Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/6. Wissenschaft

5. Die Regenten Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte
von Rudolf Wackernagel
7. Laienbildung
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Sechstes Kapitel
Wissenschaft




Das Bild Basels in seiner großen Zeit ist von bezwingender Schönheit.

Es ist die anmutige Stadt, durch gesteigertes politisches Leben, das Wechselspiel aller wirtschaftlichen Kräfte, die mächtigen Wirkungen eines ausgebildeten formenreichen Kirchentums erregt, stark, vermöglich, von Menschen bewohnt deren gute Art jeder Besucher preist. Sie ist auch der Sitz großer Gelehrter, einer Universität, emsiger Buchdrucker. Ein domicilium musarum. Basel, das den herrlichen Strom des Reiches, die helle weite Ebene und den Zutritt zum Berglande beherrscht, hat auch die dominierende geistige Macht.

Träger solcher Macht sind zwei Gruppen: die Genossen der Universität und die außerhalb dieses Verbandes stehenden Gelehrten. Durchaus verschieden ist schon die Überlieferung der beiden Komplexe. Dasein und Tätigkeit der Akademiker sind dokumentiert wesentlich durch Akten. Die freien Gelehrten leben vor Allem durch ihre eigenen Äußerungen, ihre Briefe und Werke; sie haben auf jede Weise besser und bewußter für ihr Andenken gesorgt als Jene. Bei den Universitätsgelehrten ist ein Sichverlassen auf Gegebenes und Vorhandenes, ein Getragensein durch dieses; im andern Lager waltet das Verlangen nach Freiheit von traditioneller Form und Denkweise. Hauptsächlich im Bereiche der Universität mögen die Alten, die Sophisten, sich finden; hauptsächlich im Bereiche der freien Gelehrsamkeit die Modernen, die Humanisten. Aber diese Sonderung ist nicht durchweg zutreffend. Und auch davor hüten wir uns, in den Unterschieden der beiden Gruppen völlige Trennung sehen zu wollen. Übermächtig ist die große, keiner Teilung und keiner Verkümmerung zugängliche Einheit geistigen Lebens.

[127] Die allgemeine Erscheinung der Universität zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts, in einer Zeit die sonst voll Leben war, ist dürftig. Schon das Entstehen andrer Studienplätze, auch so entlegener wie Wittenberg 1502, Breslau 1505, Frankfurt a. O. 1506, wirkte hemmend. Epidemien sowie kriegerische Unruhen störten. Schlimmer waren Ungenügen und Nachlässigkeit der Dozenten selbst. Wimpfeling fand, diese Anstalt sei so schwach, daß er ihr keinen Schüler anvertrauen möchte, und Zasius schalt darüber, wie leicht es hier den Doktoranden gemacht werde.

Diese Zustände wirkten unmittelbar auf das Verhältnis der Universität zur Stadt. Sie gab zu wenig durch eigene Anstrengung dem Rate Sporn und Beispiel, auch seinerseits nicht nachzulassen. Sie imponierte nicht mehr wie einst.

Im Zusammenhange mit den allgemeinen Reformarbeiten der 1490er Jahre standen auch Beratungen über Reorganisation der Universität. Im Jahre 1500 gab sie sich neue Statuten. Sie ordnete die Verwaltung ihrer Gelder. Und im Rate selbst wurde den Mutlosen gegenüber im hochgestimmten Jahre 1501 die Erklärung durchgesetzt, daß Basel trotz Allem an seiner hohen Schule festhalte. Aber mit diesem Beschlusse verband der Rat keineswegs eine Steigerung seiner Leistungen. Im Gegenteil. Er strebte nach möglichster Erleichterung des Fiskus. 1504 ließ er durch den Kardinal Raimund, der damals in Basel sich aufhielt, die der Universität zugewiesenen Pfründen gleichmäßig und einheitlich mit der jährlichen Leistung eines Geldbetrages, einer pensio, für Besoldung der Professoren belasten; 1507 sodann bestimmte er die Höhe des städtischen Zuschusses an die Universität auf zweihundert Gulden im Jahre, wogegen aber jene Pensionen der Pfründen ihm zufallen sollten. Die tatsächliche Leistung der Stadt blieb somit stark unter den vorgesehenen zweihundert Gulden, und mit Befriedigung konnte die Finanzbehörde bei Ablegung der Jahresrechnung konstatieren, daß die Stadt nicht mehr „Schaden“ mit der Universität gehabt habe. Mit diesem Beschluß über die städtische Subvention waren noch andere Regelungen verbunden; das Ganze hatte die Bedeutung eines Vertrages, in dem die akademische Regenz auch auf die Befreiung von Fleischungeld u. a. m. verzichtete. Es bezeugten sich dabei so gut das Zufriedensein der Universität mit einer untergeordneten Stellung als die begreifliche Neigung des Rates, an diese Anstalt, wie sie nun einmal war, nicht mehr zu wenden als sie verdiente.

Unter der Herrschaft solcher Anschauungen stand das Dasein der alten Universität.

[128] Wir nehmen wahr, wie in den Akten des Rates, die während der frühern Jahrzehnte beständig von Universitätsdingen gehandelt haben, dieser jetzt kaum mehr Erwähnung geschieht. Der Rat scheint die Anstalt sich selbst zu überlassen. Nur einmal, im Jahre 1512, als alle Gedanken hoch gingen und der Rat seine an Papst Julius zu bringenden Wünsche formulierte, redete er auch davon, die Erträge der in den Papstmonaten vakant werdenden Pfründen zu Stadt und Land für die Universität zu begehren; der Plan blieb unausgeführt.

Sprechend sind sodann die Frequenzzahlen. Während in den vier ersten Jahrzehnten der Durchschnitt der jährlichen Immatrikulationen achtundneunzig betragen hatte, kam er in der Periode 1500—1526 nicht höher als sechsundfünfzig. Eine starke Abnahme zeigten auch die Promotionen in den einzelnen Fakultäten.

Natürlich kamen dazwischen momentane Hebungen. Die Ordnung von 1507 scheint eine Vermehrung des Lehrkörpers bewirkt zu haben, namentlich die Anstellung eines Dozenten der Poesie, „damit die Studenten desto lustiger seien herzukommen“. In der Tat folgte eine Zunahme der Immatrikulationen während einiger Semester. Und Ähnliches zeigt sich später, da Glarean Capito Cantiuncula Vorlesungen hielten. Aber diese Namen weisen schon auf ein Neues Zukünftiges. Sie stehen vereinzelt. Die Erscheinung der Universität im Ganzen verrät deutlich das Schwinden der ehemaligen Kraft.

Heynlin war 1487 ins Kloster gegangen, 1496 gestorben; Sebastian Brant und Ulrich Kraft hatten Basel im Schicksalsjahre 1501 verlassen; seit 1503 war Surgant tot. Aber kein Gleicher ersetzte diese Männer.

Das Meiste, was wir in diesen Jahrzehnten von der Universität her vernehmen, ist Streit, ist Kollegengezänk und Prozeßlärm. Derselbe Mauricius Fininger, der als Prior in seinem Augustinerkloster den ihn ärgernden Ordensvisitator durchprügelte, zankte sich hier bei den Theologen unaufhörlich mit seinem Fakultätsgenossen Jeremias Rumel dem Leutpriester auf Burg. Auch sonst kennen die akademischen Annalen diesen Rumel hauptsächlich als Händelmacher, und es war wohl dieser ewige Streit, der ihn zuletzt von hier forttrieb; 1518 finden wir ihn als Prädikanten in Urach. Mit aller Leidenschaft ergab sich auch der juristische Professor Jacob Göttisheim der Wahrung wirklicher oder prätendierter Rechte. Er führte Kämpfe mit der Regenz, mit der Fakultät, mit einzelnen Kollegen wie Capito; er hatte einen Injurienhandel mit dem Kaufmann Peter von Wissenburg, und aus diesem Zank entwickelte sich ein jahrelang dauernder Streit mit dem Basler [129] Rate selbst. Noch im Verlaufe dieses Streites verließ Göttisheim Basel und übernahm das Amt des Offizials beim bischöflichen Hof in Straßburg.

An Stelle solcher Nichtigkeiten wünschen wir das wissenschaftliche Leben der Universität kennen zu lernen. Wir greifen dafür nach den umfangreichen Bändereihen der damals in Basel gedruckten Grammatiken Vocabularien Summen Repertorien Expositionen u. dgl. und hoffen, in Vorreden oder Nachreden dieser Werke den Basler Dozenten als Autoren zu begegnen. Aber Angaben dieser Art fehlen durchaus, nur die Drucker nennen sich. Und doch glauben wir, einer so mächtigen Masse der am Orte selbst publizierten wissenschaftlichen Literatur gegenüber, auch an eine hier geschehende Verfasserarbeit denken und diese in den Stuben der Universitätslehrer suchen zu sollen. Mehr als Vermutung ist bei der Stummheit der Werke selbst nicht möglich, und damit sinkt auch diese ganze Gelehrtenwelt wieder in ein Halbdunkel zurück. Wir sehen keine Tätigkeit, wir sehen keine Personen, wir haben beinahe nur mit Namen zu tun. Mit den Namen jener Dozenten zunächst, die durch Jahrzente hindurch im Gleichen und Hergebrachten beharrten und Alles überdauerten. Solcher Art waren Werner Schlierbach, der von den 1480er Jahren bis in die 1520er an der Artistenfakultät wirkte, und Johann Mörnach, der anfangs bei den Theologen, seit 1489 bis in die 1520er Jahre bei den Juristen dozierte. Sodann der Kleinbasler Johann Tunsel genannt Silberberg, der 1481 hier sein Studium begann, Bologna und andre Universitäten besuchte, dann 1497 wieder in Basel sich zeigte und von da an, mit Unterbrechung durch eine kurze akademische Tätigkeit in Heidelberg, der heimatlichen Anstalt als medizinischer und juristischer Lehrer diente bis zu seinem Tode 1526. Weiterhin Johann Gebwiler, Sohn des Klosterschmieds von St. Katherinen in Colmar. Schon 1465 studierte er in Freiburg, 1469 in Basel. Dann wird er erst nach Jahrzehnten wieder sichtbar, von seinem Eintritt in die theologische Fakultät 1504 an, in Verbindung akademischer Arbeit mit Kirchendienst und Pfründengenuß. Von schriftstellerischer Arbeit erfahren wir nichts; doch wurde er 1513 des Plagiats an einem der logischen Compendien des Erfurter Dozenten Jodocus Trutvetter beschuldigt.

Aus den Juristen mögen genannt werden der nur im Jahre 1504, mit ungewöhnlich hoher Besoldung, lesende Johannes Cinus aus Spanien, und der Basler Arnold zum Luft. Dessen kräftige Gestalt greift nach allen Seiten über den Dozenten hinaus. Arnold war von 1506 an Vizekanzler der Universität. Zeugnisse eines freieren und umfassenden Geistes sind sein Studium in Siena, seine Beziehungen zum Kreise Heynlins und [130] Brants sowie seine reiche Privatbibliothek. Außerdem aber wirkte aufs Stärkste in ihm die Kirche, das geistliche Amt; über den Widerstand des Domkapitels hinweg und den bestehenden Statuten zum Trotz gewann er 1474 eine Domherrei am Münster; nach Bernhard Öglin versah er über ein Jahrzehnt hin die Stelle des bischöflichen Offizials; daneben besaß er von 1473 an bis zu seinem Tode 1517 die Muttenzer Familienpfarrei der zum Luft. Wir übersehen endlich auch nicht einen aus der frühern großen Zeit der Fakultät Übriggebliebenen: den Herrn Friedrich von Guarletis. Er hatte vor bald einem halben Jahrhundert das Studium des römischen Rechts in Basel begründen helfen, dann den Niedergang dieses Studiums erlebt und war immer noch da. Einst der vornehmste der Basler Professoren gab er jetzt vor Allem durch seine Schulden zu reden; als er 1510 starb, kam es auf Verlangen seiner vielen Kreditoren zur gerichtlichen Besorgung des Nachlasses. Einer seiner Schwiegersöhne, Gerhard de Lupabus, versah eine juristische Lektur; bekannter ist er geworden als Freund des Erasmus und als Schloßherr zu Bottmingen.

