Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N *** in Briefen entworfen/Band 3

2. Band Grandison der Zweite, Oder Geschichte des Herrn v. N *** in Briefen entworfen (1760-1762) von Johann Karl August Musäus
Band 3
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[I]
Grandison
der Zweite,
Oder
Geschichte
des Herrn v. N***
in Briefen entworfen.


Dritter Theil.
Eisenach,
Verlegts Michael Gottlieb Griesbach, 1762.
[1]
I. Brief.
Lampert Wilibald an den Herrn v. F.
Kargfeld, den 16 Nov.

Es hat mir gestern das Fräulein v. S. versichert, daß Eu. Hochwohlgebohrn. Gnaden heute an den Herrn v. S. ein Schreiben würden abgehen lassen, und ich glaube dadurch eine erwünschte Gelegenheit zu finden, inneliegenden Brief sicher nach England zu bringen; da der junge Herr sich anheischig gemacht, von Straßburg aus den Briefwechsel mit den Brittischen Freunden zu unterhalten. Sie werden also für meinen Gönner die Gewogenheit und für mich die Gnade haben, dieses Schreiben mit einzuschließen; auch beigelegtes Zeugniß [2] zu Rettung meiner Unschuld mit Dero hohen Namen zu bekräftigen. Ich habe nicht Umgang nehmen können, die bekannte Affaire mit dem verwünschten Salmonet, welcher in Wahrheit ein rechter Satan ist, an den Herrn Grandison einzuberichten, damit dieser Verwegene für seine Bosheit gezüchtiget werde, und meine Unschuld in puncto der Schmähschrift, welche ich gegen den Herrn Baronet aufzusetzen bin gezwungen worden, an den Tag komme.

Es ist zwar andem, daß meine Hand ist gemißbraucht worden, aber mein Herz ist unschuldig, und dahero hoffe ich, daß dieser großmüthige Mann desto geneigter seyn wird, mir zu verzeihen, je weniger mein Betragen in dieser gefährlichen Sache nach reiflicher Erwägung der antecedentium, concomitantium et consequentium mir zur Last geleget werden kann. Hat man, nach dem Urtheile vieler Gelehrten, den Menschen von dem Schriftsteller zu unterscheiden, dergestalt, [3] daß die Fehler des einen, dem andern nicht zugerechnet werden; so kann ich mit mehrerem Rechte verlangen, daß man einen Unterschied unter dem Magister und dem Menschen mache. Hat der letztere aus menschlicher Schwachheit, oder genauer zu reden, aus Klugheit ein größeres Uebel, das seiner Ehre eben so sehr als seinen Schultern drohete, abzuwenden, ein kleineres angerichtet, so hat der Magister nichts damit zu schaffen. Urtheilen sie hieraus, ob mein Herr Principal nicht zu weit gehet, wenn er einen ehrvergessenen Mammelucken aus mir machen will, weil ich nach den Regeln der Klugheit einmal anders gehandelt als gedacht habe. Ich hoffe aus England, wohin ich appelliret habe, ein günstiger Urtheil zu erhalten als von meinem Patron, welcher so sehr für die Ehre seines Herrn Gevatters eingenommen ist, daß er mich aus der Zahl der rühmlichen Nachfolger dieses großen Mannes gänzlich ausschließen will, ungeachtet ich nach allen Regeln der Beredsamkeit ihn [4] zu überzeugen gesucht habe, daß ich vorzüglich darunter gehöre. Es ist andem, daß ich an dem unglücklichen Tage, der mich auf einige Stunden zum Sclaven eines Tirannen machte, mich nicht als einen muthigen Achill, aber doch gewissermaßen als einen verschlagenen Ulyß gezeiget habe. Temporibus caute est inserviendum. Wenn ich den ganzen Vorgang der Sache ohne Vorurtheil erwäge, so glaube ich mehreres Lob als Tadel zu verdienen.

Es würde mir indessen zu einer ungemeinen Beruhigung gereichen, wenn Eu. Gnaden sich hierüber expectoriren wollten, ob ich in der Standhaftigkeit den Herrn Grandison zu vertheidigen hätte fortfahren sollen, oder ob ich weislicher gehandelt habe, daß ich der Gewalt nachgegeben. Würden sie die Sache zu meinem Vortheil entscheiden, so hätte ich Hoffnung, wieder an die Tafel meines Patrons aufgenommen zu werden, jetzo werde ich wie ein Aussätziger geachtet; [5] mein Herr will weder mit mir essen noch trinken, so lange er in den Gedanken stehet, ich hätte der Ehre seines Freundes durch mein Verfahren einigen Eintrag gethan. Jedoch vermuthlich will er nur dadurch meine philosophische Standhaftigkeit prüfen, und ich werde mich bemühen, zu zeigen, daß ich nicht nur in theoria, sondern auch in praxi eben so wohl ein Philosoph bin, als von

Eu. Gnaden
ein unterthänigster Diener
M. L. W. 


[6]
II. Brief.
An Herrn Grandison Baronet, von Herrn Lampert Wilibald, der freien Künste Magister.
Kargfeld, den 15 Nov.

Daß der Rabe ein Rabe bleibt, wenn man ihm auch gleich alle schwarze Federn ausrupfen wollte, und daß ein lasterhafter Mensch, dem das Laster zur andern Natur geworden ist, ein Bösewicht bleibt, wenn die Tugend auch gleich alle ihre Reizungen anwendet, ihn zu bessern: solches ist eine betrübte aber unumstösliche Wahrheit. Ein unedles Metall läßt sich durch die Kunst in ein edlers verwandeln; aber bei einem bößartigen Gemüth ist alle Kunst verlohren. Lassen Sie, hoher Gönner, zur Erläuterung dieser Wahrheit den Rittmeister Salmonet als ein Beispiel dienen, und erlauben Sie großgünstig, daß ich [7] Ihnen das erschreckliche Bild dieses Mannes mit lebendigen Farben abschildern darf. Sein Character ist Ihnen zwar sattsam bekannt; allein da er gegen Sie niemals seine Boßheit in ihrem ganzen Umfange hat ausüben können: so schlüße ich daraus wahrscheinlich, daß Ihr Begriff von diesem ruchlosen Menschen, wenn ihm dieser letzte Name anders noch zukommt, und er nicht vielmehr ein Ungeheuer oder Meerwolf genennet zu werden verdienet, einigermaßen unvollständig ist.

Es kann Ihnen nicht unbekannt seyn, daß er sich unter den königlichen Truppen in Deutschland befindet. Ein unglückliches Schicksal wollte, daß er mit seinen ihm untergebenen Leuten auf dem Hochadlichen Rittersitze des Herrn Baron v. F. zu Schönthal einige Tage sein Quartier bekam. Er legte den Wolfspelz ein wenig im Anfange bey Seite, und trug Verlangen, die Verehrer Eu. Gnaden, von welchen er durch den Herrn [8] Major Ohara und die Madame Beauchamp einige Nachricht erhalten, persönlich kennen zu lernen. Jedermann drang sich zu ihm, um einen Mann, der zufälliger Weise nichts geringes beygetragen hat, Dero Ruhm in ein helleres Licht zu setzen, gleich einem ausländischen wilden Thiere in Augenschein zu nehmen; doch plötzlich riß sich dieser Panther von der Kette, ersahe unter allen Anwesenden mich zum Raube seiner Grausamkeit, sprang mir auf den Hals und würgete mich wie ein unschuldiges Lamm, das ist, er nöthigte mich unter vielen Drohungen, eine ehrenrührige Schrift wider Eu. Gnaden aufzusetzen, mit dem Vorsatze, solche der Welt durch den Druck öffentlich vor Augen zu legen, und dadurch Dero berühmten und heldenmüthigen Namen ein Klebefleckgen anzuhängen. Ich bin versichert, daß Sie mir als Dero eifrigsten Verehrer kaum werden zutrauen können, daß ich gegen Dero hohe Person die Feder angesetzt haben sollte; ich entsetze mich gegenwärtig vor mir selbsten [9] und schlage mich ins Angesicht, so oft ich daran gedenke. Ich habe die glückliche Gelegenheit, mich um Sie verdient zu machen, aus den Händen gelassen; ich habe mich durch Drohungen erschrecken und eintreiben lassen, meinen, und welches ich ohne eitlen Ruhm sage, Ihren ähnlichen Character zu verläugnen, und doch gleichwohl bin ich, welches paradox scheinet,

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Es ist wahr, ich habe mich durch diese Affaire nicht, wie ich wünschte, um Sie verdient gemacht, und deswegen bin ich auch nicht gesonnen, mich so weiß zu brennen, daß ich alle menschliche Schwachheit, die ich etwan in dieser Sache gezeiget, von mir removiren wollte: aber ich habe mich auch keines Hochverraths gegen Dieselben, wie mir von einigen will aufgebürdet werden, schuldig gemacht. Vernehmen Sie den ganzen Verlauf der Sache in zwei Worten, und hernach fällen sie mein Urtheil.

[10] Nachdem der Rittmeister Salmonet sich auf dem Schlosse des Herrn v. F. mit mir in eine weitläuftige Unterredung von der Attaque, welche er, nebst dem Major Ohara auf Dero Person in London geführet, eingelassen, und seine ganze Beredsamkeit angewendet hatte, dieser für ihn so nachtheiligen Begebenheit durch allerlei Erdichtungen einen solchen Schwung zu geben, daß sie mehr zu seinem und seines Consorten als zu Dero Vortheil angeblichermaßen sollte ausgefallen seyn; auch hiernächst den Herrn Richardson eines gröblichen Falsi beschuldigte, als hätte er Dero an den Herrn D. Bartlett abgelassenes Handschreiben, worinnen diese Sache erzählet wird, unendlicher Weise verfälschet, viele Umstände herausgelassen, verändert, und die ganze Sache so bemäntelt, daß Dero Ehre zwar gerettet, seine und des Herrn Majors Ehre aber aufs heftigste dadurch wäre angegriffen und gemißhandelt worden, und er denn nicht gemeinet sey, länger in den Augen des ganzen erlauchten europäischen Publici, für [11] einen Poltron gehalten zu werden, da er insbesondere in dem jetzigen Kriege, bei den Feinden seines Königes und der Brittischen Nation, durch seine Tapferkeit und Kriegeserfahrung, sich in eine solche Reputation gesetzt, daß sie ohne Schrecken nicht an ihn gedenken könnten: so ersuchte er mich, wie er sagte, auf Recommendation des Herrn v. Ln. seines Freundes, der ein deutscher Cavalier ist, wegen meiner von diesem ihm angerühmten Geschicklichkeit seine gute Sache vor der ganzen honetten Welt öffentlich zu vertheidigen. Zu dem Ende ersuchte er mich im Anfang auf eine freundschaftliche Art, eine mit vielen Erdichtungen und unwahrscheinlichen Umständen ausgeschmückte Nachricht, dem von dem Herrn Richardson Ihrer Geschichte einverleibten Briefe entgegen zu setzen, und mithin gegen den Herrn Richardson oder vielmehr gegen Hochdieselben die gelehrten Waffen zu ergreifen. Wie ich nun dieses höchlich verbat und mich weder durch Verheißungen noch Liebkosungen zu einen Lügenpropheten wollte [12] mißbrauchen lassen: so erschien er plötzlich nach abgelegten Fuchsbalg in der Löwenhaut, und unterstund sich, durch allerhand militarische Zwangsmittel, die mir noch, so oft ich daran gedenke, einen febrilischen Schauer erregen, mich zur Vollstreckung seines Willens zu nöthigen. Ich that, was man von dem Character eines ehrlichen Mannes verlangen kann, und widerstund dem Versucher mascule, wie solches angebogenes Testimonium mit mehrerm bezeiget; jedoch da ich mich in seiner Gewalt befand, und er mit mir umspringen konnte, wie er nur wollte, auch die Gefahr, in welcher ich mich befand, vor Augen sahe, und zugleich überlegte, daß es mehr eine tadelhafte Hartnäckigkeit als eine lobenswürdige Tapferkeit sey, sich einer überlegenen Macht zu widersetzen, und muthwillig den Kopf gegen die Mauer zu stoßen: so erachtete ich der Klugheit gemäß zu seyn, mich dismal weislich in die Zeit zu schicken, und der Gewalt zu weichen. Diesem Entschluß zu Folge verfertigte ich zwar den mit Gewalt [13] von mir erzwungenen Aufsatz, jedoch mit der ausdrücklichen Reservatione mentali, daß ich solchen, wenn er auch unter meinem Namen, um ihn, wie ich vermuthe, in Deutschland mehreres Ansehen zu verschaffen, sollte ans Licht treten, niemals für meine Arbeit erkennen, sondern, sobald er mir unter die Augen treten würde, ihm eine gründliche Beantwortung entgegen stellen wollte.

Ob ich nun gleich nach einer genauen Zusammenhaltung aller Umstände mir in meinem Betragen bey dieser Sache nichts vorzuwerfen habe; so kann ich doch nicht umhin, Eu. Gnaden unterthänig zu entdecken, daß meine philosophische Gemüthsruhe seit dieser Affaire vieles gelitten hat. Ich bin ein rechter Heavtontimorumenos und diese animi pathemata wirken dergestalt auf meinen Körper, daß sie mich beinahe völlig um meinen guten Appetit und Schlaf gebracht haben, und ich dahero in Sorgen stehen muß, eins Auszehrung zu bekommen, wenn Hochdenenselben [14] nicht gefallen wollte, meine Handlung zu rechtfertigen, mich von aller Schuld und Vergehung gegen Dero hohe Person loszusprechen, auch meinem Patron, dem Herrn v. N. nachdrückliche Vorstellung zu thun, damit er nicht aus einem übertriebenen Eifer für Dero Ehre mir täglich so viele beißende Vorwürfe mache. Ich verlasse mich hierinne gänzlich auf Dero angestammte Großmuth, so wie ich Ihre Gerechtigkeit auffordere und Sie hierdurch beschwören will, sich und mich und die ganze ehrliebende Welt, welche durch die Vorspiegelungen des ruchlosen Salmonets hat hintergangen werden sollen, an diesem Auswurf der Natur und der rechtschaffenen irrländischen Nation aufs nachdrücklichste zu rächen, und diese unbeschreibliche Effronterie entweder dem Parlement, oder der hohen Generalität anzuzeigen, auch ohnmaßgeblich dahin anzutragen, daß dieser bösartige Mensch von seinem Commando avociret, gerichtet und verurtheilet werde, daß er wenigstens auf zehen Jahre aus seinem [15] Vaterlande zu den wilden Iroquoisen nach America, wohin er sich eher schickt als in das gesittete Deutschland, welches er mit Uebelthaten erfüllet, verbannet werde.

Glauben Sie indessen nicht, hoher Gönner, daß ich aus einer Privatrache den leidigen Salmonet exemplarisch bestraft zu sehen wünschte, ich würde ihrer Achtung unwürdig seyn, wenn ein so strafbarer Affect in mir herrschte, und zu diesem Wunsche Gelegenheit gegeben hätte. Persönlich habe ich nach Dero Beispiele ihm alles großmüthig verziehen, ich bedaure ihn wie einen armen Sünder, den man an die Gerichtsstätte führen siehet, ich wünschte, daß ich alles mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken könnte. Allein nach dem Triebe der Gerechtigkeit, welcher mir eigen ist, kann ich solche Vergehung mit Stilleschweigen nicht übergehen: denn ich halte dieses Mittel, der Boßheit Einhalt zu thun, nicht zureichend, wenn man sie übersiehet, sondern, wenn man sie [16] an den Tag bringt, daß sie andern zur Warnung bestraft werde. Aus diesem Grunde glaube ich, wenn anders Eu. Gn. nicht durch meine Freimüthigkeit beleidiget werden, daß Dero großmüthige Vergebung und Unterdruckung des strafbaren Attentats, des Majors und des Rittmeisters auf Dero Person, zwar in thesi lobenswürdig ist, in hypothesi aber und mit kritischen Auge betrachtet, scheinet, quod pace tua dixerim, diese Großmuth mehr verschwendet als wohl angewendet gewesen zu seyn. Hätten Sie diese beiden Männer der Gerechtigkeit damals nicht entzogen, so würden sie vielleicht beide dadurch abgehalten worden seyn, neue Uebelthaten zu begehen. Was den Major anlanget, so getraue ich mich nicht zu entscheiden, ob er wirklich durch Ihro Großmuth ist beschämet worden und in sich gegangen ist; oder ob seine gute Aufführung, die er nachher beobachtet hat, nicht eher einer Verstellung als einer wirklichen Lebensbesserung ähnlich siehet, wenigstens ists es gewiß, daß der Rittmeister [17] dadurch nur destomehr ist angefrischet worden, neue molimina gegen Hochdieselben zu unternehmen, wovon ich auch zugleich ein unglückliches Object gewesen bin. Ich will hiervon nichts weiter gedenken, Sie, hoher Gönner, haben viel zu erleuchtete Einsichten, als daß Sie nicht hierinne mit mir übereinstimmen sollten, daß die Boßheit muß bestraft werden, und daß einfolglich dieser Ruchlose, wenn anders in der Welt noch einige Gerechtigkeit gehandelt wird, den an Ihnen und mir verübten Frevel wird büßen müssen.

Ich habe mich anheischig gemacht, den Charakter dieses Mannes zu schildern, aus dem, was ich bereits gesagt habe, ist er sichtbar genug; doch damit er desto deutlicher in die Augen falle, so erlauben Eu. Gn. daß ich aus der Geschichte einige der berühmtesten Bösewichte aufstelle, und sie mit diesem in eine Vergleichung setze, um zu beurtheilen, ob die Uebelthaten der erstern oder des letztern ein größeres Gewicht haben.

[18] Welch abscheulich Gemählde machen die Liebhaber der Alterthümer von dem Herostrat, der den prächtigen Tempel der Diane zu Ephesus in die Asche geleget! Es ist nicht zu läugnen, er war ein böser Bube, allein was that er anders, als daß er einen heidnischen Tempel und abgöttisches Bild verwüstete? der Rittmeister Salmonet ist ein andrer Mann, er verschwendet seine Bosheit nicht an leblose Geschöpfe; er wütet gegen lebendige Creaturen, gegen vernünftige Bewohner der Erde, gegen Leute von Ehre und Verdienst. Er als ein elender Zwerg steigt gleichsam den Riesen auf die Schultern, und tritt sie mit Füßen, damit er nur von andern möge gesehen werden. Er ist wie eine schelmische Mücke, die sich unterstehet, mit ihren vergifteten Stachel ein edelmüthiges Pferd zu verwunden, das doch im Stande ist, ein solch unedles Insekt mit seinem Othem zu verschlingen.

Brutus und Caßius, die Anführer der Rotte, die dem großen Cäsar den Tod geschworen [19] hatte, brachten diesen Helden auf eine grausame Art um; aber was war ihre Absicht? Die Freiheit des Vaterlandes zu retten, und Rom von der Knechtschaft zu befreien, folglich hatten sie das gemeine Beste zum Augenmerk. Bin ich gleich nicht ein Held, daß ich, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, mit dem Cäsar könnte in Vergleichung gesetzet werden, so war es auch kein Gelehrter, der mit akademischen Ehren pranget, wie ich, und vielleicht bin ich, welches ich doch nicht sage, um eitlen Ruhm zu suchen, ein nützlicheres Mitglied des Staates, als dieser große Römer, wenigstens habe ich in der Welt nicht so vielen Schaden angerichtet, und nicht so viele tausend Menschen meiner Sehnsucht zum Opfer gebracht. Hat er mich gleich nicht auf eine so grobe Art todtgeschlagen, wie Brutus und Caßius den Cäsar; so hat er mich doch auf eine subtile Art todtgeschlagen: denn er hat mir meine Ehre geraubt, weil er meinen Namen gemißbraucht, solchen einer Lästerschrift vorzusetzen, und mich [20] sogar gezwungen, sie zu entwerfen; er hat mich todtgeschlagen, indem er durch eine so tirannische Zunöthigung, die mit den schrecklichsten Drohungen begleitet war, mich in solche Gemüthsunruhe versetzet, daß es kein Wunder seyn würde, wenn ich wie jener Prinz in einer Nacht grau worden wäre, wie denn meine Gesundheit ein merkliches dadurch gelitten, und mein Lebensfaden vieles von seiner Länge verlohren hat. Da es also erwiesen ist, daß der Boshafte einen nützlichern Weltbürger todgeschlagen, als Caßius und Brutus, so ist klar, daß die Uebelthaten des erstern größer sind als des letztern, und mithin auch der nachdrücklichsten Ahndung würdig sind.

Die mehresten Kaiser der ersten Jahrhunderte werden als abscheuliche Unmenschen voll den Schriftstellern abgeschildert, die Herren, welche ein so schreckliches Bild entworfen, haben nie einen Tirannen vor sich gehabt, sie würden sonst gelinder mit ihnen verfahren seyn. Warum muß ein Tiber alle erdenkliche Schmähreden über sich ergehen [21] lassen, weil er einen Bürgermeister hinrichten ließ, der einige Stücke Geld mit des Kaisers Bildnisse bezeichnet, in seinen Beinkleidern mit dahin genommen,

Da, wo man nach der Wand den bloßen Rücken kehrt?

Ein Caligula, weil er die erledigte Oberstelle im römischen Rathe seinem Gaule zugedacht hatte; weil er die Verschwendung so hoch trieb, daß er Rebhüner-Eier, Pfauenzungen, und das Gehirne der Krammetsvögel speiste? Ein Nero, daß er einigen Eseln, die besonders bei ihm in Gnaden stunden, goldne Hufeisen auflegen ließ; daß er mit goldnen Netzen fischte, und die Stadt Rom einmal anzünden ließ, um als ein guter Kritikus, eine Stelle des Homers, die nicht nach der Natur gemahlet schien, zu erläutern? Waren diese Herren lasterhaft, tirannisch und verschwenderisch, so waren sie Kaiser und keine Privatpersonen; sie ließen bei allem Unfug, den sie anrichteten, die Gelehrten in ihren Würden, und wenn ja einmal [22] Nero gegen seinen Lehrmeister grausam ist, so darf dieses Herr Salmonet mit einem Gelehrten, der ihm nie in irgend einer Wissenschaft Unterricht gegeben, nicht gleich nachthun. Ueberdieses waren jene Herren große Monarchen, die ihrer Unterthanen Leben und Vermögen als ihr Eigenthum betrachteten; allein wodurch hat ein verdammter Irrländer dieses Recht herbekommen, gegen einen deutschen Gelehrten einen solchen Despotismum auszuüben? Je weniger sich diese malitiöse Handlung des Verwegenen durch etwas beschönigen läßt, desto größer wird die Sittlichkeit derselben, und es muß, ohne weitern Beweis zu führen, zugegeben werden, daß, da seine Bosheit größer ist, als der ruchlosesten Leute, die jemals der Erdboden getragen hat; er auch würdig wäre, ärger als Damien und andre Ungeheuer der Natur, andern zum Abscheu, wegen dieser Mißhandlung bestraft zu werden. Doch hierinne habe ich der Gerechtigkeit nichts vorzuschreiben. Eu. Gn. werden nach Dero beiwohnenden Klugheit schon wissen, [23] Sorge zu tragen, daß er seiner Strafe nicht entgehet. Ich empfehle Hochdenenselben diese Angelegenheit eben so sehr, als meinen Gönner und die gesammte Anzahl Dero Verehrer in hiesiger Gegend, worunter ich vorzüglich gehöre, und verharre mit lebenswäriger Hochachtung

Eu. etc.
unterthäniger Diener
M. L. W. 
Beilage.

Daß Vorzeiger dieses, Tib. Plen. Herr Lampert Wilibald, der freien Künste Magister, nicht leichtsinniger Weise oder durch Verheißungen und Geschenke, sondern vielmehr durch militarische Bewegungsgründe und Androhung schwerer Pön ist angetrieben worden, auf Verlangen des Rittmeisters Salmonets, jedoch wider seinen Willen und Neigung, eine der Ehre des hochberühmten Herrn Carl Grandisons Baronets nachtheilige [24] Schrift abzufassen, solche aber, so bald er es ohne Leibesgefahr thun können, öffentlich wiederrufen und zum Feuer verdammt; auch eine Abschrift davon in optima forma, in meiner und anderer glaubwürdigen Personen Gegenwart, wirklich ins Feuer geworfen und verbrannt hat: solches habe hierdurch bei meinem Ehrenwort nicht nur bezeugen, sondern auf dessen Verlangen, gegenwärtiges schriftliches Testimonium hierüber auszustellen, nicht ermangeln wollen. So geschehen Schönthal, den 16 Nov. 17 – –

v. F.     


III. Brief.
Der Herr v. N. an den Baron v. F.
Kargfeld, den 20 Nov.
Werthester Freund,

Sie werden sich verwundern, daß ich an Sie schreibe, da wir uns doch mündlich miteinander besprechen könnten; [25] es ist wahr, ich habe keine Abhaltungen, Sie zu besuchen, ich werde es auch vielleicht heute oder morgen thun, und es kann seyn, daß ich Ihnen meinen Brief selbsten zustelle: aber dem ungeachtet wird er nicht überflüßig seyn. Ich will Sie wegen einer gewissen Sache, die mir am Herzen liegt, zu Rathe ziehen, und bitte mir diesen schriftlich aus. Wenn wir uns mündlich über diese Angelegenheit besprechen wollten, so könnte leichtlich ein Wort das andere geben, Sie kennen meine Gewohnheit, daß ich mir nicht gern widersprechen lasse, zum Disputiren hab ich kein sonderliches Talent empfangen, und unrecht habe ich auch nicht gerne: inzwischen denke ich, einen schriftlichen Widerspruch eher zu verdauen als einen mündlichen. Lassen Sie Sich also die Sache vortragen. Sie wissen wohl, daß ich nach dem Beispiele meines Herrn Gevatters mich habe verheirathen wollen, im Anfang that ich es nur, um meinem Muster ähnlich zu werden, und meine Handlungen mit den seinigen vollkommen übereinstimmend [26] zu machen; Da ich aber endlich einsahe, daß meine häuslichen Umstände es nicht länger leiden wollten, ohne Frau zu leben, und überdieses die Possen mir anfingen zu gefallen: so that ich, wie Sie wissen, mit Ernst zur Sache, und hoffte, damit bald zu Rande zu kommen. Allein ich weiß nicht, wie sich seit dreißig Jahren die Welt verändert hat, was man damals in einem Tage ausrichten konnte, dazu braucht man jetzt ein Jahr, und wenn man alles gethan hat, und sich keine Mühe verdrüßen lässet, und endlich das Ding bei Lichte besiehet, so weiß man nicht, ob man verrathen oder verkauft ist. Mir wenigstens gehet es jetzt so, ich weiß nicht, ob ich eine Braut habe oder nicht. Inzwischen bin ich kein Feind von der Mode, und wenn es so seyn muß, daß man bei der Liebe, wie im Kriege, oft eine ganze Campagne mit dem Feinde harcelliret, ohne daß es zu einer entscheidenden Action kommt, so lasse ich mir es auch gefallen, wenn sich nur der Sieg auf meine Seite lenkt. Aber hier ist der Knoten. [27] Hören Sie ein Wort im Vertrauen! Lampert hat mir wunderliche Dinge von dem Major in den Kopf gesetzt. Er ist ein schlauer Kaper, und macht Jagd auf das Fahrzeug, das für meine Rechnung gehöret, ich denke er hat es schon beim Leibe, und wird es bald für eine gute Prise erklären. Das wäre ein schlimmer Streich, wenn er meine Byron entführte, es stehet Gefahr dabey, ob ich sie wieder erhaschen würde, wie Herr Grandison die seinige. Doch diesem Uebel kann schon vorgebogen werden, nur so, daß ich nicht mit ihm in neue Händel verwickelt werde: das wäre eine Abweichung von Sir Carln, dieser hat nur einen einzigen Zwist mit Sir Hargraven gehabt, und hernach blieben sie gute Freunde. Doch das wird sich schon geben. Was meinen Sie, habe ich die Sache bei meiner Heirath am rechten Orte angegriffen, oder nicht? Ich versprach mir einen guten Fortgang von meinem Vorhaben, ich dachte, Herr Grandison hat alle Mädchens fesseln können, eine ist ihm einige hundert [28] Meilen nachgelaufen, eine andere ist gar über ihn närrisch geworden, und seine Frau hat vor Sehnsucht einen Anfall der Schwindsucht bekommen, daß er nicht so bald als sie gewünschet, Hochzeit gemacht. Ich habe mein Gedächtniß, meine Leidenschaften, meinen Körper strappaziret wie die Hunde, um ihm so ähnlich zu werden, als mir möglich gewesen; ich habe meine Wirthschaft, und überhaupt alles, was nur einer Veränderung fähig ist, nach dem Geschmack des Herrn Grandisons eingerichtet; von mir bis auf meinem Wigand, den ich Jeremias nenne, ist alles Grandisonisch, und es fehlet mir nichts, als ein Fresko, den ich mir auch noch anzuschaffen gedenke: dem ungeachtet will es bei den Mädchens nicht recht mit mir fort. Ich habe hierüber meine eigene Gedanken, und glaube, unsere Nymphen sind nicht fein genug, die Schönheiten des Verstandes, die bei andern Nationen am ersten in die Augen leuchten, zu empfinden. Herr Grandison ist auch in Deutschland gewesen, aber ich habe [29] in seinem Buche nichts finden können, daß sich ein deutsches Frauenzimmer in ihn vergafft hätte, und es scheinet, daß er sich deswegen auch so bald wieder aus unserm Vaterlande fortgemacht hat, weil er darinne nicht sein Conto gefunden. Indessen ist es doch ein Wunder, daß seine Geschichte bei unserm Frauenzimmer so vielen Beifall gefunden hat, da man weder das Original noch die Kopie nach Würden schätzet. Ich vermuthe daher ganz sicher, daß wenn ich bei dem Fräulein v. W. und ihrer Mutter, meinen Liebesantrag nach deutschem Gout gemacht, und die Gespenstererscheinung und dergleichen Possen weggelassen hätte: so würde ich bei der Mutter und Tochter weit eher zum Zweck kommen seyn, denn was den Vater betrifft, der würde zufrieden gewesen seyn, wann ich auch auf türkische Manier um seine Tochter geworben hätte. Deswegen habe ich den Vorsatz gefaßt, ob gleich Lampert sehr darwider eifert, meinen Kopf einmal aufzusetzen, und wie es Sitte ist in unserm Lande, [30] um das Fräulein v. W. ordentlich werden zu lassen. Sie sollen noch diesen Winter bei mir einen Pelz verdienen, und wenn ich ihn auch sollte aus Siberien holen lassen. Ich habe nicht ein so enges Gewissen, daß ich mir es gleich zu einem Verbrechen anschreiben sollte, wenn ich auf dem Wege, worauf ich bisher Fuß vor Fuß dem Herrn Grandison, nach seinem eignen Geständnisse, gefolget bin, auch dann und wann aussteche, und meine eigne Gleise mache. Mein drolligter Kerl von einem Magister will dieses zwar nicht gut heißen, und drohet sogar, in Grandisonhall mich deswegen zu verklagen: aber wenn ich ihm vorwerfe, daß er sogar ein Pasquill auf den Baronet geschrieben hat, so muß er schweigen. Dieser Vorwurf ist ein eiserner Rinken für diesen Bär, dadurch ich ihn, wenn er anfängt zu brummen, sogleich beruhigen kann. Sagen Sie mir doch, ob Sie für nöthig halten, daß ich einen Deputirten an den Herrn v. W. und seine Frau abschicke um noch einmal für mich um das [31] Fräulein anzuhalten, oder ob ich dieses in eigner Person thun soll; desgleichen, wie man es heut zu Tage anfängt, sich bei den Mädchens einzuschmeicheln, ob es noch Mode ist, das Kammermädchen zu bestechen, Nachtmusiken zu bringen, Bälle anzustellen, und was dergleichen Tändeleien mehr sind. Ich habe bisher alles dieses unterlassen, weil Herr Grandison bei seiner Henriette dergleichen nicht gethan hat. Entdecken Sie mir richtig ihre Gedanken über meine Freierei, auch ihren unvorgreiflichen Rath, wie ich es anfangen soll, daß ich meinen Vogel abschieße, und nicht etwan die Pferde hinter den Wagen spanne. Tadeln und loben Sie meine bisherigen Unternehmungen wie Sie wollen. Widerrathen Sie mir aber ja nicht die Fortsetzung meiner Liebe, wenn Sie mein Vertrauter seyn wollen. Fräulein Amalia hat es gethan, und mir dadurch ein heftiges Podagra erregt, wenn Sie auf ihre Seite treten, so bekomme ich den Schlag. Ich will meinen Willen haben, und eine Frau, wenn ich aber sollte [32] durch die Körbe springen, wie ein Böttger durch die Reife, so sage ich es Ihnen zum Voraus, das es mit mir ärger wird als mit allen Mädchens, die sich in Sir Carln verliebt haben. Machen Sie mir gute Hoffnung, geben Sie mir gute Anschläge, unterstützen Sie meine Desseins; entwerfen Sie einen ganz neuen Operationsplan, wenn der bisherige Ihnen unbrauchbar scheinet, und halten Sie mir ein Bein, daß ich mich völlig in den Sattel schwingen kann. Dadurch will ich sehen, ob Sie die Ergebenheit für mich haben, die Sie mir so oftmals zugeschworen, da Sie an eben der Krankheit lagen. Damals war ich Arzt, und schaffte Ihnen eine Frau, schaffen Sie mir nun auch eine, und leben Sie wohl

v. N.     


[33]
IV. Brief.
Der Herr v. F. an den Herrn v. N.
Schönthal, den 21 Nov.

Sie verbinden mich unendlich, daß Sie mich in einer Sache zu Ihrem Vertrauten machen, von der ein großer Theil Ihrer Ruhe und Ihres Glückes abhängt, und ich werde meinen Vorwitz und meine Geschicklichkeit, so viel ich davon besitze, aufbiethen, um Sie zu überzeugen, daß Sie Ihr Vertrauen nicht übel angewendet haben. Sie haben mir einen doppelten Auftrag gethan, Ihnen meine Gedanken über Ihre bisherigen Unternehmungen in der Liebe gegen das Fräulein v. W. glücklich zu seyn, zu entdecken, und wie Sie Sich ausdrucken, einen neuen Operationsplan zu entwerfen, um diese Angelegenheit nach Ihrem Wunsche zu Ende zu bringen. Das erste will ich [34] sogleich nach Ihrem Verlangen befolgen, und an dem andern will ich Tag und Nacht arbeiten, um ihn so vollkommen zu machen, daß Sie all einem glücklichen Fortgang nicht zweifeln dürfen. Herr Lampert, den ich als die Triebfeder aller Versuche ansehe, Ihre Liebe glücklich zu machen, verdient Ihre Gewogenheit im höchsten Grad, er hat Ihr Vorhaben auf eine wunderbare und ganz neue Art auszuführen gesucht, und wenn es ihm nicht vollkommen geglückt hat: so liegt die Schuld ganz und gar nicht an dem Plan und dessen Ausführung, sondern vielmehr, wie Sie vortreflich anmerken, an dem verdorbenen Geschmack unserer Schönen, die mehr auf die Person sehen, die Ihre Gunst suchet, als auf die Art mit welcher sie dieses thut. Unser Frauenzimmer ist noch nicht philosophisch genug, die Vorzüge des Geistes über die Vorzüge des Körpers zu setzen. An einen Liebhaber, der ihnen gefällt, ist alles artig, alles sinnreich, und aller Witz gehet verlohren, wem die Person nicht gefällt. Wenn [35] Ihre Absicht einigermaßen fehlgeschlagen ist, da an Ihrer Person nichts auszusetzen ist, so kommt dieses daher, weil Sie gar zu geschwinde Progressen in der Liebe haben machen wollen. Ich habe Ihnen dieses mehr als einmal zu verstehen gegeben. Hätten Sie das Fräulein erstlich zu gewinnen gesucht, und wenn Sie von ihrer Gewogenheit überzeugt gewesen wären, um sie werben lassen: so würden Sie jetzo nicht ungewiß seyn, ob Sie eine Braut haben oder nicht. Sir Carl beobachtete diese Regel genauer, er wendete sich nicht eher an die Freunde seiner Henriette, bis er gewiß war, daß sie ihm für allen Mannespersonen den Vorzug gab. Sie haben, wie ich glaube, nur im Anfang die alte Regel vor Augen gehabt, daß eine günstige Mutter auch eine günstige Tochter machen kann; allein da Sie hernach nicht einmal dieser Vorschrift gefolget sind, sondern die Frau v. W. gegen sich unwillig gemacht haben: so ist es Ihnen desto schwerer worden, Ihre Absicht zu erreichen. Doch diese Regel [36] der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspänstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersöhnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber aufdringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche [37] Liebhaber sind wie die Goldmacher, die Zeit und Geld verschwenden, das große Geheimniß zu entdecken, und durch den letzten Proceß nicht weiter kommen, als durch den ersten. Doch hierdurch will ich keinesweges ihre Unternehmung tadeln, oder den guten Ausgang derselben in Zweifel ziehen, ich habe vielmehr die beste Hoffnung, daß alles nach Wunsche ausschlagen wird, und lasse es gegenwärtig meine vornehmste Beschäftigung seyn, dieses aufs sicherste und geschwindeste ins Werk zu sehen. Eine Nacht bin ich darüber schon um den Schlaf kommen, ohne das geringste zu erfinden, und diesen Vormittag habe ich auch mit so tiefen Betrachtungen zugebracht, als des Cartes, da er seine Welt erschuf, ob ich gleich noch nicht die rechte Spur entdeckt habe, wie die Sache, Ihre Schöne zu fesseln, am besten anzugreifen ist. So viel habe ich durch mein Nachdenken heraus gebracht, daß das Spiel von neuen muß angefangen werden, wenn Sie etwas dabey gewinnen wollen. Ich will mich mit Ihrer Erlaubniß hinter [38] Ihren Stuhl stellen, damit ich es desto leichter übersehen kann, und wenn Sie meinem Rathe folgen, so denke ich, daß Sie noch den Pot ziehen sollen. Ich verfalle hier auf meine gewöhnliche Anspielung, wir haben hierzu gleiche Fähigkeit, nur daß wir in Ansehung der Gegenstände von einander abweichen. Es ist nichts in der Welt, das Sie nicht mit etwas aus der Kriegskunst vergleichen könnten, und ich finde in allen Dingen etwas ähnliches mit dem Spiele. Erlauben Sie, daß ich meine Vergleichung fortsetze. Wenn Sie einen geschickten Spieler vorstellen wollen, so dürfen Sie nicht erschrecken, wenn Sie auch dann und wann einmal abgetrumpfet werden, die gefährlichsten Spiele gehen oft am besten. Werden Sie auch nicht ungedultig oder verzagen Sie an ihrem Glück, wenn Ihnen nicht gleich alles nach Wunsche gehet, oder wenn Sie nicht vom Anfang gewinnen, gute Spieler sehen dieses niemals gerne. Tarazzoni verlohr vor sechs Jahren, im Anfang des Carnevals [39] zu Venedig zwanzig tausend Ducaten, und hatte beim Schluß achtzig tausend gewonnen. Ich denke Sie sollen nicht ohne Gewinnst aufsteigen, wenn Sie nur nicht zu hitzig anfangen, oder wie Sie bisher gethan haben, zuviel auf einmal hazardiren. Dieses würde geschehen, wenn Sie entweder in Person oder durch einen andern, nochmals um das Fräulein zu voreilig wollten anhalten lassen, ehe Sie gewiß sind, daß Sie derjenige sind, den sie unter allen Mannspersonen am meisten schätzt. Setzen Sie auch nicht zu viel Vertrauen in sich selbsten, ich will Ihnen schon einen Wink geben, wenn die Reihe an Ihnen ist, durch den letzten Trumpf, den Sie bis zuletzt in der Hand behalten müssen, dem Spiel ein Ende zu machen.

