Der deutsche Professor der Gegenwart

Textdaten
Autor: Hans Flach
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Titel: Der deutsche Professor der Gegenwart
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Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Albert Unflad
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Google-USA*, Commons
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Inhalt

[I]


Der deutsche Professor
der
Gegenwart.
Von
Dr. Johannes Flach.


[II] [III] [IV]


 
Der Schnitt in ein Geschwür thut weh.
Flach.



[V]

Der
DEUTSCHE PROFESSOR
der
Gegenwart.
Von
Dr. Johannes Flach,
v. Universitätsprofessor.


Zweite Auflage.


Leipzig.
Verlag von Albert Unflad.
1886.

[VI]

Alle Rechte vorbehalten.



Holzfreies Papier.
Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.


[VII]


Vorrede.

Ich habe mir den ‚deutschen Professor‘ und die Einrichtungen der heutigen Universität‘ während einer elfjährigen akademischen Thätigkeit zum Gegenstand eines Studiums gemacht, vielleicht an dem ungünstigsten Ort, den Deutschland besitzt, der das dunkelste Bild geben musste. Wenn dieses aber auch im allgemeinen nicht günstiger ausgefallen ist, so bitte ich besonders die zahlreichen Professoren um Entschuldigung, welche ich während dieser Zeit lieben und als Menschen, wie Gelehrte, hochschätzen, ja verehren gelernt habe. Dieses düstere Resultat zu publiciren bin ich veranlasst worden durch die Erfahrung, dass es in der Jetztzeit allein noch in der akademischen Carriere möglich sei, dass sehr tüchtige und leistungsfähige Lehrer und Gelehrte, [VIII] die Jahr aus, Jahr ein gearbeitet und docirt haben, nicht weiter kommen, ja ohne Rücksicht und Erbarmen dem Hunger und Elend preisgegeben werden (oder nach vieljähriger Thätigkeit mit einem Gehalt von 800 Mark – schreibe achthundert Mark – bedacht werden), während durchaus unbedeutende und unbrauchbare Männer auf Empfehlung einiger Ordinarien nach drei Jahren ein Ordinariat zu bekommen im Stande sind, ein Resultat, welches der Cultur und der Aufgeklärtheit unsres Zeitalters einen schmerzhaften Schlag in das Gesicht versetzt und von den Miasmen Zeugniss ablegt, mit denen die akademische Luft der Jetztzeit geschwängert ist. In jedem Fall bin ich bestrebt gewesen, ohne die geringste persönliche Polemik nur streng historisch und objectiv vorzugehen, und man wird diesem Bestreben seine Anerkennung nicht versagen können.

F.

[1]


Ι.
Der akademische Unterricht.

Der Unterricht auf der Hochschule unterscheidet sich von jedem Unterricht anderer Schulen dadurch, dass er – wenn wir zunächst die Vorlesungen ins Auge fassen, – ausschliesslich aus Vorträgen besteht, wogegen in den andern Schulen gefragt und geantwortet wird. Die akademische Methode hat eine Licht- und eine Schattenseite. Die erstere besteht darin, dass kein Widerspruch entstehen kann, wie dies bisweilen auf den obersten Classen der Gymnasien geschieht, indem Schüler, nicht selten gerade die reifsten, besonders bei Interpretationen eine vom Lehrer abweichende Erklärung vortragen und zu vertheidigen suchen. Die Schattenseite besteht darin, dass der Lehrer mehr gezwungen ist, das Sachliche auszuarbeiten und das der Wahrheit nächstliegende aufzusuchen, weil alles gebucht wird [und] schwerere Irrthümer leicht einer übelwollenden und schädlichen Kritik unterliegen. Jene Lichtseite hat [2] bekanntlich den einen Zug im Wesen des echten Professors am schärfsten ausgebildet, dass er nicht gewöhnt ist, Widerspruch zu ertragen, weil ihm ein solcher in seiner Lehrthätigkeit niemals widerfährt. Die andere bedingt eine sehr sorgfältige Präparation, welche bei dem Lehrer weniger nöthig ist, der nur zum Aufmerken spricht, wobei ein Theil des Vorgetragenen verloren zu gehen pflegt. In der Art des Vortrages selbst kann man zwei Richtungen unterscheiden, von denen die eine das grösste Gewicht auf den Fluss und die Eleganz des Vortrags legt, während die andere mehr das Material berücksichtigt und darin Vollständigkeit sucht, wodurch in der Regel die Schönheit des Vortrags Einbusse erleidet.

Es versteht sich von selbst, dass auch hier am besten ist, die goldene Mittelstrasse einzuhalten, bei welcher man eine solide Materialsammlung mit einem noch erträglichen Vortrag zu vereinen vermag. Indessen sind die Extreme heute besonders zahlreich vertreten. Manche Lehrer halten es für nothwendig, in ihren Vorlesungen das ganze Material mit allen Dissertationen und Aufsätzen in den Zeitschriften stundenlang zu dictiren, wobei nicht allein an einen berühmten Philologen der letzten Jahrzehnte erinnert zu werden braucht, während andere den Vortrag einer Stunde sich elegant ausbauen, auswendig lernen, womöglich vor dem Spiegel vorbereiten, um dann ihrer Wirkung und ihres Sieges gewiss zu sein. Es ist nicht nöthig, [3] diejenige Schule zu bezeichnen, welcher dieser Modus des Vortrags als besondere Eigenthümlichkeit nachgerühmt wird. Noch andere Lehrer – besonders Juristen in Süddeutschland – pflegen überhaupt die ganze Vorlesung oder den grössten Theil derselben ganz wörtlich zu dictiren, (wiewohl dies allmählich in Abnahme kommt), so dass es lohnt, das Thema einmal zu behandeln, welchen Zweck der akademische Vortrag verfolge und welcher Modus dabei den Vorzug verdiene.

Zunächst darf wohl die Frage aufgestellt werden, ob der akademische Vortrag den Zweck haben sollte, das gesammte Quellenmaterial einer Disciplin mitzutheilen. Diese Frage muss entschieden verneint werden. Erstens ist der Vortrag keines Professors so eingerichtet, dass bei dem in den letzten Jahren so enorm angewachsenen Material alles verwerthet worden ist, oder verwerthet werden kann, so dass auch die Studenten für ihr Wissen schwerlich alles Material zu verwerthen brauchen. Der Professor arbeitet nach seiner individuellen Auswahl des Materials, die auch dem Studenten genügen muss. Zweitens giebt es heute fast in allen Wissenschaften Hand- und Hülfsbücher, die das ganze Material aufzählen, so dass man auf sie nur zu verweisen braucht. Drittens ist die Vorlesung nicht für künftige Gelehrte und Akademiker bestimmt, welche für irgend eine wissenschaftliche Arbeit jenes Quellenmaterial benutzen könnten, sondern für praktische Beamte, denn [4] für selbständiges Arbeiten reichen jene Vorlesungen überhaupt in der Regel nicht aus. Viertens ist es für den Fall, dass ein sorgfältiges Quellenmaterial mitzutheilen angezeigt wäre, bei den heutigen Druckverhältnissen ein sehr einfaches Ding, solche Stellen abzudrucken und den Studenten in die Hand zu geben, oder in der Buchhandlung kaufen zu lassen, wie es schon viele Juristen heute mit den einzelnen Paragraphen thun, die früher durch Dictat mitgetheilt wurden. In keinem Fall kann es dem Zweck des akademischen Unterrichts entsprechen, stundenlang Material zu dictiren.

Die zweite Frage wird nun den eigentlichen Zweck des Vortrags ins Auge fassen müssen. Hierüber gehen nun die Ansichten weit auseinander, und mit dieser Frage steht gewöhnlich die Beschaffenheit der Hefte des Professors im engsten Zusammenhang. In früheren Zeiten wurde mehr ein wörtlich ausgearbeitetes Heft dictirt, besonders in den Ländern, in denen bei den Staatsexamina im wesentlichen auswendig gelernte Hefte verlangt wurden. Heute pflegen die Hefte mehr das Gerippe einer Vorlesung mitzutheilen, das am Rande mit Notizen und Zusätzen versehen ist. Doch giebt es noch heute so ausgearbeitete und ausgefeilte Hefte, die nach dem Tode des Professors sofort dem Druck übergeben werden könnten. Damals wurden die Hefte mehr ausgearbeitet nach einigen vorhandenen gedruckten Büchern über den Gegenstand, die zum [5] Theil wörtlich benutzt, zum Theil excerpirt wurden, heute vermag der Professor mehr individuelle Ansichten und Forschungen vorzutragen, ja, in manchen Fächern ist er sogar dazu gezwungen. Es fragt sich, ob es berechtigter ist, ein Compendium zu dictiren oder den Studenten durch Einführung in die eigene Ansicht anzuregen und zu fördern. Nur der banausische Standpunkt wird die Frage in dem ersten Sinn bejahen, wenn auch zugegeben werden darf, dass z. B. für Gymnasiallehrer ein gutes, compendienartiges Heft später sehr brauchbar ist. Indessen wird man gleich hinzufügen dürfen, dass ein Collegienheft unter Umständen schon einen etwas veralteten Zustand der Wissenschaft wiedergeben, in jedem Fall schon nach wenigen Jahren in manchen Punkten überholt sein kann. Aus diesem Grund ist der Besitz eines compendienartigen Collegienheftes kein unbestrittenes Gut. Unter allen Umständen aber macht ein compendienartiges Heft den Vortrag trocken und langweilig. Und da das Ablesen eines Heftes von jedem, bis zum Pedell herab, besorgt werden kann, so scheint für derartige Dictatstellungen eine Professur gar nicht nothwendig zu sein, so wenig auch einer Student sein muss, um Dictate niederzuschreiben.

Besser ist es demnach, den Vortrag so einzurichten, dass er hauptsächlich anregend wirkt. Der Student wird auf diese Weise ganz anders in die Wissenschaft eingeführt, bekommt den Impuls zum [6] selbständigen Arbeiten und zur selbständigen Behandlung wissenschaftlicher Fragen, was doch immer eine Hauptsache bei dem akademischen Studium bleiben soll, wenn es nicht in Ausübung der praktischen Fertigkeiten und im Auswendiglernen für die Staatsexamina ganz untergehen soll.

Aber auch bei dieser anregenden Weise des Vortrags muss ein Maass festgehalten werden, das besonders in der Polemik sehr wünschenswerth erscheint und den pädagogischen Takt des Lehrers bekundet. Leider ist aber in dieser Beziehung heute in gewissen Fächern ein Unwesen eingerissen, das nicht streng genug verurtheilt werden kann. Bei der grossen Anzahl von wissenschaftlichen Schulen, die Deutschland in allen Fächern besitzt und bei der grossen Zersplitterung der Disciplinen, wie sie die Neuzeit mit sich geführt hat, giebt es überall Gegner, Rivalen, Feinde, wobei noch am unschuldigsten zu sein pflegt, wenn dieselben bloss wissenschaftliche Gegner sind. Oftmals sind es auch persönliche oder politische Gegner, die ihrem Hass durch Invectiven in den Vorlesungen Luft machen. Der Verfasser hat als Student über einen berühmten Mann in der Vorlesung die Ausdrücke „Betrüger“ und „Esel“ gehört, von andern sind ihm Mittheilungen über verschiedene „Schafsköpfe, Schlafmützen, Dummköpfe“ u. s. w. geworden, die in der Regel von den Zuhörern mit grosser Freude aufgenommen werden. Den Berlinern speciell wird ein berühmter Gelehrter in [7] Erinnerung sein, der etwas erhebliches im Schimpfen leistete. Einige Professoren haben überhaupt die Angewohnheit, in jedem Semester einen andern Collegen in der Vorlesung zu bearbeiten, so dass es selbst den vielvertragenden Studenten etwas zu stark wird.

Aber diese Art der Polemik vor den Zuhörern durchzuführen hat, abgesehen von der momentanen Belustigung, noch eine sehr bedenkliche und ethisch wie wissenschaftlich im höchsten Grade verwerfliche Consequenz, um derentwillen allein eine Einrichtung wünschenswerth erscheint, um in Zukunft einen Fortfall dieser Missstände zu bewirken. Die Studenten nämlich, welche jene despectirlichen Ausdrücke von ihren Lehrern über Collegen hören und noch nicht in der Lage sind, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, sondern sich wohl in den meisten Fällen dem Arbitrium ihres jeweiligen Lehrers unterordnen, pflegen jenen angenehmen Ton ihrer Lehrer, wenn sie ihre Erstlingsarbeiten anfertigen, widerzuspiegeln und wenigstens in einer Verdünnung oder in einem Aufguss von sich zu geben. Man kann daher schon in den Dissertationen einzelner Universitäten die psychologische Beobachtung machen, in welcher Weise der Lehrer seine wissenschaftlichen Gegner zu behandeln pflegt. Die einen zeigen, dass der Lehrer im Colleg anständig ist, die andern, dass er unanständig ist. Es giebt aber auf Erden nichts widerwärtigeres, als die Erstlingsarbeit eines jungen [8] Mannes zu lesen, der eben seine Sporen in einem kleinen Zweig der Wissenschaft verdienen will und nun, wie ein kleiner Roland, anficht gegen ältere und erfahrenere Gelehrte und ihnen Grobheiten sagt, wie er sie von seinem verehrten Lehrer in der Vorlesung gehört hat. In der That ist der Ton in solchen Arbeiten bisweilen in hohem Grade beklagenswerth, und die jungen Leute, die zu diesem oder jenem Freund sich brüsten, den oder jenen Professor gehörig abgetrumpft zu haben, ahnen gewöhnlich nicht, wie überaus lächerlich die Wirkung dieser Aggressivität bei dem Gegenstand ihres Zornes sei, und wissen nicht, welchen Angriffen sie ausgesetzt sein würden, wenn sie losgelöst von den Gedanken und dem Einfluss ihres Lehrers später einmal selbständig in der Wissenschaft weiter arbeiten sollten. Wüssten sie das, so würden sie sich in ihrer Erstlingsarbeit der grössten Bescheidenheit befleissigen, eingedenk des Spruches, dass Bescheidenheit die Jugend ziere, und dass es aus einem Wald heraustöne, wie man hineinschreit. Es ist bedauerlich, sagen zu müssen, dass ein sehr grosser Theil deutscher Jugendarbeiten einen unehrerbietigen, unangemessenen und anmessenden Ton gegen ältere Vertreter der Wissenschaft aufweist.

Jene Misshandlung seitens der Professoren hat aber noch eine zweite unangenehme Consequenz. In früheren Zeiten absolvirte der Student weit häufiger sein Studium auf einer einzigen Hochschule. [9] Heute, wo einerseits alle Communicationsverhältnisse weit günstiger sind, andererseits auch die Vermögen der Einzelnen einen mächtigeren Aufschwung genommen haben, pflegen die Studenten zum wenigsten zwei Hochschulen zu besuchen, mitunter drei bis vier, indem die vermögenderen Norddeutschen eine Zeit lang auch auf einer süddeutschen Hochschule zu studiren pflegen. Für diesen Fall sind die ungünstigen Urtheile, die sie von ihrem früheren Lehrer gehört haben, für das Annehmen der Vorlesungen von entscheidender Wirkung, denn nur wenige sind so reif, dass sie im Stande sind, bei einer absprechenden Behauptung das Falsche von dem Wahren abzuziehen. Man muss nur in den Eisenbahncoupés nach den Ferien die Unterredungen der den einzelnen Universitäten zuströmenden Studenten öfters gehört haben, um die Wahrheit dieser Behauptung einzusehen. „Wirst du auch bei Professor X. hören?“ „I Gott bewahre!“ „Warum denn nicht?“ „Na, du weisst ja, Y. hat über ihn immer sehr abfällig gesprochen!“ So wird ein vielleicht recht guter Docent und Lehrer dadurch geschädigt, dass ein wissenschaftlicher Gegner ihn in seiner Vorlesung schlecht zu machen pflegt. Oder auch: „Y. hat gesagt, der sei nicht nöthig zu hören“ und Aehnliches.

Dieser Ton der Professoren hat aber noch eine weit bedauernswerthere Folge, die zunehmende Impietät der Studenten gegen ihre Lehrer, die allerdings [10] in Süddeutschland den einheimischen Einrichtungen gemäss einen weit krasseren und roheren Charakter anzunehmen pflegt. Wer in einer kleinen Universitätsstadt im ersten oder zweiten Hotel, in denen auch ältere Studenten zu speisen pflegen, die Art angehört hat, mit welcher die Studenten bei offener Tafel, vor allen Gästen und ohne sich zu geniren, über ihre Lehrer zu sprechen pflegen, der wird erstaunt, aber auch indignirt sein über den Ton, der dort zu herrschen pflegt. Vor einigen Jahrzehnten war noch eine solche Sprache über die Lehrer unerhört, und der Student würde sich seitens seiner Commilitonen den grössten Unannehmlichkeiten ausgesetzt haben, wenn er sich derartiges erlaubte. Heute ist dies eine gewöhnliche Erscheinung. Ja, man kann noch mehr behaupten. Der Verfasser sass einmal allein in dem Wirthshaus einer kleinen Universitätsstadt, als drei junge, auf einer Pfingstreise begriffene, fremde Studenten hereinkamen und an dem Nebentisch zu einem Skat sich niedersetzten. Kaum sassen sie da, so begannen sie über die Professoren eines gewissen Fachs an dieser Hochschule in der haarsträubendsten Weise zu sprechen, wobei allen ohne Ausnahme jede wissenschaftliche Fähigkeit abgesprochen wurde. Der Verfasser hörte eine Zeit lang diesen bodenlosen Ergüssen zu, dann stand er auf, nannte seinen Namen und bat, wenn sie auch ihn vornehmen wollten, nur noch einen Augenblick zu warten, da er gleich nach Hause gehen würde. Wir [11] aber fragen, wie ist es möglich, dass jugendliche Studenten im Frohsinn ihres Spiels zu so anmassenden und absprechenden Urtheilen kommen, da sie doch naturgemäss unfähig sind, die Wissenschaftlichkeit jener Professoren zu beurtheilen? Giebt es hierfür eine andre Erklärung, als dass sie diese Urtheile in Vorlesungen, Seminarübungen, Gesellschaften u. s. w. von anderen Professoren aufgeschnappt haben? Wohin gelangen wir, wenn eine solche Impietät gegen die Lehrer einreisst, die ihre Kraft, ihren Fleiss und ihre Geistesgaben daran setzen, um den Schülern etwas tüchtiges beizubringen?

In früheren Zeiten herrschte wenigstens nur eine naive und derbe Grobheit, die in weit geringerem Grade einen entsittlichenden Einfluss ausübte. Wenn die Geschichte wahr ist, die von der Heidelberger Universität erzählt wird, dass ein Professor ein Buch in die Vorlesung mitbrachte, dasselbe in eine Ecke warf, und erklärte: „Dies Buch ist so dumm, dass es mein College Y. geschrieben haben könnte“ (beiläufig lebte Y. an derselben Universität) – so kann dies doch nur eine heitere Wirkung ausgeübt haben. Aber heute wird die Bedeutung eines Collegen durch systematisches Angreifen, malitiöse Bemerkungen, vernichtendes Kritisiren, immer das Gegentheil für das Richtige erklären – langsam untergraben, und der Professor in jeder Beziehung schwer geschädigt.

Nun ist ja die Freiheit der Wissenschaft das höchste Gut der Hochschulen, und derjenige würde [12] das festeste Fundament fortreissen, der an dieser Freiheit rütteln wollte. Aber zu dieser Freiheit kann das Beschimpfen der Collegen ebenso wenig gezählt werden, wie bei der Freiheit der Presse das Verleumden von Personen. Wir sind daher der Meinung, dass auch hier, wo schwerlich Aussicht ist, dass der Takt der Professoren selbst eine Besserung herbeiführen werde, Fälle von wirklichen Ausschreitungen an einen Ehrenrath gelangen müssen, den jede Hochschule besitzen sollte, in ähnlicher Weise, wie Anwälte oder Offiziere, da jene Ausschreitungen vom pädagogischen Standpunkt auf das Strengste zu verurtheilen sind und nur das Gift des Widerspruches, des Absprechens, der Anmassung und der Selbstüberschätzung in den jugendlichen Seelen einzuimpfen im Stande sind. Ein solcher Ehrenrath würde auch abzuurtheilen haben, wenn ein Ordinarius in bösartiger oder pflichtwidriger Weise einem Docenten in den Weg getreten ist, ihn gemisshandelt und dadurch geschädigt hat. Ja, ein Ehrenrath fehlt unsern deutschen Universitäten, dann würden die Scandale ein Ende nehmen und in den Ungerechtigkeiten und Tactlosigkeiten Wandel geschaffen werden!


[13]


II.
Die Honorarverhältnisse an den deutschen Hochschulen.

An allen deutschen Hochschulen ist heute der Brauch, dass die Privatvorlesungen bezahlt werden, die öffentlichen Vorlesungen nicht. In Preussen besteht, so weit wir wissen, die Bestimmung, dass jeder akademische Professor eine öffentliche Vorlesung (von wenigstens zwei Stunden) halten muss. In Süddeutschland scheint diese Bestimmung nicht zu existiren; in Württemberg speciell sind öffentliche Vorlesungen nicht nur unbekannt, sondern man pflegte in früheren Jahren es selbst dem Privatdocenten sehr zu verargen, wenn er eine Vorlesung öffentlich halten wollte, weil man darin ein unnatürliches und unmotivirtes Mittel sah, seinen Zuhörerkreis über das ihm zukommende Mass zu vergrössern. Selbstverständlich ist das Studium dort erheblich theurer, wo keine öffentlichen Vorlesungen gehalten werden. Die Höhe der Honorare ist sehr verschieden. Am billigsten pflegen sie in der theologischen und philosophischen Fakultät zu sein, am theuersten bei Medicinern und Chemikern. Die billigste einstündige Vorlesung pflegt 4–5 Mark zu kosten, die billigste vierstündige wird kaum unter 15–20 Mark gehalten werden, wonach sich für denjenigen, der vier grössere und diese oder [14] jene kleinere Vorlesung annimmt, als das billigste Semesterhonorar 80–100 Mark herausstellt. Doch pflegen die wenigsten Studenten so viel Vorlesungen gleichzeitig zu hören. Das Honorar steigt noch weiter mit der wöchentlichen Stundenzahl, die beinahe unbegrenzt ist, da Juristen eine einzige Vorlesung bereits in 15 Stunden pro Woche gelesen haben. Mit einem sehr geringen Abzug an Gebühren für den, welcher das Einziehen der Gelder besorgt, erhält der Professor seine gesammten Vorlesungsgelder, die an grossen Universitäten mehrere tausend Mark das Jahr zu betragen pflegen, für einzelne Fächer noch weit mehr, so dass auch Vorlesungsgelder 10–12000 Mark und darüber selbst an mittleren Universitäten nicht ungewöhnlich sind. Durch diese Einnahme von Stundengeldern unterscheidet sich der Universitätsprofessor von allen andern Lehrern, sogar von den Lehrern der meisten technischen Hochschulen.

Nun würde man gegen die Einrichtung der Vorlesungshonorare nichts einzuwenden haben, wenn nicht die praktische Handhabung derselben eine grosse Einseitigkeit und Ungerechtigkeit im Gefolge hätte. Denn gerade dann, wann der Professor am besten situirt ist, pflegt er gemäss den akademischen Einrichtungen die meisten Honorare einzunehmen, während sie dann, wann er sie am meisten gebrauchen kann, und sie der pekuniär sehr ungünstigen Situation als Docent zu Gute kommen könnten, am [15] spärlichsten zu fliessen pflegen. Ausserdem aber müssen auch diejenigen Lehrer, welche durch die Natur ihres Faches nur auf wenige Zuhörer angewiesen sind, ungleich schlechter fortkommen, als die, welche durch Examinationsvorlesungen eine weit grössere Zuhörermenge um sich zu versammeln pflegen. Der eine pflegt 100–200 Mark einzunehmen, der andere 1–2000 Mark; denn dies Verhältniss ist jenen Fächern entsprechend nicht ungewöhnlich.

An diesem Verhältniss der Honorare wird dadurch nichts geändert, dass auf einigen preussischen Universitäten schon seit vielen Jahrzehnten – und sicherlich noch länger – der Unfug einer massenhaften Stundung des Geldes eingerissen ist, so dass die Professoren erst viele Jahre nachher, wenn die Studenten in Amt und Würden sind, durch einzelne von der Universitätsquästur übersandte Raten befriedigt werden. Königsberg, Greifswald, Kiel werden als die Hauptbollwerke des Stundungswesens genannt. Man sagt gewöhnlich, vielleicht mit Unrecht, dass die Quästoren selbst wegen der später für sie abfallenden Spesen ein Interesse daran haben, diese Stundung in dem ausgedehntesten Masse, und zweifellos auch in zahlreichen überflüssigen Fällen, zu empfehlen oder zu gestatten, worüber uns sichere Ermittelungen fehlen. Verloren ist in der Regel dieses gestundete Geld nicht, doch darf man kühn behaupten, dass die allgemeine Stundung ein ganz ungeheurer Unfug ist.


[16] Nun ist es sehr bemerkenswerth, dass von den Universitäten selbst niemals ein Vorschlag ausgegangen ist, um einen Ausgleich dieser Ungleichheit und Ungerechtigkeit anzubahnen. Noch auffallender ist es allerdings, dass gerade die Universitätsprofessoren das Beibehalten anständiger Honorare für die Collegien stets als einen wesentlichen Sporn für die Güte einer Vorlesung und für den Fleiss des Lehrers betrachten. Denn damit wird nicht nur indirect zugegeben, dass auf alle nicht bezahlten Vorlesungen weniger Mühe verwandt wird, sondern auch, dass alle öffentlichen Vorlesungen erheblich schlechter zu sein pflegen. Dies letztere widerstreitet aber um so mehr der Erfahrung, als nicht nur edle Männer ihr Leben hindurch (trotz der Monirung seitens der Regierung) stets öffentlich und gratis gelesen haben, ohne dass die Vorlesungen dadurch schlechter geworden wären, als andere, sondern auch als zahlreiche notorisch ganz vortreffliche Vorlesungen an deutschen Hochschulen gratis gelesen werden. Dennoch scheint dieser persönliche Schutz, mit dessen Hülfe sich die Professoren ihre Honorare retten wollen, einen etwas zweifelhaften Charakter zu haben. Ja, es scheint dies Argument eine sehr bedeutende Naivetät zu involviren, da demgemäss auch die öffentlichen Vorlesungen eines Polytechnikums erheblich schlechter sein müssten, als sie andernfalls wären, und die Lehrer am Gymnasium anders unterrichten müssten, wenn sie jede Stunde extra bezahlt [17] bekämen. Denn an den meisten Polytechniken erhält der Professor die Vorlesungsgelder nicht; und an einem oder dem andern bekommen die Lehrer eine Tantième von den Honoraren, an einem sogar, wenn wir recht berichtet sind, die Hälfte der Einnahme.

Wir haben daher niemals dies Argument für ein zwingendes gehalten, schon deshalb nicht, weil wir den Materialismus unter den Gelehrten noch nicht für so verbreitet und ausgebildet gehalten haben, dass man annehmen müsste, die meisten würden wirklich bei besonderer Honorirung besser und fleissiger lesen. Denn damit würde ja jeder spontanen Freude an dem Wirkungskreis und jeder Begeisterung für den Lehrberuf an sich der Todesstoss gegeben werden.

Wenn wir nun auch zugeben, dass die Honorirung der Collegien, die zu dem Gehalt eines Professors hinzutritt, von günstigem Einfluss auf deren Beschaffenheit ist, so bleibt doch die zweite Frage übrig, ob nicht dabei ein anderer, weniger ungerechter Modus eingeführt werden könne. In dieser Beziehung hat nun ein süddeutscher Professor vor kurzer Zeit einen sehr beachtenswerthen Vorschlag gemacht. Er verlangte nämlich, dass die Professoren selbst nur die Hälfte oder zwei Drittel der Vorlesungsgelder direct erhalten sollten, während die andre Hälfte oder das letzte Drittel vom Staat in Empfang genommen und an alle Universitätslehrer, Extraordinarien [18] und Docenten (gleichmässig vermuthlich) vertheilt werden sollte. In ähnlicher Weise werden bereits an vielen Facultäten die Doctorgelder an alle Mitglieder vertheilt, nachdem der Decan und die Examinatoren vergütet worden sind. Ebenso können wir hinzufügen, dass bei einigen stiftsartigen Einrichtungen nach Abzug der eigentlichen Fachvorlesungen, die verfügbaren Gelder für alle anderen Collegien an alle Lehrer in gleicher Weise nach dem Verhältniss der Stundenzahl zur Vertheilung kommen. Docenten aber und Extraordinarien sollen, da sie keinen staatlichen Lehrauftrag besitzen, das volle Honorar für ihre Vorlesungen beziehen. Es ist zweifellos, dass die Regierungen in jedem Augenblick den durch eine ganz seltsame Connivenz gegen die Universitätslehrer entstandenen heutigen Honorirungsmodus in der genannten Weise abzuändern berechtigt sind, durch welche auch eine glückliche Lösung der Docentenfrage herbeigeführt werden würde, da deren miserable Stellung zu den Krebsschäden des deutschen Universitätslebens gehört.

Vielleicht aber möchte jemand mit Rücksicht darauf, dass an mehreren ausserdeutschen Universitäten gar keine Honorare gezahlt werden, und dass der heutige Honorirungsmodus doch nur ein Rest mittelalterlicher Zuvorkommenheit des Staates gegen die Universitäten ist, einen noch weiter gehenden Reformirungsvorschlag ins Auge fassen, der aber den Zustand unverändert lässt, dass die Studenten [19] ihre Vorlesungen, wenn auch vielleicht in einigen Fächern mit modificirten Summen, bezahlen müssen. Denn es würde doch, besonders in unserer Zeit der Ueberfüllung, von sehr verhängnissvollen Folgen begleitet sein, wenn man den Unterricht an den Universitäten frei geben wollte, während feststeht, dass für einzelne Fächer die Honorare viel zu hoch sind. Nach unserer Meinung aber würde das ganze Vorlesungswesen an den deutschen Hochschulen einen idealeren Zug bekommen, wenn die Vorlesungsgelder nicht, auch nicht theilweise für die Tasche der Professoren gezahlt würden. Denn, wenn dieses fortfällt, so würden zunächst alle Uebelstände, die heute mit dem Examinationswesen, mit dem Ansichreissen der grossen Prüfungsvorlesungen, mit der socialen Ungleichheit der Professoren, mit dem Ersticken der Docenten und Extraordinarien verknüpft sind, und die alle mehr oder minder mit der Geldfrage in Verbindung stehen, mit einem Mal aus der Welt geschafft werden. Jedoch soll dies nur in der Weise geschehen, dass die Professoren eine dauernde Entschädigung für den Ausfall der Honorare erhalten müssen. Die einzelnen Regierungen sollten nämlich für alle ordentlichen Professuren und etatsmässigen Extraordinarien von den letzten fünf Jahren das Durchschnittseinkommen des Jahres berechnen lassen, und von diesem eine feste Quote als Personalzulage für die Professorenstelle bestimmen. Diese Quote soll ⅓, ½ oder ⅔ des jährlichen Honorars betragen, [20] je nachdem die Professur mit grossen Prüfungsvorlesungen verbunden ist, oder gemäss ihrer natürlichen Beschaffenheit – z. Β. bei Sanskritisten, Orientalisten u. s. w. – nur auf einen geringen Zuhörerkreis Anspruch machen kann. Eine gemischte Commission aus Universitäts- und Regierungsmitgliedern soll die einzelnen Quoten abschätzen und bestimmen. Ein anderer Theil der Vorlesungsgelder soll zu einem Dispositionfonds verwandt werden, aus welchem diejenigen Extraordinarien und Docenten, welche kein bestimmtes Gehalt haben, aber regelmässig und mit Erfolg lesen, eine jährliche Renumeration erhalten müssen. Diese soll bei Docenten nicht unter 1200 Mark, bei Extraordinarien nicht unter 1600 Mark jährlich sein. Aber auch hierüber sollen die Fakultäten nicht allein beschliessen, um alle Einseitigkeiten zu vermeiden, sondern entweder die Regierungen allein nach den von der Universität eingeschickten Zuhörerlisten und Leistungszeugnissen, oder gemischte Commissionen.

Je allgemeiner heute die Ueberzeugung verbreitet ist, dass das deutsche Universitätswesen einer Reform dringend bedürftig ist, desto bereitwilliger wird man einem Vorschlag seine Zustimmung nicht versagen, welcher ein Hauptübel der Universitätsverfassung und die Hauptursache der empfindlichsten Reibungen und Widerwärtigkeiten in der akademischen Welt mit der Wurzel auszurotten im Stande ist. [21]


III.
Die schriftstellerischen Honorare.

Schon die alten Dichter und Schriftsteller haben von ihren Verlegern Honorare bezogen. Dennoch scheint es schwierig gewesen zu sein, seinen ganzen Lebensunterhalt dadurch fristen zu wollen, denn selbst von vielgelesenen Autoren, wie von Martial, ist es bekannt, dass sie in dauernder Geldverlegenheit sich befunden haben, ohne dass wir genöthigt sind, etwa an besonders übertriebene Ausgaben bei ihm zu denken. Ob der Preis, den man beim Buchhändler für ein Buch seiner Epigramme bezahlte (90–140 Pfennige nach unserm Geld für eine gewöhnliche Ausgabe, das Doppelte für eine Prachtausgabe) hoch oder niedrig gegriffen war, vermögen wir nicht zu entscheiden, doch dürfte er bei der Gewohnheit, alles durch Sclaven schreiben zu lassen, wodurch der Herstellungspreis geringer wurde, eher hoch gewesen sein.

Den Dichtern unsrer Zeit geht es nicht selten besser, wenn auch keineswegs der grösste Theil, oder auch nur die Hälfte dies von sich rühmen kann. Es ist nur ein kleiner Theil, dem es vortrefflich geht und der von seinen Honoraren ein Vermögen gewinnen kann, während die meisten in Kummer und Noth ihr Leben hinzubringen pflegen. Dass es nicht [22] die besten Dichter sind, denen es am besten geht, ist allgemein bekannt, doch dürften es diejenigen sein, welche mit einem gewissen sichern Takt oder Instinkt den Geschmack des Publicums herausgefunden und dann für eine regelmässige Befriedigung dieses Geschmacks Sorge getragen haben. Es ist bekannt, dass unter den heutigen Romandichtern einige für einen Roman 60,000 Mark erhalten, d. h. also ein Vermögen, während schon Auerbach – wenn wir recht berichtet sind – für einzelne Arbeiten 20,000 Mark erhalten hatte. Schriftsteller dieser Art sind also in der beneidenswerthen Lage, sich in wenigen Jahren ein anständiges Vermögen zusammen schreiben zu können.

Ganz anders aber verhält es sich mit den Arbeiten der Gelehrten. Vor wenigen Jahrzehnten wurde die gelehrte Arbeit in Deutschland überhaupt nicht bezahlt, da die Zahl der Käufer zu gering war, als dass die Buchhändler auf irgend einen Gewinn bei einem derartigen Verlagsartikel rechnen durften. Erst nachdem mehrere Verleger zu einem bedeutenden Vermögen gekommen waren, begann auch die gelehrte Arbeit im Preis zu steigen, da nun die vornehmeren Buchhändler auch für derartige Bücher Honorare zu zahlen anfingen, die vornehmsten sogar auch für solche Werke, die in ihren Verlag passten, obwohl kaum eine Aussicht auf die Rückerstattung der Druckkosten vorhanden war. So wurde, wie man wohl behaupten kann, auch die gelehrte Arbeit, [23] wenn auch ihren Verhältnissen entsprechend, einer gewissen Blüthe hinsichtlich des pecuniären Werthes entgegengeführt, womit freilich nicht gesagt sein soll, dass irgend ein Gelehrter z. Β. von den Honoraren seiner gelehrten Arbeiten seinen Lebensunterhalt hätte verdienen können.

Aber auch hier scheint der Culminationspunkt bereits der Vergangenheit anzugehören. Mehrere Gründe haben wohl zu einer theilweisen Entwerthung der wissenschaftlichen Arbeit beigetragen. Zunächst wohl die ungeheure wissenschaftliche Ueberproduction in Deutschland, von welcher in Frankreich und in England keine Spur zu finden ist, so dass kaum ein Gebiet oder ein Zweig in den einzelnen Wissenschaften vorhanden ist, in welchem nicht gleichzeitig mehrere Conkurrenten productiv beschäftigt sind, so dass die Verleger eine Auswahl unter den Producenten treffen können. Dann aber hat der industrielle und realistische Geist unseres Zeitalters diejenigen Arbeiten in den Vordergrund gedrängt, bei welchem die Verleger die besten Geschäfte machen, und die wir in drei verschiedene Classen eintheilen können: in Schulbücher, Hand- und Lehrbücher und belletristische Bücher, zu denen wir auch die meisten populär geschriebenen oder mit Illustrationen versehenen Werke rechnen.

Während bei der ersten Classe die Willfährigkeit und der Einfluss von Directoren und Schulmännern einen übergrossen, oft nach zahlreichen [24] Auflagen zählenden Consum hervorzubringen vermögen, bei der zweiten Classe derselbe Einfluss von Professoren, Docenten, Akademikern ausgeübt wird (oftmals nur indirect, indem die Studenten eben das Handbuch ihres Professors sich anschaffen), übt bei der dritten Classe heute das gutmüthige Publicum durch seine zahlreiche Theilnahme einen ausserordentlichen Druck auf diese Art der Litteratur aus, die heute die allergrössten Dimensionen angenommen hat, ohne dass man behaupten darf, dass der Höhepunkt dieser hereinbrechenden Fluth bereits erreicht ist. Zweifellos ist die grosse Bewegung seit dem deutsch-französischen Kriege, der beginnende Luxus und die Zunahme des Reichthums in Deutschland von dem grössten Einfluss auf die Entwicklung dieser Litteratur geworden, die man mit dem allgemeinen Namen „Salonlitteratur“ bezeichnen kann, da sie in den meisten Fällen die Aufgabe hat, nicht gelesen zu werden, sondern den Salon eines reichen Mannes zu schmücken, wie auch in den illustrirten Werken der Text keine Bedeutung zu haben pflegt, sondern nur die im Augenblick aufzuschlagenden und zu geniessenden Illustrationen. Die drei angeführten Gattungen haben die Eigenschaften gemeinsam, dass die Autoren dabei keine allzu mühsame Arbeit haben, dass sie alle gut zu stehen pflegen und dass die Verleger glänzende Geschäfte machen. Von einem modernen Geschichtswerk dieser Art wird uns als Honorar für zwei (je in Jahresfrist zu erscheinende), [25] nicht umfangreiche Bände sechs- bis achttausend Mark bezeichnet.

Es braucht nicht betont zu werden, welchen Umschwung diese pucuniären Beziehungen in der geistigen Arbeit hervorgebracht haben. Während früher hin und wieder Gelehrte, welche ein Menschenalter an Gelehrsamkeit und Sammelfleiss hinter sich hatten, Hand- und Lehrbücher schrieben, fangen heute jüngere Gelehrte, die kaum auf irgend einem kleinen Gebiet eine selbständige Untersuchung gemacht haben, mit Handbüchern an, weil sie gut bezahlt werden. Während früher nur die berühmtesten Autoren herangezogen wurden, um ein grösseres illustrirtes Werk herauszugeben, mit deren Namen die Verleger prunken konnten, drängen sich heute im regen Wetteifer ganz unbekannte Gelehrte an solche Unternehmungen oder werden von den industriellen Verlegern herangelockt, um den materiellen Vortheil davon zu geniessen. Viele, die unter dem Druck der theilweise so ungünstigen Docentenverhältnisse an den deutschen Hochschulen leiden, werden mit Gewalt in den Kampf um das Dasein in diese litterarische Thätigkeit hineingedrängt. Eine natürliche Grenze dieser Bewegung wird erst erreicht werden, wenn die Salontische aller Rentiers und Privatiers in Deutschland beladen und ihre Glasschränke angefüllt sind; erst dann wird voraussichtlich eine Stockung eintreten, die ebenso wenig mit dem Mangel eines Bildungsbedürfnisses bei uns in [26] Zusammenhang stehen würde, wie die jetzige Hochfluth derartiger Unternehmungen einem wirklichen Bildungsbedürfniss entspricht.

Zwei Mittel dürfte es geben, welche eine totale Aenderung und Besserung in diesen Verhältnissen herbeiführen könnten. Das eine ist kaum erreichbar – wenigstens voraussichtlich nicht in den nächsten Jahren – und hängt von der Beschaffenheit des deutschen Publicums ab, das andre ist erreichbar und liegt in der Hand der Verleger. Wenn das wohlhabende deutsche Publicum die Vornehmheit der Engländer und Franzosen in den besseren Lebensclassen hätte, bei denen es Ehrgeiz ist, eine gute Bibliothek zu besitzen und auch wissenschaftliche Bücher zu kaufen, die sie nicht einmal zu lesen beabsichtigen, so würde der Markt der wirklich wissenschaftlichen und gelehrten Bücher in Deutschland ganz andre Dimensionen annehmen, und die Verleger könnten von vorne herein diese Arbeiten mit grösserem Vertrauen begrüssen, unter denen es manche giebt, die in grösserer Anzahl in England als in Deutschland gekauft werden. Ein zweites Moment aber hängt gänzlich von den Verlegern ab. Die Honorare für wissenschaftliche Bücher liegen im Wesentlichen so, dass für Arbeiten aus den philosophischen Facultäten mit 15 Mark, 20–30 Mark, vielleicht auch einmal 40 Mark per Bogen bezahlt werden, aus den medicinisch-naturwissenschaftlichen Fächern vielleicht etwas höher von 30 Mark ab (was damit [27] zusammenhängt, dass die Aerzte durchweg weit besser gestellt sind, als die Gymnasiallehrer und deshalb viel mehr kaufen können). Sehr viel höhere Honorare kommen nur bei Handbüchern vor, bei denen sofort auf einen grösseren Absatz gerechnet werden kann. Ein Buch, zu dem ein Gelehrter (abgesehen von der ganzen Vorbildung) mehrere Jahre angestrengten Arbeitens gebraucht hat; wird daher kaum 1000 bis höchstens 3000 Mark Honorar einbringen. Hier könnte nach unsrer Ansicht eine grössere Ausgleichung stattfinden, indem die grossen Verleger der deutschen Metropolen, welche in gesicherten und glänzenden Vermögensverhältnissen sich befinden, bei einem wirklich guten Buch, das aber den natürlichen Verhältnissen gemäss nur auf einen beschränkteren Leserkreis zählen kann, grössere Honorare bezahlen und dadurch etwas von dem Gewinn an die gelehrten Autoren abtreten, den sie von Schulbüchern, Handbüchern und belletristischen Werken haben, die doch nicht selten von unbedeutenden Autoren verfasst werden.

Thatsächlich liegen aber heute die Verhältnisse so, dass die Verleger gewöhnlich bei kleineren Monographieen Schaden haben (der aber in einem grossen Geschäft nicht sehr in die Wagschale fällt), dass aber bei einem einigermassen grösseren Werk, das sechs bis zehn Mark kostet, wenn eine Auflage verkauft wird, der Verleger nach Abzug der Kosten und des Honorars ein sehr gutes Geschäft gemacht [28] hat, der Autor ein kleines, oder (wenn man die dafür verwandte Zeit in Geld umsetzt, z. B. in Geld für dieselbe Stundenzahl umfassende Privatstunden nach heutiger Taxe) ein sehr unbedeutendes, bisweilen vielleicht ein kaum nennenswerthes, und wir werden kaum fehlgehen, wenn wir für solche Fälle den Gewinn des Verlegers auf vier Fünftel oder fünf Sechstel, den des Autors auf ein Fünftel oder ein Sechstel anrechnen. Nur bei Contrakten, in denen nach Abzug der Kosten eine Theilung des Gewinns ausgemacht ist, dürfte hierbei eine Ausnahme stattfinden. Es giebt aber sehr wenige Verleger in Deutschland, welche die moralische Ueberzeugung haben, dass naturgemäss von einem gangbaren Artikel Verleger und Autor den Reingewinn theilen sollten, ein Grundsatz, der practisch deshalb nicht streng und allgemein durchführbar ist, weil der Verleger auch die Verluste bei andern Artikeln in Anrechnung bringen muss, die aber noch immer nicht jenes Missverhältniss im Gewinn bedingen dürfen. Erst wenn diese Ueberzeugung sich mehr Bahn gebrochen hat, wird die wissenschaftliche Arbeit in Deutschland einen höhern Curs bekommen, als sie gegenwärtig hat.

Nur wenige Worte mögen noch den Honoraren in wissenschaftlichen und schöngeistigen Zeitschriften gewidmet sein. Einige wissenschaftliche Zeitschriften zahlen gar kein Honorar, weil sie sonst zu erscheinen aufhören würden. Die meisten zahlen dreissig bis [29] fünzig Mark pro Bogen, die schöngeistigen zwischen fünfzig bis hundert Mark, und für einzelne Autoren noch grössere Summen. Ob hier eine Erhöhung des Honorars durchführbar ist, muss als zweifelhaft erscheinen, da die unglaubliche Zersplitterung der Litteratur dieser Art in Deutschland sehr auf die Preise und Abonnentenzahl drückt und manchen Zeitschriften nur eine kümmerliche Existenz gewährt, die nicht selten allein durch die Hochherzigkeit eines Herausgebers ermöglicht wird. Auch hier könnte nur ein grösseres Eintreten des vermögenden Publicums eine günstigere Situation herbeiführen, dass aber zum grössten Theil derartige Zeitschriften in Museen, Casinos, Conditoreien, Restaurants etc. zu lesen gewöhnt ist. Wenn daher in englischen und französischen Zeitschriften das fünf- bis achtfache des deutschen Honorars gezahlt wird (abgesehen von Affectionshonoraren), so liegt dies einmal daran, dass dort weniger Zeitschriften sind, für welche das Publicum Interesse zu hegen braucht, dann aber auch daran, dass das lesende Publicum sein litterarisches Bedürfniss weit mehr im Hause zu befriedigen gewöhnt ist, als es in Deutschland geschieht.

Im allgemeinen wird die Thatsache nicht abzuleugnen sein, dass die vornehmere Haltung des vermögenden deutschen Publicums den grössten Einfluss auf Honorar, Abonnentenzahl und wissenschaftliche Haltung auszuüben im Stande ist. Aber wie es in England grosse Grundbesitzer giebt, welche [30] eine ganz bedeutende (aus vielen tausend Bänden bestehende) Bibliothek mit den vorzüglichsten Erzeugnissen der deutschen, französischen und englischen Litteratur besitzen, so giebt es bedauerlicher Weise in Deutschland nicht wenige, welche mit einigen Bänden „Daheim“ und einigen Jahrgängen „Lahrer Hinkende Bote“ völlig zufrieden gestellt sind. Und wie in England grosse Banquiers berühmte Forscher und Geschichtsschreiber gewesen sind, so wird es in Deutschland nicht wenige geben, welche ihr geistiges Bedürfniss mit der „Börsenzeitung“, der Zeitschrift „Ueber Land und Meer“ und dem „Ulk“ zu befriedigen pflegen. Leider, leider! Die Gründe dieser Verschiedenheit aufzuzählen, gehört nicht hierher. Aber derjenige wird sich ein grosses Verdienst erwerben, der hier Wandel schaffen könnte!


IV.
Die akademische Doctorfabrik.

Noch ist in aller Gedächtniss, in welcher Weise vor einigen Jahren ein moralischer Ansturm gegen die deutschen Doctorfabriken unternommen wurde, und ebenso ist allen betheiligten Kreisen bekannt, welchen Nutzen dieser Sturm hatte und um wie vieles besser manches seitdem geworden ist. Besonders [31] ist wohl eine Einrichtung von den meisten – oder können wir hoffen von allen? – deutschen Hochschulen verbannt worden, dass der Doctorgrad auch in absentia gemacht werden darf, in welchem Punkt bekanntlich mehrere Universitäten Deutschlands eine sehr laxe Praxis eingeführt hatten. Wenn man aber nun der Ansicht sein sollte, dass alle Unzuträglichkeiten, welche die Erwerbung des akademischen Doctorgrades im Gefolge hatte, jetzt abgeschnitten seien, so dürfte man sich einen schweren Irrthum zu Schulden kommen lassen. Zweck dieser Zeilen aber ist, auf einige der noch bestehenden aufmerksam zu machen.

Zunächst kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Werth des in Deutschland errungenen Doctorgrades je nach der Hochschule oder der Facultät, an welcher er gewonnen ist, ein sehr verschiedener sein muss. Während an einzelnen Hochschulen früher eine ganze Facultät beim Examen prüfen durfte, und nicht selten sechs bis acht Professoren thatsächlich sich daran betheiligten, die aus allen möglichen Fächern Fragen stellten, auch solchen, mit denen sich der Candidat niemals beschäftigt hatte und beschäftigt haben konnte – uns ist nicht bekannt, ob dieser Modus schon abgeschafft sei – genügen heute bei den meisten Facultäten drei Fächer, in denen geprüft wird. Einige aber, die besonders mild gestimmt sind, begnügen sich mit einem Haupt- und einem Nebenfach. Da nun als Hauptfach [32] in solchen Fällen meistens das Gebiet gilt, aus welchem die Dissertation gewählt ist, worüber eine Reihe von Fragen – wohl ausschliesslich auf die Arbeit bezüglicher – gestellt wird, so geschieht thatsächlich die Prüfung nur in einem Fach, da die Fragen, die zur Arbeit gehören, gewöhnlich nur darüber Gewissheit verschaffen sollen, ob der Candidat die Arbeit allein und mit selbständiger Benutzung der Quellen angefertigt hat.