Andre Figuren regen sich bei den Theologen: Phrygio und Wytlenbach und Ludwig Bär. Von diesen Dreien werden wir anderswo zu reden haben. Dagegen beschäftigt uns hier der vielgenannte Mathis Hölderlin (Sambucellus). 1513 trat er als Doktor in die Fakultät ein. Er war auch Kaplan zu St. Peter und zeitweise Pleban des Domstifts. Von seiner Theologie wissen wir nichts; aber in der Matrikel lesen wir Jahr um Jahr die durch ihn jedem neuen Rektor gewidmeten Strophen und ebenso in der Basler Bibelausgabe von 1509 sowie in Murners Studentenspiel seine Verse. Daß er dem Sebastian Brant nahe stand und ihn zur Dichtung seiner Oden auf die Passion, zur Edition von Freidanks Bescheidenheit trieb, gibt seiner Gestalt eigenen Reiz und hebt ihn aus dem Kreise der übrigen Universitätsleute. Denn auch zu Jacob Locher hatte er Beziehungen, und dem Leontorius war er vor andern teuer. All das sind Äußerungen eines neuen Geistes, und wir dürfen fragen, ob nicht bei dem Lehrer der Poesie, von dessen Anstellung 1507 geredet wurde, an Hölderlin zu denken sei. Jedenfalls ist von Interesse, daß im berühmten Kampf über die antiken Dichter auch Hölderlin den Angriffen Wimpfelings ausgesetzt war. Desselben Wimpfeling, mit dem er kurz vorher über den Priesterkonkubinat gestritten hatte.

Das an sich kümmerliche Bild des medizinischen Studienbetriebes gewinnt Leben und Ausdehnung durch Beachtung auch der Praxis. Diese unterstand der Aufsicht der Fakultät. Sie war ein Teil ihres Daseins, in [131] einem Maße, wie dies bei keiner andern Fakultät sich wiederholte. Wir dürfen daher an einzelne Praktiker hier wenigstens erinnern. Neben den Scherern Bernhard und Hans Kegel 1505, Bernhard Brand und Martin Jeckelman 1508, Ludwig Schopper von Bibrach 1514, Georg Sporhein 1516 f. u. A., neben dem „Blatterarzt“ und Wundarzt Stefan Bart 1511 f. und dem „weit- und hochberühmten“ Spezialisten des Steinschnitts Meister Sigmund 1506 f. wollen erwähnt sein: Eucharius Holzach, den Leontorius in seinen Beschwerden konsultierte, und Johann Silberberg, der den Bischof Christoph behandelte. Zu Diesen tritt, vom Apothekergewerbe her in die Fakultät kommend, Oswald Bär. Wir werden diesem merkwürdigen vielseitigen Manne, einem gebornen Südtiroler, noch oft begegnen. Nachdem er als Wiener Magister und nach einigen Semestern Studiums in Freiburg ein Jahr lang die Schlettstädter Schule geleitet, erheiratete er mit der Witwe des Nicolaus Caramellis auch dessen renommierte Apotheke in Basel und lieh sich zugleich bei der Universität einschreiben, im Wintersemester 1510/11. Schon 1511 praktizierte er hier als Arzt; 1512 promovierte er zum Doktor der Medizin. 1521 hieß er Meister Oswald der Arzt zum Blumen. Andre Fakultätsmitglieder waren Peter Wölfflin, Sohn des alten Professors und Stadtarztes Werner, 1492 in Bologna zum Doktor der sacratissima medicina kreiert, und Berthold Barter. Dieser ist vor den Meisten seiner Kollegen dadurch ausgezeichnet, daß er es zu einer medizinischen Publikation gebracht hat, dem in einem der Epidemiejahre 1519 oder 1526 veröffentlichten Regiment wider die Pestilenz. Im Übrigen sehen wir auch ihn in Injurienhändel an der Universität verwickelt; außerakademisch aber machte er von sich reden als Besitzer eines Silberbergwerkes im Sulzmattertale, das er 1518 und 1519 selbst betrieb; später als Herbergswirt zur Krone in Basel und als Eigentümer der Klybeck.

Die lebendigste Figur der Fakultät aber ist Johann Roman Wonnecker. Er stammte aus Windecken bei Hanau und studierte in Erfurt, wo er auf Michaelis 1479 inskribiert wurde. Mit dem Schererknechte Hans von Windeck, der 1485 in Basel genannt wird, vielleicht identisch, muß er sich in den folgenden Jahren zu wissenschaftlicher Bildung gebracht und hiebei ausgezeichnet haben. Denn am 15. April 1493 wurde er hier zum Stadtarzt ernannt mit einer Besoldung, die höher war als die seinem Vorgänger gereichte; auch veranlaßte der Rat seine sofortige Aufnahme in die medizinische Fakultät und erlegte für ihn die Eintrittsgebühren. Wenn dann auch allerhand Gerüchte über die Vergangenheit Wonneckers durch die Stadt liefen, so verlor er doch nicht das Vertrauen der Behörde, blieb vielmehr [132] drei Jahrzehnte lang an seiner wichtigen und ausgesetzten Stelle. Jedenfalls ist die Beweglichkeit und Zuversicht dieses Geistes bemerkenswert. Wonnecker war Arzt, ließ sich aber bald auch unter die Advokaten der bischöflichen Curie aufnehmen und wurde Doktor der Rechte, wie er Doktor der Artes und der Medizin war. Er befaßte sich mit der Ausarbeitung von Kalendern und Aderlaßregeln. Daß er hiebei sowie durch seine Praxis zu Vermögen kam, zeigt uns sein großer Liegenschaftsbesitz. Zuletzt sollte ihn sein Ehrgeiz noch ins Feld der theologischen Kämpfe treiben. Er starb in den ersten Tagen des Februars 1524.


So beschaffen war die Universität.

Äußerlich gesehen eine große Erscheinung im städtischen Wesen. Noch immer ausgezeichnet durch ihren Reichtum an Formen, ihre offizielle Geltung. Sie wirkte an sich als Gesamtheit, als ein Komplex von Rechten und Voraussetzungen höchster Art. Die imposante Macht des Begriffes Universität deckte freilich nicht die tatsächlich vorhandenen Mängel und Schwächen. Aber Jeder konnte auch in dieser bejahrten Gestalt noch das Unvergängliche erkennen. Es offenbarte sich noch immer im Wesen und Wirken einzelner Lehrer. Mächtiger in der Jugend, um deren Willen ja auch diese hohe Schule auf Erden war.

Denn Helligkeit und Frische ist um uns, sobald wir die Akten der Dozenten lassen, die Matrikeln und Promotionenlisten aufschlagen. Diese sind, die für das ewige Leben einer solchen Anstalt zeugen. In den mit jedem Semester neu gestalteten Schülerscharen ist die Verbürgung des Sieges über alles Veraltete gegeben; die Kraft zuversichtlicher Verheißung braust durch diese Reihen, in denen dichtgedrängt die Namen kommender großer Zeiten stehen, von Humanisten, von Kaufherren und Ratsgewaltigen, von Geistlichen einer neuen Kirche, von Juristen und Ärzten, von Lehrern, von Buchdruckern.


Dem Eintritte der jungen Buchdruckerei in das wirtschaftliche System der Stadt haben wir beigewohnt. Was dort als Versuch und Ausnahme begonnen worden war und seitdem eine Praxis gebildet hatte, erhielt offizielle Bestätigung. 1507 beschloß der Rat, daß das Buchdruckergewerbe frei und dem einzelnen Drucker überlassen sein solle, sich nach seinem Gutdünken eine Zunft zu wählen. Der damals Basel bewegende Kampf für eine zunfthandwerkliche Wirtschaftsordnung ging bezeichnenderweise an den Buchdruckern vorbei; ihnen wurde ermöglicht, die am größten Gearteten [133] und für den weitesten Bereich Arbeitenden in Produktion und Export Basels zu werden.

Alles war der Reife nahe. Die lokale Geltung so gut wie der Außenverkehr dieses Gewerbes. Es hatte seine ausgebildete Fähigkeit und anerkannte Bedeutung für den Dienst von Kirche und Staat, für die Wissenschaft, für eine allgemeinere Wißbegier. Als die drei großen Mächte, die über dem Gelehrtenleben walten, nennt Pellican den Rat, die Universität, die Chalcographi.


Zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ist von den Druckern der frühern Zeit noch Lienhard Isenhut wenige Jahre hindurch tätig; Johann Bergman hat sich nach dem Weggange Sebastian Brants vom Bücherproduzieren zurückgezogen; auch Martin Flach ist seit 1500 ausgeschieden. Noch sind einige Ausdauernde der alten Generation tätig; aber neben ihnen treten schon Neue hervor, und in immer größerer Fülle zeigen sich Individualitäten. Hinter dem örtlichen Wachsen tönt der Schritt einer allgemeinen Entwickelung.

Niklaus Keßler ist Zunftmeister, dann Ratsherr zum Schlüssel und hat in diesem Haus auch seinen Buchladen. Als Drucker bleibt er im gewohnten Gleise; seine Presse scheint nur für theologische philosophische und grammatische Werke alter Observanz vorhanden zu sein. In Allem zuverlässig und ruhig erlebt er das Widerspiel hievon in seinem Sohne Bernhard; dieser ist nicht Drucker, sondern Buchhändler und Kaufherr; er macht schlechte Geschäfte; er verfehlt sich soweit, daß er, noch bei Lebzeiten des Vaters, auf ewig aus Basel verbannt wird.

Auch Jacob Wolf von Pforzheim hält zur Zeit noch die bisherige Art der Produktion fest: neben Theologischem und Erbaulichem pflegt er die Spezialität der Missale u. dgl., die er für die Diözesen von halb Europa druckt.

Dagegen gefällt sich Michael Furter, wie er stets getan, in Mannigfaltigkeit. Er druckt Bücher aus den verschiedensten Gebieten und vollbringt die Großtat der Etterlinchronik 1607. Kein andrer Basler Drucker der Zeit produziert so viel deutsche, so viel illustrierte Werke.

In dieser Richtung der Besonderheiten, der Aktualitäten, der deutschen Bücher bauen dann Lamparter Adam Petri Gengenbach weiter.


Schon vor Jahrzehnten konnten wir den Johann Amerbach bewundern; jetzt noch ist er ungebeugt. „Du bist wie Deukalions Söhne aus Stein [134] geschaffen, ich als Sohn Adams aus Lehm“, ruft ihm 1511 der kränkelnde Reuchlin zu. Am 25. Dezember 1513 stirbt Amerbach, dreiundachzigjährig; und welche Lebensfülle bis in seine letzten Zeiten!

Indem Amerbach in seinem Berufe nicht der Diener und noch weniger der Ausbeuter der Gelehrten sein wollte, sondern ihr Mitarbeiter, verkörperte er die Eigenart des damaligen Buchgewerbes in hohem Maße. Er zeigte das Stolze, aber auch das Verpflichtete solcher Stellung. Frisch bis zum letzten Atem und sich so wenig schonend wie die Andern, hatte er seine Auffassung der Buchdruckerei als einer heiligen, zur Ehre Gottes geübten Kunst. Als „impressor sanctissimus“ stellte er seine Arbeit in den Dienst der ersehnten Regeneration von Christentum und Theologie. Er druckte zahlreiche Bücher; aber kein Vielerlei und nichts Kleines, sondern meist wuchtige großformatige vielbändige Werke, Quellenschriften ersten Ranges. Mit gründlicher wissenschaftlicher Bildung und unermüdlicher Sorgfalt für Korrektheit der Texte bis ins Kleinste verband er einen großen geschäftlichen Zug. Dabei bediente er sich, nachdem er lange Zeit hindurch meist allein gearbeitet hatte, von der Jahrhundertwende an dauernd des Mittels der Gesellschaft. Zuerst mit Froben, dann mit Diesem und Petri. An die großen Werke der frühern Periode schlossen sich jetzt die Bibelausgaben mit den Postillen, die Sammlungen der Bücher geistlichen Rechtes, die Karthäuserstatuten, der Beginn des Hieronymus, lauter mächtige Publikationen. Froben tritt dabei zurück, während Petri die kenntlichere Figur ist. Johannes Petri aus Langendorf war ein fränkischer Landsmann Amerbachs, gleich Froben. In Basel begegnen wir ihm seit 1488. Nur selten arbeitet er für sich allein; seine Tätigkeit ist in Gesellschaften, zuerst mit Froben, dann mit Diesem und Amerbach; in dieser Societät der drei Johannes heißt er „der große Meister Hans“. Ein Egoismus, der wenig Rücksichten duldet, kann ihn unbequem machen; aber er kompensiert dies durch seine Kenntnis aller Geschäfte, seine technische Fertigkeit, die reichen Anregungen, die seine unternehmungslustige Gewandtheit und Tatkraft bieten.

