anerkannt dürfte es sein, dass bei der heutigen Specialisirung der Wissenschaften nicht zwei Jahre verloren werden können, ohne dass das Fachstudium darunter erheblichen Schaden erleidet. Und in der That wird diese Erfahrung für die Philologie in Württemberg gemacht werden können, dass diese Wissenschaft so darniederliegt, wie in keinem andern deutschen Lande, da der Student viel zu spät mit dem wirklichen Studium derselben anfängt und desshalb weder alle bedeutenden Vorlesungen hören noch jemals zu irgend einer selbständigen Auffassung und geistigen Durchdringung gelangen kann, ausserdem aber durch das vorausgegangene Studium der Philosophie an Allgemeinheiten und an Weltsystem so gewöhnt sein wird, dass er weder Lust noch Fähigkeit mehr besitzt, um jenen mühsamen und zum Theil langweiligen Arbeiten sich zu unterziehen, welche das Studium der Philologie nothwendig macht und ohne welche ein Philologe nicht denkbar ist. Man wird sich daher weder wundern, dass im Lande sehr angesehene Gymnasialdirectoren oder Professoren sogar in den schwäbischen Blättern ihre Verachtung von Conjecturen, Handschriftenlesen und anderm philologischen Kram laut werden lassen, noch wird man gegen das Urtheil etwas einzuwenden finden, dass überhaupt die schwäbischen Philologen und Gymnasiallehrer (2–3 ausgenommen) von der Wissenschaft der Philologie nicht die geringste Vorstellung haben, noch wird man es unverständlich
Hans Flach: Der deutsche Professor der Gegenwart. Leipzig 1886, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Flach_Der_deutsche_Professor.djvu/191&oldid=- (Version vom 17.8.2016)