Diese allgemeinen Regeln sind zwar an sich gut genug: aber ihre Anwendung ist schwer, wenn man sie in der Liebe brauchen will. Ich bemühe mich jetzt, die Karte so zu [40] mischen, daß ich Ihnen ein leichtes Spiel verschaffe; aber ich verspreche Ihnen dieses nicht gewiß. So viel kann ich Ihnen sicher versprechen, daß ich alles thun will, was mir in dieser Sache zu thun möglich ist. Sie fragen mich, ob die alten Kunstgriffe sich bei den Schönen durch Bälle und andere Lustbarkeiten in Gunst zu setzen, noch eben die Dienste haben, die sie ehedem leisteten, ich getraue mir diese Frage mit ja zu beantworten. Das Frauenzimmer besitzt noch alle die Neigungen, die sie vor dreyßig oder vor hundert Jahren besaßen, das Vergnügen ist ihr Leben, und wer ihnen dieses verschafft, den können sie nicht hassen. Ich rathe Ihnen, keine Gelegenheit vorbei zu lassen, dem Fräulein v. W. alles ersinnliche Vergnügen zu machen, und insonderheit darauf zu sehen, daß es nach dem besten Geschmack eingerichtet ist. Ich würde Ihnen keinen Beifall versprechen, wenn Sie nach dem Beispiele unsrer Ahnen mit einer Cither unter das Fenster Ihrer Gebietherin schleichen, und sie durch [41] eine traurige und mit vielen harmonischen Seufzern untermischte Arie, im Schlafe stöhren wollten. Dieser zärtliche Liebesantrag, der ehedem Wunder gethan, würde jetzt mehr schädlich als nützlich seyn. Man muß die Sache auf eine andere Art angreifen, ich will Ihnen einmal einen Vorschlag thun. Künftigen Freitag ist der Geburtstag des Fräuleins, wie wär es, wenn Sie ihren Hofpoeten, durch ein paar Gläser ermunterten, ein Glückwünschungsgedichte zu verfertigen, um das Fräulein damit anzubinden? Sie dürfen mir leicht ein gut Wort geben, so feiere ich das Geburtsfest hier in Schönthal, und bitte sie alle zu Gaste, aber alsdenn werden Sie Sich auf eine feine Galanterie gefaßt halten, wenn Sie gegenwärtig seyn wollen, die Sie ihrem Glückwunsche beifügen, dadurch sie erkennen kann, wie hoch sie von Ihnen geschätzt wird, und deswegen finde für gut, daß sich das Geschenke am Werthe nicht unter funfzig Thaler belaufen darf, sonst haben Sie Sich keinen freundlichen Blick zu versprechen. [42] Wollen Sie aber spärlich haushalten, so können Sie eine Staatskrankheit annehmen, und alsdenn ist das Gedichte, das aber mit einem wohlgesetzten Brief muß begleitet seyn, schon alleine zureichend. Ich werde nicht ermangeln, besonders wenn Sie abwesend sind, und ich mich also keiner Schmeichelei verdächtig mache, Sie aufs beste herauszustreichen, und diesen klugen Einfall zu loben; auch Ihnen hernach getreulich zu melden, was zu Ihrem Vortheile gesprochen wird. Ich verspreche mir von diesem Anschlage viel gutes, wenn er gut ausgeführet wird. Prägen Sie dem Herrn Lampert wohl ein, daß er in das Gedichte nichts zum Lobe der Frau v. W. mit einfließen läßt, Sie wissen, daß das Fräulein nicht gut mit ihr stehet. Doch wenn ein unschuldiger lustiger Gedanke über sie, der aber doch nicht sonderlich beleidigen kann, mit darinne angebracht würde, so könnte dieses denselben vielleicht desto mehrern Beifall verschaffen. Noch einen Punkt will ich berühren, [43] ehe ich schließe, Sie haben mich in Ihrem Schreiben darauf geführet. Sehen Sie ja zu, daß Sie Sich das Kammermädchen des Fräuleins günstig machen. Ein solches Mädchen ist eine Person von Wichtigkeit in dergleichen Angelegenheiten. Diese Creaturen besitzen gemeiniglich das Vertrauen ihrer Gebietherin, und ihr Gutachten giebt oft der Sache einen bessern Ausschlag, als das Responsum einer ganzen Juristenfacultät einem Proceß. Sie sind eben das in Liebeshändeln, was die femmes gardées im l’hombre, der Skies und Pakat im Tarock und die Läufer oder Springer im Schachspiel sind. Es würde nicht überflüßig seyn, wenn Sie durch Geschenke das Mädchen des Fräuleins zu gewinnen suchten; allein weil Sie, wie ich weiß, davon nicht viel halten, auch leichtlich ein anderer Sie überbiethen könnte: so habe ich einen Vorschlag, der viel sicherer ist, dieses Mädchen in Ihr Interesse zu ziehen. Der Magister Lampert muß seine Leidenschaft für die Tochter Ihres Pfarrers Dero Vortheil [44] aufopfern, er muß wenigstens eine Zeitlang sich stellen, als wenn er eben die Rolle bei der Kammerjungfer spielen wollte, die Sie bey dem Fräulein haben. Ihm als einem schlauen und gelehrten Manne, der auch seinen Liebesanträgen eine logikalische Stärke geben kann, wird es nicht schwer fallen, seinen Endzweck zu erreichen, und alle Anschläge, die vielleicht von der Gegenparthei auf das Fräulein gemacht werden könnten, zu entdecken, und fruchtlos zu machen. Sollte Herr Lampert Schwürigkeiten machen, wie ich denn vermuthe, daß er eher würde zu bewegen seyn, noch ein Pasquill auf den Herrn Grandison zu verfertigen, als seiner Liebste untreu zu werden: so müßte er auf ähnliche Art, wie er von dem Rittmeister Salmonet genöthiget wurde, seinem Willen Folge zu leisten, dahin angehalten werden, Ihren Vortheil seiner Neigung vorzuziehen. Doch dieses alles ist nur, wie Sie auch ausdrücklich von mir verlanget haben, mein unvorgreiflicher Rath, und es stehet Ihnen frei, [45] in wie fern Sie ihn befolgen wollen oder nicht. Ich werde mir es indessen zu einer ganz besondern Ehre anrechnen, wenn Sie davon Gebrauch machen; doch gebe ich mich zufrieden, wenn Sie andere Maasregeln ergreifen. Gelangen Sie bald zu ihrem Zweck auf einem Wege, der Ihnen am besten gefällt, dieses ist der aufrichtige Wunsch

Ihres
gehorsamen Dieners
v. F. 


V. Brief.
Der Herr v. N. an den Herrn v. F.
Kargfeld, den 23 Nov.

Ich habe Ihren Brief wohl durchstudiret, und daraus ersehen, daß Sie eben kein schlechtes Geschick haben, eine Sache, der Sie Sich mit Ernste unterziehen, [46] nach Wunsch zu Stande zu bringen. Es ist mir lieb, daß Sie Sich meine Freierei mit Ernst lassen angelegen seyn, und ich kann Ihnen nicht verhalten, daß Sie Sich dadurch bei mir in solchen Credit gesetzt haben, als Sir Beauchamp bei dem Baronet, ich glaube sogar, Sie werden diesen selbst abtreiben, wenn unser Vorhaben gut ausschlägt. Hier und da haben Sie zwar in Ihrem Briefe etwas eingestreuet, dadurch Sie eben keinen Dank verdienen, zum Exempel wenn Sie sagen, daß ich ein schlimmes Spiel in Händen hätte, daß ein andrer sich für verlohren schätzen würde, daß man seinem Mädchen Geschenke machen müsse, die sich auf funfzig Thaler belaufen. Man findet heutiges Tages das Silbergeld nicht auf den Gassen, wie unter Salomons Regierung. Es sind schwere Zeiten, und das Geld liegt an Ketten. Herr Grandison hat zwar seiner Braut große Geschenke gemacht, aber das war ein anderer Umstand, damals war es Friede und wohlfeile Zeit, und Herr Grandison war [47] auch sicher, daß ihm seine Braut nicht wieder umkehren würde; ich hingegen stehe in Gefahr, Braut und Maalschatz zu verliehren. Wenn ich erstlich das Wort von ihr habe, wohlverstanden, ihr ungezwungenes dürres Jawort, hernach soll sie einen Diamantschmuck bekommen, dessen keine Fürstin sich schämen dürfte; aber auf gerathewohl verdistillire ich keinen Heller an ihr. Glauben Sie nicht, daß mich der Geiz zurück hält, Ihrer Methode zu folgen, und durch Bestechungen den Anfang zu machen, das Herz des Fräuleins zu gewinnen: ich will, wie Herr Grandison, wegen der Person und nicht wegen der Geschenke geliebt seyn, dabei hat es sein Verbleiben. Mit der eigensinnigen Frau v. W. will ich nichts mehr zu thun haben, ich glaubte, wenn ich sie und ihren Schatz auf der Seite hätte, so wären alle Aussenwerke und Defensen der Vestung in einer Gewalt, wenn ich alsdenn hier meine Batterien anlegte; so würde ich dadurch die Citadelle selbst zu commandiren im Stande seyn, um solche zur baldigen [48] Uebergabe zu zwingen. Allein seitdem ich aus ihrer Gunst delogiret bin, so habe ich, wie ich sehe, das ganze occupirte Terrain wieder verlohren, und er als ein baufälliges Hornwerk, das noch allein in meiner Gewalt ist, verspricht mir nicht den geringsten Vortheil, wenn ich von dieser Seite die Attaque wieder formiren wollte. Ich habe die Belagerung deswegen bereits in eine Bloquade verwandelt, doch habe ich immer ein wachsames Auge in meinem Lager, und hoffe noch par surprise davon Meister zu werden. Das Spiel ist so schlimm nicht, als Sie vielleicht denken, über lang oder kurz werde ich doch reußiren, besonders wenn Sie ein getreuer Alliirter von mir bleiben.

Sie erweisen mir einen großen Gefallen, daß Sie mich an den Geburtstag des Fräuleins erinnern, ich werde nicht unterlassen, sie durch einen Glückwunsch anzubinden. Lampert hat sich seit gestern in seine Stube eingeriegelt und geschworen, wie die Churfürsten, [49] wenn sie einen neuen Kaiser machen, nicht eher einen Bissen zu essen, bis er das Werk zu Stande gebracht; doch den Trunk hat er sich erlaubt, und einige Flaschen Wein mit in seine Studierstube verriegelt, denen er vermuthlich fleißig zusprechen wird. Wegen des Geschenkes habe ich mich schon erkläret, und also muß ich, weil Sie es für gut finden, eine Staatskrankheit annehmen, ob ich gleich jetzo so gesund bin als ein Hecht. Das ist eine verdammte Mode, daß man die Mädchen, die man liebt, auf ihren Geburtstag anbinden muß. Wer weiß, ob sie nicht gar zuletzt einen heiligen Christ verlangen. Ich möchte Fräulein Julgen nicht in die Messe begleiten, vermuthlich würde es da ohne Unkosten auch nicht abgehen. Nein, ich liebe nach englischen Geschmack, da liebt man gewiß und ohne großen Aufwand: denn was man der Braut schenkt, wenn diese Sache einmal ins Reine gebracht ist, das bekommt man mit der Frau wieder, und ist deswegen für keinen Aufwand zu rechnen.

[50] Lampert will sich durchaus nicht entschließen, seiner ersten Liebste untreu zu werden, er will lieber meine Gunst verlieren, als sein Mädchen, und hat sich sogar verlauten lassen, daß wenn nochmals mit diesem verwünschten Vorschlag an ihn gesetzt würde, so wollte er bei Nacht und Nebel einmal fortgehen, und niemals wieder zum Vorschein kommen. Ich muß deswegen ein Bisgen laviren, er ist mir gleichwohl unentbehrlich: so einen Hausvogt findet man nicht alle Tage. Indessen will ich mein Heil noch einmal an ihm versuchen, die Gelehrten sind in puncto Sexti nicht eben so gar ehrenveste, und treiben es oftmals ärger als die Edelleute. Ich denke, man kann ja wohl von zwei Bäumen auf einmal Birnen schütteln. Wenn das Kammermädchen nur nicht eben so garstig wäre, als ihre Gebietherin schön ist, so würde der Magister meinen Befehl eher respectiren. Er hat mir indessen versprochen, es auf andere Weise dahin zu bringen, daß sie in mein Horn bläßt, das mag er immer thun, wenn alle Stricke reissen [51] sollten, so bleibt er dennoch das Stichblatt. Sorgen Sie nur dafür, daß der Geburtstag recht hoch gefeiert wird, und geben Sie auf alles genau Achtung, damit Sie auf Erfordern mir einen getreuen Bericht abstatten können. Alleweile kommt der Magister mit dem Briefe, der in meinem Namen an das Fräulein abgefaßt hat, und welcher das Gedichte begleiten soll. Wenn beydes wohl gerathen ist, so soll er den Filialsstock zur Verehrung bekommen, welchen ich ihm längstens zugedacht habe, der vergangenen Sommer dem Metzger ist abgenommen worden, der sein Vieh über meine Wiesen hat treiben lassen. Ich bin einmal wie allemal.

Ihr
gehorsamer Diener
v. N. 


[52]
VI. Brief.
Von ebendemselben an den Herrn v. F.
den 25 Nov.

Sie haben mir gestern wissen lassen, daß Ihre Gäste, die Sie eingeladen haben, heute alle erscheinen würden. Ich bin darüber erfreut. Den Major Ln. hätten Sie nur weglassen sollen, er gehöret ohnedem nicht in unsere geschlossene Gesellschaft. Ueberhaupt dächte ich, er könnte wieder zu seinm Regiment gehen, ich wollte der schweren Zeit ungeachtet, gern eine Compagnie Franzosen bei nur überwintern lassen, wenn er nur dadurch genöthiget wurde, die hiesige Gegend zu verlassen. Man weiß indessen nicht, wie bald sich das Blättchen wenden kann. Ich halte es zwar allezeit mit den hohen Alliirten, so bald aber mein Vortheil mit ins Spiel kommt, so trete ich zur französischen Partei. Jetzt würde ich es gerne sehen, [53] wenn die ersten einmal verlöhren, damit der verwünschte Major mir nur aus den Augen käme. Wer weiß, ob er es nicht ausspionirt hat, daß heut der Geburtstag des Fräuleins ist, und sich etwan einfallen läßt, sie mit etwas angenehmern als ein paar Bogen Pappier anzubinden. Ich stehe disfalls in großer Sorge. Das ist sicher, daß er mit der Freundlichkeit und Politesse gegen die Mutter, die Tochter meint. Er hat die Regel, die ich nach Ihrem Urtheil soll übertreten haben, besser in Acht genommen. Wenn er sich auf kein Angebinde gefaßt gemacht hat, so ist es mir gewissermaßen lieb, wenn er siehet, daß ich ihm den Rang abgelaufen habe. Damit die Freude desto unvermutheter kommt und größer wird, so bin ich auf den Einfall gerathen, ein Pastetengehäuse verfertigen zu lassen, worinne der Brief nebst dem Carmen befindlich ist, wie denn der Ueberbringer dieses Briefs solches in seinem Korbe trägt, welches sorgfältig muß herausgenommen und auf der Tafel gerade an den [54] Ort gesetzet werden, wo das Fräulein zu sitzen kommt. Tragen Sie Sorge, daß sich Niemand an diesem Schaugerichte vergreift, sondern das Fräulein ersucht wird, die Pastete vorzulegen, da wird sie die Bescheerung schon finden. Sie denken vielleicht, ich käme mit meinem Angebinde ganz wohlfeil weg, glauben Sie es nicht. Lampert hat mehr als einen halben Eimer Wein darüber ausgezecht, und deswegen auch, wie ich vermuthe, auf allen Seiten sowohl in dem Briefe als in dem Gedichte von Wein gesprochen. Er hat aber demungeachtet seine Sache treflich gemacht, und besonders in dem Briefe so viel rührende Stellen angebracht, die das Fräulein ohne Bewegung nicht hat lesen können. Besonders ist die Auslegung ihres Planeten recht nach meinem Gusto gerathen. Es ist zwar nicht alles so wie in dem Briefe stehet; aber es ist doch alles gut, und kein Umstand unwahrscheinlich. Wenn ich gleich ihren Geburtstag noch nie gefeiert habe, so hätte ich es doch thun können, bekräftigen Sie nur [55] alles recht treuherzig, woran sie etwan zweifelt. Die Liebenden glaubten ehedem einander alles, was sie sich sagten, wenigstens thaten sie so. Ich zweifle nicht daran, daß dieses auch noch jetzt Mode ist. Morgen oder aufs längste übermorgen, erwarte ich ihren schriftlichen oder mündlichen Bericht, wie mein Angebinde ist aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was es für eine Wirkung gethan. Mischen Sie aber keine locos communes, wie der Magister Ihre Betrachtungen nennet in den Brief, sie gerathen Ihnen selten zu meinem Vortheil, und mit verdrüßlichen Dingen habe ich nicht gerne etwas zu schaffen. Trinken Sie dem Herrn v. W. einen guten Rausch zu, und versichern Sie beiläufig seine Gemahlin, insonderheit aber das Fräulein von meiner Ergebenheit.

v. N.     


[56]
VII. Brief.
An das Fräulein v. W von dem Herrn v. N.
den 25 Nov.

Unter den Tagen, welche ich als Festtage in meinem Hause feierlich begehe, stehet Ihr Geburtstag oben an, und Sie können versichert seyn, daß ich ihn heute zum zwanzigsten male, auf eben die Art, wie ich es das erste mal that, feiern werde, ob mich gleich eine kleine Unpäßlichkeit abhält, dieses in ihrer Gegenwart zu thun, wie ich mir vorgenommen hatte. Bisher habe ich ein Geheimniß daraus gemacht, jedermann stund in den Gedanken, ich feierte den 25 November, weil ich vermuthlich an diesem Tage mich einmal in einer gefährlichen Schlacht befunden; oder in Italien bei einer gewissen Begebenheit, durch einen großen Luftsprung aus einem [57] Fenster das Leben gerettet hätte; oder wie andere glauben, weil mir dieser Tag einmal besonders glücklich müßte gewesen seyn. Diese letztern urtheilen nicht unrecht, ob sie gleich niemals haben errathen können, worinne dieses Glück eigentlich bestanden. Es ist Zeit, daß ich die Neubegierde der Welt vergnüge, und öffentlich gestehe, daß die glückliche Begebenheit, deren Andenken ich jährlich an diesem Tage erneure, keine andere ist, als Ihr Geburtsfest. So bald ich nur von Ihrem Herrn Vater das Notificationsschreiben erhielt, daß ihm seine Gemahlin mit einem wohlgestalten Fräulein beschenket, durchdrang mich eine solche lebhafte Freude, die noch größer hätte seyn können, wenn ich selbst ein Papa worden wäre, und wie ich damals meine Feldzüge noch nicht verwunden hatte, und eben an einer Krankheit sehr hart darnieder lag: so faßte ich den Entschluß, durch eine außerordentlichen Handlung, wenn ich ungefehr den Weg alles Fleisches gehen müßte, meinen Namen in guten Andenken zu erhalten, [58] meinen letzten Willen aufzusetzen, und am Tage Ihrer Geburt, Sie zur Erbin meines ganzen Vermögens ernennen. Doch da sich meine Gesundheit bald hierauf merklich besserte, so fand ich gut, diesen Anschlag nicht sogleich ins Werk zu setzen. Ihre Schönheit entwickelte sich hierauf nach und nach, wie eine Rose, die aus einer kleinen Knospe hervorblühet. Man konnte Sie nicht ansehen, ohne Ihnen gut zu seyn. Sie waren das artigste kleine Fräulein, das jemals gewesen ist; ihre verführerischen Augen sprachen schon, ehe Sie den Gebrauch der Zunge kennen lernten. Alle Ihre Minen waren sinnreich und zeugten von einem lebhaften und durchdringenden Geiste. Ich erinnere mich noch mit vielem Entzücken derjenigen Liebkosungen, die Sie mir erwiesen, wenn ich Ihnen eine kleine Spielerei verehrte. Sie hatten mich lieber als ihren Papa. Diese Gewogenheit behielten Sie so lange für mich bei, bis die Jahre kamen, in welchen das Frauenzimmer anfängt sich zu schämen. [59] Sie wurden zurückhaltend, und einen Kuß, den Sie mir sonst würden für einen Apfel gegeben haben, wollten Sie mir nicht mehr schenken, wenn ich Ihnen eine ganze Toilette angebothen hätte. Jedoch erlauben Sie, daß ich Ihnen diese Entdeckung mache, je spröder Sie wurden, desto mehr fing ich an, Ihnen gut zu werden, ich wurde Ihnen so gut, daß ich Sie gar liebte, und auf diesen Fuß stehet es noch mit uns bis auf den heutigen Tag, Sie spielen noch immer die Person einer Spröden, und ich die eines Verliebten. Da ich also in der Stille mir schmeichelte, noch eben den Antheil an Ihrem Herzen zu haben, den Sie mir ehemals in Ihrer Unschuld freiwillig schenkten, und dahero Ihr zurückhaltendes Wesen der zärtlichen Empfindung, für die Ehre zuschrieb: so wollte ich, weil Sie niemals die Versicherungen meiner Ergebenheit annahmen, solche doch durch etwas bezeigen, ohne daß es jemand und Sie auch selbst eine Zeitlang gewahr werden sollten, und verfiel darauf, daß da ich sonsten [60] Ihren Geburtstag zum Spase, mit einem Kuchen celebrirte, darauf ich Sie zu Gaste bat, solchen nunmehro aufs feierlichste, jedoch in der Stille zu begehen. Erlauben Sie, daß ich Ihnen von dieser Feierlichkeit, bei der jetzigen Zurückkehr Ihres Geburtsfestes, eine kleine Beschreibung mache.

So bald dieser glückliche Tag anbricht, kleide ich mich aufs beste an, als wenn ich bei Hofe erscheinen wollte. Beim Frühstück trinke ich Ihre Gesundheit, und wiederhole sie bei der Mittagsmahlzeit und auf den Abend; alles schmeckt und bekommt mir besser an diesem frohen Tage. Ich trinke oft, um mich Ihrer oftmals zu erinnern, und jeder Becher wird mit einem neuen Wunsche für Ihr Wohlergehn begleitet. Eine Begeisterung, die mich bald überrascht, macht mich zum Dichter. Zwanzig Lobgesänge habe ich Ihnen zu Ehren bereits verfertiget, die ich aber als Geheimnisse verwahre. Der ein und zwanzigste wagt es endlich, Ihnen unter Augen [61] zu treten, und wird sich glücklich schätzen und dem Dichter Ehre machen, wenn Sie einen günstigen Blick darauf werfen. Nach dieser angenehmen Beschäftigung pflege ich allerlei Werke der Liebe auszuüben. Eine gewisse Anzahl der dürftigsten meiner Unterthanen, die der Zahl Ihrer Lebensjahre gleich ist, wird in meinem Hause gespeist, und alsdenn jeder mit einem Gedenkgroschen regaliret. Der gewöhnliche Tanz unter der Linde auf das Kirchenfest ist gleichfalls seit einigen Jahren auf diesen Tag verleget worden, und um ihn jedermann so vergnügt zu machen als er mir selbst ist, lasse ich die jungen Bursche nach dem Hammel laufen, der ihnen zu dieser Lustbarkeit verehret wird. Den Beschluß meiner Beschäftigung macht der Kalender. Ich schließe mich in mein Zimmer, und lese mit Bedacht Ihren Planeten. Hier untersuche ich, in wiefern diese Weissagung, die gemeiniglich zutrifft, an Ihnen bereits erfullet ist, oder was für Schicksale noch auf Sie warten. Dismal habe ich meine Neugierde [62] zu befriedigen, diese Untersuchung zu erst angestellet, und weil ich mir vorgenommen habe, alles was ich zu Ihrer Ehre auf Ihren Geburtstag unternehme, zu entdecken: so soll Ihnen die Auslegung Ihres Planeten dismal auch nicht verborgen bleiben.

Ein Töchterlein im Wintermonat gebohren, ist arbeitsam, trifft ein. Sie können mit aller Arbeit, die sich für Ihren Stand schickt, überaus wohl umgehen, man siehet Sie niemals die Hände in den Schooß legen. Sie stricken, Sie nähen und putzen dann und wann Ihren Haubenkopf so schön, als wenn er mit Ihnen zu Gaste gehen sollte. Von gutem Gedächtniß. Wenn dieses so viel heißt, als beatae memoriae, daß Sie bei jedermann in guten Andenken stehen, so trifft es vollkommen ein; wenn aber die Erinnerungskraft dadurch gemeinet ist: so kommt es Ihnen nur gewisser maßen und unter einer Einschränkung zu. Sie behalten das in frischem Gedächtniß, was Sie behalten [63] wollen; aber Sie vergessen auch alles, was Sie vergessen wollen, in einem Augenblick. Wenn ich Ihnen, da Sie noch klein waren, eine Puppe zeigte, und Sie fragte, ob Sie mich auch lieb hätten, und mich auch lieben wollten, wenn Sie einmal groß würden: so bekräftigten Sie dieses mit einem dreusten Ja, jetzt wollen Sie nichts mehr davon wissen. Barmherzig, das sind die Schönen selten, so lang sie schön sind. Seit undenklichen Jahren her sind die Schönen grausam gewesen, und selbst das glückselige Arkadien hat in dem goldnen Weltalter spröde Schäferinnen aufzuweisen gehabt. Indessen, wie keine Regel ohne Ausnahme ist, so könnte es seyn, daß Sie zu dieser Ausnahme gehörten, und eine barmherzige Schöne wären. Man sagt, daß einige große Herren die Staatsmaxime gehabt, daß sie, um sich bei ihren Unterthanen eine desto größere Achtung zu erwerben, erstlich dem Volk schwerere Schatzungen auferleget, hernach aber solche vermindert hätten, um ihre Gnade sehen [64] zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der erstern zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter [65] Adjudantendienste thun: so bin ich doch gewiß, daß Sie eben sowohl als die Frau v. W. eine Oeconomie en Chef commandiren könnten. Eine gewisse Puissance, die Ihnen nicht unbekannt ist, bewirbt sich um Sie aus allen Kräften, und wenn Sie noch kein Generalcommando haben, so liegt es blos an Ihnen, daß Sie es nicht übernehmen wollen; doch wer weiß, was in diesem Jahre noch geschehen kann. Hält gern mit jedermann Verträglichkeit. Ist richtig, will aber doch auch cum grano salis verstanden seyn. Zu einer mündlichen Zänkerei sind sie wohl so leicht nicht zu bewegen: Sie haben lieber Unrecht, als daß Sie Sich in ein Wortgefechte einlassen sollten. Sie haben auch keine Gelegenheit dazu, wer wollte es wagen Ihnen zu widersprechen? Die Schönen sind im Stande, die zanksüchtigsten Philosophen zum Stillschweigen zu bringen. Ein schöner Mund überzeugt, wenn er spricht. Aber so verträglich Ihr Mund auch ist, so unverträglich sind Ihre Augen, sie drohen, [66] sie gebiethen, sie schelten, sie tadeln, sie kündigen den Krieg an, und machen Friede, und das oft in einer Viertelstunde. Jedoch, da es nicht erlaubt ist, von einem einzelnen Theile aufs Ganze zu schließen; so folgt auch nicht, daß wenn Ihre Augen manchmal unverträglich sind, daß deswegen die ganze Person unverträglich seyn müßte, und bleibt also der Satz überhaupt richtig, daß Sie gern mit jedermann verträglich leben. Wird doch durch heimliche Feinde angefochten. Dieses ist der schwereste Punkt im ganzen Planeten, den ich noch zur Zeit nicht vollkommen habe erklären können. Um sicher in der Sache zu gehen, habe ich verschiedene, verständige Männer darüber zu Rathe gezogen. Mein Pfarrer, den ich Herr Dobson nenne, ließ ein ganzes Schwadron solcher heimlichen Feinde des Menschen aufmarschiren, es waren böse Leidenschaften, Begierden und allerlei von solchem losen Gesindel darunter. Meine Pachter halten die jetzige theure Zeit für einen heimlichen Feind, der sich alle Tage mit zu [67] Tische setzt, und von ihrem Brodte ißt. Ein andrer kluger Mann sagte, daß dadurch mißgünstige Leute verstanden würden, die andere beneiden, und ihnen, weil sie es nicht öffentlich wagen dürfen, durch Arglist allerlei Unheil zu machen suchen. Diese Meinung scheint die vernünftigste, und ob es mir gleich nicht in den Kopf will, daß Ihnen jemand feind seyn könnte: so muß ich es doch glauben, weil es in Ihrem Planeten stehet; doch hoffe ich, daß diese Feinde Ihnen mit allen Schelmereien nicht viel anhaben werden. Sie macht sich durch ihre Tugend und Freundlichkeit bei vielen vornehmen Leuten beliebt. Das trifft auf ein Haar zu! Wer wollte Sie auch hassen können? Ihre schöne Person bezaubert schon, und ihrer Tugend und vortreflichen Gemüthseigenschaften, kann nichts widerstehen. Wollte der Himmel, daß alles Gute, was Ihr Planet enthält, in diesem Lebensjahre erfüllet, und ich hierzu als kein untüchtiges Werkzeug mit gebraucht würde! Ich eile meine Gelübde zu erfüllen, [68] und auf Ihre Gesundheit, die mit Epheu bekränzte Flasche auszuleeren. Allzuglücklich würde ich mich schätzen, wenn ich von Ihnen die Erlaubniß erhielt unverbrüchlich zu verharren

Dero
unterthäniger Verehrer
v. N. 


 Ode.
Du, der du im Falerner Weine
Dich oft mit Lust bezechet hast,
Und nicht wie Dichter blos zum Scheine
Mit deinem Becher hast gespaßt;
Du, dem bei Chloen es gelungen
Und niemals fehlgeschlagen ist,
Daß wenn du ihren Reiz besungen,
Sie dich auch wirklich hat geküßt.

Horaz, aus einem Deckelglase
Trink ich jetzt auf Dein Wohlergehn:
Gib mir dafür in reichem Maaße

[69]

Das seltne Kunststück zu verstehn,
Wie man mit zauberischen Tönen
Sich in das Herz der Schönen schleicht;
So daß der Eigensinn der Schönen
Die aufgeblaßnen Seegel streicht.

Schon fühl ich mich ganz dichtrisch Feuer,
In altem Rheinwein aufgelößt,
Macht sich mein Geist vom Körper freier,
Gedanken sind ihm eingeflößt.
Anakreon, elender Schwätzer,
Im Lieben nur ein Idiot,
Warum treibst du, verdammter Ketzer
Mit dieser Kunst nur deinen Spott?

Mir soll ein besser Lied gelingen,
Wenn ich in reinem Kammerton
Von Iris Reizen werde singen,
Dir Meistersänger dir zum Hohn!
Dann wird sich meine Brust befiedern,
Verwandelt schwing ich mich als Schwan,
Durch Iris Lob, in meinen Liedern,
Zum glänzenden Olymp hinan.

[70]

Sie ist das Meisterstück der Götter,
Der Götter Meisterstück ist Sie,
Ja, Momus selbst, der Gott der Spötter
Fand an Ihr keinen Tadel nie
Zevs, der auf seinem Adler reitet,
Wenn er den Blitz aus seiner Hand
Auf dick belaubte Eichen leitet,
Hat Ihren Vorzug selbst erkannt.

Um Sie noch schöner auszuschmücken
Hat er den Strahl, der uns verletzt,
Vereiniget mit Ihren Blicken,
Und in Ihr schönes Aug versetzt.
Vom Silbertönenden Metalle,
Das an Apollens Harfe glänzt,
Hat dieser Gott mit schönrem Schalle
Der Stimme Treflichkeit ergänzt.

Die Göttin, die auf wilden Meeren
Ein kleines Muschelschiff geschützt,
Cythere nur kann nichts verehren,
Das Iris nicht bereits besitzt;
Doch hat sie ihrem kleinen Dicken
Den Liebesgotte, wie man sagt,

[71]

Den Pfeil befohlen abzudrücken,
Wenn man sich ihr zu nahe wagt.

Vom Schilde, das Medusens Zähne
Aus schlangbehaartem Haupte bläckt,
Ist die vom Witz beseelte Schöne
Selbst durch Minervens Arm bedeckt.
Nie darf, zu einem sichern Zeichen,
Daß sie der Göttin ganz gehört,
Der Pallasvogel von ihr weichen,
Die Eule, die Athen verehrt.

Er glänzt vom Horizont herunter,
Er glänzt, der stolze Tag, der Sie
Der Welt zu ihrem achten Wunder
Und auch zur zehnten Muse lieh,
Noch achtmal zehnmal kehr er wieder,
Eh von Planeten selbst umringt,
Sie dort bei dem Gestirn der Brüder
Beim Castor und beim Pollux blinkt.


[72]
VIII. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v. W.
den 26 Nov.

Da sehen Sie es nun, daß es nur ein Spaß ist. Wie gesagt, Sie sind in das Lustspiel eingeflochten worden, und müssen Ihre Rolle spielen. Sie mögen nun wollen oder nicht. Sie sind aber doch in gute Hände gefallen, da der Baron das Complot unter seinem Commando hat. Mein Oncle hätte nicht schlimmer wählen, und für Sie hätte diese Wahl nicht besser ausfallen können. Nun sind Sie sicher. Der Baron hat Ihren Liebhaber Ihnen nicht einmal unter die Augen geführet, weil er glaubte, daß seine Gegenwart Sie beunruhigen könnte, und er wird dieses allezeit thun, wenn er es in seiner Gewalt hat. Ich fange jetzo an, wirklich Mitleiden mit meinem Oncle zu haben, und wenn Sie es nicht wären, so wüßte [73] ich nicht was ich thäte, um ihn glücklich zu machen. Sie sollen unterdessen nach meinem Wunsche einen Freier bekommen, der Ihnen besser anstehet, aber eben so aufrichtig liebt als dieser, und daran zweifle ich auch nicht: ihr Planete verspricht Ihnen dieses. Auf mein Wort, ich glaube vollkommen, daß die Planeten eintreffen; der Ihrige paßt so gut auf Sie, als wenn er Ihretwegen wäre gemacht worden. Sehen Sie nur, was Lampert für ein sinnreicher Kopf ist! Auch im Calender findet er etwas artiges, das ein Liebhaber seiner Schönen sagen kann. Ich muß doch sehen, ob sich mein Planet auch so vortheilhaft erklären läßt, als der Ihrige. Ich bin im April gebohren, gut, ich will mir selbst die beste Auslegung darüber machen – –. Verwünscht! Bald will ich den April wieder auskratzen, und einen andern Monat dafür in den Brief setzen. Hätte ich doch nie die Begierde gehabt meinen Planeten zu lesen. Der Kerl, der den Calender schreibt, hat, wie ich glaube, mir zum Possen [74] diese schlimme Prophezeiung erdacht, oder eine grundböse Frau gehabt, die mit mir in einem Monat gebohren worden, und dieses hat ihn bewogen, die böse Gemüthsart seiner Frau dem Gestirn zuzuschreiben, das in dem Monat ihrer Geburt regieret hat. Suchen Sie ja meinen Planeten nicht auf, sonst lasse ich mich nicht wieder vor Ihnen sehen. Das ist entsetzlich, daß ich gerade in einem Monat gebohren bin, der den Mädchens so fatal ist! Ich werde künftig meinen Geburtstag verlegen, wie mein Oncle den Tanz unter der Linde. Ich hatte mir vorgesetzt, wenigstens ein Dutzend Körbe anzubringen, ehe ich mich der Herrschaft eines Ehetirannen unterwerfen wollte: aber mein Stolz ist gedemüthiget, ich werde nicht einen loß werden. Einen lachenden Freier, das ist nach meiner Erklärung, der nicht einmal rechten Ernst braucht, darf ich nicht abweisen, wenn ich nicht befürchten will, daß gar keiner wieder komme. Das schlimmste aus den Planeten, darüber ich mich fast ärgere, will ich mit Stillschweigen übergehen.

[75] Nicht wahr, wir waren gestern sehr vergnügt? Ich war es insonderheit, daß Sie den Spaß so wohl aufnahmen. Ha! Ha! Ich muß herzlich lachen, ein Glückwunsch in einer Pastete, das ist der lustigste Einfall, den man erdenken kann. Sie wurden über und über roth bei dem Fund, den Sie thaten. Ich merkte es, sobald Sie den Deckel aufhoben, ich vermuthete mir aber etwas ganz anders. Ich dachte der Major hätte den Spaß gemacht. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, habe ich ganz und gar nichts davon gewußt, selbst meine Schwester nicht. Sie hat vermuthet, daß ihr Mann, um der Tafel ein besser Ansehen zu geben, die Pastete aus der Stadt hätte holen lassen. Ich bekümmere mich nicht um die Küche, und wurde nicht eher aufmerksam darauf, bis man Sie nöthigte vorzulegen. Sie sahe auch so ehrlich aus, daß ich ihr keine Schelmerei zutraute. Lampert hat doch manchmal einen Einfall, der werth ist, belacht zu werden. Der Mann macht gleichwohl seinen Vers, der nicht zu [76] verachten ist. Der Baron hat ihm unter den Fuß gegeben gehabt, einen lustigen Gedanken über die Frau v. W. mit einzumischen. Er hat es gethan; aber zum Glück hat er seinen satirischen Einfall so versteckt, daß er von wenigen bemerkt wurde. Ob ich mich gleich nicht für sonderlich scharfsinnig halte: so konnte ich doch leicht errathen, was die Eule, die Athen verehrt, zu bedeuten hatte. Die Auslegung, die der Baron über diesen dunkeln Ausdruck machte, die fernern Untersuchungen des Majors zu unterbrechen, war sehr weit hergeholt, und wollte an keinem Orte recht passen. Er sahe wohl den wahren Verstand ein: aber es war nicht rathsam, diesen Text gar zu genau zu erklären.

Aber hören Sie doch, mein liebes Fräulein, warum suchen Sie den Major immer gegen mich in Harnisch zu bringen? Sie müssen einen großen Wohlgefallen daran haben, mich einmal mit ihm zanken zu sehen, daß Sie uns immer zusammen hetzen. Nun kann [77] ich Sie doch auch einmal einer Leichtfertigkeit beschuldigen. Warten Sie, das laß ich Ihnen nicht so hingehen. Es kam mir, ich weiß nicht was für eine Lust an, Ihnen was ins Ohr zu fliestern, es war eine Kleinigkeit, die ich vergessen habe. Warum beschuldigen Sie mich denn, ich hätte von dem Major gesprochen, da ich doch nicht an ihn gedacht hatte? Wollten Sie ihn für seine Neugierde strafen, daß er unsere Heimlichkeit zu wissen verlangte? Das war vermuthlich Ihre Absicht, aber dadurch wurde ich mehr für meine Verwegenheit gezüchtiget, daß sich mein Mund Ihrem Ohr genähert hatte, als er für seinen Vorwitz. Was wird er denken, wenn er sich einbildet, ich hätte mich in seiner Gegenwart über ihn aufgehalten? Ich glaube nicht, daß er mich gnugsam kennet, um mir eine solche Unanständigkeit nicht zuzutrauen. Was mögen Sie ihm doch für ein Mährgen aufgeschwatzt haben? Ich zweifle nicht, daß er Sie wieder darum befragt hat, weil Sie nicht geschwinde genug [78] eine Unwahrheit erdenken konnten, die Sie ihm vorschwatzten, da er Sie in meiner Gegenwart befragte, was ich von ihm gesagt hätte. Sie werden nun Mühe haben meine Unschuld zu retten, und ihm die Gedanken zu benehmen, worinne er stehet, daß ich mich über ihn aufgehalten hätte, so unschuldig ich auch bin. Thun Sie ja Ihr bestes an ihm, diese Meinung zu benehmen, oder wenn Sie es nicht thun, so geben Sie Achtung. Sie werden schon auch einmal in seiner Gegenwart mit mir heimlich reden, oder ich finde auch wohl eine andere Gelegenheit, Sie so bei ihn anzugießen, daß Sie mich verwünschen sollen. Ich will Ihnen nun die Absicht meines Briefs entdecken, ich hatte mir vorgenommen, dieses in den ersten Zeilen zu thun, und er ist mir unter der Hand gewachsen, wie das Werk eines Gelehrten, ohne daß ich daran gedacht habe. Mein Oncle hat dem Baron aufgetragen, einen getreuen Bericht von der Aufnahme seiner Glückwünsche abzustatten, was für Urtheile darüber [79] gefället worden, und ob sie bei Ihnen einen für ihn vortheilhaften Eindruck gemacht hätten. Ich übersende Ihnen den Entwurf davon zur Durchsicht, verbessern und ändern Sie solchen nach Ihrem Gefallen, schicken Sie ihn aber bald zurück, damit mein Oncle, der sehr begierig ist, das Schicksal seiner Glückwünsche zu erfahren, befriediget wird. Ich umarme Sie.


IX. Brief.
An den Herrn v. N. von dem Herrn v. F.
den 26 Nov.

Recht gut so! Ich wünsche Ihnen Glück zu dem guten Anfang Ihres Spiels oder des Feldzuges, wie Sie Ihre Liebe nennen wollen. Sie haben sich wohl gehalten, und werden nun bald mehrere Progressen thun. Weil ich Ihnen einen Bericht abzustatten habe, der Ihnen nicht misfallen [80] kann: so hoffe ich, daß Sie mir diesmal alle Locos communes, die mir etwan entwischen möchten, gern verzeihen werden, doch werde ich mich dafür, so sehr ich kann, in Acht nehmen. Ich will mich eben nicht so genau an Ihre Vorschrift binden, um Ihnen nach der Ordnung zu melden, wie Ihre Prose und Verse sind aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was die verliebte Mine, die Sie haben aufliegen lassen, für Wirkung gethan: ich will Ihnen aber doch auch keinen Umstand, der Ihnen nur einiger maßen vortheilhaft ist, verschweigen. Der Einfall durch eine Pastete einen Liebesantrag zu thun, ist der vortreflichste von der Welt, Sie hätten Ihrer Geliebten solchen nicht artiger in die Hände spielen können. Das Fräulein schien ganz entzückt, da sie eine so vortrefliche Nahrung für den Geist in einem Behältniß entdeckte, das nur einige leckerhafte Bissen für den Mund einzuschließen schien. Das feindselige Messer hätte zwar beinahe ein großes Unglück angerichtet, und [81] den ganzen Planeten von Ihrem Briefe weggeschnitten: doch der getreue Sylphe des Fräuleins wollte sie nicht um das Vergnügen bringen, dieses Meisterstück des Witzes und einer gesunden Auslegungskunst zu lesen; der Brief und das Gedichte kam mit einer kleinen Verwundung, die einem Ehrenzeichen gliech, davon. Die Neugierde aller Anwesenden war so groß, daß die wichtigsten Gespräche dadurch unterbrochen wurden, und einige Minuten ein tiefes Stillschweigen über die Gesellschaft ausgebreitet war, bis sich solches in ein lautes Gelächter und frohlockendes Händeklatschen verwandelte, das einen allgemeinen Beifall anzuzeigen schien. Man konnte sich lange nicht vergleichen, wer die Ehre haben sollte, beides das Gedichte sowohl als das Schreiben öffentlich vorzulesen. Daß es geschehen sollte, darüber war man einig, obgleich das Fräulein Einwendungen dagegen machte. Endlich fielen die meisten Stimmen für den Major aus, welcher beschämt schien, daß er eine so schöne [82] Gelegenheit als der Geburtstag des Fräuleins war, aus den Händen gelassen, ihr seine Hochachtung wodurch zu bezeigen, da Sie Sich derselben so vortreflich zu bedienen gewußt hatten. Zu seiner Bestrafung mußte er ein Herold Ihres Witzes werden, er mußte lesen, so gern er diese Ehre verbethen hätte. Zu Ihrem Troste kann ich es sagen, daß das Fräulein, so lange er las, kein Auge von ihm verwendete, und daraus machte ich den Schluß, daß ihr alles sehr wohl gefiel. Die ganze Gesellschaft sprach von Ihnen sehr vortheilhaft, und selbst der Major mußte Ihnen Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Das Fräulein sagte zwar nichts zu Ihrem Lobe: sie dachte aber desto mehr. Die Frau v. W. gestund, daß sie niemals die Gabe der Dichtkunst bei Ihnen vermuthet hätte, daß sie aber Sie um desto höher schätzte. Sie wünschte zugleich das Vergnügen zu haben, sich mit Ihnen in einen neuen Zwist verwickelt zu sehen, damit sie die Ehre hätte, eine poetische Abbitte und Ehrenerklärung zu erhalten. [83] Ihr Gemahl machte die Lobsprüche, die man Ihnen ertheilte, dadurch desto ansehnlicher, daß er Ihre Gesundheit ausbrachte, die rund um die Tafel fleißig nachgeholet wurde. Ungeachtet ich alle Mühe angewendet habe, das Herz des Fräuleins auszukundschaften, um zu erfahren, was Ihr Angebinde auf solches eigentlich für eine Wirkung gethan: so bin ich doch nicht vollkommen glücklich hierinne gewesen. Wenn ich von dem äußerlichen urtheilen wollte, so könnte ich Ihnen viel versprechen; allein die Schönen sind Meisterinnen in der Verstellungskunst. Sie wurde roth, da sie den Glückwunsch auf ihren Geburtstag fand, und lachte, da sie unter dem Schreiben Dero Namen erblickte. Sie gab auf alles genau Achtung, da der Major las, und da er hernach beide Stücke ihr wieder auf einem Teller überreichte, so nahm sie solchen mit einer freundlichen Mine zurück. Alles dieses läßt sich so vortheilhaft für Sie erklären, als der Planet für das Fräulein. Noch mehr, sie trunk Ihre Gesundheit, sie [84] lobte Ihre Aufmerksamkeit, dieses war zugleich ein Vorwurf für den Major wegen seiner Nachläßigkeit, daß er, der sie beständig begleitet wie ein Trabante seinen Planeten, nicht einmal ihrem Geburtstage nachgespüret hatte. So eine gute Gelegenheit kommt nicht alle Tage, sein Wort auf eine gute Art anzubringen. Sie hat Fräulein Amalien gefragt, wie Sie Sich befänden, ob Ihre Krankheit von Folgen zu seyn schien. Man könnte glauben, daß sie diese Frage aus Eigennutz gethan hätte, um die Erbschaft, die Sie ihr zugedacht haben, bald hoffen zu können, ja man könnte hierinne dadurch bestärket werden, daß sie sich auch unter der Hand erkundiget, ob Sie seit ihrem ersten Geburtstage, nicht wieder an Ihren letzten Willen gedacht hätten; allein solche hypochondrische Gedanken müssen einen Verliebten nicht einfallen, man kann auch von diesen Worten eine vortheilhafte Auslegung machen. Ueberhaupt läßt sich von dem vortreflichen Charakter des Fräuleins nicht vermuthen, [85] daß sie wünschen sollte bald Ihre Erbin zu werden. Alle diese Spuren sind mir aber noch nicht hinreichend, einen sichern Schluß daraus herzuleiten, daß Sie schon ihre Gewogenheit besitzen, ich will lieber nichts daraus schlüßen, als Gefahr laufen, falsch zu urtheilen. Wenn Ihnen das Glück günstig ist, so wird es uns schon andere Proben liefern, daraus wir die Zuneigung des Fräuleins vollkommener und sicherer schlüßen können. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so verhalten Sie Sich eine Zeitlang nur ruhig, und wenn Sie auch in ihrer Gesellschaft sind, so beobachten Sie ein gleichgültiges Wesen: man stürmet nicht immer bei einer Belagerung, man sitzt auch wieder eine Zeitlang stille, um neue Kräfte zu sammlen, und hernach einen unvermutheten und desto kräftigern Angriff zu thun. Die Frau v. W. ist Ihnen, so viel ich ihr habe abmerken können, noch immer nicht recht gut, es liegt nichts daran, ihre Gunst verspricht Ihnen ohnehin keinen sonderlichen Vortheil. [86] Sie thun indessen wohl, wenn Sie, als ein Politikus, eine Staatsfreundschaft mit ihr unterhalten. Wenn Sie bei dem Herrn v. W. einen Besuch abstatten, so will ich Sie mit Ihrer Erlaubniß begleiten, damit ich jede Mine und jede Bewegung des Fräuleins ausstudiren kann, um eine Gewißheit dadurch zu erhalten, was für Gesinnungen sie von Ihnen hegt.