Neben das Leben in dieser Societät treten die Beziehungen zu Anton Koberger in Nürnberg. Koberger, als Fürst der Buchhändler gepriesen, hatte seit ca. 1470 seine eigene Druckerei; er ließ aber auch fremde Pressen, in Straßburg und namentlich in Lyon und Basel, arbeiten. Hier in Basel war er in solcher Weise schon bei Drucken Amerbachs, später, in der Form des Kommanditbetriebes, bei solchen der Gemeinder Amerbach Froben Petri beteiligt. Eine Fülle ächtester Zeugnisse zeigt uns diesen Verkehr. Mit aller Wahrheit des Lebens zumal bei den Verhandlungen über die beiden [135] Bibelwerke des Nicolaus von Lyra und des Hugo von St. Victor, da die Basler diese Bändereihen zum Teil auf Kosten Kobergers als Verlegers druckten, außerdem aber noch zu seinem Schaden den Hugo selbst nachzudrucken unternahmen. Die Beziehungen wurden deswegen nicht abgebrochen. Aber Koberger machte den Versuch, die drei so betriebsamen Männer in seine Nähe und wohl auch Gewalt zu bringen. Aber sie lehnten die Einladung nach Nürnberg ab, und Koberger verstand sich zur Fortsetzung des bisherigen Verhältnisses, sofern die dabei produzierten Bücher vom Zoll und andern Erschwerungen befreit würden. Worauf die Basler Societät die Sache vor den Rat brachte. Ihre Darlegungen, daß das in Frage stehende Bibelwerk von Hugo mehr als drei Jahre Arbeit kosten und dreißig bis vierzig Gesellen beschäftigen werde, bewogen den Rat, ihr zu entsprechen; er bewilligte am 22. Oktober 1505 den drei Gemeindern eine große Zollermäßigung, samt der Freiheit vom Kaufhauszwang für das importierte Papier, der Lossagung von persönlichem Wacht- und Kriegsdienst und dem Recht auf ein Klafter Holzes von jedem Holzschiffe, das an den Rhein komme. Die Folge dieser Bewilligung an die eine Gesellschaft war schon im folgenden Jahre, am 13. Juni 1506, die den Basler Druckern insgesamt bewilligte Ermäßigung des Ausfuhrzolles.

Voll Bewegung und Kraft ist das Bild des großen baselisch-nürnbergischen Betriebes. Alles kommt in diesen Briefen zur Sprache: die Arbeit in Kontor und Werkstatt, die Verabredungen auf den Messen, die Versendung der Bücher an den Verleger und an die Faktoreien in Paris und Lyon, die Abrechnungen usw. Auch unmittelbar persönliche Äußerungen der Beteiligten vernehmen wir. Sie haben das Bewußtsein dessen, was sie sind und was sie leisten. „Fast auf uns allein ruht und steht der Buchhandel in deutschen Landen“, ruft Koberger dem Basler Freunde zu.

Über Alles hin ergreift uns die Vorstellung des weiten, durch Amerbach mittelst dieser glücklichen Verbindung von Kräften beherrschten Gebietes. Wie diese Größe internationalen Wirkens imponiert, so der persönliche Wert des Mannes.

Amerbach kaufte 1482 das Haus zum Kaiserstuhl an der Rheingasse als Wohnhaus; für das Buchgeschäft mietete er das Haus zum Sessel am Totengäßlein. Im Kleinbasler Hause lebte er mit seiner Ehefrau Barbara Ortenberg und den Kindern, die ihm spät, einem Fünfziger und Sechziger, geboren wurden: Bruno 1485, Basilius 1488, Margaretha 1490, Bonifacius 1495. So wenig wie als Geschäftsherr scheint er als Hausvater [136] schwach gewesen zu sein. Die einzige Tochter enterbte er, weil sie ohne sein Wissen sich mit Jacob Rechburger verheiratet hatte. An die gute Ausbildung der Söhne wendete er Alles und setzte die Ziele hoch, die sie als Drucker und Gelehrte erreichen sollten; Erasmus pflegte später zu scherzen, daß Amerbach seine Söhne zum Zwecke der Wiederherstellung der guten Autoren gezeugt habe. Den Bruno schickte Amerbach mit zwölf Jahren, den Basilius mit neun 1497 in die berühmte Schlettstädter Schule; dann, nachdem sie Beide 1500/1501 die Universität Basel besucht hatten; zum Studium nach Paris. Nach nochmaligem kurzem Aufenthalt in Basel 1506 kehrte Bruno zu den Pariser Studien zurück und ging Basilius 1507 zum Rechtslehrer Zasius in Freiburg. Inzwischen war auch Bonifacius herangewachsen, bis das Jahr 1507 auch ihn entführte, erst ins Engental zu Leontorius, dann nach Schlettstadt zu Hieronymus Gebwiler. Erst von 1509 an, während weniger Jahre, sehen wir die Brüder Amerbach beisammen im Elternhause. Unter ihnen tritt der älteste, Bruno, als der geistig Bedeutendste hervor. Schon 1502 hat ihm zu Beginn der Pariser Studienjahre der amerbachische Hausfreund und Nachbar Surgant seinen Studentenführer, das Büchlein de regimine studiosorum, gewidmet mit begeisterter Lobpreisung der Herrlichkeit wissenschaftlichen Arbeitens, mit Hinweisung auf das große Vorbild seines Vaters.


Wir sahen schon, welchen Halt das durch nicht gewöhnliche Menschen vertretene Basler Buchdruckgewerbe der gelehrten Tätigkeit zu bieten vermochte. Auch jetzt fühlen wir diese Kraft. Nicht um einen Dozenten der Hohen Schule, sondern um einen Typographen sammelt sich der Kreis, dessen Bestehen und Wirken dieses Jahrzehnt der Basler Geistesgeschichte zu einem denkwürdigen gemacht hat. Es ist der prachtvolle Komplex eines vielgestaltigen freien und hochgerichteten Lebens.

Vereinzelt spielen auch frühere Beziehungen herein. So Amerbachs alte Bekanntschaft mit dem Basler Wilhelm Copus in Paris, der jetzt einer der gefeierten Mediziner der Zeit und königlicher Leibarzt ist; wie er, so nimmt sich dort auch Ludwig Bär aus Basel der jungen Amerbache an. Die Freundschaft mit Albrecht Dürer ist ebenfalls ein Geschenk früherer Jahre; jetzt findet sie frische Belebung im Verkehre mit Koberger. Auch Sebastian Brant in Straßburg ist eine der unvergeßlichen Gestalten; die Ehren des weltberühmten Schriftstellers und des hohen Beamten umgeben ihn; aber aus den einstigen Basler Beziehungen wirkt Manches weiter. Zu einer der großen Bibelausgaben Amerbachs spendet Brant Widmungen [137] Marginalien u. a. m.; mit den Amerbachsöhnen zusammen läßt er seinen Onufrius in Paris studieren.

Johann Amerbach ist ein Druckerherr, aber auch ein Gelehrter. Er hat in Paris gelebt und in Venedig; in seiner Bibliothek stehen neben Bibel und Kirchenvätern die geliebten Klassiker des Altertums; er besitzt eine Sammlung italiänischer Kupferstiche und Holzschnitte. Seine Schlettstädter Verehrer Gebwiler Sapidus Phrygio gehen bei ihm aus und ein oder schreiben ihm huldigende Briefe. Auch Wimpfeling ist sein lieber Freund. Und breiten Raum nehmen die Karthäuserbeziehungen ein. Er verkehrt als Nachbar mit den stillen Vätern des Kleinbasler Klosters; von allen seinen Werken schenkt er diesem Hause die Erstlinge, dazu andre Gaben in Menge, Fische Gewürze Wein Papier usw., auch Glasgemälde und eine Altarpfründe. Die Sympathie für den Orden, die Amerbach seinen Erstgebornen nach dem heiligen Bruno nennen lässt, führt ihn über Basel hinaus. Auch der Prior von Itingen wird sein Freund; ebenso der gelehrte Freiburger Prior Gregor Reisch; im Jahre 1510 läßt Dieser die Ordensstatuten in prächtiger Ausstattung durch Amerbach veröffentlichen.

Köstliche Einblicke in einzelne Existenzen werden uns durch die Dokumente dieses amerbachischen Zirkels eröffnet. Da ist der Beichtvater der Nonnen an den Steinen, Herr Georg Epp, der dem Amerbach bei der Edition des Bibelkommentars hilft und mit einem Exemplare dieses Werkes belohnt wird. Da ist der Leutpriester zu St. Theodor, Erbe der Freundschaft seines Amtsvorgängers Surgant zum amerbachischen Hause; auf seinen Bücherbrettern sehen wir einen Juvenal liegen, die Schriften Platos, die Elegenatiae des Valla. Zur Nachbarschaft gehören auch die Theodorsschulmeister Jacob Brun und Jacob Salzman (Salandronius). Den Brun erfreut Amerbach von Zeit zu Zeit mit einer Einladung an seinen Tisch; er leiht ihm aus seiner Bibliothek den Persius und den Properz; doch bekennt der gute Brun seine Schwäche im Lateinischen. Andrer Art ist Salandronius, von Maibach im Rheintal, 1504 in Basel immatrikuliert. Er studiert den Angelus Politianus und genießt den Pontanus; ein „in pros und carmine“ geschickterer Mann als Dieser sei nie auf Erden gewesen. Auch von Chur aus, wo er 1511 Lehrer geworden, bleibt er mit den Amerbachen verbunden; in geschwätzigen Briefchen läßt er die alten lustigen Basler Erinnerungen wieder aufleben, die er mit den Amerbachsöhnen und Fontejus teilt, seine leichtfertigen Anspielungen gegen Bruno sind ein Gegenstück zu den ernsten Worten Wimpfelings. Auch Hieronymus Emser gehört um die Jahrhundertwende zu den Hausgenossen Amerbachs, als Erzieher von Bruno und Basilius.

[138] Größer als diese Alle tritt jetzt Johannes Reuchlin wieder in die Nähe Amerbachs, mit dem er einst in Lehr- und Wanderjahren zusammen gewesen. Er sitzt in Stuttgart, als der Erste unter den Humanisten Deutschlands, und das Gefühl solchen Ruhmes wallet nun auch in seinen Beziehungen zu Amerbach. Dieser wünscht ihn als Helfer bei dem großen Unternehmen seiner letzten Jahre, der Edition des Hieronymus. Leontorius vermittelt, Reuchlin sagt zu, und bei einem Aufenthalt in Basel, im August 1510, wird die Sache beredet. Reuchlin scheint in der Karthause zu wohnen wo sein ehemaliger Zögling Hieronymus Zscheckabürlin Prior ist; dort findet zu seinen Ehren ein Bankett statt, an dem namens des Rates die Deputaten teilnehmen. Die Hauptsache jedoch ist der Verkehr mit Amerbach. „Wir lieben uns so, als wenn wir Knaben wären“, schreibt Reuchlin, „aber ich kann mit Aristophanes hinzusetzen: die Greise sind wie zwiefache Kinder“. Voll wahren Lebens sind die zahlreichen Briefe, die nun zwischen Stuttgart und Basel hin und her gehen. Ächt auch, daß die Freude des Beginns nicht anhält, daß Amerbach an den Leistungen Reuchlins allerhand auszusetzen hat und Dieser den Dienst am Hieronymus drückend findet. Schwatzereien Dritter und geschäftliche Verdrießlichkeiten kommen dazu; auch die Aufregung des nebenhergehenden Streites mit den Kölnern bewirkt schließlich, daß Reuchlin sich des Basler Geschäftes vor der Beendigung entledigt.

Wir wenden uns zum stilleren und kleineren Kreise Derjenigen, die nichts Andres sein sollen als gelehrte Helfer der Offizin; eine völlig mönchische Gesellschaft empfängt uns.

In der vordersten Reihe steht Augustin Dodo, Klosterherr von Sankt Leonhard in Basel. War er durch den dortigen Pfarrer Heynlin mit Amerbach zusammengebracht worden, oder trieb ihn die persönliche Verehrung seines Patrons? Jahre hindurch war er für die große, in Einzelausgaben schon 1489 begonnene amerbachische Edition der Werke Augustins tätig. Er reiste in Deutschland Italien und Frankreich herum und suchte Handschriften für die Ausgabe; er ließ Leute wie Wimpfeling für sie arbeiten; er besorgte Kastigierung und Kommentierung des Textes. Auf diesem Allem ruht sein Andenken; sonst wissen wir nichts von ihm. Auch war seine Fügung, rasch an der Pest wegzusterben, 1601, noch ehe das Werk, das sein Leben erfüllt hatte, beendet war.

An seine Stelle trat, von Amerbach gerufen, der gelehrte Franz Wiler, ehedem Barfüßer in Zabern, jetzt Lektor des Basler Konvents. Als ausgezeichneten Prediger, als Musiktheoretiker Komponisten und Dichter haben [139] wir ihn schon kennen gelernt. Von seiner Ausgabe des theologischen Kompendium des Bonaventura weg holte ihn Amerbach an den Augustin. Aber er blieb nur während eines Jahres an dieser Arbeit, da versetzte ihn der Orden.

Einen Nachfolger Wilers fand Amerbach wiederum bei den Barfüßern. Es war der gerade damals von geistigem Leben erfüllte Basler Konvent, zu dessen Brüdern Paul Scriptoris gezählt hatte, und wo neben Franz Wiler der große Prediger Daniel Agricola weilte, der Herausgeber der Sentenzen des Lombardus und des Dictionarium von Calepinus, der Verfasser von Passionsandachten und Erneuerer der Beatuslegende; wo auch der Nürnberger Friedrich Kraft, Adams Bruder, seine kunstreichen Astrolabien fertigte. Arnold zum Luft erachtete dieses Haus als die würdigste Stätte für die von ihm gesammelte Bibliothek.