Entsprechend dieser sehr bedeutenden Discrepanz[1] an einzelnen Hochschulen ist nun auch die Zeitdauer verschieden, die ein Doctorexamen beansprucht. Einige Facultäten gebrauchen dazu drei Stunden – sogar Fälle von vier Stunden sind bekannt geworden –, andre eine oder dreiviertel Stunden, ja es sind auch Doctoren mit einem halbstündigen Examen davon gekommen, besonders dann, wenn es die Facultät sehr eilig hatte und entweder mehrere Canditaten hintereinander prüfen oder nachher noch andere Gegenstände berathen musste.

Weitaus die grössten Differenzen aber bestehen hinsichtlich des Massstabes, der an die angefertigte Doctorarbeit gelegt wird. Während vornehmere Facultäten, besonders in Preussen, hierbei die grösste Strenge zeigen, so dass kaum eine Arbeit Berücksichtigung findet, die nicht gleichsam unter den Augen des Ordinarius gemacht ist, d. h. doch in den meisten Fällen, die nicht eine wissenschaftliche Zusammenstellung oder ein wissenschaftliches Resultat aufweist, [33] zeigen andre eine solche Milde der Auffassung, dass sie von einem wissenschaftlichen Charakter der Arbeit gänzlich absehen, ja, dass sie sogar Arbeiten, die für ein Oberlehrer- oder Staatsexamen irgend wo anders gemacht waren, ohne Bedenken als Dissertation acceptiren. Ebenso giebt es auch Facultäten, welche öfters Arbeiten angenommen haben, die von andern für ungenügend erklärt worden waren. Denn davon wollen wir schweigen, weil es immer wieder bestritten wird, dass auch einige Facultäten den Doctorgrad ganz ohne Arbeit verleihen können. Sollte dies aber wirklich vorkommen, so wäre es zweckentsprechend, solche Fälle zur allgemeinen Kenntniss zu bringen.

Im Zusammenhang hiermit steht nun eine zweite Erleichterung, dass einige Facultäten Deutschlands – und darunter sehr namhafte – keinen Druckzwang ausüben, sondern sich mit einer geschriebenen Arbeit begnügen. Auffallender Weise gehört hierzu die philosophische Facultät in Tübingen. Da es bedeutende Männer giebt, welche diesen Modus durchaus für den richtigen halten, so verlohnt es der Mühe, die Gründe, die dafür oder dawider sprechen, aufzuzählen. Als Hauptgrund, der für diese Praxis spricht, pflegt man anzuführen, dass die Litteratur durch die Fülle der Dissertationen, welche der jährliche Büchermarkt aufweist, in einer so erschreckenden Weise vermehrt wird, dass jemand, der heute über diesen oder jenen Gegenstand arbeitet und mit [34] Gewissenhaftigkeit alles Material benutzen will (und in manchen Fächern wird bekanntlich auf die Benutzung des gesammten Materials das grösste Gewicht gelegt), gar nicht mehr durchkommen kann, wenn er alle Doctordissertationen zu Rathe ziehen muss. Ausserdem aber behauptet man, dass der grösste Theil aller Dissertationen wissenschaftlich so wenig förderndes oder neues enthalte, dass diese besser nicht gedruckt würden, sondern der Vergessenheit anheimfielen.

Wenn diese Argumente richtig sind, woran wir nicht zweifeln wollen, so beweisen sie nur das eine, dass in vielen Fällen heute doctorirt wird, und dass es von allgemeinem Nutzen wäre, wenn die Anzahl der Doctorirenden erheblich eingeschränkt und niemand zugelassen würde, der nicht wirklich wissenschaftlich etwas geleistet hat. Aber indem man zu einem Mittel greift, welches allerdings die litterarische Maculatur verringert, aber die Zahl der Doctorirenden erheblich vermehrt, schraubt man den Doctorgrad auf ein viel tieferes Niveau herab, als es im andern Fall möglich ist. Zunächst wird nämlich die Erwerbung des Doctorgrades dadurch weniger kostspielig, und einer grösseren Anzahl zugänglich. Dann ist es aber zweifellos, dass eine Arbeit, die zum Druck gelangt, unter allen Umständen anders angefertigt werden muss, als eine, die, nachdem sie vom Ordinarius begutachtet ist, vielleicht in den Papierkorb oder in einen Actenständer wandert, selbst wenn die [35] gedruckte Arbeit keine besondere wissenschaftliche Bedeutung haben sollte. Endlich unterliegt die gedruckte Arbeit – selbst wenn sie nicht in den Buchhandel kommt – einer gewissen öffentlichen Controlle, und es braucht gar nicht daran erinnert zu werden, wie oft es in den letzten Jahren vorgekommen ist, dass einzelne Canditaten versucht haben, mit fremden Arbeiten oder Uebersetzungen fremdländischer ihren Doctor in Deutschland zu machen, was weit schneller entdeckt wird, vorausgesetzt, dass das Versehen in der Facultät vorgekommen ist, wenn einer grösseren Zahl von Lesern die Arbeit zur Verfügung steht. Zu bemerken ist, dass nach einer preussischen Verfügung vom 7. März 1877 nur derjenige nichtpreussische Doctortitel officielle Geltung hat, der auf Grund mündlichen Examens und gedruckter Dissertation erlangt ist. Beispielsweise würde also der Doctortitel der philosophischen Facultät in Tübingen keine Geltung haben, wenn nicht Druck der Dissertation erfolgt wäre.

Es ist daher kein Zufall, dass Facultäten, welche geringere Anforderungen stellen, ganz besonders aber keinen Druckzwang ausüben, sehr bald einen gewissen Ruf bekommen, von Candidaten aus allen Provinzen überschwemmt und selbst von Ausländern, wie Rumänen, Siebenbürgen, Griechen, Asiaten und andern Völkerschaften mit Vorliebe aufgesucht werden, die durch den Ruf der Milde sich angezogen fühlen. Oftmals kommen die Candidaten aus weiter [36] Ferne nur für einen Tag zum Examen, um an dem folgenden glücklich über den errungenen Sieg wieder abzufahren. Es ist ferner kein Zufall, dass es gerade sogenannte Sommeruniversitäten sind, an denen das Studium überhaupt nicht so ernsthaft betrieben wird, und eine Zahl von Lehrern gar kein Interesse für ein wirklich ernsthaftes Studium an den Tag legt, welche jene milde Praxis ausüben, und es ist endlich kein Zufall, dass diejenigen Facultäten, welche sich den Ruf des Geizes und der Engherzigkeit gegenüber ihren Docenten und Extraordinarien seit langer Zeit erworben haben, das weiteste Herz in der Behandlung der Doctorangelegenheit zeigen. Denn wenn auch die Thatsache dieser Milde an und für sich nichts auffallendes bietet, so gewinnt sie doch dadurch, dass die Examinatoren oder alle Ordinarien der Facultät eine bestimmte jährliche Geldeinnahme davon haben, ein anderes Aussehn, und beide Erscheinungen werden selbst von dem unbefangensten Kritiker sofort in Zusammenhang gebracht. Ja, es kann kaum einem Zweifel unterliegen, von welchen Motiven jene Facultätsheroen geleitet wurden, welche die Erleichterungen beim Doctorgrad in ihren Facultäten durchgesetzt haben.

Nun wolle man uns nicht einreden, dass es die dürftigen Gehälter der Ordinarien sind, welche von selbst jene Geldquelle zu einem nothwendigen Uebel machen. Erstens giebt es sehr wenige Universitäten Deutschlands, wo noch wirklich minimale (etwa [37] 6–800 Thaler) Gehälter der Ordinarien vorkommen – uns ist nur Baden und Thüringen bekannt – zweitens ist jene Erscheinung auch dort sichtbar, wo anständige und grosse Gehälter existiren, und drittens sind es fast niemals diejenigen, welche wirklich Geld nöthig haben, die jenen banausischen und verwerflichen Zug zeigen, sondern gerade die vermögenden, oder die, welche 7–8000 Mark Gehalt haben. In der Welt der Chemiker ist beispielsweise eine chemische Doctorfabrik bekannt geworden, die lange Jahre existirt hat, und bei welcher sogar – wenn die Fama recht berichtet – ein Bombardier oder Unteroffizier den chemischen Doctor gemacht haben soll. Der chemische Professor aber gehörte nicht zu den Armen. Ein andrer chemischer Professor soll von jedem Candidaten der unter seiner Leitung eine Doctorarbeit verfertigte, 100 Gulden erhalten haben, so dass er schliesslich seine Einnahmen capitalisiren konnte. Auch solche Fälle sollten an die Oeffentlichkeit gezogen werden. Diese reicheren Professoren sind auch meistens die Gegner jeder Honorarerlassung und Stundung, während der ärmere Professor gewöhnlich ein weicheres Herz hat. Aber oft macht der Reichthum egoistisch, engherzig, kalt, geizig. Uns schwebt ein sehr vermögender schwäbischer Professor vor, der als das grösste Glück seiner Hochschule erklärte, dass keine Stundung existirt, gleich als wenn er hätte zu Grunde gehen müssen, wenn er jährlich einige hundert Mark [38] weniger eingenommen hätte. Ein anderer Professor verkündete vor kurzem in einer schwäbischen Zeitung, dass es gleichgültig sei, ob ein Docent einige Jahre früher oder später zur Anerkennung und Geld gelange, wodurch das Verhungern eines Docenten als eine gleichgültige Affaire hingestellt war. In derselben Weise werden die Vorlesungen und die Wissenschaft rein vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet; und daher bei Beginn jedes Semesters die wochenlange Besprechung des Curswerthes. Dies heisst Idealismus in der heutigen Professorenwelt, und dies ist eine Folge des in diesem Stand überhand nehmenden Reichthums!

Aber noch ein Punkt darf hierbei nicht unerörtert bleiben. An manchen Hochschulen wenden sich nicht selten Candidaten an Extraordinarien und lassen sich von diesen ein Thema zur Arbeit geben. Oftmals hat ein Extraordinarius mit grosser Sorgfalt und Zeitopferung semesterlang eine Arbeit bewacht, behütet und sie anwachsen und gelingen sehen. Ist sie aber fertig, dann bekommt er sie weder zur Begutachtung (man giebt sie lieber einem Ordinarius, dem das Gebiet ganz fremd ist), noch nimmt er an dem Examen Theil, noch erhält er etwas von dem zur Vertheilung kommenden Geld. Ja manche Facultäten würden ihm nicht 10 Mark geben, wenn sie wüssten, dass er dadurch vom Hungertode gerettet würde. Oder giebt es Facultäten, die in solchen Fällen anders zu handeln pflegen? [39] Einen humaneren Grundsatz in dieser Angelegenheit zeigen? Uns ist nichts davon bekannt. Es müssten denn solche Fälle sein, wo der Extraordinarius vielleicht überhaupt die Stelle eines Ordinarius inne hat. Ist diese systematische Misshandlung und Zurücksetzung der Extraordinarien nicht eine Schmach für die deutsche Gelehrtenwelt?

So gewahren wir, dass in der Doctorfrage, trotzdem in den letzten Jahren manches besser geworden sein mag, doch noch sehr viel zu thun übrig bleibt, wenn man den Werth des Doctorgrades in Deutschland einigermassen uniformiren, den Egoismus und den Trieb zum Gelderwerb verbannen und einen grösseren Idealismus dabei zur Geltung kommen lassen will. Zweifellos sieht es hierbei in Süddeutschland schlechter aus, als in Preussen. Man beruhige sich nur dabei nicht, dass das Taktgefühl und der gute Geist des Professorenstandes hier von selbst Remedur schaffen werden. Die Universitäten haben Jahrhunderte hindurch für ihre Entwickelung gebraucht, ohne zu diesem Taktgefühl vorgedrungen zu sein, und ohne z. B. auf eine bessere Stellung von Docenten und Extraordinarien zu dringen, und die schreiendsten Uebelstände sind erst durch mannhafte und öffentliche Angriffe abgeschafft worden. Es ist kaum anzunehmen, dass auch die Verhältnisse des Doctorexamens jemals anders werden, wenn man sich nicht vielleicht im Auftrage der Regierung auf einer gemeinschaftlichen Basis [40] vereinigt, die etwa folgende Punkte ins Auge fassen müsste.

1) Es darf keiner zum Doctor zugelassen werden, der nicht einigen Lehrern der Facultät persönlich bekannt ist und wenigstens ein Semester unter den Augen eines ihrer Lehrer gearbeitet hat. Indessen soll der Professor nicht die ganze Dissertation machen, wie dies nicht selten bei Naturforschern der Fall ist. Besonders dürfen keine auswärtigen Arbeiten eingeschickt werden, nach deren Annahme der Candidat nur zum Zwecke des Examens zur Hochschule zu kommen pflegt.

2) Der Druckzwang ist für alle Arbeiten in der Weise eingeführt, dass wenigstens zwei Bogen einer Arbeit im Druck vorliegen müssen.

3) Die Arbeit muss einen wissenschaftlichen Charakter haben, weshalb es zweckmässig ist, dass das Thema von einem Professor zur Bearbeitung, empfohlen worden ist. Aus diesem Grunde ist die Gewinnung des Doctorgrades auch nur solchen anzurathen, welche wissenschaftlich qualificirt sind. Ganz besonders aber ist zu vermeiden, dass solche, die den Doctorgrad nur aus practischen Gründen gewinnen wollen – z. B. Apotheker, Redacteure, Consulatsbeamte u. s. w. – zugelassen werden. Ebenso sind die an einigen Hochschulen den Philosophen übergebenen Arbeiten allgemeinen – ästhetischen, socialen, politischen – Inhalts, die gewöhnlich nur Faseleien im Zeitungsstyl enthalten, unstatthaft. Es [41] sind aber nicht selten Themata zur Bearbeitung gemacht worden, die an die vielbesprochenen Aufsätze in höheren Töchterschulen erinnern.

4) Die mündliche Prüfung ist in drei Gegenständen abzuhalten, wobei das Gebiet, aus welchem die Arbeit gewählt ist, als das Hauptfach angesehen werden muss. Ein jeder Gegenstand muss wenigstens ½ Stunde in Anspruch nehmen.

5) Zur Vermeidung von Unzuträglichkeiten, die besonders in der Zulassung unbekannter und nicht qualificirter Persönlichkeiten oder in der Duldung schon bekannter oder unzureichender Arbeiten bestehen, soll für jedes Doctorexamen ein besonderer Bericht an den Regierungscommissarius gemacht werden, der auch die Aufgabe erhält, so oft er es vermag, dem Examen persönlich beizuwohnen, um sich zu überzeugen, dass in jedem Fall mit gleichen Masstabe gemessen werde.

6) Im allgemeinen wäre es das Wünschenswertheste, dass der Doctorgrad nur von solchen erworben werde, die einem gelehrten oder akademischen Leben sich ergeben wollen. Dann allerdings wäre naheliegend jene an gewissen Hochschulen schon vorhanden gewesene Combination, dass er gleichzeitig die venia legendi involvirte, so dass überhaupt in Zukunft nur ein doctor legens gemacht werden könnte.

Nur wenige Worte brauchen wir der Frage zu widmen, ob ein Doctorgrad auch rite verliehen werden [42] dürfe, ohne dass ein Examen verlangt wird. Wir wollen die Frage unbedingt bejahen, aber auf die Fälle beschränken, in denen ein schon reiferer Mann in Amt und Würden eine achtungswerthe litterarische Leistung aufzuweisen hat. In kleineren deutschen Ländern ist aber auch hier stellenweise eine andre Praxis üblich geworden. Dort, wo Universitätsangelegenheiten gewöhnlich als Familienangelegenheiten behandelt werden, in denen die angesehensten oder bei der Regierung einflussreichsten Familien des Landes (in denen das blaue Blut des Vollblutprofessorenthums erblich ist) die Verwaltung ausüben und ihre Wünsche, nicht selten gegen die Facultät, durchzusetzen pflegen, mit einem Wort, dort, wo die Vetterleswirthschaft in akademischen Angelegenheiten seit Jahrhunderten etwas Traditionelles ist, kommt es leicht vor, dass in einem Semester der Ordinarius A. seinem Freund den Doctorgrad verschafft, im zweiten der Ordinarius B., im dritten C. In keinem Fall ist von einer wirklichen litterarischen Leistung die Rede. Oftmals müssen Schulbücher oder dürftige Vorträge, die aus grösseren Werken excerpirt sind, den Vorwand zur Auszeichnung liefern. Auch hier dürfte es sich empfehlen, solche Fälle, die eine Ungerechtigkeit gegen alle anders behandelten Candidaten einschliessen, an die Oeffentlichkeit zu bringen, da nur die von den Facultäten nicht ohne Grund so gefürchtete und verabscheute Oeffentlichkeit im Stande ist, jenem Schlendrian, [43] jenem Raubbau und der verächtlichen Familienwirthschaft ein Ziel zu setzen. Aber wehe dem Lehrer, der an dieses Hausrecht einzelner Universitätspäbste zu tasten wagte!

Endlich ist noch einiges über den Ehrendoctor zu sagen. Es ist eine schöne und grossartige Freiheit der Facultäten, dass sie verdienten Gelehrten, welche sich wissenschaftlich ausgezeichnet haben, auch ohne Examen und Unkosten den Doctorgrad honoris causa ertheilen können. Dass in den Zeiten politischen Aufstrebens und staatlichen Machtgefühls diese Ehre auch an diejenigen übertragen wird, welche die Blüthe der Verhältnisse bewirkt haben, indem sie entweder ihr Feldherrntalent oder ihre staatsmännischen Tugenden der Grösse des Vaterlandes widmeten, wird man für selbstverständlich halten und für einen Act begreiflicher Pietät erklären müssen. Aber freilich die letzten Jahre haben noch anderes sehen müssen. Bei verschiedenen Universitätsjubiläen hat man Männern den Ehrendoctor ertheilt, die weder wissenschaftlich noch sonst etwas hervorragendes geleistet haben, sondern nur, wie es scheint, zu einigen Facultätsmitgliedern Beziehungen hatten. Diejenigen also, welche früher mit Recht auf diese hohe Auszeichnung stolz sein durften, theilen sie jetzt mit einem Landpfarrer oder einem Juristen, die in der Facultät Freunde oder Verwandte gehabt haben. Und seitdem ist dies Verfahren öfter beobachtet worden. Dadurch hat man [44] nun auch die höchste akademische Ehre in den Vetterlestrudel hineingezogen, dem so vieles in dem akademischen Leben zum Opfer gefallen ist. Auch hier ist es zweckmässig einen dringenden Mahnruf hinauszuschicken, damit nicht der letzte Act der Corruption hereinbreche, dass der Ehrendoctor auch unter der Hand gekauft werden kann und seine Actien einem Curse unterliegen!


V.
Die Staatsexamina.

Zu den aller schwierigsten Fragen, welche beim Studium und der Beamtencarrière aufgeworfen zu werden pflegen, gehört die Frage der Staatsprüfungen. Der Hauptzweifel nämlich besteht hier darüber, ob Professoren oder Nichtakademiker geeigneter seien, die Staatsexamina abzuhalten. Für das Erstere wird gewöhnlich angeführt die grössere Vertrautheit mit dem zu prüfenden Fache, für das zweite die grössere Unbefangenheit und Objectivität des Prüfenden. Das System wird also sicherlich die grösste Vollkommenheit besitzen, welches beide Arten von Examinatoren vereinigt, wie dies ja öfters, sowohl beim juristischen, wie beim philologischen Staatsexamen, der Fall ist. Indessen, so sehr man auch vielleicht überall bestrebt [45] ist, diese Mischung durchzuführen, so wenig geschieht gewöhnlich, um den allerbedenklichsten Umstand zu vermeiden, welcher Studium und Examina schwer zu schädigen vermag – die Continuität der Commissionen.

Indem wir vorweg erwähnen, dass im Allgemeinen die Constanz der Prüfungscommission in Süddeutschland gewöhnlicher ist (wo meistens nur der Regierungscommissarius gewechselt wird), als in Norddeutschland, wo wenigstens ein jährlicher Wechsel stattfinden soll, wird es zweckdienlich sein, diejenigen Inconvenienzen aufzuzählen, die, eine Folge dieser unverrückbaren akademischen Examinatoren, entstanden sind. Zunächst nämlich ist einleuchtend, dass die Studenten im Allgemeinen nur solche Vorlesungen zu hören sich für verpflichtet halten, oder wenigstens diesen ein grösseres Interesse und grösseren Fleiss widmen, welche von den Examinatoren gelesen werden. Davon ist aber wieder eine Folge, dass sehr wichtige Vorlesungen, die von den Examinatoren nicht gelesen werden, fortwährend an Werth verlieren, und im Gegensatz dazu andere sehr unwichtige, weil sie von den Examinatoren gelesen werden, allmählich an Werth gewinnen und gewöhnlich sich dadurch einen Weg in die Examinationsfächer bahnen, obwohl sie ursprünglich dazu gar nicht bestimmt gewesen sind. Um ein Beispiel aus der classischen Philologie zu wählen, so werden die wichtigsten exegetischen Vorlesungen nicht gehört, [46] wenn sie nicht von den Examinatoren gehalten werden, verlieren dadurch bedeutend an Werth und allmählich auch ihre Bedeutung für das Examen, weil die Examinatoren kein besonderes Interesse dafür haben. Andererseits werden, wenn ein Archäologe in der Prüfungscommission sitzt, die archäologischen Vorlesungen nicht nur über Gebühr und über jeden wissenschaftlichen und pädagogischen Werth hinaus gehört, sondern sie gewinnen sich allmählich ein bedeutendes Feld beim Staatsexamen, wiewohl dies den ursprünglichen Intentionen des Examens vollständig fern lag.

Als ganz besonders bedenklich darf das Prüfen ganzer Facultäten angesehen werden, wie dies vereinzelt bei juristischen Examina vorkommt. Wenn schon die verwirrende Menge der Examinatoren von unheilvollem Einfluss ist, der sachlich gar nicht begründet erscheint, da mit Leichtigkeit mehrere Fächer in eine Hand gelegt werden könnten (vorausgesetzt, dass überhaupt eine Prüfung in allen nothwendig erscheint), so ist wohl als ungünstigste Wirkung aufzufassen die auf den Geldbeutel der Studirenden. Denn wo alle Ordinarien der Facultät examiniren, ergiebt sich von selbst ein Studienzwang, der die grössten Dimensionen anzunehmen pflegt. Nun kann ja eine Vertheuerung des juristischen Studiums in Zeiten der Ueberfüllung aus practischen Gründen wünschenswerth oder geboten erscheinen, man wird aber nicht umhin können, diesen Modus als eine [47] sonderbare Entfernung von einer idealeren Richtung des Universitätsstudiums aufzufassen, auf welche einsichtigere Facultäten doch unter allen Umständen zu dringen berufen sind.

Doch dies sind alles Kleinigkeiten im Vergleich mit zwei anderen Nachtheilen, die allerdings einen so zersetzenden Einfluss ausüben, dass hierbei die Staatshilfe unter allen Umständen geboten erscheint. Es können nämlich sehr schlecht situirte oder gewissenlose Professoren sich eine vollständige Synekure durch die Prüfungen erwerben und einen sehr bedenklichen Terrorismus ausüben, indem sie für das Durchkommen beim Examen die Testirung über sämmtliche von ihnen abgehaltene Vorlesungen verlangen. Einige treiben den Cynismus hierbei so weit, dass sie unverholen beim Examen und in den Vorlesungen diese ausdrückliche Forderung stellen. In Deutschland sind z. B. die Namen zweier germanistischer Professoren bekannt geworden, welche diesen Cynismus vorzugsweise ausgeübt und den armen Studenten dadurch eine Menge Vorlesungsgelder aus der Tasche gelockt haben.

Der zweite Nachtheil ist noch viel bedenklicherer Natur. An den meisten Hochschulen, welche jene Einrichtung mit den constanten Prüfungscommissionen haben, ist das Studium in den letzten Jahren immer mehr so eingerichtet worden, dass nur die Examinatoren, die jeder vom ersten Semester an kennt, gehört zu werden pflegen. Dadurch ist ein [48] banausischer Zug in das Studium hineingekommen, der in steter Steigerung begriffen ist und früher ganz unbekannt war. Man studirt heute nicht mehr eine Wissenschaft, sondern man studirt das Examen. Da naturgemäss bei diesem Verfahren auch schlechte Lehrer, die ohne Mitwirkung in der Prüfungscommission gar keine Anziehungskraft ausüben würden, zu hoher Anerkennung bei den Studenten gelangen, so ist ja kein Zweifel, dass das Studium selbst tiefer und tiefer sinken und auf diese Weise eine allmähliche Depravation des Beamtenstandes eintreten muss. Ganz besonders aber wird dadurch die Entwickelung einer individuellen Beanlagung, die bei dem früheren System nicht ausgeschlossen war, mehr und mehr zur Unmöglichkeit.

Es wird aber bei dieser Gelegenheit zweckmässig sein, die Frage überhaupt zu streifen, welche Nachtheile das Examiniren durch Professoren mit sich bringt. In erster Linie steht fest, dass die meisten Professoren eine Vorlesung nur in der Weise beim Examen verlangen, wie sie dieselbe vorgetragen haben. Es ist daher bekannt, dass an manchen Universitäten es von gar keinem Nutzen ist, dass der Candidat die betreffende Vorlesung irgendwo anders gehört hat, weil von dem Examinator nur nach seinem eigenen Vortrag examinirt wird. Davon ist dann nothwendige Folge, dass der Professor weit eher seinen persönlichen Standpunkt in einer wissenschaftlichen Frage herauskehren und verlangen wird. [49] Eine weitere Folge aber ist, dass ein Professor diejenigen chicanirt und womöglich durchfallen lässt, jedenfalls ihnen eine geringere Note giebt, welche nach seiner Ueberzeugung zu wenig bei ihm gehört haben. Dies pflegt besonders bei medicinischen Examina einzutreffen. Es ist Thatsache, dass durch solche Uebelstände oftmals Differenzen in der Commission vorgekommen sind. Dadurch pflegt aber das Examen selbst viel einseitiger zu werden, und es sind zahlreiche Beispiele bekannt und durch Candidaten verbreitet worden, in welcher Weise diese Einseitigkeit sich in dem Examen kundgegeben hat. Ein Historiker pflegte stets nach den kleinasiatischen Provinzen zu fragen, durch welche Alexander d. Gr. marschirt ist, ein berühmter Philologe stets nach den Odysseehandschriften, ein Geograph nach der Umgegend Neapels. Ebenso zahlreich sind die Steckenpferde der juristischen Professoren. Eine nicht minder bedauerliche Folge aber entspringt aus dem unpractischen Wesen, durch welches manche Professoren sich auszeichnen. Vorzugsweise bei ihnen wird daher nicht ungewöhnlich sein, dass in dem einen Fall viel zu schwer und nach Sachen gefragt wird, die ein Candidat gar nicht wissen kann, in einem anderen Fall viel zu leicht. Besonders beim Oberlehrerexamen sind zahlreiche Beispiele bekannt geworden, dass ein Professor dieselben Fragen für die höchste Facultas, für die mittleren Classen und für die allgemeine Bildung gestellt hat, und ein berühmter Philosoph pflegte für die [50] allgemeine Bildung der Philologen stets nach sehr subtilen Systemen neuerer Philosophen zu fragen.

Man wird nicht leugnen können, dass in alle diese Fehler die Practiker viel seltener verfallen werden, so dass deshalb die Prüfungen durch Practiker den Vorzug zu verdienen scheinen. Indessen zeigen sich auch bei ihnen Schattenseiten, die nicht zu unterschätzen sind. Als ein Hauptnachtheil pflegt angeführt zu werden, dass der Practiker in der Regel die Persönlichkeit des Candidaten gar nicht kennt und deshalb gar nicht im Stande ist, auf eine individuelle Richtung und Beschäftigung einzugehen, die dem Professor bei seinem Candidaten bekannt zu sein pflegt. Wenn dies auch zugegeben und als Nachtheil zugestanden werden muss, weil dadurch gerade sehr fleissige und befähigte Candidaten, wenn sie Unglück beim Examen haben, in eine ungünstigere Lage kommen können, als dies bei dem ihnen persönlich bekannten Professor der Fall wäre, so spricht doch andererseits wieder manches gegen ein solches Vertrautsein mit der Person des Candidaten. Wir erinnern uns besonders solcher Fälle bei juristischen Prüfungen, in denen die Candidaten im letzten Semester oder im letzten Jahr vor dem Examen es für zweckmässig gehalten haben, in die Familie des examinirenden Professors Eintritt zu erlangen, um als liebenswürdige Courmacher oder Tänzer eine Stellung zu erringen und gefeiert zu werden. In anderen Fällen wurde wieder allgemein behauptet, [51] dass Candidaten, welche einer bestimmten Verbindung (z. B. einem Corps) angehörten, vermöge ihrer persönlichen Beziehungen durchweg bessere Examina zu machen pflegten. Gewiss wird die Richtigkeit solcher Beschuldigungen schwer zu erweisen sein, aber es ist schlimm genug, wenn sie allgemein den Gegenstand der Erörterung bilden.

Wenn nun nach dieser Auseinandersetzung Keinem zweifelhaft sein dürfte, dass nur eine gemischte Commission vor grosser Einseitigkeit zu schützen im Stande sei, so wird doch die Nothwendigkeit noch anderer Vorsichtsmassregeln einleuchtend sein, durch welche alle erwähnten Unzuträglichkeiten vermieden werden. Es müssen nämlich noch zwei Momente mit Consequenz durchgeführt werden. Erstens muss die Commission alljährlich wechseln, wenigstens in einem Theil seiner Mitglieder, und zweitens darf die neue Zusammensetzung erst unmittelbar vor der Staatsprüfung öffentlich bekannt gemacht werden, so dass die Candidaten sich nicht darauf einrichten können. Ferner aber sollen nicht die Ordinarien allein zu Prüfungen zugelassen werden, sondern auch die Extraordinarien und die älteren Docenten, schon deshalb, um auch ihnen die Wohlthat grösserer Vorlesungen zuzuweisen und zu prüfen, ob sie in Zukunft für diese Thätigkeit geeignet oder ungeeignet erscheinen, wobei wir gar nicht einmal betonen wollen, dass die Humanität verlangt, dass sie auch an den in Folge des Examens [52] entstehenden pecuniären Annehmlichkeiten theilnehmen sollen.

Ganz besonders soll aber auch von Staatswegen darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Universitätsstudium nicht allein den Zweck hat, dass man sich zum Staatsexamen vorbereite und nur die Fächer des Staatsexamens höre und mit ihnen sich näher beschäftige, sondern dass das mehr oder minder selbständige Eindringen in die Wissenschaft die Hauptsache sei, woraus sich nachher mit der üblichen Vorbereitung das Examen von selbst ergeben müsse. Wir fürchten, dass durch die Festhaltung des bisherigen Systems ein banausisches, unkritisches und unselbständiges Beamtenthum gross gezogen werde, welches einmal die Regierungen mit grosser Sorge erfüllen könnte. Ganz besonders aber liegt der Fall im Bereich der Möglichkeit, dass das Beamtenthum diejenige Sicherheit und Selbständigkeit in der Auffassung und in der Kritik verliert, welche es früher in den Augen der Menge emporgehoben und von der kritiklosen Masse mit scharfer Grenze gesondert hat, was besonders bei den juristischen Beamten als ein unermessliches Unglück zu betrachten wäre. Das aber dürfte für jeden Culturstaat als ein bedenklicher Rückschritt zu betrachten sein, ganz besonders für die grösseren Staaten, deren Entwickelung, Gesetzgebung, Unterricht und Rechtsprechung im Wesentlichen von einem gediegenen und kritisch entwickelten Beamtenthum abhängig sind.


[53]


VI.
Die Ueberfüllungsfrage.

An mehreren Hochschulen ist von einigen Fakultäten die Beobachtung gemacht worden, dass das studentische Material, das dem Professor zugeführt wird, einer dauernden Verschlechterung entgegengeht, indem theils die Leistungen überhaupt geringer werden und Leute studiren, denen unter allen Umständen der Rath gegeben werden sollte, lieber nicht zu studiren, theils besonders auch die Spontanität des Arbeitens und eine gewisse Selbständigkeit des Eindringens in den wissenschaftlichen Stoff mehr und mehr vermisst wird. So sicher es nun ist, dass solche Klagen über Verschlimmerung der Zustände gewöhnlich unberechtigt sind, und aus dem Munde derer kommen, welche ihre Jugend und ihre Leistungen für vollkommen und unerreichbar ansehen, so wenig wird man leugnen können, dass in diesem Fall die Klagen völlig berechtigt sind. Denn wenn es schon wunderbar wäre, dass das heutige Studium auf die Examina hin keine nachteiligen Folgen für die Selbständigkeit des Arbeitens und der Kritik hinterlassen haben sollte, so steht doch auch die Thatsache fest, dass durch das Herauswerfen von Stipendien und die zahlreichen Erleichterungen beim Studium allmählich ein sehr geringes Material zum [54] Studium gedrängt worden ist, welches weit besser vom Studium und von der Beamtenkarriere fortgeblieben wäre.

Im Allgemeinen vertreten wir nämlich die Ansicht, dass der gesündeste Zustand im Staat darin besteht, dass die einzelnen Stände sich aus sich selbst rekrutiren müssen, dass demnach die Beamten wieder Beamte liefern sollen, die Offiziere die kommenden Offiziere, Kaufleute wieder Kaufleute, Handwerker wiederum Handwerker u. s. w., eine Ansicht, die schon von Aristoteles aufgestellt worden ist. Natürlich kann dies Gesetz nicht mit völliger Strenge und Pedanterie durchgeführt werden und es wird ebenso oft vorkommen, dass Söhne der höchsten Beamten zum Studium und zur Beamtenkarriere nicht qualifizirt sind, wie es umgekehrt nicht selten vorgekommen ist, dass Handwerkersöhne durch seltene Begabung und Lerneifer sich in der Weise für das Studium geeignet haben, dass es ein Verbrechen der Nebenmenschen gewesen wäre, sie vom Studium auszuschliessen[2]. Wir erinnern daran, dass Kant der Sohn eines Sattlers gewesen ist.

In der Neuzeit ist es indessen ganz anders geworden, und jene Ausnahmen sind auf einigen Hochschulen fast in die Regel verdreht worden. Gerade die Söhne von kleineren und sehr unbedeutenden Eltern nämlich haben sich in Unmassen zu dem Studium gedrängt, haben durch Stipendien, Freitische, Erlass der Vorlesungsgelder das Studium möglich [55] gemacht, und sind dann in die Beamtenkarriere eingetreten. Dieser Zustand aber bedingt nach unserm Urteil für den Beamtenstand und damit für den ganzen Staat eine nicht zu unterschätzende Gefahr, und wir wagen es offen auszusprechen, dass wir damit einem Beamtenproletariat entgegengehen, welches weder in amtlicher noch in sozialer Beziehung wünschenswert sein kann.

Sehen wir uns nämlich diese zukünftigen Staatsbeamten auf der Hochschule an, so gewährt ein grosser Teil von ihnen in der Regel keinen erfreulichen Eindruck. Sie betteln um Erlass der Honorare, treten aber nichts destoweniger in eine Verbindung ein, in welcher sie für die Beiträge, die sie zu zahlen haben, recht viele Collegia hören könnten, machen Schlittenfahrten, Wagenpartien u. s. w. mit, lassen es sich wohl gehn und entbehren nicht das Geringste. Sie sind nicht selten unerzogen, roh, und zeichnen sich durch Unverschämtheit aus. Viele sind sehr mittelmässig beanlagt, andere wieder in hohem Grade unfleissig. Sie haben so wenig Gefühl für Takt, dass sie als Studenten die kostspielige Jagdleidenschaft betreiben und mit ihren Professoren, von denen sie Erlassung der Vorlesungsgelder erbettelt haben, diese kostspielige Passion theilen, neben ihnen die Jagden und die Jagdessen mitmachen, ohne auch nur einen Augenblick an das Unpassende dieser Handlungsweise zu denken.

Weitaus das Schlimmste aber ist die mangelnde [56] Charakterfestigkeit, die bei einer grossen Anzahl dieser Studenten wahrgenommen wird. Die Söhne der höheren Beamten, der vermögenden Kaufmannswelt, der reichen Grundbesitzer, der höheren Offiziere wachsen meistens frei und selbständig auf und erhalten dadurch eine völlige Freiheit ihrer politischen und religiösen Ansichten. Es ist daher thatsächlich gar keine besondere Seltenheit, dass der konservative Beamte einen ganz liberalen Sohn hat, dass der ganz orthodoxe Vater bei seinem Sohn religiöse Aufgeklärtheit antrifft, dass ebenso der höhere Offizier einen Sohn hat, der schon frühzeitig Abneigung gegen den Offizierstand und Lust zum Künstler oder Schriftsteller bekommt. Beispiele sind allen gegenwärtig. Nur die Freiheit der Denkungsweise, die der gebildete Vater gestattet und pflegt, die Freiheit der Bewegung, in welche nicht eingegriffen wird, die pecuniäre Unabhängigkeit, die mehr oder minder in jenen Ständen zu herrschen pflegt, ermöglichen eine derartige selbständige Entwickelung.

Ganz anders ist das bei kleineren Leuten. Wir nehmen beispielsweise Volksschullehrer, Küster, Landjäger, subalterne Beamte, welche in den letzten Jahren nach statistischen Ausweisen keinen geringen Prozentsatz für das Studium geliefert haben. Dort ist der Knabe kaum geboren, so erwägen Mutter und Vater, welches Studium für den Knaben das geeignetste, d. h. das billigste und am schnellsten zum Ziel führende sein werde: denn dass er studiren [57] müsse, darüber herrscht in der ganzen Familie nicht der mindeste Zweifel. Die eine Mutter träumt schon ihren Sohn im schwarzen Priesterrock, die andere sieht ihn mit dem Cereviskäppchen in den Ferien zurückkehren und den Nachbarstöchtern die Köpfe verdrehen, sie ist entzückt, den Nachbarn X., dessen Sohn Schmid geworden ist, vor Neid bersten zu sehen, eine dritte glaubt, dass der Sohn als Lehrer wiedervergelten könne, was die Lehrer seiner Zeit an ihm verübt haben u. s. w. Kurz, die Eltern bestimmen den Sohn zum Studium. Mühsam vielleicht macht er das Gymnasium durch mit Gewährung von Freischule und Freibüchern, mühsam kommt er auf die Hochschule, und es gelingt ihm durch zahlreiche Besuche, Kratzfüsse, Bitten, Demüthigungen aller Art alles zu erreichen, was er will, bis die Stunde des Examens herannaht und endlich das längst erwartete Ziel der Eltern erreicht ist.

Wir können nämlich die Ueberzeugung nicht unterdrücken, dass diese Art keine würdige Vorbereitung zur Beamtencarriere bildet, und dass, wenn erst die Majorität aller Beamten aus so auferzogenen Männern bestehen wird, der ganze Beamtenstand erheblich verlieren muss. Wer von der Wiege an von seinen Eltern zum billigsten Studium bestimmt wird, kann nicht mit freiwilliger Liebe diesem Studium anhängen und wird daher von Anfang an nur das Examen und damit das sichere Brot im Auge haben. Er wird also ebenso ein mittelmässiger Student sein, [58] wie später ein mittelmässiger Beamter. Ebensowenig aber wird der ein selbständiger Charakter werden können, der sich schon in der Jugend überall hat beugen und schmiegen müssen, um weiterzukommen oder eine Kleinigkeit zu erreichen, weil ein einziger Fehlgriff vielleicht, die Verstimmung oder Unfreundlichkeit eines Lehrers, Directors, Professors ein plötzliches Ende der ganzen Carriere hätte machen können. Die schönste Zierde des Beamten aber ist Unabhängigkeit und Selbständigkeit, ganz besonders des juristischen Beamten, der sich stets von allen Strömungen und Strebereien fern halten muss, um nicht seine Unbefangenheit zu verlieren. Das heute fast in allen Berufszweigen wahrnehmbare Streberthum, das durch Bücken und Kriechen weiter kommen will und das ganz besonders in der akademischen und juristischen Carriere so unangenehm in den Vordergrund tritt und jährlich an Ausdehnung zunimmt, hängt nicht zum wenigsten mit jener Veränderung des Beamtenmaterials zusammen. Denn fein erzogene Söhne gebildeter und höherer Beamter oder Officiere werden sich selten zu widerlichen, schmeichlerischen, unaufrichtigen und abhängigen Strebern heranbilden.

Unter diesen Umständen hat die Regierung, zumal ja auf allen Seiten eine anerkannte Ueberfüllung vorhanden ist, die eine Aufgabe zu erfüllen, dass das Studium nicht mehr, wie bisher, in so liberaler Weise erleichtert wird, dass die unbemittelten Eltern, so [59] lange ihre Söhne das Gymnasium besuchen, von dieser Thatsache unterrichtet werden, dass nur diejenigen unbemittelten Schüler wirklich zum Studium zugelassen werden, von denen Director und Lehrer das Zeugniss abgeben können, dass sie zur Beamten- oder Gelehrtencarriere besonders qualificirt seien, und nur solchen die Erleichterungen beim Studium zu Theil werden dürfen. Von verschiedenen Seiten ist dieser Schritt schon energisch ins Auge gefasst worden. Nur auf diese Weise wird ebenso der zwecklosen und viele tüchtige Kräfte schädigenden Ueberfüllung Einhalt gethan werden, welche nur geeignet ist, dem Staat allmählich ein vollständiges Beamtenproletariat anzuhängen, wie andrerseits auch das törichte Vorurtheil damit aus der Welt geschafft wird, dass das Studium allein einen goldenen Boden habe, oder allein vornehm sei, wodurch den andern Ständen, ganz besonders auch dem bessern Handwerkerstand in einer ganz sinnlosen und zweckwidrigen Weise ein begabtes und brauchbares Material Jahre lang entzogen worden ist, welches dort eher an seinem Platz gewesen wäre, wie anderwärts.

Aber auch die Hochschulen selbst könnten manches gegen den Andrang unberechtigter Elemente machen, indem sie z. B. die Stipendienvertheilung in einer Weise anordnen würden, welche mehr dem wirklich begabten Studenten zu gute kommt, als dem, der blos ein Armuthszeugniss mitbringt, und besonders das persönliche Erlassen der Honorare[3] [60] erst nach einer weit strengeren Prüfung aller Verhältnisse eintreten lassen. Dies gilt am meisten von einzelnen norddeutschen Universitäten, deren einige, wie die Sage geht, dem anziehenden Studenten die Stipendien bereits beim Betreten des Stadtthors anzubieten pflegen. Es wäre an der Zeit, die Masse dieser Stipendien zu verringern und dafür Docentenstipendien zu gründen. Aber freilich so lange noch an einzelnen Universitäten, besonders süddeutschen, eine kleinliche Concurrenz herrscht in Betreff der Frequenz in jedem Semester, wobei um dies oder jenes Hundert noch herauszubekommen, Studenten, die schon ihr Examen gemacht haben, mitgezählt werden, ebenso blosse Hospitanten zu Studierenden umgewandelt werden, so lange in kleinen Universitätsstädten Studenten die „Herren“ sind, vor denen alles andere zurücktritt, und so lange die akademischen Behörden fast jeden Studentenunfug mit der grössten Sanftmuth und Toleranz behandeln, um ja keine Verstimmung zu erzeugen, oder für das nächste Semester dadurch den Verlust einer Verbindung oder einiger Studenten herbeizuführen, so lange wird kaum Aussicht sein, dass von der akademischen Seite selbst Massregeln ergriffen werden, welche der Ueberfüllung zu steuern geeignet sein.

Wir hören schon die beiden Einwände, welche jetzt gegen diese ganze Darstellung erhoben werden. Einmal entspricht es durchaus nicht der Liberalität unserer Gesetzgebung und unserer Verfassung, dass [61] nur gewisse Classen zu dem Studium Zutritt haben sollen, die andern nicht, während andrerseits gerade diejenigen gleichsam ein Monopol auf die Staatsämter erhalten, deren Einfluss man nicht noch höher schrauben sollte, – die Vermögenden oder Reichen. Gegenüber der ersten Behauptung ist geltend zu machen, dass nur die schon erwähnte, ganz ungesunde und durch krankende sociale Verhältnisse entstandene Geringschätzung des Handwerks zahlreiche Jünglinge von diesem Beruf entfernt gehalten hat, dass bei einer grösseren Nivellirung der Stände, wie sie beispielsweise England und Amerika besitzen, auch der hohe Beamte sich nicht mehr scheuen wird, seinen Sohn ein Handwerk lernen zu lassen, wenn er sieht, dass derselbe – was ja oft genug vorkommt – eine ausserordentliche Begabung für Holzschnitzereien, Zeichnungen, Buchbinden und allerlei Handarbeit an den Tag legt, in welchem Fall heute gewöhnlich der Knabe mit Gewalt von dieser Thätigkeit gerissen und in die lateinische und griechische Grammatik hineingepresst wird, für welche er weder Neigung noch Anlage hat. Es soll also keine Absperrung sondern nur der für das Staatswohl nöthige Ausgleich stattfinden.

Was aber den zweiten Einwand anbetrifft, so ist doch nicht in derselben Weise der Capitalismus in der Beamten- oder Officierswelt schädlich, wie in der Professorenwelt, da dort den Angestellten nicht selbst die Vollmacht über die Ersetzung und Rekrutierung [62] gegeben ist, wie sie die Professoren besitzen, die nur zu leicht die Frage nach dem Vermögen des zu berufenden allen andern Fragen voranzustellen geneigt sind. Ein vermögender und deshalb unabhängiger Beamtenstand wird für den Staat nur von Nutzen sein. Man erinnere sich, dass die höheren Beamten der grossen Republiken des Alterthums nur Ehrenämter hatten, für welche der Staat nichts zahlte!


VII.
Die deutsche Kritik.

Wer die französischen und englischen Anzeige- oder Recensionsblätter mit den deutschen vergleicht, der wird schon auf den ersten Blick eine grosse Verschiedenheit zwischen jenen und diesen wahrnehmen können. Während jene, selbst wenn sie tadeln, absprechen oder ganz verwerfen, niemals die Höflichkeit aus den Augen lassen und vor allen Dingen niemals die Persönlichkeit selbst angreifen oder despectirlich behandeln, finden wir in den deutschen Blättern nicht selten einen sehr unhöflichen, ja bisweilen geradezu groben oder brutalen Ton. Zwar gilt dies nicht von allen Disciplinen in gleicher Weise, [63] und die einen haben vor den andern den Ruhm einer grösseren Ruhe, Unbefangenheit und – um es kurz zu sagen – eines grösseren Anstands voraus. Desto beklagenswerther sind wieder die Ausschreitungen in andern Fächern, und es braucht hier nicht aufgezählt zu werden, wie oft in deutschen Blättern ein Gelehrter die Arbeit eines andern für den Papierkorb empfohlen, oder die mehrjährige Arbeit eines Collegen als Makulatur bezeichnet hat. Es genügt ferner an Ausdrücke, wie Stupidität, Impotenz, Bornirtheit u. a. zu erinnern. Deshalb verlohnt es einmal der Mühe, den Ursachen dieser befremdenden und auffallenden Thatsache nachzuspüren und zu untersuchen, ob sie mehr den Eigenschaften und Zuständen der Deutschen entsprechen oder unsern Einrichtungen, oder ob beide einen gleichen Antheil daran haben.

Zunächst wird man kaum in Abrede stellen können, dass der Germane vor allen andern Culturvölkern Europas die grösste Entwicklung der Individualität zeigt, ein Zug, der besonders auf dem geistigen Gebiet bemerkbar ist. Es kann daher kaum von einem germanischen Charakter etwa in der Weise die Rede sein, wie vom Charakter der Italiener, der Spanier oder der Franzosen. Schon die einzelnen Länder und Provinzen zeigen daher – zum grössten Theil auch in Folge der verschiedenen Stämme- und Raçemischungen, die in ihnen stattgefunden haben – eine ganz bemerkenswerthe [64] Verschiedenheit, und der ruhige und zähe Ostpreusse, der ehrliche und schwerfällige Pommer unterscheiden sich von dem lebhaften und heissblütigen Rheinländer oder Badenser mehr, als diese vielleicht von den Romanen gewisser Gegenden. Im allgemeinen ist das Temperament der nördlichen Gebiete Deutschlands phlegmatischer, das der südlichen hitziger und sanguinischer, wobei nicht ausgeschlossen ist, dass wieder eine geographische Lage, wie das Wohnen auf einem Plateau oder am Meer oder bestimmte klimatische Einflüsse gewisse charakteristische Eigenschaften für sich erzeugen. Die Heimath der lebhaften Temperamente pflegt eine höhere Cultur zu haben, die der phlegmatischen eine grössere Intelligenz.

