren nichts bessers werth, sie hatten mit einander den Galgen schon zehnmal verdienet.

Herr Lampert. Ich halte davor, mein Gönner hat den Glanz seiner Heldenthat gar nicht verringert, er hat nichts anders gethan, als daß er dem Beispiele Alexanders des Grossen gefolget ist. Da dieser Tyrus erobert hatte, ließ er die überwundenen Tyrier rund um die Stadt herum aufknüpfen wie die Krammsvögel; oder eigentlich zu reden, er ließ sie nach damaliger Mode kreuzigen. [129] Das Leben der Kriegsgefangenen stehet in der Hand des Siegers.

v. N. Ja ja, so ist es.

Der Major zu dem Hrn. v. N. Was sagte aber ihr General dazu, daß sie ihre ganze Compagnie aufhängen ließen?

v. N. Was der sagte? Hm! der hatte nichts darnach zu fragen, ich war Herr über meine Leute. In acht Tagen hatte ich mir eine andere geworben, die noch einmal so stark war als die erste. Vorzeiten gieng es nicht so ordentlich im Kriege, wie heutiges Tages, dort that ein jeder, was er wollte. Aber die Zeit vergehet.

Er zog seine Uhr, die einem Dreiersbrodte an Größe nichts nachgab, aus der Westentasche. Die Herren baten ihn alle, die Unterredung noch nicht abzubrechen, so sehr es auch der Schreiber wünschte. Er fuhr also fort.

In Italien habe ich mehr als einmal die Ehre der Deutschen gerettet. Es ist nicht [130] fein, wenn man immer von sich selber spricht; sie wollen es aber nicht besser haben, und also bin ich gezwungen, ihnen die merkwürdigsten Auftritte meines Lebens bekannt zu machen. Zu der Zeit folgte ich meinen alten Grundsätzen, ich dachte, ich wäre kein Mann von Ehre, wenn ich seine Händel hätte, und wenn mich Niemand beleidigen wollte, so wurde ich der angreifende Theil. Unter andern lag ich einmal zu Padua auf Werbung. Die Studenten machen dort viel Unheil und jedermann fürchtet sich für den jungen Laffen. In der Nacht kann Niemand auf der Straße gehen, ohne zu befürchten, daß man von ihnen angegriffen wird. Ich nahm mir vor, die Buben zu züchtigen und die öffentliche Ruhe wieder herzustellen.

Der Baron. Ein großmüthiger Entschluß!

v. N. Ich stellte mich des Abends unter einen bedeckten Gang. Ein Haufe lüderlicher Brüder sahen mich von ferne, und erklärten mich in ihren Gedanken schon für eine [131] gute Prise. Ich dachte: kommt nur angezogen. Kurz darauf stolperten ein paar von diesen Kerls vor mir vorbei und gaften mir ins Gesichte. Ihr Herren seyd ruhig und geht nach Hause, sagte ich. Schaarwächter, der du bist, erkühnte sich einer zu fragen, hast du uns etwas zu befehlen? Hier lief mir die Galle über, ich that auf den ganzen Haufen einen herzhaften Angriff, und in eben diesem Augenblicke lagen Degen, Hüte, Perucken und Mäntel, alles durch einander auf dem Kampfplatze. Zwei machte ich zu Gefangenen. Mit einem unter diesem Arme und mit dem andern unter diesem, begab ich mich gerade auf die Bürgerwache, wo ich beide verwahren ließ. Den Morgen darauf empfing ich von einigen Abgeordneten im Namen des Raths ein Danksagungskompliment, nebst einem Patent als ein Ehrenmitglied des großen Raths daselbst, weil ich die öffentliche Ruhe der Stadt wieder hergestellet hätte. Seitdem hat man auch nichts wieder von einem nächtlichen Unfuge daselbst gehöret.

[132] Hr. Lampert. Durch die edelmüthige That hätten sie verdienet, daß ihr Konterfei, wie das Bild des Miltiades nach dem Siege bei Marathon, öffentlich in einen solchen bedeckten Gang wäre ausgehänget worden.

v. N. Gewisser maßen habe ich diese Ehre wirklich erhalten. Ein Peruckenmacher, der ein neues Schild brauchte, ließ mich auf solches mit einer erbeuteten Perucke in der Hand abmahlen: die Studenten aber, denen dadurch ihre schimpfliche Flucht gleichsam aufgerucket wurde, brachten es dahin, daß er dieses Schild wieder einziehen mußte.

Der Major. Ich bin ganz bezaubert von ihnen, vortreflicher Mann! Ich sehe, daß es ihnen nie an Muthe gefehlet hat; aber mich dünkt, sie haben ihn an keinem Orte rühmlicher angewendet als hier, da sie das gemeine Beste dabei zum Endzwecke hatten.

v. W. zu dem Hrn. v. N. Ja, wenn deine Worte lauter Evangelien wären, so [133] wollte ich im geringsten nicht daran zweifeln; aber so muß ich es nur glauben, weil du es gesagt hast. Ich will die Sache nicht ganz verwerfen; ich denke aber du erzählest manche Dinge für dich zu vortheilhaft, Herr Bruder.

Der Maj. Ich bin geneigt, alle dem Glauben beizumessen, was der Herr v. N. gesagt hat. Ein Nachfolger Sir Carls kann keine Unwahrheiten sagen. Indessen bin ich versichert, es wird ihnen auch nicht an Beispielen mangeln, wo sie lebendige Zeugen ihres Muthes für sich anführen können.

v. N. Daran soll es auch nicht fehlen. Hat Jemand an dem Herrn Magister Lampert etwas auszusetzen, wenn ich ihn für mich zum Zeugen anführe?

v. W. Ganz und gar nichts.

Der Baron. Sein Zeugniß ist das glaubwürdigste.

Der Maj. Es scheinet ein Mann von Ehre zu seyn.

[134] v. N. Nun so hören sie denn. Ich reiste einmal nach Frankfurth in die Messe, gegenwärtiger Herr Lampert begleitete mich dahin. Wir speisten täglich in einem angesehenen Gasthofe, wo immer eine starke Gesellschaft von Vornehmen und andern Fremden, die es bezahlen konnten, anzutreffen war. Wir setzten uns eines Tages an eine Tafel von mehr als 30 Personen. Nicht wahr Herr Lampert?

Hr. Lampert. Ja! Es schmeckt mir noch immer gut, wenn ich daran gedenke, wir wurden recht wohl bewirthet.

v. N. Nicht lange nach uns kam ein Mann, von dem Ansehen eines Cavaliers, und setzte sich gleichfalls an unsere Tafel. So bald dieser Mann erschien, hörten alle Gespräche auf. Es schien, als wenn durch seine Ankunft der Appetit aller Anwesenden wäre vermehret worden; alle speisten mit der größten Begierde und Eilfertigkeit, und eine Zeit darauf verschwand einer nach dem andern. Ich wunderte mich darüber, und [135] fragte einen Kaufmann, der im Begriff war sich gleichfalls wegzubegeben, um die Ursache dieser Verschwindung. Sehen sie nicht, sagte er mir ins Ohr, dort unten den furchtbaren Mann? Ich rathe es ihnen, schleichen sie sich gleichfalls unvermerkt fort, wenn sie nicht wollen in Unglück kommen. Wenn er sich satt gegessen hat, so fängt er an zu trinken und hört nicht eher auf, bis ihn der Wein erhitzt hat, alsdenn kritisiret er über die Gesellschaft. Wer dieses nicht vertragen kann und sich mit ihm abgiebt, an dem sucht er Händel, und drohet mit Degen und Pistolen. Er ist ein vortreflicher Fechter und ein guter Schütze, und soll schon manchen über den Haufen gesetzet haben. Ich dachte sogleich, daß dieses eine gute Gelegenheit wäre, Ehre zu erwerben und mich bei der ganzen Gesellschaft in Ansehen zu bringen. Ich maß ihn einige mal mit den Augen, und dieses zog bald seine Aufmerksamkeit auf mich. Wir sprachen eine Zeitlang durch Minen mit einander, er getrauete sich nicht ein Wort zu sagen, weil er sahe, daß [136] ich ihn nicht fürchtete. Endlich fing er an, mit seinem Heldenthaten zu prahlen, ich that als wenn ich darauf gar nicht Acht hätte und erzählte, ihm zum Trutze, einige von meinen merkwürdigen Begebenheiten. Er wollte mich überschreien. Hören sie, sagte ich, wenn ich rede, so muß es stille seyn in dem Zimmer. Er unterstund sich hierauf einen Teller nach meinem Kopfe zu werfen, welcher aber fehl gieng, und beinahe den Magister erschlagen hätte. Ich sprang auf in voller Wuth, als wenn ich alles niedermachen wollte und über ihn her. Ist dem nicht also, Herr Lampert?

Hr. Lampert. Allerdings, er kam garstig weg.

v. N. Er fing an zu schimpfen und zu schelten. Willst du dich noch maußig machen? sagte ich, und was dergleichen mehr war. Kann er sichs nicht erinnern, was ich ungefehr noch sagte?

Hr. Lampert. Sie sprachen noch eins und das andere, zum Exempel: Du hast [137] wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt und willst dich an mich wagen?

v. N. Ja, ich erinnere mich. Gehe, sagte ich, Eisenfresser, der du seyn willst, du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelocket und willst dich an mich wagen, und in eben dem Augenblicke lag er die Länge lang unten vor der Treppe.

Der Major. Stellte er sich denn nicht zur Wehre?

Hr. Lampert. Nicht sonderlich. Er war über den muthigen Angriff erschrocken, daß er kein Leben hatte, er versahe sich dieses ganz und gar nicht.

Der Major lachte sehr laut.

v. N. Worüber lachen sie? Herr Lampert, ists nicht alles so, wie ich es erzählet habe?

Hr. Lampert. Vollkommen so, auf meine Ehre.

Der Major. Ich setze in die Wahrheit ihrer Erzählung gar keinen Zweifel, ich ergötze [138] mich nur an der glücklichen Anwendung des bekannten Sprichworts.

v. N. Ist das zum Sprichwort worden? haben sie es mehrmals gehöret?

Der Major. Sehr oft.

v. N. Das Sprichwort kommt von mir her, ich habe es erfunden. Vor mir hat es, so viel ich weiß, Niemand gebraucht, und ich weiß selbst nicht, wie es mir damals eben zu so gelegner Zeit eingefallen ist. Es stunden ein Haufen Leute um mich, da ich zu meinem Gegner sagte: du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt, und wie auf Messen alles bald ausgebreitet wird, so ist auch dieses bald unter die Leute gebracht worden.

Der Major. Ey wenn sie ein Mann sind, der Sprichwörter erfinden kann, so muß man billig Hochachtung für sie haben.

Der Baron. Ich denke, der Herr v. N. hat ihren Anforderungen nunmehro Genüge geleistet. Hält sie noch etwas zurück, ihm [139] ihre Hand zu geben, und sich mit ihm zu versöhnen?

Der Major. Bei meiner Ehre, er hat alles erfüllt, was ich verlangen konnte, und das mit so leichter Mühe. Aber auf meiner Seite hält es schwer, ich lebe noch nach den alten Grundsätzen des Herrn v. N. und seine neuen wollen mir gar nicht in Kopf – ich kann mich nicht überwinden.

v. N. Haben sie noch einige Zweifel wegen des Ehrenpunktes, so will ich mich bemühen sie zu heben.

Der Major. Das ist nicht nöthig, erlauben sie nur, daß ich mit diesen Herren einen kleinen Abtritt nehme, um ein oder den andern Punkt nochmals zu überlegen.

v. N. Alles nach ihren Gefallen.

Die Herren begaben sich hierauf in ein Nebengemach bis auf den Herrn v. N. und den Hrn. Lampert, diese besprachen sich in Abwesenheit der übrigen folgender Gestalt.

[140] v. N. Nun, was meint er, Herr Lampert, wie habe ich bestanden? Habe ich heute meinem Gevatter Ehre oder Schande gemacht?

Hr. Lampert. Nichts als Ehre, und der Ausgang weist nunmehro, daß sie dem Wege, den Herr Grandison zuerst betrat, glücklich nachgespüret haben.

v. N. Einen Theil des glücklichen Ausganges dieser kützlichen Sache habe ich ihm zu verdanken. Er hat mich die letzten drei oder vier Tage dreßiret wie ein Schulpferd. Wenn ich nicht wohl wäre gefüttert gewesen, so hätten die Sachen können schief laufen; nun aber denke ich, soll Herr Grandison von diesem Handel so viel Ehre haben, als ich selbsten. Findet er ganz und gar nichts an meiner heutigen Aufführung auszusetzen.

Hr. Lampert. Ganz und gar nichts. Einige Kleinigkeiten wollen nichts sagen. Wenn das Hauptwerk gut ausgeführet wird, so läßt man einige kleine Fehler in [141] Nebendingen durchschleichen, ohne sie zu bemerken. Quandoque bonus dormitat Homerus, wenn dieser große Dichter Götter und Helden reden läßt, wie sie sollen: so vergiebt man ihm eine kleine Ausschweifung, wenn er auch gleich einmal Pferde und Schiffschnäbel mit einander schwatzen läßt.

v. N. Rom ist nicht auf einen Tag gebaut. Wenn ich es noch nicht so weit gebracht habe als Sir Carl, so werde ich es schon mit der Zeit noch so weit bringen. Wenn er etwas auf dem Herzen hat, so sag er es nur heraus, sein Tadel, hoffe ich, soll mich bessern.

Hr. Lampert zuckte die Achsel mit einem Reverenze. Die Sonne erleuchtet den ganzen Horizont, und hat doch ihre Flecken.

v. N. Das weiß ich, sag er nur heraus, was er an mir zu tadeln findet.

Hr. Lampart. Ich muß ihren Befehlen gehorsamen, und dieser wird meine Verwegenheit entschuldigen. Ich hätte wohl gewünscht, [142] daß sie nicht ihre ganze Compagnie, die sie in Italien commandirten, hätten aufknüpfen lassen.

v. N. Was liegt daran, und wenn ich eine ganze Armee hätte aufknüpfen lassen, so wären dadurch nicht weniger Menschen worden. Ich weiß aber der Sache schon abzuhelfen, ich will sagen, meine Compagnie hätte nur aus fünf Mann bestanden, alsdenn wird die Erzählung ganz wahrscheinlich seyn.

Hr. Lampert. Vermeiden sie es lieber, wo sie können, wieder daran zu denken.

v. N. Weiter im Text.

Hr. Lampert. Der Peruckenmacher in Padua hätte die Kosten auch spahren können, sie auf sein Schild mahlen zu lassen. Diese Erzählung schien ihnen mehr nachtheilig als vortheilhaft zu seyn, es können einem allerlei Nebengedanken dabei einfallen.

v. N. Ich würde nicht darauf gefallen seyn, dieses zu erzählen, wenn mich nicht [143] seine verwünschte Vergleichung mit dem Miltiades darauf gebracht hätte. Inzwischen ist doch so etwas eben nicht unmöglich, und wenn ich mir es nicht abstreiten lasse, so müssen sie es glauben. Weiter.

Hr. Lampert. Der Concilius Tridentinus schnitt mir durchs Herz. Habe ich ihnen nicht gestern diese Stelle aus dem Grandison erkläret? Das tridentinische Concilium war eine Kirchenversammlung und kein Kirchenvater.

v. N. Kleinigkeiten! Ich bin gut dafür, daß keiner von den Herren jemals etwas von dem tridentinischen Concilio gehöret hat, außer was ich ihnen davon gesagt habe.

Es schien, daß der Herr Magister Lampert noch viele Anmerkungen im Vorrath hatte, und daß diese nur als Vorläufer von wichtigern anzusehen waren; es wurde dieses Gespräche aber durch die Wiederkunft der übrigen Gesellschaft unterbrochen. Der Herr Baron brachte den Herrn Major bei der Hand in das Zimmer geführet, welcher etwas zu widerstreben [144] schien, inzwischen lies er es doch geschehen, daß seine Hand in die Hand des Herrn v. N. geleget wurde, und die Aussöhnung kam also hierdurch zu Stande.

Der Major. Verflucht! das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.

Der Baron. Es ist gut, daß es geschehen ist; wir dachten alle nicht, daß sich die Sache auf eine freundschaftliche Art endigen würde.

v. H. Ich kann es auch, bey meiner Seele, noch nicht begreifen, wie dieses zugegangen ist!

v. W. Ob du es eben begreifest oder nicht, daran ist nicht viel gelegen, genug es ist geschehen.

Der Major. Wer kann einem solchen Manne widerstehen, als dieser Herr v. N. ist? das mag ein andrer thun und ich nicht.

[145] v. N. Sie haben sich von mir nicht überwinden lassen, sondern von der gesunden Vernunft.

Der Baron. Wie edel! Wir werden uns aller ihrer Reden und goldenen Lehren, die sie uns gegeben haben, erinnern, wenn sie auch nicht gegenwärtig sind. Dieser Schrank hat sie alle zum Gedächtniß und zu unserer Wiedererinnerung aufbehalten.

v. N. Wie verstehen sie das?

Der Baron. Ich beredete den Herrn Major, zu verstatten, daß ein junger Mensch, auf dessen geschwinde Faust ich mich verlassen konnte, eine aufrichtige Erzählung von alle dem, was vorfiele nachschreiben sollte, und er steckt in diesem Schranke.

v. N. Das ist etwas sonderbares, ich kann mich nicht genug darüber verwundern. Inzwischen da die Sache zu dem Vortheile eines jeden ausgefallen ist, und jeder Theil mit Ehre aus dem Handel scheidet, so dürfen wir kein Protokoll fürchten.

[146] Der Baron. Herr Wendelin, ihre Verrichtung ist zu Ende. Seyn sie so gut und kommen sie heraus aus ihrem Schranke, mit dem, was sie geschrieben haben.

Der Schreiber gehorchte, er hatte sich lange nach seiner Erlösung gesehnet. Der Herr Baron fragte, ob das Protokoll sollte vorgelesen werden; allein man sagte, daß es Zeit wäre zur Tafel zu gehen. Der Herr v. N. wollte durchaus nach Hause, ohngeachtet ihn sehr zu hungern schien, endlich blieb er doch auf vieles Bitten.

Der Schreiber bekam hierauf Befehl, das Protokoll einige mal sauber abzuschreiben, und von dem Herrn Baron v. F. seine Copialien zu erwarten. Zugleich wurde ihm in geheim anbefohlen, in dem Exemplare, das für den Hrn. v. N. bestimmt war, die besondere Unterredung desselben mit dem Herrn Lampert wegzulassen, auch gegen beide zu läugnen, wenn er allenfalls deswegen sollte befraget werden, daß er sie nachgeschrieben habe. Dieses ist also die richtige [147] Abschrift von allem, was vorgegangen ist, welches nach seinem besten Vermögen nachgeschrieben und auf Verlangen Sr. Hochwohlgebohr. dem Herrn Baron v. F. eingehändiget hat.

Dessen
unterthäniger Diener 
Joh. Caspar Wendelin.

Ich will nun meine Erzählung da fortsetzen, wo sich des jungen Wendelins seine endiget. Den ganzen Tag über blieb die Gesellschaft bei uns. Man sahe nichts als Freundschaftsbezeigungen von einer und der andern Seite, unsere Herren schienen ein Herz und eine Seele zu seyn. Unser Oncle ließ eine solche Zufriedenheit über sich selbst blicken, daß ich glaube, er hat diesen Tag unter die glückseligsten seines Lebens gezählet. Der Herr v. H. war immer in tiefen Gedanken, der gute einfältige Mann, der den Zusammenhang der Sache nicht einsahe, [148] konnte nicht begreifen, wie ein solcher Zwist friedlich wäre beigeleget worden. Er sagte, es käme ihm alles wie ein Traum vor. Er hat die Ehre, daß er der erste ist, den unser Oncle zu seinem Jünger gemacht hat, und wenn er eine Secte stiftet, so muß der Herr v. H. unter seinen Anhängern oben an stehen. Ehe wir noch speisten, fertigte der Herr v. W. seinen Jäger an seine Gemahlin ab, um ihr zu melden, daß alles glücklich vorbei wäre. Ich hatte mir vorgenommen eine kleine Rache an ihr auszuüben. Ich wollte den Jäger abrichten, daß er sich in Wilmershausen ganz betrübt stellen sollte, als wenn ihm etwas im Gemüthe läge, das er sich nicht getrauete zu sagen. Er sollte sich gegen das Gesinde verlauten lassen, sie würden bald eine schlimme Zeitung hören, dadurch sollte die Frau v. W. auf die Vermuthung gebracht werden, daß in Schönthal auf ihr Anstiften ein großes Unglück entstanden wäre. Ich unterließ es jedoch hernach, weil mir der Kerl zu einfältig schien seine Person wohl zu spielen; ich dachte auch die Frau v. W. würde [149] gegen uns und ins besondere gegen mich nur noch mehr aufgebracht werden, wenn sie erführe, daß man einen Schreckschuß auf sie gethan hätte. Der Baron ist mit dem Major sehr wohl zufrieden, unser Oncle siehet den letztern als seinen Neubekehrten an. Der Major nahm es auf sich, der Frau v. W. eine solche Vorstellung von dem Vorgang der Sache zu machen, die sie völlig zufrieden stellen wird, und wir sehen bereits von seiner Bemühung gute Wirkungen. Das Fräulein v. W. meldet mir, daß ihre Mutter mit dem Hrn. v. N. halb und halb wieder ausgesöhnt zu seyn schiene, und diese Versöhnung wird vollkommen werden, wenn er sie, wie er versprochen hat, schriftlich um Verzeihung bittet. Ob er gleich feste darauf bestehet, daß er sie nicht beleidiget hat: so will er sich doch vor ihr demüthigen, und durch diesen Beweiß der Großmuth, wie er es nennt, sie gleichfalls bekehren. Das Protokoll wird sie niemals zu sehen bekommen, und wenn ihr Gemahl auch etwas davon gegen sie gedenken sollte, so wird man doch jederzeit eine Entschuldigung [150] finden, um es ihr nicht in die Hände zu geben. Der Herr v. W. hat sich mit ihr ausgesöhnet, wiewohl auch nicht vollkommen; rechte gute Freunde werden sie niemals; aber er verschließt sich doch nicht mehr in seine Studierstube. Es ist Zeit, daß ich mein aufgeschwollenes Paquet siegele und fortschicke, ich lasse es nach Straßburg gehen; ich glaubte nicht, daß es dich noch in London antreffen würde, du wirst es also in Straßburg finden. Unter den eifrigsten Wünschen, nach glücklich vollendeter Reise, bei vollkommenen Wohlseyn diesen Brief zu erbrechen, empfiehlt sich ihrem geliebtesten Bruder.

Amalia v. S.


[151]
XVI. Brief.
Der Hr. v. N. an den jungen Hrn. Baron v. S.
den 23 Octob.

Warum wollen Sie doch England verlassen? Es treibt Sie ja keine Noth darzu. Sie sind bei meinem Herrn Gevatter dem Baronet wohl aufgehoben; so viel ich aus Ihren Briefen abnehmen kann, hält er Sie wie sein Kind, und er wird es vermuthlich gerne sehen, wenn Sie noch eine Zeitlang bei ihm bleiben. Mein Rath ist nicht dabei, daß Sie vor Ausgang des Jahres abreisen. Inzwischen muß ich Ihnen freilich Ihren freien Willen lassen, und wenn Sie es nicht besser haben wollen, so reißen Sie hin wohin Sie wollen, ich denke, Sie werden wie die Schweizer, das Heimwehe bekommen haben. Thun Sie mir nur den Gefallen, und beschmausen Sie die englischen [152] Freunde noch einmal die Reihe herum, und empfehlen Sie mich einem jeden von denenselben ins besondere. Sie nennen Sich selbst einen Abgesandten von mir an den Herrn Grandison, Sie sollen es auch bei seiner ganzen Familie seyn, thun Sie Sich nur bei der Abschiedsaudienz nur recht bene. Machen Sie dem Herrn Richardson von mir ein groß Kompliment, und bedanken Sie Sich für die Ehre, die er mir erzeigen will, von mir einen Roman zu schreiben, und solchergestalt mich in England bekannt zu machen. Wenn es mir mit meiner Henriette gelingen sollte, so bin ich nicht abgeneigt ihm zu willfahren, er mag alsdenn ein langes und ein breites von mir schreiben; jetzo ist aber die Sache noch nicht reif genug. Das können Sie Sich unterdessen zur Lehre nehmen, daß ich niemanden erlauben werde, von mir zu schreiben, als dem Herrn Richardson.

Das ist ein verzweifelter Streich mit der Glocke! der verwünschte Zolljude, der solche für Contreband erkläret hat, wäre werth, [153] daß er bei den Beinen aufgehangen würde. Hat ihn denn Herr Grandison nicht verklagt? Der Pfarr gehet mir abscheulich zu Leibe, und will mir eine neue Glocke abzwingen: ich werde ihn aber garstig ablaufen lassen, wenn er sich unterstehet, nur wieder mit einem Worte an die verhaßte Sache zu gedenken. Suchen Sie doch den D. Bartlett zu bereden, daß er an ihn schreibt, und ihn zur Geduld verweist. Ich habe jetzo ohnedem meine liebe Noth, ich bin in eine recht böse Sache verwickelt, davon sich nicht viel schreiben läßt. Nur im Vorbeigehen ein Wort davon zu gedenken, ich soll mich schlagen; aber daraus wird nichts, es wird mir rühmlicher seyn, wenn ich die Sache auf Sir Carls Fuß stelle, und sie in der Güte beilege.

Hören Sie, noch eins wollte ich gedenken, ehe ich schließe. Der Magister ist auf den Einfall gerathen, meine Bildergallerien mit den Portraits der Personen, die in der Geschichte des Herrn Grandisons vorkommen, auszuschmücken. Der Einfall ist gut und [154] gefällt mir, er hat dabei allerlei gute und heilsame Absichten. Sehen Sie doch zu, daß Sie diese Portraits beim Leibe bekommen; oder daß Sie mir wenigstens gute Copieen davon verschaffen. Für die leichte Mühe wird ihnen sehr verbunden seyn

Ihr
treuer Vetter
v. N. 


XVII. Brief.
Der Herr v. S. an das Fräulein Amalia v. S.
London den 6 Novembr.
Geliebte Schwester,

Die letzten Tage meines Aufenthalts allhier, habe ich zu Verfertigung eines Tagebuchs angewendet, welches du mit meinem Briefe empfängst, um es meinem [155] Oncle zuzustellen. Du wirst aus beigelegtem Schreiben, das ich vor einigen Tagen von ihm erhielt, ersehen, daß er mich nochmals zu seinem Abgesandten an das ganze Haus der Grandisonen ernennet hat. Zu einer solchen Gesandtschaft wird viele Zeit erfordert, und da ich diesen Brief erhielt war es zu spät, daß ich wahrscheinlicher Weise diesen Posten noch erst hätte verwalten können; ich habe ihn also beredet, daß ich durch eine glückliche Ahndung seinen Befehl bereits hätte erfüllt gehabt, ehe ich ihn erhalten. Aus der Dicke dieses Briefes wirst du auf die Weitläuftigkeit desselben schlüßen können. Ich habe ihn nicht gesiegelt, damit er in Schönthal kann gelesen werden, wenn es dir oder dem Baron gefällt, sich diese Mühe zu nehmen. Wenn unser Oncle oder der Magister Lampert einige Einwürfe bei einer oder der andern Stelle dieses Tagebuchs machen sollte, so muß man diese zu widerlegen suchen; damit seine Zweifel nicht Wurzel schlagen und das Spiel verderben. Ich habe meiner Einbildungskraft darinne oft den Zügel gelassen, [156] mein Journal verfällt an manchen Orten ins wunderbare; doch glaube ich nicht, daß ich die Sphäre meines Oncles überschritten habe: Wer sich getrauet andern unglaubliche Dinge aufzubürden, der muß auch geneigt seyn, etwas von gleichem Schlage selbst zu glauben.

Der Magister Lampert will die Bildergallerie unseres Oncles mit den Porträits der engländischen Freunde ausschmücken, und der Oncle bittet mich sehr angelegentlich ihm dazu behülflich zu seyn. Ich habe ihm diese Bitte nicht abschlagen wollen, besonders da sich eine gute Gelegenheit zeigte sie leicht zu erfüllen. Vor einigen Tagen war in meiner Nachbarschaft eine Auction von allerlei alten Meubles, ich schickte meinem Heinrich dahin, um einige Portraits zu erstehen, die ich aus dem Verzeichnisse gewählet hatte. Es sind lauter berühmte Leute gewesen; ich habe sie aber umgetauft, und ihnen Namen aus dem Grandison beigeleget, die ich auf die Rückseite der Porträits habe schreiben lassen. [157] Damit man indessen in Schönthal wisse, was für Personen sie eigentlich vorstellen: so will ich das Verzeichniß davon hiehersetzen.


Nr. 1) Thomas Morus ein englischer Canzler, dieser soll wegen seines großen Bartes den Juden Merceda vorstellen.

2) Olivier Cromwell, dieser hat mir wegen seines kleinen aus der Mode gekommenen Zwickbärtgens sehr viel Mühe gemacht, ich wußte nicht, was ich aus ihn machen sollte, endlich glaubte ich, der Knight Sir Roland Meredith könnte noch wohl dadurch vorgestellet werden, denn er wird auch als ein Mann aus der alten Welt beschrieben.

3) Den Herzog v. Marlborugh habe ich wegen seiner langen schwarzen Heldenperucke zum spaßhaften Oncle Selby gemacht.