Lektor nach Wilers Weggange war hier der Rufacher Konrad Pellican, Derjenige, der Alles überdauern sollte. Von einem erstaunlichen Lerntriebe unaufhörlich erregt, besaß dieser bleiche feingliedrige Mönch schon früh eine vielseitige Gelehrsamkeit, die ihn nicht nur zum ersten Kopfe seines Konvents machte, sondern ihm auch in der ganzen Ordensprovinz sowie in denjenigen Basler Kreisen, die solche Gaben schätzten, Ruhm gab. Neben dieser geistigen Energie empfahlen ihn sein „holdseliges sanftmütiges“ Wesen, seine Bescheidenheit, sein untadeliger Wandel. Er zeigte, was ein Klosterbruder auch zu dieser Zeit noch sein konnte, als professor verae paupertatis lebend, das unvertilgbar Gute des Mönchtums aufs Schönste bezeugend. Er war es nun auch, der den Augustin Amerbachs endlich ans Licht brachte, 1506 in elf Foliobänden, und dann sofort die Arbeit an den hebräischen Stücken des Hieronymus begann. Im Hebräischen unterrichtete er auch den Ludwig Bär und die Amerbachsöhne. Seine Handschrift, sein Stil, seine Äußerungen, die Klarheit und Concision seiner Arbeit — Alles paßt zusammen.

Pellican Wiler Dodo sind lauter aktive, durch ihre Leistungen denkwürdig gewordene Menschen. Neben ihnen kommt Konrad Leontorius nur schwach zur Geltung. Er ist schon einmal, zu Ende der 1470er Jahre, in Basel gewesen; das bewegte Treiben seines Ordens, der Zisterzienser, führt ihn, der zeitweise Sekretär des Generalabtes von Citeaux ist, nach Rom, nach Paris, nach Dole usw. Jetzt lebt er, mit wenigen Unterbrechungen durch Aufenthalte in Maulbronn oder Hirsau, im Klösterlein Engental bei Muttenz. Er dient den Tertiarierinnen oder „Beginen“ dieses Hauses — der alten Mutter Agathe, der Mutter Verena, der wunderschönen Tochter Sebastian Wetters von St. Gallen — als Beichtiger. In der [140] Stille des Ortes, den er und seine Freunde das Tal Engadi nennen, verbringt er friedliche Tage, schreibt er mit den weichen Zügen seiner Feder Briefe voll anmutiger Geschwätzigkeit, lebt er Studien und literarischen Liebhabereien. Dort hat er seine Bücher, darunter den lange gesuchten Blondus de triumphante Roma. Seinen Frauen erklärt er das Mysterium der heiligen Messe mit Hilfe des Buchs „seines süßen Freundes Heynlin". Aber auch die plautinischen Komödien sagen ihm zu. Sebastian Brant ist sein alter Bekannter, er korrespondiert mit ihm, mit Peter Schott Gresemund Wimpfeling Reuchlin Tritheim Koberger u. A. Die Hauptsache ist doch der Verkehr mit Basel, wo er an Pellican einen vertrauten Freund hat, wo Bischof Christoph und Johann Bergman ihm nahe stehen, wo das Amerbachhaus ihm wie eine Heimat ist. Für Amerbach arbeitet er an den Bibeleditionen, an den Ausgaben des Augustin, des Ambrosius, des Albrecht von Eyb; er vermittelt auch die Hilfe Reuchlins beim Hieronymus Dazwischen ist er auch für andre Drucker Basels zu haben, z. B. für Furter. Überall bringt er eigene Kleinigkeiten an: Vorreden Geleitworte Verse. Aber in seinem Gesamtbilde tritt das gelehrte Wesen zurück, erscheinen Güte und Umgänglichkeit als das Entscheidende.

Von anderm Schnitte war der Dominikaner Johannes Cono. Am 7. Januar 1511 starb Leontorius, kurz vorher war Cono in Basel eingetroffen. Mit einem Schlage hob diese Ankunft den Ruhm der Stadt.

Cono, geborner Nürnberger, hatte schon 1494, als Mönch des dortigen Predigerklosters, den berühmten Schatz griechischer Handschriften des Basler Konventes benützt. Einige Jahre später finden wir ihn in Speyer, wo er mit Jodocus Gallus griechische Studien trieb. Dann aber ging er nach Italien, und dort, durch Aldus und den Kretenser Johannes Rhosus in Venedig, durch Marcus Musurus und Scipio Carteromachus in Padua geschult und angetrieben, erwarb er eine außergewöhnliche, das im Norden Erreichbare weit übertreffende Kenntnis des Griechischen. Im Glanze dieses Ansehens kam er im Dezember 1510 nach Basel, durch Pellican Reuchlin Wimpfeling dem Johann Amerbach empfohlen, der für die Arbeit am Hieronymus einen solchen Helfer suchte.

Immer aufs Neue wieder ergreift uns die eigentümliche Macht und Bedeutung jener buchhändlerischen und zugleich gelehrten Unternehmungen. Sie sind Quellen geistigen Lebens. Die Initiative ist vielfach bei den Druckern und Verlegern, bei den[WS 1] Männern von Amerbachs Art, die erlesene wissenschaftliche Arbeiter für ihre Werke gewinnen und festhalten. Indem sie so für sich selbst sorgen, dienen sie dem Gemeinwesen, führen sie diesem neu und mächtig weiter wirkende Kreise zu.

[141] Daß ein Mann wie Cono nach Basel kam, gerade in diesem Momente, hatte große Folgen. Es war ein Ereignis, das weit herum zu reden gab, von dem man mit Begeisterung die Einbürgerung der griechischen Studien an dieser prädestinierten Stelle erwartete. Cono zog in der Tat den Rhenanus nach Basel, und Dieser wurde sein Erbe, sein Fortsetzer in die sich unmittelbar anschließende Periode.

Cono fand in Basel, was ihm zusagte: die Sammlung griechischer Codices in seinem Ordenshause und den Johann Amerbach. Er erhielt sofort Arbeit am Hieronymus. Zunächst neben Reuchlin, der gleichfalls für Besorgung des Griechischen geworben worden war. Aber seine Überlegenheit erwies sich bald. Man sah, daß er bei der Gestaltung des Textes methodischer verfahre und eine glücklichere Hand habe als Reuchlin. Diesem selbst ward dadurch der Rücktritt erleichtert. „Du hast nun den andern Griechen", schrieb er nicht ohne Bitterkeit dem Amerbach. Außerdem beschäftigten den Cono Forschungen in der Predigerbibliothek sowie Übersetzungen aus Gregor von Nyssa, Chrysostomus u. A. Daneben wirkte er im wissenschaftlichen Verkehr überhaupt, namentlich im Unterrichten. Vor dreißig Jahren hatte Kontoblakas hier die griechische Sprache doziert; seitdem war in Basel eine solche Gelegenheit nicht mehr geboten gewesen, und Bruno Amerbach halte hiefür nach Paris zu Tissardus gehen müssen. Jetzt konnte Basel aufs Neue diese Reichtümer bieten. Als akademisch unverpflichteter Lehrer gab Cono die griechischen Kurse, in denen die Amerbachsöhne und Rhenan Schüler waren. Michel Hummelberg, aus seinem Ravensburg sehnsüchtig nach Basel schauend, nannte ein solches Unterrichten inter privates parietes die schönste Form; und von Schlettstadt her pries Sapidus das amerbachische Haus, das nun Sitz der griechischen Musen geworden sei. „Die Götter selbst haben Cono gewählt, damit er Euch Führer zum Ruhme sei."

Aber schon am 21. Februar 1513, erst fünfzigjährig, starb Cono. Er wurde im Predigerkloster beerdigt, wo er auch gewohnt zu haben scheint, und Rhenan stiftete ihm die Grabschrift. Alle diese für Amerbach arbeitenden Männer waren Mönche. Jeder von ihnen in seiner Art ein Rechtfertiger des Standes, den die Humanisten als solchen haßten. Aber grell scheidet sich von den Kuttenträgern die Gestalt des im Dienst Amerbachs ihnen Folgenden, des Spaniers Matthäus Adrianus, eines getauften Juden, der sowohl Arzt als Hebraist war. Er gehörte zu jenen reisenden Gelehrten, die nicht feste Tätigkeit, sondern anregenden Wechsel suchten und auf deren Wanderstraßen Universitäten oder [142] große Buchdruckereien die Herbergen waren. In dieser Unrast haben wir auch dem Adrianus dahin und dorthin zu folgen. 1501 zu Aldus nach Venedig, wo er seine Einführung in die hebräische Sprache veröffentlichte; 1512 nach Tübingen. Er hatte schon den Ruhm eines unvergleichlichen Hebraisten und beabsichtigte, Unterricht zu geben. Aber es trieb ihn wieder fort. Das Klima sei ihm zu rauh, sagte er, der Wein zu sauer; nur am Rheine könne man leben. Im Januar 1513 war er in Straßburg, und von hier aus trug er sich dem Amerbach in Basel an als Mitarbeiter am Hieronymus für das Hebräische. Auch wollte er selbst allerhand veröffentlichen und erkundigte sich, ob Amerbach gute hebräische Typen in den Kästen habe. Außerdem dachte er an seine Aufnahme in die medizinische Fakultät und an ärztliche Praxis. Alles nur für eine kurze Spanne Zeit, höchstens bis Ostern; dann wollte er über Venedig ins Heilige Land pilgern. Wir erinnern uns an ähnliche Fremdlinge, an Mithridates, an Kontoblakas. Meridional aufgeregte, den nordischen Humanismus merkwürdig fördernde Figuren. Mit diesem Temperamente kündigte sich jetzt auch Adrianus bei den Baslern an. Daß er dabei ein erbärmliches Latein schrieb, erschien gleichgiltig neben der einzigartigen Spezialität seines hebräischen Wissens. Sehr selbstbewußt schrieb er dem Amerbach, daß für die Arbeit am Hieronymus eine Kenntnis des Hebräischen nötig sei, die ein Deutscher niemals erlangen könne. Reuchlin sogar fand, er kenne keinen bessern Hebraisten, und Pellican gab willig zu: „von Adrian habe ich mehr gelernt, als von irgend Jemand, viele Nächte habe ich schlaflos mit ihm zugebracht“. Von diesen Beiden eingeführt kam Adrianus zu Beginn des Jahres 1513 nach Basel. Er tat hier auf seinem Gebiete, was der eben jetzt scheidende Grieche Cono auf dem seinen getan hatte. Er half bei der Arbeit am Hieronymus und gab Unterricht. Die Söhne Amerbachs und wahrscheinlich auch Capito waren seine Schüler. Dann zog er weiter, nach Heidelberg.

Im Zentrum dieses Daseins, das alle Lebensalter und Disziplinen, Dauerndes und Ephemeres, Geistiges und Technisches umschließt, erhebt sich noch einmal für uns der alte Amerbach, um seine mächtige Offizin bemüht und daneben noch frisch genug für die Erziehung der Söhne sowie für den Verkehr mit Vielen und sehr Verschiedenen.

Dabei schieben sich in die Akten großer Tätigkeit allerhand anmutige Nebensächlichkeiten. Wir sehen Amerbach dem Geographen Waldseemüller die Ptolemäushandschrift der Basler Dominikaner, dem Wimpfeling Gersonhandschriften [143] aus Lyon vermitteln, von der Frankfurter Messe seinem Freunde Leontorius Brillen und den Engentaler Klosterweiblein Wohlgerüche und Spezereien bringen, auswärtigen Bekannten das Einbinden von Büchern in Basel besorgen, u. dgl. m.

Das Wesentliche ist doch die Gesamterscheinung, das Verbundensein so vieler Genien, die vereinte Leistung, das „musische“ Leben dieser Menschen.


Die Tätigkeit Johann Amerbachs und seiner Genossen war höchste Entwickelung derjenigen Zeit, in der Heynlin Brant u. A. gewirkt hatten. Jetzt sehen wir auch diese amerbachische Periode ihrem Ende zugehen und eine neue Woge geistiger Lebenskraft sich erheben.

Leontorius und Petri starben 1511, Cono und Johann Amerbach starben 1513. Diesem Verschwinden antwortete sofort das Erscheinen neuer Gestalten. Johann Froben trat an die durch Amerbach leer gelassene leitende Stelle, Rhenanus zog 1511 nach Basel; im gleichen Jahre nahm Urs Graf hier festen Wohnsitz; von 1512 an kamen, rasch sich folgend, Ludwig Bär Glarean Erasmus Hans Holbein Capito Ökolampad. Ein Wechsel der Personen vollzog sich, der zugleich Ausdruck eines Wandels allgemeiner Gedanken und Anschauungen war.