Fräulein Amalia bringt mir jetzt eine schlimme Nachricht, sie hat eben einen Brief von dem Fräulein v. W. erhalten, darinnen ihr diese berichtet, daß sie heute früh auf ihrem Tische ein zusammengerolltes Pappier angetroffen, und bei Eröffnung desselben, ein vortrefliches französisches Sonnet nebst ein paar demantnen Ohrenringen gefunden hat. Sie sind abgestochen; Ihr Rival hat einen höhern Trumpf eingesetzt. Das Fräulein hat eine sehr große Freude über das Geschenke. Ihr Lobgedichte, das sie sehr heilig in ihrem Putzschrank aufzuheben versprach, fallt nun gewiß [87] in das unterste Fach, wenn es noch drinnen bleibt. Wo sollten die Ohrengehänge anders herkommen als von dem Major? Ja ja, er hat die rechten Schliche inne, wie man die Schönen bezaubern kann. Er verstehet das Spiel aus dem Grunde, jetzt sitzt er im Vortheile und wird sich schwerlich daraus vertreiben lassen. Doch das Spiel ist noch nicht verlohren, Sie sitzen nur hinter der Hand, und an Ihnen ist nunmehro die Reihe, ihn wieder abzutrumpfen. Wir wollen die Sache schon wieder ins Gleiß bringen, wenn Sie nur Standhaftigkeit gnug besitzen, die widrigen Zufälle, die in dergleichen Umständen sich oft begeben, zu ertragen, ohne an Ihrem Glück zu verzweifeln. Ich bin immer unglücklich im Vergleichen, so viel Geschmack ich auch daran finde. Ich habe Ihre Liebe, in so ferne sie thätig ist, mit dem Spiel verglichen: jetzt, da Sie Sich nach meinem Entwurf etwas leidend verhalten müssen, kommt sie mir vor wie das Podagra. Gedult und ein wenig Schreien sind hierbei [88] die besten Arzeneien. Ich rathe Ihnen beides, das erste, um der Sache gelassen zuzusehen, bis das Schicksal Ihren Rival aus der hiesigen Gränze entfernet, und das andere, um ihre Schöne, wenn sie über Ihre Unempfindlichkeit und Härte klagen, dadurch zum Mitleiden zu bewegen. Unterdessen daß Sie in einer gewissen Unthätigkeit sich befinden, will ich desto geschwinder seyn im Kabinet, und wie die Minister, wenn die Generals in Winterquartieren schmaußen, den Plan entwerfen, den Sie hernach ausführen sollen. So bald Sie Ihre Staatskrankheit Abschied nehmen lassen, so besuchen Sie mich, und bringen Sie Ihren Favoriten den Herrn Lampert mit, damit wir alles gemeinschaftlich überlegen, und wegen Ihren Angelegenheiten ordentlichen Rath halten. Ich verspreche Ihnen, allen Fleiß und alle Aufmerksamkeit anzuwenden, ihre Wünsche [89] zu vergnügen, um Sie dadurch zu überzeugen, daß ich kein blos Compliment mache, wenn ich mich nenne

Dero
gehorsamsten Diener
v. F. 


X. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
den 26 Nov.

Was werden Sie noch aus mir machen, loses Fräulein! Sie, und der Herr Baron, spielen Comödien, daß man Bücher davon schreiben könnte. Ich glaube, Sie haben sich beide vorgenommen, Ihre Nachbarschaft rund um sich her in Verwirrung zu setzen, und Niemand zu schonen, wenn Sie nur etwas zu lachen bekommen. Wenn [90] ich nur eine sträfliche Mine annehmen könnte, so hätte ich Lust, Ihnen einmal den Text recht zu lesen. Der Brief mit dem Einschluß, welchen Sie mir heute zugeschickt haben, hat wunderliche Erscheinungen bei mir hervorgebracht, ich habe über beide gelacht, den Kopf geschüttelt, ich bin halb erzürnt bei einigen Stellen gewesen, ich bin wieder gut worden; ich habe sie noch einmal gelesen, und habe mich niedergesetzt, Ihnen darauf zu antworten; ich bin aber jedesmal zweifelhaft aufgestanden, ohne zu wissen, was ich über die Innlage für ein Urtheil fällen sollte. Mehr als einmal hab ich einige Stellen darinnen verbessern wollen, ich hatte bereits die Feder angesetzt, um ganze Seiten auszustreichen, und sie zu verändern: aber ich habe es immer wieder unterlassen, weil ich nicht wußte, womit ich den leeren Raum füllen sollte. Nun es mag alles bleiben, ich will Ihnen aber meine Kritik darüber machen, eben so wie über Ihren Brief, und dadurch werde ich diesen zugleich beantwortet haben. Ich [91] sehe wohl, daß es mit der Liebe Ihres Herrn Oncles nur Spaß ist, oder daß Sie und der Herr Baron einen Spaß daraus machen wollen, da Sie diese Sache nun unter den Händen haben, ich bin darüber erfreuet: aber vorher war es in der That kein Spaß. Es sind noch nicht gar acht Wochen, da Sie über dieses Capitel mir ein so zweifelhaftes Gesicht machten, daß ich es Ihnen ansehen konnte, wie sehr Sie meinetwegen besorgt waren. Wenn Sie und der Herr v. F. nicht alle Kräfte und Ihre ganze Kunst der Intrigue aufgebothen hätten, mich zu befreien, so würde ich jetzt sonder Zweifel Frau v. N. Für eine so gute Bemühung muß ich Ihnen ja wohl etwas zu lachen geben, und wider meinen Willen eine Rolle, die Sie mir in dem Lustspiele auftragen, übernehmen. Ich verspreche diese so gut zu spielen als mir möglich ist, nur daß es immer ein Spiel bleibt, und nicht etwan wieder Ernst daraus wird. Ich bedaure es, wenn Sie meinetwegen den Herrn von N. ein so schweres Gebot auferleget [92] haben, von der Gesellschaft zu bleiben, dieses wird ihm vermuthlich sehr beschwerlich gewesen seyn. Ich verlange nicht, daß er so eingeschränket werde, sonst stehet er Ihnen gewiß nicht lange zu Gebothe. Seine Gegenwart ist mir niemals beschwerlich, so lange ich nichts davon zu befürchten habe, welches ich jetzt nicht vermuthe. Wir werden nächstens einen Besuch in Kargfeld ablegen, ich werde mitgehen, um dem Herrn v. N. eine unschuldige Freude zu machen. Prägen Sie ihm nur ein feines, steifes, zurückhaltendes Wesen ein, und versichern Sie ihn, daß dieses das beste Mittel sey, von mir recht viel freundliche Gesichter zu bekommen.

Sie suchen doch auch alle Gelegenheit auf, sich lustig zu machen, und wenn Ihnen aller Stoff zu fehlen scheinet, so sind Sie es über sich selbst, das ist in der That ein artiger Charakter, der mir gefällt. Das Schicksal entferne uns nie von einander: wenn ich jemals Ihren Umgang vermissen sollte, so würde [93] ich das allerschätzbarste, das ich besitze, verlieren. Weil einmal die Planeten unter uns einiger lustigen Aufmerksamkeit sind gewürdiget worden, so will ich mir die Freiheit nehmen, über eine Stelle des Ihrigen, eine Anmerkung zu machen, doch in einen gelehrten Streit lasse ich mich durchaus nicht ein, wenn ich auch einen Preiß von einer Akademie der Wissenschaften dadurch zu verdienen wüßte. Was machen Sie Sich für einen seltsamen Begriff von einem lachenden Freier! Sie verstehen darunter einen halbigten Liebhaber, der keinen Ernst braucht? Unglückliche Deutung! Gehen Sie zum Herrn Lampert, und lassen Sie Sich die Sache erklären, er wird es Ihnen ganz anders sagen. Sie sind lustig, aufgeräumt, Sie lachen gerne: gleich und gleich sucht sich. Der Mann, den Sie einmal glücklich machen sollen, wird in seinem Charakter Ihnen ähnlich seyn. Sie bekommen einen muntern, aufgeräumten, lachenden Freier, er Ihnen das Leben so angenehm macht, als Sie es allen, die Ihren [94] Umgang genießen, zu machen wissen. Wollen Sie nun weiter mit dem ehrwürdigen Sterndeuter zanken, der Ihnen so viel gutes geweissaget hat? Es hat mir nicht an Neugierde gefehlet, Ihren Planeten ganz zu lesen, und die bösen Schicksale, die nach Ihrem Urtheile darinne sollen enthalten seyn, zu erfahren, oder ihnen mit einer guten Auslegung zu statten zu kommen; aber da ich eine sehr schlechte und mangelhafte Edition von einem Calender habe, darinne diese unbetrüglichen Weissagungen fehlen: so muß ich wider Willen dem Befehle nachleben, Ihren Planeten nicht zu lesen.

Thun Sie nur nicht so böse, daß ich dem Major etwas von Ihnen vorgeschwatzt habe. Sie urtheilen recht, daß ich ihn dadurch für seinen Vorwitz habe bestrafen wollen; aber ich bin darinne nicht mit Ihnen einerlei Meinung, daß ich daran Unrecht gethan habe. Ich glaube vielmehr allen Verdacht dadurch von Ihnen entfernt zu haben. Er konnte [95] denken, wir hätten von Ihm gesprochen, da wir heimlich mir einander redeten; er konnte dieses aber nicht mehr denken, da ich es ihm öffentlich sagte, daß wir es gethan hätten. Wenn es wahr gewesen wäre, so würde ich es ihm gewiß verschwiegen haben. Vermuthlich sahe er es ein, daß ich ihn für seine Neugierde, dadurch habe wollen ein wenig büßen lassen; sollte es aber nicht geschehen seyn, so will ich, wenn er mich wieder fragt, was wir von ihm gesprochen hätten, meinen Fehler wieder gut zu machen, etwas recht schönes erdenken, das Sie zu seinem Vortheile sollen gesagt haben. Aber warum dringen Sie denn so sehr darauf, daß ich Ihre Unschuld retten soll? Fräulein, Fräulein! wenn Sie mir etwas verheimlichen, so vergebe ich es Ihnen nicht.

Dem Herrn Baron machen Sie mein bestes Compliment. Sagen Sie ihm, daß ich seine guten Bemühungen mir vielem Danke erkenne; aber ich bin wenig mit den Maaßregeln [96] zufrieden, die er anwendet, seine gute Absicht zu erreichen. Warum braucht er so zweideutige Ausdrücke, die den Herrn v. N. entweder gegen mich oder den Major aufbringen können? Wer weiß, ob er nicht dadurch in die Versuchung geräth, seinem eignen Kopfe zu folgen, und wenn er sich nicht mehr in der Irre herum führen läßt, die rechte Spuhr wieder zu suchen, wodurch es ihm am ersten gelingen könnte, sein Vorhaben auszuführen, oder doch wenigstens mir Angst zu machen. Ich merke wohl, daß der Herr Baron durch die Verzögerung ihn ermüden will. Es ist dieses ein sehr guter Einfall, aber wann dem Herrn v. N. etwas in den Kopf gesetzt wird, das ihn aufbringen kann, so verläßt ihn seine Gedult ganz sicher, und er wird hernach alles anwenden, sein Schicksal entschieden zu sehen, welches auf der einen oder der andern Seite Verdruß erwecken könnte, und diesen vermeide ich gerne. Doch das ist noch nicht alles, was mir am wenigsten gefällt, ist dieses, daß ich so [97] abgeschildert werde, als wenn der Major in besonderm Ansehen bei mir stünde. Ich bin in diesem Stück etwas zärtlich, wenn Sie über so etwas mit mir scherzen, so kann ich gleiches mit gleichem erwiedern, und das bleibt unter uns; wenn aber mehrere Personen an diesem unschuldigen Scherz Antheil nehmen, so entstehet daraus ein Gerüchte, und das wünsche ich eben nicht. Die Auslegung über die unschuldige Frage, wie sich Ihr Herr Oncle befände, ist höchstleichtfertig. Ich lasse mir diesen Scherz desto leichter gefallen, da ein solcher Verdacht, daß ich nach einer Erbschaft sollte begierig seyn, nicht leichtlich im Ernste von mir wird gefaßt werden, es kann auch dieser Einfall, in der Absicht, in welcher er ist angewendet worden, vielleicht von einigem Nutzen seyn. Aber ich weiß nicht, was ich mit den Ohrenringen anfangen soll, ich kann die Absicht, warum der Herr v. F. mich damit hat beschenken lassen, nicht errathen. Sollte es deswegen geschehen, damit Ihr Herr Oncle [98] aufgemuntert würde, mir in der That ein Geschenke zu machen, so würde ich dadurch in die äußerste Verlegenheit gesetzet werden, ich könnte es nicht annehmen, und auch nicht ohne Beleidigung zurück geben, ich würde also auf die eine und auf die andere Art anstoßen. Ueber dieses, wenn der Herr von N. gegen die Frau v. W. etwas davon gedächte, so würde ich ein scharfes Examen von ihr auszustehen haben, sie würde es nicht glauben, daß es nur ein Mährgen ist. Sie wissen, was man für Mühe anzuwenden hat, ihr etwas auszureden, das sie sich zu glauben oder einzubilden, einmal vorgenommen hat. Wenn Sie nicht versichert sind, daß ich davon nichts zu befürchten habe, so streichen Sie diese Stelle ganz aus. Ich ersehe am Ende des Schreibens an den Herrn v. N. daß er nur eine Staatskrankheit angenommen hat. Nun bedaure ich ihn desto mehr, und wenn es nicht meine eigne Person beträfe, so wollte ich eben das thun, wozu Sie Sich anheischig gemacht haben, und alles beitragen, [99] seine Wünsche zu erfüllen. Den Augenblick erfahre ich etwas ganz neues, der Major hat Befehl erhalten, wieder zu seinem Regimente zurückzukehren. Er ist nur vor einer Stunde hier gewesen, und hat es meinem Vater gesagt. Ich bin am Ende meiner Gedanken und meines Briefs, und kann in der Eil keinen bessern Ausdruck finden, solchen dadurch zu schlüßen, als die Versicherung, daß ich Sie mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit liebe

J. v. W.     


XI. Brief.
Das Fräulein v. S. an das Fräulein v. W.
den 30 Nov.

Das ist zum Todlachen! Keinen lustigern Auftritt könnte mein Oncle liefern, als den er im Begriff ist uns sehen [100] zu lassen. Vernehmen Sie die große Begebenheit, die sich in wenig Tagen ereignen wird. Ich zweifle nicht daran, daß das Vorhaben wirklich ausgeführet wird. Es kommt nur auf Sie an, und Sie haben Sich einmal anheischig gemacht, das Spiel nicht zu verderben, ich halte Sie nun bei Ihrem Worte. Seyn Sie stolz auf die Ehre, die Ihnen zubereitet wird, mein Oncle beschäftiget sich gegenwärtig Ihren Namen unsterblich zu machen. So einer edlen Bemühung werden Sie nicht widerstehen können, ja er wird dadurch Ihr Herz gewiß erobern. Damit ich Sie nicht, nach meiner Gewohnheit, mit einem langen Geplaudere aufhalte, und Ihre Neugierde, die ich schon genug gereizt zu haben glaube, lange quäle; so will ich es Ihnen mit einem Worte sagen, daß der Herr v. N. entschlossen ist, eine Akademie der Wissenschaften in Kargfeld zu errichten, die nach Ihrem Namen die Julianen Akademie genennet werden soll. Wenn es nicht ein so gar artiger Spaß wäre, so würde ich nicht zugeben, daß [101] Ihr Name gemißbraucht wird; doch der Einfall ist zu lustig, daß ich mich bemühen sollte, die Ausführung davon zu hintertreiben. Lehnen Sie dem Baron und mir einmal Ihren Namen, um einen Scherz vollkommen zu machen. Damit Sie an der Sache vollkommenes Licht erhalten, so hören Sie jetzt meine Erzählung, und hernach lesen Sie die Innlagen meines Briefs. Es sind deren viere, ein Brief des Herrn Lampers an den Baron, eine Nachricht von der Einrichtung der Julianen Akademie, ein Verzeichniß der Mitglieder, die sogleich bei Eröffnung derselben sollen aufgenommen werden, und die Antwort des Barons. Ich darf Sie nicht erinnern, daß ich mir die Einschlüsse bald wieder ausbitte, Sie wissen dieses schon. Lassen Sie Sich es nun erzählen, wie mein Oncle sich diese Gedanken hat einfallen lassen, und warum er so feste darauf beharret, sein Vorhaben auszuführen. Der Baron fand gut, Ihrer Kritik ungeachtet, das Schreiben an meinen Oncle so zu lassen, wie er es entworfen [102] hatte, ohne darinne das geringste zu ändern. Sie sind gar zu zärtlich, und machen sich über Umstände, die ich nicht einmal wahrnehme, einen Haufen Bedenklichkeiten. Wir sind in Schönthal nicht so gesinnet. Der Baron blieb bei seinem Entschluß, und schickte meinem Oncle den Brief so, wie Sie ihn gesehen haben. Den Tag darauf machte er ihm in Person einen Besuch, um zu sehen, wie er mit dieser Nachricht zufrieden wäre. Er nahm sich zugleich vor, diese Erzählung zu vermehren und zu verbessern, wenn er es rathsam finden würde. Der Herr v. N. ist mit der Art, wie Sie seine Glückwünsche sollen aufgenommen haben, überaus vergnügt gewesen. Er hat zwar allerlei Betrachtungen angestellet, ob die vergnügten Blicke, die der Baron Ihnen bei der Vorlesung der Glückwünsche angedichtet, mehr diesen oder dem Leser zugeeignet werden könnten: doch Herr Lampert, der alles gern zu seinem Vortheile ausleget, hat das erstere so geschickt behauptet, daß alle Zweifel [103] verschwunden sind. Sein Vergnügen würde vollkommen gewesen seyn, wenn ihm nicht der Punct von dem Französischen Sonnet und den demantenen Ohrenringen die Freude sehr gemäßiget hätten. Ich hätte mich mit dem Baron zanken mögen, daß er durch diese Erdichtung das unschuldige Vergnügen meines Oncles unterbrochen hat. Doch eben dieses hat zu einer neuen komischen Handlung Gelegenheit gegeben. Der Herr v. N. hat den Baron ersucht, ihm einen Rath zu ertheilen, wie er diesen tödtlichen Streich, den sein Gegner durch ein so glänzendes Geschenke seiner Liebe versetzt zu haben glaubte, fruchtlos machen könnte. Der Baron hat die Verwegenheit gehabt, ihm das anzurathen, was Sie so sehr fürchten, daß er Ihnen ein Geschenke machen sollte, das noch zweimal größer wäre, als das Sie von seinem Rival erhalten hätten, oder nach seiner Sprache mich auszudrücken, er sollte einen höhern Matador einsetzen. Fürchten Sie nichts, dieser Vorschlag ist sogleich verworfen worden. [104] Sie kennen meinen Oncle nicht, wenn Sie glauben, daß er in die Versuchung gerathen dürfte, bei seiner Liebe großen Aufwand zu machen. Sie werden nicht leicht durch ein wichtiges Geschenke von ihm in Verlegenheit gesetzet werden. Er ist gewohnt seine Anschläge, die alle ins Große fallen müssen, mit wenigen Kosten auszuführen. Herr Lampert, der unerschöpflich ist an witzigen Erfindungen, und alle Absichten meines Oncles gern mit den seinigen verbindet, um sie desto leichter auszuführen, hat seit einiger Zeit, ich weiß nicht was für wunderliche Träume gehabt, Kargfeld in einen Sitz der Künste und Wissenschaften zu verwandeln. Ich wünschte, daß er so reich an Mitteln als an Anschlägen wäre, so würde er aus diesen Ort gewiß ein Versailles oder Paris machen. Sie wissen, wenn mein Oncle geheimen Rath hält, daß er darinne Sitz und Stimme hat. Seine Einbildungskraft giebt ihm also bei der Unentschlossenheit, worinne er den Baron siehet, den Herrn v. N. durch gute Rathschläge [105] zu unterstützen über seinen Gegner die Oberhand zu gewinnen, sogleich ein Mittel an die Hand, seinen Gönner aus der Verlegenheit zu ziehen, und dadurch sein Vorhaben, das schon einige mal von uns auf eine spöttische Art ist herumgenommen worden, zugleich mit auszuführen. Er wagt es bei einer so günstigen Gelegenheit noch einmal, den Vorschlag von Errichtung einer Gesellschaft der Wissenschaften en Mignature, zu erneuern, und solche die Julianen Akademie zu nennen. Der Baron, dem die geschickte Wendung des Magisters, sein Vorhaben auszuführen, und überhaupt das seltsame in diesem Anschlage gefällt, ergreift die Parthei des Herrn Lamperts mit einem angenommenen Eifer, und stellet dem Herrn v. N. die Sache aus einem so vortheilhaften Gesichtspuncte vor, daß dieser ihm mit Vergnügen beifällt, und die glückliche Stunde mit Sehnsucht erwartet, in welcher sie zur Ehre seiner Göttin ausgeführet werden soll. Lampert hat zu dieser Absicht die Aufsätze [106] verfertiget, welche ich Ihnen hierdurch mittheile.

Es ist auch in der That nichts geringes, und ich beneide Sie bald selbsten, daß Ihnen zu Ehren eine Akademie errichtet wird. Wenn Sie nicht ganz und gar stoisch gesinnt sind, so muß eine solche Ehre den lebhaftesten Eindruck in ihr Herz machen. Der Entschluß meines Oncles ist höchstgroßmüthig; er als der Stifter einer Akademie, hätte das Recht, solche mit seinem Namen zu belegen: aber wie vortreflich! er thut darauf Verzicht, um sie einem Frauenzimmer zu widmen, das er liebt. Es ist dieses ein so augenscheinlicher Beweis von seiner Leidenschaft für Sie, daß demantne Ohrengehänge und ich weiß nicht was für Kostbarkeiten, damit in gar keine Vergleichung können gesetzet werden. Wenigstens sind dieses die Gedanken meines Oncles und des Herrn Lamperts, die Sie ihnen auch selbst nicht würden abstreiten können. Sie dürfen sich nicht daran stoßen, daß [107] diese gelehrte Gesellschaft aus ganz verschiedenen Gliedern bestehet; die ansehnlichsten sind in keinem Theile der Welt anzutreffen, außer nur in einem Romane. Doch wenn diese ehrlichen Leute wirklich wären, so würden sie sich sehr wundern, daß unsere Schulmeister und Verwalter von ihnen Collegen sind. Ich habe dieses schon dem Baron vorgeworfen, der auch ein Ehrenmitglied dieser Gesellschaft abgeben wird, er hat mir aber versichert, daß im Reiche der Gelehrten, in so fern sie nur als Gelehrte betrachtet werden, kein Rang beobachtet würde, sondern daß diese Herren auf einen Fuß mit einander lebten, wie die alten Lacedämonier oder die Brüdergemeine zu Herrenhuth, daher käme es, daß der Geringste in der gelehrten Republick, den angesehensten auf einen gelehrten Zwiekampf herausfordern dürfte, welches sich oft zutrüge; die gelehrten Cavaliers bleiben einander mit der Feder so wenig schuldig als die Adlichen mit dem Degen. In so ferne er sich als einen Gelehrten betrachtete, [108] so sey es keine Schande einen Schulmeister auf der gelehrten Bank neben sich zu haben. Was das schlimmste ist, so gehören die meisten Glieder dieser Akademie nur in sehr uneigentlichem Verstande zu den Gelehrten. Doch, wie gesagt, dieses alles macht nichts aus, weil unter den Gelehrten kein Rang beobachtet wird, Lampert aber ein grundgelehrter Mann, alle Mitglieder für gelehrt erkläret hat: so ist diese Akademie so gut, als wenn sie aus Staatsministern in Ordensbändern, Prälaten und Superintendenten bestünde, und Sie erhalten also dadurch alle Ehre, die Ihnen eine kaiserliche Akademie ertheilen könnte, wenn sie von Ihnen den Namen entlehnet hätte. Ich verspreche mir vortrefliche Werke von dieser Gesellschaft, und mache mir Hoffnung, nicht lange darauf warten zu dürfen, wenn Sie bey dem Entschluß bleiben, meinen Oncle zu besuchen. Ich könnte meinen Brief noch ziemlich verlängern, wenn ich heute Lust zu plaudern hätte, oder mich in eine ordentliche [109] Beantwortung Ihres Schreibens einlassen wollte: ich will aber beides auf eine mündliche Unterredung spahren. Wenn Sie eben so vielen Geschmack als ich an dem Witze des Herrn Lamperts fänden, so würden die Innlagen dieses Briefs Ihnen zu einem artigen Zeitvertreibe dienen. Ich liebe Sie von Herzen. – – Das sollte eigentlich der Schluß von meinem Briefe seyn, aber ich erinnere mich eben jetzt noch an einen wichtigen Punkt, den ich nicht mit Stilleschweigen übergehen kann. Sie sagen mir ja auf eine recht ängstliche Art, daß der Major wieder zu seinem Regiment gerufen ist. Das hat etwas zu bedeuten. Ich hatte Lust ihn zu einem Mitgliede der gelehrten Akademie meines Oncles aufnehmen zu lassen, und dachte das Vergnügen, zu haben, ihn sehr schöne Reden halten zu sehen, nun komme ich auf einmal um diese Freude. Ich verliere ihn nicht gerne aus der hiesigen Gegend, ich gestehe es. Er ist ein lustiger Mann, der alles aus sich machen läßt, und um uns etwas zu lachen zu geben, [110] gewiß ein gelehrtes Mitglied der Akademie worden wäre. Sie lassen ihn auch nicht gleichgültig abreisen, das ist außer Zweifel. Die Art, womit Sie mir seinen Abzug verkündigen, verräth einige Unruhe. Warten Sie, ich habe ein artiges Liedgen gehabt, wenn ich es finden kann, so sollen Sie es bekommen, ich will es gleich suchen. – – – Da ist es! Wahrhaftig, es schickt sich vortreflich auf die Abreise des Majors; es paßt aber auch auf Sie wie der Planete. Sie haben den Namen Iris von ihrem Anbeter erhalten, recht als wenn sie es mir einander abgeredet hätten, das ist lustig! Eine Abschrift davon will ich behalten, es sind Virtuosen in der Akademie, ich will einem ein gut Wort geben, oder ich will mich in einer Bittschrift an das ganze Corpus wenden, damit es collegialisch componiret wird. Die Melodie soll so rührend ausfallen, daß es einem jammern soll, der es hört. Dichten Sie Sich unterdessen selbst eine Melodie, wenn ich Sie besuche, wollen wir dieses kleine Concert [111] aufführen. Sie spielen und ich singe, dabei bleibt es.

 CHANSONNETTE.
Iris il faut partir!
Mon coeur rempli de larmes
En quittant tous Vos charmes
Ne sait que devenir:
Iris il faut partir.
Je m’en vais à l’Armée,
Ne soyez pas affligée;
Du bruit de nos combats
Ne Vous effrayez pas.
Nous saurons nous defendre,
Avant que de nous rendre,
A de braves François
Ennemis de la paix.

Mon cher Damon allez
Ou l’honneur Vous appelle,
Ne soyez moins fidelle,
Tant que Vous vivrez:
Mon cher Damon allez.

[112]

Ayez soin d’une vie,
Qui n’est pas moins cherie,
Et que mon tendre coeur
Aime avec tant d’ardeur.
Complez sur ma constance,
Et ayez l’esperance
Qu’un si parfait amour
Est payé de retour.


XII. Brief.
Vom Herrn Lampert Wilibald an den Herrn v. F.
den 29 Nov.

Wenn es ein Glück zu nennen ist, zu einer Zeit zu leben, die an großen und merkwürdigen Begebenheiten fruchtbar ist: so sind die jetzigen Bewohner der Erde allerdings glücklich zu preisen, daß sie in einem Jahrhunderte leben, das einen Ueberfluß an Begebenheiten aufzuweisen hat [113] die die Geschichte dereinst verewigen wird. Ich will nicht an die Helden gedenken, die die Kriegskunst auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit gebracht haben; ich will jene großen Männer, die sich am Ruder des Staates einen unvergeßlichen Namen gemacht haben, in keine Betrachtung ziehen: ich will nur einen Blick auf die gelehrte Welt thun, und den Flor der Wissenschaften beschauen, um darzuthun, daß unsre Zeiten nicht schlimmer werden, wie alle verlebte Leute aus Vorurtheil glauben, sondern daß wir in den besten und glückseligsten Zeiten leben.

Die Ausbreitung der Wissenschaften gehöret ohne Zweifel mit zu den merkwürdigsten Dingen, die unserm Zeitraume ein so glänzendes Ansehen geben. Wie viele große Männer könnte ich nennen, wenn es hier der Ort wäre, die durch ihre ausgebreitete Erkenntniß in allen Theilen der Wissenschaften, und besonders durch die Erfindung wichtiger [114] und neuer Wahrheiten sich ein so ehrwürdiges Ansehen verschafft haben, daß sie den berühmtesten Gelehrten aus den berühmtesten Völkern und in den berühmtesten Zeiten die Wage halten, wo sie solche nicht gar übertreffen. Anstatt aller Beweise darf ich nur die Königin der Wissenschaften, wie sie von einigen Gelehrten mit Recht ist genennet worden, oder die Seele aller Künste die herrliche Metaphysik anführen. Wie diese verehrungswürdige Disciplin den Grund aller menschlichen Erkenntniß erhält, zu einer jeden wichtigen Handlung aber die mit Vorsatz ausgeführet wird, ein großer Grad der Erkenntniß gehöret; so kann sie auch als der Grund aller großen Begebenheiten, die unsern Zeitraum merkwürdig machen, angesehen werden. Sie ist es, durch welche die Fürsten weislich regieren, die Generale Schlachten gewinnen, Städte in so viel Tagen einnehmen, als man ehedem Jahre dazu brauchte. Sie ist es, wodurch das Recht der Völker und einzelner Personen entschieden wird. [115] Wie könnte das Recht gehandhabet werden, seitdem die Sophisten unsrer Zeiten die Sachwalter und Advokaten auferstanden sind, und der Gerechtigkeit eine wächserne Nase angesetzet haben, wenn die Metaphysik nebst ihrer getreuen Gespielin der Vernunftlehre die Menschen nicht unterwiesen hätte, das Wahre von dem Falschen, und das Licht von dem Schatten zu unterscheiden.

Doch die Wissenschaften würden noch lange nicht in dem Glanze stehen, worinne sie sich befinden, wenn nicht gewisse gelehrte Gesellschaften wären errichtet worden, die mit zusammengesetztem Eifer das Reich der Wahrheiten zu erweitern sich bemühet hätten. Diese verdienen eine besondere Stelle unter den Vorzügen, womit unser Zeitraum für andern Zeiten glänzet. Ich habe nur jederzeit bedauert, daß solche gelehrte Gesellschaften bisher meistens in den Residenzen großer Fürsten ihren Sitz gehabt, und nicht auch wie die Musen auf dem Helikon unter den um sie [116] herumirrenden Schäfern sich niedergelassen haben. Hierdurch würde ihre Nutzbarkeit viel angenehmer worden seyn, wenn sie sich auch bemühet hätten, die Geringen im Volke und selbst die Erkenntniß; der Landleute zu erweitern, welche doch unstreitig den größten Theil der Erdbewohner ausmachen. Eine geringe Anzahl der Sterblichen weiß alles, und der größere Theil befindet sind in der größten Unwissenheit. Diesem Uebel abzuhelfen, sollte billig die hohe Landesobrigkeit darauf bedacht seyn, die Schätze der Wissenschaften, welche die Gelehrten sorgfältig gesammlet haben, gleich wie das Geld in Umlauf zu bringen, und allen und jeden davon mitzutheilen. Ich habe mir die Ignoranz des gemeinen Mannes jederzeit zu Herzen gehen lassen, und mich darüber betrübt, auch auf Mittel gedacht, diesem Uebel abzuhelfen. Schön seit einigen Jahren habe ich die Gedanken gefaßt, einem großen Herrn den Vorschlag zu thun, Schulen für Erwachsene, die sich den Wissenschaften nicht eigentlich [117] gewidmet haben, anzulegen, darinne junge Leute so lange unterwiesen werden könnten, bis sie heirathen. Insonderheit sollte man sich des schönen Geschlechts besser annehmen, an jedem Orte sollte für erwachsene Mädchen eine besondere Schule angeleget werden, darinnen diese edlen Creaturen so lange einen Unterricht genössen, bis die Umstände sie nöthigten, einen eignen Haushalt zu führen. Sie sollten in der Haushaltungskunst, in der Weltweisheit, Historie, Poesie und andern dahin einschlagenden und dem weiblichen Geschlecht anständigen Künsten und Wissenschaften, theoretisch und praktisch geübt werden, damit der Aberglaube, der diesem Geschlechte unsern erleuchteten Zeiten zur Schande noch so sehr anhänget, ausgerottet würde, und sie von ihren Pflichten, davon diese Hälfte des menschlichen Geschlechts noch so seichte und unvollständige Begriffe hat, eine vollkommenere Känntniß erhielte. Ich wollte mich selbst einer so nützlichen Bemühung gern unterziehen, und mit Vergnügen als einen Lehrer [118] Lebenslang gebrauchen lassen. Doch wie der jetzige landverderbliche Krieg viele vortrefliche Projekte vereitelt hat, so ist es auch diesem ergangen. Es wird dieser herrliche Entwurf noch eine Zeitlang inter pia desideria gehören, bis er einmal in einem ruhigern Zeitpunkte, nach dem Wunsche vieler redlicher Männer, ausgeführet wird. Inzwischen gereicht es mir zu keiner geringen Freude, daß mitten unter dem Geräusche der Waffen, unter dem Schutz meines vortreflichen Gönners, die Musen, die allenthalben verscheucht werden, in unsern glücklichen Gegenden ihre Wohnung aufzuschlagen scheinen: unser Kargfeld nimmt an dem Flor der Wissenschaften und an dem Gluck unsrer Zeiten, rühmlichen Antheil. In Zukunft werden nicht allein die Residenzen der Könige mit gelehrten Gesellschaften prangen, auch unsre Gegend wird eine aufzuweisen haben. Erlauben Sie, gnädiger Herr, daß ich Ihnen im Namen der ganzen gelehrten Republick, für die Sorgfalt Dank abstatte, mit welcher Sie [119] meinen Anschlag, eine Akademie der Wissenschaften im kleinen hier aufzurichten, unterstützet haben, dergestalt, daß das, was bisher in meinen Gedanken nur als eine caussa exemplaris existiret hat, nun die Wirklichkeit erhält. Wo finde ich Worte, meine Freude über diesen großmüthigen und Grandisons Nachfolgern würdigen Entschluß auszudrücken? Fast möchte ich in die Versuchung gesetzt werden, mit einem Jüngling aus dem Terenz auszurufen: Ah Jupiter! C’est presentement que je mourrois volontiers de peur qu’une plus longue vie ne corrompe cette joye par quelque chagrin. Mein Gönner ist von diesem Vorhaben jetzt so eingenommen, daß er es je eher je lieber ausgeführt zu sehen wünschet. Seitdem Sie uns gestern verlassen haben, ist dieses sein und mein einziger Gedanke gewesen, wiewohl wenn ich dem wahren Grunde seiner Absichten nachspühre, so sind diese nicht so sehr auf die Ausbreitung der Wissenschaften gerichtet, als vornehmlich nur Dero Vorschlag auszuführen, [120] und dem Fräulein v. W. zu schmeicheln, wenn diese neue Akademie nach Ihr wird benennet werden. Dieses thut jedoch der guten Sache keinen Eintrag, und kann als ein Adiaphoron angesehen werden. Wenn Sie es erlauben meine Ahndung zu entdecken, so sehe ich aus dieser Knospe für unser werthes Vaterland sehr viel gutes hervorkeimen. Jedermann, auch die geringsten Landleute die weder lesen noch schreiben können, gleichwohl aber in manche Theile der Wissenschaften, die sie ex Praxi erlernen, ein tieferes Einsehen haben, als spekulativisch Gelehrte, werden dadurch aufgemuntert, ihr Pfund aus dem Schweißtuch hervor zu langen, ihre besondere Kenntniß in dieser und jener Sache zu offenbaren, und folglich das gemeine Beste zu befördern. Eine glückliche Aemulation wird alle Innwohner dieser Gegend antreiben, wenn sie einige aus ihrem Mittel durch besondere Ehrenzeichen belohnet sehen, die sie durch neue Entdeckungen in allerlei nützlichen Künsten und Wissenschaften sich erworben [121] haben, gleichfalls etwas neues und besonderes zu erfinden, damit sie gleicher Ehre theilhaftig werden. Die Innwohner dieser glücklichen Gegend werden also in einer Zeit von wenig Jahren klüger seyn als an irgend einem Orte, dadurch werden andere Provinzen aufmerksam gemacht, und in weniger als einem halben Jahrhunderte wird kein Canton, kein Amt, sein Rittergut, auch wohl kein Dorf anzutreffen seyn, wo nicht eine Akademie der Wissenschaften gefunden wird. Hierdurch wird eine doppelte Absicht erreicht, die unsern Zeiten Ehre macht. Die Wissenschaften gewinnen, wenn durch eine unendliche Menge voll neuen Erfahrungen, besonders in der Naturlehre und Haushaltungskunst, welche diese gelehrte Gesellschaften auf dem Lande am ersten anzustellen geschickt sind, die Lehrsätze derselben genauer und richtiger bestimmt werden; der größere Haufen der Menschen wird dadurch gewinnen, wenn durch eine Menge von gelehrten Gesellschaften die Gelehrsamkeit selbst bekannter und beliebter wird, [122] wenn mehrere dadurch gereizet werden die Wissenschaften kennen zu lernen, und sich also das Glück unsrer Zeiten zu Nutze zu machen. Doch ich lasse diese angenehmen Vorstellungen noch eine Zeitlang ruhen, mit mehrerer Begierde sehe ich den Urtheilen der Tirannen in der gelehrten Welt, der gelehrten Zeitungsverfasser, die sie von unsrer Akademie fällen werden, entgegen. Diese Leute, die nebst dem Ansehen der Censoren die Macht der Tribunen besitzen, und das gelehrte Rom in ihrer Gewalt haben, die zugleich allen Neuerungen höchst feind sind, und nach dem Beispiele der Schöppenstühle auf Akademien ihre Urtheile nach den Aussprüchen ihrer Väter abfassen, werden große Augen machen, wenn sie die Nachrichten, die ich von unsrer Societät jährlich in Druck zu geben gedenke, zu Gesichte bekommen werden. Doch in fine videbitur cujus toni, fangen sie nach ihrer löblichen Gewohnheit an zu bellen, und ihre Beurtheilungen wider uns abzufassen, so sollen sie durch die That widerleget werden, [123] wenn sie diese Akademie in ihrem Flor erblicken werden: ist ihr Urtheil aber für uns, so verdienen sie die Mitglieder von uns zu seyn, und diese Ehre soll ihnen auch wiederfahren. Wenden Sie alles an, vortreflicher Mäcen, daß ein so wichtiges Project [als] dieses ist, bald und glücklich zu Stande kommt. Sie haben den Sachen der ersten Schwung gegeben, bringen sie auch solche nun zur Vollkommenheit. Mein unmasgeblicher Rath dabei wäre dieser, daß noch zur Zeit ein Geheimniß daraus gemacht würde, damit ein so ehrwürdiges und ansehnliches Gestifte, besonders für den Spöttereien des Fräuleins v. S. und dem Gifte der Frau v. W. gesichert bliebe, und überhaupt weder ein tadelsüchtiger Momus noch ein verläumderischer Zoilus sein Müthgen daran kühlen könnte. Die Ausführung dieses Anschlags gleicht jetzo einer zarten Pflanze, die der geringste rauhe Wind ersticken kann, die aber wenn sie einmal beklieben ist, auch die härtesten Stürme verachtet. Eu. Gnaden übersende ich hierdurch [124] den vorläufigen Plan der zu errichtenden Societät, nebst dem Verzeichniß der hierzu erwählten Mitglieder, welche beiden Stücke ich meinem Gönner vorzulegen die Ehre haben werde, so bald sie von denenselben sind gut geheißen worden. Gedrungen durch eine Menge von Geschäften, die durch dieses neue Departement der Akademie bei nur vermehret werden, muß ich hier meinem Schreiben ein Ziel setzen, wenn ich vorher mir die Erlaubniß genommen Eu. Gnaden zu versichern, daß ich nie aufhören werde zu seyn

Dero
unterthäniger Diener
M. L. W. 
*     *     *

Entwurf einer auf dem Hochadlichen Rittersitze Kargfeld zu errichtenden kleinen Sorbonne, oder einer gelehrten Gesellschaft, welche den Namen der Julianen-Akademie führen wird.