Die ernsteste Folge dieses Unterschiedes ist nun, dass die einzelnen Individuen, die an jenen Eigenschaften Theil nehmen, viel zu sehr geneigt sind, ihre Art für die richtige und allein normale zu halten, womit dann in den meisten Fällen die Unterschätzung eines abweichenden Wesens verbunden ist. Im Allgemeinen wird man die Beobachtung machen können, dass die lebhaften Temperamente sich von den phlegmatischen abgestossen fühlen, während diese auf jene herabzusehn pflegen, weil eine dauernd ausströmende Lebhaftigkeit gewöhnlich mit geringerer Durchbildung, mit grösserer Oberflächlichkeit, mit mehr Unkenntniss und grösseren Irrthümern gepaart zu sein pflegt. Für die exacte [65] Wissenschaft ist daher ohne Zweifel das phlegmatische Temperament von weit grösserem Werth, als das lebhafte und sanguinische. Es ist daher kein blosser Zufall, dass der Norden Deutschlands für die Wissenschaft unendlich mehr geleistet hat, als der Süden, während dieser wieder an Künstlern reicher gewesen ist, und gemäss seiner grösseren Begabung an Phantasie sich einerseits mehr der Poesie, andrerseits mehr der philosophischen Speculation in die Arme geworfen hat. Ja, dieses mehr träumerische oder beschauliche Wesen hat bewirkt, dass schon die Frage aufgeworfen ist, ob der Süden überhaupt die subtile Detailarbeit, wie sie die norddeutsche Ruhe, die norddeutsche Zähigkeit und das Phlegma vorzugsweise hervorgebracht und cultivirt haben, jemals in einer ähnlichen Weise aufzubringen im Stande sein werde. Freilich dürfen wir nicht verhehlen, dass einige Culturhistoriker Zweifel angeregt haben, ob die wissenschaftliche, so sehr in Einzelheiten sich zersplitternde Entwicklung der letzten Jahrzehnte sich nicht zu sehr von dem grossen, ganzen und bedeutenden, dem eigentlichen Kern oder der Idee entfernt und in unbedeutenden Kleinigkeiten verloren hat, doch auf diese Frage einzugehn, ist nicht rathsam.

Wenn wir daher mit wenigen Worten die Verschiedenheit des Nordens und Südens auf dem geistigem Gebiet charakterisiren wollen, so werden wir finden, dass die gleiche Verschiedenheit sich auch in dem ganzen politischen Leben Deutschlands in [66] derselben Weise widerspiegelt. Der Norden zeigt in der Politik grössere skeptische Ruhe, daher mehr Opposition und mehr Liberalismus, und sehr schwer wirkliche Begeisterung, der Süden lebhaftere Empfindung und Beschaulichkeit, daher schnellere leidenschaftlichere Begeisterung und mehr Conservativismus. In der Wissenschaft wird der Norden mehr die schweren, gelehrten, materialreichen und Material verarbeitenden Arbeiten liefern, der Süden mehr die eine Idee mit Lebhaftigkeit und Wärme durchführenden. Als Beispiel für jene Klasse kann Mommsen’s römische Geschichte dienen, als Beispiel für diese Strauss’ Leben Jesu. Einzelne glänzende Ausnahmen, wie Zeller’s Geschichte der griechischen Philosophie und Teuffel’s römische Literaturgeschichte werden an dieser Norm nichts ändern können. Die erste Richtung kann sich leichter von offenbaren Irrthümern freihalten, die zweite schwerer. Beide werden naturgemäss sich nicht selten befehden und im allgemeinen sich nicht mit grosser Hochschätzung behandeln, wofür zahlreiche Beispiele vorliegen.

Aus der schöngeistigen Literatur unsrer Zeit wird es genügen, nur ein Beispiel anzuführen, an welchem sich diese Verschiedenheit des Temperaments und seine Einwirkung auf Geschmack und Urtheil am deutlichsten nachweisen lässt. Wenn wir die deutsche Romanliteratur der letzten Jahre verfolgen, so lassen sich zwei Richtungen leicht unterscheiden: der sociale oder socialpolitische Roman, [67] der in der Jetztzeit spielt, und der historische, der nicht selten aus dem Mittelalter, gewöhnlich aber aus dem Alterthum seine Stoffe nimmt. Den letzteren hat man auch den realistischen, oder wenn er eine zu grosse Sorgfalt auf das Portraitiren der alten Einrichtungen verwandt hat, den archäologischen Roman genannt. Wenn wir nun die gewöhnliche Definition des Romans ins Auge fassen, wonach doch eben der Stoff nur poetisch sein und poetisch behandelt sein soll, so unterliegt es keinem Zweifel, dass beide Richtungen ihre Berechtigung haben, sofern sie sich von tendenziöser Schilderung freihalten, d. h. der eine nicht rein politisch wirken will, der andre nicht darauf[4] ausgeht, die philologischen oder archäologischen Kenntnisse zu bereichern. Dasselbe gilt naturgemäss auch von den Novellen. Dem Dichter steht zweifellos die ganze Weltgeschichte zu seiner Verfügung. Dennoch gibt es heute eine ganze Gruppe von Kritikern – und darunter sind hervorragende Namen – welche keine Gelegenheit vorüber lassen, um ihre Missachtung des antikisierenden Romans zu erkennen zu geben. Warum? Warum will man eine Richtung unterdrücken, die ihre Berechtigung hat? Ausserdem liegt ja auf der Hand, dass hierbei die besondere Vorliebe allein durch das Temperament entschieden zu werden pflegt, indem der skeptische Mensch sich mehr für den politischen Roman begeistern wird, der beschauliche mehr für den historischen. Der eine wird vielleicht Spielhagen [68] am meisten verehren, der andre Felix Dahn. Im allgemeinen werden die socialen Romane daher im Norden mehr gelesen, als im Süden, die historischen umgekehrt. Die grossen Städte des Nordens mit ihrem entwickelten politischen Leben und Treiben liefern die Hauptverehrer des socialen und politischen Romans. Die beiden Richtungen werden stets ihre Vertreter, Verehrer und zahlreiche Leser finden, warum soll der einen durch stetes Absprechen, Abkanzeln, Herunterreissen der Appetit verdorben werden?

Wenn wir so mit wenigen Worten berührt haben, in wiefern durch die grosse Verschiedenheit des Temperaments deutscher Stämme und Individuen eine Unterschätzung der gegenseitigen Leistungen ermöglicht wird, so kommt diese dennoch weit weniger in Betracht, als die deutschen Einrichtungen und Zustände, welche die Misshandlung eines einzelnen in hohem Grade begünstigen. Das erste Moment, dass hier angeführt werden muss, ist die Schule. Wie es in der Kunst Schulen gibt, deren Hauptdifferenz wohl darin besteht, ob sie mehr dem Idealismus oder dem Realismus huldigen, oder mit anderen Worten und kurz gesagt, ob sie den Cultus der Madonna vorziehn oder den des nackten Weibes, – so gibt es auch solche in der Wissenschaft, wenn auch da die trennenden Differenzen weit unbedeutender zu sein pflegen. Aber in jedem Fall zeichnet sich Deutschland durch die grosse Anzahl seiner [69] Schulen aus. Die eine Schule will deutsch schreiben, die andre lateinisch, die eine legt das grösste Gewicht auf die formelle Darstellung, die andre ein weit geringeres, die eine hält überhaupt die Darstellung für die Hauptsache, die andre mehr die Verwerthung des Materials und die Quellenanalyse, die eine empfiehlt mehr die Production, die andere die receptive Thätigkeit. Die einen wollen das gesammte Material in Anmerkungen unter oder hinter den Text angeführt haben, die andern wollen es mehr im Text verarbeitet haben. Eine der bedeutsamsten Schuldifferenzen in der Philologie, welche zur Kenntniss des grossen Publikums gekommen sind, ist bekanntlich „die homerische Frage“ und im Anschluss daran „die Nibelungenfrage“, wo die Lachmann’sche oder Berliner Schule in beiden Fällen die Liedertheorie aufgestellt und unter allen Wandelungen und Kämpfen aufrecht erhalten hat. Diese Frage hat eine grosse und heute kaum noch zu bewältigende Literatur im Gefolge gehabt. Die wenigsten Punkte aber, welche Schulen zu trennen pflegen, haben auch nur annähernd eine ähnliche Bedeutung, wie jene für die Entstehung des Volksepos so wichtige, wenn sie auch in keiner Weise und zu keiner Zeit lösbar werden wird, wie jeder Unbefangene einsehen muss. Dennoch ist der Kampf auf allen Seiten zeitweise mit Erbitterung geführt worden, und es ist eine der traurigsten Erscheinungen in der Geschichte des menschlichen Geisteslebens, dass niemals schärfer, [70] gröber und sicherer gesprochen worden ist, als über Fragen, die bestimmt sind, immer in Dunkel gehüllt zu bleiben. In jedem Fall dauert auch noch heute fast auf allen Gebieten menschlichen Wissens die Befehdung der Schulen fort, die sich nicht selten im Absprechen, Schimpfen, Insultiren u. s. w. Luft zu machen pflegt.

Und damit kommen wir gleich zu der am meisten in die Augen springenden Eigenschaft deutscher Recensionen. Wenn der Ton um so schroffer zu werden pflegt, je weniger Sicherheit über einen Punkt herrscht, oder je weniger überhaupt herauszubekommen ist, so pflegt der deutsche Gelehrte vorzugsweise der einen Unsicherheit eine zweite entgegenzusetzen. Während wir daher in den französischen[5] Blättern, besonders in der „Revue critique“, ein liebevolles Eingehen auf den Inhalt der anzuzeigenden Schrift bemerken, was das wichtigste der Recension zu sein pflegt, fehlt dieses bei den deutschen Blättern in den meisten Fällen fast ganz, und der Kritiker begnügt sich damit, seine oppositionellen Punkte hinzusetzen, oder ein paar gleichgültige Fehler anzukreiden. Fürwahr eine ganz absonderliche Art von Referat, die aber so gebräuchlich ist, dass sie in Deutschland gar nicht mehr auffällt! Man kann meistenteils sagen, dass der Leser gar nicht mehr erfährt, was überhaupt in einem Buch drinsteht, da der Kritiker nur seinen Widerspruch, oder was er darüber denkt, mitzutheilen für gut hält. Und deshalb [71] sind die meisten Fälle so geartet, dass die Wahrheit zwischen dem Verfasser und dem schneidigen Kritiker – die oftmals ganz junge, unerfahrene heisspornige, vielleicht auch unwissende Leute sind – in der Mitte liegt. Nicht selten aber hat der Verfasser Recht, und ein einseitiger Kritiker Unrecht. Dies wird besonders dann gewöhnlich sein, wenn Verfasser und Kritiker zwei feindlichen Schulen angehören, eine Erscheinung, die gleichmässig in deutschen Anzeigeblättern nichts Auffallendes zu bieten pflegt, während sie doch wegen der sichtbaren Ungerechtigkeit und Gehässigkeit unter allen Umständen vermieden werden müsste. Es ist sogar bekannt, dass junge Heisssporne über ein Werk herfallen, um sich bei ihrem, einen andern Standpunkt einnehmenden Lehrer zu insinuiren.

In ähnlicher Weise ist die Carriere des einzelnen von Einfluss auf seine Gemüthsstimmung und auf seine Behandlung der Nebenmenschen. Wenn zwei Rivalen dem gleichen Ziel zustreben, in diesem oder jenem Gebiet als die ersten zu gelten, oder da- oder dorthin berufen zu werden – wenn sie junge Leute sind, vielleicht den ersten Ruf zu erhalten, wenn sie älter sind, einen vortheilhaften und ehrenvollen – oder durch dies eine Gebiet Fremde in grosser Zahl herbeizulocken, so bewirkt die Concurrenz, dass beide in kurzer Zeit sich feindlich gegenüberstehen und sich auf alle Weise litterarisch zu schädigen versuchen. Man könnte dies Verhältniss [72] den ‚erweiterten Brodneid‘ nennen. Da wirklich grosse Männer seltener in diesen Fehler verfallen werden, so scheint daraus hervorzugehen, dass die heutigen Gelehrten nicht immer grosse Männer sind.

Weit einflussreicher aber auf die Art der Behandlung ist der Einfluss des Coterienwesens oder der litterarischen Cliquen, der sich heute in der Gelehrten- und schöngeistigen Welt geltend macht. Je grösser die Macht dieser Cliquen ist, die gewöhnlich nur durch persönliche Freundschaft und conventionelle Unwahrheit zusammengehalten wird, um so verächtlicher ist ihr Treiben, und um so mehr sollten sich alle anständigen Männer vereinigen, um dieses Cliquenwesen zu bekämpfen und zu vernichten. Es ist eine der traurigsten Erscheinungen moderner Cultur, dass solche Coterien es vermocht haben, ganz unbedeutende Männer in die Höhe zu bringen, und sehr bedeutende zu unterdrücken, und dass die grosse Welt in vielen Fällen getäuscht worden ist. Gewöhnlich sind es sociale Elemente, welche zur Entstehung und Verbrüderung einer Clique beitragen, nicht selten – das Geld, das sich heute auch die Wissenschaft unterthan gemacht hat.

Eine ganz eigenthümliche Kritik pflegt von den Ordinarien über die Arbeiten der Docenten und Extraordinarien ausgeübt zu werden. Dieselben sind in ihren Augen gewöhnlich nicht durchgearbeitet genug oder flüchtig. Dies mag ja in vielen Fällen richtig sein, aber die Ordinarien pflegen dabei das [73] eine Moment ganz zu übersehen, dass sie im Vollgenuss reichen Besitzthums zu arbeiten pflegen, welches ihnen die grösste Musse gewährt, während die jüngeren Lehrer oftmals schneller arbeiten müssen, um Geld zu verdienen, vielleicht um ihre Familie zu erhalten. Ein solches Moment pflegt aber von den Besitzenden nicht in Anrechnung gebracht oder gar zur Erklärung und Entschuldigung angeführt zu werden.

Es ist auch vorgekommen, dass besonders neidische Ordinarien, welche einen an derselben Hochschule wirkenden, ihnen unbequemen Docenten schädigen wollten, zwar nicht ein Buch desselben selbst recensirt und öffentlich heruntergemacht haben – denn dieser Gipfel der Unanständigkeit würde selbst in den vielvertragenden akademischen Kreisen eine Verurtheilung erleiden – aber dem jungen, ihnen bekannten Recensenten einzelne Giftpillen zugestellt haben, auf die jener gar nicht gekommen wäre, um eine mehr niederschmetternde Wirkung zu erzeugen. Deutsche Professoren!

Endlich darf auch die Ueberproduction auf allen Gebieten nicht unerwähnt bleiben. In der That giebt es heute kaum ein Feld in dem ganzen Bereich der Wissenschaft, auf dem nicht wenigstens zwei zu gleicher Zeit und unabhängig von einander arbeiten. Ist dann der eine mit seiner Arbeit fertig und publicirt sie, so fällt dann gewöhnlich der zweite, oder – um mit Riederhood in Boz’ ‚gemeinschaftlichem [74] Freund‘ zu sprechen – der anderste darüber her und sucht die Arbeit so schlecht als möglich zu machen. Gewöhnlich publicirt auch der eine schneller, der andere langsamer. Welches die inneren Beweggründe sind, die dazu treiben, ist schwer zu sagen. Einen Hauptantheil hat der Neid, dann die Befürchtung, dass vielleicht die eigene Arbeit überflüssig gemacht werden könnte, endlich auch – zum Theil wenigstens Schadenfreude – wenn man besser als ein anderer die Fehler darin beurtheilen kann – und Geiz. Es giebt deutsche Gelehrte, die jedesmal erbleichen, wenn sie ein neues Buch in die Hand nehmen, weil sie darin eine Schmälerung ihres litterarischen Ruhmes erblicken. Dieselben benutzen jede Gelegenheit, um ihr Gift gegen jemanden auszuspritzen, wie die Giftschlange ihr Opfer mit Gift befeuchtet, bevor sie es tödtet. Sie würden von den alten Künstlern als die Personificationen des Neides, als ‚Phthonos‘ dargestellt worden sein.

Im Gegensatz zu diesen Kritiken, welche wohl die grössere Hälfte aller wissenschaftlichen Anzeigen in Deutschland ausmachen, steht nun ein kleinerer Theil, bei welchem die Höflichkeit und die devote Liebenswürdigkeit selbst bei unbedeutenden Arbeiten sofort einen sehr wohlthuenden Eindruck machten. Der Eingeweihte wird in den seltensten Fällen fehlgehen, wenn er behauptet, dass der Kritiker von dem Verfasser etwas wünscht. Der junge Mann will gewöhnlich dadurch seine Carriere begründen, [75] dass er vor einer einflussreichen Persönlichkeit auf dem Boden liegt und bei jeder Gelegenheit ihren Ruhm singt. Ein älterer Gelehrter sucht auf diesem Wege nicht selten Hülfe für einen vortheilhaften Ruf. Es ist Thatsache, dass solche Berufungen die Wirkung von devoten Kritiken unbedeutender Arbeiten gewesen sind.

Wenn man aus dem Gesagten einen Schluss ziehen darf, so scheint der eine besonders nahe zu liegen, dass eine ‚Aristokratie des Geistes‘, welche sich hoch über Parteigezänk, über Eifersucht, Neid, Bosheit, Kriecherei erhebt, in der deutschen Schriftsteller- und Gelehrtenwelt der Jetztzeit schwer anzutreffen ist. Doch dürfen wir uns vielleicht mit der Hoffnung trösten, dass neben diesem sich vorzugsweise in der Oeffentlichkeit und in den allen zugänglichen Blättern bemerkbar machenden Theil der litterarischen Welt ein anderer, besserer existirt, der in edler Gesinnung, in Wohlwollen gegen die Mitarbeiter ohne Neid und Bosheit nur der Pflege seiner Wissenschaft und seiner Schriftstellerei lebt. In jedem Falle aber scheinen die skizzirten Einrichtungen dazu angethan zu sein, auch einen von Natur besseren Charakter zu verderben und zu vergiften. Aus diesem Grunde werden wir nicht umhin können, diejenigen zu preisen und zu beneiden, welche in der Lage sind, unabhängig von dem kleinlichen Neid und der Bosheit der Collegen an der Stelle zu wirken, wo es am dankbarsten aufgenommen wird, d. h. die [76] Bildung des lesenden Publikums zu fördern und damit einem grösseren Theil der Menschheit Wohlthaten zu erweisen. Denn diese eine Thatsache scheint ja leider festzustehen, dass das Publikum jener Gelehrten, die in Detailkrämerei das Höchste leisten, immer kleiner wird, so dass kaum noch von einem lesenden Publikum die Rede sein kann – und jene ihre Hochachtung vorzugsweise gleichsam par distance oder renommée geniessen. Vielleicht aber wird die fortdauernde Entwickelung und Erstarkung des deutschen Reiches allmälig auch dahin wirken, dass eine Fructificirung der Bosheit und der Streberei in der deutschen Kritik nicht mehr möglich ist, indem dem Verdienst von selbst seine Belohnung wird, ohne die Hebammenkünste Dritter, und die Bösartigkeit in sich selbst zusammenbricht. Das wird aber in dem Augenblick der Fall sein, in welchem die Macht und der Einfluss des deutschen Cliquen- und Schulwesens gebrochen wird.


VIII.
Die Kritik der Facultäten.

Die grosse Menge stellt sich in der Regel die akademische Carriere nach einigen illustren Beispielen vor von Gelehrten, die 2–3 Jahre Docenten [77] gewesen, dann auf Empfehlung einflussreicher Lehrer Professoren und wiederum sehr schnell Ordinarien geworden sind, ohne dass in jedem Fall behauptet werden kann, dass diese Auszeichnung verdient war. Es ist ja zweifellos, dass manche in der Weise befördert worden sind, und dass auch in den letzten Jahren besonders in Preussen keine unerhebliche Zahl von akademischen Lehrern mit dieser Schnelligkeit avancirt ist. Dennoch wagen wir zu bezweifeln, dass die Mehrzahl der akademischen Lehrer in Deutschland auf die genannte Weise weiterkommt, und deren langsamere Laufbahn zu schildern, beziehungsweise das hervorzuheben, was sich ihnen meistens hindernd in den Weg legt, ist der Zweck der nachfolgenden Zeilen.

Die erstgenannte Classe von Docenten, welche eine so schnelle und günstige Carriere zu machen pflegen, sind fast alle die Schüler von Lehrern, die ausnahmslos eine massgebende Stimme bei der Besetzung vacant gewordener Stellen haben, mögen sie nun in Berlin, Bonn oder Leipzig sitzen. Nur selten verirrt sich in diese Classe ein von anderwärts herkommender, der durch Empfehlung, durch Insinuation, durch Pflege und Anerkennung der herrschenden Schulweisheit sich Eintritt verschafft hat. Diese Classe erhält ihre ersten wissenschaftlichen Arbeiten von ihren massgebenden und mächtigen Lehrern, und mögen sie nun ausfallen, wie sie wollen, es steht fest hinter ihnen eine grosse Schaar, welche für die [78] Arbeit eintritt und in den zu Gebote stehenden Organen preist.

Damit soll durchaus nicht gesagt sein, dass die Arbeit das Lob nicht verdient. Aber das dürfte richtig sein, dass sie die Anerkennung nicht finden würde, wenn sie von einem ausserhalb des Ringes stehenden verfasst worden wäre. Besonders gilt dies von den herrschenden Schulen in der Medicin und in der Philologie.

Wem aber das Glück nicht zu Theil geworden ist, einen so einflussreichen Lehrer zu besitzen, wer von Anfang an mehr auf seine eignen Füsse gestellt war, und in der Auswahl seines wissenschaftlichen Weges selbständig vorgehen musste, wer ferner weder einen einflussreichen Freund hat, noch eine Clique, die wissenschaftlich für ihn einzutreten bereit ist, dessen wissenschaftliche Leistungen pflegen für die einheimische Beförderung zunächst der Kritik der Facultäten zu unterliegen. Da nun aber in einer Facultät nicht alle sachverständig sind – am ehesten dürfte dies noch bei der theologischen Facultät der Fall sein, am wenigsten in den meisten philosophischen Facultäten, die auch Naturforscher und Mathematiker in friedlicher Nachbarschaft neben Philologen und Historikern besitzen, nicht viel weniger aber auch z. B. in der medicinischen Facultät –, da ferner bei der heutigen Specialisirung des Gesammtgebietes selbst von den Fachgenossen in der Regel nur einer dem wissenschaftlichen Gebiet des [79] Docenten besonders nahe steht, so pflegt auch dieser eine nicht nur derjenige zu sein, welcher unter Umständen allein die Arbeiten des Docenten liest, sondern auch in jedem Fall zu dem massgebenden Referenten der Facultät in jeder Personalfrage erwählt wird, oder wenn dies zufällig nicht geschehen sein sollte, dennoch in der Facultät das entscheidende Urtheil hat. Dieser eine wird nun in vielen Fällen ein wohlwollender und humaner Mann sein, der auch von der Erwägung ausgehen wird, dass ein jüngerer Gelehrter gewöhnlich noch kein fertiger Meister ist, wie ja auch die berühmtesten Gelehrten nicht als fertige Heroen sofort dagestanden haben, sondern erst allmählig sich entwickelt haben. Er wird daher keine zu strengen Anforderungen an die ersten wissenschaftlichen Elaborate des Docenten stellen und wird auch dem Fleiss und dem guten Willen seine Anerkennung nicht versagen wollen.

Ganz anders aber liegt die Sachlage, wenn dieser eine nicht zu den wohlwollenden Richtern und Collegen gehört, oder gar, wenn er auf demselben Gebiet, wie der Docent arbeitend mit Gefühlen des Verdrusses und des Neides auf die Arbeiten des jüngeren Collegen blickt. Man vergesse nicht, dass es auch unter den Professoren Menschen giebt, die von dem Ideal eines wohlwollenden Gelehrten sehr weit entfernt sind. Die unfertigen Charaktere aber, welche gewöhnlich an Hypertrophie des Selbstbewusstseins leiden, erkennen sogar nur dasjenige [80] als vollkommen an, was sie selbst geleistet haben. In solchen Fällen pflegt dann, wenn der Docent nicht etwa ein Engel ist oder von vorne herein auf jegliche Anerkennung seitens seiner Facultät verzichtet hat, sehr bald eine persönliche Missstimmung zwischen dem Besitzenden und Nichtbesitzenden Platz zu greifen, die gewöhnlich durch die litterarischen Erfolge des Docenten, durch kleinere Vorkommnisse oder übelwollende Gegner geschürt, allmählich einen acuten und unheilbaren Charakter annimmt. Die Folge dieses Verhältnisses ist dann die, dass der Docent für seine Hochschule als hoffnungslos verloren angesehen, jedenfalls für jede bessere und höhere Stellung als unmöglich betrachtet wird. Unter den zahlreichen Fällen dieser Art genügt es nur, an die historischen Beispiele Schwegler, Kayser, Vatke und Lagarde zu erinnern. Fast immer war es ein rivalisirender Ordinarius, der die Beförderung hintertrieben hat. Auch andere Beispiele sind in der akademischen Welt bekannt worden, dass ein Ordinarius von einem Docenten officiell gesagt hatte, derselbe werde nie einen vernünftigen Satz schreiben lernen – und der Docent war einige Jahre später ein berühmter Mann, und war vielleicht von Anfang an bedeutender – als sein Ordinarius.

Die heutige Universitätsverfassung kann nun in keiner Weise verhindern, dass nicht solche Fälle täglich sich wiederholen. Denn die Facultät ist [81] weder in der Lage gegen das Urtheil des nächsten Fachgenossen Einsprache zu erheben, noch wird sie es aus praktischen Gründen für zweckmässig halten, damit nicht der Usus einschleiche, dass die nächsten Sachverständigen überstimmt werden könnten, was für jeden einzelnen von sehr verhängnissvollen Folgen begleitet ist, da man eben so handeln könnte, wenn er selbst einmal der Sachverständige wäre. Ausserdem aber ist auch in den seltensten Fällen der Docent so fest gewurzelt, dass sich andre Ordinarien für ihn in der Weise verwenden, dass sie etwa dadurch die Gehässigkeit oder den Aerger eines Collegen heraufbeschwören wollen. Ebenso schwer aber wird man sich zu einem Separatvotum entschliessen, wodurch immer schon ein offener Conflict heraufbeschworen wird, den man um das Schicksal eines einheimischen Docenten, das die meisten Ordinarien sehr kühl auffassen, nicht leicht erregen wird.

Indem wir also ohne weiteres die Thatsache constatiren, dass ein fleissiger und strebsamer Docent das geduldige Opfer eines Nebenmenschen werden kann, dem er nicht das geringste gethan hat, und der sich als der Riegel entpuppt, der seinem ganzen Lebensglück in den Weg geschoben wird, haben wir damit gleichfalls auf ein unmoralisches und höchst bedenkliches Moment aufmerksam gemacht, welches in dem heutigen Universitätsleben eine Rolle zu spielen pflegt. Nun hören wir schon die Einwürfe unsrer Gegner.


[82] Erstens, werden sie sagen, kommen überall Ungerechtigkeiten vor, und da die Professoren Menschen sind, wie die andern auch, so kann man bei ihnen keine völlige Fehlerfreiheit voraussetzen. Zweitens werde einem tüchtigen Docenten die Feindschaft seines Ordinarius keinen zu grossen Schaden zufügen, da diese Feindschaft auswärts nicht beachtet zu werden pflege, und ein tüchtiger Mensch, der sich vortheilhaft bekannt gemacht hat, überall sein Glück machen könne.

Gegen diese Einwände lässt sich folgendes bemerken. Erstens ist es in keiner Carriere möglich, dass die Ungerechtigkeit oder Bösartigkeit eines Vorgesetzten einen so verhängnissvollen Einfluss auszuüben vermag. Ein Gymnasial- oder Gerichtsdirector können die Beförderung eines Beamten durch ungünstige Berichte verzögern, verhindern werden sie dieselbe nicht. Ist aber der Beamte tüchtig, so wird die Ungerechtigkeit von Schülern, Eltern, Schulrath, Clienten, Collegen u. s. w. sehr bald empfunden werden, und der allgemeine Druck wird ein äusserstes Mass von Ungerechtigkeit stets verhindern. Im Nothfall wird die vorgesetzte Behörde den jungen Beamten dem Einfluss seines Quälers entziehen und nach einer anderen Stelle versetzen. Kommt bei den akademischen Docenten ein ähnlicher Druck der öffentlichen Meinung vor? Nein. Hin und wieder haben allerdings die Studenten einer Fakultät zu Gunsten eines Docenten oder eines Extraordinarius [83] eine Eingabe oder Adresse oder Petition veranstaltet, aber soweit unbekannt geworden ist, stets ohne den geringsten Erfolg. Ja man kann mit der grössten Sicherheit behaupten, dass ein solcher Schritt dem Docenten in den Augen der Ordinarien noch grösseren Schaden hinzufügen wird. Kann aber ein Docent seinem Quäler durch Versetzung entzogen werden? Nein. Wenn er nicht etwa vorziehen sollte, damit der akademischen Carriere zu entsagen und in das praktische Fach überzutreten. Denn es ist ein zu hartes Verlangen für einen, der schon einmal von den Dornen dieser Carriere gerissen worden ist, etwa auf einer anderen Hochschule sein Glück zu versuchen und den Scherereien von neuem sich auszusetzen.

Noch irrelevanter aber ist das zweite Moment, dass ein tüchtiger Docent auch ohne seinen Professor von selbst weiter kommt. Die Thatsachen und Erfahrungen sprechen dagegen. Denn ein Professor, der den Docenten an seiner eignen Fakultät mit Geringschätzung behandelt, kann ihm nicht auswärts ein glänzendes Lob ausstellen, wenn er nicht in den Verdacht des Fortlobens verfallen will, das auch hier und da ausgeübt wird. Ausserdem wird er auch in der Regel nach aussen hin seine Gesinnung in der Weise manifestiren, dass er eben dem Docenten keinen Nutzen, sondern Schaden zufügt.

Aus diesen Gründen scheint uns die auf zwei menschliche Augen gestellte Kritik einer Fakultät [84] eine höchst bedenkliche Einrichtung zu sein. Dennoch würde sie wenig zu bedeuten haben, wenn die Minister Sachverständige wären oder dauernd von Sachverständigen Rath erhielten, was bekanntlich nicht der Fall ist. Die Minister haben nicht an der einen Hand einen Sachverständigen für Mediciner, Naturforscher u. s. w., an der andern für Juristen, Philologen u. a. Aus dem Grunde muss die Kritik der Fakultät in Personalfragen durch etwas ergänzt werden, was eine grössere Objectivität gewährleistet und jede persönliche Beeinflussung verhindert. Dies ist aber nur dadurch möglich, dass neben der Fakultät ein zweiter unbefangener und uninteressirter Sachverständiger von der Regierung aufgestellt wird – sei es aus einer benachbarten Fakultät oder aus einer praktischen Stellung – der in zweifelhaften Fällen die bestimmte Ordre erhält, auswärts Erkundigungen einzuziehen, damit der Docent nicht ungerecht behandelt oder gemisshandelt werden kann.

Sehen wir uns aber die Kritik dieser Fakultäten bei Berufungen an, so ist doch höchst auffallend, dass eine Fakultät, welche die grösste Subtilität der Beurtheilung walten lässt, wenn es gilt, einem Docenten 300 Mark zu bewilligen, nicht Material genug sich zu verschaffen vermag, um bei der Berufung zu verhindern, dass ein Gelehrter anrückt, der sich sofort als der widerwärtigste, bösartigste und unverträglichste Mensch entpuppt. Fürwahr das sind eigenthümliche Früchte der Kritik der Fakultäten! [85]

Es kann daher auch bei der Prüfung dieser Frage nur das gleiche Resultat herauskommen, das bei Prüfung fast aller akademischen Angelegenheiten sich mit Nothwendigkeit ergiebt, dass der bisherige Modus als überlebt und in zahlreichen Fällen als überaus bedenklich zu betrachten ist.


IX.
Uebergehung einheimischer Docenten.

In den letzten Jahrzehnten hat sich mehr und mehr die Praxis herausgebildet, dass bei der Neubesetzung einer Stelle die an der Fakultät für das Fach vorhandenen Docenten und Extraordinarien als Luft angesehen werden. Auch hier haben die kleineren Länder diese Praxis, wie gewöhnlich, auf die Spitze getrieben, während z. B. Preussen in der allerletzten Zeit wiederholentlich die an der Fakultät befindlichen Docenten zu ordentlichen Stellen befördert hat. Es ist kein Zweifel, dass in früheren Jahrhunderten besonders in kleinen Ländern Neubesetzungen durch Avancement der übrigen gewöhnlich entschieden worden sind. Die Fälle, in denen ausserhalb Preussens ein vorhandener Docent oder Extraordinarius das Ordinariat bekommen hat, bilden aber in der Neuzeit eine verschwindende Minderzahl [86] und sind in der Regel auf grossartige Intriguen, auf Familieneinfluss oder auf Fürsprache einer einflussreichen Persönlichkeit zurückzuführen. Dies Verfahren der Fakultäten wird damit motivirt, dass man ihnen die grösste Freiheit zugestehen müsse, dass sie die Verpflichtung hätten, den besten zu berufen, den sie den gegebenen Verhältnissen gemäss gewinnen könnten, und dass der vorhandene Docent, da er mit den Kinderschuhen des Unterrichts begonnen habe, und die natürlichen Schwächen dieser Periode den Studenten bekannt sein, in der Regel nicht die geeignete Persönlichkeit für die vacante Stelle sei.

Wenn wir nun zugestehen wollen, dass diese drei Gesichtspunkte völlig berechtigt sind, so darf man doch darauf aufmerksam machen, wie viel Unzuträglichkeiten dies Verfahren im Gefolge habe, das in einzelnen Fällen, die vorzugsweise flagrant waren, bereits zu lebhaften Erörterungen in der Tagespresse Veranlassung gegeben hat. Besonders hat ein vor kurzem in Baiern vorgekommener Fall die Aufmerksamkeit aller betheiligten Kreise erregt, wobei die Oeffentlichkeit sich zu Gunsten eines jungen Lehrers verwandte, der übergangen werden sollte.

Wir behaupten nämlich, dass die systematische Beobachtung dieses Usus in einer grossen Anzahl von Fällen eine schreiende Ungerechtigkeit im Gefolge habe. Der Docent hat sich gewöhnlich mit grossem pekuniären Opfer, das nach vielen Tausenden geht, [87] für ein Fach habilitirt, um nach auswärts berufen zu werden, oder – wenn an der eignen Hochschule sich Vacanzen eröffnen – dort zu avanciren. Man kann unmöglich behaupten, dass jeder Docent von vorn herein die Hoffnung begraben habe, an der eignen Fakultät weiter zu kommen. Dafür wird doch die Berufung nach auswärts von den meisten als eine viel zu problematische und mit noch mehr Schwierigkeiten begleitete Sache aufgefasst, dass sie nicht auch auf eine einheimische Beförderung rechnen müssten. Nun wäre ja das Verfahren der Uebergehung gerechtfertigt, erstens wenn in den meisten Fällen der Docent noch zu wenig reif und wissenschaftlich entwickelt wäre, um ihm eine ordentliche und vollständige Stelle zu geben, und zweitens wenn jede Fakultät oder die Fachgenossen einer Fakultät sich in jedem Fall Mühe geben würden, oder den Einfluss hätten, den jüngeren Collegen auswärts unterzubringen.

Prüfen wir den ersten Punkt, so kann nicht geleugnet werden, dass die Fakultäten in vielen Fällen in der glücklichen Lage sind, eine namhaftere Autorität zu berufen als der übergangene Docent ist, besonders wenn die Regierung sehr liberal ist und die hohen Gehälter bewilligt, die heute für eine solche Berufung erforderlich sind, und die, wie bekannt ist, nicht selten die Summe von 7–8000 Mark selbst bei noch jüngeren Professoren ausmachen. In einer Anzahl von Fällen aber ist ebenso erwiesen, dass die [88] Fakultäten keine grössere Kraft berufen haben, als der übergangene Docent oder eine an derselben Hochschule schon wirkende Kraft gewesen wäre. Gesetzt den Fall aber auch, dass die Fälle erster Art in bedeutender Majorität sind, so ist damit noch keineswegs gesagt, dass durch das Herbeiziehn einer grösseren Autorität auch stets eine grössere Blüthe der Fakultät oder die Anlockung einer grösseren Zahl von Studirenden bedingt sei. Es ist nicht nur oft vorgekommen, dass eine berufene Celebrität durchaus gar keinen günstigen Einfluss auf das Studium und die Frequenz ausgeübt hat – was nicht selten entweder von den persönlichen Eigenschaften des Professors oder von ganz zufälligen, socialen oder geographischen, Verhältnissen abhängig ist – wie umgekehrt der Fall eingetreten ist, dass erst nach dem Weggang der Celebrität eine grössere Blüthe beobachtet werden konnte.

Bei der Betrachtung des zweiten Punkts aber kommen wieder mehrere Uebelstände in Betracht. Zunächst halten es durchaus nicht alle Fakultäten für ihre Pflicht, ihren Docenten nach auswärts zu empfehlen, und manche stehen ihren Docenten mindestens indifferent gegenüber. Dann aber ist eine Folge der überhand nehmenden Centralisirung, dass viele Fakultäten oder Fachgenossen nach auswärts überhaupt nicht den geringsten Einfluss haben, so dass der eigentliche Docentenmarkt mehr und mehr auf 3–4 Universitäten beschränkt bleibt – darunter [89] Berlin, Bonn, Leipzig, Göttingen. Für das Fach der Medicin haben sich sogar im wesentlichen heute nur zwei grosse Centren herausgebildet – Berlin und Wien, – während früher noch Leipzig und besonders Würzburg in Betracht gekommen sind. Endlich aber steht die traurige Thatsache fest, dass ein grosser Theil der Ordinarien – und das sind alle unbedeutenden oder mittelmässigen Menschen und Gelehrten – nicht denjenigen Docenten seine Empfehlungen widmet, die es durch ihren Fleiss und ihre wissenschaftliche Tüchtigkeit vorzugsweise verdient haben, sondern denen, die sich durch Schmeicheleien, durch Verehrung der Frau oder der Tochter in das Herz des Professors eingeschlichen haben. Ganz schweigen wollen wir an dieser Stelle von den glücklicher Weise in einer kleinen Minderzahl vorhandenen Gelehrten, welche überhaupt nur sich anerkennen, sich anbeten und zu bösartig sind, um für irgend einen Nebenmenschen ein gutes Wort einzulegen, wenn sie aber anständiger Weise etwas wie eine Empfehlung geben müssen, den Teufelsfuss gleich so deutlich dabei zeigen, dass die Empfehlung gewöhnlich ins Wasser fällt. Endlich aber dürfen wir uns nicht verhehlen, dass auch die Form der Empfehlung sehr in Betracht kommt und eine gewisse Geschicklichkeit manifestiren muss. Derbe Naturen, oder solche, die in rohen und untergeordneten Lebensverhältnissen gross geworden sind, werden nur selten im Stande sein, eine wirksame Empfehlung auszurichten. Manche Empfehlungen [90] dieser Art – und solche sind uns auch bekannt geworden – haben auf zartere Gemüther eher die entgegengesetzte Wirkung ausgeübt, dass sie von dem Gegenstand der Empfehlung abgeschreckt haben.

Wenn wir demnach daran festhalten, dass die Uebergehung eines vorhandenen Docenten in vielen Fällen eine grosse Ungerechtigkeit involvire, deren Folgen unter Umständen sehr verhängnissvoll für den akademischen Lehrer werden können, ja so schwerwiegende, dass er damit der akademischen Carriere ganz den Rücken zu drehen gezwungen wird, so erübrigt noch die Aufzählung der ungünstigen Umstände, welche gegen einen Docenten in die Wagschaale zu fallen pflegen. Zunächst pflegt bei einem jüngeren Manne der blühende Universitätsklatsch diesen oder jenen persönlichen Zug zu kennen, der bei einem Ordinarius keine Beachtung finden würde, dem Docenten aber Schaden zufügt. Wir können gleich erwähnen, dass es besonders in kleineren Universitäten der von Caffeeschwestern herumgetragene erotische Klatsch ist, der hier in erster Linie zu schaden pflegt. Dann haben die Docenten gewöhnlich nicht Zuhörer genug, dass man von einem unbestrittenen Lehrerfolg sprechen darf. Wenn auch diese Thatsache als richtig zugegeben werden muss, so muss doch Folgendes dabei bemerkt werden. Erstens giebt es zahlreiche Ordinarien, welche noch einen weit geringeren Lehrerfolg haben würden, [91] wenn sie nicht mit Zwangs- oder Examinationsvorlesungen versehen wären oder wenn sie nicht eine Stellung in der Prüfungskommission hätten. Zweitens wird durch das Ueberhandnehmen des banausischen Studiums der Prüfungsfächer an den meisten Universitäten, besonders an allen kleineren, das Studium von Specialfächern, auf welche die Docenten in den meisten Fällen angewiesen sind, eine immer grössere Seltenheit, wodurch den Docenten mehr und mehr der Boden für die Vorlesungen entzogen wird. Endlich stehen die Ordinarien den jüngeren Docenten nicht selten mit Missgunst und Uebelwollen gegenüber und haben es in der Hand, durch ihren persönlichen Einfluss die Vorlesung eines Docenten unbeliebt und wenig besucht zu gestalten. Dann aber ist wiederum keine ungewöhnliche Erscheinung, dass, wenn der Docent wirklich verdient hat, das Ordinariat zu erhalten, und nicht wenige Fakultätsmitglieder dafür eintreten, diese Beförderung an dem Widerspruch eines einflussreichen Ordinarius scheitert, den sich der Docent vielleicht bei irgend einer Gelegenheit zu seinem Feinde gemacht hat. In der akademischen Welt sind solche Fälle zur Genüge bekannt geworden, in welcher die Beförderung eines Docenten, welche die Fachgenossen durchsetzen wollten, unterblieb, weil ein einflussreicher Mann, aber ein persönlicher Feind des jüngeren Lehrers sich dagegen aussprach, obwohl er gar nicht Fachmann war.


[92] Ferner aber steht dem Docenten noch ein Umstand im Wege, den man in die Worte kleiden kann, dass ,der Prophet nichts in seinem Vaterlande gilt.‘ In der That werden die meisten Docenten in Folge des Hinzutretens des Universitätsklatsches an der eigenen Hochschule viel geringer geschätzt, als sie es verdienen. Es giebt unter ihnen nicht wenige, die auswärts das grösste Renommée haben, in Folge verdienstlicher Arbeiten zu Ehrenmitgliedern gelehrter und angesehener Gesellschaften gemacht sind und dennoch von der eigenen Fakultät dauernd über die Achseln angesehen werden. Freilich ist diese Thatsache für die kritische Fähigkeit oder den guten Willen der Professoren überaus bedauerlich, aber wer wird dieselben überhaupt noch über das Maass gewöhnlicher Menschen hinaufschrauben? Dies ist ein Missstand, der gleichfalls nur eine Folge des überlebten, ungerechten und lächerlichen Personalunfugs ist, der mit der heutigen Universitätsverfassung eng verbunden ist, und dem erst mit der Aufhebung des Corporationswesens und mit dem grösseren Einfluss der administrativen Behörden ein Ende bereitet werden kann. Hierbei sind die Ausnahmsfälle nicht mitgezählt, bei denen ein Ordinarius den neben ihm unterrichtenden Docenten oder Extraordinarius durch dauernde Nichtachtung vor den Studenten, durch absichtliches Verschweigen seiner Arbeiten an Stellen, wo sie anständiger Weise genannt werden sollten, durch hämisches, wenn auch ohne Namensnennung [93] erfolgtes Absprechen und Verhöhnen seiner Ansichten klein zu machen und zu unterdrücken versucht. Es steht fest, dass es solche Canaillen, die allein von den Furien des Geizes und des Neides getrieben werden, unter den deutschen Professoren giebt, und einige davon sind unter ihren Berufsgenossen bekannt und berüchtigt, weil sie ihre Anmassung, ihren Eigendünkel, ihre Selbstvergötterung Jeden haben fühlen lassen, der an ihre Kreise gestossen hat. Es sind Fälle historisch nachweisbar, dass Ordinarien sich nicht entblödet haben, in ihren Collegien vor der Vorlesung eines concurrirenden Docenten ausdrücklich zu warnen. Und die Fama hat dann gleich Scenen beim Staatsexamen damit in Verbindung gebracht, wo diese Warnungen ihr praktisches Nachspiel erfuhren, zum Schaden der Ungehorsamen. Es ist das traurigste Zeichen für die Kritiklosigkeit deutscher Fakultäten, dass solche Gelehrte, die jeden Stand durch ihren Charakter schänden würden und den Stand am meisten entehren, der ihnen die grössten Freiheiten giebt, berufen werden, unter Umständen sogar noch Ansehen geniessen und am Fortgehen durch bedeutende Zulagen verhindert werden. Doch das gehört in ein anderes Capitel.

Endlich aber pflegt heute auch die Thatsache in die Wagschaale zu fallen, dass die Fakultäten in der Regel Jemanden haben wollen, der ihnen auch gesellschaftlich nahe steht und vielleicht mit einzelnen [94] Mitgliedern bereits bekannt ist, während der unverheirathete und besonders der mittellose Docent gewöhnlich nicht in diesen socialen Verhältnissen sich bewegt. Besonders ist dieser Beweggrund um so haltloser, als gewöhnlich in jeder Fakultät nicht nur einer oder mehrere sitzen, die sich um das gesellschaftliche Leben gar nicht kümmern, sondern selbst solche, die mit der Majorität zerfallen oder verfeindet sind. Eine Fakultät ist darum noch niemals untergegangen, weil Jemand hereingekommen ist, der mit den andern gar nicht oder schlecht gestanden hat oder der Feind dieses oder jenes gewesen ist. Warum macht man nun derartige Anforderungen, sobald es sich um eine Stellenbesetzung handelt, bei den Docenten, die in der übrigen Fakultät gar nicht durchführbar sind?

Man wird anerkennen müssen, dass dies in der Carriere des Docenten Uebelstände sind, die nirgends anders auch nur annähernd so vorkommen könnten. Wenn daher eine Milderung dieser grausamen Praxis wünschenswerth erscheinen muss, so kann diese nur darin bestehen, dass der Docent, wenn seine litterarische und pädagogische Fähigkeit ohne Zweifel erwiesen ist, auch selbstverständlich avanciren und mit einer vacant gewordenen Stelle seiner Fakultät belohnt werden muss. Wenn aber die pädagogische Tüchtigkeit Veranlassung zu Zweifeln giebt, so soll man ihm, bevor man ihn gänzlich übergeht, in einem Semester die Gelegenheit geben, unter den Verhältnissen [95] zu lesen, unter denen die Ordinarien zu lesen pflegen, indem man ihm eine grosse und obligatorische Vorlesung versuchsweise überlässt. Gewöhnlich wird das Urtheil nach einem Semester nicht schwankend sein. Will man aber ganz vorsichtig zu Werke gehen, so darf ja vielleicht einer der Ordinarien, die zum Referenten über die Besetzungsfrage gemacht werden, einmal in die Vorlesung hineingehen, um sich zu überzeugen, in welcher Weise der Docent seiner Aufgabe gerecht werde. Selbst dies Moment, wenn es dazu verhilft, die Wahrheit zu ermitteln und Gerechtigkeit auszuüben, wird leichter ertragen werden können, als die vollständige Uebergehung des Docenten in einer Vorschlagsliste, die durch nichts gerechtfertigt werden kann.

Uebrigens kann es für die Genesis dieses stellenweise bis aufs äusserste getriebenen Verfahrens kaum zweifelhaft sein, dass schwerlich rein objective Gründe bei der Entstehung mitgewirkt haben, sondern rein subjective, indem einflussreiche Männer dadurch Gelegenheit erhielten, ihre guten Freunde zu berufen. Denn unmöglich können die Fakultäten in den meisten Fällen die innere Ueberzeugung gehabt haben, dass sie die für die vorhandenen Verhältnisse einzig brauchbare und beste Kraft berufen haben, da in so vielen Fällen notorisch eine allgemeine Enttäuschung gleich darauf eingetreten ist. Ebensowenig aber konnte in anderen Fällen nach ihrer inneren Ueberzeugung die schon vorhandene Kraft [96] so gering zu schätzen sein, dass sie nicht einmal verdiente, in die Vorschlagsliste zu kommen.

Wenn man aber wirklich in dieser Frage ein ernstes und strenges Princip durchführen wollte, so müsste man vor allen Dingen verhindern, dass Söhne sich an derselben Hochschule und in demselben Fach habilitiren, wie ihre Väter, was überall vorkommt, besonders aber in kleineren Ländern, in denen der Einfluss eines Ordinarius an der Hochschule und bei der Regierung grösser zu sein pflegt, als in grösseren Ländern. An der schwäbischen Hochschule sind in der letzten Zeit drei solcher Fälle vorgekommen, gewiss ein gutes Zeichen für die dort blühende Vetterlewirthschaft. Das gewöhnliche Verfahren ist dann nämlich, dass der Sohn einzelne Vorlesungen vom Vater abgetreten bekommt, gleichsam erbt (die Fakultät schweigt dann verständnissinnig bei dem Vorgehen des Vaters), dann zuerst in Stellvertretung, zuletzt fest in die Prüfungscommission hineingezogen wird, und wenn es dann zu einer Vacanz kommt, so hat sie doch nicht den Muth, dem dringenden Wunsch des angesehenen Vaters ein Veto entgegenzuhalten. Auch die Studenten haben fleissiger bei ihm gehört, um beim Vater zu gewinnen, und manche Väter haben in der Stille das Hören beim Sohn als Auflage gemacht, vielleicht mit Rücksicht auf das Examen, vielleicht aus andern Gründen. Auf diese Weise sind auch Söhne die Nachfolger von Vätern an derselben Hochschule geworden. Wenn bei [97] einem andern Docenten, als bei dem Sohn eines mächtigen Vaters, diese Manipulationen vorgenommen worden wären, so würde jedesmal der grösste Skandal entstanden sein. Aber nach dem heutigen Princip gehören solche Vorkommnisse bei andern fast in das Gebiet der Unmöglichkeit.