4) Wilhelm Pen ein berühmter Quäcker mag wegen seiner andächtigen Mine der weinende Herr Orme seyn.

[158] 5) Dieses Portrait stellet einen italiänischen Abt vor, der ein hauptgelehrter Mann soll gewesen seyn. In dem Auctionscatalogus wird er Julius Bartoloccius genennet. Du wirst es sogleich errathen, daß ich den Pater Marescotti daraus gemacht habe. Lampert wird sich freuen, wenn er siehet, daß dieser ehrwürdige Pater eben so ein feister Mann ist als er selbsten. 6) und 7) sind die Schildereien zwoer berühmter königlichen Maitressen aus dem vorigen Jahrhunderte. Die jüngere heißt Sidley und wurde hernach zur Gräfin von Dorchester erhoben, diese siehet eben so aus wie die Signora Olivia beschrieben wird, sie mag es also seyn. Die ältere ist die bekannte Herzogin von Portsmouth, die unter der Regierung Carl des Andern berühmt war. Sie muß gemahlet seyn, da sie bereits die Sünde verlassen hatte, ich finde ganz und gar nichts reizendes an ihr, und bin deswegen genöthiget worden, Tante Loren aus ihr zu machen.

[159] Ich hoffe, der Oncle wird mir wegen Uebersendung dieser Porträits sehr verbunden seyn, wenn er sie für ächt erkläret. Unser Schwager wird mein Schreiben vom 16 October erhalten haben,[3] und sich nach der Anweisung wegen Uebermachung meiner Wechsel richten, ich ersuchte ihn zugleich, keinen Brief noch Empfang meines Schreibens, nach Londen abgehen zu lassen. Den deinigen vom 20 des vorigen Monats habe ich erhalten, und hoffe den nächstfolgenden in Straßburg anzutreffen. Die Händel meines Oncles mit dem Major v. Ln. werden nunmehro sonder Zweifel glücklich und ohne Blut geendiget seyn. Man hätte es so weit gar nicht sollen kommen lassen, wenn inzwischen nur ein Scherz daraus ist gemacht worden, wie du glaubst, daß es nichts weiter seyn werde, so mag es noch hingehen; wenn aber der Herr v. Ln. Ernst daraus gemacht hat, so ist [160] er in der That kein Original zu dem Porträit, das der Baron ehemals von ihm machte. Ich will indessen das beste von ihm glauben, bis auf weitere Nachricht, welche von seiner geliebten Schwester erwartet

v. S.     


XVIII. Brief.
Der Hr. v. S. an den Hrn. v. N.
Londen den 3. 4. 5. Nov.

Ehe ich noch das Creditiv von Ihnen als Dero Abgesandter an die englischen Freunde erhielt, hatte ich mich bereits, unter der Hoffnung, daß Sie es billigen würden, eigenmächtig dazu aufgeworfen. So bald Sir Carl von Shirleymanor zurück kam, entdeckte ich ihm, daß ich entschlossen wäre, England in kurzem zu verlassen, und bath mir hierzu seine Erlaubniß aus. Er ertheilte mir solche sehr ungern, und versicherte [161] mich, daß er es gerne sehen würde, wenn ich den Winter über bei ihm bleiben wollte. Ich merkte, daß er mir von Tag zu Tage gewogener schiene, vermuthlich Ihrentwegen. Ich mußte ihm versprechen, wenigstens vor Ausgang des Octobers nicht abzureisen, wozu ich auch gerne meine Einwilligung gab. Unterdessen fing ich bereits in der Mitte des abgewichenen Monats an, meine Abschiedsvisiten zugeben, und damit ich im Stande wäre, Ihnen davon einen getreuen Bericht abzustatten; so habe ich darüber ein ordentliches Tagebuch geführet, welches ich Ihnen hier mittheilen will.

Den 16 October kam ich in Selbyhausen an, um mich der kleinen Colonie der Anverwandten von der Lady Grandison, die von Grandisonhall am weitesten entfernt sind, zu empfehlen. Oncle Selby hatte nicht so bald die Ursache meiner Ankunft erfahren, so sagte er zehnmal in einem Othen: Was der Daus! und wollte nichts von meinem Abschiede wissen noch hören, seine Dame und [162] Fräulein Lucia baten mich gleichfalls recht sehr, in England zu überwintern. Fräulein Lucia sagte, sie hätte sich vorgenommen, den Winterlustbarkeiten in Londen beizuwohnen, und hätte geglaubt, ich würde sie in die Komödie und auf die Masqueraden begleiten. Ich schloß daraus, daß sie mir eben nicht abgeneigt wäre. Wenn sie nicht weiter an vierzig als an dreißig wäre, wer wüßte, ob nicht ein Paar aus uns werden könnte; ich möchte dem Herrn Grandison gern etwas näher angehen als die Christenheit. Wäre aber das nicht eine vortrefliche Partie für Sie? Wenn sie meine Tante werden könnte, so wollte ich mein halbes Vermögen unter die Armen austheilen. Ihren Charakter kennen Sie, und an ihrer Person ist nichts auszusetzen. Sie hat sich in allen Briefen an Lady Grandison nach Ihnen erkundiget, und ich mußte ihr Dero Person vom Kopf bis auf die Füße beschreiben. Sie kann sehr künstlich in Wachs poußiren und hat nach meiner Beschreibung einen Abdruck von Ihnen verfertiget, der dem Original ziemlich [163] gleich ist; ja sie hat diesem Bilde sogar einiger maßen ein Leben gegeben; man darf nur an einem Pferdehaar ziehen, so bewegt es Hand und Fuß und verdrehet auch auf eine verliebte Art die Augen. Von mir hat sie zwar auch einen Abdruck gemacht: sie hat aber lange nicht so viel Mühe darauf verwendet, als auf den Ihrigen. Ich habe meine Gedanken darüber gehabt, ohne Zweifel seufzet das gute Kind nach Ihnen. Machen Sie sie glücklich. Sie werden bei ihrem Besitz den Himmel auf Erden haben, und Ihr Ruhm wird in England auf den höchsten Gipfel steigen, wenn Sie dieses unüberwindliche Fräulein, das mehr als ein halb Schock Körbe ausgetheilet hat, besiegen. Sie schickt sich zu Ihren Jahren vollkommen, und ist für Sie weder zu jung noch zu alt. Das Fräulein, welches Sie für Ihre Henriette halten, erscheinet ohnedem nicht in dem Lichte einer Henriette Byron, da hingegen Lucia von der Lady Grandison nicht anders als der Mond von der Sonne so viele Strahlen empfangen hat, daß sie an dem [164] Firmamente der Schönen alle übrige Sterne verdunkelt.

Den 18. Oct. Heute habe im einen Mann kennen lernen, den ich zu sehen so lange vergeblich gewünschet habe. Der Oberste Greville stattete bei dem Herrn Selby einen Besuch ab. Ich entsetzte mich über das furchtbare Ansehen dieses Mannes, er kam zu Pferde. Da er im Hofe abstieg, schütterten die Fenster von dem schrecklichen Gewichte seiner Stiefeln. In dem Saale, wo sich die Gesellschaft befand, ist eine gebrochene Thür. Von ungefehr war nur die eine Hälfte eröffnet, er brach mit solcher Heftigkeit herein, daß er die andere Hälfte der Thür mit sich nahm, und das Schloß beschädigte. Er warf seinen Huth, nachdem er gegen die Gesellschaft ein Kompliment gemacht hatte, mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß das eiserne Kreuz davon absprang, und fing dergestalt an auf die Franzosen zu fluchen, daß mir Angst und bange dabei wurde. Er liegt schon seit drei Monaten an den Küsten, [165] um eine feindliche Landung zu verwehren, und ärgert sich außerordentlich, daß er seine Tapferkeit noch nicht hat zeigen können. Er sagte, die Rede gienge, sein Regiment sollte mit nach Deutschland übergesetzt werden. Ich mußte ihm deswegen Ihren Namen und Aufenthalt sagen, welches er sogleich in seine Schreibtafel eintrug, um bei seiner Ankunft in Deutschland Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich wundere mich nun nicht mehr, daß er eben so wenig als Herr Orme in seiner Stutzperucke und rothen Augen in dem Herzen einer Henriette einen Eingang gefunden hat. Zwischen ihm und dem Herrn Grandison ist kein geringerer Unterschied als zwischen Nacht und Tag. Mit Fräulein Lucien und Kätchen Holles machte er sich immer etwas zu schaffen; aber er scherzte eben nicht auf die feinste Art. Da ich es indessen einmal wagte, über einen seiner Spase, des Frauenzimmers wegen, nicht zu lachen, so gab er mir ein Gesichte, daß ich dachte, er würde den Augenblick von Leder ziehen. Einmal zog er Fräulein Lucien eine Nadel [166] aus dem Strumpfe, und da sie darüber unwillig wurde, nahm er ihr noch darzu den Knaul vom Schoße und ließ es seinem Budel einige mal apportiren. Kätchen Holles mußte auch vieles von ihm ausstehen. Er goß ein ganzes Fläschgen voll Lavendelwasser über sie her, weil sie sich über den Geruch seiner thranigten Stiefeln beschwerte. Hören sie, sagte er zu mir, was denken sie von mir, halten sie mich nicht für den unbescheidentsten Mann in England? Ich machte einen Reverenz und lächelte. Sie haben Recht, fuhr er fort, vielleicht bin ich es jetzo, besonders gegen das sogenannte schöne Geschlecht; vor diesem aber war ich es nicht, die Verzweiflung hat mich dazu gebracht, daß ich dem Frauenzimmer einen unaufhörlichen Krieg angekündiget habe. Bedauren sie mich, daß ich so unglücklich bin, kein Vergnügen in der Welt zu genießen, als dieses einzige, wenn ich das Frauenzimmer gegen mich so aufbringen kann, daß sie drohen, mich mit den Augen todt zu schlagen. Aber glauben sie wohl, daß mir eine den Gefallen erweißt [167] und über mich zornig wird? Nein, das Vergnügen kann ich nicht erleben! So ein unglücklicher Hund bin ich, und so einen abscheulichen Groll hat das Frauenzimmer jederzeit gegen mich gehabt, daß zu der Zeit, da ich wünschte, daß mir die Mädchen günstig wären; mich keine lieben wollte und jetzo, da ich wünschte, daß sie mir alle spinnefeind wären, will mich keine hassen. Fräulein Lucia und Holles lachten in der That über ihn; es schien aber, als wenn sie unter diesem angenommenen Lächeln nur ihren heimlichen Groll gegen ihn verbergen wollten. Oncle Selby, der ihm im Herzen nicht günstig ist, belachte, aus einer furchtsamen Gefälligkeit allen beleidigenden Scherz seines ungestümen Nachbars über laut. Herr Greville kann es noch bis auf diesen Tag nicht verwinden, daß ihm Sir Carl einen Arm ausgerenket hat; er ist dergestalt ausgedehnet worden, daß er eine gute Viertelelle länger ist als der andere. Wenn er aufgerichtet stehet, so kann er wie Artaxerxes Longimanus das Knie erreichen, er ist auch bei der Armee unter [168] dem Namen des Langhändigen bekannt. Wenn ich Lust gehabt hätte, Kriegesdienste anzunehmen, so würde ich unter seinem Landregimente, das in Kriegszeiten allemal beritten gemacht wird, jetzo Cornet seyn. Er both mir seine Dienste an und versprach, mit der Zeit einen braven Mann aus mir zu machen. Er wünschte nichts mehr, sagte er, als Sie kennen zu lernen, er weiß, daß Sie unter einem Eugen gefochten, und glaubt, daß Sie diesem Helden alle seine Kunstgriffe und Kriegeslisten abgelernet haben. Er vermaß sich hoch und theuer, wenn er Ihre Kriegswissenschaft besäße, so wollte er mit seinem Regimente sich nach Amerika überschiffen lassen, diesen Welttheil als ein zweiter Vespuz erobern, ihn umtaufen und nach seinem Namen nennen. Gegen Abend verließ er Selbyhausen, und nach seinem Abschiede war es daselbst so stille, als wenn ein ganzes Regiment Soldaten ausmarschiret wäre. Ich bat Fräulein Lucien, diesen Kriegsmann gleichfalls in Wachs zu poußiren, und mir damit ein Geschenke zu machen; [169] sie will ihn aber dieser Ehre nicht würdigen.

Den 19 thaten wir eine kleine Spazierfahrt nach Shirleymanor, um das prächtige Epitaphium in Augenschein zu nehmen, welches Sir Carl seiner Schwiegermutter, der selgen Frau Shirley, errichten läßt. Viele gelehrte Männer sind der Meinung, daß die vortrefliche Inscription des sinnreichen Herrn M. Lamperts von ungleich größerm Werth sey, als die künstliche Arbeit, welche man hierbei gleichsam verschwendet. Ein italiänischer Baumeister der die Anlage zu diesem ruhmvollen Denkmaale gemacht hat, und noch bis jetzo die Aufsicht über das Werk führet, nahete sich mit vieler Ehrerbietung, vielleicht aus Antrieb des Herrn Selbys zu mir, und ersuchte mich, ihm das Portrait des Herrn Verfassers der Inscription zu verschaffen; er wäre entschlossen, sagte er, die Gestalt eines Engels, der oben an die Verzierung angebracht werden sollte, darnach zu bilden. Ich war über diesen Antrag, die Gestalt [170] meines verdienstvollen Lehrers verewiget zu wissen, so gerührt, daß ich in der ersten frohen Entzückung mich beinahe übereilet, und dem Künstler seine Bitte zugestanden hätte. Da ich aber hernach etwas genauer erwog, daß das Epitaphium aus schwarzen Marmor bestund, und der gemeine Mann leichtlich aus Irrthum diese ehrwürdige Gestalt des Herrn Lamperts mit einem Mohren, oder noch mit etwas schlimmern hätte verwechseln können: so suchte ich eine Entschuldigung diese Bitte abzulehnen.

Nachdem wir in der Cederstube den Thee getrunken hatten, so schnitt der freigebige Oncle Selby einen ziemlichen Span aus der Vertäfelung dieses Zimmers aus, und verehrte mir solchen zu einem Zahnstocher. Diese Ehre wiederfähret auf Befehl Sir Carls allen Fremden, die von einer edlen Neubegierde angetrieben, dieses durch seine Geschichte so berühmt gewordene Haus besuchen, und ich fand, daß bereits ein ganzes Bret weggeschnitten war. Ehe wir wieder [171] auf den Wagen stiegen, um nach Selbyhausen zurück zu kehren, führte mich Herr Selby noch in die kleine Hauskapelle; sie wird itzo nicht gebraucht; indessen ist sie so geräumig, als eine mäßige Dorfkirche in Deutschland. Sie hat eine vortrefliche Orgel, welche Sir Carl vor einem Jahre nach Grandisonhall in sein Musikzimmer bringen, und die seinige davor in diese Capelle wollte setzen lassen; allein der Pastor, dem Shirleymanor als ein Filial zustehet, fing heftig an darwider zu schreien, und drohete, ihn öffentlich für einen Kirchenräuber zu erklären, wo er sein Vorhaben ausführen würde. Sir Carl hat der Schwachheit dieses Mannes nachgegeben, und also ist es unterblieben. Das sehenswürdigste Stück in dieser Kapelle war die Masquenkleidung der Lady Grandison, als einer arkadischen Prinzeßin, worinne sie von Sir Hargrave Pollexfen war entführet worden. Die selge Frau Shirley hat sie zum ewigen Andenken hier aufzuhängen befohlen, damit die Nachkommen bei Erblickung dieser Kleidung an die Gefahr und an die wunderbare Errettung [172] ihrer Henriette erinnert werden möchten, eben so wie man zu gleicher Absicht in Deutschland ehemals die Ordenskleider einiger aus den Klöstern entsprungenen Nonnen in den Kirchen aufbehalten hat.

Der 20 war zum Abschiede bestimmt. Oncle Selby weinte wie ein Kind, da ich anfing, mein weitläuftiges und wie ich hoffe wohl ausstudiertes Abschiedskompliment herzubeten. Er drehete sich mehr als zehnmal unter meiner Harangue auf dem Absatze herum, um seine Thränen zu verbergen, die ihm aber doch immer über die dicken Backen herab rolleten. Im Anfang wollte er zwar noch Scherz machen: verrammelte Thür und Thor, rief zum Fenster hinunter, da ich aufstund Abschied zu nehmen; da er aber hernach sahe, daß es Ernst war, wollte er sich über meine Abreise nicht zufrieden geben. Seine Dame und die Fräuleins beobachteten mehrere Anständigkeit. Ich hatte zum Unglück nur auf ein Kompliment studiret, und konnte für die Fräuleins nicht sogleich ein [173] neues erdenken; ich bewegte also nur gegen sie die Lippen und machte dazu ein Halbdutzend Reverenze. Die Fräuleins beobachteten eben dieses gegen mich und beantworteten jeden Reverenz mit einem ellentiefen Knicks. Hundert Empfehlungen wurden mir von allen und ins besondere von Fräulein Lucien an Sie aufgetragen. Herr Selby schwur, wenn er noch vor seinem Ende Sie bei sich zu bewirthen das Glück haben könnte, so wollte er mehr darauf gehen lassen, als Sir Carls Hochzeit gekostet hätte.

Den 22 ließ ich mich bei dem Lord W. melden, nachdem ich Tages vorher in Londen angelanget war. Er kam mir bis an die Treppe entgegen gefahren. Weil er als ein Erzpodagrist seine Füße nicht wohl brauchen kann: so hat er sich einen Stuhl mit kleinen Rädern verfertigen lassen, der einen Himmel, gleich einem Baldachin hat. Auf diesem Stuhle ruhet er wie ein asiatischer Prinz auf seinem Throne. Zween seiner Bedienten, denen er eine Art von Kutschgeschirre hat machen lassen, müssen ihn im ganzen Hause [174] herum fahren. Diese Erfindung hat mir so wohl gefallen, daß ich Ihnen das Model davon wünschte. Der Lord versicherte, daß er wegen dieser Bequemlichkeit seine podagrische Zufälle gar nicht mehr achtete, und nur wünschte, sich noch zwanzig Jahr dieses Fuhrwerks bedienen zu können. Er prieß sich glücklich, und erhob seinen Neveu, den Baronet, daß er ihm eine Gemahlin verschafft hätte, die ihm den Rest seines Lebens so angenehm machte, als er sich solches vorher selbst unangenehm gemacht hätte, und er gab mir den Rath, wenn ich mich einmal zu verheirathen gedächte, so sollte ich ja keinen andern als Sir Carln zu meinem Freiersmann wählen. Er eröffnete mir, mit einer Zufriedenheit über sich selbst, daß seitdem er angefangen hätte, diesen seinen Neffen als das Vorbild seiner Handlungen zu betrachten, so befänd er sich in einer recht stoischen Gemüthsruhe. Er ersuchte mich zugleich, ihm nur Nachricht zu ertheilen, wie weit es mein Herr Oncle in der Nachahmung dieses grossen Mannes gebracht hätte. Aus dem Lobe, [175] welches ihm Sir Carl oftmals selbst beileget, sagte er, muthmase ich, daß er sehr glücklich darinne ist. Bezeigen sie Ihm deswegen meine Beifreude, und muntern sie ihn auf, in seinem guten Vorhaben fortzufahren. Beim Abschiede begleitete er mich auf eben die Art wie beim Empfange auf seinem podagrischen Staatswagen mit vieler Höflichkeit über den Saal bis an die Treppe zurück.

Den 23 machte ich mich auf den Weg nach Beauchampshire und langte den 24 daselbst an. Sir Beauchamp hatte es sich gar nicht versehen, daß ich noch eine besondere Reise zu ihm thun würde, um von ihm Abschied zu nehmen und er schien darüber ganz außerordentlich vergnügt. Nach den ersten Umarmungen erkundigte er sich sogleich nach Ihnen, und fragte mich, ob Sie den Zwang noch aushalten könnten, den Sie Sich unfehlbar, um in den Wegen Sir Carls zu wandeln, anthun müßten. Ich sagte, Sie wäre vollkommen Herr über sich [176] selbst, und also käme es Ihnen nicht schwerer an, ihr Herz nach dem Herzen Sir Carls zu bilden, als alle ihre äußerlichen Umstände nach dem Geschmack dieses außerordentlichen Mannes einzurichten. Er erstaunte über ihre Standhaftigkeit, und gestund, daß die Deutschen zur Nachahmung geschickter wären als die Britten. Wenn ich, sagte er, nach dem Urtheile Sir Carls mir schmeicheln kann, ihm einigermaßen ähnlich geworden zu seyn: so muß ich zugleich gestehen, daß ich in England der einzige bin, der den Fußtapfen desselben glücklich gefolget hat. Denken Sie nicht, daß ich dieses aus Eitelkeit sage, es kann mir daher in keinerlei Absicht ein Verdienst erwachsen: ich habe nichts gethan, als wozu ich bin verbunden gewesen. Jedermann hat eine Pflicht auf sich, seine innerlichen und äußerlichen Vollkommenheiten nach Möglichkeit zu befördern: aber nur ein Sir Carl ist im Stande, diese Pflicht zu erfüllen. Es haben sich in England mehr als tausend Leute auf dem Pfad der Tugend gemacht, um den Baronet zu folgen; keiner [177] aber hat diese Laufbahn vollendet, ich selbst folge ihm nur von ferne, wie Petrus. Oder wollen sie, daß ich die unbändigen Leidenschaften der Menschen mit einem Strome vergleichen soll, über welchen man schwimmen muß, um an das Gestade der Vollkommenheit zu gelangen; so ist es an dem, daß viele, da sie Sir Carln haben landen sehen, kühn genug gleiches gewaget haben: sie sind aber alle von der Gewalt desselben schnell fortgerissen worden, und ich selbst scheine nur auf einer Sandbank zu ruhen, da hingegen Ihr Herr Oncle mit Riesenschritten diese feindseligen Wogen durchwadet und bereits einen Fuß an das Trockene gesetzet hat – – Wir unterredeten uns noch eine gute Weile über diese Materie, bis wir endlich beide nichts mehr davon zu sagen wußten, und genöthiget wurden, etwas anderes aufs Tapet zu bringen. Ob ich gleich dem Herrn Beauchamp Dero Schloß, die Einrichtung des Musikzimmers, die Bildergalerie und alle dazu gehörigen Stücke sammt und sonders über zehnmal aus den Briefen meiner Schwester [178] und des Herrn Lamperts beschrieben habe, daß ich dächte, er hätte sich längst müde daran gehört, so mußte ich ihm doch alles von neuem wieder erzählen. Er fragte ins besondere nach Ihrer Bibliothek. Ich wurde über diesen Punkt in einige Verlegenheit gesetzt, und fing an mich zu räuspern, damit ich einige Zeit gewinnen möchte, mich auf eine schickliche Antwort bey dieser Frage zu besinnen. Die Geschichte des Herrn Grandisons dient meinem Oncle statt aller Bücher, sagte ich, er hat sich zwölf Exemplare davon binden lassen, und diese erfüllen einige Schränke, er dienet damit jedermann, der dieses Hauptbuch zu lesen verlangt. Sir Beauchamp bedauerte, daß dieses vortreffliche Werk nicht gemeinnütziger gemacht, und auf eine solche Art eingerichtet würde, daß man es dem gemeinen Manne auch in die Hände spielen könnte, damit die Gesinnungen der Großmuth und der Tugend, die den Geringen im Volk kaum dem Namen noch bekannt wären allgemeiner würden, ich gab ihm Beifall. Er hat eine vortrefliche Bibliothek. [179] Die Bronzen des D. Bartletts und des Pater Marescotti geben solcher keine geringe Zierde, sie stehen gegen einander über mit offnem Munde, als wenn sie disputirten, der Pater macht ein schrecklich böses Gesichte. Die Bronze des Doctors ist von einer vortreflichen Composition, ein fehlgeschlagener Prozeß eines Goldmachers hat die Materie dazu geliefert. Sir Beauchamp führte mich aus der Bibliothek in sein Musikzimmer, und hatte die Gefälligkeit für mich, eine vortrefliche Motete abzuorgeln. Da wir aber beide alleine in dem Zimmer waren, so mußte ich mir gefallen lassen, die Stelle eines Calcanten zu vertreten. Bei unsrer Zurückkunft in das Besuchzimmer fanden wir die Lady Beauchamp daselbst, welche eben von einem Besuche, den sie bei einer ihrer Nachbarinnen abgeleget hatte, zurückkommen war. Der kleine Beauchamp mußte mir die Hand küssen. Sein Papa verlangte, ich sollte ihn examiniren, er bestund noch so ziemlich; doch konnte man es merken, daß sein Lehrmeister weder ein Lampert noch ein Bartlett war. [180] Seine Mama mit dem Finger in den Augen suchte ihre Freudenthränen über das geschickte Söhngen zu verbergen.

Den 25. Heute bekam Sir Beauchamp einen unvermutheten Gast an den Lord G. Seine Seele war von einem Wirbelwinde zerrissen, er hatte mit seiner Gemahlin Händel bekommen und war entflohen. Vor dem Richterstuhle Sir Carls darf von diesem unruhigen Paare keine Klage mehr angebracht werden, sie haben deswegen den Herrn Beauchamp zu ihrem Richter erwählet. Die muthwillige Ader Charlottens regt sich noch immer, obgleich bei andern Gelegenheiten als ehedem. Der Lord G. darf jetzo ungestraft in ihr Zimmer dringen, er darf sie auch einmal herzen, ohne eine Spötterei zu befürchten, über diese Dinge hat sie sich lange müde gescherzet; es fehlet ihr aber nicht an neuen Erfindungen, kleine Zankereien mit ihm zu unterhalten, und ihre Leichtfertigkeit ist ihm jetzo desto empfindlicher, weil sie einige Jahre so fromm wie ein Lamm gewesen [181] ist, und nur seit einiger Zeit wieder angefangen hat, ihrem Muthwillen den Zügel zu lassen. Diesmal war die Ursache ihres Zwistes diese: ihr Schoßhündgen war von einer Bremse in ihrem Zimmer erbärmlich gestochen worden, sie stellte sich über dieses Unglück ganz trostloß. Der Lord wollte sie zufrieden stellen; sie gab ihm aber Schuld, er hätte das Fenster mit Fleiß offen gelassen, damit er diesem Ungeziefer einen freien Zugang verschaffte, ihr Hündgen zu peinigen. Er schwur, daß er in Jahr und Tag nicht ein Fenster in ihrem Zimmer geöffnet hätte. Wenn sie in dem Zimmer wäre, sagte er, so sehnte er sich nicht nach dem elenden Zeitvertreib am Fenster zu gucken. Weit gefehlt, daß sie durch dieses schmeichelhafte Kompliment wäre beruhiget worden, so schalt sie ihn einen Arglistigen und einen Boßhaften, der sich ein Vergnügen machte, sie zu tücken, um sie hernach bedauern zu können. Ohngeachtet der Lord wußte, daß sie nur nach ihrer Art scherzte, durch die Länge der Zeit hat er endlich ihren Charakter ausstudiret: [182] so wollte er doch diese Beschuldigung, ob er gleich nur eine scherzhafte Beschuldigung war, nicht auf sich sitzen lassen. Er fing an sich zu rechtfertigen, sie hielt ihm Widerpart wie die Frau aus dem Gellert. Er wurde dadurch so aufgebracht, daß er mit zorniger Eilfertigkeit das Zimmer verließ, seinen Hengst zu satteln befahl und mit verhengtem Zügel nach Beauchampshire rennte, um seine Gebieterin daselbst zu verklagen. Herr Beauchamp fällete darauf das Urtheil, der Lord sollte so lange bei ihm bleiben, bis seine Gemahlin ihren Fehler erkennen und zur Strafe selbst nach Beauchampshire kommen würde, um sich mit ihm auszusöhnen. Dieses geschahe auch schon den Tag darauf am

26 October. So bald man Wind davon bekam, daß Lady G. im Anzuge begriffen wäre, bewaffnete sich der Lord mit einem steifen und ernsthaften Gesichte, er nahm die Gestalt eines erzürnten Ehemannes an, und eine Dame, die weniger Muth besessen hätte, [183] als die Lady G. würde ohne Zweifel bei dieser Amtsmine in Ohnmacht gefallen seyn. Da sie Herr Beauchamp aus dem Wagen hob, nennte sie ihn ihren Asmodi weil er ihrem Tyrannen bei sich Unterschleif gegeben hätte, und ihn mithin in seiner Boßheit verstärkte. So bald sie ihren Herrn ansichtig wurde, warf sie ihm einen solchen leichtfertigen zärtlichen Blick zu, der in einem Augenblicke, gleichsam mit einer Zaubermacht, seine Löwengestalt in einen furchtsamen Hirsch verwandelte. Er eilte hüpfend auf sie zu und druckte ihre Hand mit seinen Lippen. Nur einen Augenblick vorher rühmte er sich, wenn seine Gemahlin käme, wollte er aussehen wie Hercules, da er ausgegangen wäre, die Lernäische Schlange zu erlegen, und da sie kam, war er Hercules bei der Omphale. In dem Putzzimmer der Lady Beauchamp wurde über dieses seltsame Paar ein Ehegericht gehalten, und ich erhielt die Stelle eines Beisitzers. Beide Theile wurden nach einem kurzen Verhör versöhnet, und der Lady G. wurde auferlegt wenigstens in vier Wochen [184] nicht die geringste Leichtfertigkeit gegen ihren Herrn auszuüben, widrigenfalls sollte er befugt seyn, ein Vierteljahr lang sich von ihr von Tisch und Bette zu scheiden. Es wurde hierauf beschlossen, den folgenden Tag in Grandisonhall einen Besuch abzulegen. Weil die Gesellschaft wußte, daß ich dahin gehen würde, um von Sir Carln Abschied zu nehmen: so versprachen sie, mich dahin zu begleiten. Lady G. sagte, ich würde daselbst den Lord L. und seine Gemahlin antreffen, und nicht nöthig haben, ihnen eine besondere Visite zu Kollnebrocke, wo sie sich gemeiniglich aufhalten, abzustatten. Sie versprachen alle, bis zu meiner Abreise nach Londen bei Sir Carln zu bleiben, um diese wenigen Tage noch in meiner Gesellschaft zuzubringen. Das war für mich sehr vortheilhaft gesprochen, und ich sagte dafür das beste Danksagungskompliment, das mir der Magister Lampert jemals gelernet hat.