[125] Obwohl das Geschlecht der Gelehrten sich heutiges Tages so vermehret hat, daß diese Republick, wenn sie nicht durch innerliche Krankheiten und Spaltungen wie das persische Reich immer getrennet und geschwächt würde, allen Potentaten höchst fruchtbar seyn würde, und dahero aus Staatsabsichten die Gränzen des gelehrten Reichs mehr eingeschränkt als ausgebreitet werden sollten: so wird man doch gewahr, daß es vielmehr noch täglich zunimmt und zahlreicher wird, indem sich immer mehr und mehr Beförderer der Gelehrsamkeit in unserm gelehrten Jahrhunderte finden, die wie die Herren Commissarien von Pensylvanien unter fremden und den Musen bisher unbekannten Himmelsstrichen neue Colonien von Gelehrten errichten, und den Altären der Pallas mehrere Verehrer verschaffen. Unter diesen Freunden der Gelehrten gehöret billig ein vorzüglicher Platz für Se. Gnaden den Herrn v. N. Erb-Lehn- und Gerichtsherrn auf Kargfeld und Dürrenstein etc. Welcher nach reiflicher [126] und genauer Ueberlegung der Sache, und nach eingeholtem Gutachten vieler verständigen Leute entschlossen ist, erstbenennten seinen Rittersitz den Musen als ein Eigenthum zu widmen, und eine Akademie der Wissenschaften im Kleinen daselbst anzulegen. Da Hochderselbe nun im Begriff ist, solche eröffnen zu lassen: so hat man nicht ermangeln wollen, solches hierdurch öffentlich bekannt zu machen, damit auswärtige Gelehrte, die Lust haben zu Mitgliedern davon aufgenommen zu werden, solche kennen lernen, und sich in Zeiten durch eine gelehrte Abhandlung, die sie an innenbenannten beständigen Secretair derselben einschicken, und dadurch zur Ehre eines Mitglieds sich melden, worauf sie nach genauer und unpartheiischer Prüfung ihrer Arbeit sich der Aufnahme gewärtigen können. Die Einrichtung dieser gelehrten Societät ist folgende.

1.) Es werden darinne keine andre als Mannspersonen zu Mitgliedern aufgenommen. [127] Denn ob man wohl anfänglich entschlossen war, auch das schöne Geschlecht an diesem Instituto Antheil nehmen zu lassen; besonders da das Frauenzimmer zu allen Künsten und Wissenschaften vorzüglich geschickt ist; auch zum Theil die Schönen in der Gelehrsamkeit bei schlechtem Unterricht es sehr weit bringen, dergestalt, daß wenn auf sie eben die Sorgfalt gewendet würde als auf unser Geschlecht, die bärtigten Gelehrten gegen die gelehrten Schönen nur arme Schächer seyn würden: so hat man doch das Frauenzimmer von dieser Ehre, in so fern gänzlich ausgeschlossen, daß sie niemals in der Akademie, wegen besorglicher Zänkereien, auch neuen Ketzereien in den Wissenschaften, wozu sie ein ganz besonderes Talent haben, wie dieses aus den Verzeichnissen ketzerischer und schwärmerischer Weiber zu ersehen, Sitz und Stimme erlangen sollen. Jedoch wird dem jedesmaligen Präsidenten und übrigen einheimischen Mitgliedern freigelassen, gelehrte und durch gemeinnützige Schriften bekannte [128] Frauenzimmer, zu Ehrenmitglieder zu erklären.

2.) Es giebt zweierlei Arten von Gelehrten, einige treiben die Wissenschaften als ein Handwerk, und nähren sich davon, welche der gemeine Mann Studirte nennt, sie selbst geben sich den Namen literati; andere erlangen eine deutliche Erkenntniß nützlicher Dinge durch die Uebung oder durch eignen Fleiß. Diese letztern werden Avtodidacti genennt, weil sie nicht zünftig sind und von den gelehrten Meistern für Pfuscher und Bönhasen angesehen werden. Ob nun gleich zugegeben wird, daß diese ehrlichen Leute in der gelehrten Republick unter die Hintersiedler gehören, so ist doch kein Grund vorhanden sie aus solcher ganz und gar zu verstoßen, und mithin wird man auch keinen angeben können, ihnen den Zutritt zu unsrer neuen Akademie zu versperren. Aus dieser Ursache werden auch Unstudirte, wenn sie nur eine gute Erkenntniß nützlicher Dinge besitzen, als nützliche Mitglieder in derselben ihren Platz finden.

[129] 3.) Die zu errichtende Akademie ist nicht einer Wissenschaft allein gewidmet, folglich ist sie keine Akademie der Bildhauer, der Mahler, der Wundärzte oder der Naturlehrer: sie wird sich mit allen Wissenschaften und allen Theilen derselben beschäftigen, damit dieses aber alles in seiner Ordnung und Maße geschehe, so soll

4.) dieselbe in drei Classen abgetheilet werden. Die erste ist der höhern Philosophie gewidmet, wohin alle abgezogene Wahrheiten gehören, sie mögen in einer Wissenschaft ihren Sitz haben in welcher sie wollen. Hier sollen auch insonderheit die wichtigsten philosophischen Streitigkeiten untersucht und entschieden werden, z.B. Der zureichende Grund, die beste Welt, die vorhergeordnete Uebereinstimmung der Seele und des Leibes, die wahre Gestalt der Monaden, und des mathematischen Punctes u.s.w. Lauter Dinge, die die menschliche Glückseligkeit in der Welt auf den höchsten Gipfel zu setzen fähig [130] sind. Die zweite Classe beschäftiget sich mit der praktischen Philosophie, hauptsächlich mit der Naturlehre und Haushaltungskunst. Die dritte gehöret für die sogenannten schönen Wissenschaften. Hier werden Sprachen, Antiquitäten, Historie, Zeitrechnungen, die Wappenkunst, Geschlechtsregister, die Tonkunst und dergleichen untersucht, erörtert und in ein helleres Licht gesetzt, auch hauptsächlich die Redekunst und Dichtkunst getrieben.

5.) Nach der hergebrachten Gewohnheit gelehrter Societäten werden die Mitglieder dieser Gesellschaft in ordentliche und Ehrenmitglieder abgetheilet.

6.) Die ordentlichen Mitglieder sind verbunden zu gewissen Zeiten etwas auszuarbeiten. Diejenigen, welche nicht über drei Stunden von der akademischen Versammlung sich aufhalten, müssen, wann sie nicht Ehehaften haben, jedesmal Mittewochs um zwei Uhr Nachmittage in Person, und zwar um allen unnöthigen Aufwand zu vermeiden, [131] zu Fuße erscheinen; die aber weiter von hier wohnen, sind nicht verbunden bei den ordentlichen wöchentlichen Versammlungen gegenwärtig zu seyn; jedoch müssen sie jährlich auf ihren Namens- oder Geburtstag einen schriftlichen Aufsatz einsenden, und dafür werden sie, wenn ihre Arbeit Beifall findet, eine Belohnung erhalten. Die Ehrenmitglieder werden mit aller Arbeit verschonet, jedoch damit sie für diese Freiheit auch wiederum ein Onus haben, so sind sie gehalten, realiter etwas zur Ausbreitung dieser Societät und folglich des ganzen Reichs der Gelahrheit beyzutragen. Man wird ihnen unter den Fuß geben, oder gleichsam ein stillschweigendes Gesetz auferlegen, in ihren letzten Willen diese Gesellschaft reichlich zu bedenken. Dafür haben sie aber nach ihrem Tode zuverläßig eine Lobrede zu erwarten, auch wird man, nach Beschaffenheit ihrer guten Gesinnungen, sich entschließen, ihr rühmliches Andenken jährlich zu erneuern.

[132] 7.) Nach dem vortreflichen Beispiele des Herrn Carl Grandisons Baronets, welcher in dem glücklichen Brittannien alle Bewohner seiner Herrschaften gleichsam zu Akademisten gemacht hat, indem er eine Art von einer Societät errichtet hat, worinnen anstatt magerer theoretischer Untersuchungen, practische Redner auftreten, die durch wirkliche Beweise ihres Fleißes in Erfindung und Verbesserung nützlicher Dinge, einer Belohnung sich würdig machen, hat der vortrefliche Stifter dieser neuen Akademie der Wissenschaften gleichfalls beschlossen, die Mitglieder, welche sich durch vorzügliche Proben ihrer Geschicklichkeit hervorthun, auch durch gewisse ausgesetzte Preiße oder Ehrenzeichen von andern zu unterscheiden. Es ist zwar für jetzo nicht rathsam erachtet worden, nach dem Beispiele der Neuern durch goldene und silberne Schaupfennige Preißschriften zu krönen, vielmehr wird man hierinne die Alten sich zum Muster vorstellen. Wie man bei den Olympischen Spielen die Sieger nur mit einem [133] Kranze beschenkete, der von ihnen höher als ein goldener Berg geschätzet wurde, so daß große Prinzen nach dieser Ehre strebten: so sollen auch die Belohnungen dieser neuen Akademie auf diesen Fuß gesetzet werden, dergestalt daß z.B. die Dichter mit frischen Kränzen von Eichenlaube gekrönet werden, die Redner welche sich wohl gehalten haben, sollen ein paar Handschuhe oder Perucken bekommen, die, welche in der Wirthschaft etwas besonders leisten, werden einen Kranz von Fruchtähren und Feldblumen nach ländlicher Weise erhalten, dergleichen die Schnitter nach der Erndte verfertigen. Denenjenigen, welche sich in der Composition musikalischer Stücke, überhaupt in der Tonkunst oder der Beurtheilung derselben hervor thun, soll aus einem besonders dazu gewidmeten Gesellschaftsbecher der Ehrenwein gereichet werden, u.s.w.

8.) Damit es endlich dieser Akademie auch nicht an einem Namen fehle, so soll sie aus [134] besondern und wichtigen Ursachen die Julianen Akademie benennet, auch sollen jährlich, wenn bei jetzigen schweren Zeitläuften ein Verleger zu finden ist, die Schriften und Progressen derselben durch den Druck bekannt gemacht werden. Verfertiget auf dem hochadlichen Rittersitze Kargfeld, den 29 Nov. 17 – –

L. Wilibald, 
Lib. artium M.     


*     *     *

Verzeichniß der großmüthigen Gönner, Musageten und Gelehrten, welche bei Eröffnung der Julianen Akademie zu Mitgliedern derselben sind aufgenommen worden.

Herr Ehrhard Rudolph v. N. Erb- Lehn- und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein etc. Stifter und zukünftiger Protector der Akademie.

[135] Herr Hanns George v. W. ist wegen seiner beiwohnenden Gelehrsamkeit und hohen Meriten zum Präsidenten und Obervorsteher derselben ernennet worden.

Herr L. Wilibald wird die Stelle eines Oberältesten und Erzschreinhalters oder beständigen Secretärs versehen.

Vornehme Mitglieder.

Herr Carl Grandison Baronet, Lord L. Lord G. Herr Richard Beauchamp Baronet, Herr Reeves Esq. D. Bartlett, Herr Dobson, Pfarrer in Grandisonhall, allesammt in England. Herr Baron v. F. Herr Rittmeister v. H. nebst dessen zween Herren Brüder, allesammt in Deutschland, Herr v. S. gegenwärtig in Straßburg.

Ordentliche Mitglieder.

Die Classe der höhern Philosophie vacat. Die Classe der Naturlehre und Haushaltungskunst. Herr Peter Bornseil, ehemaliger hochadlicher Verwalter. Michael Obentraut, [136] jetziger Verwalter in Wilmershaußen. Herr Martin Schießlink, hochadlicher Förster, Herr Nicolaus Brunnhold, hochadlicher Bader, Hanns Sachs, wohlmeritirter Schultheiß zu Kargfeld.

Nota. Herr Pastor Wendelin hat die Ehre eines ordentlichen Mitgliedes verbethen, und die ganze Confraternität aufrührisch gemacht. Vermuthlich ist ein kleiner Rangstreit die Ursache hiervon: es scheinet, daß sie dem Oberältesten nicht gern nachstehen wollen, doch dieses wird sich mit der Zeit schon geben.

Die Classe der schönen Wissenschaften. Herr Wendelin, hochadlicher Gerichtsactuarius, Herr Lorenz Lobesan, Ludimagister und Schulobrister zu Kargfeld, Herr Fittich, Cantor zu Schönthal, nebst dem Cantor zu Wilmershaußen und dem Schulmeister zu Dürrenstein.


[137]
XIII. Brief.
An Herrn Lampert Wilibald von dem Herrn v. F.
den 30 Nov.

Sie haben meine Erwartung nicht getäuschet. Ihr Entwurf einer Akademie ist vortreflich, ich habe ihn nicht so bald gesehen, als ich ihn auch sogleich gebilliget habe. Vergönnen Sie, werther Freund, daß ich bei allem Hasse gegen die Vorurtheile ein einziges für Sie beibehalte. Ich bin von Ihnen ganz eingenommen, doch bin ich es nicht allein, jedermann hat für Sie in unsrer ganzen Gegend ein günstiges Vorurtheil, und daher kommt es, wie ich glaube, daß alles was Sie unternehmen Beifall findet. Sie erzeigen mir viel Ehre, daß Sie Ihren Entwurf der zu errichtenden gelehrten Gesellschaft, nebst einen Verzeichniß der Mitglieder meiner Censur überlassen. [138] Wenn Sie dabey die Absicht gehabt haben, mich zum ersten Bewunderer Ihrer Unternehmungen zu machen, so habe ich Ursache Ihnen verbunden zu seyn: Wenn Sie aber von mir Verbesserungen Ihrer Einrichtung erwartet haben, so haben Sie es nicht getroffen. Ich muß Ihnen das Geständniß nochmals wiederholen, daß alles was Sie unternehmen, meinen Beifall hat. Ich würde überdieses meine Sphäre übersteigen, wenn ich Ihren Entwurf als die Arbeit eines vortreflichen Meisters der sieben freien Künste verbessern wollte, ich, der ich nicht in einer freien Kunst Meister bin. Jedoch wenn Sie durchaus mein Urtheil verlangen, so kann ich versichern, daß ich nie etwas schöneres weder aus den alten noch neuern Zeiten zu Gesichte bekommen habe. Die Einrichtung Ihrer Akademie ist vortreflich, und ich verspreche mir davon nicht nur so viel gutes als Sie Sich ahnden lassen: meine Einbildungskraft scheinet noch lebhafter zu seyn als die Ihrige. In meinen Gedanken ist [139] es so gut als ausgemacht, daß Sie in kurzer Zeit als ein zweiter Melanchthon communis doctor germaniae seyn werden. Ja ich sehe in meiner angenehmen Vorstellung Kargfeld schon in ein Athen verwandelt. Ich gehe Stundenlang in meinem Zimmer mit einer lächelnden Mine auf und nieder, wenn ich in diesen Enthusiasmus gerathe, und alsdenn wirkt meine Einbildungskraft so lebhaft, daß ich weder höre, sehe, schmecke, fühle, noch rieche, und wenn mir wie den Ritter Marino eine glühende Kohle auf dem Fuß fiele, so würde ich es eben so wenig als dieser empfinden. Ich verwandele das Schloß des Herrn v. N. in ein prächtiges Athenäum, die Versammlung der Gemeinde unter der Linde wird ein ehrwürdiger Areopagus, der Kirchthurm eine Sternwarte, das Wirthshaus eine Realschule, und es fehlet mir nichts als der Zauberstab der Circe, um allen diesen schönen Vorstellungen die Wirklichkeit zu geben. Sie haben meinen Ehrgeiz nicht wenig geschmeichelt, daß Sie mir unter dieser [140] gelehrten Gesellschaft auch einen Platz angewiesen haben. Ob ich gleich unter so vielen großen berühmten und gelehrten Männern keine bessere Figur spielen werde als der leidige Vetter Eberhard unter den Grandisonen: so werde ich mich doch aufs äußerste bestreben, weil ich der Akademie nicht durch einen berühmten und gelehrten Namen ein Ansehen machen kann, auf eine andere Art etwas zu ihrer Verherrlichung beizutragen. Sie können es glauben, daß es mir ziemlich schwer angekommen ist, bei gesunden Tagen mein Testament zu machen. Dieses stillschweigende Gesetz, das Sie den Mitgliedern der neuen Akademie auferleget haben, hat mir viele Ueberwindung gekostet, ehe ich mich stark genug fühlte es zu erfüllen. Ich will Ihnen nur meine Schwachheit gestehen, ich nahm mir mehr als einmal vor lieber diese Ehre zu entbehren, als mich mit den fürchterlichen Gedanken von Errichtung meines Testamentes zu quälen. Sie wissen, daß es gemeiniglich für ein böses Anzeichen gehalten [141] wird, wenn man seinen letzten Willen aufsetzt, und daß es vielmals eingetroffen hat, daß solche ehrliche Leute bald darauf gestorben sind. Ich habe nicht Lust mich zur Reise in die andere Welt schon fertig zu halten, und hieraus können Sie schlüßen, daß ich nichts weniger wünsche, als daß der Akademie zum Besten mein letzter Wille bald erfüllet werde. Ich habe Lust den Ausgang des Krieges zu erleben, nicht aus Verlangen ein Greiß zu werden, sondern um zu sehen, ob die gerechte Sache triumphiret. Allein verlassen Sie Sich darauf, mein Testament ist gemacht, die Akademie ist reichlich bedacht, und ich habe die Ehre dieses stillschweigende Gesetz zuerst erfüllt zu haben. Jedoch damit Niemand Anlaß bekomme sich an mir zu versündigen und auf meinen Tod zu hoffen: so will ich Ihnen nicht verhalten, daß ich ausdrücklich verordnet habe, daß alles das Gute, welches ich der Akademie zugedacht, ihr nur alsdenn zu statten kommen soll, wenn ich nach Einweihung derselben noch volle [142] dreißig Jahre, das Jahr zu zwölf Monaten, den Monat zu dreißig und ein und dreißig Tagen, den Tag zu vier und zwanzig Stunden gerechnet, werde gelebet haben. Sollte mir aber unter der Zeit etwas menschliches widerfahren, so mag die Gesellschaft sich daran begnügen, an mir einen großen Verehrer ihrer Einrichtung gehabt zu haben, ohne eine Beisteuer zu erwarten.

Es hat Ihnen gefallen mir ein geheimnißvolles Stillschweigen aufzulegen, und mir zu verbiethen, jemanden etwas von dem Anschlage, das unwissende Kargfeld zu einem Sitze der Wissenschaften zu machen, das geringste zu entdecken, verzeihen Sie, werther Freund, daß ich dieses Gesetz übertreten habe. Sie haben eine Gelübde gethan, wie Sie sagen, Ihrem Gönner alle Ihre Geheimnisse anzuvertrauen, ich habe seit meiner Heirath mir gleiches auferleget, in Ansehung mein Frau. Jetzt gäbe ich den besten Gaul aus meinem Stalle darum, wenn ich diese voreilige Gelübde [143] wieder zurück nehmen könnte. Ich habe Ursache mich für den glücklichsten Ehemann zu halten, das will ich niemals leugnen: aber wenn mein Glück allein auf der Verschwiegenheit meiner Frau beruhete, so würde es sehr mäßig seyn. Ihnen muß ich es zum Lobe nachsagen, daß sie durch Ihren höchstvortreflichen Unterricht, dafür ich Ihnen noch unendlich verbunden bin, ein sehr vollkommenes Frauenzimmer worden ist; allein die Natur der Frauenzimmer ist unveränderlich, sie sind alle, ohne Ausnahme, eben so begierig Heimlichkeiten zu erfahren, als geneigt sie auszuplaudern. Um meinem Gelübde ein Genüge zu leisten hatte ich meiner Frau Ihren Anschlag nicht so bald entdeckt, als Fräulein Amalia von allem aufs genaueste unterrichtet war. Sie wissen wie die beyden Schwestern einander lieben. Hätten Sie kein Geheimniß daraus gemacht, so würde ich ohne Schwürigkeiten die Sache haben verschweigen können. Doch machen Sie Sich keine Sorge, ich habe schon vorgebauet, [144] das Fräulein hat überdieses so viele Hochachtung für ihren ehemaligen Lehrer, daß sie ihrer muthwilligen Ader ungeachtet, die sich bei ihr mehr als bei Charlotten zu regen scheinet, alles in ihrem Herzen billiget, was sich von diesem herschreibt. Wenn sie auch gleich Ihre Entwürfe manchmal aus einem lächerlichen Gesichtspunkte betrachtet, so ist sie doch weit entfernt, sich Ihnen in der That zu widersetzen. Ich will Ihnen nach meiner Aufrichtigkeit, das merkwürdigste von ihren Urtheilen hierüber entdecken. Sie ist höchstunzufrieden, daß das schöne Geschlecht von der Ehre ausgeschlossen ist, unter die Mitglieder der Akademie aufgenommen zu werden, sie sagte, daß sie dieses von der Hochachtung, die Sie jederzeit gegen die Schönen hätten blicken lassen, ganz gewiß erwartet hätte, daß Sie aber nun gegen Sie sehr aufgebracht wäre, und alles anwenden wollte, um im Namen aller Frauenzimmer sich an Ihnen aufs nachdrücklichste zu rächen. Sie hat einen bösen Anschlag, Ihre Liebste, die Tochter des [145] Pastor Wendelins, Ihnen abspänstig zu machen, und sie meinem Gerichtshalter zuzuschanzen. Ich traue Ihr zwar diese Leichtfertigkeit nicht zu, doch sagte sie dieses mit einem so ernsthaften Ansehen, daß ich Sie warnen will auf Ihrer Huth zu seyn, damit Ihnen unter Ihren gelehrten Zerstreuungen Ihre Beute nicht entführet wird. Sie hat noch hundert andere Anschläge im Kopfe Sie zu kränken. Dächten Sie es wohl, daß sie sich hat einfallen lassen, nach Ihrem Beispiele eine Frauenzimmerakademie zu stiften? In der ersten Hitze erklärte sie zwar nach Gewohnheit der Leute, die in das innere der Wissenschaften keine Einsicht haben, die ganze Einrichtung Ihrer gelehrten Gesellschaft für pedantisch: aber hernach wurde sie anderes Sinnes und nahm sich vor, Ihnen nachzuahmen. Diese Frauenzimmerakademie soll unterdessen auf einen ganz andern Fuß gesetzt seyn, es werden keine gewisse Classen darinne Statt finden, sie glaubt, daß diese aus den Schulen oder Lotterien entlehnet sind [146] und beiden ist sie gram, den erstern, weil sie nicht ohne Entsetzen an die sträflichen Gesichter gedenken kann, die Sie ihr ehemals sollen gemacht haben, und nun die Schulen für das Element der Pedanten hält; die letztern hasset sie, weil sie jederzeit verliehrt, ob sie gleich die artigsten Devisen wählt. Den Entwurf hat sie mit weniger Mühe zu der Frauenzimmerakademie verfertiget als Sie den ihrigen, und das ist auch ganz leicht zu begreifen: eine Kopie ist leichter zu verfertigen als ein Original. Sie soll nur den schönen Wissenschaften gewidmet seyn, das Fräulein will aber weder Zeitrechnung noch Kritik darunter rechnen, sondern nur solche Künste, die in den Augen der Frauenzimmer schön sind, das sind die Wissenschaften neue Moden zu erdenken, neue Brühen zu verfertigen, neue Lustbarkeiten für das Frauenzimmer zu erfinden, folglich werden in dieser Akademie Putzmacherinnen, Rätherinnen, Köchinnen und alles was sich auf innen endiget, zu Mitgliedern aufgenommen werden, [147] selbst die Zigeunerinnen, die aus der Koffeetasse prophezeihen oder aus der Hand und der Stirn gut Glück prophezeien, nicht ausgeschlossen. Ich habe ihr angerathen diese Gesellschaft eher das Rathhaus der Weiber zu nennen als eine Akademie, damit unsere Gegend, die durchaus dem gelehrten Rom ähnlich werden soll, auch darinne demselben nicht ungleich sey. Das männliche Geschlecht soll zwar nie Sitz und Stimme darinnen haben, doch sollen diejenigen von unserm Geschlecht, welche zum besten der Frauenzimmer arbeiten und in ihrer Kunst etwas besonderes leisten, zu Ehrenmitgliedern aufgenommen werden. Süße Herren, Paruckenmacher, Schneider, Schuster und alle, die durch weisen Rath oder durch die That etwas beitragen den Reiz der Schönen zu erhöhen, werden das Diploma erhalten. Ich habe mich bemühet ihr zu beweisen, daß eine solche Geschaft nicht unter die gelehrten Societäten, wie Sie eine zu errichten im Begriffe sind, gehörte, wir hielten eine scharfe Disputation [148] miteinander. Sie verlangte einen Beweis, warum diese ehrlichen Leute, für welche sie eine Akademie anlegen will, nicht eben sowohl unter die Gelehrten zu rechnen wären, als der Bader Nikolaus und der Schulmeister zu Kargfeld. Ich verschwendete alle möglichen Distinctionen, um ihr diesen Irrthum zu benehmen und ihr den Unterschied unter einem Koch, Peruckenmacher und einem Bader oder Schulmeister recht deutlich zu machen; allein ich konnte nichts ausrichten. Ich wollte lieber dreimal Doktor werden, als wieder mit einem Frauenzimmer disputiren. Ihnen ist es vermuthlich vorbehalten, das Fräulein zu überzeugen, ich habe deswegen den Streit unentschieden gelassen, um in ihrem Amte keinen Eingriff zu thun. Ich sehe dieser Entscheidung mit eben so vielen Vergnügen als der Eröffnung Ihrer Akademie entgegen. Wenn es Ihnen mit dieser so wohl gelingt als mit den Versen bei Fräulein Julgen, so sind Sie nicht mit Gelde zu [149] bezahlen. Leben Sie wohl, vortreflicher Barde, ich bin

Ihr
werther Freund
v. F. 


XIV. Brief.
Das Fräulein v. W. an das Fräulein v. S.
den 1 Dec.

Gestern Abend ist hier einschrecklicher Diebstahl verübet worden – – –. Das ist nichts neues, werden Sie denken bei Erblickung dieser Zeilen, es sind heute Steckbriefe hier gewesen. Ein Knecht stiehlt einem Alten sein Geld und ein Pferd, um mit seinem Raube desto geschwinder fortzueilen, das wird der Innhalt eines weitläuftigen Briefes meiner Freundin an mich. [150] Ich glaube, das Mädchen wird mir noch Mordgeschichte erzählen. Das wäre mir recht, daß ich mich an solchen nichtswürdigen Dingen blind lesen sollte. Ich wette, das sind Ihre Gedanken gewesen bei Eröffnung meines Briefes. Ich habe großes Mitleiden mit dem armen Manne, der vergangene Nacht einen Theil seines Vermögens verlohren hat; allein Sie haben sich geirret, es war weder meine Absicht Ihnen eine unglückliche Begebenheit, die Sie vermuthlich schon wissen, zu widerholen, noch weise Betrachtungen darüber anzustellen. Diese darf ich nur anbringen, wenn ich wünsche, daß meine Briefe sollen ungelesen bleiben. Es können sich an einen Orte und zu gleicher Zeit Begebenheiten von einerlei Art zutragen, dieses ist wirklich hier geschehen. Es ist gestern ein doppelter Diebstahl hier verübet worden, aber nicht von einer Person, noch in einem Hause. Von dem geringern spricht jedermann, es ist darüber ein Unglück in dem Orte, als wenn eine Million aus einem königlichen [151] Schatz wäre entwendet worden; der größere ist nicht einmal bei den Gerichten angezeiget worden, der Dieb ist noch hier und hat die Verwegenheit mit seinem gestohlnen Gute sich groß zu machen. Denken Sie nur über die Begebenheit! Ich erhielt gestern Ihren Brief nebst den verschiedenen eingeschlossenen Schriften etwas späte. Ich war begierig diese zu lesen und nahm mir vor das beigelegte Liedgen bis zuletzt zu versparen, nicht als einen leckerhaften Bissen, den man verzehret, wenn man schon satt ist, sondern weil ich den Innhalt bereits aus Ihrem Briefe errieth. Ich war noch nicht ganz fertig mit Lesen, da ich gerufen wurde und sorgte dafür alles in Sicherheit zu bringen, ehe ich das Zimmer verließ; aber das Liedgen, das ich in das Clavier geleget hatte, vergaß ich unglücklicher Weise. Ich war nicht gerade in das Speisezimmer gegangen, sondern ich hatte noch eins und das andere im Hause zu besorgen. Diese Verzögerung macht, daß der Major, welcher gegen Abend wieder zu uns [152] kommen war, selbst auf meine Stube gehet, um mich herunter zu führen, und wie er mich nicht findet und mein Clavier offen stehet, so spielt er etwan ein Stückgen und findet das Liedgen. Der Innhalt hat ihn vermuthlich bewogen, es zu sich zu nehmen, ich habe den Verlust auch nicht eher gemerket als heute früh, da ich es lesen wollte. Ich bin in einer entsetzlichen Verlegenheit deswegen und weil ich den Innhalt davon aus Ihrem Schreiben schlüßen kann: so werde ich mich heute nicht für den Major können sehen lassen ohne roth zu werden. Ich wollte lieber einen Dieb, den ich mit Steckbriefen könnte verfolgen lassen, in meinem Zimmer gesehen haben als einen, dem ich nicht einmal seinen Diebstahl Schuld geben, oder ihn der Obrigkeit zur Bestrafung in die Hände liefern darf. Erweisen Sie mir doch, mein liebes Fräulein, einen zwiefachen Gefallen, ich bitte Sie, geben Sie mir wegen meiner Unachtsamkeit einen derben Verweis, und schicken Sie mir aufs eiligste eine andere Abschrift des Liedgens, [153] damit ich daraus sehe, ob ich meine Unruhe zu vermehren oder zu vermindern Ursache habe. Gewissermaßen wäre ich berechtiget mit Ihnen zu schmälen, daß Sie mir durch Ihre Leichtfertigkeit ein solches Unheil zugezogen haben. Wenn ich es thun wollte oder Herzhaftigkeit genug besäße, so hätte ich keine unrechte Erfindung im Kopfe mich ein wenig an Ihnen disfalls zu rächen. Ich dürfte den Major über seinen Raub nur zur Rede setzen; ich könnte ihm sagen, ich wäre im Begriff gewesen, Ihnen seine Abreise zu melden, und weil ich glaubte, daß Sie Sich darüber betrüben würden, so hätte ich Ihnen zum Trost das Liedgen mitschicken wollen, das er in meinem Clavier gefunden. Wahrhaftig, ich muß Ihnen diesen Streich spielen, um mich aus dem Handel zu ziehen. Er dürfte, wenn ich ein gänzliches Stillschweigen beobachtete, auf die Gedanken gerathen, als wenn mir seine Abreise so nahe gieng, daß ich ihm zu Ehren ein Abschiedsliedgen hervorgesuchet hätte. Es ist am besten, daß ich ihm [154] diese ungegründeten Gedanken benehme, und die Sache für einen Scherz ausgebe, den ich mit Ihnen habe treiben wollen.

Sie bedauren, daß Sie durch die Abreise des Majors um das Vergnügen kommen ihn zu einem Mitgliede in der Akademie des Herrn v. N. aufnehmen zu lassen, um sich an den schönen Reden, die Sie ihn haben wollen halten lassen, zu erbauen: Sie können diese Freude noch haben; er wird sich noch einen ganzen Monat hier aufhalten. Allein wenn Sie ihn auch zu einem Mitgliede ernennen ließen, so würden Sie doch keine Reden von ihm hören: er würde vermuthlich ein Ehrenmitglied werden. Soviel ich aus dem Aufsatze des Herrn Lamperts ersehen habe, gehören nur Pachter und Schulmeister unter die ordentlichen Mitglieder der neuen Akademie. Ich habe mich über diesen Entwurf, und über die Art, wie er soll ausgeführet werden, überaus vergnügt. Weil ich mich eben so gar sehr darein vertieft hatte, ging es mir [155] wie es den tiefsinnigen Leuten zu gehen pfleget, da ich dachte, ich hätte alles aufs beste gemacht, hatte ich das vornehmste vergessen und mich nicht darauf besonnen das Pappier mit dem Liedgen in meinen Schrank zu schliessen. Ich will Ihnen Ihre Lust nicht verderben, und es beruhet nur auf Ihnen, wenn Sie die Akademie wollen eröffnen lassen, Sie dürfen mich nebst meinen Eltern nur einladen. Weil der Herr Baron selbsten eine Stelle unter den Mitgliedern einnehmen will, so habe ich nichts darwider einzuwenden, daß Sie meinem Vater die Präsidentenstelle zugedacht haben. Ich errathe Ihren sehr leichtfertigen Bewegungsgrund hierzu, und Sie thun sich vermuthlich auf diesen Einfall viel zu gute; mir als einer Tochter würde es aber sehr übel anstehen, wenn ich mit Ihnen zugleich lachen wollte, diese Ernsthaftigkeit werden Sie mir aber gewiß vergeben. Der Herr F. hat in seinem Schreiben an den Herrn Lampert eine sehr lebhafte Satyre angebracht, über die seltsamen Anschläge desselben. Der [156] Entwurf einer Frauenzimmerakademie, der Ihnen angedichtet wird, macht den seinigen sehr lächerlich, und wenn er dieses nicht einsiehet, so hat er nicht Ursache sich für scharfsinnig zu halten: wenn er es aber merkt, daß er Ihnen nur zum Spiele dienen muß, woran ich nicht zweifele: so wird alles dadurch rückgängig werden, und Sie kommen um alle die schönen Reden, die Sie erwarten.

Jetzt hat mich eben der hiesige Cantor verlassen, der mich, wie Sie wissen, im Clavier unterrichtet, ich bin dadurch an der Vollendung meines Briefes gehindert worden, und nun mag er auch eine Stelle darinne einnehmen. Er entdeckte mir als ein großes Geheimniß und mit einer Freude, der keine gleich ist, daß er mich am längsten wurde unterrichtet haben; er hätte einen anderweitigen Ruf zu einem großen Ehrenamte. Ich glaubte, daß ihm eine andere Gemeinde zum Schulmeister verlangte und wünschte ihm hierzu Glück: er eröffnete mir aber, daß er, so viel [157] er einsehen könnte, Professor auf der neuen Akademie werden sollte, die der Herr v. N. in Kargfeld errichten würde. Ob er gleich in der Schule nur bis in die vierte Classe kommen wäre und das Latein niemals hätte vertragen können: so hätte er doch Lust ein vornehmer und gelehrter Mann zu heißen. Er zweifelte auch nicht, daß er seinem neuen Amte mit Segen vorstehen könnte, weil der Herr Magister Lampert ihn versichert hätte, daß er mit Recht unter die Gelehrten zu zählen sey. Hierbei gab er mir zu verstehen, daß ich mich zeitig nach einem andern Lehrmeister umsehen könnte, indem es wider seinen Respect laufen würde, als ein Professor auf dem Clavier zu informiren wie ein elender Schulmeister. Ueber dieses mangelte ihm hierzu auch die Zeit: er müßte künftige Woche seine gelehrte Probe thun und eine Lobrede auf einen Virtuosen halten, der Händel geheißen hätte. Ich verwunderte mich über sein Glück ungemein, und fragte, was er denn zum Lobe dieses Virtuosen sagen wollte, ob ihm seine Lebensumstände [158] bekannt gewesen wären, oder ob er etwas von seiner Composition gesehen hätte. Er verneinte beides und gestund, daß weil es ihm jetzt noch an guten Büchern fehlte, sein Amt im Anfang ihm sauer ankommen würde, er ersuchte mich deswegen, weil er sähe, daß ich immer in Büchern läse, ihm einige zu lehnen, die er bei seiner Arbeit zu Rathe ziehen könnte. Es war mir unmöglich das Lachen hierbei zu verbergen; doch um dem ehrlichen Manne seine eingebildete Freude nicht zu stöhren, die nach Ihren Grundsätzen, unter allen Gütern, die wir besitzen, das vorzüglichste ist, ließ ich ihn in seinem süßen Irrthume, und machte ihm nur eine Erklärung von seiner neuen Würde, daß er ohne Abbruch derselben hier wohnen, Schulmeister bleiben, auch mich ferner informiren könnte; wegen des verlangten Buches aber verwies ich ihn zum Pfarrer. Allein er beschwerte sich sehr über diesen, daß er ihn wegen seines Glücks beneidete, ihm auch den Gebrauch seiner Bücher zu dieser Absicht abgeschlagen, [159] und scharf verbothen hätte, die neue Ehre anzunehmen, vermuthlich, wie er hinzufügte, weil der Herr Pfarr nicht auch zum Professor wäre tüchtig befunden worden, und ihn also gleichfalls von dieser Würde wollte ausgeschlossen sehen. Weil er mir nun heftig anlag, ihm ein Buch zu lehnen, und ich kein anderes besitze, das ein gelehrtes Ansehen hat als mein französisch deutsches Wörterbuch, worinne auch griechische und hebräische Worte mit vorkommen: so packte ich ihm dieses auf, und er versicherte mich, daß dieses eben das rechte Buch wäre, das er verlangt hätte. Nun bin ich eben so begierig als Sie, die gelehrte Akademie eröffnet zu sehen. Ich übersende Ihnen hier zugleich den Brief des Herrn Lamperts an den hiesigen Cantor, wodurch dieser in die irrige Meinung gerathen ist, daß er sollte Professor werden.

Ich höre, daß wir diesen Nachmittag einen Besuch in Schönthal ablegen werden; das hätte ich sollen zwo Stunden eher wissen, um [160] mir die Mühe zu erspahren einen langen Brief zu schreiben. Doch damit ich nicht etwas vergebliches unternommen habe, bin ich entschlossen, Ihnen nichts mündlich von dem, was ich geschrieben habe, zu entdecken, vielleicht schickt es sich auch nicht, daß wir aus der Gesellschaft gehen, um allein miteinander zu sprechen. Wenn ich Ihnen meinen Brief in eigner Person bringe, so werde ich dadurch Gelegenheit bekommen, Ihnen mündlich zu versichern, daß ich bin

Ihre
aufrichtigste Freundin
J. v. W. 


[161]
XV. Brief.
Lampertus Wilibald, der freien Künste Magister, entbiethet seinen Gruß Herrn Theobald Ecken, wohlverdientem Schul- und Singemeister zu Wilmershaußen.
Ehrengeachteter guter Freund,

Gleichwie die hohen Cedern auf dem Libanon und die weitausgebreiteten Eichen in den Wäldern, nicht allein in das Regnum vegetabile gehören, sondern auch den Isop auf der Mauer und den verachteten Wacholderstrauch für ihre Mitbrüder und Reichsgenossen erkennen müssen: also gehören auch nicht allein große und berühmte Lehrer hoher Schulen und in großen Städten, sondern auch geringe und verachtete Schulmeister auf dem Lande zu der Republick der Gelehrten. Ja ich behaupte mit [162] Bestande der Wahrheit, daß diese Dii minorum gentium mehrern Nutzen stiften, wenn sie der um sie her versammleten Jugend von einem niedrigen Drehstuhle lehren, wie viel neun mal neun ausmachet, als jene stolzen Männer, die von einem erhabenen Catheder das x = y + z herabschreien, und weil diese hottentottische Sprache niemand als sie selbst verstehet, sich eine mehrere Unfehlbarkeit als der römische Pabst zueignen wollen. Weil es nun so gut als bewiesen ist, daß er und seine Herren Collegen sammt und sonders, welche ihrem Amte mit Treue und Eifer vorstehen, zu den Gelehrten gehören: so folgt daraus, daß er und seine Herren Amtsbrüder, an allen Ehren und Lorbeerkränzen, welche die Gelehrten erhalten, ihren billigen Antheil haben. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß bisher der Neid der Gelehrten, welche in hohen Aemtern sitzen, keinen von den geringern gelehrten Mitbürgern zu den Altären der Pallas hat hinzunahen lassen, um für sein Opfer den Cranz [163] zu erhalten. Allein, Dank sey es unsern erleuchteten Zeiten, daß diese Tirannen aus der gelehrten Republick verjaget worden sind, und das gelehrte Bürgerrecht jedem die Vorzüge verspricht, die bisher nur wenige, die sich über andere hinweggedrungen, sich zugeeignet haben. Ich habe es unternommen, eine Reformation in der gelehrten Welt vorzunehmen, und die öffentliche Freiheit wieder herzustellen. Damit ich ihm, werther Freund, viel mit wenigen Worten sage, so soll er es wissen, daß mein vortreflicher Principal entschlossen ist, nach dem Beispiele anderer großen Herren, und ins besondere seines Herrn Gevatters, eines Großbrittannischen Baronets, wenn er weiß, was das für ein Mann ist, auf seinem hochadlichen Rittersitze eine Akademie zu errichten, in welche nicht allein große und vornehme Herren, als Grafen, Edelleute, Räthe, Professors, Doctores und Magistri, sondern auch Pastores, Schulmeister, ja selbst gelehrte Bauern zu Mitgliedern aufgenommen werden. Nach reiflicher Ueberlegung [164] hat man für gut befunden, auch ihm eine Stelle in dieser neuen Akademie anzuweisen. Obgleich keine öffentliche Proben seiner Gelehrsamkeit und tiefen Einsicht in die Wissenschaften der Welt vor Augen liegen: so hat man doch, wegen seines in der gelehrten Welt berühmten Namens, ihm dieser Ehre theilhaftig machen wollen; denn einer von seinen Anherren, der es wenigstens dem Namen nach ist, war vor Zeiten ein gewaltiger Disputator, daß er sich auch unterstanden hat, mit dem Doctor Luthern anzubinden. Damit er auch wisse, was es eigentlich heist, ein Mitglied einer gelehrten Gesellschaft zu seyn: so soll er freundlich wissen, daß er, so bald ihm die Akademie diese Ehre ertheilet hat, gleichsam ein Professor worden ist; denn er hat die Macht, in dieser gelehrten Versammlung wöchentlich einmal zu erscheinen, und wenn die Reihe an ihm ist, solche mit einer gelehrten Abhandlung zu unterhalten, da denn alle Anwesende seine Zuhörer sind, und ihn als den Lehrer betrachten. Es ist dieses keine [165] geringe Ehre, das kann er glauben, dem Herrn Pfarr ist solche nicht ertheilet worden, und wenn er es genau suchen wollte, so müßte ihn dieser, außer auf den Amtwegen, zur rechten Hand gehen lassen, künftige Mittwoche kann er sich in seinem schwarzen Mantel hier einfinden. Es versteht sich von selbst, daß er sich so schön anputzen muß als wenn er zur Hochzeit bitten wollte. Damit ihm auch sogleich, beim Eintritt in die Akademie, eine Ehre widerfähret, so habe ich den Auftrag, ihm hierdurch anzukündigen, daß er auf diesen Tag eine Vorlesung halten soll, und zwar, weil man sich wegen seines gelehrten Namens viel von ihm verspricht, so wird ihm aufgegeben, eine Lobrede auf den selgen Herrn Händel, königlich-großbrittannischen Hof- und Leibmusikus, welcher vor einiger Zeit ad Patres gegangen ist, zu halten, worinne er zugleich erweisen kann, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Er wird sich hoffentlich befleißigen, diese Rede so auszuarbeiten, daß sie allenfalls dem Drucke [166] übergeben werden kann. Eine weitere Nachricht, besonders von den auszutheilenden Prämien bin ich mündlich zu ertheilen so bereit als willig. Lebe er wohl.