Mit so verschiedenem Mass wird auf den deutschen Hochschulen gemessen, und man wird aus dieser Darstellung entnommen haben, dass das System der Uebergehung einheimischer Docenten nur dann usuell wird, wenn der arme Aspirant keine Gönner, Fürsprecher, Freunde an derselben Hochschule hat, so dass er nicht das Geringste erreichen kann, mögen seine litterarischen und pädagogischen Leistungen so vortreffliche sein, wie sie wollen.


X.
Der Terrorismus der Schulen.

Zu den allerbedenklichsten und gefährlichsten Schattenseiten des deutschen Universitätswesens gehört der Terrorismus der Schulen, den Schulhäupter besonders unter schwachen und unselbständigen Ministern auszuüben pflegen. Gewöhnlich wird die Macht der Schulhäupter noch dadurch vermehrt, dass dieselben Mitglieder einer Akademie sind und auch [98] als solche auf die regierenden Kreise einen bestimmten Druck ausüben können. In Preussen wird von Sachkennern behauptet, dass unter dem Ministerium Falk der Einfluss und die Macht der Schulhäupter am grössten gewesen, während seit dem letzten Ministerium derselbe wieder im Sinken begriffen sei, was in hohem Grade wünschenswerth wäre.

Freilich gehört zu der Fähigkeit, einflussreiches Schulhaupt zu sein, noch mehr, als blos grosser Gelehrter und Akademiker zu sein. Sehr bedeutende Gelehrte, wie die Philologen Moritz Haupt und Karl Lehrs, der Königsberger Physiker Neumann, sind niemals nach Aussen hin einflussreiche oder actuelle Schulhäupter gewesen, trotzdem sie Schulen gebildet haben, ja trotzdem von einzelnen, wie von Neumann, fast alle bedeutenden Mathematiker der Gegenwart unterrichtet worden sind. Um die Autorität andrer einflussreicher Männer, die auch Schulen haben, zu schwächen und zu hintertreiben, dazu gehört vor allen auch eine gute Portion List, Intrigue, etwas Selbstüberschätzung und Unverfrorenheit. Dass diese Eigenschaften bei vielen Schulhäuptern in Deutschland vorhanden sind, wird kaum einer leugnen können, der die Persönlichkeiten kennt, um welche es sich vorzugsweise in unserm Fall handelt.

Wir werden also den beiden Fragen die Aufmerksamkeit zuwenden müssen, von welcher Gesinnung aus der Einfluss der Schulhäupter datirt werden müsse, und welches die Schäden für die deutschen [99] Universitäten sein, die jenem Schulwesen ihre Entstehung verdanken.

Um die erste Frage zu beantworten, so wird man die Herrschsucht und den Despotismus als diejenigen Eigenschaften eines Lehrers bezeichnen dürfen, die jene expansive Thätigkeit beim Unterbringen und Stellenbesetzen hervorzurufen pflegen. Nun lässt sich ja nicht leugnen, dass auch in dieser Beziehung die deutschen Universitätslehrer sich nach zwei Gruppen sondern, solchen, die Schule machen, und solchen, die keine Schule machen. Es gehören aber zu den letzteren keineswegs nur solche, die keine Schule machen können, da auch lokale Bedingungen zur Gründung einer Schule nothwendig sind, besonders der Ruf der Universität und die aus allen Gegenden zusammenströmenden Zuhörer. Aus diesen Ursachen werden die vielfach aufgesuchten Universitäten Berlin, Bonn, Leipzig, in der Medicin auch Würzburg, in einer weit günstigeren Lage für die Bildung einer Schule sich befinden, als die Provincialuniversitäten Königsberg, Greifswald, Rostock, Kiel, oder in Mitteldeutschland Giessen. An diesen Universitäten können demgemäss ganz vortreffliche Lehrer sitzen, ohne dass sie im Stande wären, mit dem Durchschnittsmaterial, welches nur die Provinz oder ein kleines Land liefert, eine Schule zu gründen, da das Bedürfniss fast aller provinciellen Studenten nicht viel über das Brodstudium hinauszugehen, d. h. weiter nichts als eine Versorgung durch den Staat zu beanspruchen [100] pflegt. Aber auch an andern Universitäten, die sich weit über das provinciale Niveau heute erheben, wie Heidelberg und Tübingen, ist durch einheimische Verhältnisse und Einrichtungen das Schulbilden sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.

Andrerseits können Lehrer, vielleicht sogar namhafte Lehrer, an jenen günstiger situirten Universitäten wirken, ohne die Fähigkeit zu besitzen, eine Schule zu gründen. Denn zur Stiftung einer Schule gehören nicht nur die Eigenschaften eines bedeutenden Fachmanns, sondern auch eine ganz bestimmte, von dem Schulhaupt ganz allein, oder in hervorragender Weise vertretene Richtung in der Wissenschaft, welche so grosse Lebens- und innere Entwicklungsfähigkeit besitzt, dass eine Schule gleichsam davon genährt werden kann. So wirkte im günstigsten Augenblick der Philologe Hermann und so ganz besonders Friedrich Ritschl. Beide wiesen der Philologie neue Wege an; aber Ritschl war in seinen jüngsten Schülern weniger glücklich.

Wenn es demnach nur als wünschenswerth erscheinen muss, dass gesunde wissenschaftliche Richtungen durch Schulbildung weiter verbreitet und gepflegt werden, so ist damit noch keineswegs gesagt, dass selbst eine gesunde Richtung bei Besetzung der Unterrichtsstellen eine dominirende Stellung einnehmen soll, da doch niemals behauptet werden kann, dass dies nun die einzig berechtigte und ausschliesslich [101] das Ganze der Wissenschaft fördernde Richtung sei. Kommt freilich ein Zweig der Wissenschaft erst neu auf, wie die pathologische Anatomie durch Rokitansky oder Virchow, oder die vergleichende Sprachwissenschaft durch Georg Curtius, dann mag für die nächsten Jahre gar keine andere Möglichkeit vorliegen, als dass die gewünschten Vertreter dieses Zweiges für die einzelnen Hochschulen aus jener Schule gewonnen werden müssen. Aber dies sind doch nur Ausnahmefälle. Ausserdem aber werden auch wieder die begabtesten Schüler des fundamentirenden Lehrers selbst bald in der Lage sein, eine Schule zu bilden, so dass dann schon zwei verschiedene Schulen der einen Richtung vorhanden wären. Gewöhnlich handelt es sich aber um eine alte Wissenschaft, von welcher ein Zweig eine besondere Pflege durch einen bedeutenden Lehrer erhalten hat, wie die Epigraphik seiner Zeit durch August Boeckh, heute durch Theodor Mommsen, Kirchhoff und Gustav Hirschfeld, die Quellenkunde durch A. Schäfer oder A. v. Gutschmid eine hervorragende Behandlung erhalten haben.

Um nun aber eine dieser Richtungen zur praevalirenden auf den Hochschulen zu machen, indem man eifrig darauf bedacht ist, nur seine Schüler für das Gesammtgebiet jener Wissenschaft in Vorschlag und unterzubringen, dazu gehört zunächst eine ganz ungewöhnliche Selbstüberschätzung. Denn so wenig für jede Hochschule gerade ein Historiker nöthig [102] oder nützlich ist, der vorzugsweise Epigraphiker oder Quellenforscher ist, so sehr wird man zugeben müssen, dass von bedeutenden Lehrern auch andere Richtungen gepflegt werden können, die nur zu keiner besonderen Schulbildung führen, deren Vertreter aber für diese oder jene Universität, gewöhnlich zumeist für die kleineren Hochschulen, weit grösseren Nutzen schaffen würden, als die angeführten Specialrichtungen.

Die Folge nämlich von der potenzirten Schulbildung in einem Specialgebiet pflegt zu sein, dass das Schulhaupt selbst, so allgemein auch ursprünglich seine Gesichtspunkte gewesen sein mögen, durch die Wirkung der Specialisirung unter den Schülern und seiner Anerkennung seitens der Fakultäten zu der Ueberzeugung kommt, dass diese Specialität von dem Gesammtfache die Hauptsache sei und alle andern Zweige desselben keine besondere Bedeutung daneben haben. Diese Ueberzeugung pflanzt sich dann unwillkührlich auch bei den Schülern fort, vielleicht in einer noch schrofferen und äusserlich absprechenderen Form. Die nächste Folge pflegt dann zu sein, dass von der Schule der Specialität ein förmlicher Vernichtungskampf gegen die anderen Richtungen derselben Wissenschaft geführt wird, weil man allein Oberwasser behalten und alle Concurrenz schon im Keim zu ersticken die Absicht ist. Der gewöhnliche Weg, der hierbei eingeschlagen wird, ist die Recension in einem der Anzeigeblätter, auf [103] das gerade die betreffende Schule den grössten Einfluss ausübt. Die eine Schule steht mehr im Berliner Blatt im Vordertreffen, die andere mehr im Leipziger, die eine mehr im Hermes, die andere mehr im Rhein. Museum, die eine medicinische mehr in einer Wiener, die andere in einer Berliner Wochenschrift. Die Triebfeder dieser Angriffe ist der Egoismus, die Selbstsucht, die Selbstüberschätzung, die Selbstberäucherung und – last not least – der Brodneid. Diese Leidenschaften werden vom Schulhaupt eingeimpft und finden bei der leidenschaftlicheren und strebenden Jugend einen fruchtbaren Boden. Dieselbe Triebfeder führt nun weiter dazu, allen Concurrenten entgegenzutreten, die einem Schulmitglied vielleicht einmal eine Stelle wegzunehmen geeignet sind, sie zu verdächtigen und die Regierung von ihnen abwendig zu machen. Auf diese Weise wird die Macht der Schule begründet, deren Schulhaupt gewöhnlich mit Ministerialbeamten oder Universitätskuratoren in engerer Verbindung steht. Es dauert nicht lange, so hört man nur noch von Schülern des Schulhauptes oder anderen, die seiner Schule nahe stehen oder wenigstens eine kleine Zeit hindurch der höheren Weihe wegen daran Theil genommen haben, mit denen ausschliesslich die Professuren des betreffenden Faches besetzt werden. Nicht selten wird dann einer zweiten Nebenschule, die sich sofort freundschaftlich zu der Hauptschule durch Recensionen, Empfehlungen u.s.w. günstig zu stellen gesucht, [104] auch ab und zu ein Candidat gestattet, womit ihr auch gleichsam ein Knochen vom Haupttisch zugeworfen wird. In solch einem Wechselverhältniss stehen beispielsweise Bonn und Berlin, für andere Zweige auch Wien und Berlin und Würzburg und Berlin. Candidaten aus andern Schulen kommen gar nicht mehr heran, oder, wo eine Fakultät durchaus von einem solchen nicht lassen will, giebt es bei der Berufung Schwierigkeiten und Händel. Man kann den durch dieses Schulunwesen erzeugten Zustand die Monopolisirung der Wissenschaft nennen.

Betrachten wir nun die üblen Folgen einer solchen Tyrannei der Schulhäupter, so können wir dieselben in zwei verschiedene Classen eintheilen, in die objectiven und in die subjectiven. Zunächst nämlich ist zweifellos, dass durch die zunehmende Herrschaft und Allmacht einiger weniger Schulen und ihrer Vertreter zahlreiche Canäle, welche sonst aus der niemals versiegenden Quelle der Wissenschaft gespeist werden, allmählig verstopft werden müssen, da sie zu keiner gedeihlichen Verwendung mehr gelangen können. Wenn alle alten Historiker in Deutschland Epigraphiker sein sollten, so wäre dies für die Wissenschaft derselbe Nachtheil, als wenn alle Germanisten Schüler von Scherer oder von Zarncke sein, oder alle bei Sievers Phonetik studiren, oder alle Philologen Schüler von Ribbeck oder alle Mathematiker Schüler von Kronecker und Weiyerstrass sein müssten. Oder wie denke [105] man sich die Philologie der Zukunft, wenn nur die Schule des Herrn von Wilamowitz-Möllendorff[6] Einfluss behaupten sollte? Oder wenn gar die Art des Herrn Erwin Rohde sich fortpflanzen sollte, die mit seiner wissenschaftlichen Bedeutung in so seltsamer Disharmonie steht? Denn es giebt keinen deutschen Gelehrten in irgend einer Disciplin, der so allseitig wäre, dass nicht eine Seite der Wissenschaft existirte, in welcher ihm nicht ein anderer weit überlegen wäre, der also gerade darin wieder mit grösserem Erfolg wirksam sein könnte. Und nur die grosse Kurzsichtigkeit der Gelehrten selbst hat es stets vermocht, alle Hypothesen eines Schulhauptes sofort zu massgebenden Dogmen zu erheben oder dessen gesammte Arbeiten für gleich bedeutend und bahnbrechend oder seine jedesmalige Richtung für die einzig berechtigte und zukunftreiche zu erklären. Wie würde beispielsweise unsere Homerlitteratur aussehen, wenn eine geistige Centralisation in Berlin es zu Wege gebracht hätte, dass Lachmann’s Liedertheorie im Homer und in den Nibelungen zum allseligmachendem Evangelium erhoben worden wäre? Oder wie würde unsere Philologie überhaupt aussehen, wenn alle Philologen nach dem Beispiel eines nur Handschriften vergleichen und Textkritik treiben wollten? Wie in allen andern Verhältnissen, so gilt auch in der Wissenschaft der Satz des Herakleitos, ‚dass der Krieg der Vater aller Dinge sei,‘ d. h. der wissenschaftliche Austausch und [106] die Ausgleichung heterogener oder diametral verschiedener Ansichten. Ist hierzu in einem Lande die Gelegenheit nicht gegeben, so kann dies schon als ein Beweis für die Abnahme des wissenschaftlichen Bewusstseins gelten. Wir halten daher auch die wissenschaftlichen Parteizeitschriften, in denen jeder Artikel daraufhin geprüft wird, ob er nicht gegen das Dogma eines für unfehlbar erklärten und mit der Zeitschrift eng verbundenen Schulhauptes verstosse, für ein ebenso unwissenschaftliches, wie reactionäres Unternehmen, welches von allen aufgeklärten Gelehrten in den Bann gethan werden sollte. Eine einseitige Richtung würde aber die Wissenschaft mit derselben Sicherheit zum Untergang führen, wie es ausgemacht ist, dass nur das gegenseitige Ergänzen und das Auffinden der mannigfaltigsten Gesichtspunkte in einem einzigen Gebiet eine allgemeine Befruchtung zu Wege zu bringen im Stande ist. Eine Regierung, welcher das Wohl der Wissenschaft am Herzen liegt, wird daher niemals der Allmacht der Schulhäupter Vorschub leisten, sondern vielmehr ihr, soweit sie es vermag, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln entgegen arbeiten, um nicht den Boden reiner Wissenschaftlichkeit langsam vereinseitigen und untergraben zu lassen.

Ganz verschieden, aber ebenso gefährlich für den Staat, sind die subjectiven Wirkungen, welche die Bevorzugung einzelner Schulhäupter und Schulmitglieder hervorzurufen pflegt. Es entsteht nämlich [107] zunächst durch diese Bevorzugung eine Anzahl unzufriedener Docenten und Professoren, deren durch Zurücksetzung bei Berufungen und durch Eifersucht erzeugte Missstimmung weder vortheilhaft für die Wissenschaft sein, noch günstig für den Unterricht wirken kann. Vor allen Dingen aber wird diese Missstimmung bei den übergangenen und zurückgesetzten Docenten anderer Schulen Platz greifen, welche sich zu einer feindlichen Schaar zusammenthun und wo sie können, den Einfluss der Clique zu brechen versuchen werden. Nur die Streber werden rasch Fühlung zu erhalten und dadurch die Gunst der Schulhäupter sich zu gewinnen trachten. Es ist daher kein Zufall, dass noch vor wenigen Jahren junge Philologen, welche Carriere zu machen beabsichtigten, plötzlich in eine von ihnen früher vernachlässigte Berliner Zeitschrift zu schreiben angefangen haben, was auch gewöhnlich den erwünschten Erfolg gehabt hat.

Am beklagenswerthesten allerdings ist die enorme Ungerechtigkeit, welche durch die Thätigkeit der Schulhäupter einzureissen pflegt. Ganz unbedeutende Docenten werden, wenn keine besseren auf Lager sind, oder aus persönlichen Rücksichten, ohne etwas geleistet zu haben, befördert und andern vorgezogen, welche ganz andre Leistungen aufzuweisen haben. Junge Männer werden zu Ordinarien gemacht, deren Unfähigkeit schon nach wenigen Wochen zu Tage tritt und mit unerträglichem Gewicht und [108] zu grossem Schaden auf der ganzen Facultät fortan lastet. Dabei braucht nicht einmal eine grosse Charakterlosigkeit des Schulhauptes zu Grunde zu liegen, da es bekannt ist, dass fast alle Schulhäupter ihre Jünger stark zu überschätzen pflegen. Einzelne Gelehrte, welche auf solche Weise eine sehr glückliche Carriere gemacht haben, sind nachher gezwungen worden, dieselbe so schnell wie möglich aufzugeben, da ihnen die Fortsetzung ihrer Thätigkeit unmöglich gemacht war. Dann war ihnen die durch das Schulhaupt besorgte günstige Stellung das Sprungbrett, von welchem sie weiterhin günstig placirt wurden. Wieder in anderen Fällen hat sich die Regierung veranlasst gesehen, neben dem Ordinarius so schnell wie möglich einen Extraordinarius zu ernennen, der die Hauptvorlesungen halten sollte, oder wenigstens den Ordinarius aus der Prüfungscommission zu entfernen und einen Extraordinarius an seine Stelle zu setzen, damit das Ansehen der Commission durch das eine Mitglied keinen Schaden erleide.

Alle diese Wirkungen sind an den deutschen Hochschulen nicht ungewöhnlich. Wäre es da nicht an der Zeit, dass die Regierungen Mittel schafften, durch welche die zum Schaden wirkende Autorität der Schulhäupter paralysirt werden könnte?


[109]


XI.
Einfluss des Studentenlebens.

Der vernünftige, gebildete und gut erzogene Student hat es von jeher als eine grosse Annehmlichkeit betrachtet, wenn er sich durch Empfehlungen seiner Lehrer oder durch seine persönlichen Eigenschaften Eintritt in das Haus eines Professors verschaffen konnte. Die Abende, die er in der Familie eines liebenswürdigen Lehrers zugebracht hat, an denen er einerseits die Anregung des Professors, andrerseits die gesellige Unterhaltung seiner Frau geniessen durfte, sind stets in seinem späteren Leben zu den Glanzpunkten der akademischen Zeit gerechnet worden. In früherer Zeit war in solchen Fällen die materielle Aufnahme Nebensache und kam gar nicht in Betracht. Ein einfaches Abendbrod und ein Glas Bier genügten selbst für den, welcher vielleicht zu Hause ein anspruchsvolleres Dasein zu führen gewohnt war. Eintritt in die Familie bekam aber schwerlich Jemand, der nicht besonders empfohlen war oder sich dieser Ehre nicht vorzugsweise verdient gemacht hatte.

Gewiss findet dieser schöne und anregende Verkehr zwischen Lehrern und Schülern der Hochschule noch in zahlreichen Fällen statt, und gerade die bedeutendsten Gelehrten und liebenswürdigsten Lehrer pflegen ihn vorzugsweise in ihren Häusern aufrecht [110] zu erhalten. Aber an manchen deutschen Universitäten ist eine andre Einrichtung mehr in Aufnahme gekommen, von der wir uns den Zweifel auszusprechen erlauben, ob sie in dieser Weise von Bestand sein werde und ob sie überhaupt als eine für die Studirenden nützliche betrachtet werden könne. An Stelle jenes einfachen Verkehrs sind grosse Studentengesellschaften getreten – oder sagen wir lieber gleich Abfütterungen, denn sie verdienen, ebenso wie die modernen Professorengesellschaften, diesen Namen mit Fug und Recht – in denen mit mehreren Schüsseln gegessen wird und mehrere Weinsorten getrunken werden, bei den sehr vermögenden Professoren nicht selten auch Champagner. Es ist zweifelhaft, ob die Studenten sich dem Aufwand gemäss amüsiren, oder ob die Unterhaltung einigermassen im Verhältniss zu dem ausgegebenen Gelde steht, in jedem Fall ist von vielen Seiten beobachtet worden, dass die Studenten harmloser, ungezwungener und lustiger zu sein pflegen, wenn ihnen bei einem einfachen Butterbrod ein Fass Bier aufgelegt wird.

Eine Folge jener grossen Abfütterungen aber ist, dass nicht mehr diejenigen durch den Eintritt in das Haus des Professors bevorzugt werden, welche eine besondere Empfehlung mitgebracht haben, sondern dass ein Jeder von diesem Schicksal betroffen wird, der seine Visitenkarte dort abgiebt oder überhaupt Zuhörer ist. Wenn aber einmal ein Professor [111] unter den Studenten dafür bekannt ist, dass er alle Zuhörer einladet, so pflegt ein grosser Theil der Studenten von dieser Annehmlichkeit Gebrauch zu machen, und um so mehr, wenn man weiss, dass es dem Professor besonders erwünscht ist – z. B. wenn er heirathsfähige Töchter hat – oder dass es besonders vortheilhaft ist, z. B. wenn er in der Prüfungscommission sitzt, so dass eine persönliche Bekanntschaft als erspriesslich erscheinen muss. Es giebt aber Professoren, welche die Visitenkarte des Studenten gar nicht erst abwarten, sondern die ganze Zuhörerschaft in mehreren Raten zum Souper entbieten. Dann bildet sich beim Publicum von selbst die Vorstellung aus, dass mit diesen Einladungen ein Köder ausgeworfen werde, mit dessen Hülfe diejenigen, welche bereits einmal an den culinarischen Genüssen Theil genommen haben, im nächsten Semester wieder neue Zuhörer in die Hörsäle und in das Haus des Professors locken sollen.

Eine zweite Wirkung dieser grossartigen Studentengesellschaften ist rein socialer Natur. Die Studenten, welche von ärmeren und bescheidenen Eltern stammen, gewinnen in den reichen Professorenhäusern ein Wohlleben und einen Luxus lieb, der ihnen nachher die Einfachheit des elterlichen Hauses als etwas sehr Beklagenswerthes und Geringschätziges erscheinen lässt, welcher Stimmung sie sich nicht selten Ausdruck zu geben wagen. Es haben daher auch Eltern wiederholentlich darüber geklagt, in [112] welcher Weise ihre Söhne in den Professorengesellschaften verwöhnt worden seien. Dann wird man aber überhaupt nicht leugnen können, dass der Charakter manches bescheiden erzogenen Jünglings durch die Gewöhnung an eine ihm und seinen Verhältnissen nicht zukommende Opulenz frühzeitig verdorben wird, so dass er den Besitz von Geld und Gut für das erstrebenswertheste Lebensziel anzusehen sich gewöhnt.

Aber noch in einer anderen Beziehung haben die geselligen Verhältnisse eine verhängnissvolle Nachwirkung gehabt. In früheren Zeiten bestanden die Studentenverbindungen ohne Betheiligung und ohne Beeinflussung seitens der Professoren. Der Ton war deshalb an manchen Hochschulen ein ziemlich roher, aber er zeigte doch im Wesentlichen die studentische Naivetät und Ungezwungenheit. Heute stehen an vielen Hochschulen diese Verbindungen in directem und continuirlichem Contact mit den Professoren. An einigen Universitäten werden von der Lehrerwelt die Burschenschaften mehr begünstigt, an andern die Corps, wieder an andern die freien, nicht Farben tragenden Vereinigungen. Ihre Theilnahme pflegen die Professoren durch häufiges Erscheinen auf der Kneipe und auf Commersen, sowie durch zahlreiche Reden auszudrücken. Manche Professoren vermögen auch durch regelmässigen Besuch der Verbindungskneipen sich einen grösseren Zuhörerkreis zu erhalten, der unter [113] anderen Umständen einen Nachlass gezeigt haben würde.

Nun wäre dies ja ganz schön, wenn nicht die von den Professoren getroffene Auswahl und Bevorzugung auch in weiteren Kreisen ihre Rückwirkung ausübte, und besonders auch, was wieder vorzugsweise in kleineren Ländern der Fall sein wird, in den massgebenden Regierungskreisen Beachtung fände. Die Folge davon ist nun wieder, dass die bevorzugte Studentenverbindung auch für hervorragend geeignet gehalten wird, das bessere Beamtenmaterial im Lande zu liefern, und dass die Väter, wenn sich einmal diese Erkenntniss Bahn gebrochen hat, darauf dringen, dass ihre Söhne dieser glücklichen Gesellschaft angehören sollen. So kann man in kleineren Ländern die interessante Beobachtung machen, dass in einer Periode die Burschenschaft die wichtigsten Beamtenstellen besetzt hat, in einer darauf folgenden dieses oder jenes Corps, und in einer dritten wieder eine andere freiere Verbindung.

In Preussen scheint aber der Einfluss der Corps dauernd am mächtigsten zu sein. Am meisten bemerkbar ist dies in den Regierungskreisen, indem fast alle höheren Regierungsbeamten Mitglieder eines Corps gewesen sind. Aber auch in anderen Kreisen wird nicht selten über Bevorzugung der früheren Corpsstudenten geklagt. Besonders werden in den letzten Jahren die Namen einiger medicinischer Professoren genannt, die selbst Corpsstudenten waren, [114] welche bei der Auswahl ihrer Assistenten die Corps in hohem Grade zu begünstigen pflegen, selbst wenn sie gemäss ihren Leistungen und Zeugnissen durchaus auf keine Auszeichnung Anspruch erheben können. Dies muss entschieden als ein grosser Uebelstand bezeichnet werden, und da die Assistenzärzte nicht von der Privatkasse des Professors abhängen, sondern Staatseinnahmen beziehen, so ist hier Staatshülfe dringend geboten. Es dürfte sich daher sehr empfehlen, bei ähnlichen Bevorzugungen dieser oder jener Verbindung seitens eines Professors oder einer Facultät sofort die Oeffentlichkeit anzurufen, die wohl nirgends mehr berufen ist, helfend einzutreten, wie in den academischen Verhältnissen.

Im allgemeinen wäre es demnach als ein grosses Glück zu betrachten, wenn das ganze Studentenwesen wieder in einfachere und solidere Bahnen einlenken würde, welche sowohl einen dauernden Einfluss auf die Professorenwelt oder von der Professorenwelt, wie eine bestimmte Wirkung auf die spätere Lebensstellung von selbst ausschliessen würden.


[115]


XII.
Die Lobesassecuranzgesellschaft.

Es gab zuerst Versicherungen gegen Feuersgefahr und Hagelschaden, dann kamen Versicherungen gegen Misswachs, Unfälle, Seegefahr, Invalidität, zuletzt auch Versicherung gegen das Freiwilligenjahr der Söhne. Aber etwas ist noch nicht in weitere Kreise gedrungen, weil man weder Annoncen in die Tagesblätter setzt, noch Agenten besoldet, noch schöne Blechschilder mit goldenen Buchstaben heraushängt, noch einen Fond dazu sammelt und Actien ausgiebt. Dennoch ist diese Gesellschaft weit verbreitet, und das heutige Cultur- und Gelehrtenleben kann ohne diese Versicherung gar nicht bestehen – es ist die Lobesassecuranzgesellschaft auf Gegenseitigkeit.

Gar traurig würde es um den Zustand mancher Hochschulen aussehen, wenn in jedem Augenblick ein gerechter Richter alle Gelehrten vor seinen Richterstuhl fordern und nun eine Prüfung anstellen wollte, in welcher Weise sie mit dem Pfund, das ihnen für ihr gelehrtes Wirken und ihren Beruf mitgegeben war, gewirthschaftet haben. Da werden nicht viele sein, welche hintreten und mit dem treuen Knecht der Bibel dem Richter zehn Pfund wiedergeben werden. Der grösste Theil wird sein Pfund im [116] Schweisstuch behalten haben. Und statt der Mühen, es anzulegen und Zins tragen zu lassen, wird der Richter in eine Oede und Indolenz blicken, und aus dieser Oede starren ihm entgegen – Gesellschaften, Bälle, Maskeraden, Spazierfahrten, Unterhaltungen jeglicher Art. Da könnte der Richter auch zornig werden und den Trägen das Pfund nehmen und jenen geben, die zehn Pfund damit verdient haben.

Um aber diesen Zustand nicht öffentlich bekannt werden zu lassen, hat man jene akademische Versicherungsgesellschaft gegründet, welche sich gewöhnlich um ein Haupt oder eine Sonne schaart, und von welcher man nur durch Vermittelung seiner persönlichen Eigenschaften Mitglied werden kann. Jedes Mitglied ist fleissig, gelehrt, berühmt, göttlich. Der erste Act, um den Eintritt zu ermöglichen, ist, dass der Aspirant jene Sonne nicht nur für den berühmtesten Mann des Städtchens hält, sondern ihn rückhaltslos den hervorragendsten Männern des Universums zuzählt, und ihn womöglich so anredet: „Geehrtester, Berühmtester, Zierde unserer Hochschule“ und ähnlich. Wenn die Gesellschaft von dieser Anerkennung überzeugt ist, dann erfolgt der zweite Act, dass er auch alle Mitglieder derselben für sehr bedeutende und gelehrte Männer zu halten verpflichtet ist. Endlich muss er denn auch von der innerlichen Ueberzeugung ganz durchdrungen sein, dass er selbst zu den bedeutendsten Männern des Erdballs gehöre. Wenn er diese drei Proben glücklich [117] überstanden hat, und über seine Denkungsart kein Zweifel mehr obwalten kann, dann wird er in der Gesellschaft willkommen geheissen, und dann ist sein Ruf an der Hochschule gegen alle Fährlichkeiten gesichert.

Ist er als ordentliches Mitglied aufgenommen, so wird er binnen kurzer Zeit eine merkwürdige Veränderung in dem Städtchen wahrnehmen. Man[7] wird ihn ehrfurchtsvoller grüssen, und ihn zu zahlreichen Gesellschaften heranziehn. Die kinderlosen Frauen werden anrücken und werden ihn bitten, einen Vortrag zu halten oder Mitglied eines Unterstützungsvereins für bettelnde Handwerker zu werden, die Musikvereine werden ihn ersuchen, Vorstandsmitglied zu werden (denn er muss ausserordentlich musikalisch sein), die Studenten werden in den Studentenabfütterungen auf ihn aufmerksam gemacht, werden Deputationen zu ihm schicken, dass er sie in ihren patriotischen Bestrebungen unterstütze. Allmählich erschrickt er selbst vor seiner wachsenden Bedeutung; er fängt selbst zu glauben an, dass er sehr berühmt sei, und wagt vieles.

Nun kommt der erste Vortrag. Der unbefangene Theil des Publicums schreit: „Entsetzlich! Beleidigung des Publicums! Unerhört! Wir leben in keinem Dorf, dass man uns so etwas bieten kann! Ein Professor ist kein Feldscherer oder Akrobat oder Jahrmarktsbudeninhaber!“ Grosse Aufregung allenthalben.

Da tritt die Versicherungsgesellschaft ein. In der [118] ersten Sitzung oder Assemblee ist der Ansturm der Unbefangenen noch gross. Man muss etwas zurück. Die vorgeschobenen Werke werden nach einigem Widerstand aufgegeben, aber man behauptet die innere Bastion. Der Vortrag wird nicht gerade für einen vollendeten Vortrag erklärt, aber für eine „reizende Causerie“, wie sie der Redner in seiner Bescheidenheit nur geben wollte. „Causerie!“ Das Wort macht die Runde, die Unbefangenen müssen zurück, das Publicum hat sich getäuscht, die Wurstpresse acceptirt die Versicherung, die Assecuranzgesellschaft hat gesiegt, der Professor – ist gerettet.

Der Professor ist siegestrunken. Er schreibt ein Buch. Die Recensenten vernichten es. Wäre er ein missliebiger Docent, der nicht Mitglied der Versicherungsgesellschaft sein würde, so hätte man sich auf diese Recension berufen und seine Carriere erschwert. Aber so! Man kennt die Recensenten! Clique und Intriguen! schreit die Assecuranzgesellschaft. Das Buch ist gut – sagt die Assemblee, vortrefflich die kaffetrinkenden Damen und die filetkauenden Streber. Vortrefflich! schreit das Publicum und zuletzt das ganze Städtchen.

Da ist der Sieg des Professors entschieden. Von jetzt ab braucht er nichts mehr zu arbeiten. Er ist der grosse Mann, und wenn er stirbt, ruft ihm der Geistliche am Grabe nach, dass er zu den grössten Gelehrten des Erdballs gehört habe.

Darum, mein Sohn, wenn Du in die Mysterien [119] des akademischen Lebens eindringen willst, unterlass es nicht, Mitglied der Lobesassecuranzgesellschaft zu werden – denn sonst bringst Du es in Deinem Professorendörfchen zu nichts. Denn siehe, so wird es Dir im andern Falle ergehen!

Du arbeitest Monate lang an einem Vortrag, der auch nachher in der angesehensten Sammlung der Vorträge im Lande angenommen, abgedruckt wird und überall Beifall findet. Du verwendest den grössten Fleiss auf Sammlung und Verwerthung des Materials und auf die stylistische Durcharbeitung. Das Publikum wird erfreut sein, und Du wirst manches Angenehme hören und lesen. Aber die Versicherungsgesellschaft zuckt die Achseln. Sie fühlt sich geängstigt, dass etwas ohne sie und ihr nicht Angehöriges Beifall finden könnte; sie kann einen solchen Präcedenzfall nicht durchlassen. Die erste Assemblee ist da, und man isst gerade die Steinbutte. Einige noch grüne Docenten, die den Ton nicht kennen, loben den Vortrag. Da schüttelt die Sonne wehmüthig und schmerzlich das Haupt: „Zu viel Material! Keine geschickte Gruppirung! Habe mir viel mehr versprochen. Thut mir leid! Wird ihm hier nicht gerade nützen!“ Alle Gesellschaftsmitglieder haben genau dieselbe Bemerkung gemacht. Das Urtheil macht die Runde durch das Städtchen, die Unvorsichtigen lenken ein, es wird Dir mitgetheilt; die Versicherung siegt – und Du bist blamirt.


[120] Darum, versichere Dich, mein Sohn, so schnell Du kannst, wenn Du in ein Universitätsdorf kommst!

Oder Du schreibst ein Buch, das Dir jahrelange Arbeit gekostet hat. Das Buch findet Anerkennung und wird gekauft. In Besprechungen fremder Zeitungen wird durchaus eine Uebersetzung angerathen. Da hörst Du plötzlich Dein Unglück. Dein College hat gestern in Gesellschaft sich abfällig über das Buch ausgesprochen, Du hättest einige Jahre warten sollen, es sei überhaupt nicht Dein Gebiet, (nämlich weit eher sein Gebiet) u. s. w. Was hilft es Dir, dass Du erklärst, der College sei ein neidischer Schuft, in ganz Deutschland berüchtigt u. s. w.? Du unterliegst, denn Du bist nicht versichert.

Also zum letzten Mal, mein Sohn, versichere Dich, bevor es zu spät wird!


XIII.
Das Gebahren einer akademischen Clique.

Nichts schändet das heutige Universitätswesen mehr, als das besonders auf kleineren Hochschulen herrschende Cliquenwesen, welches in seiner Art und in seiner Einrichtung allen andern Berufsclassen vollständig [121] fremd ist. Man kann dreist behaupten, dass die Clique das Geschwür sei, welches Gift in einen akademischen Körper verbreitet und allmählich dessen Zersetzung bewirken hilft. Das Gift, mit welchem eine Clique wirkt, ist die Lüge, und diese Lüge ergreift langsam aber sicher weiter wuchernd selbst diejenigen, welche sich zuerst seinem Einfluss entzogen hatten. Das Gift der Clique hat die Wirkung eines Strudels auf dem Meere nach einem Schiffsuntergang: wer auch nur seinen äussersten und schwächsten Wellen zu nahe kommt, wird widerstandslos hineingezogen und ist verloren.

In den meisten Fällen ist die Clique ursprünglich rein gesellschaftlicher Natur, denn sie besteht zunächst aus denjenigen Familien, welche oft und regelmässig zum Zweck einer geselligen Unterhaltung zusammenzukommen pflegen. Aus dem leichten Conversationston, mit welchem man über des Collegen Frau oder Tochter oder Küche oder Vermögen oder Wirthschaftsgeld oder eheliche Verhältnisse zu sprechen pflegt, entwickelt sich dann allmählich auch die Gewohnheit, über Bedeutung, Lehrerfolg, Arbeiten der Collegen in ähnlicher Weise zu sprechen, und dann pflegt es nicht mehr lange zu dauern, bis eine solche Clique zu einem Ring zusammensteht, in welchem die (für die kleine Hochschule) massgebenden und verbreiteten Urtheile über die Leistungsfähigkeit der Collegen geschmiedet werden. Die Clique dehnt dann ihren Einfluss weiter [122] aus auf die Behandlung und Begünstigung der ihr nahestehenden Docenten und Extraordinarien, auf die Berufung der einheimischen und fremden Lehrer, kurz auf die gesammten, mit dem Universitätsleben eng verbundenen Fragen. Wer in der Clique drin ist, bleibt straflos. Für ihn gelten keine Anstands- und Sittenregeln. Aber wehe, wenn er austritt oder gar die Mysterien der Clique verräth. Aus anfänglicher Gleichgültigkeit entwickelt sich Hass, Klatschsucht, Verleumdung jeglicher Art, und der vielgefeierte deutsche Professor wird – ein brutales Thier.

Der einzelne, welcher einer Clique nicht angehört, steht ihr macht- und wehrlos gegenüber. Er kann so tüchtig sein, wie er will, es wird sich für ihn keine Majorität finden. Selbst ein allgemeiner Senat wird durch das Gift der Clique verseucht, und die unbefangenen und selbständigen Beurtheiler pflegen in der Minorität zu bleiben. Wenn man dem Opfer der Clique wissenschaftlich nicht beikommen kann, so wird irgend eine andere Parole herumgegeben, z. B. er sei ein sehr mittelmässiger Lehrer (in der Clique sitzen aber nicht selten ganz unbrauchbare Lehrer), er sei widerwärtig, zanksüchtig, vertrage sich mit Keinem u. s. w. Und wenn dieses Gift nicht genügend gewirkt hat, so giebt man schnell eine stärkere Dosis: man tastet seinen Charakter an, wo durch Zufall ein kleiner Angriffspunkt sich darzubieten scheint. Man spricht von schmutziger Behandlung in Geldsachen und scheut sich zuletzt [123] auch nicht, mit plumper und taktloser Hand in das eheliche Leben hineinzutasten und selbst einen Scandal zu provocieren, bis man seiner Sache sicher ist und seinen Zweck erreicht hat. Man glaubt den wüstesten Dienstbotenklatsch, weil man ihn glauben will, und verbreitet ihn absichtlich, um die Person zu schädigen, selbst wenn einem das bischen Verstand, das man hat, sagt, dass die Sache nicht richtig sein kann. Man kreidet an und führt Register, was bei andern nach zwei Tagen vergessen wird. Das ist die Rachsucht der akademischen Clique in Deutschland, die sich bedroht fühlt! An kleineren Hochschulen geben die Cliquenmänner nicht selten den Neuberufenen Rathschläge, welche Collegen sie besuchen müssen und welche nicht, indem sie die der Clique fernstehenden in kleinlichem Hass von dieser Ehre auszuschliessen suchen. Mehrere Beispiele dieses Verfahrens sind zu unsrer Kenntniss gelangt.

Wenn es schon bedauerlich ist, dass selbst Männer, denen sonst Objectivität nachgerühmt wird – gewöhnlich durch die Macht der Frauen – in diesen Strudel der Lüge mit hineingerissen werden, so fordert noch mehr das öffentliche Auftreten der zur Clique gehörenden Persönlichkeiten die allgemeine Verurtheilung heraus. Der einzelne Professor dieser Clique ist ein schlechter Lehrer und ein miserabler Gelehrter, dessen Weltruhm kaum bis zum nächsten Bierdorf oder bis zum nächsten Kilometerstein reicht, er geht aber selbstbewusst und geschwollen durch [124] die schmutzigen Strassen des Professorendorfs, in welchem er als Halbgott angebetet wird. Er steht an der Spitze aller Wohlthätigkeits- und politischen Bestrebungen, führt den Vorsitz in Versammlungen, denen er seine oft ungereimte und unverständliche Weisheit auskramt.

Einem derartigen Cliquenführer kann z. B. auch folgendes passiren. An einer süddeutschen Hochschule war eben ein junger, unbedeutender Gelehrter befördert worden. Seine Freunde suchten noch mehr für ihn durchzusetzen, was von der Majorität mit Rücksicht darauf abgelehnt wurde, dass ein älterer, verdienter Docent der Facultät diesen Grad der Beförderung noch nicht besitze und nicht zurückgesetzt werden dürfe. Als die Faculät auseinanderging, sagte der Cliquenführer zu einem Collegen:

„Es war doch ein Fehler, dem Docenten X. unsern Antrag nicht zu bewilligen.“

„Warum denn,“ war die Antwort – „Y. hat dies doch mit grösserem Recht verdient“.

„Ja, aber X. ist gesellschaftlich viel gebildeter, als Y.“

Zum Verständniss für Akademiker, welche nicht dieser in Rede stehenden Hochschule angehören, muss hinzugefügt werden, dass der Docent X. Sohn eines Landpfarrers war und vielleicht nicht einmal die süddeutsche Durchschnittsbildung hatte, aber den ganzen Tag mehreren Professorenfrauen der Facultät am Schürzenband hing, natürlich auch derjenigen seines [125] warmen Fürsprechers, während Y. der Sohn eines sehr hohen preussischen Beamten war, der sein ganzes Leben hindurch – in der allerbesten Gesellschaft verkehrt hatte, dort wohl gelitten und angesehen war.

Der Professor, welcher dieses feinsinnige Urtheil über gesellschaftliche Bildung abgegeben hatte, war – wie wir mit Bedauern hinzufügen – aus Preussen gebürtig.

Sehr interessant ist auch der Cliquenführer in Concerten. Er geht in die grossen Concerte des Orts, sitzt vorn und hört aufmerksam zu, selbst wenn er nicht im Stande ist, eine Melodie von Offenbach von dem Mozartschen Requiem zu unterscheiden. Die Künstler sind erfreut, das Urtheil des grossen Mannes zu hören. Die servile akademische Welt drängt sich um ihn, um etwas von der Wärme seiner Geistesstrahlen abzukommen. In akademischen Privatgesellschaften singt vielleicht seine Tochter, obwohl man ihren Gesang eher mit dem Geschrei eines Wellensittigs oder dem Grunzen eines Frischlings vergleichen könnte. Aber die akademische Gesellschaft ist sehr erbaut davon und entdeckt jedesmal rapide Fortschritte. Singt ein Mädchen, welches nicht zur Clique gehört, sehr anmuthig und sehr schön, so wird jener Cliquenmann die Achseln zucken – man wird an dem Gesang absolut nichts finden können, der Vortrag wird roh sein, die Stimme unangenehm u. s. w. Die Lüge feiert die wildesten Orgien!


[126] Sehen wir uns einen andern Cliquenhäuptling einer kleinen Universitätsstadt an. Stolz schreitet er durch die Strassen, bewundert von allen, denn sein Name prangt auf einigen Prachtwerken. Ein zartes, weisses Shawltuch flattert um den kostbaren Hals, und schräg sitzt der Hut auf dem kahlen Kopfe, erinnernd an die grossen Künstler der Fontana Trevi. Er fahndet ängstlich auf junge Männer, um sie der schmachtenden Gattin zum Abendbrod einzuladen, Studenten, Assistenten, Docenten, denn sie hat schon nach dem ersten Jahr an dem hohlen Pathos und den süsslichen Phrasen ihres Gatten genug gehabt. Findet er die Jugend, so hat er einen angenehmen Abend, denn die Gebieterin ist bei guter Laune. Findet er sie nicht, so muss er das Corset schnüren, oder Strickbaumwolle halten oder Stiefeletten in die Küche tragen oder den Ofen heizen. Der Abend wird nicht erfreulich für ihn, und ich fürchte, dass er mehrfache Dummköpfe an seinen werthvollen Kopf geworfen bekommt. Kommt eine Facultätssitzung, so ermahnt die Gebieterin mit strengem Auge, was er zu thun habe, und glaubt sie, dass ihr jemand nicht wohl will, so befiehlt sie dem grossen Gemahl, das Grüssen einzustellen. Wehe ihm aber, wenn er nicht folgt! Dann bekommt er Stubenarrest, der Hausschlüssel wird genommen, und Abends bettelt er fröstelnd an der Thür des Wohngemachs, dass ihm aufgeschlossen werde.

Ist die Stimmung des Ortes einer kirchlichen [127] Gesinnung günstig, so thut der Cliquenmann auch den letzten entscheidenden Schritt, indem er kirchlich und fromm wird, damit keine Einrichtung übrig bleibe, die nicht in den Strudel der herrschenden Clique hineingezogen werde. Auf diese Weise wird allmählich alles dem Gift der Clique unterworfen. Selbst der misstrauische Eingeborne, der den Fremden bisher gehasst hat, beugt sich vor ihm, wenn er seine Stellung in der Clique sieht und hört, wie gross sein Geldbeutel ist. Denn in einigen kleinen Ländern Deutschlands ist der Geldbeutel die einzige erobernde Macht, weil gerade die Einflussreichsten in dieser Beziehung allein die praktische Vernunft walten lassen und vor einem Berg Goldes Wissenschaft, Racenhass, Feindseligkeit und Particularismus fahren lassen. Die Macht der Clique dringt bis zum Sessel des kleinen Ministers, und wenn dieser ein Urtheil einholen will, so wendet er sich an einen Mann der Clique, während die anständige Minorität unberücksichtigt, unangesehen und einflusslos ihr Dasein fristet.

In einer etwas andern und geräuschvolleren Weise pflegt sich das Gebahren der zur Clique gehörenden Frauen zu äussern. Zwar lernen sie von ihren Männern auch das eine, dass sie, wo die Stimmung des Ortes und die praktische Vernunft es anrathen, recht kirchlich werden (was sich nicht selten mit sehr weltlichen, bisweilen etwas zweifelhaften, inneren Trieben ganz gut verträgt), während [128] sie vielleicht an ihrem früheren Wohnorte gar nicht einmal die topographische Lage der nächsten Kirche genau gekannt haben. Aber die Schwäche des Geschlechts giebt den Antrieb zu grösserer äusserlichen Bemerkbarkeit und zu mehr Extravaganzen. Die zur Clique gehörende Professorenfrau fühlt nicht nur selbst, dass sie Mitglied der tonangebenden Gesellschaft sei, sondern sie will es auch überall die andern fühlen lassen. Man soll es ihrem öffentlichen Auftreten und ihren Plätzen in Concerten, Vorträgen und im Theater sofort anmerken, dass man zur herrschenden Gesellschaft gehört. Man kommt mit Vorliebe zu spät in Aufführungen dieser Art, geht sofort nach vorne, sieht sich siegesgewiss um, bis ein strebsamer Docent oder ein Abendbrod verdienender Zuhörer mit Aufbietung aller Thatkraft einen Stuhl herbeischleppt und vor die erste Reihe hinstellt, weil vielleicht nicht einmal diese für die Würde der verehrten Gebieterin als ausreichend angesehen wird. In den Pausen dreht man sich siegestrunken um und beginnt eine Unterhaltung mit Damen der fünften und sechsten Reihe, welche von dem halben Saal gehört wird, wobei die dazwischen sitzenden Personen als Luft angesehen zu werden pflegen. In einer kleinen Universitätsstadt provocirte einmal eine solche Heldin einen grossen Scandal, indem sie eine bescheidenere Professorsfrau, welche nicht zur Clique gehörte, aus der ersten Reihe verwies und von einigen herbeispringenden männlichen Cliquenhelden [129] darin unterstützt wurde[8]. Sehr ergötzlich ist es, wenn die Clique einen Mediciner in ihrer Mitte hat. Dann wird dessen Ruhm von den Frauen ausposaunt. Seine Curen werden mit den grössten Lobsprüchen bedacht, jedem kranken Menschen wird er aufs wärmste empfohlen, und man läuft befreundeten Familien die Thüren ein, um sie zu veranlassen, den berühmten Arzt zu gewinnen.

Aber auch sonst operirt eine weibliche Clique nicht selten in unwürdiger Weise gegen ihre Gegner. Die Frauen hetzen Dienstboten auf, säen Unfrieden, und wenn der Gegner ein Haus besitzt, stacheln sie die Vermiether an, verbreiten, dass der Schwamm im Hause sei oder Typhuspilze darin sitzen, erzählen von unglaublichen Fällen der Diphteritis, warnen vor der Unruhe, vor der Frau, vor den Kindern u. s. w., um dem Gegner auf jegliche Weise Schaden hinzuzufügen. In einer kleinen Universitätsstadt entschuldigte sich einmal erröthend eine 64jährige Wittwe, dass sie eine Wohnung nicht gemiethet, weil einige Professorenfrauen den hausbesitzenden Professor ihr als Don Juan geschildert hätten. Der Verfasser würde dies nicht der Erwähnung für werth halten, wenn ihm nicht seine eigenen Erfahrungen über die Gemeinheit einzelner Professorenfrauen zur Seite ständen.