Den 27 trafen wir in Grandisonhall ein. Wir hatten unsere Ankunft bereits den Tag [185] vorher melden lassen. Ich schrieb einen besondern Brief an Sir Carln, und erbat mir die Erlaubniß, ihm nochmals meine Aufwartung machen zu dürfen, um ihm theils meine Danksagung für die freundschaftliche Bewirthung in seinem Hause mündlich abzustatten; theils aber auch als ein Abgeordneter meines Herrn Oncles denselben zu Fortsetzung seiner Freundschaft zu empfehlen. Ich hatte mich diesem meinen Charakter gemäß equipiret, und noch zwei Miethlaqueien angenommen. Sir Beauchamp borgte mir einige Handpferde mit prächtigen Decken, nebst zween Maulthieren, welche noch von dem Zuge, den er mit aus Italien gebracht hat, übrig sind. Ob sie gleich nur leere Körbe trugen: so machten sie doch meinem Aufzuge durch das vortrefliche Geläute, welches aus lauter silbernen Schellen bestund, und durch ihren hohen Federstutz ein vortrefliches Ansehen. Ich saß ganz alleine in des Herrn Beauchamps Staatswagen, welchen er so sehr schonet, daß er ihn seit seiner Vermählung nicht wieder gebraucht hat. Vor mir [186] befanden sich des Lord G. und des Herrn Beauchamps Kutschen, welche beide Herren die Gewogenheit hatten, nebst ihren Gemahlinnen mein Gefolge zu vergrößern. Die Maulthiere Pack- und Handpferde eröffneten den Zug, so wie eine Anzahl leerer Bagagewaagen, die noch aus dem Feldgeräthe des Urgroßvaters des Herrn Beauchamps abstammten, solchem mit einem starken Geräusche beschlossen. Auf der Gränze des Territorii Sir Carls wurde ich durch einen Ausschuß der angesehensten Unterthanen desselbigen in seinem Namen bewillkommet. Der Bürgermeister eines Fleckens der dem Baronet zugehöret, befand sich an ihrer Spitze und hielt an mich eine wohlgesetzte Rede. Er ist seiner Profeßion nach ein Balbierer und hat zugleich die Aufsicht über Sir Carls Hausapotheke. Ob er mich gleich sehr genau kennete, indem ich über ein Halbjahr sein Kundmann gewesen bin: so machte ihn doch das prächtige Ansehen, worinne er mich jetzo als einen Ambassadeur erblickte so verwirrt, daß er beim Anfang seiner Rede schon zitterte [187] und bebte und in der Mitte gar stecken blieb. Ich wurde dadurch gewarnet, mich seinem Scheermesser nicht wieder anzuvertrauen, er hätte mir aus Ehrfurcht die Kehle abschneiden können. Ich hielt aus meinem Wagen an diese Abgeordneten wieder eine kleine Gegenrede, und versicherte sie der Gnade meines Herrn Principals, und dankte für ihre Bemühung. Sie begleiteten mich hierauf mit entblößten Haupte zu beiden Seiten meines Wagens als eine Leibwache, bis in den Schloßhof zu Grandisonhall. Wir paßirten durch ein paar Dörfer, die der Gerichtsbarkeit des Baronets unterworfen sind, und er hatte befehlen lassen, daß man mir zu Ehren alle Glocken nach englischen Gebrauche läuten mußte. Dieses zog das neugierige Volk häufig herbei, jedermann wollte den Abgesandten sehen, es entstund ein solches Gedränge um meine Kutsche, daß ich einige mal halten ließ, damit nicht etwann ein Kind möchte ins Rad kommen. Unterdessen machten meine Trabanten ziemlich Platz. Einer davon that sich besonders hervor, [188] er hatte einen Reisehut, der mit einem breiten Aufschlage von Pelzwerk versehen war, da er nun aus Respect gegen mich sich nicht bedecken durfte: so brauchte er solchen als ein Gewehr, und schlug die Leute damit auf die Köpfe, wenn sie nicht Platz machten. Er erregte dadurch eine solche Furcht gegen sich, daß alles von einander flohe, so bald er nur seinen Reisehuth über den Kopf schwung, und alle Zuschauer bückten sich, nicht anders als ein Volk furchtsame Rebhüner, wenn der Stoßvogel über ihnen schwebt. Sie können sich mein Vergnügen nicht lebhaft genug vorstellen, welches ich empfand, da jedermanns Auge auf mich gerichtet war, ich war nicht wenig stolz darauf. Wer weiß, ob ein Spanischer Abgesandter, der seinen öffentlichen Einzug in Londen hält, sich so viel darauf zu gute thut, wenn man, um ihn zu sehen, Fenster miethet, als ich bei meinem feierlichen Einzuge in Grandisonhall. So viel ist gewiß, daß der stolze Michel, wenn ihm sein Vorhaben Herzog zu werden gelungen wäre, in seinem Staatswagen sich nicht [189] ärger hätte blähen können als ich es that. Einige Leute haben aus meiner nachdenklichen Mine schlüßen wollen, ich müßte Dinge von der größten Wichtigkeit bei dem Herrn Grandison anzubringen haben, und ein Gastwirth hat meine Leute den Tag darauf, da sie zu Biere gegangen waren, durchaus bezechen wollen, um von ihnen das Geheimniß herauszulocken. Man begnügte sich nicht, mich ans Ende des Dorfs zu begleiten, das Volk folgte meinem Wagen von einem Dorfe bis zum andern, und alle Augenblicke sahe ich die Menge gleich einem fortgewälzten Schneeball vergrößert. Wie eine wilde Fluth, die den Damm durchbricht mit einem furchtbaren Getöse daher rauscht und alles, was ihr vorkommt, mit sich fortreißt: so verschlang auch diese Woge des neugierigen Volks alle Wandrer in sich, die ihr unterweges aufstießen. Halten sie mir diese Ausschweifung zu gute, hier regt sich meine poetische Ader, und meine Gedanken bekommen wider Willen einen Schwung. Es stehet nicht in meiner Macht, solches zu verhindern, [190] die Erinnerung dieses glänzenden Auftritts bringet alle meine Lebensgeister in Bewegung, und in dieser Begeisterung schwingen sich meine Gedanken so kühn wie mein Ausdruck empor. Die Fußtapfen des Volkes gingen alle nach Grandisonhall zu und keine gieng rückwärts eben wie bei der Höle des Löwens in der Fabel. Ich dachte es würde meinem Herrn Principal sehr rühmlich seyn, und mich in den Augen der Unterthanen Sir Carls in einem noch glänzendern Lichte vorstellen, wenn ich den guten Leuten, die meinem Wegen nachzufolgen sich die Mühe nahmen, etwas zum besten gäbe. Mein Heinrich mußte deswegen alle Scheidemünze, die er bei sich hatte, und die sich ungefehr auf zwei Guineen belief, unter das Volk auswerfen; ich gab ihm aber zugleich die Lehre, solches auf eine anständige Art zu thun, und nicht mit einem bäuerischen Wesen Fäuste voll wegzuschmeißen, wie man eine Familie heishungriger Hüner füttert. Er befolgte meinem Befehl genau, und streuete alle funfzig Schritte nur eine Prise davon [191] aus; ich sahe aber mit Verdruß, daß meine Absicht doch nicht völlig erreicht wurde: der Mann mit seinen Reisehute wußte das Geld so künstlich damit aufzufangen, daß nur dann und wann ein Sechser fehl ging und die Erde erreichte. Weil ihn jedermann fürchtete, so wagte es niemand sich zu dem Ausspänder meine Freigebigkeit zu nahen, um etwas zu erhaschen. In dem Schloßhofe zu Grandisonhall paradirte die Kompagnie, welche Sir Carl zum Dienste seines Vaterlandes als ein wahrer Patriot auf seine Kosten angeworben hat. Ich hatte die Ehre mit klingendem Spiel und fliegender Fahne empfangen zu werden, die Officiers salutirten mich mit dem Esponton. Sir Carl empfing mich meinem Charakter gemäß und überhäufte mich Ihrentwegen mit Ehre. Doctor Bartlett vertrat die Stelle eines Ceremonienmeisters. Ich brachte mein Wort, unter der vortreflichsten Versammlung, die man finden kann, bei dem Baronet an, er erkundigte sich, ob Sie noch wohl auf wären, und gab mir die Versicherung, [192] daß er sich ein wahres Vergnügen daraus machen würde, Ihnen bei jeder Gelegenheit Beweise seiner Freundschaft zu geben. Lady Grandison, Lord L. und seine Gemahlin, empfingen mich gleichfalls mit vieler Hochachtung. Wir gingen hierauf zur Tafel; sie war so prächtig, daß man einen König daran hätte bewirthen können. Alexanders Gastmahl wurde dabei in dem Musikzimmer, welches an den Speisesaal stößet, aufgeführet. Sir Carl brachte Ihre Gesundheit unter Trompeten und Pauckenschall aus, dieses war gleichsam ein Intermezzo zu dem Singestücke. Es wurden hierbei einige kleine Canonen dreimal hintereinander abgefeuert und die Militz gab zugleich eine Salve aus dem kleinen Gewehr. So oft Ihre Gesundheit nachgeholet wurde, so oft wurden auch die Salven wiederholet; weiter aber wurde keine ausgebracht. Der Baronet hat als im weiser Mann sich, wie es scheint, eine Regel gemacht, nie etwas zu thun, daraus nicht einiger Nutzen entstehet, nach diesem Gesetze läßt er, wie Sie wissen, [193] seinen Pferden die Schwänze nicht stutzen, und nach eben diesem Gesetze ließ er auch seinen Leuten nicht mehr Salven geben als nöthig war, Ihnen eine Ehre zu erweisen, und sie zu gleicher Zeit im Feuern zu üben. Lady G. wagre es, ihres Bruders Gesundheit zu trinken, und wollte durchaus haben, daß dazu sollte gefeuert werden: der Baronet sagte ihr aber, man wäre aus Liebe gegen das Vaterland verbunden, ohne Noth nichts dazu beizutragen, daß der Preis des Pulvers gesteigert würde, und damit mußte sie sich beruhigen. Mich dünkt, das war von diesem großen Manne sehr vortreflich gedacht. Am Rande dieses Tages, welcher einem so glänzenden Vergnügen gewidmet war, zeigte sich noch eine kleine Wolke, die aber bald vorüber gieng. Nach der Tafel mußte die Militz ihre Manoeuvres machen. Jeder that sein Bestes, den Beifall der Zuschauer zu verdienen. Sie waren ziemlich fertig in den Handgriffen, jedoch da sie das Gewehr verkehrt schuldern sollten, versahe es einer, und schlug seinen Cameraden dergestalt mit [194] der Flintenkolbe vor den Kopf, daß er zu Boden sank. Die Bestürzung über diesen Zufall war allgemein, es fehlte nicht viel, daß Lady Grandison in Ohnmacht gefallen wäre. Wer nur ein Schwammbüchsgen bei sich trug, der holte es heraus und roch daran, um die durch das Schrecken verjagten Lebensgeister, wieder zurück zu rufen. Zum Glück war der Chirurgus noch bei der Hand, welcher sogleich aus Sir Carls Hausapotheke mehr als zehn Büchsen herbeiholete, aus welchen er den Verunglückten so lange salbte, bis er wieder zu sich selber kam. Sir Carl läßt ihn wegen dieses Unfalls, worzu er die Veranlassung glaubt gegeben zu haben, auf seine Lebzeit täglich eine Kanne Bier und eine Zeile Semmeln reichen.

Den 28. Heute hatten wir den artigsten Zeitvertreib, den man erdenken kann. Herr Grandison unterscheidet sich von dem größten Theile des englischen Adels dadurch, daß er keine von den Lustbarkeit, die man in den meisten adelichen Häusern für unentbehrlich [195] hält, in seinem Hause gestattet. Ehedem war er kein Feind von den so genannten unschuldigen Ergötzlichkeiten, man machte in seinem Hause ein Spiel, man sahe dann und wann ein Hahnengefechte, er gestattete auch ein Pferderennen, wiewohl er daran nie einen Gefallen hatte: allein seit einiger Zeit hat er dem ersten ganz und gar entsaget, seine besten Streithähne sind geschlachtet und verzehret, und das Wettrennen hat er schon seit einigen Jahren verschworen. Es darf keine Karte mehr in sein Haus kommen. Der Doctor Bartlett fand ehemals ein großes Vergnügen am Lombre, Sie wissen aus der Geschichte Sir Carls, daß der Doctorn gern spielet; allein er war einmal unglücklich, und verlohr an die Lady G. seine ganze Jahrbesoldung, welche ihm aber den Tag darauf das Geld großmüthig zurück gab. Von dieser Zeit an hat er dem Baronet das Spiel zuwider gemacht, und es wird in ganz Grandisonhall nunmehro für einen Zeitverderb gehalten. Hingegen wird das Tanzen gestattet: weil es zur Ermunterung des Gemüths [196] und zur Bewegung des Leibes dienet. Da der Doctor nicht mehr spielet, so hat er auf Bitte der Lady G. noch in seinen alten Tagen müssen tanzen lernen, er tanzt nur eine Menuet, aber mit einem recht guten Ansehen. Musik hört man in Sir Carls Hause alle Tage; jedoch da diese beiden Ergötzlichkeiten zu wenig sind, eine Gesellschaft zu unterhalten: so hat Sir Carl auch für eine vielfältigere Abwechselung des Vergnügens seiner Gäste gesorgt. Wir brachten dismal den Tag folgendergestalt hin. Vormittage beim Thee wurde die Londener Zeitung zugleich mit herum gegeben, man erzählte daraus die beträchtlichsten Umstände der ganzen Gesellschaft: denn das Frauenzimmer ließ die Zeitungsblätter für sich vorbeigehen. Der Hauptinnhalt unsres Gesprächs betraf ein reichbeladenes englisches Schiff, welches in einem französischen Hafen war aufgebracht worden. Sir Carl erzählte diesen Unglücksfall, und beklagte als ein Patriot den Verlust, den die Eigenthümer des Schiffs und des Vaterlandes dadurch erlitten hätten. Lord [197] L. der dem Baronet in den patriotischen Gesinnungen gleich kommen, wo nicht gar ihn übertreffen will, verwarf diese Nachricht, weil sie etwas nachtheiliges für das Vaterland enthielt, als eine Erdichtung. Lord G. fand in seinem Blatte wenige Zeit hernach aus Deutschland einen Artikel, daß es zwischen den Vortruppen der Alliirten und Franzosen etwas gesetzt habe, daß sich jene in etwas zurücke ziehen müssen, und ein Regiment Bergschotten dabei vieles gelitten hätte. Das ist abermals, sagte der Lord L. eine boßhafte Unwahrheit, man sieht es augenscheinlich, daß dem Zeitungsschreiber von Frankreich aus die Hände sind versilbert worden, man sollte ihm den Prozeß machen. Die Bergschotten sind nicht gewohnt, fügte er hinzu, die Hände in die Tasche zu stecken, wenn sie gegen den Feind geführet werden. Lord G. wollte ihn widerlegen und gab sich viele Mühe ihm begreiflich zu machen, daß, ungeachtet der Tapferkeit seine Landsleute, es doch wohl möglich wäre, daß sie einmal der Menge gewichen wären; er war aber [198] nicht zu bekehren, und wurde so eifrig, daß er den Lord G. der wider seine Neigung in der Hitze die französische Partei nahm, des Hochverraths würde beschuldiget haben, wenn Sir Carl nicht durch sein Ansehen die Sache noch zu rechter Zeit beigeleget hätte. Die Tafel war diesmal auf den ordentlichen Fuß eingerichtet, das ist, Sir Carls Lektor bestieg den kleinen Catheder in dem Speisesaale und las uns einige Stellen aus den kernhaftesten englischen Schriftstellern vor. Er ersetzte also die Stelle der Concertisten, die uns den Tag zuvor mit einer prächtigen Tafelmusik unterhalten hatten. Bei den ersten Gerichten, da die Zuhörer ihre Gedanken auf die Schüssel gerichtet hatten, würde eine trockene moralische Abhandlung keine Aufmerksamkeit verdienet haben, Sir Carl hatte deswegen die Verfügung gemacht, daß zuerst etwas munteres mußte vorgelesen werden, wir bekamen etwas aus Swifts Mährgen von der Tonne zu hören. Nach dem ersten Anbiß schlug Sir Carl mit der Gabel auf den Tisch, sogleich ergriff der Vorleser ein [199] andres Buch, es handelte von den Feldzügen der Engländer in Frankreich und mich dünkt, die damalige Lection begriff den Zeitpunct, welchen das Mädchen von Orleans berühmt machte. Eine vortrefliche Pastete brachte mich um den größten Theil dieser historischen Vorlesung. Bei der letzten Tracht, die meistens in Schaugerichten bestund, wurde, weil der Magen nunmehro befriediget war, für den Verstand am meisten gesorgt. Der Baronet gab wieder ein Zeichen mit der Gabel, und eine von den schönsten Stellen aus dem Milton, welche Herr Grandison selbst zu erläutern und aufzuklären sich die Mühe gab, machte den Beschluß. Das Frauenzimmer verließ hernach nach Englischer Mode die Tafel, um in dem Nebenzimmer den Thee zu trinken, da unterdessen die Tafel für die Herren von neuem mit Bouteillen besetzt wurde. Alle Arten von Weinen aus des Baronets Keller wurden ausgeprobt. Er eröffnete der Gesellschaft, daß er entschlossen wäre, heute die gewöhnlichen Preiße auszutheilen, die er jährlich den fleißigsten seiner [200] Unterthanen, und die sich vor andern besonders hervor thun, zu verehren pfleget, und ersuchte uns auf eine höchst verbindliche Art, ihm hierbei mit an die Hand zu gehen. Wir verfügten uns in den untern großen Saal, welcher mit allerlei Hausgeräthe, Kleidungsstücken und andern Nothwendigkeiten, nicht anders als ein Kaufmannsladen ausgezieret war. Herr Bartlett, des Baronets Secretär, ein Vetter des Doctors, überreichte Sir Carln das Verzeichniß derer Personen, welche sich der Preiße würdig gemacht hatten. Die Austheilung geschahe folgendergestalt:

1.) Thomas Mumford, Doctor Bartletts Schulmeister, erhielt für sich eine Baßgeige, und für seine Frau einen Muff: weil dieses Paar unter allen Unterthanen Sir Carls die Welt am meisten vermehret hatte. Die Frau Schulmeisterin war in Jahresfrist zweimal mit Zwillingen niedergekommen, und alle vier Kinder waren noch am Leben.

[201] 2.) Marmaduck Stephenson, einer von Sir Carls Pachtern, welcher in diesem Jahre die meisten Hamster gegraben, und auch die meisten Maulwürfe erlegt hatte, erhielt eine sauber geschnittene Flasche mit Silber beschlagen, welche mit dem besten Brandeweine gefüllet war.

3.) William Ameß, ein gewissenhafter Schneider, der am wenigsten in die Hölle geworfen, und deswegen die meiste Arbeit bekommen hatte, erhielt ein neues Bügeleisen nebst einem stählernen Fingerhut.

4.) Anna Burdens, eine bejahrte Frau, welche die meisten Eier zu Markte geschickt hatte, wurde dafür mit einer Brille und einer Würzschachtel begabt, und dadurch zur ferneren fleißigen Abwartung ihres Berufs aufgemuntert.

5.) Samuel Sattock, ein Weinschenke, der in Sir Carls Gebiete den meisten Wein ausgeschenket hatte, vielleicht weil er ihn am wenigsten verfälschte, wurde für seine [202] Ehrlichkeit mit einem blechernen Trichter und einem neuen Zählbrete belohnet.

6.) Maria Fischers, die im Rufe war, daß sie ein Geheimniß besäß, in der ganzen Provinz die schmackhafteste Butter zu verfertigen, bekam, ob gleich ihre Butter von ihren Nachbarinnen für Hexenbutter ausgeschrien wurde, ein halb Dutzend Muskatennüsse und ein blechernes Reibeisen.

7) Johann Higgins, ein Töpfer, der auf seine Schüsseln und Teller sehr künstliche Reime zu setzen pfleget, und auf allen Jahrmärkten deswegen großen Abgang seiner Waare hat, wurde von Sir Carln zum Poeten gekrönet, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt: daß er dieser Ehre sogleich wieder sollte verlustig seyn, wo er seine Verse an einem andern Orte, als auf seinen Schüsseln anbrächte. Es wurde ihm zugleich ein großer Bierkrug mit einem zinnernen Beschläge zu seiner Hippokrene angewiesen und verehret.

[203] 8.) John Huberthorn, einer von des Baronets Forstbedienten, der einen Stahr, eine Amsel und einen Lübich so abgerichtet hatte, daß sie zusammen ein Trio pfeifen, bekam ein künstliches Weidemesser, nebst der Anwartschaft auf eine bessere Bedienung.

9.) Für einen berühmten Kalendermacher in Londen wurde der Globus bestimmt, den der Hauptmann Salmonet und Major Ohara bewundert haben. Es gehöret dieser Mann zwar nicht zu den Unterthanen Sir Carls: dieser glaubt aber, daß er eines Preißes dem ungeachtet würdig sey. Alle Hauswirthe in des Baronets Herrschaften haben nach ihrem einmüthigen Geständniß dieses Jahr den größten Nutzen von diesem Manne gehabt: Sein Wetterprognosticon ist auf ein Haar eingetroffen, und mithin haben sie sich mit ihrer Arbeit vollkommen nach der Vorschrift des Kalenders richten können. Der Lord L. gelobte diesem Ehrenmanne über das Geschenke des Baronets noch ein vortreffliches Sehrohr, welches er [204] besitzt: weil dieser Astronom mit der Sternseherkunst die in unsern Tagen so seltne Wissenschaft eines Astrologen verbindet, und aus der Constellation der Gestirne eine Prophezeihung von Krieg und Frieden an den diesjährigen Kalender hat drucken lassen, die bis auf den heutigen Tag sehr pünktlich eingetroffen ist.

10.) Ein gewisser Mann, der einmal hatte erzählen hören, daß Ludwig der Große an einem Galatage in einem Kleide von Spinnweben erschienen wäre, hatte durch langwierige Versuche es dahin zu bringen sich bemühet, diesem zarten Gewebe eine Festigkeit zu geben, um es wie Seide zu spinnen und zu verarbeiten, zu dem Ende hatte er viele Jahre lang die Wohnungen der Spinnen vergeblich zerstöret, und dieses unglückliche Geschlechte beinahe aus dem Gebiete des Baronets vertrieben. Endlich schien es ihm gelungen zu seyn, seine Absicht einigermaßen zu erreichen; er drang mit einem großen Geräusche durch die Menge von Leuten, [205] welche die Mildthätigkeit des Baronets, theils als Zuschauer, theils als würdige Besitznehmer seiner Wohlthaten, herbeigezogen hatte. Er wurde eingelassen und forderte einen Preis für seine Erfindung; da er zugleich die erste Zaspel seines Gespinnstes überreichte. Sir Grandison war geneigt, ihn solchem nach einer genauen Untersuchung zu ertheilen, er bekam eine ansehnliche Pelzperucke, um seinen Kopf für der Kälte des herannahenden Winters zu schützen, damit er zu mehrern dergleichen nützlichen Erfindungen geschickt bliebe.

Wenn würde ich fertig werden, alle die großmüthigen Geschenke, welche der Baronet allen und jeden machte, die Beweise ihres Fleißes oder ihrer sinnreichen Erfindungen aufstellen konnten, der Länge nach zu erzählen? Ich habe Ihnen hier nur einen kleinen Abriß von dem Eifer desselben gemacht, das Gute und Nützliche auf alle nur ersinnliche Art zu befördern. Die ganze Gesellschaft fand bei der Austheilung dieser Preiße [206] das vollkommenste Vergnügen. Oft setzte es einen kleinen Streit über die Wahl derselben; doch überhaupt muß man gestehen, daß die Belohnungen mit denen Personen, welche sie erhielten, immer ein ziemlich genaues Verhältniß hatten. Lady G. beschäftigte sich nach ihrer Leichtsinnigkeit über alle, die in das Zimmer traten, um einen Preis zu bekommen, Anmerkungen zu machen. Sie betrafen meistens die seltsamen Reverenze, die Lobreden derer auf Sir Carln, welche Preiße erhielten, ihren Gang und ihre Minen. Mir gefielen sie meistens, obgleich Sir Carl die wenigsten, weil sie alle sehr muthwillig waren, belachen wollte. Wenn Niemand ihr zu Gefallen lachte, so sahe sie nur ihren Herrn an, welcher aus einer schmeichelhaften Gefälligkeit sogleich bereit war, durch sein überlautes Gelächter ihren Scherz bei Ehren zu erhalten. Nach gethaner Arbeit, sagte der Baronet, ist gut feiern, wir begaben uns gegen sieben Uhr des Abends wieder in den Speisesaal und hernach wurde bis gegen Mitternacht getanzet. [207] Der Doctor eröffnete den Ball mit Sir Beauchamps Gemahlin, er würde auch ohne Zweifel bis auf den letzten Mann ausgehalten haben, wenn ihn nicht ein kleiner Zufall davon abgehalten hätte. Er wollte zu sehr bewundert seyn, und machte in einer Menuet eine so künstliche Wendung auf einem Fuße, daß er ihn darüber verstauchte. Der Baronet war aber so sorgfältig und ließ durch zween handfeste Bedienten, ungeachtet des Schreiens des guten Mannes, den verstauchten Fuß so lange ziehen bis er glücklich wieder eingerichtet war. Ich denke, der Doctor wird sobald nicht wieder tanzen.