Das Wesen dieses einzigen Momentes, in dem zwei Perioden sich schieden, ist sinnfällig durch ein Einzelfaktum charakterisiert: die gleichzeitige Basler Publikation der zwei Sentenzensammlungen, des Petrus Lombardus durch Adam Petri im Juli 1513, des Paolo Cortese durch Johann Froben im August 1513. Die beiden Sammlungen, hier nebeneinander in die Welt tretend, konnten als Gegensätze gelten. Des Lombardus Sentenzen waren das dogmatische Lehrbuch des Mittelalters, völlig scholastisch in Anlage und Form; diese Basler Ausgabe geschah auf Kosten des Ludwig Hornken in Köln und wurde besorgt durch den Barfüßer Daniel Agricola. Cortese dagegen wollte die Theologie mit der Eloquenz verbunden sehen, seinen Sentenzen Klarheit und gute Latinität geben; Konrad Peutinger hatte sein Werk in Rom kennen gelernt und ließ es nun unter Rhenans Vermittlung durch Froben drucken. Alte und neue Zeit, alter und neuer Geist standen sich gegenüber, und dem entsprach auch das Äußere der beiden Werke. Neben dem herkömmlichen, noch ganz inkunabelhaften Lombardus erscheint Cortese in Druck und Zierrat wie das Produkt einer völlig veränderten Welt des Geschmackes; seinen Titel begleiten die Gestalten der Humanitas und der großen Dichter und Rhetoren des Altertums.

[144] Die Epoche ist noch durch Anderes ausgezeichnet. Sie hat auch nationale Bedeutung. Cono kommt aus Italien nach Basel, Rhenan aus Paris, Erasmus aus den Niederlanden. Sie bringen Deutschland die Kräfte und den Ruhm, die bis dahin andre Nationen allein zu besitzen gemeint hatten. Wie Sapidus in Schlettstadt dies fühlt und seinen Jubel darüber in einem Lob auf Basel ausströmen läßt, so ist auch der Abschiedsbrief, den Rhenanus am 1. März 1512 aus Basel an seinen Pariser Lehrer Jacob Faber ergehen läßt, auf solche Empfindungen gestimmt.

Alles dies geschieht um die Jahrzehntwende, in der ersten Jugend des eidgenössischen Basel. Was Wimpfeling und Andere am schweizerischen Bauernvolke zu tadeln haben, gilt nicht auch für diese Stadt, in der sich jetzt „der Glanz Latiums erneuert“. Mächtig eindrücklich ist auch das Zusammentreffen mit den großen politischen Erlebnissen. „Der Sturm der Geschichte ist dem Gedanken günstig.“

Es beginnt das foelix aevum, die große geistige Zeit Basels. Neben die Regenten des Staates, die wir kennen gelernt, tritt das imperium wissenschaftlicher und künstlerischer Führer.


Die als solche Meister der neuen Zeit Basels berufen waren — Rhenanus Bär Capito Glareanus Erasmus —, stellten sich im Laufe weniger Jahre, 1511—1514, hier ein. Sie hatten schon Manches erlebt, ehe sie in Basel Fuß faßten; hier konnten sie, was sie hinter sich gelassen, auf andre Weise und in gesteigertem Maße weiterführen. Sie fanden den alten, jetzt neu erwachenden wissenschaftlichen Ruhm dieser Stadt und sahen sich empfangen durch dessen stärkste Träger: die Söhne Amerbachs und Johann Froben.


Beatus Rhenanus hatte zur Heimat den Schicksalsort des elsässischen Humanismus, Schlettstadt. Inmitten der merkwürdigen geistigen Regsamkeit dieses Bauern- und Handwerkerstädtchens wurde er 1485 geboren. Seine erste Bildung erhielt er natürlich in der berühmten Stadtschule; Craft Hofmann und nach dessen Tode 1501 Hieronymus Gebwiler waren seine Lehrer. Dann 1503 zog er zur Universität nach Paris.

Durch eine Fülle eigenartiger Zeugnisse ist uns möglich gemacht, die geistige Entwickelung des Rhenanus zu erkennen.

Schon früh insbesondere die Selbständigkeit des Denkens; sie ruht auf dem Ernst und der Reinheit seines Wesens, auf seinem unermüdlichen Fleiße. Eine ihrer Äußerungen ist auch, daß er schon neben den Schülerarbeiten [145] an die Anlegung der Bibliothek geht, die von da an seine Liebe geblieben ist, nicht bibliophilenhaft, sondern gelehrtenmäßig, mit der lebenslang sich nicht sättigenden Lust des Sammelns, des Durcharbeitens und Erwerbens dieser geistigen Schätze.

Mit solchen Gesinnungen und schon reich an Kenntnissen kommt er in die hohe Luft von Paris, in die gewaltigen Antriebe eines wissenschaftlichen Verkehres stärkster Art. Seine Lehrer sind hier Clichtoveus, Faustus Andrelinus, der Spartaner Hermonymos, und namentlich Jacob Faber. Es sind schöne Jahre, und noch späte Äußerungen des Rhenan und seiner Pariser Genossen lassen das Glück dieses nur den Studien geltenden Lebens ahnen. Die Kraft, die Rhenan in sich fühlt, treibt ihn dazu, selbst auch schon den Führer und Lehrer zu machen; im kleinen Kreis innerhalb des Kollegiums, das er mit den Kommilitonen bewohnt, hält er Vorlesungen mit Interpretation aristotelischer Schriften. Neben her geht aber auch, als praktische Verwertung des Wissens, sowie als Kraftprobe für künftige Leistungen, die Kastigatorenarbeit im Dienste der Drucker Petit und Stephanus.

Der eigentümliche Duft und Zauber verheißungsvoller Entwickelungsjahre ruht auf diesen Zeugnissen. 1507 kehrt Rhenan ins Elsaß zurück, wo er hauptsächlich in Schlettstadt und Straßburg sich aufhält. Er macht auch kleine Gelehrtenreisen, z. B. nach Mainz zu Gresemund. Er arbeitet als Korrektor bei Schürer. Er verkehrt mit Geiler, mit Brant, mit Wimpfeling. Er verwendet sich bei Reuchlin für seinen Pariser Meister Faber, der die Werke des Cusanus sammelt und herausgeben will. Auch an einen Aufenthalt in Italien denkt er. Da kommt die Nachricht, daß Johannes Cono der Grieche sich in Basel niedergelassen habe und da Unterricht erteile. Sofort entschließt sich Rhenanus, hinzugehen. Am 31. Juli 1511 trifft er in Basel ein.

Neben den Amerbachsöhnen, die Rhenanus wohl von Paris her schon kennt, ist er nun Schüler des großen Gräcisten. Aber ein Schüler, der auch einem solchen Lehrer Eindruck machen kann. Wir bemerken, mit welcher Hochachtung Dieser ihn behandelt.

Von großer Wichtigkeit für Rhenan sind die wenigen Monate des Verkehres mit Cono. Er empfängt von ihm nicht allein die sichere Kunde griechischer Sprache und Literatur. Cono wird ihm auch der Meister philologischer Methode. Und beachtenswert ist weiterhin, wie er den bisher durch Fabers Lehre bestimmten Aristoteliker Rhenan auf den „göttlicheren“ Plato hinweist.

[146] Die Basler Zeit des Rhenanus, 1511 beginnend und anderthalb Jahrzehnte dauernd, vollzog sich stets im Gleichmaß, ohne starke äußere Bewegung. Nach dem mannigfachen Gähren der frühem Jahre ward sie die Zeit ruhigen Reifens zum Bleibenden und Bedeutenden.

Allem voran steht dabei das Verhältnis Rhenans zu Erasmus. Wie Dieser nach Basel gekommen war, wurde ihm rasch nichts unentbehrlicher, nichts zusagender als der tägliche Umgang mit dem um zwanzig Jahre jüngeren Rhenan, der das schärfste Urteil in wissenschaftlichen Dingen und dabei eine so „kluge“ Bescheidenheit zeigte. Dessen „exquisite“ Gelehrsamkeit und untrüglicher Scharfsinn imponierten ihm ; aber noch stärker fesselte ihn dessen Gesinnung. Seinen pythagoräischen Freund, seine Psyche nannte er ihn. Eine Freundschaft dieser beiden Geister erwuchs, die nie gestört wurde, stets auf derselben Höhe blieb.

Rhenanus glänzte auch neben dem großen Licht Erasmus. Seine Gelehrsamkeit erhob ihn, mehr noch „seine philologische Beanlagung, durch die er seiner Zeit weit voraus war“. Dazu kam die stille und unwiderstehliche Macht seiner klaren und bis in alle Tiefen ächten, leidenschaftslosen Art. Außerdem hatte man namentlich auswärts das Gefühl, daß neben dem incommensurabeln und im Grund aller Welt gehörenden Erasmus die dauernd zusammenhaltende Kraft des Basler Humanismus Rhenanus sei.

Die Form des Lebens war für Diesen zunächst gegeben durch seine Beziehungen zu Buchdruckern, namentlich zu Froben. Daneben hatte er ein freies Gelehrtendasein. Ohne die Auszeichnung und die Vorteile, aber auch ohne die Hemmnisse des akademischen Amtes. Er war nur auf sich gestellt. Alles aus sich allein aufzubringen gewillt und befähigt. In dieser Freiheit aber war er durch eine imposante Tätigkeit der Diener seiner Pflicht. Von seiner frühesten Basler Publikation an entfaltete er — zunächst mehr Editor und Exeget als Autor — die staunenswürdige Kraft seiner kritischen Begabung und den Reichtum seiner Studienergebnisse. Und doch fanden die Freunde, daß er mit diesem Reichtume zu haushälterisch umgehe, zu wenig von sich gebe.

Umrauscht von steigendem Ruhm und mitten in der geistig bewegtesten Umgebung scheint Rhenanus seine Schlichtheit bewahrt zu haben. Er verlangte nur eines: Ruhe für sein Arbeiten. Er war nur glücklich, wenn er für sich sein konnte. Nicht als eigensüchtiger Stubengelehrter; sein Biograph Jacob Sturm rühmte an ihm, daß er nicht studierte um zu studieren, sondern ut prodesset rebus mortalium, um der Menschheit zu dienen; diese wenigen Worte zeigen die Weite des Kreises, der in Rhenans Arbeit [147] seine zentrale Kraft hatte. Aber einen Eindruck von Größe gibt uns doch nur diese Leistung, nicht der Mensch Rhenan, der vielmehr etwas Knappes und eng Befangenes an sich hat. Die ihn kannten, tadelten seinen Mangel an Mut, sie fanden ihn auch zu wenig freigebig. Es war dieselbe bedachte Schonung seiner selbst, die ihn auch jeder amtlichen Verpflichtung ausweichen ließ. Er hatte keine Frau, keine Familie, nur ein Famulus war um ihn, und er konnte ein „philosophisches Leben“ nach seinem Willen führen. Wie wenig er doch zum Sonderling wurde, glauben wir überall zu spüren; seine Liebenswürdigkeit, seine Milde und „süßeste“ Humanitas war berühmt. Umdrängt von den zahllosen Gestalten jener Tage zeigt er uns das faßlichste und anmutigste Bild eines Humanistendaseins.


Ludwig Bär wurde 1479 in Basel geboren, als Sohn des Kaufherrn Hans Bär. Zuerst wird er wohl die heimatliche Universität besucht haben; dann war er Schüler derjenigen zu Paris. 1499 wurde er dort Magister, arbeitete weiter und schloß am 28. Mai 1511 diese langewährende Studienzeit in ausgezeichneter Weise durch den Erwerb des theologischen Doktorats. Im folgenden Jahre kehrte er nach Basel zurück und erhielt im März 1513 vom Rat eine Chorherrei am Petersstift. Im August 1513 wurde er in die theologische Fakultät aufgenommen, 1514 zu deren Dekan gewählt.

Aus eigenen wissenschaftlichen Werken von Belang ist Bär nicht zu erkennen. Auch die Briefquellen versagen für ihn fast völlig. So wenig Einzelnes wir hienach von ihm wissen, ist er doch eine eindrückliche Figur inmitten der damaligen Gelehrten und Kleriker, neben zahlreichen in ihrer Plattheit wohlbezeugten Erscheinungen.

Schon sein sozialer Hintergrund hebt ihn, der weitverflochtene Komplex einer einflußreichen Verwandtschaft; zum bürgerlichen Ansehen tritt die Macht kirchlicher Stellung; das lange Studium in Paris mit seinem glänzenden Abschlusse gibt ihm den Nimbus einer nicht gewöhnlichen wissenschaftlichen Tüchtigkeit.