Ein ganz eigenes Verfahren beobachten die Frauen der Clique gegenüber den unverheiratheten Docenten und Professoren. Manche zeigen ein ausgesprochenes [130] gesprochenes Bedürfniss, sich täglich mit einem Gefolge solcher Trabanten zu[9] umgeben, was nicht Wunder nehmen kann, wenn man die völlige Ausdörrung mancher akademischer Ehemänner in Anrechnung bringt. Aber auch hier wird eine Auswahl getroffen, da nicht jeder Unverheirathete für einen solchen Ehrenposten geeignet ist. Er muss schon die Anlagen des Strebers verrathen haben, bevor er in die Mysterien der Clique eingeweiht wird. Dann aber entsteht nicht selten ein Verhältniss, das mit dem eines Seelenbräutigams wenigstens entfernte Aehnlichkeit hat. Der Docent findet an der Familientafel reichliche Aufnahme und Mast, darf auf Spaziergängen das Tuch der Gebieterin tragen, auf dem Eise ihr die Schlittschuhe anschnallen, muss sie unterhalten, vielleicht auch in Concerte begleiten, und hat auf seiner Hochschule die allergünstigsten Chancen eines schnellen Avancements.

Sind eine Anzahl Docenten an einer Hochschule, so entsteht leicht ein vollständiger Streberclub, der seine wöchentlichen Sitzungen abhält und nach Art der Börsentelegramme die Diagnose über diesen oder jenen Docenten und Professor mittheilt und darnach sein Verhältniss[10] normirt. Das ist fast die ganze Unterhaltung des Streberclubs. Diese Diagnose wird von einem Ordinarius, der Cliquenhäuptling ist, mitgetheilt. Dann werden also die Verhaltungsmassregeln gegeben. „X matt, Y flott, geht gut, Z flau, fallen lassen.“ Z geht aus und wundert sich [131] über die kühlen Grüsse der Mitglieder des Streberclubs. Wenn er aber in ihrer letzten Börsensitzung gewesen wäre, so würde er seinen flauen Zustand vernommen haben. Weshalb? weiss er nicht, auch der Club nicht. Nur der Cliquenhäuptling weiss es. Entweder hat er diesem auf die Fussspitzen getreten, oder er ist mit einem andern gegangen, der dem Cliquenhäuptling einmal auf die Zehen getreten. Kurz, er ist äusserst flau. Ein neuer Docent habilitirt sich. Docentenclub giebt Weisung: Z sehr flau. Desshalb sehr späte und nichtachtende Visiten. Wer ihm begegnet, ist sehr vornehm, vielleicht herablassend, denn Z sehr flau. Ein neuer Ordinarius kommt, frägt einen Streber, ob er zu einem Ball auch Z einladen solle. Antwort: Nein, denn Z sehr flau. So spielt die Lüge, die Gemeinheit, die Canaillerie einer akademischen Clique mit dem Ansehn und der Achtung eines unliebsamen Gegners. Sollte man da noch Zweifel hegen, dass dieses ganze Institut verrottet sei und dass der Staat in unzähligen Fällen Veranlassung habe, mit schneidigen Mitteln einzugreifen und seine Diener gegen die Brutalitäten dieser modernen Halsabschneider zu schützen?

Dies sind indessen nur Kleinigkeiten, welche bei gebildeten Männern und Frauen nicht mehr als ein Lächeln darüber zu erringen vermögen, welchen Grad der Unbildung und Taktlosigkeit die herrschende Gesellschaft einer kleinen Universitätsstadt erreichen kann in Zügen, die in einer aus mehr Elementen [132] zusammengesetzten Gesellschaft kaum möglich wären. Das Hauptunglück bleibt immer die ungeheure Selbsttäuschung, in welcher sich dieser akademische Mikrokosmos bewegt, da man sich zu einer Bedeutung aufschraubt oder von andern hinaufgeschraubt wird, die man thatsächlich gar nicht besitzt. Die erste Folge dieser Selbstgenügsamkeit ist die Selbstüberschätzung, und diese wieder führt zu einer wissenschaftlichen Indolenz, die nicht selten gerade an kleinen Hochschulen einzureissen pflegt. Einer giebt zuerst das Beispiel, dann ahmen dies die andern nach, welche sich um diesen einen zu einem Ring zu scharen pflegen. Dann wird endlich die wissenschaftliche Apathie aufs Panier gehoben, und alle diejenigen werden scheel angesehn und verdächtigt, die sich in der Wissenschaft zu bewegen gewohnt sind. Auf diese Weise entsteht allmählich ein Gegensatz zwischen der tonangebenden Clique, die sich für die gute Gesellschaft hält, und den übrigen Universitätslehrern, zwischen der unwissenschaftlichen und wissenschaftlichen Gesellschaft, zwischen den Vergnügungsmännern und den eigentlichen Gelehrten, mit einem Wort zwischen dem stimmführenden akademischen Proletariat und den wirklichen und verdienstlichen Lehrern der Hochschule.

Nicht lange darauf beginnt der Kampf der Clique gegen den andern Theil der akademischen Lehrer durch Verleumdung, Isolirung, Misshandlung und Ungerechtigkeit, ein Kampf, der gewöhnlich zum [133] Schaden der Wissenschaft, der Ehrlichkeit und des Anstands auf der Hochschule geführt zu werden pflegt. Da die akademische Clique nur von der Lüge lebt, so wird als fleissig empfohlen, wer faul ist, ein Fleissiger verlästert, der Thor wird als Genie ausgegeben, und das Talent gewaltsam unterdrückt.

Man wird vielleicht an dieser Stelle die Frage aufwerfen, ob es kein Mittel gäbe, dem akademischen Cliquenwesen ein Ende zu machen. Wir glauben die Frage verneinen zu müssen, wenn die bisherige Universitätsverfassung beibehalten wird. Die Clique ist etwas mit der akademischen Welt unzertrennliches. Sie war von Anfang an da. Mag sie zeitweise politisch, kirchlich oder gelehrt gewesen sein, sie war da; war allmächtig und terrorisirte die übrigen. Jene Gegensätze der Renaissance- und Reformationszeit spielen heute keine Rolle mehr, da die Gegenwart nur von einer Alternative berührt wird, die lautet – Geld oder nicht Geld. Die heutige Clique ist daher in der Regel eine Geldclique, und die, welche zu ihr gehören, sind die vermögenden oder Geldmänner, die zunächst den Menschen nach seinem Geldwerth abschätzen, dann nach dem Grade der Hochachtung, den er dem Geld gegenüber beweist. Denn nicht nur Reichthum ermöglicht den Eintritt in die Clique, sondern auch die Anbetung des Reichthums, das Vonsichweisen aller übrigen überflüssigen, vorzugsweise aller geistigen und ethischen Eigenschaften, die für die Werthschätzung eines Menschen genannt [134] zu werden pflegen – Charakter, Anstand, ernstes Streben, Wahrheitsliebe, Zuverlässichkeit.

So lange Menschen ausschliesslich von Nebenmenschen abhängig sind, von ihnen Schaden oder Nutzen erhalten können, so lange wird das Cliquenwesen bestehn, das schon unendlich viel Unheil an Menschenglück angerichtet hat und noch weiter anrichten wird. Auch hier wird erst das Aufhören der exclusiven Corporationen ein Ende dieser Misswirthschaft zu bereiten im Stande sein.


XIV.
Die Professorenfrau.

Es wäre undankbar zugleich und ungalant, wenn in einem umfangreichen Buch, welches dem deutschen Professor gewidmet ist, mit keinem Wort der Professorenfrau Erwähnung geschieht, die doch in so vielen Fällen weit mehr zu sagen hat und drastischer zu wirken pflegt, als der Professor selbst, der geduldige Ehegemahl. In der That ist der Professorenstand heute so glücklich, dass er ganz allein unter allen Berufsklassen nicht behandelt werden kann, ohne dass seinen Frauen dabei eine ehrenvolle Rolle zufällt, während sie bei den übrigen Ständen [135] mit Stillschweigen übergangen zu werden pflegen. Ein Lieutenant wird geschildert, ohne der Lieutenantsfrau Erwähnung zu thun, ein Kaufmann ohne sein eheliches Gemahl, selbst eines Ministers Frau geht die Oeffentlichkeit wenig an, und wenn sie versucht hat, in den Beruf ihres Mannes hineinzupfuschen, wie die allbekannte prüde Gemahlin eines preussischen Ministers, so ist sie doch gewöhnlich der Lächerlichkeit verfallen. Ganz anders ist es bei den Professoren, wo die Professorenfrau in der That eine besondere Behandlung beanspruchen darf. Ist sie so klug, so hervorragend, so taktvoll, so ein- und umsichtig? werden hier viele fragen. Gewiss nicht. Auch in diesem Stande giebt es, wie in allen andern, dumme und kluge Frauen, taktlose und taktvolle, intriguante und harmlose, und gewiss in demselben Zahlenverhältniss, wie in den andern Ständen, aber diese Frau hat oft einen ungleich schwächeren Mann, als die Lieutenantsfrau oder die Kaufmannsfrau oder die Amtsrichterfrau, und deshalb wird ihr das eheliche Regiment leichter gemacht, und wo dies einmal vorhanden ist, ist der Grossmachtskitzel angeregt und kennt bei der Leidenschaft des Weibes keine Grenzen mehr, um mitzuherrschen und Einfluss zu gewinnen in allen Berufsfragen, in denen dem Mann eine entscheidende Stimme zukommt, d. h. zunächst in allen eine zweite Persönlichkeit betreffenden Angelegenheiten.

Fragen wir nun zunächst, durch welche Gründe [136] es möglich sei, dass gerade Universitätsprofessoren, denen man gewöhnlich Verstand und Intelligenz nachrühmt, unter das Joch ihrer Ehefrauen kommen können, so ist unzweifelhaft, dass es in erster Linie die geringe körperliche Ausbildung ist, welche viele Professoren erhalten, und die sie frühzeitig zu alten Männern macht, eine Erscheinung, die durch sitzende Lebensweise, fleissiges Studiren und mangelhaftes Verdauen beschleunigt wird. Das Durchschnittsweib aber (und Professoren haben selten etwas mehr als das Durchschnittsweib, wenn auch das mit goldenen Säcken ausstaffirte, öfters sogar wird ihnen etwas tief unter dem Durchschnitt zu Theil) klebt am körperlichen und vermag sich nicht in die geistige Sphäre vollständig zu erheben, und vom körperlichen zu abstrahiren; denn alle ihre psychischen Fäden fliessen in Sinnlichkeit zusammen. Wie nun eine richtige Frau niemals von einem Opernsänger entzückt sein wird, bloss weil er herrlich singt, sondern nur dann, wenn er über körperliche Vorzüge gebietet, wie Niemann, Stegemann u. a., so wird sie auch niemals durch die höhere Intelligenz oder die Kenntnisse eines Mannes besonders erbaut werden, und nur dann von ihrem Mann ganz entzückt sein, wenn er auch körperlich ansehnlich ist. Ist er das nicht, und hat sie ein leidenschaftliches Temperament, so gilt ihr jeder feurige Student oder Fähnrich zweifellos mehr als ihr Gatte, dessen Ruhm in der Welt bekannt ist, und es braucht nicht daran erinnert zu [137] werden, dass derartige Fälle von Liebschaften und Abenteuern in der akademischen Welt nicht ungewöhnlich sind.

Eine weniger leidenschaftliche Frau, besonders wenn sie im Gegensatz zu einem alternden oder physisch schwachen und heruntergekommenen Mann über einen kräftigen und lebensvollen Körper gebietet, wird ihr Uebergewicht in andrer Weise auslassen, indem sie zunächst ihren Gatten unter das strenge Joch eines Pantoffelknechtes beugt. Da nun aber in Deutschland wenigstens und noch heute von der akademischen Welt in den Augen der Menge der Mann viel mehr gilt als die Frau, so kann die letztere nicht umhin, auch den unansehnlichen Mann als Folie zu benutzen, was besonders für das gesellschaftliche Leben zu einer Nothwendigkeit wird. Denn in Professorenkreisen pflegen die Frauen nicht ohne die Männer Gesellschaften zu besuchen, obschon auch in dieser Beziehung die Leidenschaft des Weibes und sein Vergnügungseifer eine Aenderung jenes Princips herbeizuführen begonnen haben, indem von manchen schon ganz reducirten Männern die Frauen allein in Gesellschaften zu kommen pflegen. Die herrschende Frau schleppt also den beherrschten Mann nicht nur vom frühen Morgen an zum Markt, wo sie vielleicht gemeinschaftlich Hühner einkaufen, oder in die Läden, vor denen er promenirend auf die beschäftigte Gattin, welche sich die langweiligen Stunden des Tages kürzen will, gehorsam wartet, [138] sondern sie schleppt ihn täglich in Gesellschaft und zwingt ihn mit üblen Reden, Hohn und Spott oder auch Schmeichelworten gefügig zu sein. In vielen Fällen wird gewiss der von des Tages Arbeit ermüdete Gatte lieber ins Bett gehen oder auf dem Sopha eine Pfeife rauchen oder ein Buch lesen wollen, als wieder in die schwarzen Kleider unterzutauchen und das magenbelastende Vergnügen der akademischen Abfütterung durchzukosten, aber es hilft ihm nichts: die Gebieterin wünscht es, und damit ist es erledigt. Auf diese Weise sind heute in akademischen Abendgesellschaften stereotype Figuren der schläfrige, überaus langweilige Professor, der mit schlotternden Knieen einhergeht und am liebsten ein stilles Eckchen aufsucht, in dem er unbemerkt etwas nippen kann, und die lebhaft geröthete, laut schreiende Ehehälfte, deren Stimme alle Zimmer durchdringt, die jeden anredet, mit jedem etwas zu sprechen weiss – wenn es auch Unverstand ist – jede Minute vor Mitternacht als ein Geschenk vor der Hinrichtung betrachtet, welches ihre hysterische Aufgeregtheit steigert, bis die Trennungsstunde die verdriessliche wieder an den Arm des halb schlafenden Gatten kettet, mit dem sie dann stumm, gähnend und von der stundenlangen Anspannung nun gleichfalls ermüdet das Ruhelager aufsucht, von welchem sich der Gemahl am nächsten Morgen nicht erfrischt und mit einer eigenthümlichen, an Kopfweh erinnernden Hohlheit in seinem Gehirn erhebt.


[139] Während nun auf der einen Seite der gesellschaftliche Ton durch diejenigen Frauen, welche im Hause ein absolutes Regiment führen, in der Weise verschlechtert wird, dass feinere Beamten- oder Offiziersfrauen, wenn sie zufällig stille Beobachter solcher Scenen werden könnten, ein Grauen vor diesen aufgeregten und schreienden Professorenfrauen bekommen würden und nicht selten die Erinnerung eines tönenden Fischmarktes an dem Gestade der Elbe oder der Havel in ihrer Seele dämmernd aufsteigen würde, ist naturgemäss der Schaden, welchen der Professor selbst durch die täglichen und ermüdenden Gesellschaften der Wintersaison davonträgt, ungleich grösser und bedenklicher. Denn je weniger sein Körper Widerstand zu leisten vermag, um so schlimmer wird die Wirkung auf Körper und Geist sein, und die Vorlesungen werden ebenso die Spuren der letzten Gesellschaft und der halb durchwachten Nacht verrathen, wie das wissenschaftliche Arbeiten sehr bald auf den Gefrierpunkt herabsinkt. Doch wird an denjenigen Hochschulen, auf denen ein derartiger Strudel den Winter über herrscht, auf gelehrtes Arbeiten überhaupt kein Gewicht gelegt, im Gegentheil werden diejenigen leicht verdächtigt, schlecht behandelt und angefeindet, welche sich von einem solchen unprofessorenmässigen Leben abwenden und in der Einsamkeit ihres Zimmers gelehrten Arbeiten obzuliegen vorziehen. An solchen Hochschulen vermögen schon die jüngsten Füchse diejenigen Professoren [140] namhaft zu machen, denen der gesellschaftliche Kater nicht mehr die Vorbereitung zu einer Vorlesung ermöglicht und während derselben sich in auffallender Störung des Gedankenzusammenhanges oder des Redeflusses kenntlich macht.

Eine sehr charakteristische Erscheinung in solchen Verhältnissen ist nun, dass diejenigen Frauen, welche ihre Gatten in strengem Unterthänigkeitsverhältniss erziehen, sich nach wenigen Stunden kennen und zusammenfinden, eine mächtige Liga schliessen, mit welcher sie dominirend auf alle geselligen Einrichtungen der Hochschule einzuwirken trachten und besonders diejenigen Ehemänner mit dem Bannstrahl belegen, welche sich nicht zu der Stellung eines Pantoffelhelden eignen, und deshalb auch ihr Regiment nur mit einem kleinen Lächeln der Verachtung begrüssen. Bald erfüllen sie das Städtchen mit dumpfen Gerüchten über eine arme Frau, die von ihrem Manne roh behandelt wird, und indem sie das verletzte Geschlecht zu rächen suchen, in Wahrheit aber nur für die verletzte Herrschsucht und Eitelkeit eintreten, bringen sie die festen Ehemänner allmählich in den Ruf von Tyrannen oder Scheusalen. Diese, die in andern Verhältnissen grosse Liebhaber des weiblichen Geschlechts gewesen waren, bemerken bald eine auffallende Kühle der thörichten und klatschhaften Professorenfrauen, und vielleicht erst nach Jahren wird ihnen bekannt, in welcher Weise sie von den im akademischen Leben tonangebenden [141] Klatschschwestern angeschwärzt worden sind, denen dann die schlotterbeinigen Ehemänner bereitwillig Gehör geschenkt haben. Diese Liga der Mannweiber erringt in kurzer Zeit die Mitgliedschaft in den zahlreichen Comites und Ausschüssen, welche überall als Ersatz für die Langweiligkeit kleiner Universitätsdörfer sich herausgebildet haben, und es dauert nicht lange, so wird das akademische Leben von ihnen gelenkt, geregelt und mit scharfer Candarre gezügelt. Sie arrangiren die Maskenbälle, die Kinderfeste, die Spaziergänge und Pikniks, sie belohnen gehorsame Männer und bestrafen die unverbesserlichen und unfügsamen, indem sie deren Kinder zum grossen Schmerz der übergangenen Väter nicht einladen oder sonstige Blitzstrahle schleudern, sie segeln auf den schmutzigen Strassen des Dorfes wie Prinzessinnen von Monaco, sie führen das grosse Wort in Concerten, in denen sie zu spät zu kommen und sich sehr laut zu unterhalten pflegen, sie sind von Einfluss auf die Wahl der Redner für die populären Vorträge, und kurz gesagt, es giebt nichts, wo ihr Wort nicht allgebietend durchschlagen könnte.

So weit wäre nun alles ganz recht, und nur der Culturhistoriker hat ein Interesse daran, zu sehen, in welch seltsamer Verirrung sich derjenige Stand heute bewegt, der durch die hervorragende Intelligenz der Männer am meisten berufen ist, für Gediegenheit, Aufklärung, Sitte, Anstand und gesellschaftlichen Takt zu sorgen und damit allen übrigen [142] ein Muster zu sein, während er heute besonders an kleineren Hochschulen nicht selten das Schauspiel einer Krähwinkelgesellschaft darbietet, welche von einigen halbgebildeten, ihre Männer unterjochenden, sich theilweise pöbelhaft benehmenden und in grösseren oder feineren Verhältnissen unerträglichen und lächerlichen, zum Gesindel gerechneten Weibern regiert wird. Aber die bedenklichen Folgen dieser Erscheinung liegen auf einer ganz anderen Seite, und sind so geartet, dass alle Regierungen dringende Veranlassung hätten, ihre Aufmerksamkeit auf diese Auswüchse moderner Cultur zu richten und mit Strenge für Abhilfe Sorge zu tragen.

Ein Weib, welches einmal die Süssigkeit einer unbedingten und unbeschränkten Herrschaft kennen gelernt hat, pflegt in der Regel nicht so schnell befriedigt zu sein und gemäss der weiblichen Leidenschaft nach Höherem zu streben, bis es sich alles unterthan gemacht hat. Es ist daher heute eine gewöhnliche Erscheinung, dass solche Frauen auch Einfluss auf die persönlichen Angelegenheiten der Universitätslehrer zu gewinnen suchen, indem sie an derselben Hochschule bald dem einen ihre Sympathie, dem andern ihre Antipathie zuwenden und in diesem Sinne den schwachen Ehemann zu wirken zwingen, bald auch die Berufungen zu ihrem Ressort machen und für die Anstellung von Männern ihrer Freundschaft oder Verwandtschaft Sorge tragen. Je mehr es ausgemacht ist, dass schwächliche und in [143] Knechtschaft schmachtende Ehemänner über alle Angelegenheiten der Facultäten und des Senats ihren Frauen Beichte abhalten müssen, ja, um so wahrscheinlicher der allgemein verbreitete Zug der Sage ist, dass solche Ehemänner nicht selten Abends vom Schlafgemach ausgesperrt werden, wenn sie nicht reuevoll alles bekennen zu wollen versprechen, um so sicherer ist es, dass diese Ehemänner nur denjenigen Docenten avanciren lassen, für den ihre Frau eingenommen ist, und denjenigen misshandeln, von dem sie wissen, dass sie damit ihrer Frau einen Gefallen thun, und dafür mit einem wärmeren Küsschen oder Pätschelchen beschenkt werden. Sollte nicht in solchen Fällen eine Facultät geschlossen auftreten und die Regierung von solchem Gebahren eines Ordinarius verständigen? Ja, es ist soweit auf deutschen Hochschulen gekommen, dass Frauen sich nicht nur nicht entblödet haben, an der eigenen Hochschule durch Agitiren, Herumgehen, Ausposaunen der guten Eigenschaften für einen zu befördernden Docenten thätig zu sein, und umgekehrt durch entgegengesetzte Mittel gegen einen andern zu wirken, sondern dass sie auch für die Anstellung nach auswärts Briefe geschrieben, Gutachten eingeholt und davon sogar öffentlich kein Hehl gemacht haben. Dies ist beispielsweise in einem vielbesprochenen Fall an einer süddeutschen Hochschule geschehen, und die dortige Professorenwelt ist nicht einmal so aufgeklärt gewesen, die ungeheure Lächerlichkeit [144] dieser Thatsache zu begreifen, ja manche wollten sogar wissen, dass sehr einflussreiche Persönlichkeiten dieser weiblichen Thatkraft nicht abhold entgegengestanden seien. Ist es dann ein Wunder, wenn solche Weiber sich neben ihrem Mann über die Bedeutung von Universitätslehrern streiten, dass sie während eines Diners über die pädagogische oder wissenschaftliche Thätigkeit dieses oder jenes Lehrers absprechen, während der arme Gatte mit gesenkten Augen dasitzt[11], ohne das leicht verschliessbare Mündchen zu öffnen? Ist es ein Wunder, dass die jungen Docenten, denen die Macht einer solchen Professorenfrau zu Ohren gekommen ist, im Stande wären, ihre Strümpfe zu stopfen oder den Besatz des Unterrockes anzunähen, wenn ihnen dadurch die Hoffnung auf Beförderung an der Hochschule winkt?

Wieder eine andre Folge dieser Entartung der heutigen Professorenfrau betrifft die Kindererziehung. Bei einer Frau, deren Leben sich ausschliesslich um Geselligkeit, Besuche, Visiten, Gesellschaft, Ausflüge dreht, pflegt das eigene Heim einer argen Vernachlässigung preisgegeben zu sein. Sind mehrere Kinder da, so werden sie schon frühzeitig allein gelassen oder dem Milchmädchen oder Milchbuben übergeben, während die Mutter in Kaffevisiten sitzt und für die Förderung des städtischen Personalklatsches thätig ist. Die Knaben werden frühzeitig als erwachsene betrachtet, und da den Eltern viel mehr daran zu liegen scheint, dass jene an Gesellschaften Theil nehmen, [145] und sich für Bordeaux oder Rheinwein entschliessen, sich recht amüsiren, möglichst zeitig Tanzstunde nehmen, um im Verkehr mit dem weiblichen Geschlecht bewandert zu werden, als dass sie ihre Schulaufgaben machen, so sinken derartige Professorenknaben zu einem förmlichen Schülerproletariat herab, mit welchem Direktor und Lehrer ihre grösste Noth haben, und dies um so mehr, je grösser die häusliche Verwöhnung und Unerzogenheit verstärkte Unehrerbietigkeit gegen die Lehrer ist. Gehen die Eltern dieser Art täglich in Gesellschaft, und vorher noch einige Stunden in einen Biergarten, so sind die Kinder halbe Tage lang sich selbst überlassen und üben sich im Unfug jeglicher Art. Leisten sie in der Schule nichts, so sind natürlich die Lehrer daran Schuld und nicht die Eltern. Zu verwundern ist nur, dass nicht alle so erzogene Knaben frühzeitig zu Buben oder Galgenschwengeln sich entwickeln, was heute doch nur in einzelnen Ausnahmen stattzufinden pflegt. Auch das sehen die armen, hülflosen Ehemänner mit an und segeln mit ihren Frauen von einem Vergnügen zum andern, während die Kinder der Verwahrlosung anheimfallen.

Das ist die Professorenfrau der Gegenwart, die Frau, die an der Hochschule eine Rolle spielt, auf der Strasse von jedermann gekannt und von den jungen Docenten ausgezeichnet wird, die man in Gesellschaften schreien hört und alle Maskenbälle arrangiren sieht! Nicht jene Professorenfrau, [146] die daheim ängstlich um ihre Kleinen bemüht und auf das Auskommen mit dem knappen Wirtschaftsgeld bedacht ist, und aus Sorge um das Wohl und Gedeihen ihrer Kinder zahlreiche Gesellschaften absagt, die dem ermüdeten und angestrengten Gatten mit freundlichem Gesicht den Kaffe in das Zimmer stellt, und deren grösstes Glück das Daheim und ihr Familienkreis bildet! Diese Frauen bleiben in der akademischen Welt unbekannt und verachtet. Gewiss werden auch solche Frauen nicht aussterben, so lange unser deutsches Vaterland dauern wird, aber ihre Zahl wird vielleicht immer geringer werden, je mehr das Professorenthum aus der eigentlichen Sphäre der häuslichen Arbeitsamkeit heraustreten und ausschliesslich in Geselligkeit und Vergnügungen seine Befriedigung finden wird.


XV.
Die politische Thätigkeit der Professoren.

Während in früheren Jahren der deutsche Professor zu den unpolitischen Geschöpfen gehörte, dem überhaupt die Aussenwelt ein mehr oder minder verschlossenes Gebiet blieb, ist in den letzten Jahren, besonders seit der Errichtung des deutschen Reichs, [147] die Beschäftigung mit der Politik an einzelnen Hochschulen sehr in den Vordergrund getreten und wird von einzelnen Regierungen, wie es scheint, nicht ungern gesehn. Der üble Einfluss, den die Tagespolitik auf die Studentenkreise auszuüben pflegt, die gesteigerte Erbitterung, mit welcher sich die verschiedenen Parteien gegenüberstehen und selbst in wissenschaftlichen Vereinen bekämpfen, die traurigen Consequenzen davon, die in dem beklagenswerthen Berliner Duell ihren Ausdruck gefunden und die sehr anerkennenswerthen Verbote der allgemeinen Studentenwahlversammlungen seitens des Berliner Rektoramts veranlasst haben, sollten freilich eine dringende Mahnung für alle akademischen Lehrer enthalten. Denn im allgemeinen können wir unsern Standpunkt so bezeichnen, dass wir bei allen Studenten Deutschlands eine warme Vaterlandsliebe und eine echt nationale Gesinnung, die sich auch bei gewissen festlichen und feierlichen Gelegenheiten bekunden kann, voraussetzen oder für wünschenswerth halten, dass wir aber die active oder öffentliche Beschäftigung mit den Tages- und Parteifragen für ungehörig und bei dem leidenschaftlichen Wesen jüngerer und unreifer Männer für bedenklich halten, weil Ausschreitungen auf der einen wie auf der andern Seite eine nothwendige Folge davon sein müssen.

Etwas anders verhält es sich natürlich mit der politischen Thätigkeit der Professoren. Dass dieselben als Wahlmänner und Wähler befugt sein müssen, [148] über Politik nachzudenken und je nach ihrem persönlichen Standpunkt einer Partei anzugehören, ist ja selbstverständlich. Ob aber im grossen und ganzen eine active und öffentliche Betheiligung ihrerseits als besonders rathsam erscheinen darf, wagen wir zu bezweifeln und wollen den Versuch machen, die Gründe dieses Zweifelns auseinanderzusetzen.

Zuerst aber darf die Frage wohl eine Erörterung finden, durch welche Gründe jene in früheren Zeiten so viel seltener beobachtete Erscheinung der activen Betheiligung an der Politik seitens der Universitätsprofessoren heute ermöglicht worden sei. Diese Frage kann kurz so beantwortet werden, dass die Professoren heute mehr Zeit haben als früher. Und wenn man hierfür wieder nach dem Grunde frägt, so wird man mit Bedauern das sinkende Gelehrtenthum an unsern Hochschulen anführen müssen, welches mehr und mehr sich von der Studirstube und von der Wissenschaft entfernt, um in der Aussenwelt seine Befriedigung zu suchen. Stellenweise wird man auch die wachsende Gleichgültigkeit notiren dürfen in Betreff des Einhaltens der Vorlesungen, indem man ohne weiteres Stunden ausfallen lässt, um im Lande herumzukutschiren und Wahlreden zu halten. Aber von manchen Fakultäten werden überhaupt nur noch Lehrer berufen, die Gesellschaften geben und einen Contretanz commandiren können.

In der That sind es mit sehr wenigen – sehr [149] rühmlichen, sehr bekannten und respectabeln Ausnahmen – Professoren, die in der Wissenschaft keine Befriedigung finden, wenig darin leisten und zu leisten im Stande sind, welche eine umfassende politische Thätigkeit entfalten. Es kann daher eine derartige politische Thätigkeit der akademischen Lehrer nicht einmal im Interesse der Landesregierungen liegen, welche nicht ohne Bedauern das Entfernen der akademischen Lehrer von ihren eigentlichen Pflichten wahrnehmen müssen, um derentwillen sie von dem Staat bezahlt werden.

Was nun in erster Linie gegen die Beschäftigung des ehrlichen Professors mit der Politik spricht, ist sein unpraktisches Wesen, seine grosse Einseitigkeit und die Unklugheit, mit welcher er alle Fragen, die sich nicht auf seinen Beruf beziehen, zu behandeln pflegt, eine Unklugheit, die bei vielen Vollblutsprofessoren geradezu zur Manie auszuarten pflegt. Man wird daher von vorn herein annehmen können, dass der Professor nichts erspriessliches oder förderliches in der Politik leisten wird – und diese Thatsache wird kein unbefangener bezweifeln können. Der Professor wird fast immer Theoretiker oder Doctrinär bleiben, etwas was in den meisten politischen Fragen als etwas einseitiges und störendes bezeichnet werden muss. Der ehrliche Professor – man verzeihe uns, dass wir nach unsern Erfahrungen die Ehrlichkeit nicht bei allen vorauszusetzen verpflichtet sind – wird in der Regel für eine Idee [150] warm begeistert sein, dafür ins Feuer gehn, sie für das allein richtige halten – und zum politischen Fanatiker werden, wie er vielleicht in zahlreichen andern Beziehungen ein befangener und beschränkter Pedant ist. Er wird den Kampf gegen die vermeintlichen Gegner mit aller Schärfe und Erbitterung fuhren, ja er wird nicht selten sich soweit fortreissen lassen, dass er sich nicht scheut, gegen politische Gegner in öffentlichen Reden oder in der Presse Invectiven oder Verleumdungen auszusprechen. Auch hierfür wären wir in der Lage sehr interessante Details anzuführen, welche im Grunde genommen auf die fanatische Beschränktheit kleinstädtischer oder dorfmässiger Professoren zurückzuführen wären, wenn die einzelnen ins Auge gefassten Professoren nicht zu unbedeutend wären, als dass man sie einer allgemeinen Kenntnissnahme für werth halten sollte.

Die zweite Classe besteht aus den unehrlichen Politikern, die wir kurzweg Streber nennen können. Die politische Thätigkeit dieser wird durch Opportunitätsgründe bestimmt, die gewöhnlich mit der jeweiligen Regierungsströmung zusammenhängen und zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Gegenden verschieden sein können. Unter Umständen ist es gut, conservativ zu sein, unter andern liberal, eine Stadt verlangt mehr diese Strömung, eine andere jene; in Süddeutschland unter Umständen stramm preussisch oder vielmehr bismarckisch, unter andern partikularistisch schweifwedelnd. Es unterliegt kaum [151] einem Zweifel, dass die politischen Streber bei jener Aenderung der Opportunitätsbedingungen auch mit Leichtigkeit ihre Gesinnung ändern würden, wie dies nachweislich bei einzelnen wiederholentlich vorgekommen ist. Aber der Professor, der keinen Widerspruch verträgt, hält in jedem Augenblick seinen eignen politischen Standpunkt für den einzig anständigen, den ‚akademisch gebildeten‘ und verdächtigt Alle, die nicht nach derselben Pfeife tanzen, ohne seinem eignen Schwanken eine Beachtung zu zollen oder durch Gewissensbisse gequält zu werden. Denn er ist der grosse Mann!

Es steht fest, dass gerade durch dies Streberthum an einzelnen deutschen (besonders süddeutschen) Hochschulen eine Verseuchung eingetreten ist, die in hohem Grade beklagenswerth erscheinen muss. Nach dem gewöhnlichen Muster der akademischen Cliquenwirthschaft bildet sich sofort ein Ring, der eine bestimmte Parteifärbung für die massgebende und allein gültige an der Hochschule erklärt. Wer nicht zu ihm gehört, wird in den Bann gethan, womöglich von der Gesellschaft ausgeschlossen, jedenfalls geringer geschätzt und mit Nasenrümpfen angesehen, und auf diese Weise beginnt eine allmähliche Zersetzung der Elemente nach Differenzpunkten, die überhaupt vom akademischen Leben ganz fern gehalten werden sollten. Das traurigste aber dabei ist, dass diejenigen Leute, welche den politischen Terrorismus ausüben und in allen Conventikeln die [152] blöde und auf Professorenweisheit andächtig lauschende und blindlings schwörende Masse mit ihrem unreifen, ganz bedeutungslosen politischen Geschwätz überschütten, gewöhnlich, wie erwähnt, sehr untergeordneter Art sind, sowohl als Lehrer wie als Forscher, ja unter Umständen sogar Bedenken über normale Denkfähigkeit erregen können, aber dennoch, wie alle Faiseure an den heutigen Hochschulen, durch Geld und Gesellschaften einen grossen persönlichen Einfluss auszuüben im Stande sind.

Der Process der Verseuchung im Schosse der Universität vollzieht sich nun in folgender Weise. Zuerst halten es die streberhaften Privatdocenten für opportun, in die von jenen Stimmführern dirigirten Parteiversammlungen zu gehn; einige der feurigsten Streber erbieten sich sogar zu Festreden, selbst wenn sie dabei ein unerhörtes Fiasco erleiden sollten. Aber was macht dies alles, da die Clique allein das Urtheil fällt und die öffentliche Meinung beherrscht, so dass sie auch das jämmerlichste Fiasco zu vergolden vermag? Allmählich unterscheiden die scharfen Augen der Cliquenführer zwei Classen von Docenten, die eine, welche regelmässig zu den politischen Versammlungen kommt und den Glorienschein um das Haupt ihrer Lenker vergrössern hilft, und die andre, welche leider sehr oft, vielleicht ganz consequent, fernbleibt, gewöhnlich aus dem einfachen Grunde, weil sie entweder keine Zeit hat oder zu ehrlich ist und sich nicht durch thörichtes Schwadroniren anöden [153] lassen will. Dann erhält jene Classe mehr Einladungen zu den Braten der Parteiführer, diese wird zurückgesetzt. Jene findet in den Fakultäten immer warme Fürsprecher, diese theilweise heftige Gegner.

Der zweite Act in dem Prozess der Verseuchung betrifft die Studenten. Auch hier fangen frühzeitig die Streber an, sich zu rühren. Diejenigen, welche vor einem Examen stehen, nähern sich jenen einflussreichen und agitatorischen Professoren, machen sich beliebt, renommiren mit ihrer Gesinnungstüchtigkeit, verrichten sogar kleine politische Dienstverrichtungen (Herumtragen von Wahlzetteln u. s. w.), verlocken ihre Kameraden zu ähnlichem Treiben, laden die Cliquenführer auf ihre Kneipe ein, lassen sich anreden und reden selbst an, betrinken sich aus Patriotismus und saugen von dem schäumenden Getränk des Streberthums, das ihnen bald zu Kopf steigt, aber sie glücklich macht in dem Bewusstsein eines guten Werkes und in der Hoffnung auf eine goldene Zukunft.

Allmählich, wenn wirklich politische Gegensätze an der Hochschule vorhanden sind, ist alles in zwei Lager gespalten, die sich befehden, hassen, beschimpfen, misshandeln. Willkühr, Ungerechtigkeit, Terrorismus fangen an, dort herrschend zu werden, wo der Friede und die Wissenschaft gedeihen sollten, und selbst bessere Charakter werden in den Strudel mit hineingezogen, um, mit Schlamm bedeckt, daraus emporzutauchen.


[154] Der letzte Act der Verseuchung tritt nun in der Winkelpresse ein, welche jene politischen Strebereien freundlich oder feindlich zu begleiten pflegt. Die Leidenschaften sind auf beiden Seiten entfesselt, und da nirgends eine massvolle und corrigirende Kraft sich geltend macht, so wirkt ausschliesslich die Wuth des Fanatismus, der in diesen Pressorganen einen Ton erzeugt, wie er wohl nur noch in den Revolverblättern des amerikanischen Westens gefunden wird. Das ist die Wirkung der Professorenpolitik. Denn das dürfen wir wohl nicht als gewöhnliche Erscheinung auffassen, was in Deutschland bisweilen vorgekommen ist, dass Professoren, die sich zu Unvorsichtigkeiten und Thorheiten in Versammlungen hatten hinreissen lassen, nur mit Mühe und Noth vor einer Tracht Prügel gerettet werden konnten.

Die grosse politische Kurzsichtigkeit und Einseitigkeit des Professors zeigt sich aber gewöhnlich am deutlichsten, wenn er als ministerieller Decernent oder Ministerialdirector einen bestimmenden Einfluss auf die persönlichen Verhältnisse der Professoren auszuüben vermag. In der That ist dies gewöhnlich von den allertraurigsten Folgen begleitet. Denn man vergesse nicht, dass der Professor zu den engherzigsten und in den ausserfachlichen Sachen zu den beschränktesten Geschöpfen des Erdballs gehört. Jedermann weiss, wie im Universitätsfach durch den Einfluss eines Mannes in Preussen viele Jahre [155] hindurch die Holsteiner zu allmächtigem Einfluss gekommen waren, durch welchen alle übrigen deutschen Provinzen zurückgedrängt wurden. Auf diese Periode folgte wiederum in Folge des Einflusses eines andern Mannes die Periode der Schlesier, in welcher sogar einige sehr auffallende Berufungen zur allgemeinen Kenntniss gelangten und vielen Tadel einernteten. Man ist anzunehmen berechtigt, dass in der jetzigen tadellosen preussischen Verwaltung eine solche Bevorzugung der Landsleute nicht mehr stattfindet.

Vollends unerträglich aber ist es, wenn ein früherer Professor, besonders in kleineren Staaten (wo er mit dem Personalklatsch in stetem Contact geblieben ist), den Posten eines Cultusministers inne hat. Gewöhnlich bricht dann für die Universitäten die traurigste Periode herein. Einseitigkeit, Unklarheit, Unselbständigkeit, Nepotismus, Klatsch – das ist die Signatur einer solchen Regierungsperiode! Frankreich und Italien haben diese Erfahrungen mit schweren Opfern durchmachen müssen. Aber auch Deutschland sind sie nicht erspart geblieben: man frage nur in Württemberg darnach! Das kleinste Uebel, welches dann einzutreten pflegt, ist, dass der Minister einige Universitätspäpste regieren lässt, die mit ihm machen, was sie wollen, und dass es ihm stets an Muth gebricht, um gegenüber der Clique den Regierungsstandpunkt festzuhalten. Es ist eben ein Fluch der Kleinstaaterei, dass die meisten Minister nur die eine Idee verfolgen, sich so lange wie möglich [156] auf dem Ministerposten zu erhalten, weshalb das Laviren, Gehenlassen, Friedenhalten mit den Machthabern, Unterdrücken der jüngeren Docenten zu Gunsten der einflussreichen Ordinarien, Hungernlassen der einflusslosen Lehrer und Geldvergeudungen an die Mächtigen zu den Haupttugenden solcher Staatsmänner zu gehören pflegen. In kleineren deutschen Ländern ist allerdings nicht selten dadurch ein importirtes Cliquenthum zur Gewalt gekommen, von dem doch als gelindester Vorwurf behauptet werden darf, dass es gewöhnlich ein sehr ungesundes sociales Leben wie eine Pest in die Hochschule eingeschleppt und auf die akademischen Verhältnisse bakterienartig übertragen hat. Wir wagen aber auch die These zu vertheidigen, dass dieses Cliquenthum im Durchschnitt gar nicht die Qualificirung, die Objectivität und den Takt besessen hat, um die Leitung der akademischen Verhältnisse zum Nutzen der Hochschule durchführen zu können. Ja, wir wagen sogar zu behaupten, dass durch diesen politischen Fanatismus stellenweise Leute in den Vordergrund geschoben sind, deren Thun und Treiben bereits längst die Grenzen überschritten hatte, innerhalb deren das liegt, was wir mit den Wirkungen einer normalen Vernunft für vereinbar zu halten pflegen. Ja, die politische Gehässigkeit der letzten Jahre hat auch scheinbar intactere Charaktere so verdorben, dass Professoren sich nicht entblödet haben, in der Tagespresse zu verleumden, ja dass sie heruntergesunken [157] sind bis zum widerlichen Denuncianten, der in der kleinen Residenz das Ohr des Ministers bearbeitet. Auch hier bedauern wir, hinzufügen zu müssen, dass deutsche Professoren gegen eigene Landsleute so gehandelt haben. Pfui! –

Deshalb wird eine Regierung immer gut thun, sich von dem Einfluss der Professoren ganz zu emancipiren, da diese machtlos gegenüber einer Cliquenwirthschaft sind. Persönlich uninteressirte Regierungsbeamte werden stets die besten Ressortminister sein.


XVI.
Geldbewilligung der Fakultäten.

An manchen deutschen Hochschulen bekommt ein Extraordinarius, den man besolden will, keine Mark Renumeration von der Regierung, wenn dieselbe nicht von der Fakultät beantragt ist. In kleineren Ländern pflegen die Fakultäten eifersüchtig dieses Recht festzuhalten, weil sie dadurch eine Waffe in die Hand bekommen, mit welcher sie gutartige Kinder belohnen, böse Buben züchtigen können, und die grossen Fakultätspäpste bedienen sich dieser Waffe, wie der alte Zeus seines Blitzstrahles. Sie sitzen auf ihrem Sessel, empfangen die bittenden, hungernden [158] Docenten, überdenken das Wohl des Staates, das, wie ihnen scheint, von ihrer Entscheidung abhängt, das Wohl ihrer Fakultät, das zu hüten sie sich berufen fühlen, durchlaufen die Zahl ihrer Günstlinge und Nichtgünstlinge, bis sie mit pythischer Feierlichkeit ihre hohe Genehmigung zur Bewilligung von einigen hundert Mark geben und im Vollgefühl einer ungeheuren That und einer beispiellosen Liberalität wieder zu ihrem Arbeitstisch zurückkehren. Die andern Götter halten den Mund, wenn Zeus selbst etwas durchsetzen will, und so ist das Nicken des höchsten Gottes für die schwebende Frage entscheidend.

So ist etwa die Sachlage, wenn ein jüngerer Bewerber da ist, der die Dreistigkeit hat, für die jahrelangen Dienste, die er der Wissenschaft und der Hochschule geleistet hat, eine kleine Honorirung zu beanspruchen, die in einigen Ländern am Anfang etwa der Honorirung eines Kellners in einem kleinen Landstädtchen oder des Paukenschlägers in einer Badekapelle oder des Lampenputzers in einem Provincialtheater oder des letzten Bibliothekdieners, der wegen Alkoholismus aus einer andern Stelle entlassen worden ist, oder des jüngsten Spritzers in einem türkischen Dampfbad oder eines angehenden Ladenjünglings in einem Marktflecken gleichkommt: man gibt nämlich 1200, 1000, 800 Mark (das letztere wagt man in Württemberg nur den aus Preussen gebürtigen Docenten zu bieten).


[159] In ein ganz anderes Stadium tritt aber die Frage, wenn mehrere Bewerber da sind, die sich etwa zu gleicher Zeit habilitirt haben und die nämlichen Ansprüche zu erheben berechtigt sind. Dann beginnt ein Rennen der einzelnen um die Gunst ihres nächsten Fachordinarius, den man sich möglichst warm zu halten sucht, denn dann wird bei der Auswahl des Beglückenden die Bedürfnissfrage in den Vordergrund gestellt, und diese Bedürfnissfrage ist immer identisch mit der Personalfrage. Von nun an beginnt nicht selten der entsittlichende Weg, den die Docenten einschlagen müssen, um zu ihrem Ziel zu gelangen. Wenn das Anbeten des Ordinarius nichts hilft, fängt man an – vorausgesetzt, dass es nicht ungern gesehen wird – die Frau anzubeten, wenn es erwünscht ist, Töchter zu verehren, so werden Töchter verehrt, betanzt, bespielt, bemaskeradet u.s.w. Nicht wenige Docenten sinken in ihrem Kampfe um das Dasein noch tiefer, indem sie ihren Einfluss beim Ordinarius oder die süssen Abende, die sie in dessen trautem Familienkreis auf der Mast zubringen, zu Einflüsterungen gegen ihre Rivalen benutzen, wobei nicht selten gelegentliche, günstig angebrachte Verleumdungen bei schwachen Naturen eine dem Verleumdeten dauernd nachtheilige Wirkung hervorbringen.

Aber die Fakultätspäpste sind nicht allein von der Jagd der Docenten behelligt. Auch andere buhlen um ihre günstige Stimmung, besonders bei der philosophischen [160] Fakultät. Da ist noch ein kleiner Beamter, der auch etwas von der Fakultät haben will, und da ist ein Musikdirigent oder ein Fechtmeister, der auch ein grösseres Gehalt haben möchte. Der kleine Beamte leidet an unheilbarer Pianosis und erspielt sich die Gunst der Ordinarien, indem er grunzende Töchterchen auf dem Piano begleitet, der Musiklehrer unterrichtet im Hause des höchsten Zeus, des Allgewaltigen. Wer wird den Sieg davontragen? Was wird sich als dringendstes Bedürfniss für die Fakultät, die Hochschule und den Staat herausstellen, für den geduldigen, vielertragenden Pianohelden oder für den musikalischen Lehrmeister zu sorgen?

Man erkennt daraus, wie schwer die Aufgabe der Fakultät ist und wie vielen Interessen sie gerecht werden soll. Denn die verheiratheten Frauen wollen auch durchaus nicht ihre Schlittschuhläufer, Tänzer, maskirten Cicisbeos u. s. w. preisgeben und für die vielen Dienstleistungen unbelohnt lassen.

Endlich kommt die Bedürfnissfrage zur Entscheidung, und die Würfel fallen vielleicht – für den Musikdirigenten. Was da allerdings entscheidet, liegt auf der Hand – der Einfluss des Machthabers.

Dieselbe Behandlung der Bedürfnissfrage zeigt sich auch in den vorgeschlagenen Summen. Hat ein Docent, der unverheirathet ist, in der Fakultät viele Freunde, so erfordert das Bedürfniss, dass er 1500 oder 1800 Mark jährlich bekomme, hat ein Docent, der verheirathet ist und Kinder hat, Feinde, [161] so muss er mit 1000 oder 800 Mark zufrieden sein. Das ist Fakultätslogik! Man braucht keine Universität und keine Fakultäten anzuführen. Diese Verhältnisse werden überall gleich sein, wo ein Mensch – der nicht administrativer Beamter ist, keiner Behörde und keiner Kammer Rechenschaft zu geben braucht – über den Nebenmenschen gebieten kann und zunächst dessen finanzielles Loos in der Hand hat. Selbst der beste Charakter und der festeste Mensch wird da menschlich denken, wenn er über den Freund seiner Töchter, seinen Hausfreund, seinen Neffen, Schwiegersohn oder sonstigen Anverwandten zu entscheiden hat, und wird noch menschlicher denken, wenn er über jemanden aburtheilen darf, der ihm persönlich unangenehm ist.

Diese Fakultätsbewilligung hat aber noch eine andre Consequenz von Charakterlosigkeit im Gefolge, die nicht selten wahrzunehmen ist. Gewöhnlich sichert sich der Docent an den Hochschulen, an denen bei Beförderungen Eingaben gemacht zu werden pflegen, die Stimmen der massgebenden Männer durch vorheriges Umfragen und Ansprechen. Wenn nun bestimmte Versprechungen gegeben sind, sollte man glauben, dass dieselben auch von den einzelnen gehalten werden. Dies ist aber keineswegs der Fall, und in Collegien dieser Art, die für keine That verantwortlich gemacht werden können, ist es durchaus nicht ungewöhnlich, dass einer etwas fest verspricht, dann aber von einem Gegner des zu [162] Befördernden bearbeitet wird und sein Versprechen nicht hält. Lüge und Wortbrüchigkeit sind in den Fakultäten nicht ungewöhnliches. Beispiele anzuführen ist nicht nöthig; es stehen aber genug zur Verfügung. Man nennt ein solches Verfahren in der nichtakademischen Welt Charakterlosigkeit oder Gemeinheit. Aber wem soll etwas derartiges angerechnet werden dort, wo noch andre, weit schlimmere Dinge möglich sind, ohne dass sie weder an die Oeffentlichkeit kommen[12], noch in irgend einer Weise geahndet werden?