Den 29. Abermal ein neues Vergnügen! Herr Grandison ist in Erfindungen, seine Gäste zu belustigen, unerschöpflich. Es scheint, daß er allen seinen Verstand angewendet hat, um mich noch zu guter letzt auf eine Art zu unterhalten, die fähig ist, von dem Vergnügen in Grandisonhall, mir einen solchen Eindruck zu machen, daß ich abwesend oftmals daran zurück denken soll. Er hat heute seinen Welschen [208] Thurm, der zu einer Sternwarte bestimmt ist, eingeweihet. Das ist ein sehr sehenswürdiges Stück; ob er gleich nicht nach dem ersten Entwurf des Baumeisters ist aufgeführet worden. Dieser Mann hatte den Einfall, ihn in Gestalt eines Sehrohrs aufzuführen, man sollte ihn auch nach Belieben vergrößern und verkleinern können, er wollte zu dem Ende ein Stockwerk in das andere verbergen, nicht anders als ein Perspectiv, das man ausziehen und auch wieder zusammen schieben und ins kleine bringen kann; Sir Carl aber, der nicht alleine künstlich, sondern auch dauerhaft bauen wollte, hat diesen Vorschlag verworfen und es bei dem alten gelassen. Demohngeachtet ist dieses Gebäude prächtig und kunstreich. Der Knopf wurde unter Trompeten und Pauckenschall hinaufgezogen, er ist so groß, daß er zu einer Vorrathskammer könnte gebraucht werden. Der Baronet will mit seinen besten Sachen darauf flüchten, und sich daselbst verstecken, wenn etwann bei jetzigen Kriegszeiten ein feindlicher Einfall geschehen sollte. [209] Er ersuchte mich, den Herrn Magister Lampert zu bitten, nebst einem Verzeichnisse von allerlei Merkwürdigkeiten zu verfertigen, um beides wie gewöhnlich in dem Knopfe dieses Thurms für die Nachkommen aufzubehalten. Sir Carl hatte zwar im Anfang dem Doctor diesen Auftrag gethan: er entschuldigte sich aber und schlug seinen Freund den Magister Lampert dazu vor, welcher Vorschlag auch sogleich gebilliget wurde. Wegen der vortreflichen Aussicht speisten wir dismal auf der Sternwarte. Die Speisen wurden mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, vermöge einer besondern Maschine, aus der Küche hinaufgezogen, daß also die Bedienten keine Beschwerung davon haben, wenn es ihrem Herrn beliebt, auf dem Thurme zu speisen. Wir ließen es uns allen auf dem Welschen Thurme recht wohl schmecken; ich glaube daß die reine Luft, welche man oben empfand, vieles dazu beitrug. Weil man nicht so viele Erddünste verschlucken durfte als in den untern Zimmern: so konnte man desto mehr Speise genüßen. Ich konnte mich nicht gnug [210] darüber verwundern, daß alle Gerichte zum Fenster hinein gebracht wurden, und auf eben diese Art trug man sie auch wieder ab, die leeren Buteillen flogen zum Fenster hinaus, und einige Augenblicke hernach erschienen sie wieder gefüllt. Es kam mir nicht anders vor als wenn ich mich in dem Zauberpallaste befänd, von welchen ich ehemals fast eben dergleichen Wunderdinge gelesen habe. Ein irrender Wandrer, erzählt man, lagerte sich, da ihm die Nacht in einem Walde übereilte, unter einen Baum, um den Tag daselbst zu erwarten. Er wunderte sich ungemein, daß er in einer kleinen Entfernung ein vortrefliches Schloß mit hohen Thürmen erblickte, welches er vorhero nicht bemerket hatte. Erfreut über diesen unerwarteten Anblick, nahm er sein abgeladenes Bündel wieder auf den Rücken und seinen Stab in die Hand, und eilte darauf zu, um in solchem eine bequemere Herberge zu finden. Er war nicht so bald an das Thor gelanget, als sich solches öffnete, er ging mit einer demüthigen Stellung hinein, um sich bei den Bewohnern desselben eine [211] Nachtherberge zu erbitten: allein wie erstaunte er nicht, da er keine lebendige Seele darinne antraf. Es lief ihm ein kalter Schauer nach dem andern über die Haut, endlich faßte er doch einen Muth und nahm das beste Zimmer, welches mit den herrlichsten Meubles versehen war, und von einer großen Menge Wachslichtern erleuchtet wurde, für sich ein. Wie glücklich wäre man hier, sagte er zu sich selber, wenn man in einem so prächtigen Pallaste auch eine gute Mahlzeit zu erwarten hätte. Er hatte dieses kaum gesagt, so öffnete sich das Fenster und eine Menge vortreflich zugerichteter Speisen kamen in eben dem Augenblicke durch solches, gleichsam auf den Flügeln des Windes getragen, zu ihm hinein. Er nahm dieses für eine Einladung zum Genuß derselben an, setzte sich an eine Tafel und ließ es sich wohl schmecken. Nachdem er die besten Weine versucht und sich mit dem schmackhaftesten Leckerbißlein gesättiget hatte, erhob sich alles wieder zum Fenster hinaus und verschwand. Ich dachte in der That auf der Sternwarte Sir Carls mehr [212] als einmal an diesen Wandrer und freuete mich, daß ich beinahe ein gleiches Wunderwerk gesehen hatte. Nach der Tafel ließ das Glockenspiel zum ersten male die vollkommenste Uebereinstimmung seiner Silberthöne hören. Bei der Melodie einer italiäschen Arie sang Sir Carl den Text dazu mit einer sehr anmuthigen Stimme und vieler Geschicklichkeit ab. Nachdem Tische und Stühle aus der astronomischen Wohnung waren weggebracht worden, hatte ich die Ehre, Lady Grandison zum Tanze aufzuziehen. Dieses ist das erste mal, daß ich nach dem Klange der Glocken getanzet habe. Um nicht eine Treppe von drei hundert Stufen abzusteigen, fuhr die ganze Gesellschaft eins nach dem andern, vermittelst der Maschine, durch welche die Speisen waren heraufgezogen worden, unter Trompeten und Pauckenschall von dem Thurme herab. Da ich dieses Luftschiff bestieg, gedachte ich an die Wunderkiste mit welcher ein morgenländischer Kauffmann, welcher den Mahomed vorstellen wollte, in den stählernen Pallast schiffte, worinne [213] ein alter argwöhnischer König seine schöne Tochter verschloß. Ich wünschte, daß diese, worinn ich mich befand, eben so beschaffen seyn möchte, ich hätte sie dem Baronet gewiß entführt, und wer weiß, an was für einem guten Orte ich mich jetzo befänd. Dieser Tag endigte sich also mit allgemeinen Vergnügen; ich konnte aber nicht ohne Grauen an den folgenden gedenken, den ich zum Abschiedstage bestimmt hatte. So wie ein armer Päbstler, der sich mitten im Genuß der Güter dieses Lebens zur Abreise in jene Welt anschicken muß, mit Schrecken dem Feuermeere des Fegefeuers entgegen siehet, auf welchem er Jahrhunderte hindurch herumschiffen soll: so sahe ich mit bestürztem Auge dem Tage entgegen, welcher mich des Vergnügens in dem glänzenden Grandisonhall berauben und aus der Gesellschaft tugendhafter Weisen in das Geräusche der Welt zurück bringen sollte – –. Abermals ein poetisches Bild! Der Abschied in Grandisonhall hat einen solchen Eindruck bei mir [214] gemacht, daß mein Gemüthe noch voll Bewegung ist.

Den 30 Octobr. Erwarten Sie nicht von mir, hochgeschätzter Herr Oncle, einen vollständigen Bericht der Begebenheiten dieses merkwürdigen Tages, mein Gemüthe würde nicht stark genug seyn, eine lebhafte Vorstellung der zärtlichen Trennung von so vielen verehrungswürdigen Freunden noch einmal zu ertragen. Gnug, am 30 October verließ ich unsern gemeinschaftlichen Gönner. Meinem Charakter, als einem Abgesandten von Ihnen, gemäß, erhielt ich eine öffentliche Abschiedsaudienz. Die ganze Gesellschaft hatte das Gesichte in weiße Schnupftücher versteckt, welche seit der Trauer um die selige Frau Shirley nicht waren gebraucht worden, um bei meiner beweglichen Abschiedsrede die Thränen damit aufzufangen. Sir Carl und seine würdige Gemahlin befahlen mir an Sie tausend Komplimente, und baten sich sehr angelegentlich die Unterhaltung eines Briefwechsels mit Ihnen aus. Der [215] Doctor Bartlett versicherte, daß ihm nichts angenehmer seyn würde, als wenn er sich mit Ihnen durch den Mund seines Freundes, des weisen Herrn Magister Lamperts, unterreden, und Sie von der Hochachtung seines Gönners schriftlich versichern dürfte. Er brachte zugleich feine Dinge von der nutzbaren Erfindung des Schreibens vor, und rühmte die Vortheile der Neuern, die sie in dieser Kunst über die Alten erlangt hätten. Diese, sagte er, hätten sich mit Baumrinde, Eselshaut und Wachstäfelgen behelfen müssen: da hingegen die edle Schreiberei ein weit besseres Ansehen erhalten hätte, seitdem das Pappier wäre erfunden worden, und die Gänse uns ihre Kielen zu den nöthigsten Werkzeugen dieser Kunst geliehen hätten. Die ganze Grandisonische Familie segnete mich und Sie zugleich in meine Seele. Lady G. warf mir noch, da ich auf den Wagen stieg, einen sanften Kuß zu, um Ihnen solchen zu übersenden; allein solche Kleinigkeiten lassen sich nicht wohl einpacken, ich habe solchen also alleine genossen. Lady Beauchamp sahe [216] aus, als wenn sie den Schnuppen bekommen hätte, so dicke rothe Augen hatte sie sich geweint. Alle Herren umarmten mich, und die Ladys winkten mir Abschiedsküsse zu. Meine Ohren gellen noch von dem Lebewohl, welches mir aus verschiedenen Tönen akordweise nachgerufen wurde. Ich glaubte, mein Gemüthe würde in etwas wieder aufgemuntert werden, wenn sich in den Dörfern, in welchen ich vor wenig Tagen bei meiner Herreise nach Grandisonhall einen solchen Aufstand erreget hatte, wiederum ein Haufen Volk, mich zu sehen, um meinen Wagen versammlen würde; ich hatte zwar jetzo nicht das ansehnliche Gefolge bey mir: ich machte aber doch noch eine ganz ansehnliche Figur. Allein dismal erfuhr ich, daß nichts unbeständiger als der Pöbel. Obgleich in Sir Carls Dörfern mir zu Ehren alle Glocken geläutet wurden, und das Glockenspiel in Grandisonhall die beweglichsten Melodien hinter mir her spielte; ungeachtet ich auch meinen Postillion aus allen Kräften blasen ließ: so wollte doch Niemand zum Vorschein kommen, [217] der mich zu sehen verlangte, einige Bauern ausgenommen, die das Fenster halb aufschoben, und mit ihrem spitzigen abgegriffenen Hüten mir unter das Gesichte guckten, ohne daß einer so höflich gewesen wäre, seinen Deckel abzunehmen, oder seine Tobackspfeife zu verstecken, wenn ich vor seinem Hause vorüber zog.

Den 31. traf ich wieder in Londen in meinem ordentlichen Quartiere ein. Ich machte dem ehrlichen Herrn Nerves meinen Abschiedsbesuch und hernach ließ ich mich auch noch zum Vetter Eberhard bringen. Seine runde dicke gebietherische Frau empfing mich mit einer mittelmäßigen Höflichkeit und er erschien einige Zeit hernach im Schlafrocke. Seine Gebieterin schließt ihm, wie man sagt, oftmals die Kleider ein, und macht ihn auf diese Art zum Arrestanten, damit er ihr nicht unversehens entwischt, und sie ihn hernach auf einem Coffeehause auslösen muß. Er schien sehr bestürzt über meinen unerwarteten Besuch und glaubte vielleicht, ich wäre kommen, [218] meine zwanzig Guineen wieder abzuholen. Es war dieses auch allerdings ein Bewegungsgrund bei mir, ihn zu besuchen. Ich dachte, er sollte sich selbst seiner Schuld erinnern, und mir solche abtragen: an dessen Statt aber fing er an lateinisch zu reden, damit es seine Frau nicht verstehen sollte. So viel ich einsehen konnte, wollte er mich ersuchen, mich nichts gegen sie merken zu lassen, daß er mein Schuldner wäre; er gab mir aber seine Meinung so undeutlich und stammlend zu verstehen, daß ich nur rathen mußte, was er ungefehr haben wollte; das Latein stund ihm gar nicht zu Gebote. Ich versicherte ihn in eben dieser Sprache, daß ich mir eine Ehre daraus machte, ihn in meinem Schuldregister zu finden, er könnte mir das Geld abtragen, wenn es ihm am bequemsten wäre, ich würde ihn disfalls nie bei seiner Liebste verklagen. Die Absicht meines Besuchs wäre auch nicht, ihn an meinen Vorschuß zu erinnern, sondern nur von ihm Abschied zu nehmen, weil ich gesonnen wäre, in wenig Tagen England zu verlassen. Er [219] stellte sich sehr betrübt an, daß er mich, wie er sagte, als seinen besten Freund verlieren sollte: ich konnte es ihm aber ansehen, daß er über meine Abreise sich heimlich sehr erfreute: weil mir dadurch die Gelegenheit abgeschnitten wurde, ihn öfters zu mahnen. Er wollte durchaus noch nicht völlig von mir Abschied nehmen, und versprach noch einmal selbsten in meinem Quartiere mich zu besuchen: seine Frau benahm ihm aber alle Hoffnung, sein Versprechen zu erfüllen. So gesund er auch aussahe, so schützte sie doch eine Unpäßlichkeit vor, sie würde nicht zugeben, sagte sie, daß er sobald an die Luft ginge, damit er nicht wieder ein Recitiv bekäme. Ohne Zweifel hat er etwas großes verbrochen, daß sie ihn mit einen so langen Arreste bestraft. Ich werde nun wohl die zwanzig Guineen aus Bein streichen müssen.

Vorgestern erhielt ich das Schreiben von Ihnen, Hochgeehrtester Herr Oncle, und erfreute mich nicht wenig, daß ich durch eine glückliche Ahndung das bereits erfüllet hatte, [220] was Sie mir auftrugen. Ich schreibe von hieraus noch einmal nach Grandisonhall und werde nach Ihren Befehl den Doktor Bartlett ersuchen, für Sie ein gutes Vorwort bei dem Pastor Wendelin einzulegen. In zwei Tagen gehe ich von hier nach Dowers, um von da nach Holland überzuschiffen. In der Mitte dies Monats hoffe ich zu Straßburg zu seyn, daselbst erwarte ich in Zukunft Ihre Briefe. Da mich die englischen Freunde ihres Briefwechsels würdigen wollen, so werde ich auch die Briefe an Sie empfangen und ich hoffe, Sie gönnen mir auch in Zukunft das Vergnügen, die Ihrigen nach England über Straßburg gehen zu lassen, damit ich sie von da aus gehörigen Orts besorgen kann. Ewig Schade! daß ich dero Schreiben nicht einige Tage früher erhalten habe, um die verlangten Portraits zu sammlen. Damit Sie indessen doch meine Bereitwilligkeit sehen, Ihre Befehle zu erfüllen, so übersende ich Ihnen diejenigen, welche mir vom Herrn Rerves, so bald er Ihren rühmlichen Anschlag erfuhr, sind verehret worden [221] und die er in duplo besitzt. Es sind sieben an der Zahl. Auf der Ruckseite derselben werden Sie finden, welche Personen aus der Grandisonischen Geschichte sie vorstellen. Zu den übrigen ist mir gute Hoffnung gemacht worden, vielleicht habe ich bald das Vergnügen Ihnen auch diese zu übersenden. Diesen Augenblick erhalte ich einen Brief von dem Herrn Richardson, worinne er mich nochmals an mein Versprechen erinnert, ihm die Briefe mitzutheilen, welche Ihre großmüthigen Unternehmungen, dem Herrn Grandison nachzuahmen enthalten, ich werde ihm ihre Meinung über diesen Punkt entdecken und ihm dazu Hoffnung machen. Weil es mein Schicksal nicht erlaubt in der glücklichen Gesellschaft Sir Carls meine Tage zuzubringen: so will ich doch meine Reisen so bald als möglich suchen zu vollenden, um bei Ihnen als seinem würdigen Nachfolger das Vergnügen zu finden, das ich jetzo entbehren muß. Ich sehe der goldnen Zeit mit Verlangen entgegen, welche mich nach Kargfeld als dem zweiten Grandisonhall führen wird, [222] wo die Bewunderung Ihres vortreflichen Charakters eine der angenehmsten Beschäftigungen seyn wird

Dero
gehorsamsten Dieners
v. S. 


XIX. Brief.
Der Herr v. N. an die Frau v. W.
Den 30 Octobr.

Sie verdienten zwar mit mehrerm Rechte den Titel gestrenge Frau, denn Sie haben ziemlich strenge mit mir verfahren, und es fehlte einmal nicht viel, so hätten Sie mich mit Fäusten geschlagen wie Satans Engel: aber ich will Sie dem ungeachtet gnädige Frau nennen, in der guten Hoffnung, daß Sie in Zukunft sich bessern und mit mir sich wieder versöhnen werden. [223] Sie sind ein weibliches, das ist, ein schwaches Werkzeug, und aus dieser Ursache komme ich Ihnen mit Ehrerbiethung zuvor, und thue Ihnen hierdurch zu wissen, daß ich es alles vergeben und vergessen will, was Sie mir zu Leide gethan haben Ich weiß wohl, daß Niemand anders als Sie selbsten den Major v. Ln. so sehr wider mich in Harnisch gejaget, daß er mich heraus gefordert. Es ist bekannt, wenn Sie anfangen zu griesgramen, so machen Sie es so arg, daß Sie im Stande wären, das ganze heilige römische Reich zusammen zu hetzen, wenn nur Ihr Gemahl ein Prinz wäre. Nehmen Sie es nicht übel, daß ich so alles von der Leber wegsage, es ist nicht böse gemeint. Wenn Sie gut sind, ob es Ihnen gleich selten ankommt, so sind Sie auch wieder recht gut. Wie gesagt, ich will, um unsern guten nachbarlichen Frieden wieder herzustellen, Ihnen alles vergeben. Den Major habe ich bereits durch meine Grundsätze zur Raison gebracht, wir sind wieder gute Freunde, und ich fasse das gute Vertrauen, daß Sie auf [224] Ihrer Seite auch nicht ermangeln werden, sich mit mir zu versöhnen. Sehen Sie nur, wie großmüthig ich handele, ich will nicht nur wegen der vermeintlichen Beleidigung, die ich Ihnen soll zugefüget haben, hierdurch um Verzeihung bitten; sondern ich will auch noch ein übriges thun, und Ihnen, wenn Sie es verlangen, Brief und Siegel ausstellen, daß ich Sie für eine Dame von Ehre halte und nichts anders als gutes von Ihnen denke. Wenn Sie billig sind, so werden Sie nun Ihren Groll gegen mich fahren lassen, ich verspreche mir dieses eben so gewiß, als ich hoffe, daß Sie mir einen Beweiß Ihres versöhnlichen Herzens dadurch geben werden, daß Sie mir bald das Vergnügen verschaffen als meiner Frau Schwiegermutter die Hand zu küssen. Ich lade mich bei Ihnen auf morgen zu einer guten Mahlzeit ein, um persönlich zu erfahren, ob Sie wieder mit mir eins sind. Empfehlen Sie mich heute Ihrem Herrn und meiner unvergleichlichen Henriette. Morgen will ich [225] es selbst thun und mich zugleich bemühen, Sie zu überzeugen, daß ich mit vieler Hochachtung bin

Dero
gehorsamster Diener
v. N. 


XX. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
Wilmershausen, den 30 Octobr.

Ich freue mich recht sehr, daß wir morgen das Vergnügen haben, Sie, nebst dem Hrn. v. F. und seiner Gemahlin, hier zu sehen. Jacob hätte mir keine angenehmere Nachricht geben können, als daß er in einer Stunde nach Schönthal gehet, Sie einzuladen. Wissen Sie wohl, wer dazu Anlaß gegeben hat? Lesen Sie innliegende Abschrift [226] des Schreibens von dem Herrn v. N. an meine Mutter. Dieser Brief ist eben nicht so abgefaßt, wie sie wünschet: sie hat sich aber doch vorgesetzt, den äußerlichen Frieden mit ihm wieder herzustellen. Der Major hat das meiste dazu beigetragen, sie wieder zu besänftigen. Der Hr. v. N. hat zum Beweiß seines Verlangens, sie wieder zur Freundin zu haben, sich auf morgen bei uns zu Gaste gebeten, um von ihr vielleicht eine mündliche Versicherung zu erhalten, daß sie ihm alles vergeben habe. Mich dünkt ich habe bei diesem Besuche nichts sonderliches zu fürchten. Ich befinde mich sehr ruhig, und hoffe, der Hr. v. N. wird sich nicht so viele Freiheiten bei mir heraus nehmen, als das letzte mal, er muß ein wenig schüchtern thun und sich in einer gewissen Entfernung halten, morgen wird er gleichsam als ein Fremder in unserm Hause eingeführet, der erst Bekanntschaft sucht, und dem die kleinen Freiheiten noch nicht verstattet werden, die eine lange Freundschaft erlaubt. Ich wollte, daß Sie ihm dieses könnten zu verstehen geben, [227] so wohl meinet wegen, als um der ganzen Gesellschaft willen. Die Frau v. W. würde, wenn er zu vertraut thun wollte, dieses als eine neue Beleidigung ansehen, und wohl gar wieder einen neuen Streit erregen, der allen verdrüßlich seyn würde. Die Zeile die ich in seinem Briefe unterstrichen habe, versichert mich, daß er noch immer eine gefährlich Absicht auf mich hat. Wenn ich jetzo nicht befürchte, daß er sie erreichen wird: so habe ich doch immer Ursache zu fürchten, daß er eine andere Ausführung gegen mich beobachtet, als ich wünsche. Wenden Sie doch Ihre guten Bemühungen an, ihn dahin zu bringen, daß er morgen gar nicht thut, als wenn ich gegenwärtig wäre. Ein Mann, der dem Grandison nachahmen will, muß ein Philosoph seyn, es wird ihm also nicht viel Mühe kosten, dieses von sich zu erhalten. Doch ich sehe, daß ich mich schon zu weitläuftig über eine Sache heraus gelassen habe, die ich nur mit zwei Worten gedenken wollte. Meine Absicht bei diesem Briefe war allein diese, Ihnen das merkwürdigste [228] zu erzählen, was in unserm Hause seit meinem letzten Schreiben sich begeben hat, und insonderheit Sie von den Gesinnungen meiner Mutter, die sie gegenwärtig von Ihnen hegt, zu unterrichten, damit Sie wissen, was Sie für eine Stellung gegen diese anzunehmen haben. Legen Sie morgen Ihre gewöhnliche Munterkeit nicht ab, und lassen Sie nichts zurückhaltendes an sich blicken. Sie wissen, daß sie jede Mine, die ihr nicht natürlich genug scheinet, wider sich deutet und als eine Beleidigung annimmt. Wenn Ihnen etwas an der Gunst der Frau v. W. gelegen ist, ich sag es Ihnen zum Troste, daß Sie diese ganz wieder besitzen, so erscheinen Sie ja recht heiter. Es ist ein seltner Fall, daß man Sie zur Fröhlichkeit ermuntern muß, Ihr Gemüth ist immer aufgeräumt: aber Sie können dadurch nur selten so viel Gutes, stiften, als ich mir morgen davon verspreche. Der Major hat viel dazu beigetragen, daß sie wieder vortheilhaft von Ihnen urtheilet. Er hat Sie gelobt. So ungern sie es sonst verträgt, daß jemand in ihrer Gegenwart [229] gelobt wird, so willig hat sie ihm doch hierinn Beifall gegeben. Sie wollte Ihnen zwar Schuld geben, Sie hätten eine unüberwindliche Neigung, immer allerlei kleine Leichtfertigkeiten auszuüben; sie wollte Ihnen diese als einen Fehler anrechnen: da sie aber der Major nicht dafür erkannte, so änderte sie dieses Urtheil, und fing an, ihre Leichtfertigkeit zu entschuldigen und bald hernach zu vertheidigen; ja sie munterte ihre kleine Tochter auf, von Ihnen immer etwas zu lernen, um mit der Zeit so artig zu werden wie Sie. Wenn es der Herr v. N. nicht mit ihr verdorben hätte, so will ich eben nicht gut dafür seyn, daß sie so bald wieder Ihre Freundin worden wäre. Der Zwist mit ihm hat, wie es scheint, auch keinen geringen Antheil an der geschwinden Aussöhnung mit Ihnen. Er wird es aber sobald nicht dahin bringen, daß sie ihm vollkommen wieder günstig wird, sie ist indessen ganz wohl zufrieden, daß der Streit mit dem Major sich ohne Zwiekampf geendiget hat. Ich denke, hiervon habe ich Ihnen schon vorläufig [230] Nachricht gegeben, und jetzt kann ich dieses bestätigen. Die Frau v. W. schreibt sich einen vollkommenen Triumph in dieser Sache zu, und glaubt, daß ihre Ehre dergestalt gerettet, und ihr eine Satisfaction wäre verschafft worden, daß es der Herr v. N. so leichtlich nicht wagen würde, sie wieder zu beleidigen. Der Major hat mir eine Beschreibung von dem ganzen Vorgange der Sache in Schönthal gemacht, er hat ihr auch seinen Rapport disfalls schon einige mal wiederholen müssen, der aber von dem, was er mir erzählte, sehr unterschieden war. Mein Vater gab ihm in allem Beifall, ich weiß also nicht, ob er mich oder die Frau v. W. hintergangen hat. Er besitzt die Gabe, alles sehr lebhaft vorzustellen; ich zähle es unter seine Fehler, Sie thun es gewiß auch, ich weiß es, sollten Sie es gutheißen können, daß er die Reden und Stellungen der Personen, von welchen er spricht, boßhaft nachzuahmen sucht? Er ist in dieser Kunst ein Meister, ich gestehe ihm dieses zu: aber er verdient niemals meinen Beifall, wenn er [231] Beweise davon giebt. Der arme Herr v. N., ich bedaure ihn! Doch er würde selbst mit haben lachen müssen, wenn er seine und des Herrn v. H. Person so natürlich hätte spielen sehen. Der böse Mann! Er schonte sogar meinen Vater nicht, ob er gleich gegenwärtig war, ich ärgerte mich im Herzen sehr darüber, doch machte er es noch so, daß es jener nicht merkte, wenn er ihn agirte. Die Frau v. W. war von dieser Scene ganz eingenommen. Da er seine Verdienste gegen sie durch verschiedene kleine Nebenumstände in der Erzählung zu erhöhen wußte: so mußte sie immer eine Danksagung und einen Lobspruch über den andern parat halten, um ihn damit zu belohnen. Mein Vater hat ihr etwas von einem Protokoll gesagt, das in Schönthal über die Händel der beiden Herren soll seyn verfertiget worden. Sie bezeigt ein großes Verlangen, dieses zu sehen, es scheint aber, daß es nicht dazu bestimmt ist, ihr vorgeleget zu werden. Ich bemerkte daß der Herr v. Ln. meinem Vater mit den Augen winkte, da er etwas davon gedachte, [232] und daß dieser sein Wort gern wieder zurück genommen hätte. Ich muß gestehen, daß meine Neugierde dadurch sehr ist rege gemacht worden, bringen Sie es doch mit, wenn ich es sehen darf, oder sagen Sie mir wenigstens, was es damit für eine Bewandtniß hat. Lassen Sie unsern Briefwechsel ja nicht aufhören, wir können keine bessere Gelegenheit finden vertraut mit einander zu sprechen, und Sie können nicht glauben, wie sehr Sie dadurch verbinden

Ihre
Juliane v. W.


XXI. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein v. W.
den 1. Novembr.