*     *     *
Zu der Eröffnung

Der auf dem hochadlichen Rittersitze zu N. hall errichteten Julianenakademie, ladet alle vortrefliche Mitglieder, Beförderer und Liebhaber der Wissenschaften hierdurch geziemend ein; und handelt beiläufig von der Tirannei der Mode, untersucht und beantwortet auch zugleich hierbei die Frage: Ob die Welt allezeit barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen haben

M. L. W. 

Wer da läugnen wollte, daß die Mode nicht einer grausamen Sirene ähnlich [167] sey, welche durch ihre äußerliche Gestalt die Menschen an sich lockt, und gleich einem Ungeheuer, wenn sie sich hinzunahen, um es genau zu betrachten, sie verschlingt: der würde dadurch zu erkennen geben, daß er unter die A b c schützen aller menschlichen Erkenntniß gehöre. Es ist eine bekannte und von allen Vernünftigen erkannte Wahrheit, daß die Mode es eben so zu machen pflegt, wie die Tirannen der griechischen und römischen Republiken. Diese schmeichelten sich erst bei dem Volke durch allerlei glatte Worte und Versprechungen ein, und wenn sie die Herrschaft erhielten, alsdenn war es um die Freiheit gethan. Eben die Bewandniß hat es mit der Mode, wenn sie durch ihr gefälliges Ansehen die Menschen bezaubert hat: so herrscht sie despotisch und gebiethet über den Verstand und Willen. Alles muß sich ihr unterwerfen, und selbst die Beherrscher der Völker dürfen es nicht wagen sie ungestraft zu beleidigen. Ja, da sie über den Verstand zu herrschen sich unterwindet: Was Wunder! daß sich auch die [168] Sitten ihr unterwerfen müssen, dergestalt, daß sie solche nach ihrer Fantasie bald sanfter bald wilder macht, und ihnen mir einer der Zauberkraft der Circe ähnlichen Macht, bald diese bald jene Gestalt zu geben weiß.

Die gelehrte Republick, die durchaus keinen Oberherrn vertragen kann, muß gleichwohl die Gesetze derselben eben so wohl als das schöne Geschlecht verehren, und je weniger die Gelehrten Gesetze erkennen wollen, desto nachdrücklicher verlangt sie die Befolgung derselben. Ein Mädchen das sich wider die Mode auflehnet, wird belacht; ein Gelehrter, der ihre Gesetze verachtet, hat Leib- und Lebensgefahr deswegen zu besorgen. Wenn Doris in dem Nachtzeuge ihrer Aeltermutter erscheinen wollte, so würden sie höchstens nur die Kinder auf der Gasse auszischen; wenn aber ein Gelehrter die aus der Mode gekommenen Lehrsätze der alten Ketzer oder der Platonischen Philosophen wieder wollte aufleben lassen, und in Activität setzen, so würde man ihn steinigen.

[169] Um diese wunderbaren Erscheinungen zu erklären, muß man wissen, daß alles, womit sich die Mode beschäftiget, das äußerliche oder das innerliche des Menschen betrifft. Zu der ersten Gattung gehöret die Kleidertracht, allerlei Gebräuche und Gewohnheiten, die zum Nutzen oder zum Vergnügen und der Verschönerung des Körpers erfunden werden. Zu der zweiten Gattung aber wird alles das gerechnet, was die Seele und ihre Eigenschaften, als Verstand, Willen und Gedächtniß betrifft. Giebt die Mode ein Gesetz von der ersten Gattung, so werden diejenigen, die darwider handeln, gelinder bestraft; wenn sie aber etwas feste setzt, daß den zweiten Punkt betrifft, so straft sie die Uebertreter ihrer Gesetze aufs strengste. Gesetzt sie will, daß der Verstand etwas als wahr oder falsch erkennen soll, daß der Wille etwas verlangen oder verabscheuen, oder das Gedächtniß etwas behalten oder vertilgen soll; so muß dieses aufs genaueste befolgt werden, oder sie übt die strengste Rache an den Ungehorsamen. [170] Wir wollen dieses durch ein paar Beispiele deutlich machen. Da die Mode wollte, daß man sich die Erde so rund als einen Teller vorstellen sollte, wurde ein ehrlicher Bischoff, der sie so rund als eine Kugel machte, und aus dieser Ursache Gegenfüßer statuirte, verbrannt. Da es einmal Hexen geben sollte, würde der, welcher sie geläugnet hätte, als ein Bösewicht ihnen auf den Scheiterhaufen haben Gesellschaft leisten müssen. Heut zu Tage, da sie aufgehöret hat, die alten Mütter zu verfolgen, darf Niemand Hexen glauben, oder diese und jene Unholdin der Obrigkeit anzeigen, wenn er gleich versichert ist, daß sie bös Wetter macht, und Menschen und Vieh bezaubert, widrigenfalls stehet er in Gefahr, als ein unverschämter Diffamator, in Ketten und Banden geschlossen, oder wohl gar als ein Injuriant an den Pranger gestellet zu werden. Ein Professor würde vom Dienste gesetzt werden, wenn er untersuchen wollte, wie viel Engel auf der Spitze einer Nähnadel tanzen könnten, ehemals da [171] die Mode eine solche Untersuchung billigte, würde ein Gelehrter dadurch eine Professur nebst dem Titul eines Doctoris seraphici erhalten haben. Die neuesten Zeitungen melden, daß ein Student ist entleibet worden, weil er keine Harmoniam praestabilitam hat glauben wollen; der Baron von Wolf mußte Landflüchtig werden, weil er sie lehrte.

Wenn die Mode im äußerlichen etwas befiehlt, so verfährt sie mit den Uebertretern ihrer Gesetze nicht so gar strenge, ob es gleich nicht an Beispielen fehlet, da sie auch das rauhe herausgekehret hat; doch gemeiniglich werden sie dadurch gezüchtiget, daß man sie verlacht, oder auszischt. An und für sich selbst betrachtet, liegt zwar des heiligen römischen Reichs Wohlfahrt nicht daran, ob man zwei oder drei Zipfel in die Perucken knüpft, ob man den Hut auf dem Kopfe oder unter dem Arm trägt; ob man den Bart wachsen oder abnehmen läßt: allein die Mode will [172] ihr Recht haben, und man muß es so machen, wie sie es befiehlt, wenn man nicht in Schimpf und Schande bestehen will.

Jedermann wird leicht begreifen, daß wenn die Mode, in der Art zu denken, etwas verändert, wenn sie neue Lehrsätze oder neue Rechte auf die Bahn bringt, solche Neuerungen in die Sitten der Menschen großen Einfluß haben. Ein neuer Grundsatz, oder ein einziges Gesetz kann die Menschen wild und grausam oder auch sanft und wohlgesittet machen: die Gelehrten sind aber nicht einerlei Meinung, ob eine kleine Veränderung der Mode im äußerlichen, auch einen Einfluß auf die Sitten habe. Was liegt daran, ob das schöne Geschlecht, Sonne, Mond und Sterne im Gesichte trägt, ob sich die Schönen rothe, blaue oder grüne Backen machen, ob die großen Perucken, oder die krausen Haare unsrer süßen Herren besser gefallen; ob wir allein das Recht haben, zu Pferde zu sitzen, oder ob die Schönen auch reiten dürfen: hierauf [173] aber wird mit Recht geantwortet, daß diese Dinge keine solche Kleinigkeiten sind, als man gemeiniglich glaubt, daß man allerdings hieraus das Genie der Menschen, und folglich auch ihre Sitten, beurtheilen könne; ja daß die Kleidertracht, die Sitten vielleicht eher als Lehrsätze zu reformiren, und sie sanfter oder wilder zu machen, vermögend sey.

Allein wenn auch alle Gelehrten einerlei Meinung wären, daß von dem äußerlichen in der Mode ein gewisser Schluß könnte gemacht werden: so würde aus Mangel der hierzu erforderlichen Regeln, die noch nicht gnugsam entwickelt sind, doch ein großer Streit entstehen, ob aus dieser oder jener Gewohnheit eines Volkes, für die Sitten etwas gutes oder nachtheiliges könne geschlossen werden. Eben deswegen sind die gelehrten Untersuchungen erfunden worden, die entscheiden sollen, wo bei zweifelhaften und schweren Materien, sich die meisten Gründe der Wahrscheinlichkeit hinlenken. Denn ob es mit Untersuchung [174] der gelehrten Streitfragen eben die Bewandniß hat, als mit den unzähligen Disputationen, die jährlich auf Akademien gehalten werden, die mehr ein gelehrtes Spiegelfechten, als ein ängstlicher Kampf für die Ehre der Wahrheit genennet zu werden verdienen: so sind sie doch nicht ohne allen Nutzen; denn einmal werden diejenigen, welche solche Untersuchungen anstellen, in ihrer Meinung, sie mag nun für oder wider die Wahrheit seyn, treflich bestärket, daß sie sich dasjenige, was sie auf dem gelehrten Kampfplatz oder in Schriften vertheidiget haben, sich hernach nicht abstreiten lassen, und wenn sie den Kopf darüber verlieren sollten. Zum zweiten zeigen solche Schriften von dem Fleiße und der Scharfsinnigkeit ihrer Verfasser, und verschaffen ihnen oftmals kein geringes Ansehen.

Solcher Streitfragen giebt es unter den Gelehrten mehr als Sterne in der Milchstraße befindlich sind, und die im vorhergehenden Satz angeführte Bewegungsgründe haben [175] uns gleichfalls angetrieben, nur die wichtigsten zu untersuchen. Es ist bekannt, und zum Theil schon oben angeführet, daß die Mode nicht nur mit den Lehrsätzen der Gelehrten, sondern auch mit dem äußerlichen Ansehen derselben, oft wunderlich gespielet hat, besonders hat sie sich belustiget, das Haupt dieser ehrwürdigen Leute, worinne sie den köstlichen Schatz der Gelehrsamkeit bewahren, bald auf diese bald auf jene Art zu schmücken, daß es auch einem Protheus schwer fallen sollte, diese verschiedenen Gestalten alle nachzumachen. Jedes Jahrhundert hat die Gelehrten in einer andern, ja wohl gar in verschiedenen Gestalten gesehen. Einmal sind sie in langen Bärten und herabhangenden, ungekämmten Haaren erschienen, ein ander mal sind beide abgestutzt worden, wieder zu einer andern Zeit hat man Scheitel und Kinn beschoren. Bald haben sie durch Zipfelperucken und Schnurrbärte sich ein Ansehen gegeben; bald hat sie ein kleines Zwickbärtgen geschmückt; ein andermal haben sie den [176] Bart abnehmen lassen und das Haar gekräuselt, und hernach das Haupt sich bescheeren lassen und den Bart in Locken gelegt. Es fehlet so viel, daß aus diesen Veränderungen nicht sollte ein sicherer Schluß auf die Beschaffenheit der Gelehrsamkeit und der Sitten gemacht werden können, daß solche vielmehr hierzu die vollkommenste Anleitung geben.

Wir finden verschiedene Epochen, seitdem die Welt bevölkert ist, in welchen die Menschen gesitteter als zu andern Zeiten gewesen sind, und wir finden auch im Gegentheil verschiedene schlimme Zeitläufte, in welchen die Welt in ihre vorige Barberei zurückgefallen ist. Viele Gelehrte sind der Meinung, die guten Sitten und die Gelehrsamkeit hätten allezeit ihr Haupt empor gehoben gehabt, wenn das äußerliche Ansehen der Menschen sanfter und zärtlicher gewesen; sie wären aber aus der menschlichen Gesellschaft verdrungen gewesen, wenn man sich ein wildes und furchtbares Ansehen gegeben. Da sich [177] noch die Menschen in Thierhäute kleideten und in Wäldern und Hölen wohnten, waren die Gelehrten nicht gewohnt in barbara und celarent zu schlüßen. Man wußte zu der Zeit noch nichts von der Kunst die Haare zu kräuseln oder den Bart zu scheeren. Mit der Zärtlichkeit der Sitten entstund auch eine gewisse Zärtlichkeit in der Tracht. Man war nicht mit dem Ansehen zufrieden, das die Natur den Menschen ertheilet, man nahm die Kunst allenthalben zu Hülfe. Die natürliche Erkenntniß war nicht mehr zureichend, sie mußte durch die Kunst erweitert werden, und die natürlichen Sitten, worinne Einfalt und Aufrichtigkeit herrschte, bekamen durch den Anstrich der Kunst eine freiere aber gefährlichere Gestalt. Wenn die Menschen anfangen zu künsteln so künsteln sie in allem, und dieses erstreckt sich folglich auch auf die Gestalt.

Hieraus folgt, daß man von der äußerlichen Seite des Menschen richtig auf das innerliche [178] schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung [179] erlitten als bis diese letztere gleichfalls eine Veränderung erlitten haben. Viele neuere Gelehrte sind der Meinung, daß ein geschornes Kinn allezeit den Wissenschaften und Sitten vortheilhaft gewesen, daß hingegen der Bart jederzeit ein Zeugniß von der Barbarei der Menschen abgeleget habe, wie sie denn das Wort Barbarus von Barba herzuleiten kein Bedenken getragen haben. Da nun die Gelehrten diejenigen sind, welche in den Zustand der Sitten und der Gelehrsamkeit den größten Einfluß haben, und man von den Veränderungen in der Mode, denen sie selbst unterworfen gewesen, auf jene am sichersten schlüßen kann: so hat man die Streitfrage aufgeworfen: ob die Welt barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen, und man hat dieses gemeiniglich bejahet. Ich will jetzo mit Erlaubniß dieser Herren das Gegentheil darthun, und solches verneinen.

Um der guten Ordnung keinen Eintrag zu thun, wollen wir erstlich einen kurzen Auszug [180] von den merkwürdigsten Veränderungen, der Bärte der Gelehrten von Erschaffung der Welt bis auf unsere Zeiten beibringen, und mit solchen den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit vergleichen. Wir finden so wenig Ursache uns dieser Unternehmung zu schämen, daß wir keinen schicklichern Gegenstand zu dieser Einladungsschrift haben antreffen können. Sollte inzwischen der Zoilus und Momus ihr ungezäumtes Maul darüber rümpfen: so wollen wir ihnen ins Ohr sagen, daß ein Gelehrter sogar einen Tractat von den Schuhen der Alten geschrieben hat, welche doch vermuthlich dem Barte den Rang nicht werden streitig machen. Ja was noch mehr! Haben wir nicht einen gelehrten Vorgänger aufzuweisen, der ein eignes Buch von dem Barte an das Licht gestellet hat?

Wir wollen die Untersuchung, ob Adam im Paradiese einen Bart getragen hat, zu einer eignen Untersuchung verspahren und [181] nur anmerken, daß die alten Väter alle in Bärten abgemahlet werden. Es war in den alten Zeiten ein großer Schimpf, wenn ein Mann seines Bartes beraubet wurde oder wenn er gar keinen hatte, und kommt mir daher sehr glaublich vor, daß die, welchen die Natur diesen Schmuck versaget, sich künstliche Bärte ansetzen ließen, und sich damit schmückten, wie wir heut zu Tage mit den Perucken zu thun pflegen. Man hielt dieses Vorrecht der Männer für dem schönen Geschlecht in solchen Ehren, daß man den Bart mit Salben bestrich, oder wenn er im Alter grau wurde, solchen färbte. Die alten Philosophen suchten sich dadurch in besonderes Ansehen zu setzen. Wer den größten Bart unter ihnen besaß und den schlechtesten Mantel trug, bekam die meisten Zuhörer, eben so wie zu unsern Zeiten die Hörsäle am meisten angefüllet sind, wo die größte Perucke auf dem Catheder stolziret. Die alten Römer ließen den Bart stehen und eben so lange stund auch ihre Freiheit und die guten [182] Sitten, da jene abnahmen, fingen auch diese an in Abnahme zu kommen, bis sie endlich eben so wie der Bart plötzlich verschwanden. Der Kaiser Hadrian stellte zwar diesen Schmuck der römischen Bürger aber nicht ihre Freiheit wieder her. Die Kirchenväter trugen Bärte und dieser Schmuck wurde hernach durch viele Jahrhunderte beibehalten, bis endlich die Mode nach ihrer Caprice sie bald uns Exilium schickte, bald wieder zurück berief: sie blieben aber doch im Posseß ihrer Rechte bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, da man anfing mit grausamer Tirannei bald hier bald da etwas davon abzuzwacken, bis sie zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts ganz aus der gelehrten Republick sind verwiesen worden. Die Schweizer, die das Lob haben, daß sie nicht leicht eine neue Mode aufkommen, aber auch keine alte gern in Verfall gerathen lassen, hielten ehemals ihre Bärte in solchen Ehren wie ihre Freiheit, daß auch selbst das schöne Geschlecht ganz davon eingenommen war. Lesenswürdig [183] ist es, was ich bei einem glaubwürdigen Autor hiervon gefunden. Ein Französischer Abgesandter, der an einem Schweizer einen außerordentlich langen Bart bemerkte, wollte ihm solchen, als eine Rarität, abkaufen, dieser aber hielt ihn für ein Gliedmaß seines Leibes, und folglich war er ihm unschätzbar. Doch nach einer langen Disputation, mit dem Abgesandten, worinne dieser mit einem Argument von hundert Louis d’ors bewieß, daß der Bart kein Glied des Leibes wäre, ließ der Schweizer sich überwinden, und verhandelte seinen Bart, welcher noch, wie glaubwürdige Personen berichten, in der königlichen Kunstkammer zu Paris zu sehen ist. Allein da der arme Schweizer vergnügt, über den guten Handel, nach Hause kam, so that seine Frau das mit seinem Scheitel, was der Abgesandte mit seinem Kinn hatte vornehmen lassen, sie fiel ihm in die Haare und in kurzer Zeit war sein Kopf so kahl als sein Gesicht, ja sie ließ sich von Tisch und Bette so lang von ihm scheiden, bis ihm Haar und Bart wieder gewachsen war.

[184] Aus dem angeführten erhellet, daß die Bärte mehrentheils im Gebrauch gewesen, und daß man auch ihnen oft große Hochachtung erwiesen hat. Lasset uns nun sehen wie die Sitten und die Gelehrsamkeit beschaffen gewesen, wenn die Welt bärtig gewesen. In Griechenland blüheten ehemals die Wissenschaften und die Gelehrten trugen Bärte, wenigstens gilt dieses von den Philosophen, die damals den größten Theil von der gelehrten Welt ausmachten. Die Sitten der Griechen waren so fein, ihre Gesetze so vollkommen, daß Griechenland eine hohe Schule der Ausländer wurde, und man allenthalben die Gesetze dieses Landes einführte. Ein Beweis, daß gute Sitten und Bärte sich wohl mit einander vertragen können.

Rom war lang ein gesitteter Staat und die Wissenschaften hatten sich längst um das Capitol gelagert, ehe man anfing den Männern ihren Schmuck zu rauben und die Bärte zu verheeren. Zwar könnte man den Einwurf [185] machen, daß eben zu der Zeit, da Rom anfing auf den Gipfel seiner Größe zu steigen, die Bärte abgeschafft wurden, und daß besonders diese Mode in das güldne Zeitalter der gelehrten Sprache fällt, ja daß eben dieses auch von unsrer Zeit eintrifft. Jetzt da die Sitten und die Gelehrsamkeit wiederum empor gestiegen, herrscht das tirannische Scheermesser abermal über unser Kinn; allein nichts ist leichter als diesen Einwurf zu widerlegen. Erstlich bemerken wir überhaupt, daß er gar nicht wider unsern Hauptsatz gerichtet ist: denn da wir weiter nichts beweisen wollen, als daß der Satz falsch sey, wenn vorgegeben wird, daß die Welt allezeit barbarisch gewesen wäre, wenn die Gelehrten Bärte getragen hätten, so können wir es zugeben, daß es Zeiten gegeben hat, da die Welt gelehrt und gesittet gewesen, wenn die Bärte in der gelehrten Republick nicht sind gedultet worden. Aber wir wollen es nur gestehen, daß wir wirklich die Meinung hegen, daß bärtige Gelehrte für die Sitten und Gelehrsamkeit [186] jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe [187] vertheidigte, Cäsar solche schöne Thaten beging und Flaccus die verbuhltesten Liedergen von seiner Leier hören ließ.

Schade ist es, daß wir diese schöne Materie jetzt nicht weiter verfolgen können. Unterdessen bleibt unser patriotischer Wunsch dahin gerichtet, daß die Gelehrten einmal das Joch der Mode, die ihnen ihren ehrwürdigsten Schmuck geraubet, hat abwerfen, die Bärte wieder aufleben lassen, und dadurch einen neuen Beweis geben, daß die Welt nicht barbarisch ist, wenn die Gelehrten Bärte tragen.

Ich schreite nun mit Vergnügen zum Zweck meiner Abhandlung, welcher dieser ist, die Eröffnung der gelehrten Gesellschaft, welche Seine Gnaden, Herr Ehrhard Rudolph v. N., Erb-Lehn und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein, unter dem Namen der Julianen Akademie auf erstbemeldetem seinem Rittersitze aufzurichten, und mit seiner hohen Protection zu beehren entschlossen ist, anzukündigen. [188] Eine so patriotische Gesinnung als diese, ist zwar über alles Lob erhoben, und ich würde eine Thorheit begehen, wenn ich mich bemühen wollte, diesen edelmüthigen Entschluß, der sein eigner Lobspruch ist, nach den Regeln der Redekunst herauszustreichen. Vielmehr will ich den aufrichtigsten Wunsch thun, daß diese gelehrte Gesellschaft, welche seit Erschaffung der Welt die erste, die in hiesiger Gegend durch eine genauere Verbindung mit der Erweiterung der menschlichen Erkenntniß sich beschäftiget, gleiche Schicksale mit der römischen Republick haben möge. In ihrer Entstehung sind beide einander ähnlich, Romulus zog einen Haufen Leute an sich, die nirgend eine Heimath hatten und in den holen Wegen die Reisenden um ein Allmosen bathen, daß diese ihnen nicht verweigern durften. Es waren Leute, die wegen ihrer Profeßion von den alten Innwohnern des Lateinerlandes verachtet wurden, mit welchen Romulus seinen Staat bevölkerte. Mein Patron hat es fast auf gleiche Weise [189] gemacht: die gelehrte Gesellschaft bestehet aus Gliedern, die, einige wenige ausgenommen, das gelehrte Bürgerrecht nicht erhalten haben, und also bisher in der gelehrten Republick auch keine Heimath hatten. Er richtet, als ein zweiter Romulus, eine neue Colonie von Gelehrten an, die jetzo noch von den alten Gelehrten verachtet werden. Doch wie Rom immer größer wurde und endlich die Herrschaft über die Welt erhielt: so wird, wenn mich meine Ahndung nicht täuschet, auch diese kleine Republick der Gelehrten ihr Ansehen so ausbreiten, daß sie sich nach und nach auf den höchsten Gipfel ihrer Hoheit empor schwingen wird.

Morgen ist der merkwürdige Tag, an welchem obenbemeldter Rittersitz des Herrn v. N. zu einem Heiligthume der Wissenschaften soll eingeweihet werden, und bei dieser Gelegenheit werden sich zween geschickte und beredte Männer hören lassen, nämlich: Tit. plen. Herr Balthasar Eccius, wohlmeritirter [190] Cantor zu Wilmershaußen, wird in einer Lobrede auf den verstorbenen Herrn Händel erweisen, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Wenn dieser den Rednerstuhl verlassen hat, so wird Herr Valentin Striegel, wohlverdienter Schulmeister zu Dürrenstein etwas von den Alterthümern dieses Orts auf die Bahn bringen. Den Beschluß dieser Feierlichkeit wird M. L. Wilibald dadurch machen, daß er die Statuten der neuen Akademie und die Mitglieder derselben bekannt machen wird.

Alle vornehme Gönner, Mäcenaten und Musenfreunde, denen diese Einladungsschrift zu Gesichte kommt, werden demnach geziemend eingeladen, diese Feierlichkeit durch ihre zahlreiche Gegenwart zu vermehren, und zwar diejenigen, die ein Exemplar in Goldpappier eingebunden erhalten, haben die Freiheit, zu Pferde oder vermittelst eines Fuhrwerks hier zu erscheinen; die aber nur ein schlechtes bekommen, können sich dieses zur [191] Nachricht dienen lassen, daß man sie, um allem unnöthigen Aufwande vorzubeugen, zu Fuße erwartet. Alle aber werden gebethen sich aufs späteste um zwei Uhr Nachmittags allhier einzufinden. Oeffentlich bekannt gemacht, den dritten December.


XVI. Brief.
Fräulein Amalia v. S. an den Herrn v. S. ihren Bruder.
den 6 Dec.

Ich bin eine Zeitlang mit meiner Correspondenz ziemlich faul gewesen, und will mich bei einem Bruder, wegen meiner Nachläßigkeit, nicht rechtfertigen, den ich geneigter finde sie zu verzeihen, wenn ich meinen Fehler gestehe, als wenn ich mich durch eine Schutzschrift zu rechtfertigen suchte. Wir sind einander um hundert Meilen näher, und meine Briefe kommen sparsamer, da du [192] weiter entfernt warest, schrieb ich fleißiger. Ich weiß selbst nicht was ich für Abhaltungen gehabt habe, dir so lange einen Brief schuldig zu bleiben, wenn dieses nicht eine gewesen ist, daß ich nach meiner Gewohnheit sehr viel auf einmal habe schreiben wollen, und nie gnug Materie gehabt habe. Nicht als wenn es an Auftritten gefehlet hätte, die würdig gewesen deine Aufmerksamkeit zu verdienen, sondern, weil ich eine ziemlich vollständige Sammlung von Briefen in Händen habe, die alles, was hier vorgegangen ist, so ausführlich enthalten, daß mir kein Stoff zu einer besondern Erzählung übrig geblieben ist, und ich hatte doch auch Lust etwas zu erzahlen. Jetzt habe ich einmal Langeweile, sonst würdest du noch keinen Brief von mir erhalten. Ich will, um mir die Zeit zu kürzen, meine Erzählung da anfangen, wo das beigeschlossene Paquet aufhöret. Es sind darinnen funfzehn Briefe nebst andern Aufsätzen, die in unsern Roman gehören, enthalten, du wirst hieraus leicht den Schluß machen können, [193] daß du diese eher lesen mußt, als meinen Brief, sonst würdest du sehr herumrathen müssen, wenn dir nicht ein großer Theil desselben sollte unverständlich bleiben. Aus dieser Absicht will ich einen neuen Abschnitt machen, der alles in sich enthält, was zur Vollständigkeit der in dem Paquet enthaltenen Nachrichten gehöret.

Am vierten dieses hatte der Baron die Freude, das lächerlichste Stück in der Comödie unsers Oncles aufgeführet zu sehen. Der Entwurf der Akademie hat ihn seit acht Tagen auf eine so lustige Art beschäftiget, daß er so munter aussiehet als an seiner Hochzeit. Wir fuhren in bester Galla nach Kargfeld, um einem großen Schmause, wodurch unser Oncle die Einweihung seiner Akademie feierlicher machen wollte, beizuwohnen. Von der gewöhnlichen Gesellschaft fehlte Niemand. Aus einem Hasse, den der Herr v. N. gegen den Herrn v. Ln. aus bekannten Ursachen heget, war dieser nicht gebethen [194] worden: er erschien aber doch zu Pferde, ob er gleich kein Programma in Goldpappier eingebunden erhalten hatte. Unser Oncle bewirthete seine Gäste dismal sehr gut. Ich bedauerte nur Fräulein Kunigunden, die wegen vieler Anstalten, die sie machen mußte, wie sie sagte, in fünf Tagen kein Auge zugethan hatte. Das Fräulein v. W. fand an diesem Tage ihren Liebhaber wie sie ihn wünschte. Es war als Wirth und als Stifter einer Akademie so sehr beschäftiget, daß ihm keine Zeit übrig blieb, an etwas, das dem Fräulein hätte verdrüßlich seyn können, zu gedenken. Vielleicht war er auch um deswillen ein wenig artiger, weil der Major gegenwärtig war, den er für seinen Rival hält und mit welchem er in neuen Zwist zu gerathen, aufs äußerste zu vermeiden suchet. Die ganze Gesellschaft war dismal artig, selbst die Frau v. W., der ich es nicht zugetrauet hatte, daß sie ihren Herrn zum Präsidenten einer gelehrten Gesellschaft würde machen lassen. Doch sie hatte sich vorgenommen, uns dismal [195] mit ihrem Gemahl auf Discretion verfahren zu lassen, ordentlich pflegt sie dieses Vorrecht nur für sich zu behalten und aus ihm zu machen was sie will. Die den Spaß einsahen, waren bemühet ihn nicht zu verderben, und die alles im Ernste aufnahmen, fingen an große Gedanken von unserm Oncle zu bekommen. Der Herr v.H. konnte sich nicht genug wundern, daß sein Freund noch einen Geschmack an Wissenschaften fand, die er vor Zeiten aufs äußerste gehasset hatte. Er hörte die Reden mit einer Aufmerksamkeit an, die ich nie, auch selbst in der Kirche nicht an ihm bemerket habe. Die Alterthümer von Dürrenstein erhielten bei ihm so vielen Beifall, daß er dadurch aufgemuntert wurde, alle Seltenheiten seines Rittersitzes der Länge nach zu erzählen. Nur das einzige war ihm räthselhaft, warum der Herr v. W. zum Präsidenten einer gelehrten Gesellschaft wäre erwählet worden, der doch seinen Namen nicht zu schreiben wüßte, da ihn aber unser Oncle sagte, daß es mit einem [196] Präsidenten einer gelehrten Akademie eben die Bewandniß hätte, wie mit einem General im Kriege, dieser könnte Vestungen einnehmen, ohne daß er wüßte, was ein Horn- oder Cronenwerk wäre, ob die Batterien oder die Laufgraben zuerst müssen angeleget werden, dieses gehörte für die Ingenieurs, so wie die Gelehrsamkeit für hie Mitglieder einer Akademie; so beruhigte er sich, ohne disfalls weiter zu streiten. Nach der Tafel wurde in dem Saale, auf Anordnung des Magister Lamperts, ein kleines Gerüste erbauet, das der akademische Lehrstuhl hieß. Der Herr v. W. müßte das erste Bret, das dazu sollte gebraucht werden, entzwei sägen, und unser Oncle that den ersten Hieb mit dem Beile in ein Stück Holz woraus die Stützen dieses kleinen Gebäudes verfertiget wurden. Hierauf brachten ein paar Tischer das Werk in kurzer Zeit zu Stande. Sobald der Lehrstuhl fertig war, sollte der Saal von den Spähnen wieder gesäubert werden; doch Herr Lampert untersagte dieses, und wollte [197] durchaus haben, daß jedes von der Gesellschaft sich einen Spahn zum Andenken der feierlichen Eröffnung der Julianenakademie, auflesen und behalten sollte. Weil aber niemand nach dieser Seltenheit ein Verlangen bezeigte: so wurden sie ihm insgesammt verehret, um sie als eine Rarität aufzuheben, oder sie dem Apoll als ein Opfer anzuzünden, damit dieser den Lehrstuhl der Akademie in Schutz nähme, auf daß alle, die sich davon hören ließen, den Beifall der Zuhörer sich versprechen könnten. Eine solche Zauberei wäre sehr nöthig, denn alle Mitglieder werden natürlicher Weise ihre Zuhörer niemals rühren. Nach dieser Ceremonie wurde eine andere vollbracht. Ein Cranz von Buchsbaum, in Ermangelung frischer Eichenblätter, welche im Winter nicht wohl zu haben sind, wurde in das Zimmer gebracht, an welchen Fräulein Julgen und ich einige Bänder knüpfen sollten, und welcher hernach über den Lehrstuhl, gerade über dem Haupte der Redner, sollte aufgehangen werden. Allein ob [198] ich gleich kein Mitglied dieser berühmten Akademie bin, so protestirte ich doch darwider aus allen Kräften. Der Kranz von Buchsbaum verbreitete eine Art von Todtengeruch in dem Saale, daß mir darüber eine Ohnmacht anwandelte. Dieses bewog den Baron, meinen Oncle zu bereden, diesen garstigen Kranz fortzuschaffen. Er ließ sich auch mit dem Magister in einen Streit hierüber ein, und behauptete, daß der Buchsbaum heutiges Tages eben das sey, was die Myrthen oder Cypressen bei den Alten gewesen, und daß man diesen also nur bei traurigen Begebenheiten brauchen dürfte. Im Gegentheil verträten die Tannen oder Fichten die Stelle des Epheus der Alten, und könnten bei frohen Gelegenheiten gebraucht werden. Die Weinschenken pflegten Kränze von Tannenzweigen auszuhängen, da nun das Zeichen des Weins jederzeit das Zeichen der Fröhlichkeit gewesen wäre, auch der Wein, oder in Ermangelung desselben, die bloße Vorstellung davon den Rednern und Dichtern große Dienste leistete: [199] so schlug er vor, man sollte einen Kranz von Tannenzweigen über den Rednerstuhl aufhängen. Dieser Vorschlag wurde angenommen, und in kurzer Zeit sahe man ein Weinzeichen, das Fräulein Julgen und ich mit verschiedenen Bändern ausgeputzt hatten, an einer seidenen Schnur über dem Lehrstuhle prangen. Herr Lampert, der die Ehre haben wollte den Cranz an die Schnure zu bevestigen, hatte aber dabei das Unglück, da er wieder vom Stuhle steigen wollte, daß er aus dem Gleichgewichte kam, und einen so gräßlichen Fall in die Stube that, daß ich glaube, man hat die Erschütterung, die dadurch verursacht wurde, auf eine Meile weit verspühret. Man machte, wie bei merkwürdigen Begebenheiten alles ominös scheinet, über diesen Zufall verschiedene Auslegungen, der Baron meinte, die Akademie würde, wenn sie auf den höchsten Gipfel ihrer Vollkommenheit gestiegen zu seyn glaubte, plötzlich in Verfall gerathen und zu Boden liegen. Andere glaubten, weil am Tage ihrer feierlichen Einweihung, [200] die Grundsäule, worauf das ganze Gebäude ruhete, umgefallen wäre: so würde es damit keinen Bestand haben, sondern sie würde in kurzem so zerstöhret werden, daß keine Rudera mehr von einer Julianenakademie würden vorhanden seyn. Herr Lampert machte, ob er gleich gewaltig hinkte, dennoch von seinem unglücklichen Falle eine vortheilhafte Auslegung für die Akademie, er sagte: weil er eben gefallen wäre, da er sich zum Besten derselben beschäftiget hätte, so ließe sich hiervon keine andere Auslegung machen als diese, daß er, wegen der Akademie, in Zunkunft vieles leiden würde. Er würde fallen unter böse Zungen: diejenigen Gelehrten welche nicht unter die Zahl der Mitglieder wären aufgenommen worden, und sich doch in der hiesigen Gegend befänden, würden ihren Gift über ihn ausschütten und eben so viele Schmähreden auf ihn erdenken als ehemals die Bücherabschreiber auf Doctor Fausten erdacht hätten, weil dieser die Buchdruckerei sollte erfunden haben. Er würde [201] ferner fallen unter den Spott der gelehrten Zeitungsschreiber, wenn sie erfahren würden daß ein Magister eben das unternommen und ausgeführet hätte, was Kaisern und Königen schweer worden wäre: so würden sie, aus Neid, ihn dergestalt zwischen die satirischen Sporen fassen, daß er alle seine philosophische Gelassenheit würde aufbiethen müssen, um bei diesen Anfällen gleichgültig zu seyn. Doch wie er ohne sonderlichen Schaden und ohne jemands Hülfe wieder aufgestanden wäre: so würde seine Ehre und guter Name bei dem Wachsthum der Akademie auch wieder empor steigen und über alle Neider und Misgünstige triumphiren. Uebrigens fügte er hinzu, wollte er nicht viel Geld nehmen und diesen Fall nicht gethan haben: die Alten hätten sich allezeit gewünscht, daß bei einem außerordentlichen Glücke sie auch ein kleines Unglück beträfe, und wenn ihnen dieses nicht von freien Stücken zugestoßen wäre, so hätten sie sich selbst einen Verdruß oder Schaden verursachet, um die Götter dadurch abzuhalten [202] mit einem großen Glück auch ein großes Unglück zu vereinigen. Crösus hätte einen Ring von großen Werth ins Meer geworfen, um den Lauf seines Glücks in etwas zu hemmen. Er hielt sich für glücklicher als Crösus, daß er sein Vorhaben, Kargfeld in einen Sitz der Musen zu verwandeln, nunmehro ausgeführet sähe, und ob er gleich nicht die alten Heiden zum Vorbild seiner Handlungen wählen wollte: so wäre doch gewiß, daß ein großes Glück mit einem großen Unglück, wie aus der Erfahrung bekannt sey, vergesellschaftet wäre, er glaubte daher, daß er durch dieses kleine Unglück eine Versicherung von dem Flor der Julianenakademie, bei welchem er sich glücklicher schätzte, erhalten hätte. Weil der Pastor Wendelin nicht gegenwärtig war, der ihn wegen seiner heidnischen Grundsätze würde verketzert haben: so wurde seine Meinung gebilliget, und der Major wünschte, daß alles Unglück, das die gelehrte Gesellschaft etwan bedrohen könnte, den Magister treffen möchte, damit ihm [203] die Ehre, ein Märtirer derselben zu heißen, niemand streitig machen könnte. Nachdem nun der Speisesaal ein gelehrtes Ansehen erhalten hatte, so verfügte sich das Frauenzimmer, und alle die nicht zu der gelehrten Versammlung gehörten, in das Nebenzimmer, doch sollte die Thür offen bleiben, damit wir sehen könnten was vorging. Es wurden zu beiden Seiten des Rednerstuhls Stühle gesetzt, zur rechten Hand für die Ehrenmitglieder, welches die vornehme Seite hies, und zur linken für die ordentlichen, welches der Magister die gelehrte nennete. Alle in dem Verzeichnisse benannte innländische[WS 1] Mitglieder waren gegenwärtig, und weil die gelehrte Bank meistens aus Schulmeistern bestehet, so führten diese erstlich eine trefliche Motette auf, wobei die beiden Redner ihre Stimme singend hören ließen. Hierauf verließ der Cantor Eck seinen Baß mit einem tiefen Reverenze und betrat den Rednerstuhl. Der Herr v. W., als Präsident der Akademie, war schon unter der Musik eingeschlafen, und [204] schnarchte so stark, daß man nichts verstehen konnte, besonders da der Redner über seine gelehrten Zuhören so bestürzt schien, daß er, ungeachtet seiner Brille, nicht eine Zeile ohne Stammlen lesen konnte. Diese Rede erhielt unterdessen den Beifall des Herrn Lamperts und folglich der ganzen Akademie. Der junge Wendelin hat mir solche, nebst zween Briefen, die sich darauf beziehen, und wegen ihres Innhalts merkwürdig sind, verschafft, diese Stücke sind, nebst der Abhandlung von den Alterthümern in Dürrenstein, in dem Packt in einem besondern Bogen eingeschlossen welcher den Titul führet: Etwas zur Zugabe nach Lesung des Briefes zu eröffnen. Der Schulmeister zu Dürrenstein hat sich lange nicht wollen bereden lassen nach dem Cantor von Schönthal aufzutreten, weil er einige Jahre früher als jener ins Amt kommen ist, jener aber hat den Vortritt verlangt, weil er sich Cantor nennen läßt. Diese Leute, welche viele Jahre in der vertrautesten Freundschaft gelebet haben, sind über diesen [205] Rangstreit in solche Uneinigkeit gerathen, daß sie einander aufs äußerste hassen. Herr Lampert soll alle Mühe gehabt haben sie zu vergleichen, welches endlich durch das Loos geschehen ist, wodurch der Cantor den Vorgang erhalten hat. Nachdem die erste Session der Akademie geendiget war, verwandelte sich die Scene, und die gelehrten Akademisten wurden Musikanten, wir hielten einen kleinen Ball. Doch die Uneinigkeit unsrer Bande verursachte manchen Uebellaut in der Musik. Der Schulmeister von Dürenstein wollte sich durchaus nicht bereden lassen, ein musikalisches Instrument anzugreifen, wenn der Cantor von Schönthal die erste Violine strich, aber der Befehl unsers Oncles der mit verschiedenen Drohungen vergesellschaftet war, brachte ihn bald zu einer andern Entschließung. Der Oncle eröffnete den Ball mit dem Fräulein v. W. und beobachtete die Anständigkeit gegen sie, die er den ganzen Tag hatte blicken lassen. Doch so viel Macht hatte er nicht, daß er alle fürchterlichen [206] Blicke gegen seinen Rival hätte zurückhalten können, er sahe ihn oftmals so finster an, daß ich dachte, er würde neue Händel bekommen, doch hielt er seine Zunge im Zaum und gab ihm, mit der verdrüßlichsten Mine, die besten Worte von der Welt. Ich will dismal meinen Brief nicht weiter ausdehnen, er ist lang genug dich um die Zeit zu bringen, die du vermuthlich ohne denselben vergnügter würdest zugebracht haben. Wenn ich nicht schon sehr müde wäre, so würde ich dir noch das Verlangen schildern, welches wir haben, dich hier zu sehen. Es stehet bei dir, unsere Wünsche zu erfüllen, und insonderheit die meinigen, und dadurch werde ich einen Beweiß erhalten, daß du mich so liebest als du geliebet wirst, von deiner Schwester

A. v. S.     


[207]
XVII. Brief.
Herr Lorenz Lobesan, Cantor zu Kargfeld an Herrn Balthasar Ecken, wohlverdienten Cantor und Schulmeister zu Wilmershaußen.
Hochgelahrter Hoch- und Wohlfürsichtiger, Hoch- und Kunsterfahrner Herr Collega,

Derselbe wird im Besten vermerken, daß ich ihm mein Anliegen offenbare und mir seinen guten Rath über eine Sache ausbitte, die mich weder ruhen noch rasten läßt. Es ist ihm bewußt, daß ich in acht Tagen eine Predigt nach dem Fuße halten soll, wie er und der Herr Schulmeister gestern in dem Saale unsers gestrengen Junkers ablegten. Ich habe mir bisher zwar [208] ein Gewissen gemacht, dem Herrn Pfarr ins Amt zu fallen und einen Hofprediger, auf dem Schlosse unsers Junkers, abzugeben; aber weil sich andere kein Gewissen daraus machen, auch überdem diese Predigten ganz anders beschaffen sind, als die man in der Kirche hält, und die Kanzel eine ganz andere Figur hat: so glaube ich, daß mir eben das erlaubt ist, was andere meines gleichen thun dürfen. Zu dem Ende habe ich mich niedergesetzt und habe hin und her gesonnen, um eine solche Predigt, wie die seinige war, zu entwerfen, und den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben, zu erklären. Es wird ihm, sonder Zweifel, noch erinnerlich seyn, daß mir der Herr Magister gestern Abend beim Weggehen sagte, ich sollte untersuchen, ob das ut re mi fa sol la oder das c d e f g zur Benennung der Töne in der Musik bequemer sey. Ich weiß in meinem Leibe keinen Rath, was ich in dieser kützlichen Materie anfangen soll. Der Herr Magister ist mir sein Tage nicht recht gut gewesen, darum [209] läßt er mich über den schwersten Text predigen. Gleichwohl will ich nicht gerne mit Schimpfe bestehen, und ein paar parfumirte Handschuhe, wie er bekommen hat, wären mir auch willkommen. Es ist aber nicht recht, daß der Herr Magister mir, als einem alten Manne, so schweere Dinge aufbürdet, daß mir ganz schwindelt wird vor den Augen, und ein kalter Schweiß vor die Stirn tritt, wenn ich an diese Arbeit gedenke. Ich habe überdem noch bei meinem Alter ein gewisses Malheur an mir, daß mir oftmals die Gedanken vergehen, besonders wenn ich etwas aus dem Kopfe entwerfen will. Neulich hatte ich einmal vergessen, daß es Sonntag war, ohngeachtet ich den Tag vorher das Kirchenstück probiret hatte, und wenn mich der Herr Pfarr nicht an das Läuten hätte erinnern lassen, denn meine Frau hatte es auch vergessen, so wäre keine Kirche gehalten worden. Einmal mochte ich in der Kirche ein Bißgen eingeschlummert seyn, es war vergangenen Sommer in der Erndte, und da ich erwachte, [210] hatte ich vergessen, daß der Herr Pfarr auf der Canzel stund, fing dahero mitten unter der Predigt mir lauter Stimme an den Choral zu singen, bis ich meinen Irrthum, mit großer Bestürzung, inne wurde, und hernach, wegen dieses Naturfehlers vieles ausstehen mußte. Das paßiret mir oftmals, wenn ich gar nicht mit dem Kopfe arbeite, geschweige wenn ich Briefe schreiben oder etwas anders aus dem Kopfe machen soll, wenn ich drei oder vier Zeilen zusammen gesetzt habe, so bin ich so müde, als wenn ich zur Frohne hätte dreschen müssen. Die gemeinen Leute wollen es nicht glauben, daß unser einer auch sein Pfund auf sich hat, und nicht spazieren gehet. Der Kirchvater Kleinmann war neulich bei mir, da sprachen wir eins und das andere, von ungefähr kamen wir auch auf die Schuldiener zu reden. Herr Cantor, sagte der Tölpel, er hat ja wohl seine gute Sache, wenn unser einer auf der Straße liegen und auf der Kriegsvorspanne sich von den Soldaten muß Rippenstöße geben lassen, [211] so sitzt er zu Hause auf seinen Drehstuhle wie ein vornehmer Herr, schwatzt den Kindern was vor, und dafür muß ihn die Gemeinde ernähren. Hört, guter Freund, sagte ich, ihr redt wie ihrs versteht, wenn ihr einen Tag auf meinem Stuhle sitzen und mit dem Kopfe arbeiten solltet, so würdet ihr anders schwatzen, Kopfarbeit ist gar eine schwere Arbeit. Unter uns, ich glaube daß ein Schulmeister ein viel schweerer Amt hat als ein Pfarrer, der predigt ein paar mal in der Woche, und damit gut. Wir müssen sechs Tage Schule halten, und den Sonntag müssen wir singen daß wir schwarz werden möchten. Ja, was das meiste, die Herren Pfarrer haben viele lateinische und gelehrte Bücher, da können sie leicht etwas daraus herschwatzen, wir haben aufs höchste den Catechismus und müssen alles aus den Kopfe machen, dazu kommt die Musik, das Hochzeitbitten und dergleichen, daß einem das Stückgen Brod sauer genug wird, und doch soll unser einer keine Arbeit haben. Aber daß ich wieder zur Sache [212] komme, Herr Cantor, wo hat er doch die wunderschöne Rede hergenommen, die er gestern hielt? Er kann wohl noch gar Pfarrer werden, die vornehmen Leute hatten an ihm ihre einzige Freude, so schön hat er es gemacht. Sey er doch so gut und stecke er mir es im Vertrauen, wie er es angefangen hat, diese schöne Rede zu Stande zu bringen. Es bleibet unter uns, er kann sich darauf verlassen, daß ich es keinem Menschen mehr sagen will, das Geheimniß soll mit mir sterben. Wenn er etwan ein Buch hat, worinne dergleichen Reden stehen, so leihe er mir es ein paar Tage, ich will es ihm ohne Schaden wieder zustellen, und verspreche nicht mehr daraus zu nehmen, als zu einer Rede nöthig ist. Will er mir aber den Liebesdienst thun, und mir die ganze Rede machen, so will ich es mit Danke erkennen, und ihm dafür den Telemannischen Jahrgang, darum er mich so [213] oft gebethen, zur Abschrift mittheilen. In Erwartung gefälliger Antwort, verharre

Des Herrn
dienstwilliger     
L. Lobesan.     