Eine dritte Unbilligkeit zeigt sich nun in der Behandlung der unbedeutenderen Stellen, die von einer Fakultät, gewöhnlich von der philosophischen Fakultät abhängig sind. Ist hier einer missliebig, so erhält er wenig, und man lässt ihn hungern, hat er mächtige Freunde, so erhält er viel und immer mehr Zulagen. Es ist nicht zu verwundern, dass solche Leute, wenn sie einmal den Weg kennen, auf dem allein man weiter kommen kann, schwach und charakterlos werden und die jämmerlichsten Pfade einschlagen, welche ihnen zu ihrem Ziele verhelfen können. So breiten sich die Wege der Coruption an einer Hochschule mehr und mehr aus, und werden zu breiten Fahrstrassen, welche den Passanten zum Ziele führen. Wie soll das enden, wenn nicht die Regierungen fest dastehen und einen Riegel diesen Dingen entgegenschieben?

Nun aber kommen auch folgende Verhältnisse [163] bei den Fakultätsbewilligungen vor. Wenn besonders einige Pfahlbürger in einer Fakultät sind, welche nie das wirkliche Leben genossen, und nur die zweifelhafte Existenz eines Klosterjünglings und Bücherwurms kennen gelernt haben, so neiden sie jedem lebensfrohen Docenten die kleinsten Lebensfreuden und benutzen dies als Vorwand, um ihm Geld zu verweigern. Reist er einmal im Jahre, so heisst es, dass er zu viel reise, wird er einmal zur Jagd eingeladen, so betheuert man, dass dies eine noble und kostspielige Passion sei, welche die Nothwendigkeit einer Geldbewilligung auszuschliessen scheine, trinkt er einmal besseren Wein, so schlägt man erstaunt die Hände über dem Kopf zusammen. Der Docent muss so vorsichtig sein, wie man in einigen Städten vor der Steuercommission vorsichtig ist, um nicht in eine höhere Steuerklasse zu kommen. Kurz, für solche Professoren ist es dann zweckmässiger, den Lazarus zu spielen und über Hunger zu klagen, weil dann vielleicht einige Brosamen hingeworfen werden. Docenten, die so vorsichtig waren, haben schon erklärt, dass sie zu arm seien, um sich ein Heftpflaster zu kaufen. Das Auffallende ist nur, dass Ordinarien in den glänzendsten Stellungen auch keine abschlägige Antwort geben, wenn sie eine Zulage erhalten, und reiche Professoren sich nicht scheuen, von dem Staat ein Reisedouceur anzunehmen, wenn sie einmal eine Reise machen, oder Diäten, wenn sie einen Congress besuchen wollen. Ja Bauer, das ist eben etwas [164] anderes! Ein Professor kann leben, wie er will, aber ein Docent soll leben, wie es seinen Universitätspäpsten gefällt, und wenn er das nicht thut, dann – muss er hungern! Sollen wir Beispiele anführen? Hoffentlich verlangt man es nicht.

Aus diesem Grunde haben es die Assistenten und Docenten an gewissen Universitäten am besten, wann sie Handlangerdienste thun oder der Frau Professorin den Wein und das Bier abfüllen, oder die Kinder abhalten, wenn die Kindermagd zu einer Hochzeit geladen ist, oder die Briefe an die Briefschalter tragen. Das ist höchst vorsichtig und weise gehandelt! An manchen Universitäten machen die chemischen Docenten in ihren Laboratorien, wenn ein Maskenfest in Aussicht steht, wochenlang Goldblättchen oder etwas ähnliches, um die Gebieterin ihres Chefs zu erfreuen, an deren Gunst ihnen meist mehr gelegen ist, wie an Lehre und Wissenschaft. Denn jene ermöglicht ein weit schnelleres Avancement, als diese! Warum also nicht Goldblättchen machen? Maskenpuppen zimmern und bekleben? Und ähnliches? Desto rascher kommt der Extraordinarius, und wenn man sehr artig ist, gleichzeitig – eine anständige Renumeration.

Mit allen diesen Gefahren ist aber schon das Urtheil über diese ganze Einrichtung gesprochen. Man soll keinen Zustand dulden, bei welchem der einzelne das Opfer seines Nebenmenschen werden kann. Folgender Fall trug sich vor einigen Jahren an einer grössern Universität Süddeutschlands zu. [165] Im Senat wurde der Antrag gestellt, für einen eben beförderten Extraordinarius ein Gehalt zu gewähren. Da rief ein Professor von dessen Fakultät in den Saal hinein: „Ach was, der braucht kein Gehalt, das ist ein reicher Mann!“ Jene gar nicht bös gemeinte Benachrichtigung hatte zur Folge, dass ein Gehalt nicht bewilligt wurde. Die Notiz selbst aber stammte aus dem Klatsch des kleinen Städtchens, der, wie gewöhnlich, den noch nicht bekannt genug gewordenen Docenten in seinen Vermögensverhältnissen bedeutend überschätzte. Wir fragen, ob in irgend einem andern Beruf ein ähnlicher Fall denkbar wäre? Ebenso ist historisch nachzuweisen, dass bei einer Finanznoth in kleineren deutschen Ländern die Ordinarien einer Fakultät zunächst an den Docenten gespart haben, während sie selbst ohne Rücksicht auf jene Noth Zulagen empfingen, der eine – dessen Frau und Tochter in Sammt und Seide sich kleideten – eine Summe für eine Reise nach Griechenland, der andere eine erhebliche Zulage für einen ausgeschlagenen Ruf. So weit war deren Eifer, dem Lande Ersparnisse zu machen, nicht gediehen, dass sie auch für ihre Person sparen wollten! Und so wird es wohl immer gehn!

Sehen wir aber zu, in welcher Weise sonst Fakultäten Anträge über Geldbewilligung zu stellen pflegen. Wenn drei Botaniker hintereinander drei verschiedene Glashäuser haben wollen, der eine ein rundes, der zweite ein viereckiges, der dritte ein sechseckiges, [166] so wird die Fakultät keinen Anstand nehmen, dreimal die betreffende Forderung von der Regierung zu verlangen. Wenn ein Archäologe für acht werthlose Gypsfiguren ein Museum haben will, so wird es die Fakultät bewilligen und das Gesuch beim Ministerium unterstützen. Wenn aber ein armer, aber namhafter Docent hundert Mark haben will, dann ist die Fakultät hartherzig. Trotzdem weiss aber jedermann, dass der Ruhm einer Hochschule sich nicht knüpft an Treibhäuser oder an Pferdeställe für Gypsabgüsse, – sehr selten ist selbst der architektonische Werth grosser Kliniken nach aussen bekannt – sondern an die Namen der Lehrer, die dort wirken, und dass die Aussenwelt nicht so genau abmisst, wie die akademischen Kleinstädter, welche gleich Geld, Einfluss und Machtfülle in Anschlag bringen, wer Ordinarius ist und wer es nicht ist, sondern nur die wissenschaftliche Bedeutung berechnet und ihr nachgeht, wie auch fremde Studenten fast ebenso häufig bei namhaften Privatdocenten hören, wie bei Ordinarien. Aber den Fakultäten ist dies gleichgültig. Sie bewilligen Tausende, um einem einflussreichen Mann einen Gefallen zu thun, aber verweigern hundert, weil sie weder die Neigung und Objectivität haben, eine wissenschaftliche Taxirung eintreten zu lassen, noch das Herz haben, um jemandem wohlzuthun, von dem sie keine Gegendienste erhalten können.

Folgender wahrheitsgetreuer und wörtlicher Bericht [167] ist uns von einer im Jahre 1885 abgehaltenen Sitzung einer bekannten süddeutschen Fakultät zugegangen:

College Α (9000 Mark Gehalt) stellt für seinen Clienten, einen norddeutschen Professor, keinen Antrag auf Geld, sondern überlässt der Fakultät die zu bewilligende Summe.

College Β (7000 Mark): „Ich beantrage unserm Clienten 1200 Mark zu bewilligen, da dies das wenigste ist, was man einem verheiratheten Professor geben kann.“

College C (7000 Mark) heftig auffahrend: „Wo denken Sie hin? Ist der württembergische Staat da, um das Geld an junge Docenten zu verschleudern? Das geht nimmermehr! Ich bin dafür, 500 Mark zu bewilligen.“

Sensation und Kopfschütteln.

College A: „Ich möchte mir dann erlauben, einen Mittelweg einzuschlagen, und schlage 800 Mark vor.“

College D: „Ich halte auch das für zuviel, denn ich glaube, dass unser Client mit 700 Mark zufrieden sein kann.“

Giebt es eine bessere Illustration dafür, dass wohlsituirte Ordinarien ihre Docenten und Extraordinarien schlechter als Hausknechte behandeln? Dass man Gehälter vorzuschlagen wagt, die anderwärts kein Stiefelputzer bekommt? Giebt es etwas, welches besser die ganze Lächerlichkeit und den ganzen [168] Unsinn einer derartigen Institution blosstellen kann, als eine solche ernsthafte Verhandlung von gelehrten Männern?

Wohlgemerkt an derselben süddeutschen Universität haben einzelne eingeborne Docenten schon von Anfang an 1600 Mark bekommen, und nach ihrer eignen Versicherung mit Vorlesungshonoraren (da sie eine Examensvorlesung abhalten) sich auf 3000 Mark jährlich gestanden. Freilich waren dies Söhne, Vettern oder Neffen von württembergischen Beamten oder Professoren. Sollte nicht in Preussen vor dieser Behandlung preussischer Docenten in Württemberg ausdrücklich gewarnt werden, und um so mehr, als die preussische Regierung gegenüber den aus Württemberg stammenden Docenten – wir erinnern an Müller, Vaihinger, Vollmöller – stets von der grössten Coulanz und Freigebigkeit gewesen ist, die ausnahmslos, so weit wir wissen, in wenigen Jahren 3000 Mark Gehalt bekommen haben?

Aber auch ein bekannter gewordenes Beispiel, als diese Geschichte aus dem süddeutschen Dorf, dürfte von der Unfähigkeit der Fakultäten Zeugniss ablegen. Der berühmte Astronom Bessel ist in Königsberg niemals eigentliches Mitglied des Professorenkollegiums geworden und hat niemals die einer solchen Stellung zukommende Gehaltserhöhung erhalten, selbst nicht auf dem Wege des Prozesses, weil die Königsberger Fakultät von der Forderung nicht nachliess, dass Bessel eine lateinische Habilitationsrede halten sollte, [169] was ihm, der keine klassischen Sprachen gelernt hatte, unmöglich war. Zum Magister hatte er sich von Gauss in Göttingen machen lassen müssen, um in Königsberg auch mathematische Vorlesungen halten zu dürfen. Kann es ein glänzenderes Zeugniss von dem verbohrten und mittelalterlichen Zunftwesen der deutschen Hochschulen geben?

Demnach kann das eine mit Sicherheit behauptet werden, dass die Regierungen dass grösste Interesse haben sollten, um diese Fakultätsbewilligungen aus der Welt zu schaffen. Allerdings wird dann die nächste Folge sein, dass überhaupt keine Schwankungen mehr möglich sind, sondern dass der Docent, für den eine Stellung mit Gehalt beantragt ist, mindestens 1800 oder 2000 Mark jährlich erhält, und dann vorausgesetzt, dass er nicht fortberufen wird oder an der eignen Hochschule in eine grössere Stellung hinaufrückt, im Laufe der Jahre Personalzulagen erhalten darf, die aber nicht von der Fakultät entschieden werden, sondern von der Regierung und allein von der Dienstzeit des betreffenden abhängig sind. Insofern stimmen wir mit den jüngsten Ausführungen des berühmten Philosophen Eduard von Hartmann vollständig überein, dass alle Professorengehälter im ganzen Staat, ja womöglich im ganzen Reich von der Regierung normirt sein und nur Alterszulagen und je nach der Qualität des Orts verschiedene Wohnungszulagen gegeben werden sollten.

Erst nach dieser Regelung der Geldverhältnisse [170] durch den Staat werden die zahlreichen Ungerechtigkeiten im akademischen Docententhum aus der Welt geschafft werden, welche sich heute an einzelnen Hochschulen chronisch eingebürgert und aus gelehrt und arbeitsam sein sollenden Professoren aufgeschwollene Päpste gemacht haben, welche im Vollgefühl ihrer Souveränität ihren Bauch durch die Strassen des Professorendorfs tragen und herabsehen auf die kleinen akademischen Mitbürger, deren Wohl und Wehe von ihrem Machtwort abhängig gemacht ist.


XVII.
Der akademische Ehrenrath.

In den heutigen Universitätsverhältnissen sind zweierlei Dinge, welche vorzugsweise der übrigen kultivirten Welt in die Augen fallen und Anstoss erregen, weil sie in allen andern Berufsarten unmöglich sind und nicht ohne verhängnissvolle Folgen für die Mitwirkenden entstehen könnten. Das erste besteht in der Polemik, mit welcher sich die deutschen Professoren über ihre wissenschaftlichen Leistungen in den Anzeigeblättern und, wo politische Differenzen hinzukommen, auch in der Tagespresse zu behandeln [171] pflegen, eine Polemik, die nicht selten jedes Mass überschreitet und jedes Anstandsgefühl verletzt. Das andere bezieht sich auf das Abhängigkeitsverhältniss, in welchem ein Docent zu seinem Ordinarius und nächsten Fachgenossen steht, der ihn, wenn er boshaft und neidisch ist, oder wenn er einer bestimmten, dem Docenten feindlichen Clique angehört, nicht nur in der schimpflichsten Weise misshandeln, sondern ihm die ganze Carriere verderben und sein ganzes Leben verleiden kann. Ueber den ersten Fall ist das nöthige bereits gesagt worden.

Ganz anders aber verhält es sich mit dem zweiten Punkt. Der Docent ist nicht nur bei der heutigen Universitätsverfassung wehr- und waffenlos in die Hände seines Ordinarius gegeben, der ständiger Referent in seinen persönlichen Angelegenheiten ist, sondern es ist gar kein Mittel da, durch welches er die Kränkungen, die ihm zugedacht sind, abwehren könnte. Beschwert er sich bei dem Senat oder der Regierung, so werden diese an die Fakultät recurriren, und die Fakultät wird seinen Widersacher zum Referenten ernennen, der allein vor den Ohren der Behörde vernommen werden und dort Berücksichtigung finden wird. Betritt er aber den Weg der Oeffentlichkeit, indem er durch die Tagespresse oder in einer besonderen Schrift die gegen ihn oder andere gebrauchten Machinationen der öffentlichen Beurtheilung übergiebt, so wird die ganze Lehrerkorporation in Wuth und Aufregung versetzt, schimpft und schreit [172] über Verletzung des collegialischen Tones, über Aufgeben der in einem Collegium zu bewahrenden Treue, sucht sofort den Attentäter mit allen Mitteln von der Hochschule zu verdrängen, gleich als wenn derjenige noch Rücksicht auf die collegialische Treue zu nehmen hätte, der Jahre lang in der schmachvollsten und unwürdigsten Weise von einem oder zwei Fachgenossen gemisshandelt worden ist.

Man unterschätze aber nicht die Macht, welche der bösartige Ordinarius gegenüber seinem ihm in die Hände gegebenen Docenten hat. Er kann nicht nur besonders bei einer kritiklosen Studentenschaft und vorzugsweise bei den festen und einheimischen Studenten, welche bei ihm irgend ein Examen in Zukunft absolviren wollen (die fremden Studenten sind in der Regel weit unabhängiger), die Vorlesungen des Docenten in der empfindlichsten Weise schädigen, indem er mit Achselzucken von ihnen spricht oder den Studenten sie als überflüssig bezeichnet (ein Fall ist bekannt geworden, dass die Studenten in der Vorlesung geradezu vor den Kollegien eines Docenten gewarnt worden sind), sondern er hat dessen ganze Carriere in der Hand, da er in der Fakultät die litterarische Thätigkeit geringschätzig beurtheilen und nach aussen hin, weil er in der Regel im Falle eines auswärtigen Vorschlages um ein Gutachten ersucht wird, in ungünstiger Weise berichten, und wenn er nichts anderes weiss, seinen Charakter anschwärzen oder Familienverhältnisse ungünstig darstellen [173] kann. Es ist aber ebenso oft in Fakultäten gelogen worden, wenn einer getadelt und ein anderer, den man wollte, übertrieben gelobt wurde, wie in der akademischen Welt nicht wenig Fälle bekannt geworden sind, wo von einzelnen Professoren nach aussen hin über persönliche Verhältnisse geradezu in unerhörter und frecher Weise die Unwahrheit gesprochen und verleumdet worden ist. Alles dieses vermag ein Ordinarius ungestraft zu thun. Er ist Keinem Rechenschaft schuldig, er hat Keinen über sich, der ihn korrigirt – denn gewöhnlich werden auch die Kollegen der Fakultät aus praktischen Gründen abgehalten, ihm entgegenzutreten – wenn nicht gerade ein einflussreiches Fakultätsmitglied sich in hervorragender Weise des Docenten annimmt – die Lüge und Verleumdung schleichen im Dunkeln dahin und so kann der Ordinarius einen Docenten einfach vernichten.

Wie anders steht es mit dem Offizier oder dem Gymnasiallehrer oder dem Referendarius! Werden sie von einem Vorgesetzten gemisshandelt, so ist die Versetzung ein Ausweg, der in fast allen Fällen ohne Schwierigkeit zu bewerkstelligen ist. Ein solcher Vorgesetzter kann den jungen Mann durch ungünstige Berichte in seiner Carriere aufhalten, zerstören kann er dieselbe nicht. Denn auch die ganze Aufsichtsbehörde ist, z. Β. beim Lehrer namentlich, in der Lage, sich ein Urtheil zu bilden, indem der Unterricht desselben inspicirt oder seine wissenschaftliche Thätigkeit [174] begutachtet wird. Ausserdem aber wird in den genannten Kreisen eine sachliche Beschwerde immer in anderer Weise geprüft werden, als die Beschwerde eines Docenten gegen einen Ordinarius.

Aus dem Gesagten geht nun hervor, dass, je freier und willkührlicher das Institut der Hochschulen in Deutschland ist, je mehr das Wohlbefinden und Avancement eines jungen Lehrers von den zwei Augen seines Ordinarius abhängig ist, desto mehr darauf hingewirkt werden muss, dass ganz offenkundige Missstände, durch welche die Carriere eines fleissigen, tüchtigen und brauchbaren Beamten zerstört werden kann, zur Sprache und zur Correctur kommen sollten. Und je mehr sich die Fälle an den deutschen Hochschulen häufen, dass gemisshandelte Universitätslehrer, welche durch ihre ganze Vergangenheit eine Misshandlung nicht verdient haben, die Thatsache ihrer Misshandlung der Oeffentlichkeit übergeben und damit dem akademischen Leben im Zorn und Unwillen den Rücken drehen, desto mehr sollte man bedacht sein, dass solche Fälle nicht wiederkehren dürfen, sondern an der Hochschule selbst, im Schoosse der Korporation ihre Erledigung und ihre Sühne finden.

Es scheint aber nur ein Mittel gegen Vergewaltigung zu geben, dass man an jeder Hochschule einen akademischen Ehrenrath einrichtet, der nur für die Lehrer der Hochschule bestimmt, unter der Leitung des Rectors oder noch besser des unbefangeneren [175] Kurators oder Kanzlers oder eines besondern Regierungscommissarius aus Vertretern aller Fakultäten, Ordinarien, Extraordinarien und Docenten bestehend, ebenso die öffentlich ausgesprochenen Beleidigungen ahndet wie die Beschwerden eines geschädigten Lehrers entgegennimmt und sie unbefangen prüft. Hat z. B. der bösartige Ordinarius in ungerechter Anmassung oder in verwerflichem Neid über eine litterarische Leistung den Stab gebrochen, so wird der Ehrenrath vielleicht die Besprechungen oder Urtheile anderer Gelehrten zu Rathe ziehen und die Gutachten anderer Fachgenossen extrahiren können, um ein unparteiisches Urtheil hervorzurufen. Hat aber der Ordinarius mit unlauteren und verwerflichen Mitteln gegen den Docenten gewirkt, so wird der Ehrenrath dem Ordinarius, wenn die Schuld desselben erwiesen ist, eine Rüge geben, und damit wird der Docent in der Regel befriedigt sein. Es wird ja vielleicht in seiner Stellung schwerlich eine Aenderung erfolgen, da dieselbe heutzutage immer wieder von dem Gutachten der Fakultät abhängig ist, die durch eine Beschwerde in den meisten Fällen dem Kläger nicht günstiger gegenüber stehen wird, aber was der besser angelegte Mensch immer verlangt, das wird er bekommen können – sein Recht. Besteht aber einmal ein solcher akademischer Ehrenrath an jeder Hochschule, dann werden besonders an denjenigen Universitäten, an denen das Unterdrücken von Docenten und Gewaltthätigkeiten aller [176] Art zur Regel geworden sind (Namen zu nennen, erscheint bei der allgemeinen Kenntniss in den betheiligten Kreisen überflüssig), die Ordinarien, welche aus Geiz und Missgunst mit ungerechten und perfiden Mitteln zu operiren pflegen, doch vorsichtig sein müssen, weil sie befürchten dürfen, dass sie ihre Rüge bekommen und der gemisshandelte Docent – sein Recht. Ist aber dann in den Universitätskreisen bekannt geworden, dass ein Ordinarius aus solchen Gründen vom akademischen Ehrenrath eine Rüge bekommen hat, dann wird sein Gutachten auch nach aussen hin bedeutend an Schwerkraft verlieren, wodurch sein gefährlicher persönlicher Einfluss paralysirt werden dürfte.

Wir hegen die Hoffnung, durch diese Auseinandersetzung den Aufsichtsbehörden in Deutschland die Anregung zu einer für die Entwicklung der deutschen Hochschulen nicht zu unterschätzenden und gewiss vortrefflich wirkenden Einrichtung gegeben zu haben, wodurch mancher junger und hoffnungsvoller Gelehrter dem Unglück, dem Druck und den Misshandlungen, unter denen er Jahre lang zu seufzen hat, entzogen werden dürfte.


[177]


XVIII.
Stiftsartige Alumnate.

Als ein Vermächtniss der Vorzeit haben zwei Universitäten Deutschlands Anstalten bekommen, in denen die Erziehung und Unterhaltung der Studirenden auf Staatskosten erfolgt, und die wohl zu unterscheiden sind von einzelnen durch Erbschaft vermachten Logirhäusern, in denen Studenten als Stipendium nur eine freie Wohnung erhalten, wie solche besonders in Königsberg und Tübingen vorkommen. Jene beiden Universitäten sind Berlin, die jüngste aller Universitäten, und eine der ältesten deutschen Hochschulen, die schwäbische Landesuniversität Tübingen. Betrachten wir das medicinische Friedrich-Wilhelmsinstitut in Berlin, welches gewöhnlich die Pepiniere genannt wird, so wird die Aufnahme von einem für das Institut in Prima unter Leitung des Directors und eines Oberstabsarztes anzustellenden Vorexamen, einem befriedigenden Abiturientenzeugniss und der Berechtigung zum Freiwilligendienst abhängig gemacht, weil der Militärarzt auch militärtüchtig sein muss. Während der Vater sich zu einem kleinen Zuschuss verpflichtet, erhält der Stipendiat von der Anstalt monatlich eine gewisse Summe (30 Mark), wovon er Mittag, Frühstück und Wäsche bestreiten soll. Der Studienplan [178] wird den Stipendiaten fertig vorgelegt und von der Anstalt werden in den jeweiligen Vorlesungen von vorn herein die ersten Reihen oder Plätze für ihre Zöglinge belegt, wodurch diesen unter den Studirenden eine Art Auszeichnung zu Theil wird. Im Studienplan liegen natürlich nur die obligatorischen Vorlesungen des medicinischen Faches, da die Verwaltung naturgemäss sich um die Privatneigungen der einzelnen Stipendiaten nicht bekümmert, diese also in der Beziehung auf ihre Kosten völlig unabhängig sind. Ein Generalarzt steht der Anstalt vor, während mehrere im Hause wohnenden Stabsärzte für die Repititorien und das am Stiftungsfest stattfindende Schauexamen Sorge tragen. In der Eintheilung des Tages ist dann der Student völlig unbeschränkt, nur soll er um 10 Uhr Abends zu Hause sein, doch bewirkt ein Trinkgeld von 2½ Groschen, dass der Cerberus sich erhebt und das Thor öffnet, so dass ein regelmässiges Zuspätkommen weiter nichts als ein kleines pecuniäres Opfer im Gefolge zu haben pflegt.

Während wir demnach bei der Verfassung des Friedrich-Wilhelmsinstituts im Gegensatz zu der Freiheit aller übrigen Studenten nur einen bestimmten Studienplan durchgeführt sehen, den übrigens auch fast alle andern Studenten desselben Faches einzuhalten pflegen, da er schon wegen des nach zwei Jahren stattfindenden Tentamens durchaus nothwendig ist, so scheint ein Zwang nur in solchen [179] Fällen ausgeübt zu werden, in denen eine Vorlesung von zwei verschiedenen Lehrern gelesen wird, in welchem Falle die Verwaltung der Anstalt die Entscheidung trifft, bei welchem von beiden belegt werden soll. Es ist zweifellos, dass dieser Zwang unberechtigt ist und der persönlichen Freiheit des Studirenden ebenso entgegentritt wie dem gleichen Recht, welches alle Lehrer der Hochschule beanspruchen dürfen. In wie weit eine solche Freiheitsberaubung günstig oder ungünstig auf das Studium der Stipendiaten einwirkt, wagen wir nicht zu entscheiden. Es giebt Leute, welche den Zöglingen dieses Instituts, was ärztliches Wissen anbelangt, die Palme reichen, indem sie auf die grosse Zahl von Professoren aufmerksam machen, die aus der Pepiniere hervorgegangen sind, wogegen andre wieder das Gegentheil behaupten und den meisten Militärärzten kaum eine ärztliche Durchschnittsbildung zusprechen möchten.

In einer weit einschneidenderen Weise ist die Verfassung des über 300 Jahre alten evangelischen Stifts in Tübingen eingerichtet, in welchem die Theologen (seit den letzten Jahren bei der geringen Neigung zu jenem Studium auch eine Anzahl Philologen) Aufnahme finden, einschneidender für die Verhältnisse des ganzen Landes, wie für die Hochschule Tübingen. Während der Stipendiat der Pepiniere sich erst als Primaner zu entschliessen hat, ob er das Friedrich-Wilhelmsinstitut besuchen will, findet [180] dieselbe Entscheidung für die schwäbischen Stiftler bereits in Tertia statt, worauf alle Bewerber ein sehr umständliches Landexamen in Stuttgart durchmachen müssen (das sie dann in Begleitung ihres Vaters oder der Mutter auf mehrere Tage besuchen müssen), nach welchem die besten zunächst in eines der vier niederen Seminarien des Landes (Blaubeuren, Maulbronn, Urach, Schönthal) untergebracht werden. In diesen Seminaren, welche zusammen einem vierjährigen Curs des Obergymnasiums entsprechen, beginnt bereits das Staatsstipendium, da hier dem Schüler umsonst Wohnung, Lebensunterhalt und Unterricht zu Theil wird. Den Unterricht selbst geben Professoren und Repetenten, wobei der Lehrplan etwas freier zu sein pflegt, als derjenige der Gymnasien. Besonders wird hier für die schwäbische Liebhaberei, die Philosophie, mehr gethan, und damit hier bereits der Grundstein zu jener verschwommenen, undisciplinirten und träumerischen schwäbischen Art gelegt, welche jedem Detailstudium und jedem systematischen Arbeiten abhold ist.

Nach Beendigung des vierjährigen Pensums in den niederen Seminaren wird dann noch ein Concursexamen in Stuttgart abgelegt, nach welchem erst diejenigen, welche es bestanden haben, in dem Tübinger Stift Aufnahme finden.

Vergleichen wir die Verfassung dieses Instituts mit derjenigen der Berliner Pepiniere, so ist beiden gemeinsam der Studienplan, nach welchem die einzelnen [181] Semester hören müssen, die Unentgeltlichkeit der Wohnung, des Unterrichts und das Taschengeld. Aber während in der Berliner Anstalt diejenigen Vorlesungen, welche nicht zum medicinischen Studienplan gehören, aus der Tasche der Stipendiaten selbst bezahlt werden müssen, oder genauer gesagt, überhaupt nicht gehört werden, gehen solche in Tübingen gleichfalls auf Staatskosten, nur dass auch hierin eine gewisse wenn auch keineswegs gewaltsame Empfehlung und Beeinflussung stattzufinden pflegt.

Weit strenger aber ist die Bewachung des Individuums im Tübinger Stift. Nicht nur sitzt an der Klosterpforte ein Argus, welcher hundertäugig jeden Ein- und Ausgang bewacht, so dass auch das Schwänzen der im Stift selbst abgehaltenen Vorlesungen nur mit Schwierigkeiten und List zu bewerkstelligen ist, sondern die ganze Tageszeit ist für den Stiftler streng eingetheilt, indem er den grösseren Theil der Stunden zum Arbeiten, den kleineren zum Ausgehn hat, unter allen Umständen aber um 10 Uhr Abends zu Hause sein muss, wenn er nicht ausdrücklich um Urlaub bei der Stiftsbehörde eingekommen ist. Sagenhaft ist wohl nur die Notiz, dass auch gegenüber dem Universitätsgebäude eine Wache aufgestellt ist, welche besonders bei den um 7 Uhr und 8 Uhr Morgens stattfindenden Vorlesungen genau beobachtet, ob diejenigen Studenten, welche sich um diese Zeit aus dem Stift entfernt haben, auch wirklich zu den Vorlesungen gehen, oder statt dessen einen [182] Spaziergang machen oder ein Kneiplokal besuchen. Es ist aber nicht ungewöhnlich, besonders im Sommer, einige Stiftler schon um 8 Uhr früh beim Bier sitzen zu sehn.

Aber noch in andern Beziehungen ist der Stiftszwang weitreichender, als es beim Berliner Institut der Fall ist, wenn auch in beiden Instituten das Schwänzen der Vorlesungen mit Verweisen, und wenn Verweise fruchtlos gewesen sind, mit Relegation bestraft wird. Nicht nur werden die Zöglinge auch in ihren Stuben durch die dazwischen liegenden eingestreuten Zimmer der Repetenten überwacht, sondern es findet auch ein Zwang statt für Vorlesungen, welche nicht zum eigentlichen Lehrplan der Theologen und Philologen gehören, ganz besonders für philosophische Vorlesungen, welche die ersten zwei Studienjahre beinahe ganz in Anspruch nehmen, da nicht weniger als fünf grosse philosophische Vorlesungen verlangt werden, darunter Logik, Psychologie, Ethik, Religionsgeschichte.

So wenig wir nun verkennen wollen, dass dieses Studium der Philosophie am meisten dazu beigetragen habe, die württembergischen Theologen überall geachtet zu machen, und die epochemachende kritische schwäbische Theologenschule hervorzurufen, besonders in jener Zeit, in welcher das theologische Studium in Norddeutschland arg darniederlag und die Ausbildung der dortigen Theologen als eine ungenügende bezeichnet werden musste, so allgemein [183] anerkannt dürfte es sein, dass bei der heutigen Specialisirung der Wissenschaften nicht zwei Jahre verloren werden können, ohne dass das Fachstudium darunter erheblichen Schaden erleidet. Und in der That wird diese Erfahrung für die Philologie in Württemberg gemacht werden können, dass diese Wissenschaft so darniederliegt, wie in keinem andern deutschen Lande, da der Student viel zu spät mit dem wirklichen Studium derselben anfängt und desshalb weder alle bedeutenden Vorlesungen hören noch jemals zu irgend einer selbständigen Auffassung und geistigen Durchdringung gelangen kann, ausserdem aber durch das vorausgegangene Studium der Philosophie an Allgemeinheiten und an Weltsystem so gewöhnt sein wird, dass er weder Lust noch Fähigkeit mehr besitzt, um jenen mühsamen und zum Theil langweiligen Arbeiten sich zu unterziehen, welche das Studium der Philologie nothwendig macht und ohne welche ein Philologe nicht denkbar ist. Man wird sich daher weder wundern, dass im Lande sehr angesehene Gymnasialdirectoren oder Professoren sogar in den schwäbischen Blättern ihre Verachtung von Conjecturen, Handschriftenlesen und anderm philologischen Kram laut werden lassen, noch wird man gegen das Urtheil etwas einzuwenden finden, dass überhaupt die schwäbischen Philologen und Gymnasiallehrer (2–3 ausgenommen) von der Wissenschaft der Philologie nicht die geringste Vorstellung haben, noch wird man es unverständlich [184] finden, dass diese Sorte Philologie im Lande von Theologen in Stuttgart regiert werde, die auch von der Philologie keine Vorstellung haben, etwas, was bekanntlich im übrigen deutschen Vaterland nicht mehr möglich wäre. Doch der Württemberger legt die Hände in den Schoss, lässt die übrigen Deutschen für sich arbeiten, trinkt seinen Schoppen Wein, ohne auf den Gedanken zu kommen, selbstthätig einzugreifen in den Ausbau der Wissenschaft, wie es die unserm Jahrhundert vorgezeichnete Aufgabe erheischt.

Aber auch abgesehn von dem philosophischen Zwange hat der Studienplan für Philologen Zwangsvorlesungen der eignen Wissenschaft, die nur dadurch zu der Ehre gekommen sind, gehört werden zu müssen, dass sie in früherer Zeit von Lehrern gelesen wurden, die auf die Ausarbeitung des Studienplans von Einfluss gewesen sind. Es ist überhaupt bei dem überaus praktischen, ökonomischen und gelderwerbenden Sinn der Württemberger sehr schwer zu bestimmen, wie weit der grössere Theil dieser Zwangsvorlesungen von der wissenschaftlichen Ueberzeugung ihrer Nothwendigkeit oder von einer praktischen Berechnung ihrer Fruchtbarkeit ausgegangen ist, indem die Regierung, wie es scheint, seiner Zeit den Lehrern ein zu freies und willkührliches Schalten in der Studienordnung und damit in den Zwangsvorlesungen gestattet hat, so dass diese persönlichen Nutzen davon ziehn wollten, und es wird gemäss dem [185] dort herrschenden Conservativismus sehr schwer eine Aenderung oder Besserung erfolgen, besonders nicht, da jener Studienzwang für einzelne Professoren lucrativ ist.

Indem wir jetzt beide Institute einem Vergleich unterziehen wollen, fällt derselbe sehr zu Ungunsten der württembergischen Einrichtung aus. In Preussen geht man nur davon aus, vorzügliche Militärärzte zu bilden, indem man alles heranzieht, was der Fortschritt der medicinischen Wissenschaft nöthig und nützlich macht, wobei die ganze Direction von hervorragenden Fachmännern ausgeübt wird. In Württemberg hinkt man gegenwärtig vermöge eines ganz veralteten Lehrplanes bedeutend hinter den Wissenschaften her, sowohl hinter der Theologie als auch besonders hinter der Philologie, indem die Direction von einer Behörde ausgeht, die Theologie studirt hat, aber weder in der Theologie noch gar in der Philologie irgend ein competentes Urtheil hat und mit den Aufgaben und Anforderungen der Zeit mitzugehen gesonnen ist. In Preussen gehören die Militärärzte zu den liebenswürdigsten, persönlich und gesellschaftlich angesehensten Männern des Staates, während in Württemberg durch die Zuchtwahl und das gesteigerte Concurriren bei den Stiftlern zunächst ein ungeheurer Hochmuth und eine bemerkenswerthe Selbstüberschätzung erzeugt werden, die um so lächerlicher wirken, je kleiner die Verhältnisse des Landes sind und je geringer die Zahl der als Vergleichungsobject [186] dienenden Kameraden derselben Promotion ist. Ausserdem aber kommt der württembergische Stipendiat viel zu früh und zu unreif aus dem elterlichen Haus und entbehrt besonders die Lenkung der weicheren Mutter, so dass er sein ganzes Leben hindurch die einer zu frühen Alumnatserziehung anklebende Rohheit und Formlosigkeit beibehält, die sich vorzugsweise auch in dem vollständigen Mangel eines feineren Taktgefühls ausspricht. Es wird daher nicht zu viel gesagt sein, wenn der abschreckende Eindruck, den der Württemberger vorzugsweise auf den besser erzogenen Norddeutschen zu machen pflegt, vorzugsweise auf die aus den Seminaren und dem evangelischen Stift stammenden Beamten zurückgeführt wird, die das meiste in der Unerzogenheit leisten. Es wird aber ebensowenig zu bestreiten sein, dass die ungeheure Selbstüberschätzung und Selbstberäucherung, an welcher fast alle Württemberger chronisch leiden, am meisten beeinflusst ist durch die ehemaligen Stiftler, welche fast ausschliesslich die württembergischen und sonstigen süddeutschen Blätter zu versorgen und von den unbedeutendsten einheimischen Persönlichkeiten, besonders in der Form ausgedehnter Nekrologe spaltenlange Artikel zu fabriciren pflegen, während sie den nichtschwäbischen Erscheinungen eine sehr geringe Aufmerksamkeit schenken, dieselben leicht unterschätzen oder überhaupt sich keine Mühe geben, sie kennen zu lernen.

Aber auch darin ist diese schwäbische Einrichtung [187] weit unvollkommener, dass sie offenbar auf den Charakter der Jünglinge einen sehr ungünstigen Einfluss ausübt. Der Berliner Stipendiat büsst nichts von seiner Freiheit ein, und es dürfte allgemein bekannt sein, dass zahlreiche Schüler der Pepiniere sogar sehr flotte Corpsstudenten gewesen sind. Der Stiftler bleibt nicht nur durch den schülerhaften Zwang, dem er sowohl in dem Besuch der Vorlesungen wie in der Tageseintheilung unterworfen ist, sein ganzes Leben hindurch unfertig und nicht selten unreif, sondern sein Charakter bekommt auch dadurch, dass er das geringste, wie jeden Ausflug, Besuch, Abendausbleiben nur durch List und Schlauheit erreichen kann, etwas Verschlagenes und Arglistiges, Züge, die auch dem frei erzogenen und ehrlichen Norddeutschen sehr widerlich sind und antipathisch wirken, besonders da sie gewöhnlich verbunden auftreten mit dem allen Schwaben in gleicher Weise angeborenen Misstrauen. Schon aus diesem Grunde hätte die württembergische Regierung längst an eine Reformirung des Stifts herantreten sollen.

Beiläufig verdienen auch die auf Staatskosten unternommenen wissenschaftlichen (im Stipendium mit eingeschlossenen) Reisen der älteren Stiftler eine Besprechung. Gewöhnlich gehen nämlich die jungen Herren nach Rom, um sich ein halbes Jahr hindurch in guter Gesellschaft zu amüsiren, oder nach London, wo sie dann einen Bericht an den Oberstudienrath über Bettelei, Proletariat u. s. w. machen, und einen [188] Vortrag darüber ihrem Landstädtchen preisgeben. Das nennt man in Württemberg wissenschaftliche Reisen der Theologen und Philologen. Wenn aber ein norddeutscher Docent für eine ernsthafte wissenschaftliche Reise von der Regierung eine Unterstützung haben will, dann ist natürlich – kein Geld da. Hie gut Württemberg allweg!

Aber wenn auch die persönliche Freiheit, welche der preussische Stipendiat geniesst, eine verhältnissmässig grosse ist, so können wir doch unser Urtheil nicht zurückhalten, dass beide Institutionen nicht mehr zeitgemäss sind und in einfache Geldstipendien verwandelt werden sollten, welche natürlich die gleiche Verpflichtung für den Staatsdienst im Gefolge haben müssten, wie sie heute für beide Institute besteht. Dabei wollen wir nicht die Zweckmässigkeit eines den Studenten vorgelegten und angerathenen Studienplanes verkennen. Aber ein solcher liegt bei den Medicinern, zum Theil auch bei den Juristen eigentlich schon in der Natur der Sache besonders für den, welcher an einer einzigen Hochschule zu studiren die Absicht hat, während auch für die andern Wissenschaften eine derartige Norm von den Fakultäten vielleicht in kleinen, gedruckten Plänen ausgetheilt werden sollte, da es erfahrungsmässig zu häufig vorkommt, dass ganz junge Studenten Vorlesungen oder gar Uebungen annehmen, von welchen sie, da sie nur für reifere Studenten bestimmt sind, nicht das geringste haben können, [189] z. B. quellenhistorische oder epigraphische. Auch die Mittelexamina, wie sie in jenen Alumnaten vorgeschrieben sind, haben zweifellos viel für sich, und da ein bekannter preussischer Abgeordneter dieselben in der preussischen Kammer zu seinem Steckenpferd erhoben hat, so scheinen die Akten darüber noch nicht geschlossen zu sein. In jedem Falle ist ein Mittelexamen, welches nach vier Semestern abzuhalten ist, nach Analogie des medicinischen Tentamens für alle Fächer von um so grösserem Nutzen, nachdem fast überall das Studium auf der Hochschule wenigstens vier Jahre in Anspruch zu nehmen pflegt. Ein solches Examen sollte für die Juristen hauptsächlich Pandekten und Institutionen, für die Philologen griechische und römische Literaturgeschichte, sowie Geschichte und Encyklopädie der Philologie, für die Theologen Kirchengeschichte, Encyklopädie und hebräische Interpretation umfassen. Es ist zweifellos, dass dadurch zwei sehr günstige Folgen sich sofort zeigen würden. Einmal würden diejenigen, welche die ersten Jahre ihrer Studentenzeit nichts zu thun pflegen, zu welcher Kategorie bekanntlich überall vorzugsweise die Juristen gehören, zu dem gewissenhafteren Hören der Hauptvorlesungen angehalten werden. Dann aber würden die Eltern bei den Söhnen, welche überhaupt nur um des Vergnügens willen auf einer Hochschule sich aufhalten, durch die Nichtabhaltung oder die Nichtbestehung jenes Mittelexamens über die Zukunft derselben [190] schneller orientirt sein und könnten zeitiger ihre Söhne veranlassen, sich einer andern Thätigkeit zuzuwenden.

Also Studienplan und Mittelexamina bedingen noch nicht eine Alumnateinrichtung. Was aber diese aufzuheben pflegt, die Freiheit der Bewegung, ist ein so grosses Gut für den eben dem lästigen Schulzwang entwachsenen Jüngling, dass es unter keinen Umständen verkürzt oder entzogen werden sollte, da es zu einer angemessenen Entwicklung des Charakters unumgänglich nöthig zu sein pflegt.

Hoffen wir daher, dass die Regierungen bald eine Reformirung dieser Anstalten für eine Nothwendigkeit ansehen möchten.


XIX.
Die Seminare.

An Stelle des blossen Vortrags, welcher den Studenten die sorgfältig geschriebenen Collegienhefte verschafft, ist seit längerer Zeit der Gebrauch der Seminare aufgekommen, in denen einerseits, wie in der höheren Classe eines Gymnasiums, gefragt und geantwortet wird, andrerseits auch Themata zur Bearbeitung gestellt und dann von dem Professor zum [191] allgemeinen Nutzen durchgenommen und kritisirt werden. Am ältesten ist diese Einrichtung in der Philologie, wo wohl zuerst die Präparation der Studenten für eine bestimmte Stelle eines Schriftstellers, die selbständige Erklärung desselben und die Prüfung des Professors, wie weit er den Stoff verstanden und durchdrungen habe, eine derartige Uebung nahe gelegt haben.

F. A. Wolf, der Reformator der philologischen Methode, war auch derjenige, welcher die Seminarübungen dieser Art eingeführt hat, und bald darauf sehen wir solche Seminare in Halle, Leipzig, Göttingen, Berlin, Königsberg und Bonn entstehen. Dann kamen die Mathematiker, wo gleichfalls das selbständige Rechnen des einzelnen eine derartige Uebung begünstigt, dann die Historiker und ganz zuletzt wohl die Juristen, von denen einzelne Fakultäten sich erst in der allerletzten Zeit zu der Einrichtung derartiger Seminare entschlossen, und soweit uns bekannt ist, überall die besten Erfolge damit erzielt haben. Das berühmteste mathematische Seminar war viele Decennien hindurch in Königsberg, das desshalb von Fremden aus allen Ländern aufgesucht wurde.

Untersuchen wir nun die ursprüngliche Verfassung eines solchen Seminars, wie es seit Beginn dieses Jahrhunderts die Philologen und an einigen Hochschulen die Mathematiker gehabt haben, so war von Anfang an bestimmt, dass nur ein beschränkter Theil der Zuhörer Mitglieder davon werden konnte. [192] Denn das schien allen einleuchtend zu sein, dass, wo die Spontanität des einzelnen geweckt, die Selbständigkeit des Denkens und Forschens angeregt werden sollte, ein Seminar nicht einer Gymnasialklasse gleich behandelt werden dürfe, in welcher neben guten Schülern eine Anzahl ganz mittelmässiger oder unbrauchbarer und die übrigen im Vorwärtskommen nur aufhaltender Elemente sich zu bewegen pflegt. Dass ein akademisches Seminar ein solches Contingent nicht zu besitzen nöthig habe, das war schon bedingt durch das Wesen der akademischen Freiheit, gemäss welcher kein Professor verpflichtet ist, mit unbrauchbarem Material seine Zeit und Mühe zu vergeuden.

Jene Seminare waren also selbstverständlich klein, und die Zahl ihrer Mitglieder war fixirt, so dass sie zwischen 6 bis 10 oder 12 zu schwanken pflegte. Während aber diese Mitglieder als ordentliche Mitglieder galten und so genannt wurden, kamen gleichzeitig auch einige Stellen für ausserordentliche Mitglieder auf, gewöhnlich 4–6, in welchen die einzelnen so lange verblieben, bis eine ordentliche Stelle frei wurde.

Es ist begreiflich, dass die Annehmlichkeit und der grosse Nutzen den der einzelne Student davon hatte, wenn er in einem derartigen Seminar thätig gewesen war, einen grossen Andrang zu den Seminarstellen hervorbringen mussten, so dass diesem von vorne herein dadurch vorgebeugt worden war, [193] dass der Eintritt an gewisse Bedingungen geknüpft wurde. Eine solche Erschwerung schien aber um so nothwendiger zu sein, als sehr bald die einzelnen Seminare in der Weise ausgezeichnet wurden, dass die ordentlichen Mitglieder alljährlich eine bestimmte Geldsumme erhielten, die gewöhnlich gegen 80 Thaler betrug, indessen in einigen Seminaren bis auf 200 Thaler gesteigert wurde. Die Bedingung bestand nun hauptsächlich in der Anfertigung einer wissenschaftlichen Arbeit, die von einem der leitenden Professoren (gewöhnlich waren zwei Lehrer daran beschäftigt) als befriedigend erachtet wurde. Ausserdem aber blieb für das ordentliche Mitglied des Seminars die Verpflichtung, eine Anzahl von Arbeiten im Jahre abzuliefern (gewöhnlich drei bis vier), wie sich auch der einzelne nicht weigern durfte, wenn die Reihe an ihn kam, einen Schriftsteller zu erklären oder eine mathematische Aufgabe zu demonstriren.

Fragen wir demgemäss nach dem Zweck eines so eingerichteten Seminars, so kann nicht zweifelhaft sein, dass die Mitglieder desselben eine derartige wissenschaftliche Anleitung erhielten, wie sie in den allgemeinen Vorlesungen nicht gegeben werden konnte, dass sie sich sehr bald vor den andern Zuhörern durch Wissen und Sicherheit der Methode auszeichneten und nicht nur in ihrem Fach in ganz anderer Weise heimisch wurden, sondern auch den Antrieb und die Mittel zu einer weiteren wissenschaftlichen [194] Thätigkeit erhielten. Mit einem Wort, ein solches Seminar war die Pflanzstätte, von welcher nicht nur die besten Fachlehrer ausgingen, und zwar Philologen, Historiker, Mathematiker, welche mit Vorliebe von den Directoren begehrt wurden, sondern auch diejenigen mit Nothwendigkeit hervorgehen mussten, die sich später einer rein wissenschaftlichen oder akademischen Carriere widmen wollten.

Da nun ein solches Seminar schon deshalb, weil der Eintritt erst nach einigem Warten erfolgte (das unter Umständen drei Semester andauern konnte) und auch gewöhnlich die vom Professor aufgegebene Arbeit nicht schon von einem Fuchs im ersten Semester angefertigt werden konnte, nur die reiferen Studenten enthielt, die etwa dem fünften bis zum achten Semester angehörten, so hat sich in den letzten Jahren, besonders dort, wo ein bestimmtes Fach überfüllt war, das Bedürfniss nach einem zweiten Seminar desselben Fachs geltend gemacht, zu welchem die jüngeren Studenten Zutritt erhalten sollten. Ein solches Seminar, das theils leichtere Uebungen – in der Philologie zum Theil stilistische –, theils leichtere Schriftsteller oder Aufgaben erhielt, und gewöhnlich der Leitung eines Extraordinarius oder Docenten anvertraut wurde, erhielt dann den Namen „Probeseminar“. Solche sind z. B. von Göttingen, Leipzig, Strassburg und Prag bekannt geworden.


[195] Nur ein Punkt dieser Seminareinrichtung scheint in der Neuzeit, wenn wir mehrfachen Berichten trauen dürfen, Anstoss erregt und die Neigung zu einer Reform hervorgerufen zu haben – die pecuniäre Dotation an die einzelnen Mitglieder. Bei der jetzigen Ueberfüllung besonders in Preussen mit Lehramtscandidaten aller Art scheint seitens der Behörden die Absicht vorzuliegen, diese Seminargelder aufzuheben und sie statt dessen für Remunerationen der Candidaten im Probejahr zu verwenden. Vielleicht ist diese Aufhebung in einzelnen Seminaren schon erfolgt, und man wird kaum etwas gegen diese Reform einwenden können, zumal es einleuchtend ist, dass der immense Vortheil, den die ordentliche Mitgliedschaft an einem Seminar für den einzelnen mit sich führt, nicht noch ausserdem durch eine jährliche Geldunterstützung erhöht zu werden braucht.