Sie verlangten gestern Abend bei unserm Weggehen meine kritischen Betrachtungen über unsere Gesellschaft. Ich [233] versprach Ihnen dieses sehr gerne, denn ich hatte in der That einige gemacht und ich bin allemal sehr unzufrieden, wenn ich meine Gedanken bei mir behalten muß, ohne sie an Mann bringen zu können, Sie sehen also hier die Erfüllung meiner Zusage. Ich ließ mich mit Fleiß nicht in ein Spiel ziehn, und setzte mich nur als eine Zuschauerin zum Spieltische, um auf die ganze Gesellschaft desto aufmerksamer zu seyn, und über ein und andere Personen, die sich darinnen besonders ausnahmen, meine Anmerkungen zu machen. Doch dieses war nur eine Beschäftigung, wenn ich sonst nichts zu thun hatte. Ich setzte mir schon zu Hause vor, hauptsächlich zweyerlei zu beobachten, theils mich um die Wiedereroberung der Gunst der Frau v. W. zu bewerben; theils die wahren Gesinnungen des Majors gegen dieselbe so viel möglich auszuforschen. Nun werden Sie mich schon vor eine Kundschafterin halten. Woher habe ich denn einen Beruf, mich um die gute Freundschaft des Majors und der Frau v. W. zu bekümmern? Seyn Sie vor jetzo mit [234] der Antwort zufrieden, daß ich allerdings meine Ursachen dazu hatte. Wenn ich mir nicht selbst zu viel schmeichle, so denke ich, daß ich in meinen Unternehmungen nicht ganz unglücklich gewesen bin. Sie haben es ohne Zweifel bemerket, daß ihre Frau Mutter sich rechte Mühe gab, mich von ihrer Gewogenheit zu überzeugen, sie war so freigebig mit Freundschaftsversicherungen, daß ich nicht beredt genug war, sie alle zu erwiedern. Wir hatten uns ganz außer Athem komplimentiret, und ich fand mich genöthiget die Unterredung auf etwas anders zu lenken, damit ich nicht endlich zum Stillschweigen gebracht würde. Zum Glück fiel mir ihre Katze, die sich unter den Ofen hingestreckt hatte, in die Augen, ich lockte diesen Murner zu mir und fing ihn an zu loben. Hierdurch eröffnete ich ein weites Feld, unsere Unterredung fortzusetzen, und diesen Lobreden schreibe ich auch größten Theils die wiedererlangte Gewogenheit der Frau v. W. zu. Lachen Sie nicht, es ist mein Ernst. Sie erzählte mir die ganze Lebensgeschichte ihres Lieblings mit dem freundlichsten [235] Gesichte, das sie machen kann. Die Tugenden und Künste desselben beschäftigten uns ziemlich lange, und Murner schnurte dazu, als wenn er es verstünde, daß er gelobt würde. Endlich sehnte ich mich wieder nach der Gesellschaft und wollte mir lassen ein Pfötgen geben, um diesem Gespräch ein Ende zu machen und von dem geliebten Vieh freundlich Abschied zu nehmen; aber das garstige Thier war so unbescheiden und häckelte mich mit den scharfen Krallen dergestalt in die Finger, daß ich hätte schreien mögen. Davor bekam die Katze von der Frau v. W eine derbe Maulschelle, und mich bat sie so ängstlich um Vergebung, daß ich ihr würde verziehen habe, wenn sie mich auch selbst so hämisch gekratzt hätte. Es darf mir leicht jemand ein gut Wort geben, so verwandele ich das schlimmste Urtheil, das ich von einer Person fällen kann, in ein sehr gutes. Es sind noch nicht vierzehn Tage, da ich sie für die schlimmste Person aus unserm Geschlecht hielt. Ich las das Leben des Sokrates von neuem, um einen Vergleich zwischen der Frau [236] v. W. und der Gemahlin dieses Weltweisen anzustellen. Diese schien mir in einigen Stücken noch erträglicher, und jetzo wundere ich mich, wie ich nur die geringste Aehnlichkeit zwischen beiden Damen habe finden können, ich bitte es nun der Frau v. W. in meinen Gedanken ab, daß ich sie so beleidiget habe. Sie ist in der That nicht so arg, als Sie und ich denken. Sie hat schlimme Zufälle, das ist nicht zu läugnen: wenn aber ihre gute Stunde kommt, so ist sie leidlich. Die Freundschaft mit dem Major dürfte wohl von keiner allzulangen Dauer seyn, wenn sie inne wird, daß ihn nicht die persönliche Hochachtung, sondern Klugheit und Vortheil reizen sich ihr gefällig zu beweisen. Herr Lampert würde ihn einen schlauen Gast nennen, wenn er ihn genugsam kennte, ich will diesen Ausdruck von ihm entlehnen, um den Charakter des Herrn v. Ln. damit zu bezeichnen. Er hat, wie es mir vorkommt, eben nicht die besten Begriffe von seiner Frau Base; er kennt ihre Fehler und besitzt Herzhaftigkeit genug, ihre diese vorzurücken. In der That [237] giebt er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v. W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v. W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal [238] auf ihren Kopf kommt, so wird der Herr v. Ln. für alle Schelmereien büßen müssen. Das Vergnügen möchte ich haben, diese beiden Leute mit einander streiten zu sehen, sie ist eine Meisterin darinne, spitzige und beissende Reden auszutheilen, und er sieht mir so aus, als wenn er mit lachendem Munde alles zwiefach zurück geben könnte. Die Frau v. W. hat doch mit keinem Worte an das Protokoll gedacht, vielleicht hat sie es vergessen. Wenn sie es auch erinnert hätte, so würde der Baron sie auf eine andere Zeit vertröstet haben, und diese Vertröstungen sollen so lange fortgesetzt werden, bis sie sich dabei beruhiget oder das Protokoll mit Ungestüm fordert, alsdenn soll sie eine Abschrift erhalten, die ihrer Neigung gemäß eingerichtet ist, und hierbei wird sie sich schon zufrieden stellen lassen. Wenn Sie das genuine Exemplar, das ich Ihnen gestern heimlich zusteckte durchgelesen haben, so schicken Sie mir es wieder zu. Um mich recht sehr zu verbinden, fügen Sie ihre Anmerkungen darüber zugleich mit bei, ich habe es so oft mit Vergnügen [239] durchlesen, daß ich es beinahe auswendig kann. Gestern machte ich mir ein eigenes Geschäfte daraus, wie ich Ihnen schon gesagt habe, auf die merkwürdigsten Personen aus unsrer Gesellschaft aufmerksam zu seyn, und allerlei Betrachtungen über sie anzustellen, diese will ich Ihnen im Voraus als eine Vergeltung der Ihrigen über das Protokoll mittheilen. Ich suchte einen sonderbaren lustigen Zeitvertreib dadurch, die Verhältnisse und Stellungen der Personen unserer Gesellschaft gegen einander zu beobachten. Damit war ich noch nicht zufrieden, bald beschäftigte sich meine Einbildungskraft, die ganze Gesellschaft sich im großen vorzustellen, und da machte ich lauter Prinzen und Helden daraus; bald ließ ich sie wieder ins Kleine fallen und schuf sie zu Bauern, Schulzen und Gastwirthen um, hierzu gab mir die Erzählung des Majors von der westphälischen Wirthin Anlaß. Ich stellte noch allerlei andere Vergleichungen unter ihnen an, und wenn ich sie auch die seyn ließ, die sie wirklich waren, so verschaffte mir auch [240] dieses mancherlei Vergnügen. Sie wundern sich ohne Zweifel über meine Ausschweifungen: aber was thut man nicht, um in einer Gesellschaft, wo man sich unter einem gewissen Zwange befindet, die Zeit hinzubringen! Doch ich war nicht die einzige Person aus der Gesellschaft, die nicht frei genug war: die meisten andern ließen aus ihren Bezeigen etwas fremdes und ungewöhnliches hervor blicken. Einige schienen zurückhaltend, sie dachten alles, wie der Papogey, der nicht reden konnte, und spielten stumme Personen. Andere, die sprechen wollten, wogen jedes Wort auf der Goldwaage ab, als wann sie Leib und Lebensgefahr davon zu befürchten hätten. Mich befremdete dieses sonderbare eben nicht; ich hatte es schon vermuthet. Nothwendig mußte das neue Bündniß der Freundschaft zweier der vornehmsten Glieder einer geschwornen Gesellschaft als diese war, die durch einen unglücklichen Zwist bald wäre getrennt worden, wunderbare Erscheinungen hervor bringen. Alle nahmen gewissermaßen Theil daran. Ich bemerkte, daß einige ganz [241] geheimnißvoll aussahen, da mein Oncle kam, man zischelte einander ins Ohr, daß die Frau v. W. oder ihr rechtlicher Beistand der Major und der Hr. v. N. neue Händel bekommen würden. Der Hr. v. H. hatte diesen nicht so bald erblickt, da er gleichsam in einer kleinen Begeisterung zu sich selber sagte: ja, ja, das wird eine feine Hetze werden, heute geht der Tanz wieder an. Der Baron, der meinen Oncle abgeholet hatte, mußte diesen so viele Lectionen geben, wie er sich den Tag über verhalten sollte, daß er, um diese Regeln genau zu beobachten, sichs gar zu sehr merken ließ, daß ihm welche waren eingeschärfet worden. Herr Lampert hatte den Befehl erhalten, seinen Mund und Zunge den ganzen Tag über zu nichts anders als zum Essen und Trinken zu gebrauchen und im höchsten Nothfall nicht mehr als ja oder nein zu sagen. Er hat wider seine Gewohnheit dieses Gebot sehr genau befolgt. Der Baron hat viel Mühe gehabt, den Oncle dahin zu bringen, an den Zwist mit der Frau v. W. und dem Major nicht zu gedenken. Er hat mit ihr durchaus eben die Procedur wie [242] mit dem Major vornehmen und sie bekehren wollen, Lampert hat bereits ein dickes Buch geheftet gehabt, um alle Reden der Frau v. W. und seines Gönners nachzuschreiben, und nach seinem Ausdruck mit diesem neuen Kleinod den Werth der glänzenden Tugenden desselben noch mehr zu erhöhen, und die Siege der Großmuth für die Nachwelt schriftlich aufzubehalten. Das Gesichte der Frau v. W. verrieth auch einigen Zwang, es kostete ihr Mühe, den Anblick meines Oncles zu ertragen; es wurde ihr aber alsdann unleidlich, wenn Grandison aus ihm sprach. Sie verdient indessen allerdings ihr Lob, daß sie diesmal vollkommen von sich Meister blieb, und äußerlich alles beobachtete, was man von ihr verlangen konnte. Diese verschiedene Charaktere, welche die vorzüglichsten Personen aus der Gesellschaft an sich nahmen, und die so vielen Zwang und Verstellung verriethen; die Bedachtsamkeit der Uebrigen, nicht etwas vorzubringen, wodurch von neuem Oel ins Feuer könnte gegossen und der Groll der streitenden Mächte wieder erreget werden, [243] breitete über die ganze Versammlung ein gewisses steifes Wesen aus, das mir desto lächerlicher vorkam, je ungewöhnlicher es sonst bei derselben anzutreffen ist. Dieses veranlaßte mich, Ihr Schloß in das Escurial und uns alle in Grands von Spanien zu verwandeln, ich wünschte nur noch, daß sich die Herren bedecken möchten. Es wurde von nichts als von Ahnen und Stammregistern gesprochen; lauter Dinge, die zu meiner Vorstellung überaus wohl paßten, und sie so lebhaft machten, daß wenig fehlte, daß ich nicht meinen Oncle Ihro Majestät genennt hätte. Doch da er hernach im Begriff war, einen seiner Vorfahren bei der Zerstöhrung Jerusalems Hand anlegen zu lassen, so verschwanden diese schönen Vorstellungen. Der Herr von H. der meinem Oncle einige Zweifel hierüber machte, zog meine Aufmerksamkeit auf sich; doch dieser wußte sie so geschickt aufzulösen, daß ihm der Herr v. H. Recht lassen mußte. Ich weiß selbst nicht, durch was für einen Zufall die Gespräche so geschwind wechselten, daß man von den Archiven der Ahnen in die Vorrathskammer kam; [244] man sprach von der Oeconomie; es wurden fette und magere Jahre prophezeiet, die Speicher wurden angefüllt und ausgeleert, beiläufig wurde das Kapitel von Knechten und Mägden auch abgehandelt; alles, was sich von trägem Gesinde sagen läßt, das wurde angebracht. Eine solche Unterredung schickte sich nicht für die Großen eines Reichs, der Schauplatz hatte sich geändert, und es gefiel mir, ihn in die Schenke zu versetzen. Nun stellte ich mir die Herren als lauter ehrbare Männer aus der Gemeinde vor. Weil ich immer bemerkte, daß sie, ungeachtet der gleichgültigen Materie, davon gesprochen wurde, doch die gewöhnliche Vertraulichkeit diesmal bei Seite setzten: so kam mir das nicht anders vor, als wenn ich unsere Gerichtsschöppen und Nachbarn mit einander reden hörte. Diese sprechen nicht mehr vertraut mit einander, seit dem einer, der seinen Witz zur Unzeit über die schwarzen Frohnsemmeln ausgelassen, und von andern ist verrathen worden, hat in den Thurm kriechen müssen. Jeder sieht jetzo seinen Nachbar als [245] seinen Verräther an, wenn er ihm auch gleich eines zutrinket. Es ist Zeit, daß ich meinen Vergleichungen ein Ende mache, um Ihnen noch etwas wichtiges zu sagen, das ich bis hieher versparet habe. Wissen Sie, daß mein Oncle auf den Major höchst eifersüchtig ist? Seine guten Grundsätze wollen nicht zulangen, ihn gegen diese Schwachheit zu schützen; ja ich befürchte schon, daß er ihnen eine Zeitlang Abschied geben wir, um den Major heraus zu fordern; jetzt ist die Reihe an ihm. Der Herr v. N. hatte sich eigentlich das Plätzgen auf dem Kanape beim Koffee ausersehen, das für meine Schwester bestimmt war. Er machte Mine, davon Besitz zu nehmen, da ihm der Major zuvor kam und es hernach an meine Schwester überließ. Ich merkte, daß der alte Liebhaber sehr unzufrieden war, sich von dem jüngern verdrungen zu sehen. Er würde ihn auf eine freimüthige Art darüber zur Rede gesetzt haben, wenn ihn nicht der Baron zurückgehalten hätte. Das war nicht der einzige Verdruß, den er empfand, er wollte dem Major auch nicht die Ehre gönnen, [246] im Spiel mit Ihnen Moitié zu machen. Wenn er nur einiger maßen billig gesinnt wäre, so würde er daraus nichts machen, Sie ließen ihn ja an Ihrem Spiele gewissermaßen auch Antheil nehmen, daß Sie ihm erlaubten, Ihnen den Daumen zu halten. Schenken Sie mir einen Theil des Dankes, den Sie denen willig ertheilen, die es dahin gebracht haben, daß Sie jetzt über einen Freier lachen können, der Ihnen noch vor kurzer Zeit so furchtbar war. Denken Sie aber nicht, daß ich diesen Dank fordere, Sie daran zu erinnern, daß ich mich um Sie verdient gemacht habe, Sie würden sich sehr irren, wenn Sie dieses dächten. Ich verlange keinen andern Dank von Ihnen, als die Fortsetzung Ihrer Freundschaft und Gewogenheit gegen mich, diese giebt mir den schönsten Beweiß, daß Sie mich für die halten, die ich wirklich bin, für

Ihre
ergebenste Freundin und Dienerin
A. v. S. 


[247]
XXII. Brief.
Herr Bornseil,

Er ist ein ehrlicher Mann, das ist außer allem Zweifel, und wenn er es auch nicht wäre, so könnte er dennoch den Gefallen erweisen, darum ich ihn geziemend hierdurch ersuche. Ich weiß, daß er ehedem bei dem Herrn v. W. als Verwalter in Diensten gestanden hat, und ich habe ihn da wohl gekannt, er trug immer einen grünen Rock mit spitzigen silbernen Knöpfen und einen blauen Brustlatz. Ob er nun gleich nicht mehr in Wilmershausen wohnet; so hat er doch noch, wie ich höre, einen freien Zugang auf den Edelhof. Denn er ist nicht wie ein Schelm fortgejaget worden, sondern böse Leute haben ihm eines bei dem gnädigen Herrn versetzt, daß er sein Stückgen Brod verlohren hat. Jetzo hält er sich, sagt man, zu Schönthal auf, und der Herr Baron v. F. [248] giebt ihm seinen nothdürftigen Unterhalt, folglich hat er auch daselbst im Schlosse einen Zutritt. Ich kann mich dahero zu Niemand füglicher wenden als an ihn, um innliegende Briefe sicher an Ort und Stelle zu bringen. Ich hoffe, daß er französisch lesen kann, wo nicht, so gebe er nur den größten Brief an das Fräulein v. W. in Wilmershausen, und den kleinem an das Fräulein v. S. in Schönthal ab. Er wird wohl thun, wenn er sie selbsten bestellt, es ist mir an der richtigen Besorgung dieser Briefe sehr vieles gelegen. Wenn er diese Commißion wohl ausrichtet, kann er auf ein gutes Trankgeld Rechnung machen. Er hat nicht das geringste bei Bestellung der Briefe zu befürchten, vielmehr wird er beiden Fräuleins willkommen seyn, und vielleicht von ihnen eine Vergeltung seiner Mühe erhalten. Ich glaube, daß es nicht undienlich seyn wird, in ein und andern Stücken ihm einigen Unterricht zu ertheilen, damit dieser Auftrag der Absicht desto gemäßer vollbracht werde. Nehm er folgende fünf Regeln deswegen wohl in Acht:

[249] 1.) Wenn er einem Fräulein ihren Brief einhändiget, so lasse er sichs nicht merken, daß er auch an die andere einen zu bestellen hat.

2.) Darf kein Brief einer andern Person in die Hände fallen, als der, an welcher er gerichtet ist, dahero wird er am besten thun, wenn er das Sprichwort beobachtet: selber ist der Mann.

3.) Diesen Punkt merk er sich ja fein, soll er keinen Brief eher weggeben, bis er Gelegenheit findet, eine von den Fräuleins alleine zu sprechen. Wenn sie beide in Schönthal oder in Wilmershausen beisammen sind; oder wenn jemand anders gegenwärtig ist: so laß er sich von seiner Commißion ja nichts merken, sonst würde er um seinen Recompenz kommen, und ich wollte für ein und andere verdrüßlichen Folgen, die leichtlich für ihn daher entstehen könnten, nicht Bürge seyn.

4.) Wenn man etwann fragen sollte, wo und von wem er die Briefe erhalten: so kann [250] er nur sagen, es hätte jemand des Abends an sein Fenster gepocht und sie seiner Tochter hinein gegeben; sich aber sogleich wieder entfernt. Vermuthlich wird er sie auch wirklich auf diese oder eine ähnliche Art erhalten. Er kann noch dazu dichten, er hätte den Ueberbringer derselben nachlaufen wollen, um zu sehen, wer er wäre: da er aber unglücklicherweise über einen Stein gestolpert, so wäre jener entwischt. So viel er bei Mondenschein wahrnehmen können, wäre der Ueberbringer ein langer Mensch gewesen, der das Ansehen eines Jägers gehabt hätte, dieses und noch mehreres von diesem Schlag kann er nach Beschaffenheit der Umstände hinzu fügen, es ist ihm unverwehrt.

5.) Sollte er wieder Briefe von den Fräuleins an jemand zu bestellen kommen, so hüte er sich ja, daß er sie nicht der Person selbsten überbringt, an die solche gerichtet sind. Ich sage ihm dieses zu seinem eigenen Besten. Sobald er einen Brief empfängt, so stecke er solchen in seine Tasche, er darf [251] ihn so wenig von sich legen, als er gewohnt ist, seine Tobacksdose wegzulegen, damit er ihn gleich aushändigen kann, wenn er abgefodert wird. Diejenige Person, die dieses zu thun berechtiget ist, wird ihm einen versiegelten Zeddel geben, in welchen weiter nichts als das einzige Wort Barocco zu lesen ist; keine andere Seele aber darf die Briefe zu sehen bekommen, als diese. Damit er nun die obigen fünf Punkte wohl ins Gedächtnis faßt und genau beobachtet, will ich ihm ein Hülfsmittel bekannt machen, sie desto leichter zu behalten. Er hat an jeder Hand fünf Finger, nehm er also die fünf Finger seiner linken Hand, die rechte braucht er vermuthlich die Briefe zu übereichen, präge er sich bei jedem Finger einen Punkt ins Gedächtniß. Vermöge dieser Methode wird er so leicht nichts vergessen, und wenn er nur genau auf seine Finger Achtung giebt, seine Sache wohl ausrichten. Noch eins habe ich zu erinnern. Es dürfte vielleicht schwer halten, das Fräulein v. W. alleine zu sprechen, sie muß immer um ihrer Frau Stiefmutter [252] seyn, ihr die Zeit zu kürzen, ich habe auch hier ein gutes Mittel ausfündig gemacht, wie er sie besonders sprechen kann. Die Katze der Frau v. W. hat der Fräulein ihr Rothkehlgen gefressen, sie will gern ein anders haben, nehm er also das erste das beste und mache er ihr damit ein Geschenke. Er mag nun versichert seyn, daß es singt oder nicht, so lobe er den vortreflichen Gesang seines Vogels, und unter dem Vorwande, solchen selbst auf ihr Zimmer zu bringen, um ihm da die Flügel zu stutzen, wird er schon einen günstigen Augenblick ablauren, ihr das Briefgen unvermerkt zuzustecken. Ich hoffe nicht, daß er Schwürigkeiten machen wird, der Besorgung der Briefe auf sich zu nehmen. Ich gebe ihm mein Wort, daß ihm daher nicht die geringste Gefahr erwachsen kann, und will er sich dabei nicht beruhigen; so hat er ja wohl so viel Verstand in seinem kleinen Finger, um selbst zu urtheilen, daß man an junge Schönen keine Halsbrechenden Dinge zu schreiben pfleget, und daß der Briefträger also auch nichts zu befürchten hat. Was ich [253] oben gesagt habe, daß er um seines Besten willen bei Bestellung der Briefe alles wohl in Acht nehmen sollte, und wenn er durch seine Unachtsamkeit etwas versehen würde, daß dieses für ihn unangenehme Folgen haben könnte; so ist dieses nicht zu verstehen, als ob man ihn deswegen würde stöcken und pflöcken lassen: sondern er würde sich dadurch um eine sehr gute Belohnung und wohl gar um eine baldige Versorgung bringen. Vielleicht bin ich selbst nicht weit entfernt, wenn er seinem Auftrage Genüge leistet. Er ist ein kluger Mann und kann nun schon errathen, wie viel es geschlagen hat, indessen will ich mich nicht weiter verrathen. Mache er sich keine unnöthige Sorge deswegen, daß ich diesmal meinen Namen unter die gewöhnlichen Buchstaben verstecke.

N. N.     


[254]
XXIII. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
den 2 Novembr.

Ich bitte Sie tausendmal um Vergebung, mein Schatz, ich habe Sie wider meinen Willen schrecklich beleidiget, oder glaube doch, daß Sie es leichtlich als eine Beleidigung ansehen könnten: ich habe einen Brief erbrochen, der Ihnen zugehöret. Verdammen Sie mich aber nicht durch ein übereiltes Urtheil, ich bin unschuldig! die Aufschrift ist an mich. Sehen Sie? Vermuthlich rührt dieses aus einem unglücklichen Versehn des Verfassers her. Doch das ist nicht mein Verbrechen alleine, über so etwas, daran der Zufall Antheil hat, können Sie mit mir nicht zürnen: aber was werden Sie sagen, wenn ich gestehe, daß ich den Brief auch gelesen habe, vom Anfang [255] bis zu Ende? Verfahren Sie billig mit mir, am Ende bin ich erst meinen Fehler inne worden, und da warf ich den Brief voller Bestürzung von mir, aber zu spät. Ich will mich Ihrer Verzeihung durch ein offenherziges Geständniß meines Irrthums würdig machen. Ich könnte mein Versehen dreuste leugnen, ich könnte sagen, daß ich gleich bei den ersten Zeilen wäre inne worden, daß mich der Innhalt des Briefes nicht anginge; ich hätte so viel Gewalt über mich gehabt, den Brief wieder zu siegeln, ohne weiter zu lesen. Was wollten Sie machen? Glauben müßten Sie mir es doch, so wenig Lust dazu Sie auch bezeigen möchten. Ich will sehen, ob ich meinem Fehler noch gar ein Verdienst beilegen kann: ich will Ihnen aus aufrichtigen Herzen zu Ihren neuen Anbeter Glück wünschen. Habe ich es nicht schon oftmals gesagt, daß Sie in den Augen des Majors eben das sind, was ich bin in den Augen des Herrn v. N.? Sehen Sie nur, wie meine Vermuthungen so richtig eingetroffen sind. Wenn ich nicht wüßte, daß Sie sich nur so [256] gestellet haben, als wenn Sie die Absichten des Majors nicht merkten: so würde ich stolz darauf seyn, und mich für ein sehr kluges Mädchen halten, auf die Art könnte ich weiter sehen als Sie. Machen Sie mich nur in Zukunft zur Vertrauten bei Ihrer Liebe, einmal weiß ich doch um Ihr Geheimniß, und wenn Sie mich auch überreden wollten, daß Sie gegen den Major unerbittlich wären; so glaubte ich Ihnen dieses eben so wenig, als Sie es thun würden, wenn ich Ihnen sagte, ich hätte innliegenden Brief nicht ganz gelesen. Brauchen Sie ja nicht ein so geringes Versehen, als das ist mit der Addresse des Briefes, zum Vorwande, gegen mich über den Hrn. v. Ln. sich erzürnt anzustellen, ich werde doch nicht glauben, daß es Ihnen von Herzen geht. Ueberhaupt lege ich diesen Fehler zu seinem Vortheil aus. Ich habe zwar von den Empfindungen der Liebenden sehr undeutliche Begriffe: so viel sehe ich aber doch ein, daß seine Neigung eine der heftigsten seyn muß; seine Gedanken mußten sich ganz in Sie verlohren haben; er [257] befand sich ohne Zweifel in einer Art von Entzückung, da er die Aufschrift auf den ersten Brief an seine Göttin machte. Seyn Sie ja nicht unbarmherzig gegen einen so eifrigen Liebhaber. Hören Sie, was ich sage! Ich will Sie nicht länger von dem Vergnügen abhalten, das zärtliche Briefgen Ihres Verehrers zu lesen, vermuthlich haben Sie mein Schreiben zuerst in die Hand genommen. Wenn Sie in Ihrem Herzen noch ein klein Plätzgen übrig haben und sich Ihr Freund darinne nicht schon gar zu breit macht, so heben sie solches auf für

Ihre
ergebenste
Jul. v. W.


[258]
XXIV. Brief.
Einschluß des vorigen.
An das Fräulein v. W.
den 1 November.
Gnädiges Fräulein,

Sie mögen es nun billigen oder nicht, so wage ich es doch, Ihnen mein Herz zu entdecken. Einem Soldaten ist eine kleine Freiheit anständig, die ein andres ungestraft sich nicht heraus nehmen darf. Ich verehre Sie. Dieses haben Sie aus meinem Bezeigen gegen Dero vortrefliche Person bereits schließen können: ich fand aber nöthig, Ihnen dieses Geständnis auch einmal deutlicher zu thun. Mündlich würde es mir unendliche Mühe gekostet haben, ich bin in gewissen Fällen sehr zaghaft, wenn ich gleich ein Soldat bin, und ich fand auch hierzu keine günstige Gelegenheit; verschweigen [259] konnte ich es noch weniger, darüber hätte ich mich zu Tode gegrämet. Uebersehen Sie also eine Unternehmung, die an sich nicht strafbar ist, wenn sie sich auch nicht vollkommen rechtfertigen läßt. Ich ergreife die Feder, Ihnen die Empfindungen meines Herzens bekannt zu machen, und meine Zaghaftigkeit verließ mich den Augenblick bey diesem glücklichen Entschlusse. Ich habe zwei Werkzeuge, die ich nie anders als mit dem Vorsatze ergreife, zu siegen oder zu sterben, den Degen gegen die Feinde des Königs und meiner Ehre, und die Feder bei der Liebe. Diese ergreife ich jetzo zum ersten mal in der Absicht, und von ihnen hängt es ab, welches Schicksal ich zu erwarten habe. Der glückliche Tag, den ich, so oft er in Zukunft wieder kommt, als einen Festtag feiern werde, der glückliche Tag, an welchen ich das erste mal Sie zu sehen die Ehre hatte, machte mir alle die Vorzüge sichtbar, in welchen Sie zur Ehre des schönen Geschlechts prangen. Dieser erste Augenblick, der mich gegen Sie in Bewundrung setzte, entzog mir auch meine [260] bisher standhaft vertheidigte Freiheit, und dieser Verlust war mir so reizend, daß ich wünschte, sie nie wieder zu erhalten. Ich sahe diesen Wunsch auch sogleich erfüllt. Nach einer genauen Untersuchung fand ich, daß mein Herz schon an Sie verschenkt wär, ehe ich es selbst inne worden war. Ich kann Ihnen also mein Herz nicht antragen, Sie besitzen es schon und jetzo thue ich in der That nichts anders, als daß ich Ihnen diesen Besitz bekannt mache. Ob Ihnen mit einem so geringen Geschenke etwas gedient ist, mögen Sie selbst beurtheilen, so viel weiß ich, daß mein Herz mir nicht mehr zugehöret, und daß ich das, was ich einmal verschenkt habe, nie wieder pflege zurück zu nehmen. Wenn Sie es auch nicht als Ihr Eigenthum betrachten wollten; so würde es Ihnen doch bis in die Gruft zugehören. Sie sind die einzige Person in der Welt, aus dem schönen Geschlecht, die ich verehre, ich muß dieses Geständniß nochmals wiederholen. Machen Sie mich so glücklich, durch eine Zeile von ihrer schönen Hand mich zu unterrichten, ob [261] Sie Sich dadurch beleidiget finden, und ob ich bey der unverbrüchlichen Ergebenheit, die Ihnen mein Herz geschworen hat, dennoch so unglücklich bin Ihnen zu misfallen; oder ob ich mich mit der Hoffnung schmeicheln darf, durch meine unermüdeten Beeiferungen um Dero schätzbare Gewogenheit, mich derselben würdig zu machen. Schönste Amalia, o wie sehr entzückt mich dieser reizende Name, ich küsse ihn tausend mal! Schönstes Fräulein, Sie können nicht grausam seyn! Mein Schicksal sey indessen, welches es wolle, so werde ich es als eine Gnade von Ihnen ansehen, wenn Sie mein freimüthiges Geständniß als ein Geheimniß bewahren. Ich habe dem Gemahl von Dero Frau Schwester, dem Herrn v. F. den ich als meinen vertrautesten Freund betrachte, nicht das geringste davon entdecken wollen, bis ich erstlich von Ihren Gesinnungen unterrichtet wäre. Wenn ich es jemals sagen darf, daß ich Sie verehre, so gönnen Sie mir das Vergnügen, daß ich davon dem Hrn. v. F. sowohl als Dero Herrn Oncle und dessen [262] Fräulein Braut die erste Eröffnung thun darf. Befreien Sie mich bald von einer ängstlichen Ungewißheit, darinne ich mich befinde, und die mich zweifelhaft macht, ob ich im Genuß des vollkommensten Glücks leben, oder in kurzem ersterben werde als

Dero
unterthäniger Diener und Verehrer
v. Ln. 


XXV. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein Juliane v. W.
Den 2 November.