Die frühe Begabung Bärs durch den Bischof mit Indulgenzen und seine wiederholte Begünstigung durch den Rat mögen weniger seiner Person gelten als seiner Familie. Aber bemerkenswert ist, wie in offiziellen Empfehlungsschreiben die Kanzlei des Rates ihm das horazische Prädikat des integer vitae gibt, wie auch auswärtige Gelehrte ihn hochachten, wie seine Nähe ihn geradezu anbetet. Er ist der feingebildete geschmeidige interessante Mensch. Von ernsten Mienen, bekannter Klugheit. Zuweilen auch für nicht ganz verläßlich gehalten. Jedenfalls bringt er fertig, nach verschiedenen Seiten hin Beziehungen [148] und Geltung zu haben. An der Universität ist er nicht allein der princeps theologorum, sondern der anerkannte erste Vertreter der Anstalt, wiederholt Rektor und nach Arnold zum Luft und Capito Vizekanzler. Aber auf der andern Seite hat er gleichfalls Heimatrecht; wenn von den Basler Humanisten die Rede ist, steht er neben Erasmus Rhenanus Capito in der vordersten Reihe. Von seinen Kollegen Fininger Gebwiler u. dgl. scheidet ihn die Fähigkeit freiern Denkens, die über das gewöhnliche Theologenmaß hinausgehende Bildung. Wie stark sein wissenschaftlicher Eifer und wie modern seine Gesinnung, zeigt sich z. B. daran, daß er bei einem seiner Pariser Ferienaufenthalte in Basel sich durch Pellican in das Hebräische einführen läßt. Die erasmische Ausgabe des Neuen Testamentes sodann trifft ihn ins Herz; leer und spielerisch erscheint ihm jetzt alle die Kunst seines scholastischen Wissens.

Das ist Ludwig Bär, der vertraute Basler Freund des Erasmus und Diesem in der Art verwandt. Daneben dauernd und über Alles hinweg mit Aleander befreundet.

Natürlich geht das Wesen eines solchen Mannes in Kirche und Gelehrsamkeit nicht auf. Er hat auch politische Qualitäten. Er ist Bürger der Stadt und Sohn eines Ratsgeschlechtes. So sehr kommt dies zur Geltung, daß er nach seiner Heimkehr von Paris den erstrebten Eintritt ins Domkapitel nicht erlangen kann, trotz der Empfehlung durch den Rat und der allgemeinen Verfügung des Papstes von 1512. Andrerseits hat seine Erhebung zur Propsteiwürde bei St. Peter 1518 keineswegs nur interne stiftische Gründe; sie wird durch den Legaten Pucci durchgesetzt und ist zu werten als kirchenpolitische Maßregel der Curie, als Mittel des Kampfes wider Luther und dessen Propaganda, zugleich als Gunsterweisung an die durch Jacob Meyer, den Schwager Bärs, geführte päpstliche Partei im Rate.


Neben die in Paris gebildeten Rhenanus und Bär treten von Deutschland her Andere.

Wolfgang Fabricius Capito, 1472 in Hagenau geboren, hatte seine Studien in Freiburg und Ingolstadt gemacht und war 1512 Prediger beim Stifte Bruchsal geworden. Von dort kam er im Frühling 1513 nach Basel. Wohl durch Pellican veranlaßt, der ihn kurz vorher in Bruchsal besucht hatte. Bei dem gerade in Basel anwesenden Matthäus Adrianus scheint er Unterricht im Hebräischen erhalten zu haben. Sein erkennbares Basler Leben beginnt jedoch erst 1515, in welchem Jahr ihm die Prädikatur am Domstift übertragen wurde. Es war die Stelle, an der Johann Kreuzer, [149] Wilhelm Textoris, Johann Heynlin gewirkt hatten. Indem sie jetzt, im Jahrzehnte des Übergangs zu neuen kirchlichen Zuständen, durch einen der Führer des Übergangs versehen wurde, erlebte sie ihre bewegteste Zeit. Von dieser Predigertätigkeit Capitos werden wir an andrer Stelle hören. Dasselbe Jahr, das ihm die Dompredikatur gab, machte ihn auch zum Angehörigen der Universität. Er war 1515 immatrikuliert und trat, schon von Freiburg her Doktor der Theologie, in diese Fakultät ein. Er hielt Vorlesungen. 1517 wurde er Rektor, 1518 Dekan; im selben Jahre war er auch Vizekanzler der Universität.

Aber die geordneten Leistungen dieses Prediger- und Professorlebens waren eingefaßt in die Fülle freiesten wissenschaftlichen Ergehens und Wirkens. Schon die Mannigfaltigkeit der Studien, die Capito während seiner Universitätsjahre bemeistert hat, ist der Beachtung wert. Mit sechsundzwanzig Jahren erlangt er zu Freiburg die Würde eines Doktors der Medizin. Dann ergibt er sich dem Rechtsstudium. Bis zuletzt die Theologie seine Herrin wird; die Vorlesungen in diesem Fache, die er in Freiburg hält, werden erst durch die Bruchsaler Predikatur abgelöst. Er ist heimisch in allen Fakultäten. Nichts Befangenes, kein Beschränktsein auf nur eine Art und Richtung ist in Capito. Durch Alles hindurch, durch das kirchliche Wirken wie die gelehrte Tätigkeit, pulst der lebendigste Geist.

Von Capitos wichtigen Leistungen für die junge hebräische Wissenschaft wird noch zu reden sein; mit dieser Spezialkenntnis dient er jetzt namentlich dem Erasmus bei der Herausgabe des Neuen Testamentes. Er hilft auch bei der cratandrischen Edition des Gellius und gibt den Kastigatoren Frobens Auskunft, wenn sie ratlos sind und nicht mehr weiter können. Überall ist er der Bewegliche, der Eigenartige. In seinen akademischen Vorlesungen legt er das Hauptgewicht auf die Exegese. Aber auch außerhalb der Universität gibt er seine reichen Anregungen. Da ist Carinus sein Famulus, der junge Hartman von Hallwil sein Zögling; mit Bruno Amerbach zusammen liest er den Sophokles.

Sein Wissen stellt ihn stets in die vorderste Reihe. Am Orte selbst zählt er zu den Großen der Sodalitas, und Fernerstehenden erscheint er, neben Erasmus Melanchthon Zasius Hessus, als einer der Führer des deutschen Humanismus überhaupt.

Wichtig namentlich sind seine Beziehungen zu Erasmus. In einer Reihe von Briefen ist dieser Verkehr vor uns dargelegt; sie treten in ihrer besondern Art aus der Masse der erasmischen Korrespondenz hervor. Da finden sich die beiden Freunde zusammen in Ausblicken über die ganze [150] gelehrte Welt, über die verjüngte Herrlichkeit der Wissenschaften. Da erklärt Erasmus, durch mancherlei Täuschungen ermüdet, dem Genossen mit der ungebrochenen Kraft und der glühenden Seele die Leuchte übergeben zu wollen, damit er sie weiter trage. Was Erasmus begonnen, solle Capito fortführen.

Diese Worte trafen das innerste Gefühl Capitos. Sie schienen ihn dahin zu weisen, wo in der Tat seine stärksten Interessen waren, zur Wissenschaft. Neben Christus und den Freunden wollte er jetzt einzig den Studien leben. In der Begeisterung dieses Entschlusses arbeitete er an seinem Hauptwerke, der hebräischen Grammatik. Welche Konflikte mußten sich bei derartigen Neigungen dem Münsterprediger durch die junge lutherische Bewegung ergeben! Aber diese seine Amtstätigkeit fand schon früh ein Ende, mit ihr zugleich auch, so viel wir sehen, die gelehrte Arbeit Capitos überhaupt.

Nach dem Rate Schiners und anderer Freunde ging Capito im Herbste 1519 nach Mainz und bewarb sich dort beim Reichskanzler, dem Erzbischof Albrecht, darum, daß ihm vom neugewählten König Karl vermöge des herkömmlichen Rechtes der „ersten Bitte“ eine Pfründe am Basler Domstift gegeben werde. Aber bei den Verhandlungen hierüber schritt der Erzbischof ein und versprach dem Capito die Dompredigerstelle in Mainz selbst. Capito nahm diesen Ruf an und verließ Basel im April 1520.


Glareanus, als Heinrich Loriti 1488 im Glarnerlande geboren, war Schüler des Rubellus, dann seit 1507 Student an der Universität Köln. Hier wurde er Magister 1510. Er hielt Vorlesungen über Vergil; Caesarius wirkte auf ihn und mit besonderer Kraft Herman von dem Busche; er versuchte sich auch in geographischen Arbeiten ; er nahm Teil am großen Streite Reuchlins, als dessen Gefolgsmann; zuletzt 1512, in einer grandiosen Szene vor den Fürsten des Reiches, empfing er von Kaiser Maximilian den Lorbeerkranz des Poeten. Leidenschaftlich und in mächtigen Äußerungen erlebte er so das Wesen des Humanismus, den er als die Bestimmung seines Lebens empfand. Aber sein Sinn stand auf Basel; er hatte die Stadt bei wiederholtem Durchreisen kennen gelernt; sie war ein Teil des schweizerischen Heimatlandes, nach dem er sich sehnte, und zugleich eine Stätte des ihm unentbehrlichen geistigen Lebens. Sein Freund Zwingli sowie die Glarner Behörden sollten ihm zu einer philosophischen Lektur an der Universität Basel helfen. Auch an dem Cantor, spätern Propst zu St. Peter, Johann Heinrich Wentz, hatte er einen Gönner. Im Frühling 1514 traf er hier ein.

[151] Mitten in eine Gesellschaft voll Form Mode und Kultur trat dieser geniale Mensch von der Berghalde, an der er früher Ziegen gehütet hatte. Vom ersten Moment an eine durchaus eigenartige Erscheinung der Basler Humanistenwelt.

In Erasmus, der kurz nach ihm in Basel einkehrte, kam ihm dann diejenige Macht entgegen, die fortan auch für ihn Basel zu einem Ort ohne Gleichen erhob. Erasmus galt ihm als Vater, als Meister. Er nannte ihn den größern Teil seiner Seele, seine Zierde, sein Gestirn. Dessen Güte war ihm das kostbarste Geschenk, weit hinausgehend über Gold und Edelstein. In Briefen, in Elegien legte er seine stürmische Bewunderung des Einzigen nieder. Des Erasmus Antwort auf solche Huldigung waren Äußerungen starken Wohlgefallens. Er freute sich am Wissen Glareans, an seinem Eifer, seiner Sittenstrenge, seiner Munterkeit. Als Führer und Bannerwächter der schweizerischen Humanisten erschien er ihm.

Auch wir bewundern die Begabung, ohne Tradition und Umgebung erwachsen, getragen durch eine urnatürlich gesunde Leiblichkeit; frisch und naiv, ohne Rücksichten, geht Glarean vorwärts. Der Umfang seiner Kraft offenbart sich in einem erstaunlichen Reichtum von Interessen und Leistungen.

Sofort beginnt das Universitätsleben Glareans. Er ist unter den Immatrikulierten des Sommersemesters 1514; am 2. Juni wird er als Kölner Magister in das Magisterkonsortium aufgenommen. Er erhält auch einen Lehrauftrag und bezieht vom Rat eine Besoldung. Aber nur während kurzer Zeit. Seine Zänkereien mit der Universität zeigen, wie wenig er sich in die akademischen Formen zu fügen vermag.

In ähnlicher Weise steht der heftige zornmütige, von rasch wechselnden Stimmungen beherrschte Glarean auch im Kreise seiner humanistischen Genossen isoliert. Von Allen geschätzt, aber Keinem ganz sympathisch. Voll von Geist und ursprünglichem Leben, ist er doch, mit der Vehemenz und gelegentlichen Grobheit seines Wesens, mit seiner sich überstürzenden, Witz und Spott heraussprudelnden Rede, mit seinem Selbstgefühle, kein bequemes Element im Ganzen der Sodalitas.

Das Kastigatoren- und Editorenleben der andern befriedigt ihn nicht. Er bedarf einer persönlicheren Produktion. Ein unerbittlicher Arbeitswille treibt ihn. Er hat auch den Drang zum unmittelbaren Verkehre, zu Menschen und zum Leben, er hat seine Freude an der Jugend. Er ist der geborne Lehrer; und als solcher erfüllt er eine Funktion für die Schweiz.

Schon gleich nach seiner Herkunft, im Juni 1514, erhält er von der Fakultät — ausnahmsweise und wohl auf Grund guter Empfehlungen — die Erlaubnis, eine Burse zu betreiben. Nicht eine der beiden Fakultätsbursen, [152] sondern eine eigene, gleichfalls mit Convikt verbundene Lehranstalt, ein archigymnasium. Glarean dient mit dieser Schule zunächst dem humanistischen Triebe der Unterweisung und einem höhern Lernbedürfnisse. Er mietet ein geräumiges Haus; die Zahl seiner, großenteils aus der Ost- und der Zentralschweiz kommenden Zöglinge und Pensionäre steigt zu Zeiten bis auf dreißig; es wird nur lateinisch gesprochen, auch beim gemeinsamen Mahle; in den Unterrichtsstunden werden Vergil Lucan Livius Gellius gelesen, wird Griechisch und Hebräisch getrieben, werden Arithmetik und Geographie gelehrt.

Hier in diesem reichen, stets neu erregten Verkehre mit jungen Hörern und Hausgenossen bilden sich die Keime der großen und so Vieles umfassenden wissenschaftlichen Tätigkeit Glareans. Es ist seine schöpferische Zeit; die grammatischen Arbeiten, der Kommentar zu Livius, die Forschungen über das römische Gewichtsystem, die musik-theoretischen Untersuchungen, die Arbeiten zur Mathematik und zur Geographie, die ganze Fülle späterer Leistungen geht in ihren Anfängen auf diese Basler Jahre zurück.