XVIII. Brief.
Antwort auf den vorigen Brief.
Ehrengeachteter Hochgelahrter Günstiger guter Freund,

Ich hätte wohl Ursache, ihm die Gefälligkeit, warum er mich ersuchet, abzuschlagen; er weiß es am besten, wie er mich gemartert hat, da ich ehemals an seine Stelle kommen sollte, weil er bei dem Herrn v. N. in Ungnade gefallen war, und von seinem Dienste sollte abgesetzt werden. Er biß damals um sich wie ein wilder Kater, und [214] spielte mir noch dazu den schlimmen Streich, daß er, da ich die Probe thun mußte, das Clavier an der Orgel mit Terpentin oder Vogelleim, was es war, beschmieret hatte, daß mir die Finger darauf kleben blieben, und ich glücklich umwarf. Wegen der telemannischen Kirchenstücke habe ich, da der erste Groll vorbei war und er bei seinem Dienste blieb, wie ich bei dem meinigen, mir Salvo nore, die Beine bald abgelaufen, ich habe ihm himmelhoch gebethen, mir solche, gegen ein gutes Gratial, zukommen zu lassen, weil unsere Herrschaft mit meiner Composition niemals recht ist zufrieden gewesen: aber da half weder bitten noch flehen, es war als wenn ich zu einem Stein redte. Wenn er politisch gewesen wäre, so hätte er denken sollen, eine Hand wäscht die andere, wer weiß, wo ich den ehrlichen Mann auch einmal wieder brauche, ich will ihm aus dieser Noth helfen, wer weiß hilft er mir aus einer andern. Wenn ich gleiches mit gleichem vergelten wollte, so würde er mit einer abschläglichen Antwort müssen [215] zufrieden seyn, ich bin aber nicht so gesinnet, und habe ihn schon lange alles vergeben, welches er unter andern auch daraus abnehmen kann, daß ich ihm alle Jahr zur Kirmse habe bitten lassen, ob er gleich wegen der alten Pike noch nicht über meine Schwelle kommen ist. Um ihn zu überzeugen, daß ich es gut mit ihm meine, will ich ihm alles getreulich entdecken, wie ich es mit meiner Rede angefangen habe. Ich höre zwar, daß es unter den Gelehrten Mode ist, daß sie ihre besten Fechterstreiche gern für sich behalten, und sie niemanden leichtlich offenbaren: doch weil er mir versprochen hat, verschwiegen zu seyn und das Geheimniß bei sich zu behalten, so will ich ihm kürzlich melden, wie ich es mit meiner Rede, die der Herr Magister gelobt hat, gemacht habe. Es ging mir im Anfang eben so wie ihm, ich wußte nicht, wo ich es angreifen sollte, den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben hatte, zu erklären. Ich ging zum Herrn Pfarrer, um mich bei ihm Raths zu erholen, und ihn um ein Buch [216] zu bitten, das ich bei meiner Arbeit, brauchen könnte; allein dieser war böse, daß er nicht auch ein Mitglied worden war, und wollte mir durchaus kein Buch leihen, ob er deren gleich über ein Halbschock besitzt, und manche in Jahr und Tag nicht braucht. Hierauf verfügte ich mich zu unsern Fräulein und bat sie um das Buch, das sie braucht, wenn sie Briefe schreibt und ihr nichts einfallen will, sie gab mir dieses ohne Schwürigkeit. Ich übersende es ihm im Vertrauen, er muß es aber ja wohl bewahren, daß es nicht schmuzig wird und ein Dinten- oder Oehlfleck hinein kommt. In diesem Buche sind alle Wörter enthalten, die zu einer Rede gehören, es ist dahero ein vortrefliches Werk, welches alle Arbeit leichte macht. Man darf nur die Worte aufschlagen, wie sie einen von ungefehr in die Augen fallen, und diese hernach mit einander verbinden, so ist die Rede fertig. Da ich gehört habe, daß man sich bei einer Rede, vor allen Dingen, um ein Thema bekümmern muß, eben so wie in der Musik, [217] welches man hernach ausführet: so suchte ich erst in dem Buche mein Thema zusammen, das waren die einzelnen Worte die ich von ungefehr aufschlug. Diese schrieb ich fein ordentlich, wie sie mir das Glück bescheret hatte, auf ein Pappier, und studirte hieraus meine Rede zusammen. Es kostete freilich hin und wieder viel Kopfbrechens, weil manche Worte sich weder zusammen schicken noch reimen wollten, doch da ich mir vorgenommen hatte, nichts in dem Thema zu ändern, so künstelte ich so lange bis alles zusammen paßte. Damit ihm alles deutlich wird, so habe ich meine Rede abgeschrieben und derselben das Thema beigefügt, woraus ihm alles verständlich werden muß. Künftige Mittewoche, wenn ich aus der Akademie komme, will ich bei ihm einsprechen, und die Kirchenstücke abholen, welche er, sobald sie abgeschrieben sind, ohne Schaden wieder haben soll. Unser Herr Pastor hat einen gewaltigen Groll auf mich geworfen, daß ich mit in der Akademie bin und er nicht. Wie [218] ist denn der seinige diesfalls gegen ihn gesinnet? Ich habe vier Groschen aus der Kirche für den Weg prätendiret, den ich nun wöchentlich von hier nach Kargfeld thun muß, aber der Herr Pastor will es durchaus nicht in der Kirchrechnung paßiren lassen, keine Frohndienste laß ich mir warlich nicht aufbürden. Legt sich der Herr Pfarr mit mir nicht bald zum Zweck, so will ich ihn schon kriegen, ich habe ihn sein Amt müssen führen lernen, und nun will er über mich herrschen. Die Welt wird doch immer schlimmer. Nebst einem schönen Gruß von meiner Frau bin ich

Des Herrn
dienstwilliger     
B. E. 


[219]
*     *     *

Daß die Natur und nicht die Kunst einen Virtuosen bildet, erweist in einer Rede Balthasar Eck, treufleißiger Cantor und Schuldiener in Schönthal.

Hokuspokus.
Affenspiel.
Advocat.
Kalendermacher.
Aufblehen.
Untervogt.
Austrinken.
Saitenspiel.
Halskause.

Stempel.
Unterminiren.
Altfränkisch.
Zipperlein.
Bratenwender.
Heufuder.
Goldschmidt.
Holzhacker.

Die edle Musika ist eine von den freien Künsten und keinesweges ein verächtliches Handwerk oder eine Brodtlose Kunst, dergleichen es welche giebt, die Leute ums Geld zu bringen oder sie zu vexiren. Von diesem Schlage sind die Kartenspiele, die Kartenkünste worauf etliche Leute sich so viel [220] wissen, und was dergleichen Gaukeleien mehr sind, womit die Hokuspokusmacher umzugehen wissen; allein sie verdienen nicht einmal den Namen der Künste, sondern sollten vielmehr Aeffereien oder Affenspiele genennet werden. Ein Musikus ist ein ehrbarer Mann, der seine Kunst gelernet hat, nicht allein den Leuten die Zeit zu vertreiben, sondern auch vielerlei Gutes zu stiften: denn man kann, vermöge der Musik, Krankheiten heilen, die Zauberei vertreiben, gute Gedanken einflößen, und dergleichen mehr, das ein andrer wohl muß unterwegen lassen. Aber nicht jeder, der etwas auf einem Instrumente herstümpern kann, ist im Stande dieses zu thun, sondern nur große Musikverständige, die man Virtuosen nennet, können solche herrliche Dinge ausrichten. Dergleichen Leute werden nun, wie die Erfahrung lehret, nicht durch die Kunst hervorgebracht, sondern sie müssen von Natur ein gutes Geschick haben, wenn was rechtes aus ihnen werden soll. Dahero hat die Musik vor andern Künsten [221] etwas zum Voraus, wem die Natur nicht ein Geschick zur Musik verliehen hat, der bleibe immer davon oder erwähle ein anderes Metier. Aus dieser Ursache schickt sich auch nicht jeder zur Musik, es kann einer eher ein Doctor und Professor werden auf einer Universität, als ein tüchtiger Cantor. Bei jenen kommt es auf Geld und gute Worte oder auf gute Patronen an, hierdurch kann einer unter den Gelehrten alles werden was er nur will, aber du magst spendiren wie du willst, du magst den Schulzen und Kirchpatron zum Pathen haben, wenn dir die Natur keine gute Stimme in die Kehle und keine Hurtigkeit in die Hände und Füße gegeben hat, daß du nicht laut genug vorsingen, kein Trillo schlagen und keine tüchtige Fuge auf der Orgel herrasseln kannst: so nehmen dich die Bauern nicht zum Cantor, und wenn du könntest die Kieselsteine in Gold verwandeln. Wo die Kunst alles thut, da ist die Natur überflüßig, und wo die Natur alles wirket, da braucht es keine große Kunst. Ein Advocat, zum [222] Exempel, ist ein arte factum, er mag eine natürliche Gabe zum Plaudern und Zanken haben, oder von Natur so sanftmüthig seyn wie ein Lamm, wenn er in seiner Kunst ausgelernet hat, so gewinnt er die schlimmsten Processe. Woher kommt das? Aus keiner andern Ursache, als weil er durch die Kunst aus weiß hat lernen schwarz machen, und ihm, gleich wie einem Staar, die Zunge gelöset ist, daß er reden kann was er will. Allein laßt ihn einmal einen Triller schlagen, so werdet ihr sehen, daß er dieses zu thun nicht im Stande ist, wenn die Natur seine Kehle nicht dazu aptiret hat. Es hat mit einem Musikus eben die Bewandniß wie mit einem Kalendermacher, dieser mag rechnen können wie er will, er mag den Himmel durch sieben und siebenzig Ferngläser beschauen, dem ungeachtet wird das Wetterprognosticon nicht zutreffen, oder die Prophezeihung von Krieg und Frieden in Erfüllung gehen, wenn ihn nicht die Natur zu einen Kalenderschreiber gebildet und ihm die Gabe, zukünftige Dinge vorherzusagen, [223] verliehen hat. Hieraus erhellet, was ein Musikus in eigentlichem Verstande, welchen man gemeiniglich einen Virtuosen nennet, für ein Mann ist, und daß solche Leute billig in Ehren zu halten sind, auch ihnen ein reichlich Auskommen muß verschaffet werden, denn sie wachsen nicht so zahlreich wie die Schwämme, und können auch nicht durch die Kunst hervorgebracht werden wie die Orgelpfeifen, sondern die gütige Natur bringt sie nur dann und wann hervor, wenn sie ihr Spiel haben, will wie die Weidenrosen, oder die Kornstengel mit hundert Aehren. Das wissen diese Herren auch gar wohl, darum blehen sie sich nicht selten auf wie die Untervögte, und haben ihre Mucken wie die Pferde, die den Sonnenschuß bekommen. Ich könnte von ihrem Eigensinne manches artige Stückgen anführen, wenn ich mich nicht der Kürze befleißigen wollte. Nur einger im Vorbeigehen zu gedenken, so sind einige Virtuosen so eigensinnig, daß sie sich durchaus nicht wollen hören lassen, so lange sie ein volles [224] Glas im Gesichte haben. Ich kenne einen Schulmeister, der mein Freund ist, der diesen Wurm auch hat und allen Gläsern erst auf den Boden siehet, ehe er seine Violine stimmt, welches denen, die von seiner Kunst etwas hören wollen, oftmals theuer genug zu stehen kommt, weil er auf einen Sitz mehr austrinken kann als zehen Schnitter in der Erndte. Andere lassen sich nicht anders als durch Schläge bewegen, ihr Saitenspiel anzurühren, und thun das gezwungen, was man weder durch gute Worte noch durch Verheißungen von ihnen erhalten kann. Einige haben die wunderliche Gewohnheit an sich, daß sie sogleich aufhören zu spielen, wenn sie gelobt werden, und hingegen fortfahren, wenn man sie für Stümper und Hümpeler hält. Ich habe auch von einem Virtuosen sagen hören, daß er sich allezeit, wenn er ganz besonders durch seine Geschicklichkeit sich hätte hervor thun wollen, in den größten Gesellschaften entkleidet habe, als wenn er zu Bette gehen wollte. Ein loser Vogel hätte [225] ihm aber einmal, da er von seiner Kunst ganz bezaubert gewesen, die Kleider versteckt, daß er im kalten Winter halb nackend hätte nach Hause gehen müssen, und über diesen Spaß seine künstlichen Finger erfrohren hätte. Einmal da sich ein Virtuos in hiesiger Gegend einfand, habe ich es mit meinen Augen gesehen, daß er seine Perucke an die Erde warf, die Halskrause abriß, den Rock auszog und die Weste aufknöpfte, wenn er ein Stück spielte, das sich besonders ausnehmen sollte. Hierauf ging er in Stube auf und nieder, trat seine Perucke und Kleider mit Füßen, und konnte es durchaus nicht vertragen, wenn sie jemand aus dem Wege räumen wollte. Es ist gewiß, daß jedermann, der kein Virtuos ist, für unsinnig würde gehalten werden, wenn er solche Virtuosenstreiche machen wollte, ohne einer zu seyn, aber bei diesen gehört es mit zu ihrem Wesen, daß sie dann und wann etwas seltsames von sich blicken lassen, und man muß es mehr unter ihre Tugenden als Fehler rechnen, große und berühmte [226] Leute dürfen sich auch immer etwas mehr herausnehmen als andere, und ihre Fehler sind wie die Narben, die manche Gesichter mehr verschönern als verstellen. Unsre Zeiten sind nicht arm an Virtuosen, und unser Vaterland hat davon auch eine große Anzahl aufzuweisen. Viele davon kenne ich von Person, viele dem Namen nach, einige aus ihren Werken, einige sind mir auch ganz und gar unbekannt. Wenn sie freilich alle mit einem Stempel gezeichnet wären, wie die Geleitszeddel, so würde man es jedem ansehen, wer ein Virtuose ist, oder dafür will gehalten seyn. Ich könnte viele mit Namen nennen und sie dadurch in hiesiger Gegend bekannt machen, doch weil ich sie nicht alle kenne, so will ich, damit es keinem verdrüßt, alle, außer einem einzigen, auf den ich eine Lobrede halten soll, mit Stilleschweigen übergehen. Er heist Herr Händel, und soll, wenn anders den Zeitungen zu trauen ist, nicht mehr am Leben seyn. Ich habe ihn nie mit Augen gesehen, ob ich gleich in meinem Leben [227] viel Leute gesehen habe; aber seit einiger Zeit habe ich von ihm reden hören, er soll ein Gastmahl des großen Alexander Magnus so künstlich in Musik gesetzt haben, daß einen alsbald zu hungern anfängt, wenn man dieses Stück spielen hört. Man erzählet überhaupt von ihm, daß er durch die Harmonie der Saiten die Gemüthsneigungen der Menschen dergestalt hätte unterminiren können, daß jedermann nach seiner Pfeife habe tanzen müssen, und deswegen ist es ihm auch etwas leichtes gewesen, die Gunst der großen Herren zu erhalten. Er durfte nur das Clavier unter seine Finger und das Pedal unter seine Füße bekommen, so konnte er mit seinen Zuhörern machen, was er wollte, spielte er ein trauriges Stück, so klang dieses erbärmlich, daß jedermann anfing zu weinen, spielte er lustiges, so hüpften seine Zuhörer wieder wie die Aelstern, wollte er haben, daß sie sich sollten bei den Köpfen kriegen, so spiele er einen Marsch, und durch eine Aria war er im Stande sie wieder vollkommen zu besänftigen. Ob er [228] ein Freund von neuen Moden gewesen, läßt sich nicht gewiß bestimmen, weil er aber am Hofe gelebt hat, so scheint es, daß er sich auch eben nicht ein altfränkisches Ansehen gegeben. Obgleich einige vorgeben wollen, er wäre mit dem Zipperlein behaftet gewesen: so kommt mir dieses doch ganz unglaublich vor, weil ich noch nie einen Menschen gekennet habe, der davon einigen Anstoß erlitten, wenn er das Pedal fleißig getreten hat. Dieses mag für dismal genug seyn von diesem Ehrenmanne, der unter die ansehnlichen Mitglieder dieser Akademie gewiß würde seyn aufgenommen worden, wenn er nicht zu frühzeitig aus der Welt hätte wandern müssen. Aus dem angeführten ist unschwer zu ermessen, daß ein Musikus nichts kleines ist, sondern daß man ihn vielmehr als ein Wunder der Natur betrachten und in Ehren halten muß. Es ist zu bedauren, daß nicht alle Leute dieses erkennen, sonst würden sie nicht gegen einen Musikverständigen so stolz thun. Mancher, der nicht im Stande ist einen Braten am [229] Spiese herum zu wenden, bildet sich so viel ein, daß es Noth thäte, ein Heufuder wich ihm aus, und gleichwohl nehmen sich solche Leute immer am ersten die Freiheit, Virtuosen zu beurtheilen, sie auszulachen, und über sie zu kritisiren. Es ist aber am besten gethan, wenn man sich von diesen Leuten nicht anfechten läßt, und dabei denkt wie Goldschmidts Junge. Das Reden kann man den Leuten nicht verwehren, auch der geringste Holzhacker redet oftmals nach seinem Holzhackerverstande, von den wichtigsten Staatsaffairen, dem ungeachtet verliehren diese dadurch nichts von ihrer Wichtigkeit.

*     *     *

Die Alterthümer in und um Dürrenstein aufgesucht und beschrieben, von Valentin Striegeln, Schulmeister daselbst.

Das Alter soll man ehren, dieses ist, hochansehnliche Versammlung, wie ihnen [230] wohl wird bekannt seyn, eine alte Regel und auch eine löbliche und herrliche Gewohnheit, die aber, leider, nicht allezeit beobachtet, sondern vielmehr von der muthwilligen Jugend aus den Augen gesetzt und verachtet wird. Leute die es besser verstehen, haben diese Vorschrift beständig vor Augen, sie ehren nicht nur die Alten, sondern auch alles was alt ist, oder doch von den lieben Alten herstammt. Meine selige Großmutter hatte noch eine Patrontasche aus dem dreißigjährigen Kriege, die ein Soldat, der bei ihr im Quartier gelegen, vergessen hatte, diese hielt sie in solchen Ehren, daß sie keinem andern Behältniß als dieser ihr altes Geld anvertrauen wollte, und in der Erbschaft ist darüber ein solcher Streit entstanden, daß der Proceß viele Jahre gedauert hat, nachdem aber Richter und Advocaten sich in das alte Geld, das in solcher gewesen, ganz friedlich getheilet, ist die leere Patrontasche bei der Familie geblieben, wie denn solche noch bei mir als eine Seltenheit zu sehen ist. Das Alter ist klüger als die [231] Jugend, es ist ehrwürdiger, ja es ist überhaupt vollkommener, als das, was noch jung ist, oder doch noch nicht lange gedauret hat, aus dieser Ursache muß es also billig höher geschätzt werden, als die Jugend. Man siehet unter andern dieses auch an dem alten Gelde, solches stehet in viel größerm Werth als das neue; der alte Wein wird jederzeit dem jungen vorgezogen; die alte Liebe rostet nicht, nach dem bekannten Sprichworte, das ist, sie verlöscht niemals ganz und gar, sondern glimmet immer fort wie das Feuer unter der Asche. Weil nun das Alter so ehrwürdig ist, so darf es niemanden verdacht werden, wenn man diejenigen Dinge, welche alt sind, und von unsern Vorfahren herstammen, besonders hochschätzt, sie oft betrachtet, und ihr Andenken zu erhalten suchet. Da nun das hochadliche Gerichtsdorf Dürrenstein, einen besondern reichen Schatz von alten Ueberbleibseln und merkwürdigen Dingen aufzuweisen hat: so habe ich mir keine Mühe verdrüßen lassen, von allen diesen Dingen genaue Erkundigung [232] einzuziehen, um mich um diesen Ort, wo ich gebohren bin, und woselbst meine Vorfahren, seit der allgemeinen Völkerwanderung, gewohnet haben, einiger maßen verdient zu machen.

Billig sollte ich meine Untersuchung von der Kirche anfangen, da aber diese bei Menschengedenken, durch eine Feuersbrunst ist verzehret worden, und noch bis jetzo keine neue hat können erbauet werden, so ist von derselben nichts merkwürdiges übrig geblieben, das unter die Antiquitäten könnte gezählet werden, als das Kirchenbuch, welches, dem äusserlichen Ansehen nach, sehr alt ist, doch läßt sich das Jahr, in welchem solches in die Kirche ist gebracht worden, nicht bestimmen, denn die ersten Blätter sind herausgerissen, und die darauf folgenden sind, weil meine Vorfahren die Herren Schulmeister, vermuthlich oft zum Zeitvertreibe darinne studiret haben, dergestalt makuliret, daß man nur mit großer Mühe ein und das andere Wort noch lesen kann. [233] Uebrigens siehet man daraus, daß Kargfeld schon ehemals gelehrte Schulmeister gehabt; denn einer, der ungefehr vor hundert und mehr Jahren mag gelebt haben, hat alles, was sich in dem Dorfe merkwürdiges begeben, nicht nur fleißig eingetragen, sondern auch gelehrte Anmerkungen, Randglößlein und Verse hinzugesetzt, wie aus folgenden Beispiel zu ersehen. Den 20. Nov. das Jahr ist nicht hinzugefügt, wurde der grobe Flegel, Steffen der Schmidt, mit einer Leichenpredigt beerdiget. Hierbei sind folgende Verse am Rande zu lesen:

Hier liegt der Schmidt zu meiner Freud,
In dieser kleinen Grube.
Macht mir so manches Herzeleid,
Der arge böse Bube.
Thät einst mit einem eisern Stab
Viel Streiche auf mich führen.
Nun da er lieget in den Grab
Kann er kein Glied mehr rühren.

[234] Ein anders. Den 12 August ließ Hanns Höniger, sonst vermuthlich Waldesel genannt, sein Söhnlein Hännsgen taufen, hatte ein loses Maul, daß ich dem großen Herrn die Kirche nicht gleich eröffnet, wie er es haben wollen. Am Rande ist folgendes Glößlein zu lesen. Damit nicht jemand denkt, ich hätte diesem Manne obigen Namen aus Feindschaft aufgebürdet, so will ich beweisen, daß seine Vorfahren so geheißen haben. Sein Vater ist Thorschreiber gewesen, sein Großvater ein Advocat, sein Urgroßvater ein Arzt, er stammt also aus einer gelehrten Familie. Da es nun sonst gebräuchlich gewesen, daß diese sich lateinische Namen gegeben, so haben es die Vorfahren dieses Mannes vermuthlich auch so gemacht, sie hießen Waldesel und nennten sich lateinisch Onager, welches in der geschwinden Aussprache onger gleichsam oniger geklungen hat, hierzu ist mit der Zeit noch ein H gesetzt, und das o Wohlklangshalber, in ö verwandelt worden, da habt ihr Höniger aus Onager ohne Schwürigkeit. [235] Ich wende mich von diesem Buche zur Schulwohnung, welche nicht mit abgebrannt, und das älteste Haus im Dorfe ist, so voller Antiquitäten steckt daß das ganze Gebäude als ein Ueberbleibsel aus dem Alterthum angesehen werden kann, besonders da seit Menschengedenken nichts daran ist gebauet und gebessert worden, daß zu besorgen ist, es werde einmal unversehens über Haufen fallen, und die Hoffnungsvolle liebe Schuljugend, nebst allen übrigen Menschen und Vieh, so darinne sind, lebendig begraben. In diesem Schulhause ist noch bei Lebzeiten meines Vaters eine gebrochene Thür gewesen, welche die Eigenschaft an sich gehabt, daß sich an solcher eine Art von Gespenstern frühe am Neujahrstage, wenn zum erstenmal in die Kirche geläutet worden, in Gestalt der Personen, welche das Jahr über gestorben sind, haben blicken lassen, welche über die untere Hälfte der Thür hinein in das Haus gesehen haben, und alsbald darauf verschwunden sind. Hieraus haben die Schulmeister sogleich, einen [236] Ueberschlag machen können, ob das Jahr fett oder mager an Accidenzien seyn werde. Doch seitdem diese Thür Anno Neune durch einen gewaltigen Sturmwind eingeworfen worden, und eine neue an deren Stelle kommen ist, will sich heut zu Tage Niemand mehr daran sehen lassen. An dem alten Kirchthurm soll ein Schallloch gewesen seyn, wo man, wenn man den Kopf hindurch gesteckt, alles hören können, was im ganzen Dorfe ist gesprochen worden, wenn die Leute auch gleich heimlich mit einander geredet haben, aber dieses Schallloch ist eben so wohl als der Thurm mit verbrannt. Der Wetterhahn auf den Thurme ist so künstlich zugerichtet gewesen, daß er allezeit gekrähet hat, wenn der Schulmeister oder Schulze habe sterben wollen, oder wenn ein andres großes Unglück den Ort bevorgestanden hat. In der Nacht vorher, ehe das Feuer ausgebrochen, hat er auch dreimal laut gekrähet, daß er von vielen Leuten ist gehöret worden. Vor dem Dorfe auf dem Wege nach Kargfeld, rechter Hand [237] stehen drei steinerne Kreuze, und man ist nicht einig, was sie eigentlich bedeuten sollen, einige sagen, es wäre im dreißigjährigen Kriege eine Schlacht bei Dürrenstein gehalten werden, in welcher drei große Generals geblieben, die an dem Orte wo die Creuze stünden, wären beerdiget worden, andere sagen, diese Creuze wären in einer Nacht einmal aus der Erde gewachsen, wie die Schwämme, worauf der dreißigjährige Krieg alsdenn entstanden wäre. Einige schreiben denenselben allerlei Kräfte zu. Wer zu dreimal dreienmalen um solche herumlaufen kann, und zwar in einem Othen, der soll einen großen Schatz heben, der, wie man sagt, darunter verbogen liegt. Wer zornig ist und über den größten von diesen Steinen zwölf mal wegspringt, dem soll die Bosheit vergehen, etliche Innwohner probiren dieses auch mit ihren bösen Frauen, und nöthigen sie darüber zu springen, so oft sie vorbei gehen, wovon sie unvergleichlich fromm werden sollen. Zwischen Dürenstein und Schönthal auf halben Wege stehet [238] der sogenannte Wunderbaum, welcher von einem unglücklichen Prinzen, der seine Liebste, die eine verwünschte Prinzeßin gewesen, hier wieder angetroffen hat, und zum Andenken von ihm hieher soll seyn gepflanzet worden. Die Rede gehet, daß er, anstatt der Birnen, einmal Aepfel tragen würde, und alsdenn würden die Weiber in der ganzen Welt einen gräßlichen Aufstand erregen, um sich die Männer unterthänig zu machen. Bei diesem Baume würde eine große Schlacht gehalten werden, und obgleich die Weiber unterliegen würden, so sollten sie doch die Herrschaft erhalten. Einige sagen, die Prophezeihung wäre schon erfüllt, andere, sonderlich Weiber, hoffen noch darauf, und meinen, die Prophezeihung müßte nun bald eintreffen, weil der Baum, wegen großen Alters, nicht lange mehr stehen könnte. Baldrion, der Wagner hat eine seltsame Antiquität in seinem Hause, die er vorzeigt, wenn man ihm ein gut Wort giebt oder etwas zum Brandeweine spendiret. Es ist solches ein Nagel, womit sein Großvater [239] die Pest, welche damals in sichtbarer Gestalt als ein blauer Dunst im Dorfe herumgegangen, in einer Kammer seines Hauses in einen kleinen Spalt eingenagelt hat, daß sie nicht wieder herauskann. Der Nagel steckt noch in der Wand, und habe ich solchen oftmals gesehen. Desgleichen wird in der Gemeinenlade noch ein Pfefferkuchen gewiesen, der von dem Mehle gebacken ist, dergleichen es vorzeiten einmal hier geregnet hat. Da sich auch einsmals sehr viele Wölfe in hiesiger Gegend haben sehen lassen, welche in den Schäfereien großen Schaden gethan, sonderlich auch den jungen Mädchens nachgeschlichen, solche geherzt und gedrückt, aber ihnen sonst kein Leid zugefüget: so hat ein Mädchen aus unserm Dorfe einem solchen Wolfe einsmals ein Ohr abgeschnitten, welches sich hernach in ein Menschenohr verwandelt hat, wie diese Geschichte in der Gemeindestube abgemahlt noch auf den heutigen Tag zu sehen ist. Eben daselbst in der Gemeinenlade finden sich auch einige Steine, mit welchen der Kobold, [240] der in dem Gemeinde-Brauhause seine Wohnung vor Zeiten aufgeschlagen gehabt, nach den vorübergehenden Leuten geworfen, auch den dasigen Schulmeister, welcher mit Segensprechen ihn hat vertreiben wollen, eine solche Kopfnuß versetzet, daß er in einem Backtroge hat müssen nach Hause getragen werden. Auch könnte man mit unter die Alterthümer zählen den üblen Geruch, der in der großen Stube in Peter Langhansens Hause anzutreffen ist. Die Ursache davon ist diese: es waren einmal in dieser Stube in der Osternacht ein Haufen junger Leute, die früh morgens wollten die Sonne tanzen sehen. Um Mitternacht kam der Böse mit seinem Pferdefuße und langen Schwanze unter sie getreten, und fragte, was sie da machten, als sie sich nun fürchteten, und über diesen häßlichen Anblick sich kreuzigten und segneten, ist er zwar bald wieder verschwunden, hat aber einen solchen Gestank hinterlassen, der noch immer nicht aus der Stube kann vertrieben werden, ob man schon mehr als [241] einen Malter Wacholdern darüber verräuchert hat. Die Reisenden und Antiquarii pflegen sich aus Curiosität allezeit dahin zu verfügen, um von der Gewißheit dieser Sache Erkundigung einzuziehen, und bezeugen einmüthig, daß sich alles in der That so befinde, und diese Historie keinesweges unter die Mährgen gehöret. Wenn ich weitläuftig seyn wollte, so könnte ich nun zu den lebendigen Antiquitäten schreiten, und die alten Greiße beiderlei Geschlechts, welche in unserm Orte ziemlich zahlreich anzutreffen sind, nach einander beschreiben. Weil dieses aber auch zu einer andern Zeit geschehen kann, so will ich es jetzo unterlassen, und nur überhaupt anmerken, daß manche große Stadt nicht so viele alte Leute aufzuweisen hat, als unser Dorf. Deswegen stehet auch eine ehrbare Gemeinde in dem Rufe der Klugheit, wie denn andere Oerter, die größer und ansehnlicher sind, wenn schwere und wichtige Händel vorfallen, bei uns sich Raths zu erholen pflegen. Auch verstehen sich unsere [242] Leute meisterlich aufs Wetter, weil wir so viel hundertjährige Calender aufzuweisen haben. Unser Dürrenstein hat seit undenklichen Jahren, in Ansehung der Gerichtsbarkeit, zu der Familie unsers gestrengen Junkers des Herrn von N. gehört, und sich dabei ziemlich wohl befunden. Wir wünschen dahero nichts mehr, als eine rechtmäßige Vermehrung und Fortpflanzung dieser adlichen Familie, von welcher unser gestrenger Junker der letzte Zweig ist. Deswegen wünschen wir ihm nicht nur eine junge Gemahlin, sondern hoffen auch, bei unsern Lebzeiten in diesem ehelichen Lustgarten so viele Sprößlein zu erblicken, als unser Dorf Alterthümer aufzuweisen hat.


XIX. Brief.
Herr Lampert Wilibald an den Pastor Loci.
Vom Hause, den 8 Dec.
[243]
Hochgeehrtester Herr Pastor,

Es ist eine Sache von äußerster Wichtigkeit, die mich nöthiget, die Feder zu ergreifen, und Ihnen das schriftlich zu entdecken, was meine Bescheidenheit mündlich zu thun verbiethet. Der Buchstabe wird nicht schamroth, nach dem Ausdrucke des Fürstens der Redner und Briefsteller aus dem Alterthume, ich aber würde es werden, wenn ich Ihnen das mündlich sagen sollte, was Sie schon lange wissen. Die verborgene Flamme, welche bisher nur unter der Asche geglimmet, und die Sie selbst weislich unterhalten haben, fängt nun an lichterloh zu brennen, und da ich in Gefahr stehe, davon verzehret zu werden, so rufe ich Sie um Hülfe an; denn Sie alleine sind im Stande, mich von dem Untergang zu befreien, der mich zu bedrohen scheinet. Ihnen ist die Neigung, die ich jederzeit gegen Dero wohlgezogene Jungfer Tochter gespühret habe, zur Gnüge bekannt. Es ist Ihnen nicht [244] unangenehm gewesen, wenn ich Ihnen verblümt habe zu verstehen gegeben, daß ich wünschte in Ihnen einen Papa zu verehren. Jetzt ist es einmal Zeit, daß ich dieses Geständniß, daß ich Jungfer Hannchen liebe, und keine andere, als sie, jemals für meine Gattin erkennen werde, mit klaren dürren Worten thue, die keiner Verdrehung unterworfen sind. Ich würde mit dieser Erklärung noch eine Zeitlang hinter dem Berge gehalten haben, wenn eine gewisse Figur eines Rechtsgelehrten, der immer um die Pfarre herum schwärmet, mir nicht einige Unruhe machte, daß ich mich also genöthiget sehe, Ihnen diese cathegorische Erklärung zu thun, daß ich Ihre Jungfer Tochter liebe, und mir hierauf eine cathegorische Antwort ausbitte. Ich sage Ihnen nichts neues, ehemals, da Jungfer Hannchen noch bey mir in die Schule ging, unterredeten wir uns bereits davon. Sie nahmen meinen Antrag zwar nur als einen Scherz an, und dachten nicht, daß ich als ein Philosoph in die Zukunft [245] einen Blick werfen, und darinne mein Schicksal lesen könnte. Ich wendete allen möglichen Fleis bei diesem schönen Kinde an, um ihr die Grundsätze, welche man von einer tugendhaften Frau verlanget, wohl einzuprägen, damit ich dereinst durch ihren Besitz mich für den glücklichsten Mann auf der Erden schätzen könnte. Aus dieser Ursache wollte ich auch nie einiges Lehrgeld von Ihnen annehmen, weil ich mir feste vorgenommen hatte, diese Rahel Ihnen selbst abzuverdienen. Da Jungfer Hannchen die Jahre erreicht hatte, die sie meinem Unterrichte entzogen, unterließ ich nicht, meine Dienstleistungen gegen Sie zu verdoppeln. Wenn Ihre podagrischen Zufälle Sie abhielten, Ihr Amt zu verrichten: so war ich immer bereit, Sie zu unterstützen, und seitdem Sie diese Bereitwilligkeit bei mir bemerkten, wurden Sie das Podagra fast niemals los. Endlich glaubte ich berechtiget zu seyn, mir wenigstens einige Hoffnung für meine Bemühungen machen zu dürfen, und nahm mir [246] die Freiheit, Ihnen den Vorschlag zu thun, mich bey Ihrem herannahenden Alter zu Ihrem Amtsgehülfen annehmen zu lassen. Weil Sie mir aber sagten, daß es damit noch Zeit hätte, und daß Ihnen der bloße Name eines Substituten unerträglicher ins Gehör fiele, als der ärgste Fluch, weil Sie eine solche Antipathie gegen diese Art Leute bey sich verspürten, daß Sie allezeit einen podagrischen Anfall bekämen, wenn sich einer von dieser Gattung Leute vor Ihnen blicken ließ; so gedachte ich von diesem Vorhaben gegen Sie weiter nichts, und begnügte mich an Ihrer bloßen Freundschaft und an dem Zutritte, den Sie mir in Ihr Haus verstatteten. Seitdem aber mein Principal auf meine geschehene Vorstellung gut befunden, so wohl an seiner Person als auch in seinem Hause verschiedene Veränderungen vorzunehmen, so haben Sie diese für lauter Ketzereien gehalten, und ein besonderes mürrisches Betragen gegen mich beobachtet, daß ich glaube, wenn Sie ein Ketzerlexicon schrieben, so würde ich [247] darinnen gewiß einen Platz bekommen. Doch weil ich Ihren wunderlichen Sinn mehr dem Alter als einem Hasse gegen meine Person beymaß, so ertrug ich alles mit einer mehr als stoischen Gelassenheit, denn Sie gaben mir doch dann und wann wieder einen freundlichen Blick, wenn ich Ihnen Ihr Amt erleichtern half. Unterdessen habe ich seit einiger Zeit wahrgenommen, daß Jungfer Hannchen, wenn ich Sie besuche, so bald Sie ihr nur einen Wink mit den Augen geben, sich aus der Gesellschaft schleicht, oder wenn sie auch da bleibt, so präsentiret sie mir nicht mehr einen Fidibus, zum Zeichen, daß ich die Erlaubniß habe, in ihrer Gegenwart eine Pfeife Toback anzustecken; ja was das meiste, so hat sie seit einiger Zeit die Gewohnheit, unter meinen Predigten einzuschlafen, oder gar nicht in die Kirche zu kommen. Sie will auch keinen Spaß mehr von mir vertragen, und meine lustigen Einfälle, die ich dann und wann habe, wenn ich auf guter Laune bin, werden von ihr nicht mehr belacht, oder [248] wenn sie ihnen den Beifall nicht versagen kann, so nimmt sie eine so gezwungene lächelnde Mine an, daß ich daraus deutlich abnehmen kann, daß ihre Gesinnungen gegen mich die sind, die sie ehmals waren. Aus allen diesen Umständen kann ich für mich eben nichts vortheilhaftes schließen, und diese Dinge befremden mich um so mehr, je weniger ich mir etwas vorzuwerfen habe, dadurch ich eine Kaltsinnigkeit verdienet hätte. Da Sie mir nun niemals verbothen haben, Ihre Jungfer Tochter zu lieben, so mache ich daraus den sichern Schluß, daß ich hierzu Ihre Einwilligung erhalten habe, denn qui tacet, consentire videtur, ja Sie haben mich einmal öffentlich auf dem Schlosse allhier, da Sie den Wein mit ausproben halfen, den die fremden Truppen bei ihrer Retirade im Stiche gelassen, mit dem Namen eines Sohnes beehret. Sie werden sich noch zu erinnern belieben, daß Sie einmal sagten: Herr Sohn, wir thun des guten zu viel, ein andermal ein mehreres; ich habe zur Gnüge, lieber [249] Herr Sohn. Solche günstige Adspecten, verliehre ich nicht gern aus dem Gesichte, und trug dahero dieses schmeichelhafte Compliment sogleich in mein Diarium ein. Nun hoffe ich zwar nicht, daß Sie Ihre Neigung von mir abgewendet haben, allein da mir seit einiger Zeit eines und das andere zu Ohren kommen ist, daß ich mich weder in Sie noch Dero Jungfer Tochter zu finden weiß; so habe ich nöthig gefunden alles, was in dieser Sache unter uns vorgegangen, durch eine kurze Wiederholung Ihnen wieder ins Gedächtnis zu bringen, damit, wenn mißgünstige Leute Sie bereden wollten, auf die Hinterbeine zu treten, wie man zu sagen pflegt, Sie sich eines bessern besinnen, und mir Ihr Wort halten, widrigenfalls würden Sie einen schweren und langwierigen Proceß mit mir bekommen, welchem Sie doch grämer sind als einem Substituten. Aus dieser Absicht, und damit ich weiß, wie ich meine Maaßregeln einzurichten habe, will ich hierdurch in optima forma um Ihre Jungfer [250] Tochter nochmals anhalten, und versehe mich bald einer schriftlichen oder mündlichen Antwort, die, wie ich hoffe, mein Gemüth, das durch allerlei Gerüchte aus dem Gleichgewichte ist gebracht worden, wiederum beruhigen werde. Ich thue Ihnen zugleich nochmals den Vorschlag, mich zu Ihren Amtsgehülfen anzunehmen, und damit Sie sehen, daß mich nicht der Eigennutz hierzu antreibt, so will ich hiermit Verzicht auf alle Pfarreinkünfte thun, so lange Sie am Leben sind, welches der Himmel noch lange bewahren wolle. Mein Principal ist entschlossen, mir die Function, worinnen ich gegenwärtig stehe, zu lassen, folglich kann ich mich wohl ernähren. Hannchen wird als meine Frau Ihnen nicht einen Heller mehr Aufwand machen, als jetzo, da sie Ihre Jungfer Tochter ist, sie bleibet an Ihrem Brode und führet Ihr Hauswesen. Wegen der zu hoffenden Posterität dürfen Sie sich keine Sorge machen, ehe es so weit kommt, kann sich vieles ändern, findet sich indessen das Häsgen, so findet [251] sich auch das Gräsgen. Ich getraue mir übrigens die Pflichten eines Amtsgehülfen von Ihnen, eines Haushofmeisters und eines Hausvaters ganz commod, und ohne daß eine der andern Eintrag thut, zu erfüllen. Daß die von den beyden ersten Gattungen sich wohl mit einander vereinigen lassen, davon habe ich Ihnen schon gnug Beweise gegeben, und mit der letztern hat es ohnedem keine Schwürigkeit. Machen Sie mich durch eine Antwort nach meinem Wunsche so vergnügt, als ich Ihre Jungfer Tochter für die übrige Zeit ihres Lebens vergnügt zu machen gedenke, und geben Sie mir die Erlaubniß, daß ich mich in der That nennen darf

Ihren
gehorsamen Sohn
M. L. W. 