Ich bitte Sie tausend mal um Vergebung, mein Schatz, ich habe Sie wider meinen Willen schrecklich beleidiget, oder glaube doch, daß Sie es leichtlich als eine Beleidigung ansehen könnten: ich habe einen Brief erbrochen, der Ihnen zugehöret – – . [263] Wenn ich aufgeräumt wäre, so schrieb ich ihren ganzen Brief ab, er passet eben so genau auf Sie als auf mich, und ich könnte Ihnen alles das wieder sagen, was Sie mir gesagt haben: aber ich bin so grimmig, daß ich Lust habe, mein Nachtzeug vom Kopfe zu reißen, oder meinem Mädchen zu klingeln, um ihr eine Ohrfeige zu geben, daß ich nur den Zorn auslasse und nicht krank darüber werde. Nehmen Sie erstlich ein rothes Pulver ein, für die Alteration, hernach lesen Sie den Einschluß meines Briefes. Lassen Sie uns eine Allianz schließen, um mit gesammter Hand unsern gemeinschaftlichen Feind zu bekriegen – – So eine niederträchtige Gemüthsart hätte ich dem Major nicht zugetrauet, er verräth sehr viel Einfalt und thörigte Liebe dabei. Wie muß der arme Kerl doch von sich eingenommen seyn, daß er durch ein paar romanmäßige Liebesbriefe in einer Stunde zwei Eroberungen machen will! Ich habe Mitleiden mit ihm, daß er von der heutigen Lebensart so eine geringe Känntniß besitzt, und eine gemeine Höflichkeit [264] so vortheilhaft für sich ausleget, daß er sich die stolzen Gedanken einfallen läßt, wir wären beide für ihn eingenommen. Er muß auch ein sehr böses Herz besitzen. In einer Stunde von freien Stücken, und ohne daß man es verlangt, zweien Frauenzimmern eine ewige Treue schwören, das ist der Charakter eines Bösewichts. Er hat uns beide hintergehen wollen, und hat sich selbst hintergangen. Dieses würde auch geschehen seyn, wenn der Zufall seine boßhafte Absicht nicht offenbaret hätte. Ich hätte Ihnen gewiß das Geheimniß, wie er es nennet, entdeckt, und Sie würden mir auch nichts verschwiegen haben, und so wäre alles im kurzen an Tag kommen. Indessen beobachtet er doch eine gewisse Vorsichtigkeit in seinen Briefen, er will, um sein Spiel desto länger mit uns zu treiben, daß keine der andern von seinem thörigten Liebesantrage etwas sagen soll. So viel Verstand besaß er doch noch, voraus zu sehen, daß seine Sache sehr übel stehen würde, sobald wir seine Bosheit entdeckten. Unstreitig ist es unser guter Sylphe [265] gewesen, der uns für einen untreuen Liebhaber hat bewahren wollen, und der ihm die Augen zuhielt oder verblendete, daß er einen so wichtigen Irrthum bei Ausfertigung seiner Briefe hat begehen können. Ich wollte aber, daß mein Sylphe mir einen wichtigern Dienst leistete, diesen verdenke ich ihm eben nicht sonderlich; ich wäre schon selbst so klug gewesen, diesem Fallstrick zu entgehen. Nun habe ich schon tausend Erfindungen im Kopfe, um uns wegen dieser unartigen Aufführung zu rächen. Es mag ein Fehler seyn oder nicht, so gestehe ich Ihnen daß ich nicht Großmuth genug besitze, eine solche Beleidigung mit einer weisen Kaltsinnigkeit zu ertragen, ich hoffe, Sie sind auch meiner Meinung. Lassen Sie uns aber, mein Kind, zuvor ein wenig wieder zu uns selbst kommen, jetzo sind unsre Leidenschaften zu sehr rege gemacht, als daß wir einen festen Enschluß fassen könnten. An keinem Briefe habe ich länger geschrieben als an diesem, alle Augenblicke werfe ich die Feder hin, Bald denke ich an die kühne Beleidigung des Majors und ärgere mich darüber, [266] daß ich heule; bald fällt mir wieder ein Mittel ein, Rache an ihm zu üben, und darüber vergnüge ich mich so sehr, daß ich anfange zu lachen. Diese Gedanken wechseln so geschwinde, daß ich oft zu gleicher Zeit lache und weine, alsdann laufe ich zum Spiegel, um zu sehen, was ich für eine wunderbare Figur mache, hernach setze ich mich wieder und schreibe ein paar Zeilen, und so geht es immer fort. Urtheilen Sie hieraus, wie sehr ich aufgebracht bin. Ich wollte Ihnen gerne ein paar von meinen Einfällen, wie wir uns rächen wollen, mittheilen: aber sie sind hierzu noch nicht reif genug. So viel kann ich Ihnen im Voraus sagen, daß es mir wenigstens nicht einfällt, nach dem Beispiele der Frau v. W. einen Ritter aufzusuchen, der unsere Sache ausführen soll, wir wollen schon andere Mittel finden, unsern Beleidiger eins anzubringen. Jetzo kann ich Ihnen keinen bessern Rath ertheilen als diesen, daß Sie Sich ja nichts merken lassen, daß Sie den Brief von dem Major erhalten haben, dadurch [267] könnte das Spiel leichtlich verdorben werden. Morgen werde ich Ihnen vielleicht bestimmter sagen können, was für eine Stellung wir gegen den verliebten Ritter annehmen wollen. Er hat bei mir den alten Bornseil zu seinem Liebesboten gebraucht, und ich zweifle nicht, daß dieser auch den Brief, den Sie mir zugeschickt haben, gebracht hat. Ich habe allerlei lustige Touren im Kopfe, die ich durch diesen einfältigen Mann spielen möchte, der sich in diesem Falle vollkommen wohl zu dem Major schickt: allein ich will mich über diesen Punkt nicht eher heraus lassen, bis sich meine Affecten wieder vollkommen besänftiget haben, und bis ich sie zur Strafe, daß sie mich jetzo beunruhigen, in meinen Strickbeutel, wie mein Oncle einmal sagte, zum Arrest gebracht habe. Ich finde keinen bessern Ausdruck, mein Mißvergnügen über Ihren unartigen Herrn Vettern zu erkennen zu geben, als wenn [268] ich sage, daß ich ihn eben so sehr verachte, als Sie hochgeschätzt werden von

Ihrer
aufrichtigen zärtlichen Freundin
A. v. S. 


XXVI. Brief.
An das Fräulein v. S.
Den 1 Nov.
Schönstes Fräulein,

Es ist eine besondere Ehre für mich, und ich nehme mir es zu einem besondern vorzüglichen Vergnügen an, daß ich die Erlaubniß habe, mich fast täglich in Dero angenehmen Gesellschaft zu befunden, und manche vergnügte Stunde dadurch zu geniessen. Doch bei alle dem Glück empfinde ich eine gewisse Unruhe, die mir einen Theil desselben wieder entzieht, und die allein daher [269] entstehet, weil mir bisher immer eine bequeme Gelegenheit gemangelt hat, Ihnen das zu sagen, was ich empfinde. Darf ich es wohl, ohne Ihren Zorn zu befürchten, wagen, Ihnen mein Herz zu entdecken, oder welches einerlei ist, ein Herz, das ich Ihnen schon längstens gewidmet habe, zu Dero Füßen zu legen? Uebersehen Sie einen Fehler, den ich vielleicht dadurch begehe, daß ich ohne viele Umschweife meine aufrichtige Neigung so zeitig gestehe, ehe ich noch hierzu durch meine Bemühungen, mich Ihrer schätzbaren Gewogenheit würdig zu machen, einigermaßen berechtiget bin. Schreiben Sie diesen Fehler ja nicht einem Mangel meiner unterthänigen Hochachtung gegen Sie zu: gönnen Sie mir vielmehr hierinnen eine kleine Nachsicht. Die Liebe ist für mich bisher ein ganz unbekanntes Feld gewesen, ich wage mich jetzo zum erstenmale hinein, und glaube, daß ich gegen viele Regeln dieser Kunst verstoße. Doch dieses geschiehet nicht, weil ich sie etwan gering schätze, ich würde sie alle aufs genaueste beobachten, wenn sie mir bekannt [270] wären. Die ich nur einigermaßen kenne, suche ich sehr genau zu befolgen. Es ist mir gesagt worden, daß man sich erstlich der Sprache der Augen bedienen müsse, ehe man Mund und Feder dürfe reden lassen. Ich habe dieses Gesetz getreu erfüllt. Meine Augen haben sich Stunden lang mit den Ihrigen besprochen; ich habe Ihnen mehr als einmal meine Empfindungen dadurch so deutlich entdeckt, als es diese Sprache zuläßt: Sie haben mir aber nie eine Antwort ertheilet, die von aller Zweideutigkeit wäre frei gewesen. Dieses hat mich berechtiget, zu der Feder meine Zuflucht zu nehmen, um Ihnen, wenn die Sprache meiner Augen nicht wäre redend gnug gewesen, Ihnen durch die Feder das Geständniß deutlicher zu wiederholen, daß ich Sie anbete. Es stehet in Ihrer Hand, mich zu den glücklichsten Bewohner der Erden zu machen, wenn Sie meine Wünsche nicht ganz unerhört seyn lassen. Doch bin ich nicht zu unbescheiden, mich in Ihre Gewogenheit eindringen zu wollen, ehe ich Ihnen Beweise meiner Aufrichkeit [271] aufgestellet habe? Es ist mir genug, wenn ich nur von Ihnen die Erlaubniß erhalte, die Zahl Ihrer Verehrer vergrößern zu dürfen, alsdenn will ich sehen, ob ich andre in dem Eifer, Dero Gunst zu verdienen, übertreffen kann. Und wie sehr wünschte ich, daß diese durch eine unverletzliche Treue und Beständigkeit könnte erlangt werden: so dürfte ich an der Erfüllung meiner Hoffnung nicht einen Augenblick länger zweifeln. So begierig ich schon der Erklärung von Ihnen, über den Antrag meines Herzens, entgegen sehe: so sehr habe ich Ursache zu wünschen, daß ich diese nicht mündlich erhalte, damit meine Base, die Frau v. W. nichts davon erfahre. Der geringste Wink, den sie von meiner Absicht bekäme, würde mich des angenehmen Umganges mit Ihnen berauben, und den Zutritt zu Ihrem Hause, das durch Sie, vortrefliches Fräulein, für mich zu einem Louvre wird, auf einmal versperren. Ich weiß, daß das Fräulein von S. Ihr ganzes Vertrauen besitzt; allein sollte sie auch wohl verschwiegen genug seyn, daß Sie [272] ihr das Geheimniß, das für mich so wichtig ist, anvertrauen könnten? Doch ich will Ihrer bekannten Klugheit nichts vorschreiben. Sie kennen den Ueberbringer dieses Briefes, und wissen, daß er ein redlicher Mann ist, wollen Sie ihm ein paar Zeilen anvertrauen, die mein Schicksal bestimmen, so werden Sie dadurch unendlich verbinden

Dero
unterthänigen Diener

und Verehrer,     

v. Ln. 


XXVII. Brief.
Fräulein Amalie v. S. an das Fräulein v. W.
Den 2 Nov.

Schon wieder ein Brief von Schönthal, werden Sie sagen, und das noch so spät, was hat das zu bedeuten? Eben nichts sonderliches, vielleicht aber auch [273] etwas, das nicht ganz unbeträchtlich ist. Es ist mir allemal sehr angenehm, wenn ich mich mit Ihnen unterreden kann, es sey nun mündlich oder schriftlich. Ich habe verschiedene Entdeckungen gemacht, die ich Ihnen doch in der Geschwindigkeit mittheilen muß, wenn sie auch gleich nicht so gar wichtig sind. Ich bin jetzo ganz ruhig, mein Affekt hat sich geleget. Da ich meinen Brief fortgeschickt hatte, trat ich wieder vor den Spiegel, und that mir allen möglichen Zwang an, um eine philosophische Mine zu machen. Wenn ich nur die äußere Seite einmal in meiner Gewalt habe, und so scheinen kann, wie ich scheinen will; so bringe ich es hernach bald dahin, daß ich auch in der That so seyn kann, wie ich seyn will. Ich bildete wir ein, daß mein Vorhaben ziemlich gelungen wäre, und warf nun einen philosophischen Blick auf den fatalen Brief. Ich nahm mir vor, ihn nochmals mit kaltem Blute zu lesen. Ehe ich mich aber recht daran wagte, fing ich an, um mein Blut nicht wieder in Wallung zu bringen, ihn von außen eine zeitlang zu betrachten. [274] Das Siegel zog zuerst meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Wappen war mir unbekannt. Es fielen mir schon vorher einige seltsame Gedanken ein, und ich weiß selbst nicht, wie ich auf den wunderbaren Zweifel gerieth, ob der Herrn v. Ln. auch der Verfasser von diesem Briefe wäre. Um mir alle Gelegenheit zu benehmen, ihn für unschuldig zu erkennen und ihm gegen mich selbst das Wort zu reden, schnitt ich das Siegel von dem Umschlag und ging damit zum Baron. Ich fragte, ob ihm dieses Wappen bekannt wäre, er sagte nein. Ich erkundigte mich, ob er des Herrn v. Ln. Wappen kennete, ich hätte von dem Fräulein v. W. einen Brief bekommen, der dieses Siegel gehabt hätte, und vermuthete, daß Sie es von dem Major entlehnt hätten, weil Sie bei Ihren Briefen sonst ein andres Siegel brauchten. Er versicherte, daß dieses des Herrn v. Ln. Wappen nicht wäre, und hätte auch nicht die geringste Aehnlichkeit damit, jenes wäre ihm sehr genau bekannt. Es befremdete mich dieses in etwas, ich dachte, wenn der Herr [275] v. Ln. kein Bedenken getragen hat, seinen Namen unter die Briefe zu setzen, warum sollte er sein Wappen verleugnen wollen? Doch ich sehe selbsten ein, das hieraus nichts zu machen war, es konnte zufälliger Weise geschehen seyn, daß er ein andres Siegel gebraucht hatte. Wenn man sich aber einmal etwas in den Kopf setzt, so hält es schwer, daß man sich von diesen Gedanken sogleich wieder loßmachen kann; wenn man auch wahrnimmt, daß sie keinen Grund haben. Ich wollte es nun einmal so haben, daß der Major die Briefe nicht geschrieben hätte, und diesen schwankenden Vorstellungen gab das fremde Siegel, so geringe dieser Umstand auch an sich war, eine ziemliche Festigkeit; wenigstens fiel doch mein Verdacht nicht mehr auf den Major alleine, ich theilte ihn schon unter mehrere aus. Nun war meine Neugier so rege gemacht, dieser Sache weiter nachzuforschen, daß geschäftige Generals nicht begieriger seyn können, die geheimsten Anschläge ihrer Feinde zu entdecken. Ich glaubte, Bornseil, der mir den Brief, der Ihnen zugehörte, [276] überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier. [277] Um mich völlig zu überzeugen, daß er mir die Wahrheit gesagt hätte, brachte er mir einen Brief, in welchen die zwei an uns waren eingeschlossen gewesen. Sie finden das Original selbst in meinem Briefe. Ich las solchen mit großer Aufmerksamkeit; thun Sie es ja auch, und fand in jeder Zeile für den Major eine Vertheidigung. Wozu dienet die große Sorgfalt, dachte ich, um nicht entdeckt zu werden, die er ganz vergebens anwenden würde, da er sich in den Briefen an uns genennet hat? Es könnte seyn, daß es wegen der Frau v. W. geschehen wäre, damit Bornseil nichts ausschwatzen möchte, daß er von dem Major Briefe an uns zu bestellen hätte. Das ließe sich zwar einiger maßen hören: aber im Grunde ist es nichts. Da der Verfasser der Briefe sich schmeichelt, daß wir uns mit ihm in einen Briefwechsel einlassen würden; so konnte es geschehen, daß die Frau v. W. einen Brief auffing. Würde sie nicht, wenn sie den alten Verwalter in ihrem Hause oft hätte ein und ausgehen sehen, auf seine Verrichtungen [278] daselbst aufmerksam worden seyn, und ihn einmal darum befragt haben? der Major hatte uns ja nicht untersagt, die Addresse unserer Antwort an ihn zu machen, und auf die Art erfuhr ja auch Bornseil, wer der Verfasser der Briefe wäre. Hätte der Major dieses nicht voraus sehen und dabei bedenken sollen, daß ein so einfältiger Mann, durch ein gutes Wort von seiner vormaligen Gebietherin oder auch durch eine kleine Bestechung, gesetzt, daß sie auch nur in einem Kruge Bier bestünde, sich leichtlich würde auslocken lassen, was er in Wilmershausen zu verrichten habe? Würde er ihr nicht selbst einen Brief in die Hände geliefert haben? Ueberhaupt schickt sich Bornseil so schlecht zu einem Liebesboten, daß ich mir nicht einbilden kann, daß ihn der Major dazu sollte gewählet haben. Er würde eine sehr geringe Belesenheit in den Romanen verrathen, die er doch oft blicken läßt, wenn er nicht wüßte, daß ein getreuer Bedienter und ein verschmitztes Kammermädchen die geschicktesten Bothschafter in dergleichen Fällen sind, ohne [279] daß der dritte Mann dabei nöthig ist. Das bedenklichste bei dieser Sache scheint dieses, daß uns Bornseil aufbürden soll, die Briefe wären ihm von einem Unbekannten gegeben worden, den er wie des Herrn v. Ln. Jäger beschreiben muß, da sie ihm doch von einem Kerl sind zugesteckt worden, den er für einen reisenden Handwerkspurschen gehalten, und da er ihm die Briefe ausgehändiget, geglaubet hat, er reichte ihm seinen Reisepaß zum Fenster hinein. Alles dieses zusammen genommen, macht mir so wahrscheinlich, daß der Major an dieser Sache keinen Antheil hat, daß ich über diesen Punkt mit mir bereits ziemlich einig bin. Damit Sie mich nicht für partheiisch halten, will ich ihn aber doch noch nicht ganz frei sprechen. Unterdessen habe ich mir schon ein paar Histörgen zusammen gedichtet, um diese Begebenheit daraus zu erklären. Das eine ist dieses. Die Frau v. W. scheinet heimlich sehr unzufrieden, daß der Major sich vorgestern um uns so geschäftig erzeigte. Wir machten in der großen Gesellschaft eine besondere kleine [280] aus, und sie hat geglaubet, bei dem Major etwas mehr als Höflichkeit gegen uns wahrgenommen zu haben; wenigstens befürchtete sie so etwas in Zukunft. Sie wollte also ihre liebe Tochter für aller Versuchung bewahren, und das Feuer gleich in der Asche ersticken. Sie mischte mich mit in den Handel, um Ihnen von dem Herrn v. Ln. eine üble Meinung beizubringen. Ihre Erfindung war eben nicht eine von den besten, sie war auch eben nicht übel ausgesonnen. Vermuthlich trauete sie uns nicht zu, daß wir ihm einen Vorhalt thun würden, daß er uns beide boßhaft hätte hintergehen wollen: dadurch wäre der Betrug offenbar worden. Sie sahe ein, daß wir aus Klugheit schweigen und ihn nur mit einer heimlichen Verachtung strafen würden. Wenn wir unsern Verdruß wollten sichtbar werden lassen, dachte sie, wäre dieses nicht eben so viel, als ein Geständniß, daß jede von uns vorhero seine Gunst gewünscht hätte? Ja ja, dieser Einfall sieht ihr vollkommen ähnlich. [281] Doch ich habe auch noch andere Gedanken. Sollte wohl mein Oncle oder sein weiser Rathgeber an dieser Erfindung Theil haben? Lampert ist arglistig genug zu einer solchen Unternehmung, um seinen Gönner einen in seinen Augen gefährlichen Rival wegzuschaffen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Major den Herrn v. N. sehr eifersüchtig gemacht hat. Wer weiß, ob uns Lampert nicht umgauckelt, ich will einmal dieses Wort den Dichtern abborgen, es drückt seine Unternehmung sehr wohl aus, und die Frau v. W. unschuldig ist. Mein Oncle hat gewiß an diesem Streiche keinen andern Antheil, als daß er seine Einwilligung zu Ausführung desselben gegeben hat, und vielleicht die Ursache ist, daß er ist ausgelacht worden. Wiewohl, es fällt mir schwer zu glauben, daß er sich aus Kargfeld herschreibt. Nun sehe ich recht deutlich ein, daß die Verwechselung der Briefe nicht dem Zufall zuzuschreiben, sondern daß dieses mit Fleiß so geschehen ist. Um aber niemanden hierüber Unrecht zu thun; so lassen Sie uns jedermann [282] so lange im Verdacht haben, bis wir den Zusammenhang der Sache vollkommen kennen. Was ich Ihnen schon heute gesagt habe, das wiederhole ich hier nochmals: Lassen Sie Ihren Verdruß nicht sichtbar werden, damit die Boshaften nicht frohlocken, daß ihnen ihr Streich gelungen ist. Nur eine kleine Geduld! Wir werden die finstern Gesichter auch noch brauchen. Wenn wir nur erst unsere Feinde kennen, alsdenn wollen wir tapfer gegen sie zu Felde ziehen. Ich werde keine Mühe sparen, sie zu entdecken, und wenn ich darüber zu einer klugen Frau schicken sollte. Glauben Sie das nur ganz sicher

Ihrer
aufrichtigen Freundin
A. v. S. 


[283]
XXVIII. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein v. W.
den 5 Novembr.

Das ungezogne Kopfweh! Will es sich denn noch immer nicht legen? Ich bin sehr böse, daß es Sie nun schon drei Tage quälet, und mich eben so lange des Vergnügens beraubet hat, von Ihnen ein Briefgen zu erhalten; oder wie ich hoffte, Sie selbst hier zu sehen. Wenn es doch nur wie der Schnuppen ansteckte, oder sich durch eine Sympathie fortpflanzen ließ; so sollte es gewiß den Urheber der verhaßten Briefe dergestalt ängstigen, daß er es verschwören wurde, seine Feder bei dergleichen ruchlosen Händeln jemals wieder anzusetzen. Ihre Unpäßlichkeit, denke ich, soll mit dem bösen Wetter Abschied nehmen, und morgen haben wir, nach dem Wetterglase und Bornseils untrüglichen Prophezeiungen, einen sehr [284] schönen Tag zu erwarten. Doch ich rede vom Wetter, gerade als wenn ich sonst nichts zu sagen wüßte. Ich habe mir vorgesetzt Ihnen diesmal etwas sehr wichtiges zu melden. Was dächten Sie wohl? Vorläufig kann ich Ihnen die Nachricht geben, daß ich in der Lotterie das Schicksal der mehresten gehabt, und nichts gewonnen habe. Nun werden Sie wohl errathen, daß meine Entdeckung unsere Händel betrifft, ich kann sie wohl so nennen; aber vielleicht bilden Sie Sich nicht ein, daß ich das ganze Geheimniß weiß – –. Ist das möglich! Auf mein Wort, was ich Ihnen sage! Hören Sie meinen Bericht hiervon.

Noch den Abend, da ich meinen letzten Brief geschrieben hatte, machte ich den Baron zu meinen Vertrauten; ich konnte es ihm unmöglich verschweigen. Nur verdroß mich, daß ich es von freien Stücken heraus sagen mußte, ohne daß er mir es ansehen wollte, daß ich was auf dem Herzen hatte. Doch ich setzte diesmal alles Ceremoniel bei [285] Seite. Da er mir nicht mit Ehrerbietung zuvor kommen und mich fragen wollte, warum ich ein so verdrüßlich Gesichte machte; so sagte ich es ihm recht deutlich, daß ich über einer gewissen Begebenheit, die mir heute zugestoßen, sehr empfindlich wäre. Nun schien es, als wenn er seine Unachtsamkeit wieder einbringen und mir alles auf einmal aus den Augen lesen wollte. Ich wies ihm die Briefe, und erzählte die Unterredung mit dem Verwalter, er erstaunte über meine Geschichte. Ich entdeckte ihm meine Gedanken von der Sache, er hörte mich an, ohne ihnen beizufallen, noch sie zu verwerfen. Er überdachte alle Umstände nochmals reiflich und mit solcher Aufmerksamkeit, daß ich glaubte, den Herrn Pitt vor mir zu sehen, wenn er Krieg und Frieden wägt. Er erklärte den Major gleichsam durch einen Machtspruch für unschuldig, endlich gefiel es ihm, auch seine Gründe diesfalls anzuzeigen. Er glaubte, daß eine so niederträchtige Handlung dem Charakter des Herrn v. Ln. zuwider sey; er versicherte zugleich, daß er seine [286] Hand genau kennte, daß aber die Züge des Briefs davon sehr abwichen. Er war über diese Verwegenheit so unwillig, daß ich zu der Zeit nicht wünschte, daß er den Verfasser der Briefe entdecken möchte. Doch wie seine Hitze bald überhingehet; so fing er auch an, diese Sache von der scherzhaften Seite zu betrachten. Sie ist so verwickelt, sagte er, daß sie dem Knoten in einer Komödie nicht unähnlich scheinet. Es ist nichts ungewöhnliches, daß dieser durch eine Tracht Schläge aufgelöset wird, wenn sich die Acteurs nicht anders helfen können. Wir wollen dieses kräftige Mittel auch hier anwenden, und dem Ueberbringer der Briefe seine Mühe dadurch belohnen lassen, der kann sie dem wieder zustellen, der ihm die Briefe gegeben hat, vielleicht bringt der sie wieder an rechten Mann. Bei meiner Schwester und mir fand dieser Vorschlag keinen Beifall, der arme Bornseil wäre dabei am schlimmsten wegkommen; der Schluß fiel deswegen dahin aus, dem Verwalter einzuprägen, denjenigen genau zu betrachten, der [287] ihm ein verschloßnes Briefgen bringen würde, um eine Antwort von ihm abzuholen. Es wurden ihm auch noch andere Regeln auf mancherlei Fälle ertheilet. Nun seyn Sie aufmerksam, jetzt kommt die Entwickelung. Heute frühe wurde der Verwalter in die Stadt geschickt, er läßt sich da kaum auf dem Markte blicken; so ruft ihn ein Weib, die eine ganz bekannte Trödelfrau ist, zu sich, zeigt ihm ein versiegelt Billet, und fragt, ob er an sie etwas abzugeben hätte. Bornseil stellt sich erfreut darüber und beantwortet ihre Frage mit ja, sucht alle seine Taschen durch, endlich, da er nichts findet, thut er sehr bestürzt, und beklagt, daß er früh im Dunkeln einen unrechten Rock ergriffen habe; verspricht aber heimzureuten und ihr noch vor Abends einen Brief zu bringen. Der Baron hatte ihm diese Umstände wohl eingepräget. Er gerieth auf die Vermuthung, daß er leichtlich in der Stadt um die Briefe könnte befraget werden. Er kam mit dieser Nachricht zurück. Wir schickten hierauf den Jäger in die Stadt, welcher sich [288] allerlei Kleinigkeiten bei dieser Frau kaufen sollte, um bei dieser Gelegenheit von ihr auszukundschaften, von wem sie das Billet wohl habe; er kann aber nichts von ihr ausforschen. Unsere Bemühungen wären also beinahe fruchtlos gewesen, wenn nicht zum Glück bei seiner Anwesenheit ein Mann vor die Bude kommen wäre und gefragt hätte, ob der Brief da sey, den er mitnehmen sollte. Sie beantwortet dieses mit nein, und bestellt ihn nach einer Stunde wieder. Der Jäger schleicht diesem Manne nach, der ihm ohnedem nicht unbekannt ist, und bringt ihm im Gasthofe bei einer freien Zeche zu einem vollkommenen Geständniß, doch unter der Bedingung, keiner lebendigen Seele etwas davon zu entdecken, weil es ihm hart verbothen wäre, etwas davon zu sagen. Sehen Sie nur, wie listig der Urheber der geheimen Correspondenz an uns sich verborgen hatte. Wenn er nicht durch einen Zufall wäre entdecket worden; so hätte man seine Verwegenheit nicht einmal ahnden können. Er hat sich, wie wir aus dem Erfolg sehen, für [289] unsere Rache sehr gefürchtet, und auf alle mögliche Art sich davor sicher zu stellen gesucht. Gegenwärtig beschäftigt sich mein Gemüth mit keiner andern Vorstellung, als mit der, diesen Frevel bestraft zu sehen, und ich bin so erfindungsreich, daß immer ein Anschlag den andern verdringt, meine Rache auszuführen. Der Baron hat versprochen, mir mit Rath und That an die Hand zu gehn; ich bin aber noch gar nicht mit mir einig, welches Mittel sich am füglichsten wird anwenden lassen, den Verwegenen zu züchtigen. Morgen besuche ich Sie, da wollen wir diese Sache gemeinschaftlich überdenken, wenn uns nicht überflüßige Personen in unsrer Gesellschaft daran verhindern. Doch ich plaudere sehr viel, und sage immer nicht, von wem sich der schlimme Streich herschreibt, und daran ist Ihnen vermutlich am meisten gelegen. Damit ich Ihnen morgen recht sehr willkommen bin; so habe ich mir vorgenommen, den Urheber, davon nicht anders als mündlich zu nennen. Ich lasse Sie in einer völligen Ungewißheit, um mir morgen [290] das Vergnügen zu verschaffen, Sie noch einmal herumrathen zu lassen: ich möchte doch sehen, wen Sie am meisten im Verdacht haben. Wenn Sie eine so unleidliche Neugierde besäßen, als unserm Geschlechte ordentlich zugeschrieben wird, die aber durchaus ein Fehler einzelner Personen ist, worunter ich gehöre; so würde ich mir es zur Sünde anrechnen, Sie so lange schmachten zu lassen. Sie sind aber gewiß hierbei ganz gleichgültig, und übersehen meinen kleinen Eigensinn. Mein Brief ist nun lang genug, Ihnen ihr Kopfweh zu vertreiben, oder es zu vermehren, deswegen will ich kein Wort mehr sagen, als daß ich bin

Ihre
aufrichtige Freundin
A. v. S. 