Wir haben vor uns das Bild eines reichen Lebens. Aber der Eindruck wird gestört durch unaufhörliche Bewegung. 1515 besucht Glarean mit Peter Falk von Freiburg zusammen die Trümmer von Aventicum. Im gleichen Jahre begibt er sich nach Pavia zum Genuß eines durch Herzog Massimiliano, auf Fürsprache der Tagsatzung, ihm bewilligten Universitätsstipendiums; aber es wird ihm nicht zu Teil, und er kehrt wieder nach Basel zurück, wo er sich immer weniger wohl fühlt. Bei solcher Unzufriedenheit ist davon die Rede, ihm eine Stelle an der Universität Ingolstadt zu verschaffen. Aber auch allgemeine politische Bewegungen greifen in das einzelne Gelehrtenleben. Nach Marignano ist es mit dem Mailänder Herzog und mit herzoglichen Stipendien vorbei. Dagegen beginnen Unterhandlungen der Eidgenossen mit König Franz, und diese haben Bedeutung auch für Glarean, der jetzt ein Pariser Stipendium zu erhalten hofft an Stelle des in Pavia ihm entgangenen. Noch im September 1516 ist er voll Sorge. Seiner persönlichen Interessen wegen verdrießt es ihn, daß Deutschland und England den Eidgenossen goldene Berge verheißen, um sie von Frankreich wegzuziehen. Endlich im November kommt der Friede zu Stande, und im Anschluß an ihn bewilligt Franz dem Basler Humanisten ein, von den gewöhnlichen Stipendien für Schweizer Studenten verschiedenes, besonderes Jahrgeld. Auch Erasmus hat dafür gewirkt, durch ein schönes Empfehlungsschreiben an Stephan Poncher, Bischof von Paris und Kanzler des Königs.

[153] Die mit Glarean verkehrenden Basler aber erleben nun die gute Wirkung: der oft so Unwirsche wird jetzt, da es ihm nach Wunsch geht, mild und erträglich; er bequemt sich sogar dazu, gelegentlich ein Nichtwissen zu bekennen und den Rhenan um Belehrung zu bitten.

Ende Mais 1517 reist Glarean nach dem ersehnten Paris. Seine Aufgabe ist Überwachung und Unterrichtung schweizerischer Scholaren. Wie er in Basel getan, sammelt er sie auch hier um sich. Im Bücher- und Gelehrtenviertel, in der Rue St. Jacques, hat er sein Haus, und hier lebt nun diese helvetische Kolonie, more Romano. Glareans Unterricht gilt antiken Autoren, der Geographie Mathematik Musik. Daneben werden auch Kurse der Universität besucht und berühmte Spezialisten genossen wie der Grieche Laskaris, der über Plinius lesende Venezianer Cipriano Talea, der Orientalist Giustiniani.

Glarean selbst nimmt seine griechischen Studien wieder hervor. Er verkehrt mit Jacob Faber, mit dem Basler Copus, mit Andrelinus Budaeus u. A. Auch den Wilhelm Nesen hat er wieder in der Nähe. Zuweilen besieht er sich die Sophistenzeremonien der Sorbonne und geht dann, solcher Possen satt, nach Hause, wo er singt und studiert, sich an seinem Horaz erquickt und mit Demokrit die dumme Welt verlacht.

Er ist ohne öffentliche Stellung, Niemandem verpflichtet; er lebt in Freiheit und Ruhe sich selbst. Aber auf die Dauer verdrießt ihn doch diese Pariser Existenz. Auch hier wieder regt sich in ihm der Schweizer. Allerhand Zwischenfälle wirken ein, die Arroganz und Bosheit der Pariser wird ihm widerlich. So denkt er immer ernster an die Heimkehr, und da der Einfall, sich in Zürich um eine Chorherrnpfründe zu bewerben, zu nichts führt, tritt Basel in die alten Rechte. Der dem Glarean schon bekannte Kreis von Menschen, das Behagen der uberrima Basilea locken ihn; auch hat er das Bewußtsein, jetzt eine andere Stellung ansprechen zu können, als er früher besessen.

Im Februar 1522 trifft Glarean hier ein, durch Scholaren und Bürger mit Jubel empfangen.


Als Erasmus nach Basel kam, war er bald ein Fünfziger. In der Zweiten Hälfte der 1460er Jahre in Rotterdam geboren, in Deventer unter Hegius und in Herzogenbusch gebildet, dann dem Orden der Augustinerchorherren angehörend, wurde er von allem Familiären gelöst und auf sich allein gestellt. Ein „göttliches“ Ingenium, Scharfsinn, ein Tag und Nächte durchdauernder Fleiß, ein Gedächtnis von erstaunlicher Stärke zeichneten [154] schon den Knaben aus. Das Meiste und Beste, was er sich gewann, erwarb er als Autodidakt.

Sein Dämon trieb ihn zum Verlangen nach dem Erlesenen, nach den Heiligtümern der Musen; er stärkte ihn im Vertrauen auf sich selbst und die Kraft seines Willens. Schon in dieser Zeit lebte Erasmus unter häufigem Wechsel des Ortes. Wir folgen ihm nach Cambrai, nach Paris, nach Oxford. Er weilt dann auch in Orleans, in Amiens, wiederholt da und dort in England, in Löwen usw. Vom Herbste 1506 an hält ihn Italien fest, wohin ihm schon sein Ruhm vorangeht, wo er in Turin Doktor der Theologie wird, in Bologna Rom Venedig Padua arbeitet und Freunde gewinnt. 1509 geht er zu einem ähnlich lange dauernden Aufenthalte nach dem ihm vertrauten England.

So bildet er sich und reift er an verschiedenen Orten, wird er heimisch auf der weiten Erde. Auch die Arbeitsformen wechseln. Neben seinen Studien erteilt er Privatunterricht, hält er zeitweise Vorlesungen, ist er Mentor und Meister vornehmer Zöglinge. Alles jedoch macht den Eindruck freiester Freiheit. Freiheit von überlieferter Schulform, Freiheit von einem dauernd verpflichtenden Dienste, Freiheit vom Orte, soweit möglich auch Freiheit von Menschen.

Das Ganze ist Studium und hohe Welt. Den Erasmus charakterisiert, daß neben dem angestrengtesten, bis zur Erschütterung der Gesundheit betriebenen Arbeiten der Sinn für Exklusivität im täglichen Verkehre wie im Bereiche des geistigen Lebens sich äußert. Aus Dürftigkeit und Vereinsamung hat er sich selbst emporgebracht; nun will er, daß seine Person bekannt und berühmt sei. Es ist derselbe souveräne Sinn, der ihn über die gewohnten Kommentare der Gelehrten hinaus und empor führt. Der ihn in dieser Frühe die revolutionären Anmerkungen des Valla zum Neuen Testament und zugleich aus einer schon jetzt unermeßlichen Lektüre das Interessante und Graziöse aller Schriftsteller an Anekdoten Redensarten Sprichwörtern, mit gelehrten Noten und ganz eigenpersönlichen Bemerkungen verbunden, in der Sammlung der Adagia ans Licht bringen läßt. Nebeneinander stehen dann das Handbuch des christlichen Streiters (enchiridion militis christiani) und das Lob der Weltfürstin Torheit (ecnomium Moriae); in kurzem Abstande publiziert scheinen diese beiden Werke das Tiefste, was Erasmus bis dahin erfahren, von verschiedenen Seiten her wiederzugeben.

Wir folgen dem Gange des äußeren Lebens samt seinen Erfolgen, wobei wir das innere Glück dieses Daseins nur zu ahnen vermögen. Wie Erasmus später sein eigenes Werden in Parallele stellt mit dem Wachsen [155] des nordischen Humanismus überhaupt, so muß er schon damals ein berauschendes Gefühl seiner selbst gehabt haben.

Diese Jahrzehnte, reich an Unstätigkeit, haben doch die Bedeutung eines nie abirrenden Weges zur Höhe. Erasmus gewinnt sich Freunde und Gönner an den mächtigsten Höfen, an den ersten Universitäten, in den Kreisen der Kardinale Prälaten Magistrate; allenthalben in wälschen und deutschen Landen sind Scharen von Gelehrten seine Bewunderer.

Im Besitze solchen Weltrufes kam Erasmus im Jahre 1514 nach Basel. Eine Romreise lag im Plan; aber zunächst galt Basel als Ziel. Das Letzte des Erasmus, eh er diese folgenreiche Reise antrat, war die Ablehnung der Bitte des Servatius Roger, ins Kloster zurückzukehren; großartig stellt er da der obscuren Mönchsexistenz sein Leben, seine Arbeit und seinen Ruhm gegenüber.

Was den Erasmus nach Basel zog, war der amerbachische Kreis und vor allem Froben, der vor Kurzem, die Aldina nachahmend, eine Ausgabe der Adagia veranstaltet hatte und überdies durch Franz Birkman in den Besitz des revidierten erasmischen Handexemplares dieses Werkes gelangt war.

Erasmus traf nach Mitte Augusts 1514 in Basel ein. In Straßburg und Schlettstadt war er gefeiert worden; hier in Basel hatte er nur Wenige — Rhenan Bruno Amerbach Lister — benachrichtigt und wurde durch Diese empfangen.

Nun sahen sie den längst Verehrten von Angesicht. Einen mittelgroßen Mann, das zierliche „Körperchen“ in weltliches Kleid gehüllt, aus dem Hellen Angesichte schauten unter halbgeschlossenen Lidern hervor blaugraue Augen. Er gewann die Freunde sofort durch die Gewalt seines Blickes, durch den leichten angenehmen Fluß seiner feinstimmigen Rede, durch seinen Geist.

Sofort ging Erasmus in das Haus zum Sessel und brachte dem Froben einen Brief des Erasmus, als dessen Boten und Bevollmächtigten er sich einführte. Froben verstand den Scherz. Hochbeglückt, alle Ehren erweisend, empfing er den Gast. Zwei Tage darauf, an einem durch die theologische Fakultät bereiteten Bankette, lernte Erasmus die Weisen Basels kennen; auch aus der Nachbarschaft hatten Bewunderer sich eingestellt. Voll Freude begrüßte Erasmus auch den Glarean. Er war überrascht, so viele hochgelehrte Männer hier beisammen zu finden. Im Hause Frobens wohnte er, und vor den Staunenden breitete er nun seine Schätze aus; er war beladen mit Manuskripten und erfüllt von großen literarischen Plänen.

[156] Basel hatte nur eine Station auf dem Wege nach Italien sein sollen. Aber Erasmus kam nicht weiter. Die Stadt tat sich ihm auf. Er fühlte sich gewonnen. Mit welchen Empfindungen, hat er damals gegenüber Wimpfeling in einem Briefe voll prächtig bewegten Lebens ausgesprochen. Ein anderer Brief ging in den ersten Basler Tagen an Reuchlin, den er darin pries als die Zierde und das einzige Licht Germaniens. Sinnvoll ließ Erasmus diese Huldigung an den großen deutschen Humanisten sein Erstes in Basel sein. Indem er hier Fuß faßte, wurde er selbst wirklich ein Deutscher.

Auf solche Weise geschah der Eintritt des Erasmus in unsere Stadtgeschichte. Von da an war er dem Orte Basel nicht mehr entfremdet trotz langen Absenzen. Er blieb hier, auch abwesend, Fürst und Führer. Etwas unwiderstehlich Hinreißendes liegt in der ersten erasmischen Zeit Basels, in diesem Kommen und Gehen und Wiederkommen des einen Mannes. Welche Wirkung strömte von ihm aus, wenn er hier war, und welche Erfahrungen und auch Maßstäbe brachte er immer wieder, wenn er kam! Basel vermochte dies Alles zu bemeistern und zuletzt den Erasmus dauernd festzuhalten. Es stellte ihm Pressen und Buchhandel zur Verfügung; es führte ihm Menschen in Fülle zu; es gewährte ihm die den Studien nötige Ruhe und Anmut; es zeigte ihm das rheinische Behagen des Daseins.

In drei Gruppen schließen sich nun diese spätern Jahre des Erasmus zusammen.

Ihre erste, vom August 1514 zum Mai 1516 reichend, läßt ihn mit Ausnahme weniger Monate des Jahres 1515 (März bis Juli), die ihn durch die Niederlande nach England führen, in Basel leben. Sie begründet seine Basler Existenz und gibt der humanistischen Sodalität Basels ihre Gestalt. Sie ist ausgezeichnet vor Allem durch die Publikationen des griechischen Neuen Testamentes und des Hieronymus, ferner des Seneca, der Grammatik des Gaza, des Traktates von der institutio principis christiani.