[252]
XX. Brief.
Herr Wendelin der Aeltere an Herrn L. Wilibald M.
Vom Hause den 8 Dec.

Als einsmals der große Alexander mit dem Darius, Könige in Persien, Krieg führte, schickte der letztere dem ersten einen Beutel mit Mohnsaamen, und ließ ihm sagen: Siehe, so viel streitbare Männer kann ich gegen dich ins Feld führen, als du hier Mohnkörnlein vor dir siehst. Alexander nahm eine Handvoll in den Mund, und indem er sie verzehrte, sagte er: Die Anzahl ist groß, aber die Kraft ist geringe. Hierauf schickte er dem Darius einen Beutel voll Pfefferkörner zur Vergeltung seines Geschenkes, und ließ ihm sagen: Versuche diese, die Anzahl ist geringe, aber die Kraft ist desto größer. Sie kommen mir vor, wie der Darius, Sie schütten einen ganzen Sack [253] voll Dienstleistungen und Gefälligkeiten vor mir aus, die Sie mir wollen erwiesen haben. Ich kann nicht in Abrede seyn, daß nach Ihrer Rechnung eine große Anzahl herauskommt, doch die Erheblichkeit davon ist nicht größer als die Kraft des Mohnsaamens. Wenn ich mit Ihnen eine Abrechnung halten wollte, so könnte ich die Gefälligkeiten, die ich Ihnen erwiesen habe, von vielen Jahren her erzählen, und Ihren kleinen Dienstleistungen, die Sie mir wollen erwiesen haben, entgegen stellen. Sind jene an der Zahl nicht so groß, so sind sie es in Ansehung der Wichtigkeit, daß ich sie wohl mit den Pfefferkörnern des Alexanders vergleichen kann. Legen Sie einige Proben meiner Gewogenheit auf die Zunge einer gesunden Prüfung, um ihnen einen Geschmack abzugewinnen, so werden Sie finden, daß sie kräftiger und vortrefflicher sind, als alle Ihre kleinen Bemühungen für mich, die Sie größtentheils freiwillig übernommen haben, und dafür ich Ihnen nur aus Höflichkeit bin verbunden gewesen. [254] Ich sehe dahero gar nicht ein, aus was für einem Grunde Sie eine Belohnung verlangen, wie der Erzvater Jacob; Sie haben mir meine Rahel noch lange nicht abverdienet und werden sie auch ihr Tage nicht verdienen. Nehmen Sie nicht übel, daß ich dieses rund heraus sage, ich bin nicht fähig mich zu verstellen, ich rede so wie ich es meine. Zwar kann ich nicht umhin, die christliche Absicht die Sie gegen meine Tochter hegen, mit Danke zu erkennen, und ich wollte wünschen, daß ich mich im Stande sähe, Ihnen zu willfahren; allein da Sie jetzt noch keine Versorgung haben, denn was Ihren Vorschlag betrifft, sich mir substituiren zu lassen, so heißt es damit, wie gebethen, abgeschlagen; da auch über dieses meine Tochter zu Ihnen keine besondere Neigung spühret, ob sie Sie gleich übrigens in Ihren Würden läßt; hiernächst sehr gefährlich scheinet, wenn ich einem Menschen mein Kind anvertrauen wollte, der die gefährlichsten und irrigsten Grundsätze heget, wodurch ein schwaches [255] Werkzeug leichtlich kann verführet werden: so können Sie leicht selbst den Schluß machen, daß wir wohl nie genauer werden vereiniget werden, als durch das Band der Freundschaft, wenn dieses noch bey Ihren Grundsätzen länger bestehen kann. Mein unmaßgeblicher Rath wäre also dieser, sie sähen sich nach einer andern Parthie um, oder verbanneten noch so lange die Heirathsgedanken aus Ihrem Gemüthe, bis Sie eine Frau ernähren könnten.

Einigermaßen finde ich mich von Ihnen beleidiget, daß Sie mir meine Tochter abdringen wollen, wenn Sie mir unter die Augen sagen, daß Sie bereits meinen väterlichen Consens, sie zu heirathen, stillschweigend erhalten hätten. Sie mißdeuten ein unschuldiges Wort, das Sie einmal von mir aufgefangen haben, und ziehen daraus einen höchstirrigen Schluß. Ich will nicht in Abrede seyn, daß ich Ihnen einmal den Namen eines Sohnes beigelegt habe, wiewohl ich mich [256] dessen nicht erinnere: Ich habe es aber nicht in der Absicht gethan, wie Sie sich einbilden. Habe ich Sie so genennet, so ist dieses in Ansehung meines Alters geschehen, das mich berechtiget, Sie, der Sie jünger sind als ich, eher einen Sohn als Bruder zu nennen, und dadurch habe ich Ihnen nur meine Freundschaft bezeigen wollen. Damit Sie sehen, daß aus diesem Worte gar nichts zu machen ist, so will ich Ihnen nur das rechte Verständniß eröffnen. Wenn ich Sie meinen Sohn nenne, so betrachte ich Sie allezeit als meinen Beichtsohn, und in diesem Verstande nenne ich auch den Schäfer und den Nachtwächter meinen Sohn. Gesetzt, aber nicht zugegeben, daß ich einmal nicht abgeneigt gewesen wäre, Sie zu meinem Eidam anzunehmen, so waren Sie damals noch nicht von dem schädlichen und gefährlichen Gifte der Irrthümer, die Sie jetzt öffentlich verteidigen, angesteckt, wenigstens brauchten Sie mehrere Vorsichtigkeit, Ihre gefährlichen Meinungen zu verbergen. Weil ich Ihnen [257] nichts böses zutrauete, so verstattete ich Ihnen dann und wann, zu Ihrer eignen Uebung eine Predigt abzulegen, und diese Gefälligkeit, die ich Ihnen hierinne erwies, rücken Sie mir nun mit Unrecht als eine große Dienstleistung auf. Wenn ich gewußt hätte, was in Ihrem Herzen verborgen war, so hätte ich Sie niemals die Canzel betreten lassen, noch vielweniger würde ich die theuren Pfänder meiner Ehe Ihrem Unterrichte anvertrauet haben. Meinen Sohn haben Sie völlig verdorben, er disputirt mit mir oftmals von Dingen, die gar nicht in seinen Kram gehören, und wenn ich ihn frage, wo er die verdammten ketzerischen Argumente her hat, die er mir vorleget, so giebt er zwar vor, daß er diese schönen Sächelgen auf der Universität gelernet habe: aber ich weiß es besser, von Ihnen kommt dieser Unrath. Unsere Universitäten sind, Gott Lob, noch nicht so verderbt, wie es ehemals die hohe Schule zu Paris war, wo der Satan in eigener Person soll gelehret haben. Wenigstens kann ich mir nicht einbilden, daß [258] heutiges Tages solche Dinge auf hohen Schulen gelehret werden, wie Ihnen im Kopfe stecken. Halten Sie mir diesen Eifer zu gute, es ist ein gerechter Amtseifer. Meinem Mädchen haben Sie auch, wie ich jetzt inne werde, verschiedene seltsame Dinge in den Kopf gesetzt, daß ich das Unkraut, das Sie gesäet haben, nun mit vieler Mühe wieder ausrotten muß. Sie hat sich noch niemals unterstanden sich mir zu opponiren, aber jetzt thut sie es auch wie ihr Bruder. Da ich neulich das gottlose Buch, wodurch unser Herr Kirchpatron eben so wie Sie in viele gefährliche Irrthümer ist gestürzet worden, bei ihr gewahr wurde und mit Recht vermuthete, daß sie leichtlich mit dem pestilenzialischen Gifte der Neuerungen und Thorheiten, wozu dieses Buch verführet, könnte angestecket werden, so wollte ich ihr solches nehmen und in den Ofen schmeißen. Sie unterstund sich aber, nicht nur mich davon abzuhalten und sich meinem Vorhaben zu widersetzen, sondern hatte auch die Verwegenheit, die Lehrsätze [259] und den Innhalt desselben zu vertheidigen, ja mir sogar zuzumuthen, ich sollte die Skarteque, die so vieles Unglück in hiesigem Orte und besonders auf dem Edelhofe angerichtet hat, selbst lesen. Ich bezeigte ihr aber über diese Zumuthung einen solchen Eifer und erklärte ihr das vierte Gebot so scharf, daß sie sich seitdem nicht unterstanden hat, wieder einen Blick in das leichtfertige Buch zu thun. Urtheilen Sie hieraus selbst, ob ich Ihnen so großen Dank schuldig bin als Sie glauben, und ob Sie eine solche Belohnung, welche Sie von mir verlangen, verdienet haben oder jemals verdienen können. Meine Kinder haben Sie mit Irrthümern angefüllet, und ich bin froh, daß ich zu rechter Zeit hinter Ihre Schliche gekommen bin, damit Sie nicht noch die ganze Gemeinde verführen. Nach Ihrem bisherigen Betragen, wenn Sie auch entschlossen wären Ihre Aufführung zu ändern, werde ich Ihnen nie auf eine andere Art den Namen eines Sohnes ertheilen können, als wie Sie ihn bereits erhalten haben. [260] Meine Tochter ist nicht für Sie und Sie nicht für meine Tochter, ich wiederhole dieses nochmals. Mit dieser Antwort beruhigen Sie Sich, ohne weiter in mich zu dringen, ich sage es Ihnen zum Voraus, daß alle Ihre weitern Bemühungen werden, fruchtloß seyn. Gedenken Sie indessen eine Anforderung an mich zu haben, die gerecht und billig ist, so kommen Sie zu mir, wir wollen unsere Rechnungen gegen einander machen und zusehen, wer dem andern herausgeben muß.

Weil ich doch einmal die Feder ergriffen habe, so will ich dieser Gelegenheit mich bedienen, Ihnen im Vertrauen zu entdecken, daß Sie Sich und Ihrem Patron keine Ehre durch die Neuerungen machen, die Sie seit einiger Zeit hier angefangen haben. Sie dienen jedermann zum Gelächter, und die Leute weisen mit Fingern auf Sie. Neulich kamen ein paar Reisende zu mir, die mit Fleiß durch hiesigen Ort ihren Weg genommen hatten, um, wie sie sagten, den seltsamen Magister [261] zu sehen, der sich durch allerlei lächerliche Possen so hervor thäte, daß man von ihm in der ganzen Gegend spräche. Ein guter Freund von mir, der sich auf der Akademie aufhält, wo sie promoviret haben, berichtete mir neulich, daß die philosophische Facultät Ihnen den Gradum nebst dem Magisterringe, den Sie mit so vielen Stolze am Finger führen, wieder abzufordern im Begriff wäre. Ich kann Ihnen nicht verhalten, daß Sie diese Beschimpfung wohl verdienten. Gewissenswegen rufe ich Ihnen zu: Lassen Sie ab von den Neuerungen, die nur Schaden anrichten und unsere Gemeinde verwirren. Sie haben bisher viel böse Thaten ausgeführt: unsern Kirchthurm haben Sie um eine Glocke gebracht; den Schulmeister bei Ihrem Patron so eingeschwärzt, daß der arme Mann bald einmal Prügel bekommen hätte, welches er mir mit Thränen geklagt. Der Gemeinde haben Sie viele neue Fröhnen aufgebürdet, der Bader hat Ihretwegen ins Loch kriechen sollen, [262] jetzt martern Sie die armen Schuldiener in der Nachbarschaft, daß sie wöchentlich einen beschwerlichen Weg thun müssen, dabei bilden Sie ihnen wunderliche Dinge und einen seltsamen Stolz ein, daß sie sich gegen ihre Pfarrherren auflehnen und nicht mehr Gehorsam leisten wollen. Mit einem Worte, Sie fangen so viel Unheil an, und ich muß täglich so viel Klagen über Sie hören, daß, wenn dem Unwesen nicht bald gesteuret wird, der gänzliche Ruin unsrer Gemeinde dadurch zu befürchten stehet. Ich will zwar von Ihnen nach der christlichen Liebe das beste hoffen, und zweifle noch nicht an Ihrer Besserung; aber ich kann nicht umhin, Ihnen die Gedanken zu eröffnen, worinne ich stehe, daß Sie vielleicht gar unter dem Scheine, einige unwissende Leute gelehrt zu machen, eine alte Ketzerei, wovon Sie, wie es scheinet, vollstecken, unter diesen einfältigen Leuten aufwärmen wollen. Ich warne Sie als ein guter Freund, von diesem bösen Vorhaben abzustehen, oder ich kann Ihnen nicht [263] gut dafür seyn, daß Sie sich durch solche gefährliche und weitaussehende Dinge viel Verdruß und Unheil zuziehen werden. Der ich übrigens, wenn Sie angeloben, sich zu bessern, verharre

Ihr
aufrichtiger Freund     
Wendelin P. L.     


XXI. Brief.
L. Wilibald an Jungfer Hannchen.
den 10 Dec.
Meine Schöne,

Ob ich gleich noch nicht so glücklich bin, Sie zu besitzen, so nenne ich Sie doch, in guter Hoffnung, die meinige. Ich zweifle nicht, daß Sie für Ihren demüthigen Verehrer noch immer die Gewogenheit haben, die Sie jederzeit gegen mich haben spüren [264] lassen, wenn gleich ein grausames Schicksal, welches mich verfolgt, Sie mir zu entziehen drohet. Ich habe es Ihnen mehr als einmal zu verstehen gegeben, daß ich Sie allen möglichen und allen wirklichen Frauenzimmern auf der ganzen Welt vorziehe, und ob Sie gleich, nach Ihrer Schamhaftigkeit sich immer gestellet haben, als wenn Sie meine Sprache nicht verstünden: so bin ich doch jederzeit scharfsinnig gnug gewesen, einzusehen, daß Ihre liebenswürdige Unwissenheit, die Sie annahmen, nichts anders als eine Verstellung war. Wäre ich Ihnen mißfällig gewesen, so hätten Sie gewiß nicht Stand gehalten, wenn ich Ihnen unter dieser oder jener Einkleidung meine Neigung zu verstehen gab. Sowohl das Stilleschweigen Ihres Herrn Vaters als Ihr eigenes, gab mir zu verstehen, daß ich solches zu meinem Vortheil auszulegen hätte, ich habe dieses nach den Regeln einer gesunden Erklärungskunst gethan, und habe mich nicht getäuschet. Ich erwarte nur einen günstigen podagrischen Anfall [265] Ihres Herrn Vaters, der ihn, nach meiner Vermuthung, zu der Entschließung bringen würde, mich zu seinen Substituten und zu Ihrem ehelichen Gehülfen anzunehmen; allein da dieser gewünschte Zufall sich nicht nach Wunsche hat ereignen wollen, so scheint mein Unstern das Glück, welches ich in kurzer Zeit zu besitzen hoffte, mir aus den Händen winden zu wollen. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Hochadliche Gerichtshalter zu Schönthal, nicht nur lange ein Auge auf Sie gehabt, sondern auch dieses ohnlängst Ihrem Herrn Vater zu verstehen gegeben hat. Im Anfang, da mir diese Nachricht zu Ohren kam, lachte ich nur darüber, ich sagte bei mir selbsten: von diesem habe ich nichts zu fürchten, Herr Wendelin ist ein verständiger Mann, und Jungfer Hannchen so klug als schöne, der gute Advocate wird alle seine Fechterstreiche vergebens anwenden, und als ein Jurist mir, der ich zur theologischen Facultät gehöre, den Vorzug lassen müssen. Diese Monade von einem Rechtsgelehrten schien [266] mir zu klein, daß ich mir seinetwegen den geringsten sorgsamen Gedanken hätte sollen einfallen lassen. Aber wider mein Vermuthen wurde ich gewahr, daß, seitdem er anfing bei Ihnen anzubauen, ich in Ihrem Hause nicht mehr so wohl als vorher gelitten war. Ich schob dieses zwar auf das wunderliche Alter Ihres Herrn Vaters und auf seinen übertriebenen Eifer, mit welchem er die guten Anstalten, welche ich seit einiger Zeit auf dem Edelhofe gemacht habe, anzutasten pfleget, endlich, dachte ich, wird die gute Sache doch siegen und den Herrn Pastor Wendelin überzeugen, daß man ein guter ehrlicher Mann, und dabey ein starker Zelot für das Vorurtheil seyn kann; doch da mir gesteckt wurde, daß die Kaltsinnigkeit aus einem andern Grunde herrührete: so dachte ich, hier liegt die Schlange im Grase, es ist Zeit, daß ich aufwache und mein Recht behaupte. Von Ihnen, schönes Hannchen, bin ich völlig überzeugt, daß Sie mir jetzt gewogener sind, als da Sie bei mir in die Schule giengen, und daß Sie die Treue, [267] die mir Ihre schönen Augen geschworen haben, nicht brechen, noch vielweniger als die Tochter eines Geistlichen diesen Stand so sehr verachten werden, daß Sie ihr Herz einen Mitgliede desselben entziehen und es an einen Rechtsgelehrten schenken sollten. Ich weiß aber, welchen gefährlichen Nachstellungen junge Frauenzimmer unterworfen sind, und wie leicht sie in ihren Entschließungen können wankend gemacht werden. Erlauben Sie dahero, daß ich Ihnen, da Sie doch lauter gelehrte Liebhaber haben, alle Gattungen derselben mit wenig Worten schildere, damit Sie hieraus beurtheilen können, welche Parthei Sie zu erwählen haben, und welcher Stand sich für Sie am besten schickt. Ich habe Ihnen mehr als einmal gesagt, da Sie noch meinem Unterrichte anvertrauet waren, daß es, nach den Sprichwort, verschiedene Arten von Krebsen giebt, und so ist es auch mit den Gelehrten, es giebt unter ihnen verschiedene Gattungen, welches Sie auch daher schlüßen können, wenn Sie nur einige [268] Gelehrte in ihren Verrichtungen gegen einander halten. Zum Exempel, Ihr Herr Vater ist ein Gelehrter und kann keine Processe vertragen, der Gerichtshalter ist ein Gelehrter und nährt sich von Processen, kann aber nicht predigen. Ich bin ein Gelehrter und kann nur, vermöge meiner Wissenschaft, den Verstand bessern, aber nicht die Gesundheit des Körpers, der Herr Doctor aus H. kann die Gesundheit des Körpers verbessern, aber nicht den Verstand, und ist doch gleichwohl auch ein Gelehrter. Sie sollen demnach wissen, daß es viererlei Gattungen von Gelehrten giebt, die vornehmsten sind die Theologen, oder die Geistlichen, gegen diese habe ich Ihnen jederzeit Hochachtung eingepräget. Sie geben auf Akademien oben an, wie denn auch auf dem Lande der Pfarrer der vornehmste Mann im Dorfe ist, wenn kein Edelmann oder ein Amtmann daselbst wohnet. Die Geistlichen sind weise, verständige, gelehrte Männer, die sich zu der Wissenschaft schicken, der sie sich widmen. Sie thun Niemand etwas [269] zuwider, sondern haben mit jedermann Friede und bücken sich vor dem ärmsten eben so tief als vor Reichen und Vornehmen. Gegen das Frauenzimmer sind sie selten unempfindlich, sie verehren das schöne Geschlecht vielmehr aufs äußerste. Wenn sie sich verheirathen, so haben ihre Gebietherinnen bei ihnen die beste Zeit, ob sie gleich allen Mannspersonen bei der Trauung die Erlaubniß geben, über ihre Weiber zu herrschen, so begeben sie sich dieses Vorrechtes gemeiniglich freiwillig, und beobachten gegen sie einen genauen Gehorsam. Daher kommt es, daß die Weiber der Geistlichen, weil es ihnen so wohl gehet, allezeit hübsch bleiben und niemals vor der Zeit alt werden. Die Ehen der Geistlichen sind auch ordentlich sehr gesegnet und dauren gemeiniglich lange. Ueberhaupt ist es eine allgemeine Anmerkung, daß man ein Frauenzimmer, das einen Geistlichen geheirathet hat, niemals hat klagen hören. Die Rechtsgelehrten sind von ganz anderm Schlage. Anstatt daß alle übrigen Wissenschaften [270] sich mit Aufsuchung der Wahrheit beschäftigen, so bemühen sich diese die Wahrheit zu unterdrucken, sie sind derselben so gram wie die Fischer den hellen und klaren Wassern, diese machen solche mit Fleiß trübe und jene suchen mit Fleiß die Wahrheit zu verstecken. Alle übrigen Wissenschaften beschäftigen sich ferner mit dem Besten der menschlichen Gesellschaft, um solche zu erhalten und zu befestigen; die Advocaten und Sachwalter lernen ihre Künste nur, um Zank und Streitigkeiten unter den Menschen anzuspinnen, oder die entstandenen Irrungen zu vermehren und zu vergrößern. Wenn die Menschen es mit einander abredeten, nur ein einziges Jahr in Ruh und Friede zu leben, so würde die ganze juristische Facultät noch vor Ablauf desselbigen durch den Hunger erloschen seyn, und man würde auf den Gassen nicht mehr mir so großer Behutsamkeit gehen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, an einen Advocaten, Gerichtshalter, Sachwalter und dergleichen schädliche Leute anzustoßen. Ein Proceß [271] würde alsdenn nicht länger als eine Stunde dauren, da ihn jetzt die Rechtsgelehrten viele Jahre gangbar zu erhalten wissen. Weil diesen Leuten die Wahrheit so verhaßt ist, so darf man sich nicht wundern, wenn sie solche meiden und sich wohl hüten ein wahres Wort aus ihrem Munde gehen zu lassen, das nicht mit Unwahrheit wohl durchwürzt ist. Durch die lange Uebung werden sie wahrhafte Sceptici, die da zweifeln, ob etwas wahres in der Welt anzutreffen ist. Man kann ihren Worten folglich nicht trauen, sie sind wie der Alte in der Fabel, der in seine Hand blies, um sie zu erwärmen, und eben das that, um seine Suppe kalt zu machen, sie vertheidigen mit eben dem Munde heute eine Sache, die sie morgen aus allen Kräften bestreiten, was morgen Recht ist, muß heute Unrecht seyn, und was heute gleich ist, das ist morgen krumm. Das Frauenzimmer hat von diesen Leuten alles zu befürchten, weil sie eine Gabe haben, durch ihre Beredsamkeit die Wahrheit zu unterdrücken und die Unwahrheit auf ihren [272] Thron zu setzen, so ist es ihnen leicht, die Begriffe von Ehre und Tugend nach ihren Gutdünken einzurichten, folglich ist die Reputation eines Frauenzimmers allezeit in Gefahr, wenn sie einem Rechtsgelehrten anvertrauet wird. Ihre Treue und ihre Eidschwüre sind wie die Lufterscheinungen, die der geringste Wind verjaget. Sie lieben indessen das schöne Geschlecht, wie die Schmetterlinge die Blumen, diese setzen sich in einem Garten bald auf dieses bald auf jenes Blümchen, verlassen solches aber hierauf wieder und kehren niemals zu eben demselben zurück. Die Frau eines Rechtsgelehrten ist eine unglückliche Creatur, in den ersten Monat der Ehe muß sie alle Advocatenstreiche wissen und ausüben können, wenn sie nicht eine sehr armselige Figur machen will. Sie muß lügen, sie mag wollen oder nicht. Ihr Mann darf niemals zu Hause seyn, wenn der Client mit leerer Hand erscheinet; er muß beschäftiget seyn, wenn der Cliente ein Lamm kneipt, daß es schreien muß; läßt er aber einen Ochsen brummen, so ist der [273] Herr zu Hause, der Client hat die gerechteste Sache von der Welt, und die Frau setzt ihre Ehre zum Pfande, daß der Proceß gewonnen wird. Die dritte Gattung der Gelehrten sind die Aerzte, das sind diejenigen Leute, die Sie so sehr fürchten, und in der That sind sie allen lebendigen Geschöpfen furchtbar, wo nicht auch den leblosen. Ihre Kunst bestehet darinne, die Gesunden krank, die Kranken todt oder gesund zu machen. Wer gesund unter ihre Hände fällt, der muß so lange schröpfen, aderlassen und purgiren bis er krank wird, und ein Kranker muß sich ihren Gesetzen so lange unterwerfen, bis er gesund oder todt ist. Man hat seit langen Jahren nicht gehöret, daß die Aerzte einen Patienten verlassen haben, um die Schande zu vermeiden, daß sie die Krankheit nicht heben könnten, kuriren sie ihre Patienten, wenn sie nicht wollen gesund werden, gar zu Tode. Denn alsdenn kann man ihnen nicht vorwerfen, daß die Krankheit noch fortdauern sollte, und mithin ist sie gehoben. Nebst dieser [274] Neigung zum kuriren besitzen sie auch noch die, alles auswendig und innwendig zu begucken, von der Mücke bis zum Elephanten ist alles ihrem anatomischen Messer unterworfen. Alles was Leben und Othem hat und in die Gewalt eines nachforschenden Medici fällt, muß seiner unersättlichen Neugierde zum Opfer dienen, und ist dem Schicksal unterworfen, das die Fliegen haben, wenn sie sich in eine Spinnewebe verwickeln, nur mit dem Unterschiede, daß die Spinnen nicht so erfindungsreich an Martern sind, ihre Feinde umzubringen, als die Aerzte, allerlei Thiere hinzurichten. Was sollte sich nun wohl ein Frauenzimmer zu einem Manne zu versehen haben, der sich ein Vergnügen daraus macht, Menschen und Vieh zu martern? In der That, es gehöret eine große Entschließung dazu, einen Arzt zu lieben, nicht zu gedenken, daß er bei dem geringsten Zwist, oder wenn er es nur sonst rathsam findet, durch ein kleines requiescat in pace sich von seiner Gattin losmachen kann; wenn es ihm nur beliebet, [275] so hat die Frau eines Arztes zehnerlei Verrichtungen mehr auf sich als eine andere. Sie muß Pulver reiben, Wurzeln schneiden, Schachteln und Gläser verpetschiren, Pillen vergolden, Tropfen distilliren und doch dabei alle Pflichten einer ehelichen Gehülfin erfüllen. Hierzu kommt noch die strenge Diät, die sie beobachten muß. Alle Leckerbisgen, die dem Manne überaus wohl bekommen, sind der Frau schädlich. Er trinkt Coffee, sie bekommt Kräuterthee. Er trinkt Wein und für sie bereitet er einen Habertrank. Er läßt für sich sieden und braten, sie verzehret eine Wassersuppe und Salat.

Die vierte Classe der Gelehrten bestehet aus Philosophen. Diese werden zwar unter den Gelehrten für die Geringsten, dem Range nach, gehalten, aber in Ansehung der Verdienste, sollten sie neben den Theologen stehen, und so war es auch ehedem bei den Alten, da waren die Philosophen freie Leute, die Aerzte aber Knechte, die Rechtsgelehrten waren [276] damals unter den Gelehrten noch nicht zünftig, und hatten also keinen Rang. Seitdem aber diese beiden Gattungen der Gelehrten ihr Haupt mit vielem Stolz empor gehoben haben, so ist es den guten Weltweisen ergangen, wie den hölzernen Wegweisen an den Straßen, diese zeigen jedermann den rechten Weg und kommen selbst niemals von der Stelle. Unterdessen obgleich die Philosophen keinen großen Rang haben, so sind sie doch angesehene Leute und es stehet beinahe das ganze Reich der Gelehrsamkeit ihnen zu Gebothe. Ihre Wissenschaft ist einer Zauberei ähnlich, sie kennen die Leidenschaften der Menschen aufs genaueste, es ist ihnen also leicht, bald diesen bald jenen Affect zu erregen. Dahero sind sie auch gemeiniglich in der Liebe glücklich; alle Wege, sich in das Herz der Schönen einzuschleichen, sind ihnen bekannt, sie wissen durch ihren Verstand und Witz das schöne Geschlecht zu bezaubern, daß ihnen ein Mädchen selten aus dem Garne gehet, wenn sie auf Eroberungen ausgehen. [277] Diese Leute sind um deswillen auch bey dem Frauenzimmer wohl gelitten, weil sie eben so schwatzhaft sind als die Schönen, und sich dahero vollkommen zu ihnen schicken, über dieses verehren sie das schöne Geschlecht aufs äußerste. Wenn alle Frauen Sklavinnen ihrer Männer sind, so sind die Frauen der Philosophen Königinnen. Sie dürfen es wagen die philosophische Gelassenheit ihrer Männer zu prüfen, ohne daher nachtheilige Folgen zu erwarten. Sokrates, einer der vortrefflichsten Weltweisen aus dem Alterthume, hatte eine solche Ehetirannin, die ihr Andenken durch ihre Bosheiten gegen ihren Herrn bis auf unsre Zeiten erhalten hat. Da sie einsmals diesen Weltweisen durch eine Ladung von Schmähreden zwang, sein Haus zu verlassen, und ihm noch darzu ein Geschirr voll unreines Wasser über den Hals goß, ließ dieser Weltweise hierüber keine andere Empfindlichkeit spühren, als daß er zu seinen Freunden sagte: ich dachte wohl, daß auf dieses Ungewitter ein Platzregen folgen würde. [278] Sehen Sie, schönes Hannchen, das ist ein kurzer Abriß aller Gattungen der Gelehrten und ihres Betragens gegen die Schönen. Ich bin versichert, daß Sie aus allen vier Facultäten Anbether haben: denn der Medikus, welcher ihren Herrn Vater dann und wann in der Kur hat, thut nach allen Gründen der Wahrscheinlichkeit nicht so oft einen Weg von drei Meilen, seinem Patienten, sondern vielmehr Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich bin aber versichert, daß weder die Profeßion eines Rechtsgelehrten noch eines Arztes Ihnen gefallen kann, die beiden andern Facultäten gefallen Ihnen ohne Zweifel besser. Da ich nun zu beiden gehöre, so hoffe ich nicht, daß Sie, an einen Mann der zu einer andern Facultät gehöret, Ihr Herz, das ohnedem nicht mehr Ihr Eigenthum ist, verschenken werden. Indessen hat mir, ob ich Ihnen gleich alles Gute zutraue, eine kleine Kaltsinnigkeit, die Sie seit einiger Zeit gegen mich haben spühren lassen, einige Unruhe verursachet. Wenn Ihre Absicht dabei gewesen [279] ist meine Liebe nur destomehr anzufeuern, so will ich Ihnen gestehen, daß Sie diese vollkommen erreicht haben, ich verehre Sie jetzo mehr als jemals, es ist also Zeit, daß Sie meine Marter endigen. Das Nadelbüchsgen, das ich Ihnen vor einiger Zeit verehret habe, rufet Ihnen durch seine Devise, so oft Sie solches in Ihre schönen Hände nehmen, in meinem Namen zu

Finissez mon martyre,
Vous voyez que j’expire!

Jedoch vielleicht hat Ihnen auch der Gehorsam gegen Ihren Herrn Vater, der einige Zeit daher nicht mit mir zufrieden scheinet, diese kleine Vorstellung, worüber ich mich so sehr beklage, abgenöthiget. Wollte der Himmel, daß ich Ihre kaltsinnige Mine für einen Beweis annehmen dürfte, daß Ihr Herz desto feuriger liebt! Ich sehe den zureichenden Grund Ihres Betragens nicht vollkommen ein, und daher laufe ich immer Gefahr, falsche Schlüsse zu machen und mich in meinem [280] Urtheilen zu hintergehen. Um diesem Uebel vorzubeugen, beschwöre ich Sie bei der Hochachtung, die ich Ihnen gewidmet habe, mir insgeheim in dieser Sache einige Erläuterungen zu geben, ich hoffe dadurch vollkommen wieder beruhiget zu werden. Kann ich Ihre holden Blicke verdienen, wenn ich mich bei Ihren Herrn Vater wieder in Gunst setze: so gebe ich Ihnen die Versicherung, daß ich meine schönsten Anschläge daran spendiren und eher die Ehre verliehren will eine gelehrte Gesellschaft gestiftet zu haben, als mich der Gefahr blos zu stellen, Ihre Gunst einzubüßen. In der Erwartung einer günstigen Antwort, verharre ich in der unveränderlichen Hochachtung Ihrer schönen Person

Dero
getreuester Verehrer
M. L. W. 


[281]
XXII. Brief.
Lampert Wilibald an den Herrn v. F.
den 14 Dec.

Die Neigung zur Billigkeit und Gerechtigkeit ist in Dero Hochadlichem Hause eine so bekannte Tugend, daß auch Ihre vortrefflichen Ahnen davon verschiedene Zunahmen erhalten haben. Einer Ihrer löblichen Vorfahren hieß Justus v. F. oder der Gerechte, ein anderer nennt sich in einem Vertrage, den er mit den Vorfahren meines Patrons errichtet hat, Aeques, welches ohne Zweifel Aequs, oder der Billige, heißen soll, und keinesweges, wie einige glauben, eine fehlerhafte Schreibart des Wortes Eques seyn mag, wodurch man diesen Herrn einer groben Unwissenheit beschuldigen würde. Sie haben sich auch jederzeit, beflissen, die Gerechtigkeit in den Ihrer Gerichtsbarkeit unterworfenen Orten aufs genaueste [282] und sorgfältigste auszuüben, und dadurch bewiesen, daß Sie auf eine rühmliche Art in die Fußstapfen Ihrer vortrefflichen Anherren getreten sind. Der Geringste Ihrer Unterthanen kann sich rühmen, daß ihm nie der Weg zur Gerechtigkeit versperret ist, und der angesehenste derselben darf sich nicht erkühnen, eine Ungerechtigkeit zu begehen, wenn er nicht die nachdrücklichste Ahndung davon besorgen will. Die Gewogenheit, womit Sie mich jederzeit beehret haben, läßt mich hoffen, daß ich von Ihnen eben das erwarten kann, was Sie dem geringsten Ihrer Unterthanen nicht versagen, und darinne bestehet, daß man ihre Gerechtigkeit anflehen darf, wenn man von bösen Leuten angetastet wird, und schleuniger Hülfe vonnöthen hat.

Ich sehe mich genöthiget, gegen Ihren Gerichtshalter eine gerechte Klage zu erheben, welcher kein Bedenken trägt, das an mir im Großen selbst auszuüben, was er täglich an andern mit so vielem Eifer im Kleinen bestraft. [283] Wenn sich jemand erkühnet, einige Rüben von dem Acker seines Nachbars sich zuzueignen, so pflegt er dieses aufs härteste zu bestrafen, wenn er aber selbst das Eigenthum eines andern sich zueignet, so macht er hierüber nach seinem weitläuftigen juristischen Gewissen sich nicht den geringsten Kummer. Ew. Gnaden kann so wenig als jemanden in der hiesigen ganzen Gegend unbekannt seyn, daß ich schon seit einigen Jahren ein ehrliches Absehen auf die Jungfer Tochter des Herrn Pfarr Wendelins allhier gehabt habe, sie zu ehlichen, und mich ihrem Vater als einen Substituten beifügen zu lassen. Er hat mir auch so viele gute Vertröstungen diesfalls gegeben, daß ich nicht mehr an der Erfüllung meines Wunsches zweifelte. Ich glaube nicht, daß ich tadelhaft bin, mich eher um die Quarre als um die Pfarre beworben zu haben, denn außerdem daß dieses jetzt die allgemeine Mode ist, und allezeit von hundert meiner Herren Collegen neun und neunzig seyn werden, die sich ein Bisgen [284] verplämpert haben, ehe sie zu einer Bedienung gelangen, so kan auch Niemand einsehen, was daher für großes Unheil erwachsen sollte. Es ist vielmehr ganz löblich, daß man sich in Zeiten um eine Liebste bewirbt, denn wenn man einmal ins Amt kommt, und die Geschäfte und Sorgen sich mehren, so hat man nicht Zeit, ans heirathen zu denken, und ehe man sichs versiehet, hat man sich ins Hagestolzenrecht geschworen. Genug, ich hatte mir Jungfer Hannchen zu meiner zukünftigen Gattin ausersehen, allein verschieden gute Anstalten, womit ich mich einige Zeit zum Besten meines Patrons und des Publici beschäftigte, setzten das Ziel meiner Wünsche etwas weiter hinaus, als ich im Anfang dachte. Inzwischen da ich mir schmeichelte, daß mein Glück gewiß genug wäre, sahe ich diese Verzögerung ganz gleichgültig an: weil ich voraus sahe, daß vielerlei nützliche Projecte, deren Ausführung Mühe und Sorgfalt erforderte, unterbleiben würden, wenn ich einmal verehlichet wäre, [285] und im Amte stünde; doch wider mein Vermuthen fand ich mich in dieser süßen Hoffnung getäuschet. Ich brachte nicht nur in sichere Erfahrung, daß Dero Gerichtshalter, ungeachtet es ihm zuverläßig bekannt war, daß ich Jungfer Hannchen als mein Eigenthum betrachtete, sich die Freiheit genommen, sie insgeheim zu verehren, sondern es hat auch derselbe sich erkühnet, durch einen Abgeordneten sein Wort gestern bei ihrem Vater anbringen zu lassen, und will mir also wider meinen Dank diesen Bissen vor dem Maule hinwegnehmen. Es heißt zwar nach dem Sprüchworte: inter arma silent leges, und er scheinet die Absicht zu haben, von diesem alten Canon Vortheil zu ziehen: allein wenn dem also ist, so wird er selbst bekennen müssen, daß er jetzo auch unter die unnützen Meublen gehöret, und er kann seine Gerichtsstube nur immer zuschlüßen. Da ich nun seit vielen Jahren auf dieses Frauenzimmer eheliche Absicht geheget habe, und zwar ehe er noch an sie hat denken können; [286] sie auch wegen meines getreuen Unterrichtes, den ich ihr gratis ertheilet, mir mehr als ihrem leiblichen Vater schuldig ist, weil man nach dem Ausspruche des großen Alexanders denen Eltern nichts als das liebe Leben, denen Lehrmeistern aber, daß man wohl lebet, zu verdanken hat: so habe ich gleichsam ein jus quaesitum auf sie erlanget, und werde mich von meinem Rechte durch einen andern nicht abtreiben lassen. Zu der Gerechtigkeitsliebe Ew. Gnaden habe ich das gute Vertrauen, daß Sie ihre Autorität in dieser Sache zu interponiren, und diesen Verwegenen von seinem bösen Vorhaben abzuhalten Sorge tragen werden. Aus dieser Ursache ersuche ich Hochdieselben unterthänig, nachdrückliche Dehortatoria an meinen Rival entweder mündlich oder schriftlich ergehen zu lassen, damit ein solches unerhörtes Factum der Gerechtigkeit zur Schande nicht von einer Person, die zur Aufrechthaltung derselben bestimmt ist, vollbracht, und mir dadurch ein unersetzlicher Verlust verursachet werde. Eine [287] solche Gnade will ich mit goldenen Buchstaben in das Buch der Unvergeßlichkeit eintragen, und verharre mit der vollkommensten Hochachtung

Ew. Gnaden
unterthäniger Diener
M. L. W. 