[291]
XXIX. Brief
Fräulein Amalia an ihren Bruder.
Schönthal, den 12 Nov.
Geliebter Bruder,

Du verlangst, daß ich noch immer auf alles aufmerksam seyn soll, was zur Geschichte unsres Oncles gehöret, in so ferne man ihn als Grandisons Jünger betrachten kann, ich bin auch noch immer geneigt, dein Verlangen zu erfüllen. Jetzo sehne ich mich recht nach neuen Auftritten, um die langen Winternächte desto gemächlicher hinzubringen, wenn ich einen Theil davon verschreibe, so wie ich den andern zu verschlafen gedenke. Wenn mir nur die geringste Gelegenheit gegeben wird, so bediene ich mich derselben mit Vergnügen, dir von den Begebenheiten in unserer Gegend Nachricht zu geben: aber eher setze ich auch keine Feder [292] an. Wenn ich weiter nichts sagen kann, als daß wir gesund sind, so schweige ich lieber: das kannst du auch von andern erfahren. Jetzo habe ich einmal wieder etwas erhascht, davon ich so viel zu schreiben gedenke, daß ich wenigstens ein halb Dutzend Federn stumpf machen werde; es betrifft unsern Oncle nur mittelbar und geht hauptsächlich den Herrn Lampert an. Der erste ist ganz ruhig, oder muß es vielmehr seyn, er verhält sich wieder paßive, wie Lampert spricht, das ist, er hat einen kleinen podagrischen Anfall; aber desto lebhafter ist der andere. Es ist, als wenn es diese beiden Leute mit einander abgeredt hätten, daß wenn der eine etwas seltsames geliefert hat: so tritt der andere auf, damit die Schaubühne nicht ledig bleibt. Ich bin gewohnt, nicht nur sehr lange Briefe wegen dieser Händel an dich zu schreiben, sondern ich theile dir auch alle diejenigen in Abschrift mit, die unter uns diesfalls gewechselt werden, und welcher ich nur habhaft werden kann. Gegenwärtig erhälst du ein Stück des Briefwechsels zwischen mir und [293] dem Fräulein v. W. Die ersten davon enthalten an sich eben nichts merkwürdiges, und ich war anfangs zweifelhaft, ob ich sie mit einschließen wollte; doch da ich sie nochmals las, schienen sie mir nicht ganz unbeträchtlich. Sie fassen den merkwürdigen Punkt der Wiederaussöhnung des Herrn v. N. mit der Frau v. W. in sich; sie enthalten auch einige Anekdoten, daraus man die dermaligen Gesinnungen der Personen, die unsere gewöhnliche Gesellschaft ausmachen, erkennen kann. In einem davon wird gedacht, daß der Major unsern Oncle eifersüchtig gemacht hat, und dieses kann als der Grund von der ganzen Geschichte, die ich zu beschreiben gedenke, angesehen werden. Da sich unser Oncle einmal eine Ursache zur Eifersucht in den Kopf gesetzet hatte; so zweifelte er nun, daß das Fräulein v. W. eine Henriette Byron seyn könnte, wenn sie einen andern Mann unserm Oncle in ihrem Herzen vorzöge. Vermuthlich hatte hierüber viele sorgsame Gedanken und Herr Lampert, nach seiner gefälligen Art, machte sich anheischig, [294] geschickte Mittel ausfündig zu machen, solches zu verhüten. Er gerieth auf den boshaften Einfall, im Namen des Herrn v. Ln. an das Fräulein v. W. und an mich zu schreiben, uns einen verwünschten Liebesantrag zu thun und diese Briefe mit Fleiß zu verwechseln, um dadurch den Major bei uns beiden verächtlich zu machen. Ich bilde mir ein, daß ihm diese Erfindung einige schlaflose Nächte gemacht hat. Er richtete solche in der That ins Werk, und weil ich seitdem ein kleines altmodisches silbernes Dösgen bei ihm bemerket habe; so glaube ich, der Oncle hat ihn damit für seinen klugen Einfall beschenket. Wenn ich nicht aus verschiedenen Umständen gemuthmaßet hätte, daß diese Briefe erdichtet wären; so hätte ihm sein Vorhaben wenigstens eine Zeitlang gelingen können, ohne daß dadurch sein Gönner das gerinste würde gewonnen haben. Im Anfang fiel aller Verdacht auf die Frau v. W. und Fräulein Julgen hat mir gestanden, daß sie, nachdem ich sie auf diese Spur gebracht, so feste davon wäre überzeugt gewesen, [295] daß sie es nur für Scherz angenommen, da ich ihr gesagt hätte, diese Erfindung schriebe sich vielleicht aus Kargfeld her. Sie wollte dieses mir nicht einmal glauben, da ich zu ihr ging, um ihr den wahren Urheber davon zu nennen. Wie wir ihn entdeckt haben, solches wirst du aus meinem letzten Briefe an das Fräulein v. W. sehen. Ueberhaupt erinnere ich, daß du die Innlagen meines Briefes eher lesen mußt als ihn selbsten, damit dir nichts in meiner Erzählung unverständlich bleibt. So erbittert wir gegen die Frau v. W. gewesen wären, wenn wir unsern Verdacht gegen sie gegründet befunden hätten; so ruhig waren wir nun, da wir den wahren Urheber dieser Kabbale entdeckt hatten. Das Fräulein v. W. war so großmüthig ihm zu verzeihen, ich hingegen war darauf bedacht wenigstens auf eine lustige Art mich zu rächen. Der Baron rieth mir, gegen den Oncle und den kühnen Lampert meinen Unwillen zu verbergen. Er nahm es auf sich, wegen dieser Beleidigung uns vollkommene Genugthuung zu verschaffen. [296] Leute von dem Charakter eines Lamperts, verdienen in meinen Augen Mitleiden, wenn man ihre Vergehungen nach der Strenge bestraft. So boshaft ihre Unternehmungen auch oftmals scheinen; so gehören sie doch zu den unwissendlichen oder wenigstens zu den Schwachheitssünden. Ich bin überzeugt, daß Lampert gewiß nicht den Vorsatz gehabt hat, uns zu beleidigen, er sahe seine Erfindung als eine erlaubte List an, seinen Gönner von einem so großen Uebel als ein Nebenbuhler ist, zu befreien, und dadurch das Lob eines klugen und erfindungsreichen Mannes zu verdienen. Ich bin geneigt eine größere Beleidigung gleichgültiger zu ertragen, wenn sie mir zugefüget wird, ohne daß man dabei die Absicht hat, mich zu beleidigen, als eine geringere, womit diese Absicht verbunden ist. Der Baron hat eben diese Gesinnung. Es wurde dahero in unserm Rathe beschlossen, uns zu stellen, als wenn wir die Briefe gar nicht empfangen hätten, und wo möglich, diese Gedanken unserm Oncle und dem Magister Lampert selbst beizubringen. [297] Wenn wir diesem hätten merken lassen, daß seine verwegne Unternehmung entdeckt wäre; so hätten wir nothwendig sehr böse gegen ihn thun müssen, und wenigstens in Jahrsfrist hätte er uns nicht dürfen ins Gesichte kommen. Doch dadurch wäre der Baron am meisten gestraft, wenn er in Jahr und Tag keinen Spaß mit ihm treiben sollte. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit ihm eins anzubringen, und ihm jetzo nur allen Argwohn zu benehmen, daß wir hinter das Geheimniß kommen wären. Bornseil hatte der Unterhändlerin in H. versprochen, ihr den Brief, den er an sie abzugeben hätte, noch denselben Tag einzuhändigen, der Baron nahm sich die Mühe ihm einen in die Feder zu dictiren, den er den folgenden Tag der Frau bringen mußte, er wurde in Bornseils Namen abgefaßt. Weil er nicht allzulang ist, will ich ihn einrücken. Die Aufschrift war an Herrn N. N., welcher Peter Bornseilen einige Briefe hat einhändigen lassen.

[298]
Unbekannter guter Freund,

Nebst einem schönen Gruße melde ich dienstlich, daß ich seinen Brief an unsere gnädige Fräulein und den an die Fräulein v. W. wie auch den meinigen wohl erhalten habe, und wenn ich sonst kein Bedenken gehabt hätte; so würden sie auch richtig seyn an Ort und Stelle gebracht worden. Aber nehm er mirs nicht übel, ich muß ihm hierdurch melden, daß ich sie nicht bestellen kann, und wenn ich ein Kaiserthum damit verdienen sollte. Sie sind nicht mehr in meinen Händen. Es hat sie mir zwar niemand genommen, ich habe sie auch nicht verlohren, noch vielweniger bereits richtig bestellt: sondern ich habe mich auf eine sonderbare Manier davon losgemacht. Laß er sichs erzählen, was ich damit vorgenommen habe. Es befremdete mich nicht wenig, daß mir von einem unbekannten Kerl ein Brief zugestellet wurde, darinnen ich zwei andere an die Fräuleins fand, es macht mich ziemlich stutzig, daß sich der Verfasser in dem Briefe an mich [299] nicht genennet hatte. Ich dachte deswegen, ist dir wohl, so bleib davon, daß du nicht kriegest bösen Lohn. Es ist gewiß nicht umsonst geschehen, daß der Verfasser sich nicht genennet hat, das hat seine Ursachen. Wir leben jetzo in gar bedenklichen Zeiten. Briefe zu bestellen, ohne zu wissen, von wannen sie kommen, ist gar gefährlich, es kann einer heutiges Tages in Leib- und Lebensgefahr darüber[WS 4] gerathen. Was deines Amts nicht ist, laß deinen Fürwitz. Briefe gehören auf die Post; ich bin aber weder ein Postknecht noch ein Postmeister jemals gewesen, sondern meiner Profeßion nach bin ich ein Oeconomus, und wenn ich ihm als ein solcher einen Gefallen kann erweisen, will ich es gern thun; aber zu weiter versteh ich mich nichts. Durch andrer Leute Schaden bin ich klug gemacht. Andräs, der Großknecht auf hiesigem Edelhofe, hat sich neulich von dem Herrn Schulmeister auch einen Brief lassen aufschwatzen, solchen in der Stadt zu bestellen, da er aber damit ans Thor kommt, haben ihn die Soldaten visentiret, den Brief genommen, aufgebrochen [300] und gelesen. Nicht genug hieran, so haben sie den armen Andräs von Pilatus zu Herodes herum geführet, daß er bald ein paar Schuhe darüber zerrissen, und nur noch von Glück zu sagen gehabt, daß sie ihn nicht gar für einen Spijon angesehen. Darum dachte ich: mit solchen Dingen unbeworren! Ich hielt auch sogar gefährlich, die Briefe lange in meinem Hause zu haben. Wenn ich gewußt hätte, wer er wäre, so hätte ich sie ihm noch denselbigen Abend wiedergebracht. Die ganze Nacht hindurch ist mir kein Schlaf in die Augen kommen, und wenn sich nur was regte, so dachte ich, es geschähe Haussuchung, man wollte die Briefe holen, und mich in Ketten und Banden schmieden. Um nun der Marter loß zu werden, nahm ich sie frühe, so bald der Himmel grauete, band sie an ein paar große Steine, und trug sie, wie ein paar junge Katzen, ins Wasser. Ich hätte zwar den kürzesten Weg gehen und sie verbrennen können; aber ich sorgte, dieses möchte mir Verdruß bringen, ich habe gehört, daß der [301] Staupbesen darauf stehet, wenn man die Briefe an andere erbricht, und ein fremdes Siegel verletzt. Da es nun in diesem Falle nicht ohne Verletzung des Siegels abgegangen wäre; so warf ich sie lieber ins Wasser. Nehm er es nicht übel, daß ich so strenge mit den Briefen verfahren bin, es war mir so Angst dabei, daß wenn ich sie länger in meinem Hause behalten hätte, so wäre ich wohl endlich selbsten ins Wasser gesprungen. Ich habe ihm nun als ein ehrlicher Mann gesagt, wo die Briefe hingekommen sind, und kann einen Eid deswegen ablegen. Er kann ja leichtlich ein paar andere schreiben, und sie auch auf eine andere Weise als durch mich bestellen lassen, wenn es nöthig ist. Dieses hat ihm nachrichtlich melden wollen

P. B. 

Mit diesem Briefe, den der Baron vollkommen nach Bornseils Schreibart eingerichtet hatte, wurde dieser nach H. geschickt, wo der benennten Frau solchen auch gegeben, [302] die ihn vermuthlich richtig bestellet hat. Nun dachten wir auf nichts anders, als den Magister Lampert seinen Frevel büßen zu lassen, wir machten einen Haufen Anschläge, es fanden sich aber bei jeden Schwürigkeiten. Von ungefehr both sich hierzu eine Gelegenheit dar, die so wunderbar als unerwartet kam. Doch ich will hier in meinem Briefe einen kleinen Abschnitt machen, damit wir beide, du beim Lesen, ich beim Schreiben, ein wenig ausruhen können.


XXX. Brief.
Fortsetzung des vorigen.
Den 13 und 14 Nov.

Es war am Diensttage, da wir Nachricht erhielten, daß einige Esquadrons von der schweren Englischen Cavallerie in unsere Gegend einrücken würden, Sie trafen Mittwoch Abends ein, wir bekamen also Gäste. Zwei Officiers ritten gerade in [303] den Edelhof, der eine war Rittmeister und der andere Cornet. Sie schienen im Anfang ein paar steife Männer zu seyn, der Rittmeister sonderlich hatte eine so nachdenkliche Mine, als wenn er glaubte, daß er an dem glücklichen Feldzuge dieses Jahres keinen geringen Antheil hätte. Wer sollte denken, daß dieser Mann bestimmt gewesen wäre, zwei beleidigte Frauenzimmer zu rächen! Der Baron redete sie französisch an, Sie antwortete kurz und gebrochen. Ich nahm mir vor, nicht lange in ihrer Gesellschaft zu bleiben, doch bei Tische fanden wir an dem Rittmeister einen ganz andern Mann, er wurde aufgeräumt und redete uns plötzlich in unsrer Muttersprache an. Der Baron war eben im Begriff, ihm seine Bewunderung darüber zu entdecken, da er ihm zuvor kam und anfing, sein Leben zu erzählen. Er hat einige mal das Glück gehabt, den König nach Deutschland zu begleiten, und hat sich ausserdem ziemlich lange aufgehalten. Nachmittage stattete der Herr v. Ln. einen Besuch bei uns ab. Der Rittmeister war sein vertrauter [304] Freund. Sie hatten einander lange nicht gesehen, und unterhielten sich eine Zeitlang von den Begebenheiten, die unterdessen dem einen sowohl als dem andern zugestoßen waren. Die Gespräche wurden hierauf, da diese beiden einander nichts mehr zu sagen hatten, so mannigfaltig, daß man fast zu gleicher Zeit vom Kriege, von der Verschiedenheit der Sitten der Deutschen und der Engländer, und von Romänen sprach. Das Capitel von den letztern war das längste. Der Major machte dem Rittmeister ein Compliment dadurch, daß er seinen Landsleuten ihr gehöriges Lob gab, daß sie uns mit verschiedenen artigen Romans beschenket hätten. Die vornehmsten wurden genennt und beurtheilet. Beiläufig wurde auch unserer übermäßigen Verehrer des Grandisons gedacht. Der Rittmeister war hierbei aufmerksam, und nach dem Geschmacke der Britten vergnügte er sich ungemein an dem sonderbaren, das diese Leute von sich blicken ließen. Der Major erzählte ihm mehr davon, als uns Anfangs lieb war. Um das [305] Gespräch in etwas zu verändern, gedachte der Baron, daß einer von Grandisons Jüngern zwei Frauenzimmer sehr beleidiget hätte, die deswegen auf Rache bedacht wären, und fragte mich zugleich, warum ich so roth würde, ob ich dadurch meine Rachbegierde verrathen wollte? Hierüber wurde ich in der That roth, diesen abgenutzten Spaß, die Männer auf Kosten des Frauenzimmers einmal lachen zu lassen, wendete der Baron dismal, seiner Gesellschaft zu Ehren, in dieser Absicht an. Ich wollte ihm wieder eins versetzen; doch ehe er mich zum Worte kommen lies, wendete er sich zum Major und sagte, er hätte schon in unserer Gegend einmal die gute Sache des Frauenzimmers mit Ruhme vertheidiget, worzu er sich entschlüßen wollte, wenn er hierzu nochmals aufgefodert würde? Der Herr von Ln. machte seinen besten Reverenz, er wollte gleich seinen Abschied fordern, sagte er, und aufhören, das Vaterland vertheidigen zu helfen, wenn er die Ehre haben sollte, für die Schönen zu fechten. Die Unterredung wurde über diesem [306] Punkt ziemlich munter, der Engelsmann wollte all einem solchen Glück gleichfalls Antheil haben, und sie zankten sich hierüber lange. Da der Rittmeister hörte, daß eine Fräulein Base des Majors mit im Spiel wäre, wollte er sich endlich mit ihm dahin vergleichen, daß sich dieser seiner Fräulein Base annehmen sollte; er hingegen wollte meine Parthie nehmen. Sie waren beide nun nur begierig, den Beleidiger sowohl, als die Beleidigung zu erfahren, jenen nennte der Baron, und diese, sagte er, bestünde darinne, daß Lampert, um eine Wette von unserm Oncle zu gewinnen, welcher behauptet hätte, die Freundschaft zwischen mir und dem Fräulein v. W. wäre unzertrennlich, sich unterstanden hätte, einen Zwist unter uns erregen zu wollen. Alle stimmten damit überein, daß dieser Frevel müßte bestraft werden. Der Baron hatte sogleich eine seltsame Erfindung parat, diesen Vorsatz auszuführen, die von allen belacht wurde; die aber einen so allgemeinen Beyfall erhielt, daß sie der Rittmeister, der dabey hauptsächlich [307] mit eingeflochten war, durchaus in Erfüllung bringen wollte. Es kostete nicht viel Mühe, den Baron dahin zu bringen, seinem Gaste dieses Vergnügen zu verschaffen. Die Herren brachten also den übrigen Theil des Tages damit zu, einander in allem vollkommen zu unterrichten, was den folgenden Tag ihre Lust vollkommen machen könnte. Ich schlich mich weg, um Fräulein Julgen Nachricht zu geben, was der Baron dem Major vorgeschwatzt hatte, damit wir einerlei Sprache führten, wenn der Herr v. Ln. etwas gegen ist davon gedächte. Des folgenden Tages fand sich dieser sehr zeitig bei uns ein, hierauf wurde folgendes Billet nach Kargfeld geschickt:

An Herrn Lampert,

Vernehmen Sie aus meinem Munde die seltsamste Geschichte, mein werther Herr Magister, die sich seit ihrer Promotion zugetragen hat. Ich habe seit vier und zwanzig Stunden einen Mann unter meinem Dache, den wir beide aus der Geschichte Sir [308] Grandisons kennen – Wen meinen Sie wohl? Ich will ihre Seele nicht lang im Zweifel lassen. Sind sie begierig den Hauptmann Salmonet von Person kennen zu lernen; so kommen sie eiligst nach Schönthal, er hat ein großes Verlangen Sie zu sehen, der Major Ohara hat in einigen Briefen sehr vortheilhaft von Ihnen geurtheilet. Lassen Sie noch zur Zeit ihrem Gönner nichts erfahren von dem, was ich ihnen jetzo sub rosa gesagt habe, damit er nicht in die Versuchung fällt, Sie zu begleiten. Es ist heute eine sehr feuchte Luft und ihm zuträglich, daß er sich warm hält, damit ihm das Podagra nicht in Leib schlägt. Kommen Sie bald, Sie werden mit Verlangen erwartet von

Ihrem
geneigten Freunde
v. F. 

Entzückt über diese unerwartete Botschaft, macht sich Lampert nach Empfang dieses [309] Briefgens sogleich reisefertig. Es war so veranstaltet worden, daß er auf diesem kleinen Wege bereits einige Anfechtungen haben sollte. Einige Reuter mußten ihn überfallen und für einen französischen Feldprediger ansehen. Er hat durchaus ein Kriegsgefangener werden sollen. Man hat ihm gesagt, er müßte mit nach Wilmershaußen in das Staabsquartier folgen. Endlich erhält er auf vieles Bitten so viel, daß er einer abgelößten Feldpost ein Wahrzeichen mit an uns nach Schönthal geben darf, damit wir seine Befreiung desto schleuniger auswirken möchten. In der Angst wählte er hierzu seine Sammtmütze, und er hätte nichts kenntlichers wählen können. Der Cüraßier hatte sie auf seinen blanken Pallasch gesteckt, da er in Schönthal einritte, und wenn Lampert nicht bald darauf selbst nachkommen wäre, so ahndete mir schon, daß das Gerüchte in der Gemeinde entstehen würde, er wäre niedergemacht worden. Doch der Rittmeister befahl, daß man ihn ungehindert sollte paßiren lassen, und schalt den Reuter, daß er die [310] Zierde des Hauptes eines deutschen Magisters so sehr mißhandelt hätte. Lampert erschien hierauf noch ganz betäubt von Schrecken. Der Rittmeister nahm sein steifes Wesen wieder an, die Rolle, die ihm der Major aufgetragen hatte, schien sehr gut mit ihm zu passen. Nach den ersten Komplimenten, die auf Seiten des Magisters mit einer furchtsamen Ehrerbietung gegen den Rittmeister begleitet waren, zog er einen Brief aus der Tasche. Sie haben mir zwar filentium imponirt, gnädiger Herr, sagte er zum Baron, ich habe meinem Gönner nichts von der beglückten Ankunft des Herrn Rittmeister Salmonets entdecken sollen: nehmen Sie es aber nicht ungnädig, ich hielt mich in meinem Gewissen verbunden, ihm einen Wink davon zu geben. Ich habe mir einmal eine Regel gemacht, kein Geheimniß zu besitzen das ich ihm nicht entdecken sollte, ich darf solche nicht überschreiten. Mein Patron bedauert, daß er nicht im Stande ist dem Herrn Rittmeister persönlich seine Aufwartung zu machen, er empfiehlt sich ihm in diesem [311] Schreiben. Er übergab es dem Officier, welcher es erbrach und laß. Ich will es hier einrücken, es veranlaßte eine wichtige Unterredung

Hochgeehrter Herr Rittmeister,

Wenn Sie deutsch verstehen, so ist es gut; wo nicht, so lassen Sie diesen Brief durch Ueberbringern desselben in eine Sprache übersetzen, in welche sie wollen. Ich erfreue mich sehr, daß ein Mann, von dem ich in der Geschichte Sir Carl Grandisons, meines vielgeehrten Herrn Gevatters, so viel gelesen habe, sich in hiesiger Gegend befindet. Ich möchte Sie gern von Person kennen lernen, und würde nicht ermangelt haben, Ihnen in Schönthal aufzuwarten, wenn ich nicht das Bette hüten müßte. Gönnen Sie mir Ihren Besuch, wenn Sie Ihren Posten verlassen können, Sie werden mir sehr willkommen seyn. Inzwischen da man nicht weiß, wie bald Sie etwan Ordre zum Aufbruch erhalten, und mir viel dran gelegen ist Ihr Portrait zu besitzen, weil Sie doch auch [312] mit in die Geschichte Sir Carls gehören; so thun Sie mir doch den Gefallen, und lassen Sie Sich bei Ihrem jetzigen Aufenthalt in Schönthal auf meine Kosten abkonterfeien. Ich habe mir vorgenommen, alle in dieser Geschichte vorkommende Personen abmahlen zu lassen, um meine Bildergalerie damit auszuschmücken, ich habe diesfalls auch bereits nach England geschrieben. Wenn Sie meine Bitte erfüllen, so erzeigen Sie mir dadurch den größten Gefallen von der Welt, und wenn ich im Stande bin, Ihnen Gegengefälligkeiten zu erzeigen; so werde ich mir ein Vergnügen daraus machen. Ich verharre mit aller Hochachtung

Dero
ergebenster Diener
v. N. 

Ja ja, sagte der Rittmeister, das ist der Mann, den mir der Major Ohara beschrieben hat. Hören sie einmal, was Aemilie Sir Beauchamps Gemahl von ihm spricht. [313] Lesen Sie diesen Brief selbst, Herr, sagte er zum Magister, wenn Sie englisch verstehen; doch ich will ihnen lieber die Uebersetzung davon machen. Er schlug das erste Blatt um, und stellte sich, als wenn er auf der andern Seite das fänd, was er suchte. Er las folgendes?

Wagen sie es ja nicht wieder, Sir Carln nachzuahmen, sie müssen wissen, sagte er, daß mich Lady Beauchamp mit diesem Briefe beehret hat. Es ist sehr wohl gethan, daß sie diesen Vorsatz aufgegeben haben, da sie an der glücklichen Ausführung desselben so sehr zweifeln. Dieses würde ihr Gemüth nur in einer beständigen Unruhe unterhalten haben. Mein Herr gestehet selbsten, daß er in dieser Unternehmung nicht vollkommen glücklich gewesen ist, das sage ich zu ihrem Troste. Wenn man nicht so gut ist als man seyn soll, so ist es gnug, wenn man sich bestrebt, so gut zu seyn, als man seyn kann. Kein Britte hat bis jetzo Sir Carln erreichet, vielweniger ein Irrländer. Diese Ehre ist einem Ausländer [314] vorbehalten gewesen. Sie kennen den Mann aus den Briefen des Gemahls meiner Mutter. Der Herr v. N., was für ein ehrwürdiger Name, der dem Namen Grandison gleich kommt! Alle Wetten, die in England sind angestellet worden, daß Sir Carl unnachähmlich wäre, gehen nunmehro verlohren. Zwei Capitalisten in Londen werden dadurch banquerott. Wir bewundern alle den großen Deutschen und Sir Carl ist über ihn vergnügt. Sie wissen, wie oft Herr Richardson mich in der Geschichte meines Vormundes heulen läßt: jetzo vergieße ich in der That mehrere Thränen, als mir jemals sind angedichtet worden, lauter Freudenthränen, daß Sir Carl der Gegenstand einer allgemeinen Bewunderung worden ist, und daß man ihn so glücklich nachahmet.

Wir haben Ursache einander Glück zu wünschen, sagte der Baron, daß wir so vielen Antheil an einem Manne haben, den man in Brittannien eben so hoch schätzt; so sehr man sein Urbild in Deutschland bewundert. [315] Bald bekomme ich selbst Lust, die Secte der Anhänger des Herrn Grandisons zu vergrößern, bis jetzo bin ich noch immer neutral gewesen. Was meinen Sie, Herr Rittmeister, trauen Sie mir wohl zu, daß ich es in der Nachahmung des Baronets weiter bringen sollte als Sie? Wenn ich die Ehre bedenke, die mir daher erwachsen würde, so möchte ich es fast wagen – Aber die Schwürigkeiten, die man dabei zu übersteigen findet – –

Salmonet. (Ich will ihm nur diesen Namen geben, weil er doch seine Person vorstellte.) Ja, die canalljösen Schwürigkeiten! Ich habe auch einmal Grandisons spielen wollen, aber bei meiner Treue! Ich hielt es nicht länger als vier Wochen aus, und weiß am besten, welchen Zwang ich mir dabey angethan habe. Wenn es länger gedauret hätte; so wäre ich über den Possen crepirt. Spiegeln sie sich an meinem Exempel.

Der Baron. Ich erkenne es, bei uns ist es nun zu spät, daß wir erst anfangen [316] wollten, uns in eine neue Form zu gießen, und wenn man uns beide zusammen schmelzt; so würde doch kein Mercur aus uns.

Lampert. Es ist andem, non ex quovis ligno fit Mercurius. Indessen wenn man den edelmüthigen Entschluß gefaßt hat, eine große Unternehmung auszuführen; so muß man sich keine Hinderniß davon abschrecken lassen. Man muß an die Worte des Dichters gedenken: quo bene coepisti, hic pede semper eas. Ich rufe die Sentenz täglich einmal beim Frühstück meinem Gönner zu, gleich jenem Edelknaben, der seinen Monarchen auch täglich an einen gewissen Denkspruch erinnern mußte, und dieses macht meinen Gönner so beherzt, daß er alles, was sich seinem edlen Vorhaben entgegen setzt, glücklich überwindet.

Salmonet. Grandison wäre der Mann nicht, der er wirklich ist, wenn er den Doctor Bartlett nicht auf der Seite gehabt hätte; und ihr Gönner würde auch wohl eine schlechte Figur machen, wenn sie ihn nicht unterstützten.

[317] Lampert. Sie erzeigen mir viel Ehre, mein Herr Rittmeister; aber ich versichere, daß ich weiter nichts als eine caussa occasionalis bin, daß mein Patron dem großen Britten glücklich nachfolget.

Salmonet. Sie sind ein sehr bescheidener Mann; mein Herr, und sie verdienen meine Hochachtung, daß sie das Lob, das ihnen mit Rechte zugehöret, auf eine so gute und gelehrte Art von sich ablehnen. Aber helfen sie mir doch aus dem Traume, was hat es denn mit der Bildergalerie ihres Herrn für eine Bewandniß? Mich dünkt, sie ist der Bildergalerie Sir Carls sehr unähnlich, dort befinden sich nur die Ahnen desselben, und hier will ihr Gönner die Portraits aller der Personen, die in der Geschichte seines Freundes genennet werden, aufstellen.

Lampert. Mein Gönner hat dabei verschiedene rühmliche Absichten. Er hält sich für einen aus der Familie Sir Carls, und also glaubt er ein Recht zu haben, alle Anverwandten desselben als die Seinigen zu betrachten. [318] Da es nicht wahrscheinlich ist, daß er die Englischen Freunde jemals von Person wird kennen lernen; so will er sich doch wenigstens aus dem Gemählde einen Begriff von ihnen machen. Ferner hat er[4] sich vorgenommen, seinen hochadelichen Sitz zu einer Schule der Tugend und Weisheit zu machen. Diese Bildergalerie wird also den beste Hörsaal derselben abgeben. Man wird Gelegenheit haben, wenn man den Lehrlingen diese Portraits zeiget, auch zugleich den moralischen Charakter der Personen, die dadurch vorgestellt werden, zu entwerfen. Die Tugend wird ihr gehöriges Lob, das Laster seinen Tadel finden.

Salmonet. Der Herr v. N. wird mein Portrait also nicht bekommen. Es ist mir bekannt, daß ihr Herren eben nicht die besten Begriffe von mir habt. Ich glaube, ihr wäret im Stande, mich neben den schelmischen Juden Merceda zu stellen, und jeder, der vorüber ginge, müßte einen Fluch über uns aussprechen. Nein, das wäre mir ungelegen! [319] Ich will lieber unbekannt bleiben, als auf eine solche Art berühmt werden.

Lampert. Sie haben nichts zu fürchten. Es scheinet, daß ihnen Sir Carl Pardon gegeben, und die Beleidigungen, die er von ihnen und dem Herrn Major Ohara erhielt, vergessen hat. Es ist also auch unsere Schuldigkeit, daß wir alles mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. So bald sie angefangen haben, den Herrn Grandison zu verehren; so bald sind sie aus den Thoren des Lasters zu den Fahnen der Tugend übergangen. Wenn jetzo Herr Richardson die Geschichte des Herrn Grandisons fortsetzen sollte, so würde er sie vermuthlich in einem ganz andern Lichte erscheinen lassen.

Salmonet. Denken sie nicht an den verhaßten Richardson. Er hat mich vor der ganzen Welt beschimpft, und ich hätte ihn gewiß längstens den Hals gebrochen, am sich Sir Carl seiner nicht annähme. Haben sie denn alles geglaubt, was er von dem [320] Major und mir bei den Händeln zu St. James quarre geschrieben hat?