Süddeutschland hat auch, wie viele andere wissenschaftliche Reformen, die Seminareinrichtung von Norddeutschland übernommen, aber gemäss der eigenthümlichen Stellung, in welcher die Praxis in Süddeutschland sich stets zur reinen Wissenschaft verhalten hat, nämlich in einfach ablehnender Weise, hat es dieselbe in abweichender Weise modificiren müssen. Denn dass der junge Student reine Wissenschaft treiben, und nicht vielmehr von Anfang an auf sein Staatsexamen arbeiten müsse, ist ein Gesichtspunkt, der in fast allen Kreisen Süddeutschlands schwer Eingang finden kann. Dazu kam [196] z. B. in Württemberg noch die demokratische Grundlage des Landes, gemäss welcher kein Eingeborener einsieht, dass durch eine Staatseinrichtung nur für einige wenige ein Privilegium geschaffen werden sollte, während das Gros der Studenten keinen Antheil daran nehmen durfte. Auch etwas derartiges leuchtet einem richtigen Süddeutschen schwerlich ein. Zunächst waren es also die philologischen Seminare von Heidelberg und Tübingen, die in einem ganz abweichenden Geist eingerichtet wurden. In Heidelberg war es, wie wir aus der trefflichen Darstellung des Professor Usener ersehen, die philologische Dürftigkeit des Geh. Hofrath Bähr, welche jenes philologische Seminar erschreckend tief heruntergedrückt hat, neben welchem die „fromme Thätigkeit Zells“ nicht viel verbessern konnte und wollte. Bähr liess einen Schriftsteller lesen, und ausserdem griechische Exercitien anfertigen (z. B. aus Lukian), wobei Accentregeln geübt wurden (wie im Gymnasium), während daneben auch Uebungen im „Lateinstottern“ über kindische, an Mädchenpensionate erinnernde Themata vorgenommen wurden. Der einzige wissenschaftliche Mann war dort der ausserordentliche Professor Kayser, der aber von den „beati possidentes“ naturgemäss ausgeschlossen[13] war und sein wissenschaftliches Dulderleben neben jenen unbrauchbaren Glücklichen weiter führen musste. Noch später machte Köchly aus diesem Seminar eine rhetorisch-pädagogische Vorschule [197] der badischen Lehrer, nachdem er in der ersten Zeit seiner akademischen Thätigkeit auch das wissenschaftliche Streben zu fördern versucht hatte.

In Tübingen war es besonders der einer mit Bähr verwandten Geistesrichtung angehörende, aber ungleich fleissigere und scharfsinnigere Sigismund Teuffel, der an der Einrichtung des philologischen Seminars thätig gewesen ist, gemäss seinem Grundsatz, dass das akademische Studium nicht die Aufgabe habe, Docenten und Gelehrte heranzuziehen, sondern Schulmeister auszubilden. Wir finden daher auch bei ihm, wie bei Bähr, die vollständige Vernachlässigung jeder wissenschaftlichen Spontanität, aber dafür, wie dort, lateinische und griechische Exercitien, mit deren Correctur er sich und die anderen Lehrer belastete. Der Schriftsteller[14] wurde auch, wie bei Bähr, à la Prima gelesen, d. h. ohne das geringste Eingehen auf Ueberlieferung, Handschriften und wissenschaftliche Fragen. „Lateinstottern“ wurde dagegen von Teuffel selbst nicht geübt, sondern erst unter seinen Nachfolgern eingeführt. In seiner Einrichtung aber ging Teuffel noch weiter als Bähr, indem nämlich alle Philologen zu diesem Seminar Zutritt erhielten, wodurch dasselbe vollständig zu einer Gymnasialklasse degradirt wurde und sich in nichts mehr von einer solchen unterschied. Ging der Stoff aus, so wurden, wie in Gymnasien, Paragraphen überhört, Chorlieder im Chor vorgetragen, damit die Studenten Chorgesänge lesen [198] lernten, kurz alles, was man in der Prima eines Gymnasiums sonst vorzunehmen pflegt.

Fragen wir, wie es möglich war, dass ein so hervorragender Gelehrter, wie Teuffel war, dem ausserdem die Einrichtung z. B. des philologischen Seminars von Ritschl, des berühmtesten jener Zeit, genau bekannt war, ein wissenschaftliches Institut so zu degradiren vermochte, dass er es von Wissenschaft gänzlich entblösste, so können wir nur die Abneigung des Süddeutschen gegen das Detailarbeiten, wie es zuerst in Norddeutschland aufgekommen ist und der modernen Wissenschaft seinen Stempel aufgedrückt hat, als Motiv dazu anführen. Nur zum Theil mag auch die partikularistische Eigenheit, welche immer noch etwas Besonderes haben will, statt dem Beispiel eines verhassten Grossstaats nachzuahmen, und das demokratische Gleichmachungsbedürfniss mitgewirkt haben. Es ist ja bekannt, dass Württemberg selbst in der Orthographie noch neuerdings seine Reservatstellung wenigstens in einigen Kleinigkeiten aufrecht erhalten hat, als es die preussische Orthographie acceptirte. In jedem Fall ist die eine Erscheinung des süddeutschen Seminars sowohl in Baden wie in Württemberg deutlich zu Tage getreten, dass es von Anfang an wissenschaftlich todt war und in Württemberg trotz der namhaften Lehrer, welche daran gewirkt haben, wissenschaftlich todt geblieben ist, während in Heidelberg nach dem Tode Köchlys ein neuer, lebhafter Aufschwung entstanden [199] ist, dem wir mehrere anerkannte philologische Arbeiten verdanken.

Wenn die württembergischen Landeskinder zur Glorificirung dieser Seminareinrichtung anzuführen pflegen, dass dadurch allgemein bessere Lehrer erzeugt werden, so klingt diese Behauptung komisch im Munde von Leuten, welche nichts anderes als ihre Lateinschulen oder Gymnasien kennen gelernt haben, also unmöglich in der Lage sind, die Qualität ihrer Lehrer nach den Lehrern der anderen deutschen Länder abzumessen. Wir haben daher diese Erklärung sowohl aus dem Munde grosser wie kleiner Leute niemals für etwas anderes gehalten, als für eine blosse Redensart, mit welcher man die wissenschaftliche Dürftigkeit des Landes verdecken und in selbstzufriedener Weise mit einem erborgten Lappen verhüllen will.

Aber man hat dieselbe Bequemlichkeit der Einrichtungen nicht nur beschränkt auf das philologische Seminar, sondern auch den juristischen und staatswissenschaftlichen Seminaren mitgetheilt. Vermuthlich, weil hier von Anfang an jeder Gedanke an eine selbständige und wissenschaftliche Thätigkeit des Einzelnen in der Weise ausgeschlossen war, dass überhaupt wohl nur selten auf etwas anderes, als auf das praktische Examen losgegangen wurde. Und so werden vermuthlich auch hier, wie im philologischen Gebiet, gemeinsame Arbeiten gegeben, wobei der eine von dem andern sich helfen [200] lässt, Arbeiten, die wenig im Stande sind, die Selbständigkeit des einzelnen in Auffassung und Kritik zu fördern.

Prüfen wir jetzt die Wirkungen, die von diesen verschiedenen Seminareinrichtungen abhängig sind. In Norddeutschland hat man durch die genannten Seminare auf den Gebieten der Philologie, Mathematik und Geschichte ausgezeichnete Fachlehrer erzeugt, welche in jedem Fall für den Unterricht in den oberen Klassen hervorragend geeignet waren, aber auch die Fähigkeit und Lust erhielten, wissenschaftlich weiter zu arbeiten, was einem grossen Theil der preussischen Gymnasiallehrer zum Ruhme gereicht. Wenn man dagegen bemerkt, dass gemäss jener Einrichtung nur ein kleiner Theil der jedesmaligen Studenten – sagen wir ein Sechstel oder ein Fünftel – jene Wohlthat mitgeniessen könne, so ist damit kein Vorwurf erhoben, denn erfahrungsgemäss bedingt der Unterricht in den unteren und vielleicht mittleren Klassen eines Gymnasiums kein besonderes, durch selbständiges Arbeiten gewonnenes Vertrautsein in dem Gebiet, weder in den classischen Sprachen noch in der Mathematik. Es scheint also für den Bedarf der höheren Lehranstalten vollständig genügend, wenn auch nur ein solcher, eben angeführter Procentsatz in einem wissenschaftlichen Seminar gebildet worden ist. Freilich setzen wir voraus, dass dies Seminar Leiter oder Dirigenten hat, welche ihren Platz ausfüllen und besonders auch [201] durch persönliche Anregung und persönlichen Verkehr einen günstigen Einfluss auszuüben im Stande sind. Denn dass diejenigen Seminarleiter, welche heute an einigen Hochschulen Deutschlands wirken, und nur dadurch den jungen Männern zu imponiren suchen, dass sie dieselben bei jeder Gelegenheit anfahren und stets das Gegentheil von dem für richtig halten, was jene behauptet haben, keine besonderen Früchte erzielen können, sondern bei ihren Studenten nur den Eindruck des Abschreckens hinterlassen und jede keimende Regung der Selbständigkeit gewaltsam zu ersticken im Stande sind, das wird allen klar sein. Von solchen Seminarleitern sprechen wir also nicht. Dieselbe Wirkung wird aber auch auf den anderen Gebieten zu constatiren sein. Denn wenn von dem Richterstand des Landes nur ein Fünftel eine wissenschaftliche Schulung durchgemacht hat, bei dem die Spontanität, die Schärfe der Kritik und das richtige juristische Denken im hohen Grade gefördert worden ist, so wird dies schon für das Land ein grosser Segen sein, da wenigstens alle oberen Stellen im Justizfach mit so vorgebildeten Beamten besetzt werden können, zum grossen Segen der Rechtsprechung im Lande.

Gehen wir nun zu den Wirkungen des süddeutschen Seminars über, wie es noch heute am deutlichsten in Württemberg ausgebildet ist. Die Seminarleiter werden auf den mittleren Durchschnitt oder die grössere Hälfte der Unbefähigten Rücksicht nehmen [202] müssen, in Folge dessen die besseren Elemente, deren Streben nicht berücksichtigt wird, allmählich abfallen, des ganzen Seminars überdrüssig werden und jede Lust zum Arbeiten verlieren. Der Staat gewinnt also keine Lehrer, welche sich über das Niveau der Mehrzahl erheben und in der Wissenschaft etwas Selbständiges zu leisten vermögen. Damit hört aber auch bei dem Einzelnen jede Begeisterung für sein Fach auf, die im Unterricht, um eine gute Wirkung zu erzielen, durchaus nothwendig ist, und der ganze Gegenstand wird in der Schule, wie in der wissenschaftlichen Fortpflanzung einem langsamen Verfall entgegengehen.

Noch fühlbarer vielleicht werden die Wirkungen bei den Juristen sein. Man wird vermuthlich, wenn alle Studenten an den Seminaren Theil nehmen, einen grösseren, allgemeinen Fleiss erzielen können, gewiss auch im allgemeinen bessere Examensnummern herausschlagen, aber ob man kritische Köpfe und selbständige Denker auf diese Weise schult, das dürfte im hohen Grade zweifelhaft sein. In jedem Fall ist es sehr auffallend, dass z. B. die vorzüglichen juristischen Examina, welche in Württemberg gemacht werden, und der weit grössere Fleiss der Mehrheit von den juristischen Studenten, der von allen einstimmig anerkannt wird, doch keine besondere Findigkeit in dem Entdecken eines Verbrechers oder Verbrechens hervorzubringen scheinen, ebenso wenig aber auch einzelne Urtheile unmöglich machen [203] können, über welche andere deutsche Juristen den Kopf geschüttelt haben. Es scheint auch hier ein viel zu reger Wetteifer um die Examensnote vorhanden, und derselben bei Beförderung der Beamten eine viel zu grosse Bedeutung eingeräumt zu sein.

Aus diesem Grunde können wir im Interesse der Einzelstaaten und ihrer Beamten nur den Wunsch aussprechen, dass alle die preussische Seminareinrichtung ebenso nachahmen möchten, und dass auch bei der Beförderung der Beamten nach dem Beispiel Preussens kein ausschliessliches Gewicht auf die Examensnote gelegt werden möchte, sondern zum guten Theil auch auf den praktischen Blick und die praktische Tüchtigkeit. Denn wenn die Examensnote im Bereiche der Intelligenz (welche doch vorzugsweise im Beamtenthum vertreten ist) entscheiden sollte, dann hätten wir keinen Alexander v. Humboldt und keinen Fürsten Bismarck bekommen. Ganz besonders aber empfehlen wir den in Süddeutschland wirkenden Professoren, statt unverdrossen in dem ausgetretenen Geleise süddeutscher Bequemlichkeit vorwärts zu gehen, alle Anstrengungen zu machen, um die Regierung zur Einführung der norddeutschen Einrichtung zu veranlassen, damit nicht später einmal die eignen, zurückgebliebenen Landeskinder, wenn sie ihre Leistungen mit den andern vergleichen, die vorwurfsvolle Frage erheben können, warum ihnen die bessere Kost von Seiten ihrer Lehrer so lange vorenthalten worden sei.


[204]


XX.
Der Einfluss des Capitalismus.

Wer der heute lebenden Professoren erinnert sich nicht aus seiner Studentenzeit eines Professors, der in zwei bis drei Stuben wohnte, eine sehr einfache Lebensweise führte und vermuthlich mit seinen 500 oder 600 Thalern Gehalt grosse Mühe hatte durchzukommen, besonders an denjenigen Hochschulen, an denen die Stundung der Vorlesungshonorare zur Gewohnheit geworden war? Wer weiss nicht, dass noch vor zwanzig Jahren dies fast eine gewöhnliche Erscheinung war, und dass der Professor überall der Menge desshalb näher stand, als heute, weil alles wusste, dass er es schwer habe und kaum anders leben könne, als ein Mann aus dem Volke? Dass desshalb besonders in grösseren Städten die Verehrung des Professors eine allgemeine war, und jung und alt auch ohne persönliche Bekanntschaft mit Ehrfurcht den Hut bei einer Begegnung zu lüften pflegte?

Diese Zeiten sind gewesen. Es kamen einige Decennien, in denen die zunehmende Theuerung aller Verhältnisse und die grösseren Ansprüche, welche das sociale Leben an den einzelnen machte, nur demjenigen noch gestattete, die akademische Laufbahn einzuschlagen, der ein so grosses Vermögen [205] besass, dass er wenigstens 4–5 Jahre davon allein zu leben vermochte. Nur wenige gab es damals unter den Docenten, die ihr Schicksal einem glücklichen Stern anvertrauten, ihr kleines Vermögen von 3–4000 Thlr. vollständig verzehrten, in der Hoffnung, zu geeigneter Zeit eine auskömmliche Stelle, und das hiess in den meisten Fällen ein besoldetes Extraordinariat, zu erhalten. Die grosse Mehrzahl aber der damals wirkenden Docenten besass entweder allein oder durch die Verbindung mit einer reichen Frau ein so grosses Vermögen, dass sie wohl überhaupt unabhängig zu leben im Stande waren. Ganz vermögenslosen jungen Männern war die akademische Carriere so gut wie abgeschnitten.

Erst das letzte Decennium brachte die so dringend nothwendige Reform der Docentenstipendien, zunächst für Preussen (denn die Staaten Süddeutschlands haben sich zu einer ähnlichen Einrichtung noch nicht verstanden), deren Urheberschaft auf keinen geringern Mann zurückgeht, wie auf Theodor Mommsen, einen der grössten Gelehrten, welche das deutsche Vaterland hervorgebracht hat. Durch die Vertheilung von einem Stipendium für drei Jahre à 1500 M. jährlich (neuerdings ist die Totalsumme auf 6000 M. für den einzelnen erhöht worden) wurde es einer bedeutenden Anzahl unvermögender Gelehrter auch möglich gemacht, die akademische Carriere einzuschlagen, zumal die Stipendien auch nur solchen gegeben wurden, bei denen die Brauchbarkeit [206] und definitive Anstellung keinem Zweifel unterlag.

Wenn als eine Folge dieser zweckmässigen Einrichtung mit Sicherheit vorausgesehen werden kann, dass wieder eine vernünftige Reaktion gegen den Andrang des Capitalismus erfolgen wird, und der Stand der Universitätslehrer durch die Vermischung mit tüchtigen und ärmeren Mitgliedern, die vielleicht auch Entbehrungen kennen gelernt haben, allmählich wieder eine heilsame Änderung besonders hinsichtlich der socialen Ansprüche erfahren wird, so ist doch nicht zu leugnen, dass die Folgen des Capitalismus bereits sehr ernsthafte und für einzelne Hochschulen geradezu bedenkliche geworden waren. Zu dem Capital des einzelnen kam nun noch dazu, dass auch die Gehälter der Ordinarien überall einen erfreulichen Aufschwung genommen haben, ja dass manche Universitäten bei Berufungen, um tüchtige Kräfte zu bekommen, von vorn herein Gehälter von 6000 M., noch später 7000 und 8000 M. zahlen mussten, die mit den Vorlesungshonoraren vereint den Einnahmen der Minister und höchsten Staatsbeamten gleichkamen oder sie sogar übertrafen.

Nun würde ja auch dagegen principiell nichts einzuwenden sein, auch dagegen nicht, dass in manchen Universitäten Mittel- und Süddeutschlands ganze Villenviertel aus dem Boden gewachsen sind, in denen die einzelnen Professoren, wie die Grosskaufleute in Hamburg und London, ihre eignen Wohnhäuser [207] haben, wenn nicht die Macht des Capitalismus, wie überall in der Welt, so auch hier, ihre weniger erfreuliche Wirkung zeigt, die nur von denen verkannt und geleugnet wird, welche selbst dem Capitalismus angehören. Derjenige Mensch müsste nämlich ein Gott sein, der nicht in den Verhältnissen eines kleinen Fürsten gross geworden und dauernd darin gesteigert, zunächst den Kreis seines Umgangs, dann aber auch den Grad seiner Anerkennung und Werthschätzung einrichtet nach den mit den seinen übereinstimmenden oder nahe kommenden Verhältnissen. Auch der reiche Professor wird zunächst mit dem reichen umgehen, schon weil beide im geselligen Verkehr, wie auf Reisen mit denselben Ansprüchen und Ausgaben leben können, und er wird sich zu dem weniger hingezogen fühlen, dessen Verhältnisse ein Leben auf einem ähnlichen Fuss von vorn herein ausschliessen.

Es ist daher nicht nur sicher, dass an den Hochschulen, an denen der Capitalismus zu dominiren begonnen hat, derselbe eine stete Steigerung erfahren hat durch Heranziehung immer mehr Lehrer, die auch in glänzenden Vermögensverhältnissen sich befinden, sondern es lässt sich auch nachweisen, dass an denselben Hochschulen sehr reiche Docenten eine schnellere Carriere gemacht haben, ärmere dagegen zurückgesetzt worden sind. Der Grund ist sehr einfach, und deshalb brauchen die Professoren, welche nach diesem System gehandelt haben, noch [208] nicht gerade Verbrecher zu sein, sondern müssen nur die menschliche Schwäche auch geerbt haben. Den reichen Docenten sieht man in allen Gesellschaften; er hat die Gelegenheit, sich auf die vortheilhafteste Weise zu zeigen, ja er kann sogar einzelnen, maassgebenden Männern Dienste erweisen (hierfür sind wir in der Lage, ganz instruktive Beispiele anführen zu können) und kurz – die Bedeutung seines socialen Lebens und seiner gesellschaftlichen Stellung wird schnell ein Auge zudrücken lassen, wenn etwa an der pädagogischen oder wissenschaftlichen Tüchtigkeit ein kleines Manco vorhanden sein sollte. Der ärmere kommt weniger in den Vordergrund, selbst wenn er sich durch Fleiss und Tüchtigkeit auszeichnet, findet schwerer Leute, die sich für ihn interessiren oder ins Feuer gehn, und kommt es zu einer Beförderung, so zucken manche die Achseln mit dem Bedauern, dass sie den Mann zu wenig kennen u. s. w.

Für weit bedenklicher halten wir aber die Folgen im socialen Leben selbst. Dass Professoren zahlreiche Diners und Soupers geben können, wird bei keinem Anstoss erregen, dass sie dreimal im Jahr grosse Reisen machen können, wird ihnen zwar von vielen beneidet werden, aber es ist an und für sich unschädlich. Nur möchten wir uns die Frage erlauben, wo bleibt die gelehrte Thätigkeit? Im Semester Vorlesungen, Vorbereitungen zu den Vorlesungen, Gesellschaften, Bälle, Maskenscherze, Vorbereitungen dazu, Wirkungen davon, als Abgespanntheit, Müdigkeit, [209] Katzenjammer, in den Ferien – Reisen, sobald der erste Erlösungstag da ist, in welche Zeit fällt die gelehrte oder schriftstellerische Thätigkeit eines solchen Professors?

Die kurze und einfache Antwort wird jedem auf der Zunge schweben: es findet gar keine statt. In der That ist diese Beobachtung sehr leicht anzustellen, dass von solchen Rothschilds in der Professorenwelt, trotzdem sie in Senaten und Fakultäten das grosse Wort führen, gar nichts gearbeitet zu werden, und demgemäss auch die Arbeit bei andern nicht geschätzt zu werden pflegt. Um so auffallender ist, dass einzelne Regierungen kleinerer Länder dieser Erscheinung gar keine Aufmerksamkeit schenken und nicht nur gar keine Controlle über das wissenschaftliche Arbeiten ausüben, sondern immer mehr Leute berufen, die von der Partei des Capitalismus empfohlen, vollständige Nullen in der Wissenschaft sind.

Diese sociale Stellung des Capitalismus übt nun aber auch zu Ungunsten der anderen Lehrer, die zu dem geschlossenen Ring des Capitalismus nicht gehören, einen sehr ungünstigen Einfluss aus, besonders in kleinen Universitätsstädten. Der Handwerker, der Krämer, der kleine Bürger, der Briefträger und Handlungsgehülfe taxiren den Professor nur nach dem Geld. Da ist also „dieser – sehr reich“, jener – „sehr reich“, „sehr vermögend“ u. s. w. Man sieht, dass diese Reichen zusammenstehen, zusammengehen, [210] sich warm die Hände drücken, sich womöglich dutzen u. s. w.; man sieht ferner, dass andere Professoren kühl begrüsst werden, oder gar nicht, dass man an ihnen vorbeigeht, als wären sie gar nicht Collegen, sondern Pedelle oder Actenträger. In kurzer Zeit hört man in dem Wirthshaus flüstern: „X scheint nicht beliebt zu sein.“ Zuerst hatte es der Schuhmacher gesagt. Dann kommen die Krämer: „Er ist nicht beliebt.“ Zuletzt die[15] Dienstmädchen, und – last not least – die Studenten. Kommt ein Fremder an den Ort und frägt, so zuckt man die Achseln und sagt, man wisse nichts, „er sei eben nicht beliebt“. Sprechen die Studenten auf der Kneipe, so sagt plötzlich einer: „Ach was, der ist gar nicht beliebt.“ Solche Fälle sind uns bekannt geworden, wo der Student den in Rede stehenden Professor gar nicht kannte, wobei sich schliesslich herausstellte, dass er nur wiederholte, was ein unvorsichtiger Professor gesagt hatte. Dann giebt es auch wieder diesen oder jenen ganz dummen Professor, der es nicht über sich bringen kann, wenn er im fröhlichen Kreise auf der Studentenkneipe sitzt, von dieser Feindschaft den Studenten den Bericht vorzuenthalten, die dann naturgemäss beschliessen, diesen „nicht beliebten Professor“ nicht mehr einzuladen, damit dem Herzen der andern „ehrenwerthen“ Gelehrten kein Weh angethan werde.

Auch hier war der Verfasser in der Lage, in einer kleinen Universitätsstadt sehr eigenthümliche [211] Studien machen zu können. Als er dort hinkam, war es College X, der wegen seiner Händel mit der Fakultät „gar nicht beliebt war“. Die Professoren des Rings schüttelten wehmüthig ihr kostbares Haupt, wenn sie ihn sahen, sie gaben gutgemeinte Rathschläge, sich nicht zu viel mit X sehen zu lassen, nicht zu viel in seinem Hause zu verkehren, ja sie riethen sogar anrückenden Fremden ab, dort einen Besuch zu machen. Bis zu diesem Grad der Impertinenz konnte sich die Canaillerie einer Professorenclique versteigen. Wenige Jahre später war jener erste Professor ausgesöhnt, seine Kämpfe waren fast der Vergessenheit anheimgefallen, als ein anderer Professor mit der massgebenden Clique zerfiel. Wieder zuckte man die Achseln und schüttelte wehmüthig das Haupt. Für die Cliquenführer existirte er kaum noch. In jenem ersten Fall wurde der Charakter des Lehrers angegriffen und einer übelwollenden Kritik unterzogen, in dem andern Fall sogar die wissenschaftliche Befähigung. Beide Männer gehören trotz des vorübergehenden Fegefeuers, das sie von der Clique zu erleiden gehabt hatten, zu den angesehensten Lehrern der Hochschule. Dann kam ein dritter, jüngerer Lehrer, der wieder die Clique in Aufregung versetzte. Dieser war – ganz unfähig, als Lehrer untüchtig, miserabel u. s. w. Die Männer logen dazu und die Frauen nicht minder. Auch er ist heute ein angesehenes Fakultätsmitglied. Soll ich noch weiter erzählen, wie einige dieser [212] Flegel aus Professorenkreisen, als der Verfasser sich ihre Ungunst zugezogen hatte, seine Frau auf der Strasse nicht grüssten, dieselben Flegel, die oftmals früher in seinem Hause zu Gast gewesen waren? Soll ich dies noch zur Charakteristik einer kleinstädtischen, bornirten, auszurottenden Professorenliga hinzufügen? Gewiss nicht. Man wird mir glauben, dass es auf der Welt nichts dürftigeres, abgeschmackteres und einfältigeres gäbe, als die massgebende Professorenclique eines deutschen Universitätsdorfs. „Er ist nicht beliebt“, sagt die Clique, und alle Feiglinge gehen um das Opfer herum und wagen kaum den Hut zu lüften, denn sonst könnten sie vielleicht im nächsten Winter – bei einem der Nabobs einmal weniger eingeladen werden, und dann würde die Frau oder die liebliche Tochter jammern. „Er ist nicht beliebt“, sagt die Clique, und die jungen Streber beben fast vor Angst, wenn sie auf der Strasse von dem „Unbeliebten“ angeredet werden, weil sie fürchten, es könnte ein Nabob vorbeikommen und es sehen. „Er ist nicht beliebt“, sagt die Clique, und der hochweise Senat wagt sich nicht ins Mittel zu legen, denn „er ist nicht beliebt“. „Er ist nicht beliebt“, sagen im Chor Büglerin, Näherin, Wäscherin und tauschen ihre Gefühle bei einem Glas Apfelmost mit der lauschenden Gebieterin aus, indem sie eine rothe Wurst dazu verzehren.

Fürwahr, das sind die Stätten der akademischen Freiheit, die Pflanzstätten für die heranwachsende [213] Jugend Deutschlands, die culturellen Mittelpunkte des deutschen Vaterlands, die Anhäufung von Intelligenz und Bildung, von den grossen Tugenden des deutschen Gelehrten, von Zuvorkommenheit, Nächstenliebe, Freundlichkeit, Milde, Sanftmuth, Demuth! Ja, ja, wenn man in diese Mysterien hineinzublicken Gelegenheit gehabt hat, sieht man etwas ganz anderes: Hohlheit und Thorheiten der Professoren, Verseuchung der Studenten, Streberthum auf allen Seiten, viel Geld und viel Habgier, Schmeichelei gegen den Nabob, Neid gegen jeden besser gestellten Collegen, Geiz gegen die jüngeren Lehrer, Hochmuth und Angeschwollenheit, und zwar am stärksten bei den Dümmsten, Hass gegen Collegen, welche die Wahrheit sagen und das Cliquenwesen angreifen, Rachsucht, Bosheit, Gemeinheit, Verleumdung! Das ist die heutige akademische Welt, die ihr Leben und Trachten mit solchem Nimbus zu umgeben versteht, dass sie bei der unverständigen Menge nur in der Beleuchtung eines zauberhaften Morgenroths, der irdischen Unvollkommenheit entzogen und dem Himmel nahegerückt zu erscheinen pflegt!

Wahrlich, es ist hohe Zeit, dass die deutschen Regierungen einschreiten, um dieser akademischen Blüthe ein Ziel zu setzen. Und da wir keineswegs Pessimisten sind, so hoffen wir einerseits von der Erweiterung des Princips der Docentenstipendien, andererseits von der allmählichen inneren Erstarkung [214] des Deutschen Reichs, dass gesündere Normen in Zukunft aufkommen und ein gewissenhafteres Verwerthen brauchbarer, wie das Ausschliessen unbrauchbarer Kräfte Platz greifen möchten, und dadurch der Capitalismus an den deutschen Hochschulen wieder – in einen bescheidenen Winkel zurückgeschoben werden möchte, von welchen aus sein Ruf macht- und wirkungslos in die Lüfte verhallen kann: „Er ist nicht beliebt!“


XXI.
Der Universitätsklatsch.

Man hat in der letzten Zeit bei Behandlung der Berufungsfrage der Universitätsprofessoren wiederholentlich hervorgehoben, dass die Personalfrage, ohne welche eine Berufung nicht ausgeführt werden dürfe, eben nur von einer Fakultät entschieden werden könne, da neutrale Commissionen oder die Regierung über die Persönlichkeiten der in Frage kommenden Lehrer nicht in gleicher Weise informirt zu sein pflegen. Einige dieser akademischen Puritaner sind sogar soweit gegangen, dass sie den akademischen Körper mit einem Offiziercorps verglichen haben, dem auch eine Persönlichkeit nicht [215] ohne Zustimmung des Corps aufgedrungen werden könne.

Versuchen wir es zunächst, die thatsächliche Behandlung der Personalfrage ins Auge zu fassen, und sie mit dem Verfahren bei anderen Berufsklassen zu vergleichen. Wenn der Minister einen Assessor zum Regierungsrath befördert, so wird er voraussichtlich dessen Examen und dann seine praktische Tüchtigkeit ins Auge fassen. Schwerlich wird er jemals das Collegium der übrigen Assessoren nach der Persönlichkeit ausfragen – wie viele vortreffliche Beamte würden dann wohl niemals zur Anerkennung gelangt sein? –, sondern er wird sich bei dem Vorgesetzten nach dessen Führung erkundigen, was im Grunde genommen doch nur auf die Frage nach der thatsächlichen Unbescholtenheit zurückgeführt werden kann. Auf weiteres wird er sich vermuthlich niemals einlassen. Die Culturstaaten haben schon liebenswürdige Beamten gehabt und unliebenswürdige: weiche und schroffe Charaktere, zugängliche und unzugängliche Personen, ohne dass das Amt dadurch wesentlich gelitten hat. Das eine ist vielleicht bequemer, das andere unbequemer, das eine wird vom Publikum vorgezogen, das andere nicht: indessen der Dienst braucht deshalb nicht zu leiden oder davon afficiert zu werden. Die Menschen sind eben in allen Berufsklassen verschieden geartet, und zwar zum grossen Glück; und es wäre traurig, wenn alle nach einer Schablone zugeschnitten wären. [216]

Dass es beim Professorenstand anders sein sollte, ist schwerlich anzunehmen. Auch hier hat es seit allen Zeiten liebenswürdige und unliebenswürdige gegeben, zugängliche und unzugängliche Persönlichkeiten, zuvorkommende Menschen und grosse Flegel, solidere und leichtsinnigere Menschen. Oder glauben vielleicht die Verfechter der Personalfrage, dass unter den Ordinarien nur vollständige Tugendspiegel gefunden werden? Sollen wir ihnen einige Namen von Ordinarien anführen, die keine Keuschheitspriester oder gar solche, die keine Alkoholverächter oder Temperenzler sind? Sollen wir ihnen Ordinarien nennen, die sich fast jeden Tag betrunken haben?

Man wird also zunächst keinen vernünftigen Grund ausfindig machen können, warum bei einer Berufungsangelegenheit auf derartige persönliche Eigenschaften, sobald sie nicht Aergerniss erregen, ein grosses Gewicht gelegt wird, dass sie brieflich erkundet werden, in den Sitzungen vorgetragen werden und unter Umständen einen Einfluss auf die ganze Angelegenheit ausüben können. Dies Verfahren führt mit unfehlbarer Sicherheit zu den widerwärtigsten Uebertreibungen, Taktlosigkeiten und Indiscretionen. Uns ist in der That eine Reihe von Fällen, die wir namhaft machen können, bekannt geworden, in welcher eine als ganz sicher erscheinende Berufung im letzten Augenblick dadurch rückgängig gemacht worden ist, dass aus dem Brief eines Collegen oder nach persönlicher Erkundigung irgend ein Klatsch, mitunter [217] aus weit zurückliegender Zeit, zur Kenntniss gebracht wurde. In allen Fällen haben die Freunde und Verehrer des Betreffenden es sehr bedauert, dass die gewünschte Persönlichkeit nicht berufen worden war. Die Erörterung der Frage, ob die betreffende Nachricht der Wahrheit entsprach oder nicht, glauben wir als ganz irrelevant bei Seite lassen zu dürfen. In keinem Fall wären die brieflich berichteten Schattenseiten bei einer andern Berufsstellung von irgend einem nachtheiligen Einfluss gewesen.

Ganz besonders abgeschmackt aber werden solche Urtheile in den Fällen, wo es sich in kleineren Ländern um Beförderung eines jüngeren Docenten derselben Hochschule handelt. Da werden mit einem Mal abgeblasste Ehemänner, die zum Spielball eines tyrannischen Weibes heruntergesunken sind, und Abends nur in das Wohngemach eingelassen werden, wenn sie versprechen, die Fakultäts- und Senatsangelegenheiten zu verrathen, die prüdesten Sittenrichter, Männer fangen an, Kleinigkeiten hervorzuheben, die eine höchst fragwürdige Vergangenheit haben, andere, denen die Frau Abends, wenn sie ausgehen wollen, Schlüssel und Hut versteckt, nennen einen etwas fester stehenden Ehemann einen grausamen Tyrannen, viele zeigen ein Interesse für interne Dinge, die in keiner anständigen Berufsklasse zum Gegenstand collegialischer Besprechung gemacht werden sollten. Ein Einzelner fühlt sich mit einem Mal [218] berufen, sich als Vertreter der öffentlichen Moral aufzuspielen, gleich als wenn ihn die Regierung dazu angestellt hätte, und er hält es für seine Aufgabe, den Rhadamanthys über die jüngeren Docenten zu spielen. Ein anderer muss seinem Tugend heuchelnden Weib folgen, welche einen Docenten verfolgt, der aus dem Garn ihrer verlangenden Coquetterie zu entschlüpfen gewusst hat. Doch man muss den Universitätsklatsch an kleineren Hochschulen persönlich erlebt haben, um sich ein richtiges Bild von diesem allmächtigen, bald erhebenden, bald stürzenden Dämon zu machen. Zunächst aber wollen wir vorausschicken, dass dieser Klatsch durchaus nicht unter allen Umständen herangezogen wird, sondern dass er nur wie ein deus ex machina in dem Augenblick hervorgezaubert wird, wo man ihn bei einem missliebigen Lehrer benutzen will, z. B. ein Avancement oder eine Honorirung zu hintertreiben. Bei guten Freunden vermag man ebenso leicht, und ohne Gewissensbisse zu bekommen, sich in Schweigen zu hüllen.

An einer kleinen Hochschule, an welcher gewöhnlich eine grosse Zahl von Professorenfrauen, z. B. mit Brillen auf der Nase, nichts anderes zu thun hat, als Klatsch aufzuschnappen, zu verbreiten und zu vergrössern, pflegt ein ganzer Bandwurm von Lügen über diesen und jenen Lehrer in Umlauf zu sein. Und es steht fest, dass bei nicht wenigen Professorenfrauen die vom Markt kommenden Dienstmädchen [219] zuerst über den neusten Klatsch inquirirt werden. Der Klatsch beginnt deshalb mit den Kochtöpfen in der Küche und endigt mit dem Ehebett, und es muss als eine der bedauerlichsten Thatsachen des modernen akademischen Lebens bezeichnet werden, dass dieser Klatsch sich nicht scheut, sich tief in die Familienverhältnisse einzulassen und dann in der Fakultät aufzutauchen, was gleichfalls in allen anderen Berufsklassen unerhört ist. Ja, der erotische Klatsch, an dem manche Frauen mit Gefühlen des Neides participiren, pflegt an kleinen Hochschulen eine ganz hervorragende Rolle zu spielen, und Ehen sind fast gewaltsam auseinandergerissen worden durch den hin- und herwogenden Universitätsklatsch, der bald die eine Partei angriff, bald die andere, wobei diejenigen am meisten sich berufen fühlten zu schreien, entrüstet zu sein, anzugreifen und zu beklagen, die am allerwenigsten in die Verhältnisse eingeweiht waren. Unverheiratheten Docenten ist daher nicht zu rathen, mit einer Schwester oder Grossmutter zu leben, weil sie, missliebig geworden, sehr schnell den Verdacht eines unerlaubten Umgangs erregen würden. Katholische Theologen dürfen nur Wirthinnen haben, die 50–60 Jahre alt sind. Am schärfsten und rücksichtslosesten richten sich die Lügen des Klatsches gegen jene, welche aus irgend einem Grunde nicht an dem gesellschaftlichen Leben Theil nehmen.

Die nachfolgenden Beispiele sind historisch. Ein [220] Docent kauft in irgend einem Laden Wurst, und unterhält sich mit dem Ladenmädchen. Eine Professorsfrau geht vorbei, stolz und prüde, Minerven vergleichbar. Sie errötet vor Scham. Am nächsten Nachmittag ist Kaffeegesellschaft, und das Liebesverhältnis wird mit Entrüstung zur Sprache gebracht. Wenige Tage später erfährt man in einer andern Gesellschaft schon von einem Kinde, acht Tage später von Zwillingen. Zwei bis drei Wochen muss diese Angelegenheit den Gesprächsstoff abgeben, bis eine neue Sache an ihre Stelle tritt. Ein Jahr später erinnert sich jemand, der schaden will, in der Fakultät, dass einmal eine unangenehme Geschichte gespielt habe. Weiter. Ein Professor fährt öfters nach einer benachbarten Stadt, weil ihm dort das Bier besser schmeckt. Nachdem er zweimal dort gesehen worden war, stand es fest, dass er dort ein Schätzchen wohnen habe, dem seine Besuche galten. Jeder College nahm darauf einen Eid. Weiter. Von einem andern, der seine Frau über alles liebte, wurde Jahre lang geglaubt, als die Frau krank wurde, dass sie täglich von ihrem Manne braun und blau geschlagen würde. Dies versicherten mit tiefem Schmerz die Männlein und die Fräulein. Wieder ein anderer stand in dem Ruf, dass er verunglückte Beafsteaks oder Cotelettes seiner Frau an den Kopf oder zum Fenster hinaus auf die Strasse zu werfen pflege. Wieder bei einem andern, der des Abends drei oder vier Schoppen Bier zu trinken pflegte, verwandelten [221] sich diese in den Augen der Sittenrichter (die sich jeden Abend in Gesellschaften der Clique voll tranken) zu zehn bis zwanzig Schoppen, und da er stets um elf Uhr nach Hause ging, wurde zwei Uhr daraus gemacht, und obwohl er stets nüchtern war, zweifelte keiner daran, dass er stets betrunken nach Hause kam. Ein junger, unverheiratheter, fleissiger Docent sollte dagegen jede Nacht auf seiner Haustreppe übernachten. Vielleicht war ihm dies einmal passirt, vielleicht auch nicht. Weiter. Als die Frau eines Professors, die krankheitshalber einige Monate entfernt gelebt hatte, wieder zurückgekehrt war, wurde beider Sohn, ein Quartaner, von dem ebenso alten Sohn eines angesehenen Professors gefragt, ob der Vater und die Mutter in demselben Zimmer schliefen. Ob der Junge dies aus sich selbst hatte? Oder hatte Vater oder Mutter ihm diese Frage an die Hand gegeben? Als der Verfasser in einer kleinen Professorengesellschaft war, sagte eine Frau, dass College X, der gegen 60 Jahre alt war, mit Recht niemals Ordinarius geworden sei. Auf seine Frage nach den Gründen, erwiderte sie zögernd, er habe einmal einem Dienstmädchen in die Backen gekniffen, und das hätten einige gesehen. Auf die zweite Frage, wann dies geschehen sei, kam heraus, dass dies Verbrechen sich vor 35 Jahren zugetragen hatte. Weiter. In einer kleinen süddeutschen Universität wurde ein College gefragt, ob es wahr sei, dass ihm ein bestimmtes Lokal untersagt sei, weil er mit der [222] Kellnerin ein Verhältniss angefangen. Der College lachte, und da kein Wort davon wahr gewesen, so hielt er dies für einen Witz, den er bald vergass, weil auch keiner weiter darüber sprach. Nach 2½ Jahren wurde ihm diese Geschichte mitgetheilt als eine solche, die ihm besonders gesellschaftlich grossen Schaden gethan habe. Jetzt wurde auch wieder derselbe Wirth genannt, und als die Sache sofort untersucht wurde, stellte sich heraus, dass auch kein Sterbenswörtchen davon wahr gewesen war, wie auch der College nie mit dem Wirth Differenzen gehabt und nie den Besuch seines Lokals unterbrochen hatte. Vermuthlich hatte ein neidischer Schurke unter den Professoren die ganze Geschichte erfunden.

Eigenthümlich ist nun, dass dieselben Professoren, die einem Starrkrampf zu erliegen scheinen, wenn sie von irgend einer unbedeutenden und harmlosen Poussade eines jüngeren Docenten hören, den intimsten Umgang pflegen mit Leuten, die in steter Moralverletzung leben. Aber da ist ein gewaltiger Unterschied! Diese sind ebenso reich, machen dieselbe Geselligkeit durch – und Geld und Gesellschaft helfen über so kleine Vorurtheile hinwegsehen.

In kleinen Ländern giebt es aber noch einen Klatsch ganz anderer Art. Da hat der Minister oder der Ministerialdirector einen guten Freund unter den Professoren oder Universitätsbeamten, der ab und zu nach der Hauptstadt kommt, um den gelangweilten, [223] begierig lauschenden Beamten des grünen Tisches die akademischen Neuigkeiten auszukramen und je nach seiner Stellung zu den Persönlichkeiten zu färben. Auch hierfür vermögen wir historische Beispiele anzuführen. Es ist sicher, dass diese Regierungskreise über den unbedeutendsten Klatsch der Hochschule weit genauer unterrichtet sind, als zahlreiche Professoren selbst, die zurückgezogen leben. Wir vermögen nicht zu untersuchen, wie weit ein derartiger Zustand von Einfluss auf die Geneigtheit oder Abgeneigtheit der Regierung gegen einzelne Persönlichkeiten ist, nur das eine scheint begreiflich, dass er im gegebenen Fall nicht ohne jeglichen Einfluss ist, wie wir gleichfalls bezeugen können. Diese Erscheinung wird um so häufiger sein in dem Fall, wo der Minister früher selbst Professor an der Hochschule gewesen ist und aus dieser Zeit noch vertraute Freunde besitzt.

An kleineren Universitäten, an denen die Unkenntniss menschlicher Charaktere (da viele Lehrer niemals ausser Landes gekommen sind und niemanden ausser ihren Landsleuten kennen gelernt haben) am grössten zu sein pflegt, indem man nur unter seinen Landsleuten oder womöglich in seiner Promotion Normalmenschen zu finden glaubt, giebt es überhaupt oftmals gar keine objektive Kritik. Ehe ein von auswärts Berufener ankommt, geht ihm in der Regel der grösste Ruf voraus. Der Professor ist in seinem Fach der erste der Jetztzeit (kleine Universitäten [224] bilden sich meistens ein, für ihre Fächer die ersten der Jetztzeit zu besitzen, wenn auch vielleicht der Ruhm von manchen über den nächsten Kilometerstein nicht gedrungen ist), ein überaus reicher (dies pflegt immer mit Schmunzeln hervorgehoben zu werden), geselliger Mann, der eine bildschöne Frau habe und ein grosses Haus machen werde u. s. w. Ist der betreffende dann eingetroffen und ist die Leidenschaft der Begeisterung nach ein bis zwei Monaten verraucht, dann fällt man in das entgegengesetzte Extrem. Derselbe scheine ein ganz unbedeutender Lehrer zu sein, mache sich bei den Studenten unbeliebt, habe lange nicht so viel Vermögen, sei unausstehlich, ausserdem offenbar geizig, seine Frau eine wahre Megäre, lasse die Mägde hungern u. s. w. So spricht die akademische Welt. Nur selten hört man ein Wort richtiger und maassvoller Beurtheilung. Dies ist wieder eine Folge des auf die Spitze getriebenen gesellschaftlichen Lebens, das sich in der Hauptsache um den persönlichen Klatsch dreht, und des die kleinen Städte charakterisirenden absoluten Mangels an jedem anständigen Unterhaltungsstoff und jeder geistigen Anregung.

Man wird jetzt vielleicht behaupten, das derselbe Klatsch auch in allen übrigen Ständen an der Tagesordnung zu sein pflege. Wir wagen dies zu bestreiten. Drei Momente sind auf die Erzeugung des Klatsches und auf das Glauben des Klatsches in Professorenkreisen von besonderem Einfluss, die sonst überall [225] nicht vorhanden sind. Zuerst steht der Professor in einem viel directeren und interessirteren Verhältniss zu seinem Collegen. Er kann durch jenen gewinnen oder geschädigt werden; unter Umständen ist daher die Lobeserhebung erwünscht, unter Umständen das Schlechtmachen. Von beiden Regungen werden schwache Individuen leicht beeinflusst. Sie brauchen nicht einmal bösartig zu sein, um aus praktischen und egoistischen Gründen eine übelwollende Fama zu unterstützen und zu steigern. Eifersucht, Neid, Geiz, Habgier sind dabei die treibenden Factoren, die in andern Berufsklassen keinen Einfluss ausüben können. Zweitens sind die Professoren die unpraktischsten Menschen und pflegen die geringste Menschenkenntniss zu besitzen. Unter Büchern gross geworden pflegen sie Menschen nur aus Beschreibungen zu kennen. Man entschliesse sich nämlich einmal, das im grossen Publikum so verbreitete Vorurtheil aufzugeben, dass es im Professorenstand nur hervorragend kluge Männer gäbe. Im Gegentheil, nirgends gewahrt man so viel Dummheit. Besonders zahlreich ist heute eine Klasse, die bei einem berühmten Lehrer gearbeitet, sich nur auf einem beschränkten Gebiet bewegt hat, von allen anderen Dingen nicht das geringste weiss, frühzeitig in Amt und Würden gekommen und zu pecuniär ausgezeichneter Stellung gelangt ist, absprechend und widerwärtig ist und nur das anerkennt und hoch hält, was sie selbst treibt. Man findet daher nirgends so [226] grobe Täuschungen über eine Persönlichkeit, wie in Professorenkreisen, und darum sind sie nicht nur nicht über den Klatsch erhaben, sondern sie pflegen ihn am bereitwilligsten aufzunehmen. Ein Professor kann der charakterloseste und erbärmlichste Mensch und von allen andern Einwohnern der Stadt vollständig durchschaut und verachtet sein, er wird in Professorenkreisen die höchste Achtung geniessen. Ein andrer kann der wohlwollendste, geachtetste, vortrefflichste Mensch sein, und man wird ihn in der akademischen Welt verspotten und verhöhnen. Vollends über die Begriffe liebenswürdig und unliebenswürdig pflegen in Professorenkreisen die seltsamsten Vorstellungen zu herrschen. Wer zu schmeicheln, sich zu bücken und den einflussreichen Professoren sowie ihren Frauen den Hof zu machen versteht, wird als ein überaus liebenswürdiger Mann gelten; wer dies nicht versteht, wird als abstossend, rauh, unliebenswürdig, ungebildet geschildert werden. Drittens endlich pflegen die Professorenkreise überall am abgeschlossensten zu leben, so dass auch dadurch wieder ihr Interesse sehr vereinseitigt wird und sich ausschliesslich auf die Angelegenheiten und Familien der Collegen beschränkt.

Da nun bei dem heutigen System der Berufung diese Punkte in Frage kommen, so ist einleuchtend, dass dementsprechend auch zahlreiche Missgriffe vorkommen müssen, wobei man uns nicht einreden soll, dass diese zu den Seltenheiten gehören. Der eine [227] wird als freundlich gerühmt und entpuppt sich als anmaassend, völlig unverträglich, kurz als reiner Satan; der andre gilt als solide und erscheint als völliger Trunkenbold. Ein dritter soll es sehr gewissenhaft mit den Vorlesungen nehmen und lässt ein Colleg nach den andern ausfallen. Ein andrer wird nicht berufen, weil er in einem Privatbrief als nachlässiger Lehrer geschildert wird, kommt er aber an eine andre Hochschule, so zeigt sich, dass er ein überaus gewissenhafter und vortrefflicher Lehrer ist.