XXIII. Brief.
Beantwortung des Vorigen von dem Herrn v. F.
den 15 Dec.
Werther Freund,

Ich gerieth durch Ihren Brief in große Bestürzung, da ich wahrnahm, daß mein Gerichtshalter sich sollte haben einfallen lassen, Ihnen Ihre Liebste abspänstig zu machen, und dadurch einem Manne, den ich sehr hochschätze, Gelegenheit zu geben, sich entweder zu Tode zu grämen, oder doch in Verzweiflung zu gerathen. Weil Sie mir die Ehre anthaten und bei mir Hülfe suchten, auch mir und allen meinen Vorfahren einen sonderbaren Trieb zur Gerechtigkeit beilegten, wodurch meiner Eigenliebe nicht wenig geschmeichelt [288] wurde: so nahm ich mir von Stund an vor, Sie zu überzeugen, daß ich nicht aus der Art geschlagen bin, sondern meinen Vorfahren in der Liebe zur Gerechtigkeit nichts nachgebe, oder wohl gar in dieser Tugend sie noch übertreffe. Ich ließ meinen Gerichtshalter in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief gelesen hatte, zu mir kommen, um ihn wegen seines bösen Vorhabens Sie zu einen unglücklichen Liebhaber zu machen, zur Rede zu setzen, und da ich von ihrer gerechten Sache beinahe überzeugt war, so nahm ich mir vor, ihn alsbald aus meinen Diensten zu entlassen, wenn er nicht in sich gehen, und von seinem Anschlage in continenti abstehen wollte. Hören Sie nur, was ich für eine Procedur mit ihm vornahm. Herr Gerichtshalter, sagte ich mit einem sehr sträflichen Gesichte, habe ich sie nicht in meinem District zum Richter gesetzt, um die Gerechtigkeit aufs genaueste auszuüben. Er antwortete ja. Ist es wohl erlaubt, fuhr ich fort, daß der, der über Recht und Gerechtigkeit halten soll, selbst ungerecht handeln darf? Antwort nein. Warum haben sie dem Herrn Magister Lampert seine Liebste abgespannet, und dadurch seine Liebe und alle seine süßen Hoffnungen krebsgängig gemacht? Ich ärgere [289] mich wenn ich vernehme, daß jemand in meinem Gerichtsbezirk einen Strohhalm sich zueignet, der ihm nicht gehöret, und sie wollen sich das Herz eines Frauenzimmers zueignen das der Herr Magister gebildet hat, und darauf er bereits ein jus quaesitum zu haben glaubt? Anstatt über diesen Vortrag zu erschrecken fing er an abscheulich zu lachen, wodurch ich noch mehr entrüstet wurde, aber er ließ es hierbei nicht bewenden, er fing an sich so geschickt zu vertheidigen und den statum controversiae dergestalt zu formiren, daß ich den Leviten im Sinne behalten mußte, den ich ihm zu lesen gedachte, und nur froh war, daß er nicht von mir verlangte alles was er gethan hatte, gut zu heißen. Patron, sagte er, der Herr Lampert muß in der Liebe und in der Kenntniß des menschlichen Herzens, sehr unerfahren seyn, so gelehrt er auch aussiehet, wenn er glaubt daß ihn Hannchen jemals mit ihrer Gunst beehret hat. Sie ist ihm schon gram gewesen da sie noch bei ihm in die Schule gegangen ist, und nachher da er angefangen hat ihr dann und wann etwas verbündliches nach seiner Art zu sagen, ist er ihr ganz unerträglich worden. Sie hat ihm mehr als einmal mit dürren klaren Worten gesagt, daß sie lieber den Nachtwächter als [290] ihn lieben wollte; allein nach seiner Erklärungskunst hat er auch aus diesen Worten etwas vortheilhaftes für sich erzwingen wollen, oder hat sich wenigstens eingebildet, daß sie sich nur verstellte. Ich will zwar nicht leugnen, daß der Herr Magister dieses Frauenzimmer eher geliebt als ich, daran aber liegt ganz und gar nichts, man muß sehen was auf ihrer Seite geschehen ist. Sie hat mir mehr als einmal gestanden, daß Herr Lampert jederzeit das Unglück gehabt hätte, ihr als ein Liebhaber zu misfallen, ob sie ihm gleich übrigens in seinen Würden ließ, auch nicht in Abrede seyn wollte, daß sie sich manchmal an ihm belustigte weil er so witzig wäre, daß kein königlicher lustiger Rath drolligtere Einfälle haben könnte. Da nun also, fuhr er fort, ihr Herz res nullius war, so hieß es nach der juristischen Regel cedit prius occupanti, ich suchte es zu erobern und war hierinne nicht unglücklich. Gegenwärtig gehört es mir zu; Jungfer Hannchen und ich haben einander eine ewige Treue gelobet, ich habe vor einigen Tagen ordentlich durch einen guten Freund bei ihrem Vater um sie anhalten lassen, worauf ich von dem Herrn Pastor Wendelin die Antwort erhalten, daß heirathen ein schweres Werk sey, er wollte mit seiner Tochter die Sache überlegen und erstlich [291] beten, in acht Tagen sollte ich darauf selbst nach Kargfeld kommen und das Jawort in eigener Person abholen. Der Herr Pastor siehet schon im prophetischen Geiste voraus daß unsre Heirath im Himmel gemacht ist, deswegen weiß er bereits die Wirkung seines Gebetes und hat mir schon einen Termin beschieden, die Sache ins reine zu bringen. Ich gestehe Ihnen, werther Freund, daß ich über diese Dinge, welche mein Gerichtshalter vorbrachte noch bestürzter war als über Ihren Brief, vorhero hatte ich Ihnen vollkommen Recht gegeben und war auf ihrer Seite, nun schien es, daß Ihr Rival ein besseres und gegründeter Recht als sie zu dem strittigen Frauenzimmer hätte. Inzwischen wollte ich Ihre Parthie nicht sogleich verlassen, und ersuchte ihn mir den Gefallen zu erweisen, von dieser Heirath abzustehen und Ihnen die Beute zu überlassen: er beschwor, mich aber bei dem Triebe zur Gerechtigkeit, den ich von meinen Ahnen ererbet hätte, keine solche Ungerechtigkeit gegen ihn zu begehen und meine Vorfahren dadurch in der Erde zu beschimpfen. Ich würde, wenn ich unpartheiisch dächte, selbst erkennen, daß er seine Braut mit dem besten Recht besäße, und drang so heftig auf den angeführten juristischen Canon, daß ich nicht ein Wort gegen ihn aufbringen konnte. Ich fand [292] mich von seiner gerechten Sache vollkommen überzeugt, und verschwieg ihm dieses nur aus Freundschaft gegen Sie. Indessen zweifle ich nicht, daß Sie nach Ihrer Scharfsinnigkeit im Disputiren im Stande wären, neue Zweifel bei mir zu erregen und dem Gerichtshalter sein Recht von neuem abzudisputiren, ich thue Ihnen dahero den Vorschlag einen gelehrten Kampf mit Ihrem Rival hier anzustellen und die Mitglieder der Julianenakademie, oder in so fern diese Ihrem Gegner partheiisch scheinen möchten, andere gelehrte Männer zu Schiedsrichtern zu erwählen, die ich auf einen Tag, der Ihnen beliebt, zu mir will bitten lassen, alsdenn sollen Sie mit ihrem Contrepart ihre Händel durch einen gelehrten Zwiekampf schlichten, wer den andern die Braut abdisputiret, mag sie heimführen. Sie sehen, daß ich für Sie nichts weiter thun kann, die gute Sache wird ganz gewiß nach Ihrem Wahlspruch siegen, ich werde mit Vergnügen sehen, wenn Sie ihren Gegner so eintreiben, daß er nicht ein Wort mehr gegen Sie aufbringen kann: sollte ihnen aber dieses widerfahren, so können Sie versichert seyn, daß ich Sie aufrichtig bedaure, und alsdenn wird dieses mein Trost seyn, daß ich eine vortreffliche Satyre von Ihnen zu Gesichte bekomme, die Sie auf denjenigen zu verfertigen sich entschlossen [293] haben, der bei Hannchen glücklicher seyn würde als Sie. Gelingt Ihnen hierdurch Ihr Vorhaben, daß Ihr Nebenbuhler sich darüber zu Tode ärgert, so dürfen Sie das Spiel nur da wieder anfangen wo Sie es jetzo gelassen haben, und alsdenn werden Sie doch auf die eine oder andere Weise in Ihrer Liebe glücklich seyn. Beim Schlusse meines Briefes fällt mir noch ein sehr gutes Mittel ein, wie Sie sich um Ihre Schöne verdient machen und Ihren Rival für seine Verwegenheit züchtigen können, Sie haben ja noch den Säbel, den Sie als Husar ehemals geführet haben, glücklicher Weise hat es sich gefügt daß mein Gerichtshalter auch einige Jahre unter den Husaren gedienet hat, wie wäre es, wenn Sie, anstatt sich mit ihm in einen Gelehrten Weltstreit einzulassen, auf gut husarisch auf den Hieb eins mit Ihm wagten? Es wird mir ein besonderes Vergnügen seyn diesen Scharmützel beizuwohnen. Wenn Sie in meinem Gebiethe ihre Sache ausmachen wollen, so verspreche ich Ihnen, im Fall Sie Ihren Gegner aus den Sattel heben, frei und sicher Geleit: sollte Ihnen dieses aber selbst begegnen, so mache ich mich anheischig, ohngeachtet der Aussprüche des tridentinischen Concilii, Ihnen ein ehrliches Begräbniß zu verschaffen, wenigstens würde man auf diese Weise am ersten sehen, [294] wer das vollkommenste Recht zu dem Frauenzimmer hat. Ich überlasse Ihnen die Wahl von diesen Vorschlägen Gebrauch zu machen oder nicht, und erwarte Ihre Antwort. Uebrigens verharre ich

Dero
geneigter Freund
v. F. 


XXIV. Brief.
An Herrn Lampert Wilibald vom Herrn G.
Schönthal den 16 Dec.
Mein Herr,

Ich müßte niemals ein Soldat gewesen seyn, oder diesem Stande eben so wenig Ehre als Sie gemacht haben, wenn ich die beleidigende Art, womit Sie mir begegnen, mit Stilleschweigen übersehen wollte. Es ist Ihnen nicht genug meine Braut mir abspänstig machen zu wollen; Sie haben sich auch vorgenommen, es bei meinem Principal dahin zu bringen, daß er mich aus seinem Dienst entlassen soll. Es hat bald das Ansehen, daß Sie mit mir eben so umspringen wollen, als mit dem Verwalter [295] Bornseil, der so lange er lebet, über Sie seufzet: aber hören Sie, nehmen Sie sich vor mir in acht, an mir finden Sie Ihren Mann, der Krug geht so lange zum Wasser, bis er zerbricht. Der geringste Anschein einer Bosheit, die Sie gegen mich im Sinne haben, bricht Ihnen zuverläßig den Hals. Ich habe meine Canäle, durch welche ich alles, was Sie gegen mich schmieden, gewiß entdecke, und damit Sie überführet werden, daß dieses keine leeren Worte sind, so will ich Ihnen davon Beweise vor Augen legen. Ich weiß, daß Sie einen sehr langen Brief, der mit den verkehrtesten Einfällen angefüllet ist, an den Herrn Pfarr Wendelin geschrieben, und in solchem um meine Braut gleichfalls Anwerbung gethan haben; ich weiß auch, daß Sie noch an eben demselben Tage eine abschlägliche Antwort erhielten. Es ist mir nicht unbekannt, daß Sie hierauf, um Ihren Korb in bester Form Rechtens zu erhalten, selbst an Jungfer Hannchen geschrieben, und in diesem Briefe mich und meine Herren Amtsbrüder abscheulich herum genommen haben, daß wenn ichs genau suchen wollte, Sie als ein Pasquillant mir eine kniende Abbitte thun sollten; aber ich denke von Ihnen: heu quantum distas ab ego! Ich [296] will mich mit Ihnen in keine Weitläuftigkeiten einlassen, und meine ganze Rache, die ich diesfalls an Ihnen suche, soll darinne bestehen, daß ich Ihnen melde, daß Jungfer Hannchen den Brief nicht einmal erbrochen, noch viel weniger gelesen hat, dahero werden Sie auch vergeblich auf eine Antwort warten müssen. Wenn Sie nicht eben sowohl ein Gelehrter wären, als ich, so würde ich Sie bereits nach Verdiensten gezüchtiget haben: da wir aber in Ansehung des Standes einander gleich sind, so will ich Ihnen alle Rechte eines gelehrten Ritters zugestehen, und verspreche Ihnen als ein rechtschaffener Mann, wenn Sie etwas an mir zu suchen, Satisfaction zu geben. Doch weil ich mich nicht lange mit Ihnen aufzuhalten gedenke, so müssen unsere Händel binnen hier und 24. Stunden ausgemacht seyn. Wenn Sie in dieser Zeit sich nicht hier in Schönthal nach dem Vorschlage, den Ihnen der Herr von F. bereits gethan hat, auf dem Kampfplatze einfinden, so nehme ich dieses so an, als wenn Sie von allen vermeintlichen Anforderungen an Jungfer Hannchen abgestanden wären. Regen Sie sich hernach, so geht es Ihnen übel, und Sie können in angeschlossenem Reglement, das ich zu Ihrem Besten entworfen [297] habe, ersehen, was Sie bei dem geringsten neuen Angriff, den Sie wagen, zu erwarten haben. Wollen Sie sich aber mit mir in einen Kampf einlassen, so haben Sie die Wahl des Gewehres, welches wir brauchen wollen, Sie können den Säbel oder die Zunge wählen. Der Herr von F. hat sich erbothen, bei unserm Streit aufs gleiche zu sehen, und dem Theile, welcher überwindet, die Beute zuzusprechen. Machen Sie sich aber ja keine Hoffnung, den Sieg über mich davon zu tragen, ich verlasse mich auf beides, auf meine gerechte Sache und auf meine Kunst. Wenn Sie es nicht bereits wissen, so will ich es Ihnen hierdurch bekannt machen, daß ich die Zunge mit eben der Geschicklichkeit als die Feder oder den Degen zu regieren weiß. Ich erwarte Ihre Entschließung, die entscheiden wird, ob ich mich ihren Freund oder Feind nennen kann.

H. 
Anschluß.

Zweimal drei nützliche Regeln für den Herrn Lampert Wilibald, welche er in Puncto seines Betragens gegen mich und ein junges Frauenzimmer, die meine Freundin ist, zu beobachten, oder [298] widrigenfalls die darauf gesetzte Bestrafung ohnfehlbar zu gewarten hat.

*     *     *

1. Soll er weder directe noch indirecte Jungfer Hannchen mit seiner Liebe ferner behelligen, bei Verlust seines rechten Ohres.

2. Er soll mir weder bei dieser Schönen noch bei ihrem Vater, am allerwenigsten aber bei meinem hochgebietenden Herrn v. F. einen bösen Leumund machen, widrigenfalls wird man ihn nöthigen, ein Dutzend Tassen siedendheißen Koffee zu trinken, wodurch seine verleumderische Zunge dergestalt wird verbrannt werden, daß er sie niemals wieder wird mißbrauchen können.

3. Er soll sich nicht gelüsten lassen, in der Kirche immer die Augen aus sie gerichtet zu haben, und sich kühnlich unterfangen, sie durch das Fernglas zu betrachten, oder man wird ihn auf den rechten Auge blenden lassen.

4. Wenn ich, als der einzige rechtmäßige Verehrer dieses Frauenzimmers, derselben oder ihren Herrn Vater, meinem insonders hochgeehrten zukünftigen Herrn Schwiegerpapa einen Besuch abstatte, so soll er sich nicht erkühnen, heimlich unter das Fenster sich zu schleichen, um zu hören, was gesprochen wird, widrigenfalls hat er zu erwarten, daß man ihn durch ein paar handfeste Drescher wird greifen, und ohne Barmherzigkeit zu dienlicher Abkühlung seiner verliebten Hitze, mit Haut und Haar in die öffentliche Schwämme hinein werfen lassen.

[299] 5. Weil er schon ehemals soll gedrohet haben, gegen denjenigen, welcher außer ihm Jungfer Hannchen lieben würde, eine so beißende Satyre abzufassen, daß der unglückliche Liebhaber sich darüber zu Tode ärgern müßte, und nun unter der Hand verlauten will, daß er dieses gefährliche Werk wirklich unter der Feder habe, welches seinen Rival, so bald er es zu Gesichte bekäme, gleich einem schädlichen Basilisken ums Leben bringen könne: so wird ihm wohlmeinend angerathen, von dieser bösen Arbeit abzustehen, auch sogleich nach Verlesung dieses, dasjenige, was er bereits daran ausgearbeitet hat, zu zerreißen und ins Feuer zu werfen, oder man wird ihn zu zwingen wissen, diese Schrift öffentlich zu widerrufen, sich ins Angesicht zu schlagen, und solche zu verschlingen.

6. Wird ihm auferlegt, das Pfarrhaus nicht nur gänzlich zu vermeiden, sondern auch keine Briefe, weder an den Herrn Pfarr Wendelin, noch dessen Tochter abgehen zu lassen. Im Uebertretungsfall sollen ihm zweimal zwey und funfzig Streiche nach türkischer Manier auf die Fußsohlen, durch meinen Zahlmeister richtig zugezählet werden. Wornach er sich zu achten und für Schaden und Nachtheil zu hüten hat.


XXV. Brief.
Der Herr v. N. an den Herrn v. F.
den 18 Dec.
[300]
Werther Freund,

Sie machen mir die Zeit ziemlich lang, ehe Sie mir einmal wieder Lection geben, wie ich in meiner Liebe gute Progressen machen soll. Ich habe Ihnen, denke ich, Zeit genug gelassen Mittel und Wege ausfündig zu machen, wie ich am füglichsten zu meinem Zwecke gelangen kann, wenn Sie noch nichts erfunden haben so rühmen Sie sich nicht, daß Sie sinnreich sind. Ich glaubte nicht, daß ich das alte Jahr als ein Junggeselle beschlüßen würde, und war meiner Sache so gewiß, daß ich nicht mehr daran zweifelte. Sie wissen, daß ich meine Unternehmungen gern bald zu Stande bringe, bald dazu und späte davon das ist mein Wahlspruch. Sie haben eine große Gabe zu zaudern, es gehet mit ihren Rathschlägen und Unternehmungen so langsam als auf dem Reichstage zu. Es wäre kein Wunder, wenn ich alt und grau über meiner Freierei würde. Machen Sie, daß die Sache zu Stande kommt, oder ich thue zweierlei, Sie verliehren an mir einen Mündel, der sich Ihrer Sorgfalt in der wichtigsten Angelegenheit seines Lebens anvertrauet, und ich wende mich an den Baronet und nehme Ihn zum Führer an. Er soll mir eine Vorschrift schicken, wie ich meinen Angriff auf das Mädchen [301] das ich liebe, veranstalten soll. Ich traue ihm zwar bei unsern vaterländischen Schönen nicht viel Erfahrung oder Glücke zu: ich weiß aber doch gewiß, daß ich bei seinem Rathe besser fahren werde als bei dem Ihrigen. Nach dem Sprichwort heißt es zwar, Arzt hilf dir selber, es wäre wohl am besten, daß ich bei mir selbst Rath nähme, denn zu den Magister Lampert habe ich, seitdem ihn die Tochter meines Pfarrers hat durch den Korb fallen lassen, nicht das geringste Vertrauen mehr: allein ich fürchte, daß ich auch nicht die rechte Methode treffen möchte, mich bei dem Mädchen einzuschmeicheln. Wenn Sie mir versprechen wollen, künftig eifriger Hand an das Werk zu legen, so will ich Ihr Kundmann bleiben und Ihrem Rath so genau befolgen, als wenn ich ihn von den sieben Weisen aus Griechenland bekommen hätte.

Ist es denn wahr, was mir neulich Fräulein Amalia sagte, daß der Major Fräulein Julgen eine prächtige Kutsche geschenket hat? Eine Windkutsche wird es wohl seyn, oder wenn etwas daran ist, so wird es wohl nicht viel mehr als eine alte Karrethe seyn, die er einen Marquetender abgekauft hat: Die Officiers sind sonst nicht gewohnt so gar viel zu verschenken, demantne Ohrengehänge und ein Staatswagen [302] sind schon Geschenke die etwas sagen wollen, ich weiß nicht was ich davon glauben soll. Fräulein Amalia, das lose Mädchen, schlug mir vor, ich sollte Julgen ein paar Pferde vor die Kutsche verehren, diese würden solche hinziehen wohin ich sie haben wollte, ein feiner Rath! Jetzt sind die Zeiten darnach, daß man ein Gespanne Pferde verschenken kann, das ist kein Fürst zu thun im Stande. Sie mag sehen, wo sie Pferde bekommt, von mir hat sie keine zu hoffen. Wir haben hier einen sehr künstlichen Korbmacher, der sagte mir vor einigen Tagen, er wollte so natürlich eine Portechaise flechten, wie man si[e in der] Stadt zu haben pflegt, was meinen Sie, wenn ich eine machen ließ, ich wollte sie hübsch mahlen und vergulden auch fein ausschlagen, und sie dem Mädchen nebst ein paar Dreschern, die eher zu haben sind als ein paar Pferde, auf Weinachten bescheren lassen. Sonntags, da diese Kerls ohnedem das Brodt nicht verdienen, das sie verzehren, sollen sie allezeit nach Wilmershaußen gehen und Fräulein Julgen in die Kirche und auch spatzieren tragen, alsdenn gehen sie Montags wieder bei mir in die Arbeit. Wenn dieser Vorschlag Ihren Beifall findet, so soll er bald ausgeführet werden.

Sagen Sie mir doch was ich mit meinem Pfarrer anfange, er ist ein grundböser Mann. [303] Wenn er mich in den Bann thun könnte, so machte er sich kein Gewissen daraus. Lampert hat ihn bei mir immer die Stange gehalten und mich besänftiget, wenn ich ihm eins habe versetzen wollen: aber jetzt da er ihn nicht mehr vertritt, bin ich mehr als jemals gegen ihn aufgebracht. Einige wollen sagen, er hätte, weil er mir nichts anhaben kann, und doch gleichwohl an mir reiben will, eiserne Nägel in die Absätze schlagen lassen, und marschirte beständig über den Grabstein eines meiner Ahnen, der in der Kirche liegt, mit so nachdrücklichen Schritten hinweg, daß dadurch das Gesicht dieses meines Vorfahren, der, wie Sie wissen, in Stein ausgehauen ist, sehr wäre beschädiget worden. Ich habe, um hinter die Wahrheit zu kommen, ihm heute einen Schuh abfordern lassen, solchen in Augenschein zu nehmen: er hat mir aber diesen verweigert. Ich kann daraus nichts anders schlüßen, als daß er sich nicht sicher weiß, und das corpus delicti nicht aushändigen will, weil dadurch die Bosheit an den Tag kommen würde. Er soll mir aber den Possen nicht umsonst gespielet haben, ich will ihn verklagen und ihn so hetzen, daß er bald zu Kreuze kriechen soll. Lampert meint, er käme darüber vom Dienste und das wäre ihm auch gar recht. Lampert, der arme Teufel [304] ist ganz melancholisch, daß ihm seine Liebste aus dem Garne gegangen ist, unterdessen will er es mit Ihrem Gerichtshalter weder auf den Hieb noch auf eine Disputation angehen, um ihm seine Beute strittig zu machen. Sein Unglück hat ihn seit etlichen Tagen so schmeidig gemacht, daß man ihn wie einen Polzen durch ein Blasrohr schießen könnte, da er vorhero in keinem Schlote Raum gehabt hätte. Wenn Sie Ihren Gerichtshalter dahin bringen könnten, daß er ihn sein Mädchen wieder abträte, so wollte ich den alten Wendelin verzeihen. Ich erwarte auf diesen Brief von Ihnen bald eine Antwort und bin

Ihr
aufrichtiger Freund
v. N. 


XVI. Brief.
Der Herrn v. F. an den Herrn von N.
den 18 Dec.

Sie sind noch ziemlich ungedultig für einen Liebhaber nach der heutigen Welt. Wenn ich einige Tage ein tiefes Stillschweigen beobachtet und Ihren Auftrag, Sie bei Ihrer Liebe mit gutem Rathe zu unterstützen, [305] gleichsam vergessen habe, so dürfen Sie deswegen nicht glauben, daß ich diese Zeit über ganz und gar müßig gewesen bin: ich habe vielmehr für Sie sehr vieles gethan, und will Ihnen jetzo davon Rechenschaft ablegen. Mein Stillschweigen hat keine andere Absicht gehabt, als Ihre Gedult zu prüfen, und Sie hätten nur noch einige Tage aushalten sollen, so würden Sie Ihre Probe gut gemacht haben. Dem ungeachtet verdienen Sie vieles Lob, daß Sie über 14. Tage lang sich haben patientiren können, ohne einen Angriff auf Ihre Schöne zu thun, und ich werde Ihnen bald verstatten, einen neuen Versuch zu wagen. Das Fest scheinet hierzu keine unrechte Gelegenheit an die Hand zu geben, und ein Geschenk zum heilgen Christ dürfte Ihnen bei dem Fräulein gute Dienste leisten. Ich will mich hierüber hernach weitläuftiger erklären, und mich jetzo nur wegen meines Stillschweigens rechtfertigen, auch zugleich Ihnen einige neue Anmerkungen, die ich diese Zeit über gemacht habe, mittheilen, welche Ihnen bei Ihrem Vorhaben vermuthlich sehr nützlich seyn werden. Um nach dem jetzigen Geschmack ein vollkommener Liebhaber zu seyn, muß man im Anfang der Liebe einen Schüler des Pythagoras vorstellen, dieser Weltweise ließ seine Nachfolger [306] einige Jahr lang ein tiefes Stillschweigen beobachten, sie mußten ihren Lehrmeister nur bewundern, und das glauben, was er sagte, ohne ihm zu widersprechen. Heutiges Tages machen es die Anbether einer Schönen eben so, sie reden, wenn ihr Herz schon in der vollen Flamme stehet, noch nicht ein Wort von der Liebe, oder thun dieses doch weder mündlich noch schriftlich, sondern bedienen sich blos der Sprache der Augen, die ziemlich zweideutig ist, und so vielerlei Auslegungen verstattet, als die Gesetze des Justinians. Dieses Stillschweigen dauret so lange, bis sie der Gunst ihrer Gebieterin ganz gewiß versichert sind, alsdenn erklären sie sich etwas deutlicher, sie bedienen sich einer Sprache, die nicht aus Worten bestehet, die aber gleichwohl die deutlichste, nachdrücklichste und beliebteste Sprache ist, die gefunden wird, das sind die Geschenke. Ist die Schöne geneigt, den Antrag ihres Verehrers anzuhören, so nimmt sie solche an, sie macht ihm auch wohl ein Gegenkompliment mit einem kleinen Geschenke, zum Exempel für einen Diamantschmuck schenkt sie einen Blumenstrauß, der an ihren Busen halb verwelkt ist, für eine andere Galanterie, als Ohrengehänge, Dosen, Sonnenfächer, Lavendelfläschgen und dergl. giebt sie zur Wiedervergeltung ein Bandschleifgen, [307] ein Schminkpflästergen, oder eine andre Kleinigkeit, die aber doch jederzeit von dem Liebhaber höher als alle Schätze des Kaisers von Abyßinien müssen geschätzet werden. Nachdem man diese Sprache genug gebrauchet hat, so bedienet man sich erstlich der Zunge oder der Feder, man wiederholt das, was man schon zehnmal gesagt hat, und man erhält die Antwort, die man auch bereits schon einige mal erhalten hat. Sie stehen, wo ich mich nicht irre, noch in dem ersten Grade der Liebe, und ich halte noch nicht für rathsam, daß Sie Ihr Wort, das Sie schon einigemal zur Unzeit mündlich angebracht haben, so frühzeitig auf diese Art erneuern, sie würden sich davon nicht die geringste gute Folge zu versprechen haben. Ich erlaube Ihnen unterdessen, da Sie mit dem Munde noch eine Zeitlang das genaueste Stillschweigen beobachten, der Sprache der Augen sich mit Vortheil zu bedienen, und wenn dem Fräulein nicht gefällt, auf diese Art sich mit Ihnen zu besprechen, die Beredsamkeit der Geschenke anzuwenden. Obgleich das Fräulein sehr stoische Gesinnungen zu haben scheinet, so ist sie doch ein Frauenzimmer, und dieses macht mir Hoffnung, daß sie endlich hierdurch sich wird überwinden lassen. Sehen Sie, das sind die Regeln, welchen ich in einem Zeitraume [308] von mehr als vierzehn Tagen, die ich wie Achilles bei der Belagerung von Troja in einer völligen Unthätigkeit zugebracht zu haben scheine, ausstudiret habe. Es sind derselben wenig aber sie sind wichtig und für einen Liebhaber sicher, ich habe die ganze Geschichte des Herrn Grandisons mit diesen Regeln zusammen gehalten, und habe befunden, daß Herr Grandison in seiner Liebe bei allen Mädchens glücklich gewesen ist, weil er sie aufs genaueste beobachtete, daß es hingegen den andern Anbetern des Fräuleins Byron nicht geglückt hat, weil sie solche übertreten oder verachtet haben. Was fehlte dem tapfern Greeville, daß ihn Henriette nicht glücklich machte? Nichts anders, als daß er einen Sprung that in der Liebe, er hatte nicht schweigen gelernet, er sagte jedermann, daß er sie liebte, und gab ihr dieses selbst mündlich zu verstehen, da er noch kaum die Augen durfte reden lassen. Der weinende Herr Orene war schon etwas glücklicher, das Fräulein schenkte diesem Liebhaber schon ihr Mitleiden, und dieses ist der erste Schritt zur Erhörung eines Liebhabers. Er wußte zu schweigen wie ein Pythagoräer, aber weil er seine Augen, die immer voll Thränen stunden, und von dem Salze derselben wund waren, nicht wohl brauchen konnte, um durch diese den [309] ersten Liebesantrag thun zu lassen, so mußte er unverrichteter Sache wieder abziehen. Sir Hargrave war gewiß ein Mann, dem die Mädchen nicht lange Widerstand leisten konnten; allein er machte es zu arg, er führte die Sprache des Mundes und der Augen zugleich, er redete auch dann und wann andere Sprachen, die nur in Häusern gebraucht werden, die in keinem guten Rufe stehen; mit einem Worte, Augen, Mund und Hände waren an ihm redend, und dieses verdarb sein Spiel. Er wollte wie Cäsar auf einmal kommen, sehen und überwinden, und dieses gehet nicht bey allen Schönen an. Mit einem Worte, alle Liebhaber von Henrietten übertraten diese Regeln, Herr Grandison, der bei der Kunst zu lieben ein glückliches Genie hatte, und bei allen seinen Unternehmungen regelhaft verfuhr, hatte auch davon einen guten Fortgang zu erwarten. Er hatte sich vorgenommen, der Clementine einen Liebesantrag zu thun, und erklärete ihr den Milton, durch dieses Mittel, da er ihr erzählte, wie die ersten Eltern das Paradies verlohren hatten, bekam er Gelegenheit, das Paradies zu erobern, oder durch den angenehmen Umgang mit diesem vortrefflichen jungen Frauenzimmer sich in ihr Herz einzuschleichen. Er sagte ihr kein Wort von seiner Liebe, aber er [310] schielte dann und wann über das Buch weg, und ließ seine Augen den ihrigen begegnen, sie lernten einander verstehen, und Herr Grandison erklärte ihr zweyerlei auf einmal, den Milton und seine Liebe. Er hatte schon ein gewonnen Spiel in Händen, da er seinen Autor weglegte, und ihr mündlich und schriftlich gestund, daß er sie liebte. Mit der Henriette Byron verfuhr er nicht anders, Sie haben dieses in einem ihrer Briefe selbst angemerket, daß er in seiner Liebe sehr langsame und bedenkliche Schritte gethan, und den schwindsüchtigen Anfall der Fräulein Byron keiner andern Ursache beigemessen, als weil Sir Carl nicht so geschwind, als sie es gewünschet, Hochzeit gehalten hätte, daraus sehen Sie selbst, wie genau er die Regeln, die ich Ihnen mittheile, befolget hat. Ich bin durch meine eigne Erfahrung von der Richtigkeit derselben vollkommen überzeugt worden, ich habe sie erfüllet, ohne daß ich sie damals noch kannte. Ich entdeckte meiner Frau alle meine Gesinnungen, ohne ein Wort mit ihr davon zu reden; wenn wir vom Wetter sprachen, so betheuerte ihr der Accent der Worte, und die Art, mit welchen ich sie vorbrachte, durch tausend Eidschwüre, daß ich sie liebte, und wenn sie in meiner Gegenwart eine Nadel abstrickte, so war jede Schmasche beredt: [311] ich sahe aus der geschwindern oder langsamern Bewegung ihrer Finger, wie ihr mein Antrag gefiel. Da ich genugsame Gründe vor mir hatte, ihre Minen für mich günstig zu erklären, so wendete ich die andere Art der Beredsamkeit bei ihr an, um sie vollkommen zu überwinden, ich wagte es, ihr verschiedene kleine Geschenke zu machen, und da sie diese nicht ausschlug, ließ ich sie immer höher steigen, bis ich ihr einen Ring an den Finger practicirte, der mir so hoch zu stehen kam, daß ich in der Messe damals meine Zeche im Gasthofe schuldig bleiben mußte. Sie beschenkte mich davor mit einem vierblättrichten Kleeblat, das sie eben im Garten gefunden hatte. Da ich dieses erhielt, zweifelte ich nicht mehr an meinem Glücke, ich schickte, wie Sie wissen, meinen Abgeordneten ab, um das Fräulein zu werben, und war des guten Ausganges meiner Sache so gewiß, daß ich diesfalls allezeit tausend Thaler gegen einen Groschen hätte setzen wollen. Nun sind Sie hoffentlich überzeugt, daß ich meine Zeit nicht müßig zugebracht, sondern mich vielmehr zu ihrem Vortheile beschäftiget habe. Nach vielem Kopfbrechen ist es mir endlich gelungen, diese Regeln, die ich Ihnen hier mittheile, zu erfinden. Ich billige Ihr Vorhaben, dem Fräulein etwas zum heilgen [312] Christ beschehren zu lassen: nehmem Sie sich aber wohl in acht, ihr eine Korb Portechaise zu verehren, Sie dürften vielleicht der erste seyn, der die Ehre hätte, darinne getragen zu werden. Alle Korbmacherarbeit ist den Liebenden fatal, und wird von ihnen eben sowohl für ein böses Anzeichen gehalten, als die unglücklichen Vögel bey den Römern, wenn sie zu Felde zogen. Ich war bei meiner Liebe so abergläubisch, daß wenn mir jemand mit einem Korbe begegnete, wenn ich ihr aufwarten wollte, so kehrte ich stehendes Fußes wieder um, und versparte meinen Besuch bis auf eine glücklichere Zeit. Sie wissen, daß der Unglaube eher mein Fehler ist, als der Aberglaube. Wenn Sie mir ehemals von Ihren Feldzügen eine Erzehlung machten, so erregte ich Ihnen so viele Zweifel, daß Sie oftmals eben so ungewiß waren, als ich, ob sich das wirklich zugetragen hätte, was Sie erzählten. Man giebt mir also mit Recht den Namen des Ungläubigen, aber bei der Liebe und beim Spiel verdiene ich ihn nicht, ich bin in beiden sehr abergläubisch. Der Pabst Sixt der fünfte, ob er gleich Pabst war, hatte doch den Aberglauben, alle glückliche Begebenheiten seines Lebens ereigneten sich an einer Mittwoche, und ich habe angemerkt, daß mir das Glück [313] im Spiel zwar alle Tage hold ist, aber nicht alle Stunden. Die Mitternachtsstunde ist mir für den übrigen 23. Stunden des Tages besonders günstig, wenn ich das Spiel so weit dehnen kann, so bin ich Meister, und alsdenn gehe ich ohne Gewinst nicht von der Stelle. Aus dieser Ursache spiele ich niemals am Tage, sondern jederzeit des Abends nach der Mahlzeit. Behalten Sie dieses Geheimniß ja bei sich, wenn meine Spieler dahinter kämen, würden Sie niemals meine Glücksstunde wieder abwarten wollen. Sie sehen hieraus, daß ich in gewissen Fällen sehr abergläubisch bin, und mein Aberglaube ist dran Schuld, daß ich Ihnen widerrathe, dem Fräulein von W. eine Korb Portechaise zu schenken, ich zittere schon wegen dieses Einfalls für Sie, und nehme solchen für ominös an. Ich will Ihnen aber einen andern Vorschlag thun, weil Sie wegen der jetzigen schweren Zeit, wie Sie sagen, keinen großen Aufwand machen wollen, und Ihre Geschenke, die gleichwohl in die Augen fallen sollen, gern mit wenig Kosten bestreiten, so nehmen Sie in der Holländischen Lotterie einige Loose und schenken solche dem Fräulein, Sie können für 100 thl. fünfe bekommen, sie kann sich aber auch mit einem begnügen, wenn Sie sehr sparsam seyn [314] wollen. Gewinnt das Loos, so ist es beinahe so gut, als wenn Sie ihr eine Summe, die dem Gewinnste gleich ist, geschenket hätten; verlieret es, so haben Sie weiter nichts als eine Hand voll Geld verlohren. Mich dünkt, dieser Rath ist nicht zu verwerfen. Wollen Sie aber das gewisse fürs ungewisse nehmen, so kaufen Sie ihr eine Galanterie, und bezaubern Sie die Schöne zur Vergeltung wieder, die Sie bezaubert hat, wenn Sie sich einer goldnen Uhr oder einer Sache von gleichem Werth hierzu bedienen, so ist dieses kräftiger als alle verliebte Blicke, die vor sich eben so wenig Kraft haben, als die Stäubgen, womit die Sonne spielt, die aber alle zu abgedrückten Pfeilen werden, welche das Herz eines Frauenzimmers durchdringen, wenn Ihnen ein ansehnliches Geschenke Gewicht und Nachdruck ertheilet.

Ich denke, daß ich Sie nun in Ansehung Ihrer Liebe befriediget habe, ich will Ihnen nur noch ein Wort von Ihrem Pfarrer sagen. So wenig dieser ehrwürdige Mann zu dem Innhalt meines Briefes sich zu schicken scheinet, so muß ich ihn doch eine Stelle in solchem einräumen. Ich bedaure ihn aufrichtig, daß er Ihre Gunst verlohren hat, ich weiß, daß dadurch seiner Küche mancher Braten entgehet; [315] allein ich glaube, daß man ihn verleumdet hat, und getraue mir, ihn ganz und gar von dem Verbrechen freizusprechen, das man ihm beimißt. Wer wollte diesem Ehrenmann eine solche Bosheit zutrauen, daß er das Bild einer Ihrer Ahnen sollte verunstaltet haben, den er nie gekannt hat, und der ihn folglich nie beleidiget hat? Sollte er mit Ihnen nicht allerdings zufrieden seyn, so muß man dieses seiner Schwachheit und seiner geringen Kenntniß der großen Welt zu gute halten. Sie bleiben doch Kirchpatron, wenn er Sie auch manchmal auf eine verblümte Art öffentlich tadelt, oder nach der Sprache des gemeinen Mannes von der Kanzel wirft, ich muß mir dieses sowohl als Sie gefallen lassen, und befinde mich auf einen solchen Fall allezeit sehr wohl. Ich kann mir nicht einbilden, daß er seinen Amtseifer gegen Sie an Ihren Vorfahren ausüben sollte; zudem scheinet sein Fuß nicht mehr rüstig genug, gegen eine steinerne Bildsäule dergestalt zu wüten, daß sie davon merklich könnte beschädiget werden, wenn er sich auch Hufeisen hätte auflegen lassen. Ich habe meine besondern Gedanken über diese Sache, Herr Lampert ist zur Intrigue gemacht, wer weiß, ob er das nicht selbst gethan hat, was er dem Herrn Wendelin aufbürdet. [316] Diese Vermuthung ist nicht unwahrscheinlich, er ist in seiner Liebe bei der Jungfer Wendelin unglücklich gewesen, den größten Philosophen verläst seine Philosophie, wenn er ein unglücklicher Liebhaber wird, er denkt auf Rache, wenn er auch übrigens so zahm ist wie ein Lamm. Das Schwerd meines Gerichtshalters hält das seinige in der Scheide, daß er sich öffentlich weder an ihn, noch an seine Braut wagen darf; er ist also vermuthlich darauf bedacht gewesen, auf eine verborgene Art sich zu [r]ächen und dem Pfarrer eine Grube zu graben. Vielleicht hat er sich einmal in die Kirche schließen lassen, und das Monument selbst beschädiget, welches er nun auf die Rechnung des Pfarrers schreibt. Glauben Sie nur, Herr Wendelin ist ein ehrlicher Mann, der für Leid in die Grube fahren würde, wenn er die boshafte Beschuldigung wüßte. Lassen Sie sich, wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, gegen ihn nichts merken und übergehen sie die ganze Sache, die ohnedem eine Kleinigkeit ist, mit Stillschweigen. So gern ich wünschte, Ihr Verlangen zu erfüllen, und meinen Gerichtshalter zu überreden, seiner Rechte auf Hannchen, die bereits seine Braut ist, zum Vortheil des Herrn Lamperts sich zu begeben; so wenig bin ich im Stande, dieses [317] ins Werk zu richten. Mein Gerichtshalter will eher das Leben verlieren, als seine Braut. Er ist, wie Sie wissen, ein Mann, der Herzhaftigkeit besitzt und ein gewaltiger Disputator, daß ihr Herr Lampert gewiß gegen ihn den kürzern ziehen würde, wenn er sich mündlich oder schriftlich, auf den Hieb oder Schuß mit ihm einlassen wollte. Ueber dieses glaube ich, daß mein Gerichtshalter dieses artige Mädchen wohl verdient; er hat alle Regeln eines Liebhabers, der in seinem Vorhaben glücklich seyn will, aufs genaueste beobachtet. Er hat zu rechter Zeit geschwiegen, und zu rechter Zeit seine Beredsamkeit angewendet; und das ist es alles, was man von einem rechtschaffenen Verehrer eines Frauenzimmers verlangt. Sein Mitbuhler, der diese Regeln übertreten hat, muß sich sein unglückliches Schicksal selbst zuschreiben, und ich hätte ihm dieses prophezeien wollen. Gedult und ein wenig philosophische Gelassenheit, die schon so viele unglückliche Liebhaber beruhiget und sie von den gefährlichsten Gedanken abgehalten haben, sich selbst zu ermorden, sind die einzigen Hülfsmittel, zu welchen er seine Zuflucht nehmen kann, um sein Unglück sich erträglich zu machen. Ich [318] habe Ihnen nun alles gesagt, was ich mir vorgenommen hatte, Ihnen zu sagen, es ist mir dahero nichts mehr übrig, als Sie zu versichern, daß ich mit vieler Hochachtung bin

Dero
gehorsamster Diener
v. F. 

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage:innländischr