Lampert. Ich hab im geringsten nicht daran gezweifelt, da Sir Carl den ganzen Vorgang der Sache selbsten an den Doctor Bartlett berichtet.

Salmonet. Es ist wahr, Sir Carl hat mit aller Aufrichtigkeit alle Händel beschrieben, ich habe den Brief im Original gesehen; Sir Richardson aber hat geglaubt, daß die getreue Mittheilung desselben seinem Helden nicht gar zu vortheilhaft seyn dürfte, deswegen hat er sich die Erlaubniß genommen, viele Stellen darinne zu verbessern. Er hat aber die Sache, wie jedermann, der nur Menschenverstand hat, leichtlich einsiehet, dergestalt übertrieben, daß seine Erzählung alle Wahrscheinlichkeit verliehrt. Sir Carl macht sich selbst oft darüber lustig: er weiß am besten, wie wir ihn damals in die Enge getrieben hatten.

Lampert. Sollte aber Sir Carl darein gewilliget haben, daß man die Welt so hinterginge [321] und ihr Unwahrheiten und Erdichtungen von ihm aufbürden dürfte?

Salmonet. Der Baronet hat hierzu freilich seine Einwilligung nicht gegeben, er hat alles hinter seinem Rücken gethan. Was sollte er aber machen, da es einmal geschehen war? Er mußte es dabey bewenden lassen.

Der Hr. v. Ln. Sie hätten in der That diesen Schimpf nicht sollen auf sich sitzen lassen. In Deutschland würde kein Officier mit ihnen getrunken haben, bis sie ihre Sache ausgemacht hätten. Wenn ich an ihrer Stelle wäre; so vertheidigte ich mich wenigstens in Schriften, und suchte meine Ehre vor der Welt zu retten. Ich denke, es ist noch immer Zeit.

Salmonet. Bis jetzo habe ich es auf Bitten des Majors unterlassen, dieser glaubte, Sir Carl würde ungehalten darüber werden, sie wissen wohl, daß er Ursache hat ihn zum Freunde zu behalten. Der Baronet [322] und Beauchamp sind ein Herz und eine Seele, dieser letztere, der jetzo Aemiliens Vermögen in Händen hat, würde der Gemahlin des Majors den Augenblick die freiwilligen Renten einziehen, wenn ihm Sir Carl nur einen Wink gäbe. Der Major würde also sehr übel dran seyn, wenn er dem Herrn Grandison auf sich unwillig machen wollte. Inzwischen ist sich jeder selbst der Nächste. Die Freundschaft des Baronets ist mir angenehm: aber ich will solche doch lieber vermissen als die Achtung der ganzen Welt. Da die Geschichte des Herrn Grandisons in Deutschland ein so großes Ansehen erlangt hat, und ich für die deutsche Nation sehr viele Achtung habe: so kann ich es unmöglich zugeben, daß man mir unverdienter Weise meine Ehre entzieht. Ich will mich rechtfertigen. Ich will die aufrichtige Relation der Händel mit Sir Carln aufsetzen und drucken lassen. Ich will mich gegen den unverschämten Herrn Richardson vertheidigen. Weisen sie mir nur einen Gelehrten zu, der die Sache gut einfädelt: ich bin der deutschen [323] Sprache nicht so mächtig, daß ich mich getrauete, diesen Aufsatz selbsten zu verfertigen.

v. Ln. Einen Gelehrten dürfen sie nicht weit suchen, wenn der Herr Magister Wilibald in der Gesellschaft ist. Er wird sich ein Vergnügen daraus machen, eine Caussa occasionalis zu seyn, ihren Ruhm, der in den Augen der Deutschen Schiffbruch gelitten hat, wieder herzustellen, und er wird, wie ich hoffe, ihre Ehre so tapfer vertheidigen, daß man sie in Zukunft für den herzhaftesten Irrländer halten wird.

Lampert. Ich verbitte diese Ehre gar sehr. Ich werde warlich gegen den Herrn Richardson nie eine Feder ansetzen, das ist geschworen! Gesetzt, aber noch nicht eingestanden, er hätte einiges in den Briefen des Herrn Grandisons an den Doctor Bartlett geändert; so würde ich doch nicht im Stande seyn, das Publicum davon zu überzeugen.

[324] v. Ln. Ich sollte meinen, dieses würde sich leicht thun lassen, wenigstens ist es wahrscheinlicher, daß zwei so tapfere Männer, als der Herr Major Ohara und der Herr Rittmeister Salmonet sind, den Herrn Grandison entwaffnet haben, als daß er beide durch seine Fechterstreiche um Hut und Degen bringt. Diese Stelle halte ich für die schwerste in dem Grandison, die einer Aufklärung wohl würdig ist.

Salmonet. Ich werde nicht mit Bitten bei ihnen nachlassen, mein Herr, bis sie sich entschlüßen, mir meinen guten Namen wieder zu verschaffen. Ich will ihnen unter der Mahlzeit den ganzen Verlauf der Sache der Wahrheit gemäß erzählen, bringen sie es hernach zu Pappier, damit ich diese Schutzschrift in die nächste Druckerei schicken und hernach in ganz Deutschland bekannt machen kann. Sie sollen zur Belohnung die Ehre haben, ihren Namen davor setzen zu dürfen.

[325] Lampert entschuldigte sich mit einem Haufen Complimenten, und glaubte damit durchzukommen, daß er vorgab, er würde sich das größte Gewissen machen, seinen Eid zu brechen, den er gethan hätte, nie eine Feder gegen den Herrn Richardson anzusetzen: Der Rittmeister aber drang so heftig in ihn, daß ihm ganz Angst dabei wurde. Bei der Mahlzeit erzählte der Rittmeister ein feines Mährgen, das schon den Tag zuvor war ausgedacht worden, von seiner Schlägerei mit dem Herrn Grandison, und sprach davon für sich so vortheilhaft, daß dem guten Lampert kein Bissen schmeckte. Er wünschte diesmal hundert Meilen von Schönthal und dem martialischen Britten zu seyn, dem er nicht, wie er wollte, zu widerlegen sich getrauete. Es war auch in der That gefährlich, diesem Kriegsmanne viel zu widersprechen, der, wenn man ihm nicht alles glauben wollte, die Stirn in tausend Falten legte, und gräßlich schwur, daß alles wahr wäre, was er sagte. Unterdessen nennte er den Magister immer seinen besten Freund, und erwies ihm [326] allerlei Liebkosungen. Beim Koffee wurde der Spaß vollkommen, wo nicht gar übertrieben. Lampert wollte es durchaus nicht unternehmen, den Herrn Salmonet gegen die Erzählung des Herrn Richardsons zu vertheidigen.

Wollen Sie nicht meiner Bitte Platz geben, mein Herr, sagte der Officier; so werde ich, wenn sie sich ferner weigern, nach Kriegsgebrauch mit ihnen verfahren müssen. Corporals, rief er zum Fenster hinunter, haltet ein Dutzend Sättel bereit. Nehmen Sie es nicht ungütig, mein Herr, es thut mir leid, daß ich ihre Schultern mit zwölf Sätteln muß beschweren lassen, wenn Sie meine Ehre gegen die feindseligen Angriffe des Herrn Richardsons nicht vertheidigen wollen. Sie werden sich gefallen lassen, diese Last so lange zu tragen, bis sie sich meinem Absichten gemäß erklären. Auf diese Art habe ich in meinem Vaterlande die Hartnäckigkeit von mehr als hundert Quäckern überwunden, und sie in zwo Stunden glücklich [327] bekehrt. Ich hoffe nicht, daß sie mich in die Nothwendigkeit versetzen werden, ihnen diese kleine Unbequemlichkeit so lange aufzubürden. Versuchen sie es nur so lange es ihnen gefällt. Sobald sie meine Bitte Statt finden lassen; so bald werde ich das Vergnügen haben sie von dieser kleinen Beschwerung zu befreien.

Verlangen sie nicht Unmöglichkeiten von mir, sagte Lampert in einem tragischen Tone, und beleidigen sie nicht das Gastrecht, das bei den Alten heilig war. Ich bin als ein Freund zu ihnen kommen, warum begegnen sie mir als einem Feinde? Sie werden an mir nie einen Vertheidiger, wohl aber einen Ankläger bei der ganzen ehrwürdigen Familie der Grandisonen finden, wenn sie fortfahren, einen Mann zu beleidigen, für den die weisesten der Britten selbst eine Achtung bezeigen, und dessen Bemühungen um die Gelehrsamkeit sie bereits belohnet haben.

[328] Salmonet. Glauben sie nicht, ehrwürdiger Freund, daß ich sie beleidigen will, entfernt von mir sei eine so tadelhafte Absicht! Ich werde sie vielmehr selbst unter der Last der Sättel hoch schätzen. Ich thue nichts, als was die größten Helden der alten und neuern Zeiten vor mir gethan haben, ich verfahre mit ihnen nach raison de guerre. Ein General, der ein Volk in seiner Gewalt hat, läßt sich von solchem alle Unterstützung und Hülfe zu Erhaltung seines Endzwecks, das ist, zu Beförderung seiner Progressen reichen, die er nur aufbringen kann. Er ist berechtiget mit militärischer Execution diese Hülfleistung zu erzwingen, ohne daß er deswegen ein Feind ist, er kann (bei alledem) sogar ein Freund und Bundsgenosse seyn. Was thue ich anders? Sie sind in meiner Gewalt, ich verlange eine kleine Gefälligkeit von ihnen, die sie mir auch leicht erweisen können, sie verweigern mir solche: ich bediene mich also meiner Macht, die mir die Kriegsgesetze erlauben, meinen Endzweck zu erreichen. Ich bin aber keinesweges ihr [329] Feind, nein, wir sind die besten Freunde, hier haben sie meine Hand. Ich bin äußerst gerühret, daß ich mich genöthiget sehe, ihnen auf eine unangenehme Art zu begegnen. Sie werden mich außerordentlich verbinden, wenn sie mich von der Nothwendigkeit befreien, meinem Vortheil der Heiligkeit des Gastrechts vorzuziehen.

Lampert zum Major. Sie bringen alles Unglück über mich, Herr Major! Hätten sie nicht den Vorschlag gethan, daß ich die Ehre des Herrn Rittmeisters gegen die Wahrheit verfechten sollte: so sähe ich mich jetzo nicht in so viele Verdrüßlichkeiten verwickelt. Nun verlasse ich mich auch auf ihren Vorspruch.

Der Major, zuckt die Achseln.

Salmonet. Hier gilt kein Vorspruch, entschließen sie sich, aut, aut. Er stieg auf vom Stuhle.

Lampert. Hören sie, Herr von Salmonet, nur ein Wort!

[330] Salmonet. Was denn?

Lampert. Gönnen sie mir doch wenigstens nur eine kleine Bedenkzeit, um bei einer Sache voll solcher Wichtigkeit eine feste Entschließung zu fassen. Erlauben sie, daß ich einen kleinen Abtritt nehme.

Salmonet. Richten sie alles nach ihren Gefallen ein, bester Freund, ich verstatte ihnen diesen Zeitraum gar gerne, die Sache zu überlegen, bringen sie nur eine mir gefällige Entschlüßung zurück.

Lampert ging hierauf in das Nebenzimmer, wir hörten kurz hernach seine Stimme. Der Baron winkte uns, daß wir stille seyn sollten, er nahm seine Schreibtafel und lehnte sich an die Thür. Hier ist es, was er von dem Selbstgespräche des Magisters aufgeschrieben hat, man konnte nicht alles vernehmen.

Nein! Jedermann würde mich verachten – Welcher Unterschied unter den Menschen! Grandison der Menschenfreund. Ehre genug seinetwegen ein Märtyrer zu seyn! [331] Wer kann wider Gewalt und Unrecht – –! Aber gleichwohl – keine Einwürfe! Ein Abschaum von bösen Menschen kann dich nicht beschimpfen. Getrost Lamperte! Jezt ist es Zeit, dir ein Verdienst zu machen –, Wohlan, zeige deinen Muth, wie spricht der Dichter:

Justum ettenacem propositi virum,
Non militum ardor, prava jubentium,
Non vultus (cape tibi hoc!)
Non vultus iustantis tyranni,
Mente quatit solida.

Aber freilich vor der übelunterrichteten Welt –. Ei kein aber! In Jahr und Tag ist alles vergessen –. Aber Hannchen wird mir umkehren. Ein schwerer Punkt – in der That, Hic haeret aqua! doch nein, nichts ist im Stande – –

Weiter konnte man nichts verstehen, es trat in dem Augenblick ein Küraßier von dem Ansehen eines Bramarbas in das Zimmer, der einen Paß examiniren ließ, und [332] durch das Geräusch seiner Stiefeln uns um den letzten Theil dieses Selbstgespräches brachte. Der Magister kam einige Augenblicke hernach sehr bestürzt zurück; er glaubte, der Küraßier wäre seinetwegen da, um gegen ihn Gewalt zu gebrauchen. Dieses machte eine plötzliche Aenderung in seinem festen Entschluß. Wozu dienen alle diese Weitläufigkeiten, sagte er, da ich bereit bin, ihre Absichten zu erfüllen. Der Rittmeister umarmte ihn, und der Küraßier nahm seinen Abmarsch. Lampert setzte sich in einem Winkel des Zimmers, und nach einer Stunde überreichte er die verfertigte Schutzschrift, die vollkommen nach dem Willen des Officiers eingerichtet war. Der Major rieth ihm, diesen Aufsatz in die öffentlichen Zeitungen einrücken zu lassen, weil dieses der leichteste Weg wäre, solchen allenthalben bekannt zu machen. Lampert bat den Rittmeister sehr angelegentlich, ihn zu beurlauben und ihn mit einem Passe zu versehen, damit wenn er unterweges einer Patruille wieder in die Hände fiele, man ihn nicht für eine verdächtige [333] Person halten möchte. Der Rittmeister versicherte, daß er nichts zu befürchten hatte, weil er aber doch darauf bestund; so gab er ihm einen Reitknecht zur Bedeckung mit. Er mußte versprechen des folgenden Tages wieder zu kommen, aber er hat sein Wort nicht gehalten. Am Freitage wollte der Rittmeister unsern Oncle besuchen.; er wurde aber durch die Ordre zum Aufbruch daran verhindert. Jetzo ist es in unserer Gegend wieder ganz ruhig. Der Magister hat sich, wie der Baron erzählet, der gestern in Kargfeld gewesen ist, zwei Tage und drei Nächte in einem großen Schlagfasse auf dem Boden aufgehalten, und vorgeben lassen, er wäre in Angelegenheiten seines Gönners verreist, damit er dem Herrn Salmonet nicht wieder unter das Gesichte kommen möchte. Unser Oncle ist sehr böse auf ihn, daß er dem Rittmeister Gehorsam geleistet, und eine Schmähschrift gegen den Herrn Grandison, wie er es nennt, aufgesetzt hat. Ich will das Original davon meinem Briefe mit beifügen, du wirst leicht einsehen, welchen [334] Zwang der Magister bei Verfertigung dieses Aufsatzes sich hat anthun müssen. Fräulein Julgen ist mit dieser heimlichen Rache gegen den boshaften Lampert nicht sowohl zufrieden als ich. Sie ist ein liebes frommes Kind, die keine Beleidigung rächen, sondern nur verzeihen will. Meine sechs Federn sind nun eben stumpf, ich will also mein Paquet geschwinde zusammen packen. Wenn es dir in Straßburg nicht so wohl gefällt als in Londen; so verschaffe uns bald das Vergnügen, dich in Schönthal zu sehen, um von mir die mündliche Versicherung zu erhalten, daß ich nie aufhören werde zu seyn

Deine
A.v. S.     


[335]
Avertissement
An das Publicum.

Es ist nicht ohne die äußerste Befremdung zu vernehmen gewesen, was maßen der Herausgeber der Geschichte Herrn Carl Grandisons, sich die ungeziemende Freiheit genommen hat, einige Briefe in besagter Geschichte nach seinem Gutdünken zu verändern und zu verfälschen, dergestalt und also, daß er sich nicht entblödet hat, aus solchen einige wichtige Umstände ganz und gar wegzulassen, oder zu verdrehen; nicht minder seine eigenen Erdichtungen und Hirngespinnste an deren Stelle zu setzen, und sie für die reine Wahrheit zu verkaufen. Da nun durch solche arglistige Griffe sowohl das Publicum auf eine schändliche Art ist hintergangen, als auch verschiedene Personen durch diese ungetreue Erzählung an ihrer Ehre und guten Namen heftig sind gekränket [336] worden: so hat man nicht Umgang nehmen wollen, eine abgenöthigte Ehrenrettung der, von dem Herrn Herausgeber so feindselig angegriffenen Personen, öffentlich an das Licht zu stellen, und dadurch ein unpartheiisches Publicum von der Wahrheit der Sache genau zu informiren, die fabelhaften Erdichtungen in ihrer Blöße darzustellen, und ihre Urheber für seine Verwegenheit dadurch einigermaßen büßen zu lassen.

Nie ist wohl die Wahrheit mehr gesparet worden, als bei Erzählung des Duells zwischen Herrn Carl Grandison Baronet an einem, und S. T. Herrn Major Ohara und dem Herrn Hauptmann Salmonet am andern Theile. Ob man gleich genugsam überzeugt ist, daß jedem vernünftigen Leser sogleich bei Erblickung dieser Relation, welche im 3ten Theile der Grandisonischen Geschichte und daselbst im XIII. Briefe aufgezeichnet zu ersehen ist, die handgreiflichsten Unwahrscheinlichkeiten, damit am besagten Orte einige Blätter angefüllet sind, nothwendig in [337] die Augen leuchten müssen, und man also die ganze Sache dem vernünftigen Urtheile des billigen Lesers hätte überlassen können: so hat man doch um der schwachen Brüder willen, die des judicii discretionis sich nicht sonderlich rühmen können, und aus Liebe zur Wahrheit, einige Umstände dieser Erzählung in etwas beleuchten wollen, um solche von den vorsetzlichen Erdichtungen des Verfassers zu säubern, und Licht und Finsterniß, das ist, Wahrheit und Lügen in diesem Chaos von einander abzusondern. Es ist demnach

1.) Ueberhaupt eine strafbare Verwegenheit, wenn dieser ganze Brief, so wie er in bemeldter Geschichte dem Publico vor Augen liegt, dem Herrn Carl Grandison angedichtet wird. Wahr ist es, daß Sir Carl den ganzen Verlauf des Rencontres mit dem Herrn Major Ohara und dem damaligen Titularhauptmann, jetzigen wirklichen Rittmeister in Königl. Großbrittannischen Diensten, Herrn von Salmonet, an Se. Hochwürden, Herrn D. Bartlett, aufrichtig und [338] mit der Wahrheit übereinstimmend berichtet hat. Es ist dieser Brief aber von dem Herrn Herausgeber entweder ganz und gar unterschlagen, oder durch viele erdichtete Zusätze so verunstaltet worden, daß ihn Sir Carl gar nicht mehr für den seinigen erkennt, wie er dieses selbst gegen viele glaubwürdige Personen, die allenfalls alle mit Namen angeführet werden könnten, gestanden hat. So ist auch

2.) Grundfalsch, wenn der Verfasser dieses untergeschobenen Briefes Sir Carln muthmaßen läßt, die beiden Herren wären gemeine Kerls und keine Officiers, die von der Frau Jervois nur wären herausgeputzet worden, da doch mehr belobter Herr Hauptmann Salmonet jetzo in Deutschland unter den englischen Truppen mit vielem Ruhme ein Geschwader Reuter commandiret, und sich vorgenommen hat, die Feinde seines Königes und des Vaterlandes zu überwinden, oder zu sterben. Es konnte auch Sir Carln ganz und gar nicht einfallen, an dem guten [339] Herkommen dieser beiden Herren zu zweifeln, da der Herr Major gleich nach den ersten steifen Complimenten, die beide Theile einander machten, sein Geschlechtregister nebst allen Documenten seines guten irrländischen Adels, welches zusammen im Druck einen ziemlichen Quartanten ausmachen dürfte, dem Baronet in einer Schnupftobacksdose darreichte, von welcher doch der Verfasser ein ganz andres Mährgen erzählet. Man hat nicht Ursache über dieses compendiöse Behältniß eines so weitläuftigen Werkes in Verwunderung zu gerathen, da man ja ungezweifelt weiß, daß in dem Alterthume eine Abschrift der ganzen Ilias des Homers, auf Pergament geschrieben, in einer Nuß ist aufbehalten worden. Was aber das Geschlecht des Herrn Salmonets anlangt, so glaubt man, daß jeder von der Vortrefflichkeit desselben genugsam werde urtheilen können, wenn man sagt, daß der Herr Großvater oftbenannten Herrn Rittmeisters unter Cromwells Heere eine ansehnliche Charge hatte, wenn dieser predigte, so versahe jener [340] die Stelle eines Feldcantors. Aus dem Verhältnisse eines Pastoris und Cantoris mit der Gemeinde, kann man das Verhältniß zwischen dem Protector Cromwell, dem Anherrn des Herrn Salmonets und andern Gliedern des Brittischen Staats vollkommen bestimmen. Gleichwie ein Pastor in seinem Dorfe und dessen Filialen der vornehmste Mann ist, und nach ihm dem Cantori der zweite Platz gehöret: also war auch Cromwell ein Beherrscher dreier Völker; und Herr Eduard Salmonet war nach ihm der größte im Reich. Ferner und zum

3.) Kann man auch unangemerkt hier nicht vorbeilassen, daß der Verfasser oftangezogenen untergeschobenen Briefs einen offenbaren Widerspruch begehet, wenn er erstlich den Herrn Grandison diese beiden Herren für gemeine Kerls halten, und ihn doch kurz hierauf den Degen gegen beide ziehen läßt. Man könnte zwar sagen, es wäre dieses eine Nothwehre gewesen: Sed quod negatur. Warum ließ er es denn [341] so weit kommen? Warum braviert er die Herren so lange, bis sie endlich böse werden und vom Leder ziehen? Wenn er sie für keine Cavaliers hielt, so konnte er ja gleich bei dem ersten Wortwechsel seinem Bedienten klingeln, um diese Männer, nach dem Ausdruck des Verfassers, mit der Verachtung, welche sie verdienten, nach ihrem Wagen bringen zu lassen, ohne sich vorhero erst mit ihnen zu schlagen, und ihnen Cavaliers-Satisfaction zu geben. Man merkt es hier gar zu deutlich, daß sich der Verfasser selbst vergessen hat, die Unwahrheit guckt unter seiner Erzählung allenthalben hervor. Möchte man ihm dahero nicht mit Recht zurufen: Mendacem opportet esse memorem? Nicht weniger ist es

4.) Eine lächerliche Erdichtung, wenn Herr Richardson seinen Helden seine zwei Gegner mit einer ganz unglaublichen und einer Zauberei ähnlichen Geschicklichkeit entwaffnen, und als ein paar Kartenmänner zu Boden strecken läßt. Er begnügt sich [342] nicht an einem Siege, den er seinem Helden so leicht in die Hände spielt: Sir Carl muß sich auch die Mühe nehmen, beide Männer, einen nach dem andern, aus dem Zimmer zu bringen. Wie er das angefangen hat, wird nicht gemeldet, es wäre dieses auch vergeblich gewesen, denn die umständlichste Beschreibung dieses Vorganges würde jedem vernünftigen Leser doch unbegreiflich geblieben seyn. Wenn man nicht Sir Carln für einen Zauberer halten will, der mit bannen und feste machen umgehen kann: so wird man gestehen müssen, daß dieser Auftritt dem Roman so ähnlich siehet, als ein Tropfen Wasser dem andern. Risum teneatis amici! Noch eins! Warum ruft denn Sir Carl noch zuletzt, da die beiden Herrn schon entwaffnet waren, ein halb Dutzend handfeste Kerls zu Hülfe? Waren die beiden Herren so gedultig als sie beschrieben werden; so waren die Bediente unnütze, sie hätten schon selbst ihren Wagen gesucht, da sie bei Sir Carln nichts mehr zu thun hatten. War aber die Gegenwart der Bedienten [343] nöthig; so ist dieses ein untrügliches Zeichen, daß Sir Carl mit ihnen alleine nicht fertig werden konnte. Wer findet hier nicht abermal einen Widerspruch!

Um dem erlauchten Publico nur einiger maßen einen richtigen Begriff von dieser Affaire zu machen: so ist zu wissen, daß Sir Carl den plötzlichen Ausbrüchen des Zorns, denen er von seiner ersten Jugend an unterworfen gewesen, nicht widerstehen konnte, da er in dem unerwarteten Besuche, mehrgedachter beider Herren Officiers, und der Gemahlin des Herrn Majors, etwas beleidigendes fand. Große Männer haben gemeiniglich auch große Fehler, ein Wort gab das andere; und Officiers, die Muth besitzen, lassen sich, wie man weiß, nicht gerne beleidigen. Sie waren also genöthiget, ihre Ehre mit dem Degen zu vertheidigen. Sir Carl hatte nur einen kleinen Pariser an der Seite, seine Herren Gegner aber ihre Commandodegen. Es wäre ihnen mithin ein leichtes gewesen, dem Baronet, der sich [344] bei dem Kamin mit einigen Stühlen verschanzet hatte, eins anzubringen, daß er genug gehabt hätte. Allein, da er offenbar übermannet war, und mit seinen Gegnern nicht einmal gleiche Waffen hatte: so war der Herr Major so großmüthig, ihn ordentlich nach Kriegsgebrauch in seinem Bollwerke aufzufordern. Man begehrte, er sollte das Gewehr strecken, und sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Weil er nun dieses zu thun sich weigerte: so machte man Mine, ihn hinter seiner Verschanzung anzugreifen. In diesem Augenblicke aber drang ein Haufe bewaffneter Bedienten in das Zimmer, ihren Herrn zu entsetzen, der eben im Begriff war, Chamade zu schlagen. Man bekam mit einem Haufen Feinden zu kämpfen, die allerlei ungewöhnliche Waffen, als Ofengabeln, Aexte, Feuerschaufeln und dergleichen führten. Hier war nichts anders zu thun, als sich mit Ehren durchzuschlagen. Beide Herren thaten ihr Bestes, der Major Ohara machte sich Platz bis an die Thür des Zimmers, doch hier hatte sich [345] ein verwegener Kopf hinpostiret, der seine Kohlenzange, gleichwie ein Krebs seine Scheere sowohl zu regieren wußte, daß er damit das Ohr des Majors ergriff und ihn dergestalt zwickte, daß er sich ergeben mußte, nachdem er sowohl als der Herr Salmonet durch einige Gabelstiche war verwundet worden. Die Ueberwinder trugen beide Herren im Triumph und mit einem großen Jubelgeschrei in ihren Wagen. So wie nun alle diese Umstände Herr Richardson mit großer Sorgfalt verschwiegen, und seine romanmäßigen Erdichtungen an deren Stelle gesetzet hat: so schüttet er

5) Seinen Gift und Galle noch zu guter Letzt über diese Herren aus, nachdem er sie mit vielen unwahrscheinlichen Umständen in ihren Wagen gebracht hat. Weil der ganze Handel ziemlich tragisch war, und er doch gern ein Lustspiel daraus machen wollte: so müssen die beiden Herren, mit denen er bereits so übel umgesprungen, daß es einem jammert, um dem Leser etwas zu lachen zu [346] geben, einander nicht anders als ein paar Böcke stutzen. Er läßt ihre Köpfe einander in der Kutschthür begegnen, und sie müssen sich so derbe Kopfnüsse versetzen, daß man die Maalzeichen davon unfehlbar noch an der Stirn des Herrn Rittmeisters entdecken würde, wenn die Sache Grund hätte. Man kann also auch dieser Erdichtung mit allem Rechte widersprechen, und im Gegentheil weiß man vielmehr, aus ganz sichern Nachrichten, daß beide Herren mit einer großmüthigen Standhaftigkeit ihr Schicksal ertragen haben, und nicht einmal den Affront, den sie von den Bedienten des Baronets erlitten, zu rächen suchten; ja sie waren so edelmüthig, daß sie ihre Hüte und Degen von Sir Carls Bedienten wollten einlösen lassen, welche Siegeszeichen er ihnen aber unentgeltlich überschickte.

Dieses ist die authentische Relation, des ganzen Vorganges dieser berüchtigten Sache, die in Europa hin und wieder vieles Aufsehen gemacht hat. Man hofft die gegenseitigen [347] Erdichtungen genugsam widerlegt zu haben, dergestalt, daß ein unpartheiisches Publicum nunmehro keinen Anstand nehmen wird, solche als falsch und ungegründet zu verwerfen, und im Gegentheil die geschmälerte Ehre des Herrn Majors Ohara und Herrn Hauptmann Salmonets wieder herzustellen, und alle ungleiche Urtheile auf den Verfasser obenangezogenen Briefs zurückfallen zu lassen. Wobei man sich schlüßlich zur Gewogenheit eines erlauchten Publici bestens empfiehlt.


  1. Es ist eigentlich ein allgemeines historisches Lexicon aller Magister, welche seit der Reformation in Deutschland gelebt, und sich entweder durch Kinderzeugen oder Bücherschreiben, berühmt gemacht haben. Dieses Werk wird ohngefehr 30 Alphabete stark werden, und in Leipzig herauskommen.
  2. Dieses sind die vorhergehenden Briefe vom 6ten bis auf den 14ten.
  3. Dieser Brief ist weggelassen worden, weil er nichts, das zu dieser Geschichte gehöret, enthält.
  4. doppeltes „hat er“ entfernt

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verscheigen
  2. Vorlage: hnen
  3. Vorlage: za
  4. Vorlage: darü-