Als überaus verwerflich muss das verläumderische und denunciatorische Verfahren betrachtet werden, mit welchen Professoren, ohne sich Gewissensbisse darüber zu machen, in Briefen an Collegen oder an höhere Beamte sich über diesen oder jenen Universitätslehrer äussern, was dann von den Adressaten benutzt und gelegentlich zum Schaden des Verleumdeten weiter getragen wird. Auch dies Verfahren würde in jedem andern Stande geeignet sein, den verleumdenden Briefsteller aus dem Stand auszustossen, während es in den akademischen Kreisen eine ganz gewöhnliche Erscheinung ist. Besonders in kleineren Universitäten, wo der akademische Klatsch wogt und ausserhalb des Klatsches nichts zu geschehen pflegt, ist man gewöhnt, in seinen Briefen an Collegen persönlichen Klatsch kritiklos mitzutheilen, ohne an die etwaigen Folgen solcher Unüberlegtheit und Gewissenlosigkeit zu denken. Dem Verfasser, ist ein Fall bekannt, wo von einer [228] süddeutschen Hochschule aus gegen einen Professor nach Berlin und nach einer andern Hauptstadt absolut verlogene Briefe geschrieben wurden, ohne dass es möglich war den Verfasser, der gerichtlich belangt werden konnte, zu eruiren, weil die Adressaten ihre Quelle naturgemäss verschwiegen. Und so wird es gewöhnlich sein, und jene Zunft der Lügner, Nachteulen, Verläumder, Ehrabschneider unter den Professoren wird ihr verwerfliches Treiben im Dunkeln stets fortsetzen können, indem sie sich dabei der heuchlerischen Maske der Entrüstung oder der Tugendhaftigkeit bedient.

Wir kommen jetzt zur Behandlung des zweiten Moments, d.h. zur Widerlegung derjenigen, welche die akademischen Verhältnisse nach Art der militärischen Disciplin zu regeln versuchen. Die, welche dies wünschen, übersehen dabei den einen Punkt, dass die Offiziere Corpsgeist besitzen, die Professoren nicht, dass die Offiziere eines Bataillons, die besonders an einem kleinem Orte zusammenleben müssen, Taktgefühl besitzen, welches sie hindert, die einzelnen Kameraden zu verlästern und in den Staub zu ziehen, die Professoren nicht. Bei den Offizieren pflegt es keine Clique zu geben, welche für sich den Ruhm der Sittenstrenge und der Unsterblichkeit in Anspruch nimmt, bei ihnen giebt es keine Parteien, die sich befehden und beschimpfen, bei ihnen giebt es nicht Rivalen, die sich zanken, heruntersetzen, und von denen der eine immer das Gegentheil von dem will, [229] was der andre. Bei ihnen sind alle unterthan einer höheren, unsichtbaren Macht, die über ihnen schwebt, während bei den Professoren einige wenige mächtige da sind, die geschmeichelt und vergöttert werden, wofür sie andre treten. Ein Offizier, der einen Collegen brieflich verleumdet, wird vom Ehrengericht aus dem Offiziersstand gestossen, ein Professor steigt dadurch wo möglich an Ansehn wegen seiner Verbindungen und seines Einflusses.

Ferner aber darf auch ein andrer Punkt nicht unerwähnt bleiben. Bei den Offizieren pflegt alles das für ihre Beurtheilung nicht in die Wagschale zu fallen, was nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Dienst steht, vorausgesetzt natürlich, dass kein Skandal oder kein Conflikt entsteht. Die verheiratheten Offiziersfrauen pflegen sich so wenig um die Poussaden der Lieutenants zu bekümmern, wie sie etwa nachrechnen, wie viel Gläser Bier der einzelne zu trinken pflegt. Gerade diejenigen Punkte, welche hier die am weitesten gehende Freiheit geniessen, werden in kleinen Universitätsstädten mit Argusaugen beobachtet, besprochen, verlästert, und gerade sie sind es, die nicht selten auf Veranlassung der dominirenden Frauen gegen einen Docenten geltend gemacht werden und manchen in der Beförderung schwer geschädigt haben.

Man wird darauf erwidern, dass der Docent ein Lehrer der Jugend sei, der er mit gutem Beispiel voranleuchten solle, der Offizier nicht. Man hat [230] dafür das schöne Wort „das sociale Leben“ erfunden, und süddeutsche Professoren haben sich nicht gescheut, solchen Unsinn drucken zu lassen. Auch hier ist zweierlei einzuwenden. Erstens pflegt sich die akademische Jugend nur in dem Fall um das Privatleben der Lehrer zu bekümmern, wenn einige Lehrer und das ganze System sie künstlich auf das Niveau von Schulknaben herunterdrücken, da die Lehrer überhaupt nur schulmeistern und nur bei Schulzwang Anziehungskraft ausüben können (so dass das Herabdrücken des Studententhums zum Selbsterhaltungstrieb des Lehrers gehört). Ein derartiges[16] systematisches Herunterdrücken der Studenten findet bisweilen in kleinen Ländern statt, wo die Freiheit, welche die Wissenschaft zur Voraussetzung hat, am wenigsten wahrgenommen wird, und die maassgebenden und einflussreichen Männer am liebsten aus der Universität eine Schule machen möchten, in welcher derjenige Arrest oder die Ruthe bekommt, der eine Vorlesung versäumt. Dann aber widerspricht ja jener Forderung durchaus, dass manche Ordinarien nach jenem Grundsatz sich nicht einzurichten pflegen. Ist es nun nicht ein seltsamer Zustand, dass von den jüngeren Lehrern, die noch rascheres Blut, grössere Lebenslust und mehr Vergnügungsbedürfniss besitzen, etwas beansprucht wird, als Lehrern der Jugend, von den älteren nicht, dass dort etwas für die ganze Zukunft zum Schaden gereichen soll, was hier völlig unbeachtet und straflos ist?


[231] Auch in diesen Verhältnissen wird kaum der natürliche Takt des Professorenstandes irgend eine Aenderung oder Besserung herbeizuführen im Stande sein. So lange die Personalfragen in den Händen von Corporationen sind, in denen ein jeder einflussreichere Mann und besonders auch jedes herrschsüchtige und hosenführende Weib ihr Ueberwollen oder ihre Gönnerschaft zum Ausdruck und zur Wirkung bringen können, so lange werden jene Schattenseiten bestehen bleiben, welche Ungerechtigkeiten und Misshandlungen dauernd im Gefolge zu haben pflegen. Auch hier wird nur ein verstärkter Einfluss der Regierung Abhülfe verschaffen können, z. B. in der Weise, dass in allen Personalangelegenheiten an der Fakultätssitzung oder an der vorbereitenden Commission ein neutraler und uninteressirter Regierungscommissarius Theil nehmen muss, der die einzelnen Professoren von Thorheiten, Indiskretionen, Taktlosigkeiten zurückzuhalten und dasjenige Maass der Beurtheilung einzuführen hat, das jedem deutschen Beamten gegönnt wird und von der Zunft nicht selten mit solcher Gewissenlosigkeit überschritten wird.


[232]


XXII.
Veränderung der Universitätsverfassung.

Die meisten deutschen Universitäten haben vier Fakultäten, die theologische, philosophische, juristische und medicinische. Nur wenige haben mehr Fakultäten, indem gewöhnlich zu der evangelisch-theologischen auch eine katholisch-theologische tritt. Die meisten hat Tübingen, indem es ausser den vier genannten (und einer katholisch-theologischen Fakultät) eine naturwissenschaftliche und staatswissenschaftliche besitzt, während Dorpat und Strassburg die philosophische Fakultät in zwei Sectionen getheilt haben, eine philosophisch-historische und eine mathematisch-physikalische, die nur selten zu einen gemeinsamen Convent zusammentreten. Eine staatswissenschaftliche Fakultät haben auch München und Erlangen. Es ist nicht zweifelhaft, dass die Tübinger Einrichtung weitaus die empfehlenswertheste ist, da sie von der philosophischen Fakultät diejenigen Elemente vollständig separirt hat, welche mit ihr nichts zu thun haben, die Naturforscher und Mathematiker auf der einen, die Staatsrechtslehrer und Nationalökonomen auf der andern Seite. Die Gegner der Tübinger Einrichtung pflegen allerdings zu behaupten, dass die abgezweigten Fakultäten zu klein sein, um eine rationelle Selbstverwaltung ausüben zu können, [233] da gerade bei so kleinen Fakultäten die Gefahr der Suprematie eines einzelnen zu nahe liege. Indessen ist die naturwissenschaftliche Fakultät (durch zwei Mathematiker, zwei Chemiker, Botaniker, Mineralogen, Zoologen, Physiker) an und für sich so gross, als die theologische Fakultät, und die staatswissenschaftliche Fakultät kann wenigstens durch das Hinzutreten zweier Forstprofessoren (die freilich mit den Staatswissenschaften zunächst sehr wenig zu thun haben) zu einer anständigeren Grösse erweitert werden. Aber selbst wenn jener Uebelstand mit vollem Recht als ein Nachtheil beider Fakultäten bezeichnet werden müsste, so würde er doch nicht ein so grosses Gewicht haben, dass er nur im entferntesten mit jener unheilvollen Mischung von Naturforschern und Philosophen in einer Fakultät verglichen werden könnte. Denn dass Philologen über Chemiker verhandeln, Botaniker über Philosophen ist ein Unding so himmelschreiender Art, dass nur der träge Conservativismus unserer Universitäten und die durch nichts gestörte Behaglichkeit der Besitzenden es möglich gemacht haben (und vermuthlich noch weiter möglich machen werden) dieses Unding zu ertragen, ohne für seine Abschaffung einzutreten.

Wenn demgemäss die Einführung der Tübinger Einrichtung als ein erster Schritt zur Besserung bezeichnet werden muss, so bleibt die Hauptsache dabei noch unerledigt, ob an den Rechten und Befugnissen der Fakultäten in Zukunft nichts geändert [234] werden solle. Und in der Beziehung stimmen wir für eine ganz radikale Reform, welche den Corporationsgeist möglichst unschädlich machen muss, in derselben Weise, wie wir gegen jedes Eingreifen des Senats in die persönlichen Verhältnisse sind, weil damit gewöhnlich ein Missbrauch getrieben wird. Zwar soll man die alten Fakultäten nicht auflösen, aber man soll ihre gemeinsame Thätigkeit reduciren auf die Doctorexamina, Verleihung von Ehrendiplomen, Betheiligung an Ehrentiteln, Gratulationen u. s. w., kurz auf Dinge, die keine wichtigen Entscheidungen über Personal- und Berufungsangelegenheiten involviren.

Aber selbst die innern Angelegenheiten der einzelnen Fächer sollen nicht von den ganzen Fakultäten entschieden werden, sondern von Sektionen oder Abtheilungen, ähnlich, wie dies bei den Verfassungen der technischen Hochschulen der Fall ist, die allerdings fakultätenartig sind, aber in derselben sachlichen Zergliederung auf die Universität angewendet eine weit größere Anzahl von Sektionen hervorrufen müssten. Bei Fakultätsentscheidungen liegt einmal die Gefahr nahe, dass missliebige Professoren oder solche, die sich nicht um persönlichen Einfluss zu bekümmern pflegen, mit Anträgen, die ihr Fach betreffen, stets von den andern überstimmt werden und eine Niederlage erleiden, wofür zahlreiche Beispiele angeführt werden können. Es sind Fälle vorgekommen, dass einzelne in der Fakultät [235] missliebige Professoren mit jedem Antrag durchgefallen sind, den sie in der Fakultät gestellt haben. Dann aber liegt eine zweite Gefahr nahe, dass solche Anträge nach Analogie eines Tauschgeschäftes abgemacht werden, etwa wie in kleinen deutschen Ländern die Abgeordneten ihren Wahlkreisen abwechselnd Eisenbahnen verschaffen, indem ein jeder für den andern um den gleichen Preis stimmt. Wenn in einer Fakultät ein solcher Zustand eingerissen ist, so pflegt derselbe nicht ohne nachtheilige Folgen für die andern Fakultäten und für den Staatssäckel zu bleiben. Bei andern anständigen Fakultäten wird dann in der Regel gespart, während der Staat für die überflüssigsten Einrichtungen Gelder auswerfen muss, die wenige Jahre später von dem Nachfolger wieder mit grossen Unkosten umgestossen werden. Die Naturforscher pflegen in dieser Beziehung einen grossen Vorsprung zu haben, da sie mit Glashäusern, Treibhäusern, Sammlungsräumen u. s. w. einen unausgesetzten Sport treiben können.

Diejenigen aber, welche durchaus an den mittelalterlichen Corporationen festhalten wollen, fragen wir und erbitten uns eine offene und ehrliche Beantwortung, wie weit Fakultäten eingeschritten sind oder verhindert haben jene zahlreichen Grausamkeiten, Unzuträglichkeiten, Verletzungen und Misshandlungen, welche das deutsche Universitätsleben befleckt haben. Haben die Fakultäten ihre Macht gezeigt und Veto eingelegt, wenn ein Professor in Examinationsangelegenheiten [236] sich dauernd schmutzig und unanständig benahm? Wenn die ganze Studentenwelt erzählte, wie umfangreich die Annahme von Vorlesungen gewesen sein müsse, um ein Examen mit Erfolg oder grossem Erfolg bestehn zu können? Wir antworten mit Nein. Sind die Fakultäten eingeschritten, wenn ein Ordinarius aus Gründen des Gelderwerbs jede denkbare Doktorarbeit acceptirt und stets den Doctorschwindel begünstigt hat? Wir antworten mit Nein. Haben die Fakultäten ein Machtwort gesprochen, wenn ein Docent Jahre lang von seinem Ordinarius unterdrückt und gemisshandelt wurde, oder haben sie den Regierungen Wege gezeigt, wie man zu einer richtigen Beurtheilung eines verkannten Docenten gelangen könne, wenn ein Ordinarius ihn aus Neid, Selbstsucht, Scheelsucht oder angeborener Bosheit für unfähig erklärte? Sind sie eingeschritten, wenn ein geiziger Ordinarius die Studenten in der Vorlesung vor dem Colleg eines Docenten gewarnt hat? Wir antworten mit Nein. Haben sie verhindert, dass ein tüchtiger Docent durch die Feindschaft eines Ordinarius bei einer Vacanz übergangen und ein weniger tüchtiger berufen wurde? Wir antworten mit Nein. Haben sie, die so sehr die Persönlichkeit betonen, verhindert, dass Narren, unausstehliche Menschen, Störenfriede in die Fakultät kamen? Wir antworten mit Nein. Haben sie verhindert, dass Väter ihre unbedeutenden Söhne mit ungesetzlichen und bei jedem andern Docenten unmöglich gewesenen [237] und sofort mit Widerspruch begleiteten Mitteln durch langsames Abtreten der Vorlesungen, Rechte u. s. w. in eine Fakultät einschmuggelten? Wir antworten mit Nein. Haben die Fakultäten gerügt, wenn ein klinischer Professor in egoistischer Regung den Wein seiner Klinik ausschliesslich von seinem Verwandten bezogen hat, um diesem eine jährliche Einnahme zu sichern? Wir antworten mit Nein. Haben sie getadelt, dass ein Frofessor in Personalangaben gelogen hatte, wenn sich das später mit Sicherheit herausstellte? Wir antworten mit Nein. Sind sie ungehalten gewesen, wenn der Ordinarius über die litterarische Thätigkeit seines Docenten frech gelogen hatte? Wir antworten mit Nein. Sind sie in sich gegangen, wenn sie einen Docenten für unfähig erklärt und auf jede Weise zu beschämen versucht und ein Jahr später denselben zum Ordinariat vorgeschlagen haben? Wir antworten mit Nein. Haben sie zu corrigiren versucht oder sind sie eingeschritten, wenn ein früherer Ordinarius die Arbeiten eines Docenten günstig beurtheilt hat, und ein späterer Nachfolger aus persönlicher Missgunst von weit reiferen Arbeiten das Gegentheil sagte? Wir antworten mit Nein. Haben sie verbessert, wenn ein deutscher Ordinarius in einem süddeutschen Blatt drucken liess, ohne vor Scham zu vergehen, dass es gleichgültig sei, „ob dieser oder jener Docent einige Jahre später zur Beförderung und zu grösseren Einnahmen gelange?“ Wir antworten mit Nein. Haben [238] sie verhindert, dass ein Ordinarius alle Fakultätssachen seiner Frau mittheilte, durch welche sie sofort das ganze Städtchen erfuhr, oder wenn er nur dasjenige that, was seine Frau wollte? Wir antworten mit Nein. Hat eine Fakultät verhindert, wenn ein reicher Docent, der weniger leistete, Gehalt bekam, ein ärmerer, der weit mehr leistete, nicht? Wir antworten mit Nein? Hat beispielsweise eine süddeutsche Fakultät sich aufgerafft in all den Jahren, in denen man die Docenten hungern liess mit Rücksicht auf die Finanzcalamität des Staates, wie den einzelnen Docenten von den Regierungsbeamten in der Residenz und von den ordentlichen Professoren an der Hochschule bedauernd gesagt wurde, hat eine dortige Fakultät es als Widerspruch und schreiende Ungerechtigkeit empfunden, wenn dann ein juristischer Ordinarius eine Zulage von 3000 M., ein philosopischer von 2500, ein historischer von 2000 M., ein philosophischer von 1500 M. u. s. w. erhielt? Haben sie im Senat geltend gemacht, dass ein Staat, der solche Zulagen gäbe, nicht in solcher Finanznoth sei, dass seine Extraordinarien hungern müssen oder dass er aus Finanznoth einem Extraordinarius, der fünf Kinder hatte, das Gehalt von 800 M. – schreibe achthundert Mark jährlich – zu geben gezwungen sei? Hat eine Fakultät im Senat zu sagen gewagt, dass dies eine Unbilligkeit sei, unwürdig eines Ministers, eines Professors und einer Fakultät? Wir antworten mit Nein.

Die Fakultäten haben es stets mit den Machthabern [239] und Universitätspäbsten gehalten, und haben die Einflussreichen unterstützt und den Machtlosen grausam von sich gewiesen und mit zertreten helfen. Sie haben es als Fatum betrachtet, wenn der einzelne gegen die Macht der Fakultät nicht aufkommen konnte, ohne ein Glied zu seiner Unterstützung zu rühren. Denn die Mehrzahl in einer Fakultät besteht in der Regel aus schwachen Sterblichen, und jede Auflehnung bringt für den Auflehnenden wieder Nachtheile und Inconvenienzen mit sich, die der Vorsichtige besser vermeidet. Der eine hängt zu sehr von den andern im Collegium ab, wenn er etwas haben will. Der Corporationsgeist der Fakultäten scheint demnach ein übles Ding zu sein, das sich erfahrungsmässig mächtig nur nach unten hin, gegen einen Unterdrückten, gezeigt hat, im Zusammenhalten der Mitglieder nach oben aber stets machtlos gewesen ist.

Ausserdem pflegt eine anständige Minorität in der Fakultät viel zu wenig zu ihrem Recht zu gelangen. Ist sie überstimmt – was meistens vermittelst eines oder zweier charakterloser Männer zu geschehen pflegt, welche sich den Machthabern kritiklos anschliessen – so thut sie in der Regel nichts. Freilich steht ihr dann noch das Mittel des Separatvotums an Senat oder Regierung zur Verfügung, aber jedermann weiss, wie selten dasselbe angewendet wird, besonders wie selten, wenn es sich nur um das Schicksal eines Docenten handelt. Eine solche [240] Angelegenheit ist eben zu unbedeutend, als dass man sich gewöhnlich dabei sehr in Aufregung versetzt. Ja, wenn es sich um den pecuniären Vortheil oder Nachtheil eines Ordinarius handelt, das ist etwas ganz anderes. Da macht man nicht nur Separatvota, sondern schreibt an den Minister, reist verschiedene Male selbst zum Minister, macht Eingaben und Beschwerden – aber das Schicksal eines Docenten ist, wie gesagt, ein zu unwichtige Angelegenheit.

Vor allen Dingen aber verlangt der Berufungsmodus, wie er neuerdings ausgeübt wird, dringend eine Reform der Universitätsverfassung, wie selbst von denjenigen zugestanden wird, welche nicht gern die corporativen Vorrechte ihres Standes aufgeben wollen. Versuchen wir daher, denselben in Kürze zu schildern.

Das akademische Professorenthum erhält heute seinen Hauptreiz, seine Abwechselung, gleichsam seine Etappen, durch die Berufungen, welche an die einzelnen Lehrer ergehen und die in der früheren Zeit in weit geringerer Ausdehnung an der Tagesordnung waren. Gegenwärtig ist auch wieder eine ruhigere Zeit eingetreten, nachdem die Wellen, welche durch die Gründung der Universität Strassburg erregt worden sind, fast alle deutschen Hochschulen Jahre hindurch in Unruhe versetzt haben. Der Ruf, der an den Docenten von auswärts ergeht, hat heute eine solche Bedeutung, dass an manchen Hochschulen überhaupt für jüngere Lehrer nichts geschieht, [241] bevor dieselben nicht einen Ruf aufzuweisen haben.

Der gewöhnliche Modus bei Berufungen ist der, dass eine Fakultät drei Namen nennt (einzelne schlagen auch mehr vor, oder nennen noch Jemand in vierter oder fünfter Linie), von denen die Regierung einen wählt: ceteris paribus gewöhnlich den ersten. Wenn zwei abgelehnt haben, pflegt die Angelegenheit in den Schoss der Fakultät zurückgegeben und eine neue Liste aufgestellt zu werden. Wohlgemerkt, dies ist der Usus, denn die Regierung darf verfassungsmässig in allen deutschen Ländern Professoren anstellen, ohne eine Fakultät zu fragen, und Fakultäten, welche gegen ein solches Verfahren der Regierung protestiren, sind in der Regel über die staatsrechtliche Frage im Unklaren. An den Hochschulen, die einen allgemeinen Senat haben, wird die Berufung, noch bevor sie an das Ministerium kommt, durch einen Senatsreferenten an den Senat gebracht, der die Liste billigen kann oder nicht, gewöhnlich indessen nur an der Reihenfolge der Vorschläge etwas zu ändern findet. Doch hat der Senat auch schon vollständige Vorschläge der Fakultät zurückgewiesen, was besonders dann der Fall ist, wenn schon in der Fakultät selbst eine starke Minorität gegen die Vorschlagsliste sich ausgesprochen hatte.

Man wird behaupten dürfen, dass dieses Verfahren als ein möglichst objectives und gerechtes ausgewählt worden sei, und dass die deutschen Hochschulen [242] dadurch zu einer ausserordentlichen Blüthe gelangt seien. Dennoch wird man sich der Annahme nicht verschliessen können, dass dieser Modus, so vortrefflich er auch noch vor 30 Jahren gewesen ist, heute als überlebt angesehen werden darf, da alle socialen Bedingungen und alle Communicationsmittel ganz andere geworden sind. Damals war ein Professor nur nach seinen Werken und seiner Lehrthätigkeit bekannt, und diese Factoren entschieden für die Berufung. Gewiss giebt es heute noch Hochschulen und Fakultäten und zweifellos zahlreiche Professoren, welche genau nach jenen früheren Principien verfahren, und es hiesse der deutschen Gelehrtenwelt den Todesstoss versetzen, wenn man an dieser Thatsache zweifeln wollte. Aber im allgemeinen sind die Berufungsverhältnisse wesentlich andere geworden. Besonders haben angefangen, Fragen hervorgehoben zu werden, die bei der früheren Abgeschlossenheit der Gelehrtenwelt gar nicht in Betracht gezogen sind und kaum erörtert werden konnten. Wir haben jedoch zwei Arten von Berufungen genau zu unterscheiden, die wirkliche Berufung und die Scheinberufung, welche nur die Stelle einer liebenswürdigen Visitenkarte bei dem Berufenen vertritt, deren er zu geeigneter Zeit eingedenk sein soll.

Bei den wirklichen Berufungen ist in den letzten Jahren bei der Prüfung der Qualitäten eine neue Frage hinzugekommen, indem untersucht [243] wird, ob der verlangte Candidat umgänglich oder liebenswürdig sei. Mit dieser Frage wird verschiedenes gemeint. Bei einem jungen Manne ist sie gewöhnlich gleichbedeutend mit der Frage, ob er Geld habe, und sie entspricht somit der in gewissen Gegenden Deutschlands üblichen Auskunft über „das Gemüth“. In anderen Fällen bedeutet die Frage nach der Liebenswürdigkeit, ob der Berufene geneigt sei, sich der herrschenden Clique anzuschliessen, d. h. ob er möglichst abhängig und unselbständig sei. Nun versuchen uns einige süddeutsche Professoren einzureden, dass es die Dürftigkeit der einzelnen Ordinariatsgehälter sei, welche die Fakultäten zwinge, bei Berufungen auch auf das Vermögen zu sehen. Aber wer wird ihnen diese Ausflucht glauben? Wo kommen jene von ihnen namhaft gemachten Ordinariatsgehälter von 1800–2700 M. noch vor? Vielleicht in Heidelberg, Freiburg und in Jena. Wo aber ist jene Erscheinung des Capitalismus in der Gelehrtenwelt am häufigsten beobachtet worden? In ganz anderen Universitäten, in welchen vor Zeiten die Professoren, damit sie bessere Einnahmen hatten, das Monopol des Weinausschanks besassen. Man wird daher nicht in Abrede stellen können, dass die Gründe für die Bevorzugung vermögender Lehrer bei Berufungen ganz andere sind. Man sieht heute mehr auf die sociale Stellung des einzelnen, als auf die wissenschaftliche, und da die erstere, besonders in kleineren Städten, fast ausschliesslich [244] von der Grösse des Vermögens abhängig ist, so braucht man zunächst den vermögenden Professor, der mit der herrschenden Clique alles mitmachen kann. Aber fast in jedem Falle sind Selbständigkeit des einzelnen, Unabhängigkeit, Objectivität, Charakterfestigkeit Eigenschaften, welche mit dem Begriff der Unliebenswürdigkeit oder Unausstehlichkeit zusammenfallen, und die etwas trockenen, etwas pedantischen, wohlwollenden grossen Gelehrten vergangener Zeiten würden heute von den wenigsten Fakultäten berufen werden. Je mehr aber junge, unreife Streber in den Besitz von Ordinariaten kommen, desto mehr wird man sich bei Berufungen nur nach früheren Freunden und Studiengenossen umsehen. Damit erklärt sich die Thatsache, dass bei den heute so üblichen brieflichen Auskünften über eine Persönlichkeit ein einziger Mensch von der einen Seite als überaus liebenswürdig, von der andern als unausstehlich oder unverträglich geschildert wird, je nach der Stellung, welche der Schreibende zu dem Berufenen eingenommen hat. Corrumpirte Fakultäten berufen lieber eine gefügige wissenschaftliche Null, als eine bedeutende, aber selbständige Kraft.

Aus der Gewohnheit der brieflichen Anfragen ergiebt sich mit Nothwendigkeit, dass an keinem anderen Ort der cultivirten Welt, ausser in den Fakultäten, der Lüge und der Verleumdung so Thür und Hof geöffnet werden. Gewisse Fakultäten in Deutschland stellen chronisch einen Tummelplatz für [245] diese niederen Leidenschaften dar. Man lässt Briefe schreiben in dem Sinne, den man wünscht, man verheimlicht auch Briefe, die man für seinen Zweck nicht brauchen kann, wie man, um zu schaden, auch schon Arbeiten oder Recensionen unterschlagen hat, d. h. zu nennen unterlassen hat, die dem Betreffenden von Nutzen gewesen wären. Die grossen Centralpunkte der schweizerischen Alpenwelt, besonders Engelberg, Interlaken und Pontresina, versammeln in jedem Sommer die halbe Professorenwelt Deutschlands, wo der akademische Klatsch ausgetauscht wird, und daneben giebt es sogenannte Universitätswanzen, welche die Personalien aller deutschen Hochschulen im Kopf haben und für die Verbreitung aller persönlichen Angelegenheiten sorgen.

Die zweite bei den Berufungen vorkommende Frage betrifft die Frau. Man geht heute in manchen Fakultäten weniger von der Voraussetzung aus, ob die Hochschule einen hervorragenden Nutzen haben würde, als vielmehr, ob die Gesellschaft und d. h. die Clique oder der Ring der Vermögenden eine wünschenswerthe Bereicherung erhalten werde. Und dazu ist die Frau nothwendig. Es gilt daher als eine bedeutende Empfehlung, wenn die berufene Frau jung, liebenswürdig, schön oder musikalisch ist. Diese Eigenschaften vermögen sogar einen Ersatz für ungenügende Vermögensverhältnisse zu gewähren.

Aber auch die Frage nach der wissenschaftlichen Beschaffenheit des einzelnen Gelehrten [246] ist heute bei der ungeheuren Ueberproduction nicht ohne Schwierigkeit zu beantworten. Grössere Werke werden gar nicht mehr ganz durchgelesen, sondern die immer mehr in Brauch kommende Gewohnheit der ausführlichen Indices ermöglicht ein Nachschlagen der Stellen, deren man gerade bedarf. Kleinere Aufsätze pflegen in[17] zahlreichen Zeitschriften zerstreut zu stehen, und es gehört grosse Entsagung dazu, um die ganze Thätigkeit eines Gelehrten kennen zu lernen und richtig zu beurtheilen. Bei jüngeren Lehrern entscheidet für die Carriere oft eine Arbeit, deren entscheidender oder neuer Gedanke dem promovirenden Ordinarius verdankt wird, während der glücklich Berufene später nicht selten eine ziemliche Impotenz an den Tag legt.

Wenig von Bedeutung, aber nicht ohne Einfluss sind die Recensionen der deutschen Anzeigeblätter. Wer vorsichtig ist, lässt sich von guten Freunden recensiren. Wer auf Recensionen nichts giebt, hat leicht das ganze Heer der Recensenten gegen sich, die oftmals ihre eigene wissenschaftliche Blösse dadurch zu verdecken suchen, dass sie fleissige Arbeiten in unhöflichem und absprechendem – in der classischen und neueren Philologie oftmals grobem und brutalem – Ton behandeln. In der bedeutendsten norddeutschen Litteraturzeitung, die in manchen Zweigen einen sehr einseitigen Standpunkt der Schulen herauskehrt, findet man unbedeutende Doctorarbeiten, durch welche die Wissenschaft gar nicht [247] gefördert wird, mit grosser Anerkennung behandelt, während wissenschaftlich bedeutende Werke mit Hohn behandelt werden, weil die massgebenden Leiter des Blattes auf einem entgegengesetzten Standpunkt stehen. Nicht selten wird ein Buch in einer Zeitschrift mit Lobeserhebungen bedacht, das in einer anderen der Vernichtung oder dem Papierkorb empfohlen wird, und in zahlreichen Fragen stehen die beiden vornehmsten deutschen Zeitschriften dieser Art in principiellem Gegensatz.

An einem gefährlichen Abgrund bewegt sich auch die Frage nach der paedagogischen Tüchtigkeit des Berufenen. In der akademischen Lehrerwelt stehen sich zwei Lehrmethoden einander gegenüber. Der eine Lehrer vermag die grosse Menge zu fesseln durch einen zündenden Vortrag, bisweilen auch durch eingestreute, sich stets widerholende Witze (welche Mode indessen im Abnehmen begriffen ist), während der andere mehr vorgerücktere Studenten in Uebungen und Seminaren wissenschaftlich zu fördern und zu selbständigen Arbeiten anzuhalten versteht. Ein idealer Lehrer sollte beides leisten können; man wird aber beide Eigenschaften selten bei einem Menschen vereint vorfinden. Im allgemeinen wird an der Hochschule der gute Seminarlehrer vorzuziehen sein, da es weniger schädlich ist, einen mittelmässigen Vortrag zu hören, aber eine gute wissenschaftliche Anregung und Anleitung zu erhalten, als neben einem eleganten Vortrag eine [248] schlechte Anleitung zu bekommen, oder gar keine. Bei dieser Sachlage ist es nicht wunderbar, dass nirgends die Urtheile so auseinandergehen, wie über die Lehrfähigkeit der einzelnen Professoren. Daher nirgends ein so kolossaler Missbrauch in der Anerkennung oder Absprechung getrieben wird, wie auf diesem Gebiet, so dass nicht selten über eine und dieselbe Persönlichkeit die entgegengesetzten Urtheile gefällt werden. So wird auch durch diese Beurtheilung der paedagogischen Fähigkeit, je nachdem man einen Docenten will oder nicht, ein Tummelplatz erzeugt für Intriguen, Lügen und Verleumdungen, wobei es nicht selten vorkommt, dass auch die Gutachten früherer oder gegenwärtiger Zuhörer herangezogen werden, die unter keinen Umständen als kompetente Richter angesehen werden sollten.

Nach dieser Auseinandersetzung wird es begreiflich erscheinen, dass die Berufung als solche mit einem Glücksspiel zu vergleichen ist, bei welchem einer Glück, ein anderer Unglück haben kann. Man wird aber ausserdem einsehen, dass eine Berufung ohne die actuelle Mitwirkung eines einflussreichen Lehrers, Verwandten oder Freundes gar nicht mehr möglich ist. Aus diesem Grunde haben sehr mächtige Männer lange Jahre hindurch fast alle Stellen Deutschlands besetzt. Vor einigen Decennien wurde die Philologie fast in ganz Deutschland von einem einzigen Gelehrten besorgt, der neben zahlreichen Koryphäen der Wissenschaft in den letzten Lebensjahren auch [249] mehrere weniger brauchbare Lehrer empfohlen hat. Auch die Medicin ist lange Zeit hindurch von einem einzigen Gelehrten versorgt worden. Ebenso ist die Inzucht sehr im Zunehmen begriffen, und dass einflussreiche Väter ihren Söhnen, Schwiegerväter ihren Schwiegersöhnen sehr oft günstige Stellungen verschafft haben, ist allgemein bekannt. Es steht fest, dass auf diese Weise impotente Menschen befördert und bedeutende Kräfte, welche einen anderen wissenschaftlichen Standpunkt einnahmen, unterdrückt worden sind. Aber auch sonst haben Lehrer ihre Schüler, deren Unfähigkeit, so lange sie Docenten waren, Niemandem ein Geheimniss war, so lange an den einzelnen Hochschulen ausgeboten, bis sie endlich untergebracht waren, und dann die zuvorkommende angeführte Fakultät mit Schrecken erkannte, was für ein Danaergeschenk ihr angepriesen worden sei. Unter dreissig Berufungen giebt es heute kaum eine, die aus rein sachlichen Motiven und ohne persönliche Beziehungen erfolgt, während bei allen anderen mächtige Lehrer, Freunde, Gönner oder Verwandte dieselben durchgesetzt haben.

Dies sind im wesentlichen die Uebelstände, welche heutzutage durch die Fakultäten und den dominirenden Einfluss einzelner Fakultätsmitglieder an der Tagesordnung sind. Alle diese Unzuträglichkeiten würden zum grossen Theile vermieden werden, wenn zunächst nur Sectionen über ihre Angelegenheiten [250] Anträge stellen, d. h. Vorschläge machen dürften. Die philosophische Fakultät (ohne Mathematiker und Naturforscher) würde also in folgende selbstständige Sectionen zerfallen: 1) alte Sprachen und Archäologie, 2) neuere Sprachen, 3) orientalische Sprachen, 4) Geschichte und Philosophie (doch wird man die Philosophie mit demselben Recht auch anderswo unterbringen können). Die juristische Fakultät würde die Romanisten und Rechtshistoriker wenigstens von den Prozessualisten sondern dürfen, die medicinische Fakultät die Kliniker und Chirurgen von Anatomen und Physiologen. Selbstverständlich aber sollen diese Sectionen keine beschliessende Kraft haben, sondern dürfen nur Anträge stellen, die von einem allgemeinen Forum begutachtet werden müssten, bevor sie an die ausführende Regierung gelangen.

Als das wichtigste erscheint aber, dass die Initiative der Fakultät in Berufungsfragen möglichst eingeschränkt werde. Nun ist von einer Seite vorgeschlagen worden, bei einer Berufung durch Rundschreiben sämmtliche Fachgenossen über den passendsten Candidaten abstimmen und entscheiden zu lassen. Mit vollem Recht ist dagegen eingewendet worden, dass, wenn einmal eine Clique in einem Fach existirt, diese durch das erwähnte Verfahren erheblich gekräftigt und die Objectivität noch mehr geschädigt werden würde. Es kann daher nur einen Weg der Besserung geben – die Macht der Regierung [251] zu stärken. Der Regierungsreferent muss schon in der Commission sitzen, welche durch den Vorschlag von drei Candidaten die Neuberufung einleitet, in welcher, wenn man will, die Fakultät oder die Section den Hauptsachverständigen durch Wahl stellt, dann einen zweiten uninteressirten Sachverständigen aus einer benachbarten Fakultät oder einer praktischen Thätigkeit wählt, während auch die Regierung ausser ihrem Referenten einen Sachverständigen für die Commission aufzustellen hat, sei es in akademischer oder praktischer Stellung. Bei Stimmengleichheit entscheidet der Regierungsdecernent. Die Vorschläge einer derartigen Commission werden am unbefangensten sein. Meinetwegen können sie dann noch einmal durch die Fakultät oder Section gehn, die aber ohne sachliche Motivirung von der mitzutheilenden Liste und ihrer Reihenfolge nicht abweichen darf.

In welcher Weise soll nun die allgemeine Instanz zusammengesetzt sein? Eine kleinere Commission, die etwa den an einigen Hochschulen üblichen, aus Mitgliedern aller Fakultäten zusammengesetzten und vom Rector geleiteten Finanzcommissionen entspricht, hat nicht viel für sich wegen der Gefahr eines überwuchernden Einflusses, den ein einzelner darin ausüben kann. Man wird also lieber einen allgemeinen Senat wählen, der aus sämmtlichen Ordinarien der Hochschule besteht und immerhin die verhältnissmässig grösste Unbefangenheit [252] gewährleistet, während gegen einen engeren Senat (etwa aus Rector und Decanen bestehend) sich dasselbe einwenden lässt, wie gegen die kleineren Commissionen.

Gewiss bietet auch diese Verfassung nicht das Bild reiner Vollkommenheit, aber sie verdient deshalb den Vorzug, weil die Machthaber, Faiseure und Nichtsachverständigen in der Fakultät nicht mehr den Sieg davontragen können. Denn wenn der letztgenannte Zustand chronisch wird, so kann er eine ganze Fakultät corrumpiren, wie auch thatsächlich Fakultäten durch diese Verhältnisse ruinirt worden sind. Besonders aber wird durch die Eliminirung der Fakultäten bei Personalfragen jener verderbliche Corporationsgeist abgetödtet werden, der die Persönlichkeitsfrage in den Vordergrund drängt und Motive und leitende Gesichtspunkte dabei walten lässt, welche von den akademischen Angelegenheiten gänzlich ausgeschlossen bleiben sollten. Und deshalb dürfen wir getrost als Hauptreform des Universitätslebens die Abschaffung der bisherigen Fakultäten bis auf die oben erwähnten Ausnahmen betrachten.

Vielleicht im Zusammenhang mit der Frage der Sectionen wird am zweckmässigsten auch die Frage der Extraordinarien behandelt werden. Wie bereits erwähnt war, sind die deutschen Extraordinarien überall sowohl von den Fakultäten, wie von den Senaten ausgeschlossen. Dieser Zustand ist genau [253] genommen himmelschreiend und um so merkwürdiger, als beispielshalber an Gymnasien bereits die jüngsten Lehrer an den allgemeinen Conferenzen Theil nehmen müssen. Ist es nicht wahnwitzig, dass ein sechzigjähriger Extraordinarius von den Sitzungen ausgeschlossen ist, an denen ein vierundzwanzigjähriger, unreifer Ordinarius Theil nehmen darf? Auch hierin erkennen wir nur den historisch gewordenen Egoismus und die Dünkelhaftigkeit des besitzenden Universitätslehrers, welcher selbst den verdienten und sachverständigen ausserordentlichen Professor von den Sitzungen der herrschenden Classe absperrt. Freilich mag dies mit der Würde vieler Ordinarien unverträglich sein, neben ihren Extraordinarien die Stimme abzugeben, wie ja in manchen akademischen Vortragskränzen in strenger Abgeschlossenheit auf der einen Seite die Ordinarien sitzen, auf der andern die Extraordinarien und Docenten. Wenn man aber den akademischen Körper in Sectionen theilt, so ist kein Grund vorhanden, warum nicht der (mit einem Lehrauftrag versehene) Extraordinarius in einer Section über Fachfragen hinzugezogen werden soll. Ebenso ist aber auch kein Grund vorhanden, warum er nicht, wenn er seinem Schüler eine Doctorarbeit gegeben hat, der Beurtheiler derselben sein und in der Fakultät am Examen Theil nehmen soll, wie oben bereits ausgeführt worden ist.

Für ebenso sinnlos aber wird man halten dürfen, dass an den deutschen Hochschulen beispielsweise [254] der Rector nur von den Ordinarien gewählt wird, während er doch auch der Rector der Extraordinarien und Docenten ist. Viel vernünftiger erscheint deshalb die Einrichtung an der Universität Athen, dass der Rector von allen akademischen Professoren gewählt werden muss. Eine solche Einrichtung würde nur an dieser oder jener Hochschule Bedenken erregen, an der einmal die Zahl der Extraordinarien die der Ordinarien übertreffen könnte.

Es ist ein seltsames Zeugniss für den Conservativismus der deutschen Hochschulen, dass unseres Wissens erst einmal (an einer badischen Universität) ernsthaft der Versuch seitens der Extraordinarien gemacht ist, an einigen Rechten der Ordinarien Theil zu nehmen. Wie vorauszusehn war, völlig erfolglos. Erst ein allgemeiner Ansturm und der ernsthafte Wille der Regierungen wird hier etwas zu ändern im Stande sein und denjenigen Gelehrten eine würdigere Stellung geben, welche neben den Fakultäten die Stellung von Parias einnehmen und in manchen Orten ein Sklavenleben führen, von dem sich die cultivirte Mitwelt gar keine Vorstellung zu machen im Stande ist, eine Stellung, welche die Fakultäten von selbst niemals zu verbessern gesonnen sein werden. Aber hoffentlich findet sich einmal die kräftige Regierung, welche hier hineinfährt und Wandel schafft nach dem Grundsatz des Rechts und der Billigkeit. Denn es ist ein Hohn gegen alle Gesetze der Cultur, dass nur ein Theil der Lehrer an den [255] Rechten und Annehmlichkeiten der akademischen Stellung Theil nimmt, der andere nicht. Vor allen Dingen sollten die akademischen Thorheiten weit mehr, als es bis jetzt geschehen ist, den Weg der Oeffentlichkeit durchmachen, denn erst wenn auch die grossen, leider sehr beeinflussten und abhängigen Tagesblätter der Besprechung dieser akademischen Unvollkommenheiten Raum geben, wird das allgemeine Interesse dafür gesteigert werden.

Und noch eins muss den deutschen Regierungen dringend ans Herz gelegt werden. Die Lächerlichkeit[18] des deutschen Gelehrtenthums ist potenzirt an denjenigen Hochschulen, die in den kleinen Städten sich befinden. Hier wird ebenso die eitle Aufgeblasenheit erzeugt und gross erzogen, wie die kleinliche Concurrenz mit Nachbaruniversitäten, welche jeden Studenten zählt und alles vermeidet, um einen zu verlieren, und wie die ernste Wissenschaftlichkeit Professoren und Studenten zu fehlen pflegt. Während jene der Clique, der Gesellschaft, dem Klatsche leben, zeigen sich bei den Studenten Ausfahrten, Ausritte, Concerte, Theater u. s. w. Nirgends wird gediegenes Arbeiten sichtbar. Das Fehlen aller geistigen Genüsse, wie Concert und Theater, lässt das Niveau der Unterhaltung und der Interessen unglaublich tief sinken und es ist kein Wunder, dass ein Theil der Gelehrten dort mit Nothwendigkeit zu Pedanten und Pfahlbürgern wird. Nun giebt es ja manche, welche schon desshalb den kleinen Hochschulen [256] wohlwollen, weil hier der Student eine ganz andere Rolle spielt, als in den grösseren Städten, und jene ritterlichen Tugenden des Mittelalters, die unserem Studententhum anhaften, hier am meisten gepflegt werden und in Ansehen stehen. Wir können uns aber nicht denken, dass wegen des sehr geringen Procentsatzes der recht vermöglichen oder adligen Studenten willen, welche jene ritterlichen Vergnügungen noch heute bis auf die Hefe zu geniessen pflegen, eine Einrichtung bestehen lassen sollte, welche für das allgemeine zweifellos verderblich wirken muss. Aber auch den vermöglichen Studenten sollte der Staat die Gelegenheit des bequemen Bummelns nicht zu leicht machen. Denn so wenig wir leugnen wollen, dass aus dieser nur dem Vergnügen nachgehenden Studentengesellschaft einzelne Männer ersten Ranges hervorgegangen sind (es scheint überflüssig, an Namen ersten Ranges zu erinnern), so sicher ist es, dass der Durchschnitt die von ihm geforderten Leistungen nicht erfüllt, weder in der Rechtsprechung, noch in der Medicin. Ausserdem aber wäre es doch endlich an der Zeit, auch das deutsche Studententhum von jenem Flitterwerk mittelalterlichen Treibens zu befreien, welches in unsere Zeit nicht mehr hineinpasst und durch seine hohle Form, sein Gepränge, seine Ueberflüssigkeit nicht nur in allen anderen Culturstaaten Kopfschütteln erregt, sondern auch im schroffsten Gegensatz zu den ernsten Forderungen der Jetztzeit steht. Aus [257] diesem Grunde sollte man danach trachten, die kleinsten Hochschulen in grössere Städte zu verlegen. So beabsichtigte die württembergische Regierung schon vor einigen Decennien, Tübingen, das grösste Krähwinkel oder Schilda unter den deutschen Universitäten, von dessen 1400 Studenten ein grosser Theil in einem Dorfe lebt zwischen Cloaken und Misthaufen, nach Stuttgart zu verlegen. Aber der vorsichtige Professorensenat ging damals nicht darauf ein, weil er wohl wusste, dass ein guter Theil der Professoren in Stuttgart keine Rolle zu spielen berufen sei oder gar dem Fluch der Lächerlichkeit anheimfallen würde. Auch die Universität Kiel, die nur ein mühsames Dasein führt, sollte einmal nach Hamburg verlegt werden, während Giessen neben Marburg ganz überflüssig ist und die preussische Concurrenz auf die Dauer nicht wird ertragen können. Ebenso würde die Universität Erlangen eine ganz andere Zukunft in Nürnberg haben. Bevor überall die kostspieligen Bauten für die medicinischen[19] und naturwissenschaftlichen Bedürfnisse hergestellt wurden, hätte man mit den Landständen die Frage der Verlegung sorgfältiger überlegen sollen, damit diese nicht später einmal, wenn sie zur Nothwendigkeit wird, zu ungeheure Kosten verursacht und die aufgeführten Bauten unbenutzt stehen bleiben müssen.

Und so hoffen wir, durch die durchaus objective Darstellung der heutigen Universitätsverfassung die [258] Ueberzeugung beigebracht zu haben, dass, wenn die Verhältnisse so bleiben, wie sie heute liegen, wir am Anfang vom Ende des akademischen Wesens in Deutschland angekommen sind. Wohin man blickt, starren uns Ueberlebtheiten und Unvollkommenheiten entgegen, und es ist leider nicht zu hoffen, dass je mehr eine Metropole des Reichs sich zum geistigen Centrum herausbilden wird, diese Einseitigkeiten und Unzuträglichkeiten um so mehr abnehmen werden. Wohin wir die Augen richten, sehen wir die traurigen Wirkungen, die angestellt hat „der Mensch in seinem Wahn“. Wir schliessen daher mit der Mahnung an alle deutschen Regierungen, besonders aber die preussische:

Videant consules, ne quid detrimenti respublica capiat. [259]


Inhalt.
Seite
I. Der akademische Unterricht 1
II. Die Vorlesungshonorare 13
III. Die schriftstellerischen Honorare 21
IV. Die akademische Doctorfabrik 30
V. Die Staatsexamina 44
VI. Die Ueberfüllungsfrage 53
VII. Die deutsche Kritik 62
VIII. Die Kritik der Fakultäten 76
IX. Uebergehung einheimischer Docenten 85
X. Terrorismus der Schulen 97
XI. Einflüsse des Studentenlebens 109
XII. Die Lobesassekuranzgesellschaft 115
XIII. Gebahren einer Clique 120
XIV. Die Professorenfrau 134
XV. Die politische Thätigkeit der Professoren 146
XVI. Geldbewilligung der Fakultäten 157
XVII. Der akademische Ehrenrath 170
XVIII. Stiftsartige Alumnate 177
XIX. Die Seminare 190
XX. Der Einfluss des Capitalismus 204
XXI. Der Universitätsklatsch 214
XXII. Veränderung der Universitätsverfassung 232

Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS korrigiert: Discresanz
  2. WS korrigiert: aususchliessen
  3. WS Vorlage: Honorar
  4. WS korrigiert: daranf
  5. WS korrigiert: französchen
  6. WS korrigiert: Milamowitz-Möllendorff
  7. WS korrigiert: Wan
  8. WS: Vorlage wnrde
  9. WS korrigiert: zn
  10. WS korrigiert: Verhätniss
  11. WS korrigiert: dasizt
  12. WS korrigiert: komen
  13. WS korrigiert: ausgegeschlossen
  14. Vorlage: Schrifsteller
  15. WS korrigiert: dte
  16. WS korrigiert: derdartiges
  17. WS korrigiert in in
  18. WS korrigiert: Lächerkeit
  19. WS korrigiert medicininischen