Fünf Jahre sodann, vom Mai 1516 zum November 1521, gehen für Erasmus großenteils in den Niederlanden hin, namentlich in Löwen, wo er die Stiftung des Busleidischen collegium trilingue zur Verwirklichung bringt. Im Frühling 1517 ist er in England, zum letzten Male. Zwischenhinein, vom Mai zum September 1518, weilt er in Basel und besorgt die zweite Ausgabe des Neuen Testamentes.

Charakterisiert ist diese zweite Periode durch außerordentliche Bewegung und Tätigkeit. Von allen Seiten kommen Einladungen und Rufe; König Franz will ihn nach Paris ziehen, der bayrische Herzog nach Ingolstadt, der sächsische nach Leipzig. Er erhält eine Kanonikatspfründe in [157] Cambrai. Er wird Mitglied des königlichen Hofrates in Brüssel. Sein großes Eigenes aber sind die Ausgaben des Sueton und der Kirchenväter Cyprian u. A., die neutestamentlichen Paraphrasen, die Colloquia; bezeichnenderweise beginnt er zu dieser Zeit auch die Publikation seiner Briefe.

Er steht auf der Höhe des Lebens. Es sind nicht nur die Jahre eigner universaler Geltung. Mächtiger müssen ihn ergreifen der Blick auf das rings ihn umgebende Blühen der Wissenschaften und der Gedanke daran, was er selbst dafür getan hat. Schon jetzt breitet sich vor ihm sein Lebenswerk, die Fülle persönlicher Erfahrungen, die Wirkung und Anregung nach tausend Seiten, die Menge der Veröffentlichungen, der pädagogischen und moralischen Traktate, der Stillehren, der kritischen Arbeiten, der Editionen und Kommentare, die der gelehrten und der gläubigen Welt breite glänzende Straßen geöffnet haben zum Altertum sowie zu einem reineren Christentum. In solchem Gefühle kann er jetzt dem Sapidus die Drangsale und Kämpfe seiner verlassenen Jugend schildern, den Freunden Bär und Wolsey den Geist seiner Studien bezeugen, ihnen darlegen, was er erstrebt und wie er zur Erreichung dieses Zieles gearbeitet habe.

Im November 1521 wird dann für den in Basel bleibenden Erasmus hier eine neue Zeit beginnen.

Von allen Seiten vernehmen wir das Urteil über Erasmus.

Durch einen Brief macht er berühmt, durch die Widmung eines seiner Werke vollends unsterblich; so Manche verlangen nach dem Glücke, daß Erasmus ihnen in seinen Briefen „Statuen errichte“, d. H. sie erwähne. Ihm drucken die Verleger Alles, unbesehen. Kein Autorname ist so beliebt wie der seine. Überall hin gehen seine Werke. Allenthalben verkünden Schüler und Gläubige seinen Ruhm, in Höfen Ratskollegien Universitäten Sodalitäten, in den kleinern Zirkeln abseits lebender Humanisten. Er ist der Mann, der in amtlichen Aufzeichnungen kaum eine Stelle gefunden hat und von dessen Wirkung doch alles Geistige der Zeit vibriert. Der durch ganz Deutschland als der große Präzeptor gefeiert wird und sein Reich noch weit über Deutschland hinaus hat. Er ist eine zentrale Erscheinung. In einem Zeitalter großer Gewaltunternehmungen, fürstlicher und kriegerischer Machtgestalten, leiblichen Gedeihens und Genießens übt dieses kränkliche Männlein Erasmus eine Weltherrschaft rein idealer Kräfte.

Aber wenn Begeisterung und Unterwürfigkeit in einer Fülle von Epitheten stammeln, — vom „Phönix Germaniens“, von der „Wonne des Erdkreises“ u. dgl. bis zum „Manne für sich“ —- so verwirrt das nur. In dem Flimmer gehen die scharfen persönlichen Züge unter. Wir sehen dabei [158] das Bild derjenigen Welt, die von Erasmus lebt, auch der Basler Welt, weniger sein Bild selbst.

In diesem verbindet sich Großes mit Kleinem; bald tritt der Heros vor, bald der befangene Mensch. Eine außerordentliche Spannkraft und Beweglichkeit des Geistes hat zur Seite eine nicht gewöhnliche Sensibilität. Wie diese den Erasmus das Glück seines Lebensgefühles, seines Strebens und Vollbringens gesteigert genießen läßt, so gesteigert leiden das Widerwärtige von Anfeindung und Mißlingen. Sie läßt ihn die „Tragik des höheren Menschen“ in besonderem Maße dulden. Der in Allem wählerische, nichts Unharmonisches und Unfeines ertragende, von Speise Luft und Himmel merkwürdig abhängige Erasmus, dem der Ofendunst eine Qual und der Lärm der Wirtsstuben ein Greuel ist, zeigt sich noch stärker beherrscht durch seine Empfindlichkeiten im Geistigen.

Von früh an hat Erasmus nach Freiheit von andern gestrebt, lebenslang jedes Schul- oder Parteibekenntnis abgelehnt. Daß er mit Unzähligen guter und schlimmer Art zu tun bekommt, ist unausweichlich; aber die dabei gemachten Erfahrungen lassen ihn, den Reizbaren, der von Allen verstanden und geschätzt sein möchte, sich vielleicht an einzelne Wenige anschließen, doch dem Menschengeschlechte gegenüber kühl ablehnend sein. Aus selbstsüchtiger Klugheit, aus Freiheitsbedürfnis, aus leicht erregbarem Mißtrauen, aus Ängstlichkeit, aus Scheu vor Unruh und Gewaltsamkeit. Aber damit ist auch sein Geschick gegeben, daß er in großen Momenten, die Kraft und Willen Andrer verdoppeln, ausweichen und schweigen muß. Zur Bestürzung Solcher, die ihm Alles zutrauen aber sein Innerstes nicht kennen, dieses mobile et anxium ungenium, das durch eine höchste Gerechtigkeit seinem stolzen Selbstbewußtsein beigegebene bittere Empfinden einer Unzulänglichkeit.

Ergreifend ist dabei, wie Erasmus bis in die Fünfziger Jahre fast nur das Glück und den Glanz gloriosen Emporsteigens genossen hat und dann von allen Seiten her die Angriffe schonungsloser Gegner beginnen, neue Probleme mächtigster Art sich vor ihm auftürmen. In Kämpfen und oft trüben Stimmungen vergehen ihm seine letzten Jahrzehnte.


Das Bild dieser Wenigen — Rhenan Bär Capito Glarean Erasmus — ist dadurch bestimmt, daß sie nicht isoliert, sondern inmitten Vieler zu ihnen Gehörender stehen. Wie sie selbst Vertreter und Geschöpfe einer allgemeinen Geistesbewegung sind, so haben die sie umdrängenden Gestalten denselben Ursprung, wenn auch weniger willig und fähig zur Aufnahme und Wiedergeben [159] der großen Zeitmächte und überdies noch im Einzelnen die unmittelbaren Reflexe jener Führer tragend. Diese Mischung aus allgemeinen Influenzen und nahen persönlichen Einwirkungen bedingt die eigentümlich schillernde und unerschöpflich reiche Art des Schwarmes von Nachgeordneten, von Genossen Freunden und Jüngern, der das Reich der großen Basler Humanisten füllt.

Aus dieser Schar treten die Buchdrucker hervor, durch Stärke ausgezeichnet und von einer Unentbehrlichkeit getragen, die bisweilen zur leitenden Macht werden kann. In ihrer Nähe regt sich die zur Erscheinung des humanistischen Basel wesentlich beitragende Gruppe der Korrektoren.

Im Einzelnen voll Verschiedenheit, dem großen Geschehen näher oder- ferner stehend, zeigt sich endlich noch die Menge der dem Humanismus auf irgend eine Weise arbeitend oder genießend Zugewandten. Weitab von allem Zwang und aller Monotonie wogt das Leben in einer Fülle von Gestalten.


Wir treten näher, und als Erster begrüßt uns der Bischof dieser geisterfüllten Stadt: Christoph von Utenheim. Den Kirchenfürsten kennen wir schon. Hier sehen wir den Freund der Gelehrten. Wie sein Verhältnis zu den Herren der Universität ist, wird uns nicht gesagt. Aber wenn er uns vor Augen kommt, ist er stets bei den Verkündern des neuen Tages. Von dem 1508 in Basel weilenden Mathias Ringman läßt er sich in Privatstunden Geographie dozieren; er ist eleganter lateinischer Rede mächtig. In seinem intimen Verkehre mit Wimpfeling gibt er sich als Elsässer Humanisten; jetzt aber beherrscht ihn das Leben des erasmischen Kreises. Seit dem Erscheinen des Enchiridion gehört er zu den begeisterten Anhängern des Rotterdamers; nun er Diesen in seinem Basel vor sich sieht, bezeugt er ihm auf alle Weise seine Verehrung; er lädt ihn ein, er umarmt ihn, er schenkt ihm ein Reitpferd. Auch den Rhenan und die andern zieht er gelegentlich an seinen Tisch. Er ist freilich nicht der Genosse dieser Männer, sondern stets der Fürst, ein gnädiger Gönner, und doch ohne imposante Kraft. Mit stärkeren persönlichen Gaben würde er hier in Basel, auf solchem Boden und in solcher Umgebung, ein noch Größerer geworden sein, als wenig früher in Worms Bischof Johann von Dalberg gewesen mar.

In der Welt der Kathedrale machen sich noch einige andere Gestalten geltend: Der Domdekan Adelbero von Rotberg, dem Sebastian Brant seinen Äsopus gewidmet; der mit Erasmus und Ökolampad befreundete Domherr Nicolaus von Wattenwik; namentlich aber Hans Rudolf von Hallwil. [160] Seit Jahrzehnten saß Dieser im Domkapitel. Und nun, ein hoher Fünfziger, machte er sich wieder zum Schüler und lernte mit Begeisterung Griechisch. Die längste Zeit seines Lebens erschien ihm ohne Bedeutung und Reiz jetzt, da er ein neues Leben zu beginnen glaubte, da ein jugendliches Humanistenglück ihn erfaßte und schüttelte. Er redete nur von Erasmus, träumte von ihm, lebte in seinen Schriften.

Ob er sich freilich nicht zuweilen gestehen mußte, daß dies Alles im Grunde verspätet sei? Um so mehr trieb er seinen jungen Neffen Hartman in die Studien. 1516 ließ sich Dieser durch Ökolampad in der griechischen Grammatik unterweisen; mit Capito las er den Chrysostomus, den Origenes u. A. Daß ihm dann die Dragmata Ökolampads, die hebräischen Institutionen Capitos durch die Autoren gewidmet wurden, war vielleicht Verneigung vor dem hallwilischen Ruhme, vielleicht Äußerung von Wohlgefallen an dem jungen Edelmanne, der den Torheiten seiner Standesgenossen fern zu bleiben schien. Wichtig ist doch, wie dieser Geist der neuen Zeit die beiden Hallwiler zu ergreifen und zu formen vermochte; Hartmann folgte später dem Capito nach Mainz und war dann arbeitsamer Student in Leipzig.

Auch zwei Domkapläne sind hier zu beachten. Zunächst der alte Johann Bergman von Olpe, einer der Veteranen in Kaplanenschaft und Fraternität. Mit dem ehemaligen Genossen Sebastian Brant in Straßburg verkehrte er noch immer, und in Basel hatte sich ihm ein neuer Kreis aufgetan; dem Rhenanus vor Allen stand er nahe.

Aber er erscheint wie ein durch die Zeit überholter Amateur im Vergleiche mit seinem Kollegen, dem Domkaplan Hieronymus Brilinger. Was Dieser an feinerer Bildung vielleicht schuldig blieb, ersetzte er durch die Kraft und Reichlichkeit seiner Leistungen. Achtzehnjährig erteilte er Unterricht an der Domschule; als er 1505 Rektor der Universität wurde, feierte der offizielle Lobredner und Poet seine hektorische Statur, seine Redefertigkeit, die Prägnanz seines Wesens überhaupt. Jedenfalls bewährte er sich überall als brauchbaren Arbeiter, indem er ein Diplomatar und ein Ceremoniale des Domstifts zusammenstellte, die beinheimische Chronik für Adelberg Meyer übersetzte, die Chronik Blauensteins überarbeitete und im Anschluß an dies Alles zum Chronisten seiner eigenen Zeit wurde. Von einer herzlichen Begrüßung durch Leontorius abgesehen haben wir keine Zeugnisse seines Verkehrs mit dem amerbachischen und dem erasmischen Kreise. Aber auch ohne solche ist er kenntlich genug als rüstiger und aufmerksamer Altertümler.

Während einiger Jahre war hier auch die bewegliche Gestalt des Johann Fabri anzutreffen, der jetzt, zu Beginn einer großen kirchlichen [161] Laufbahn, neben der Pfarrei seiner Heimatstadt Leutkirch, die er durch einen Vikar besorgen ließ, das Amt des Offizials in Basel versah und hier auch eine Domherrnpfründe besaß. Wir finden ihn in nahem Verkehre mit Erasmus, mit Rhenanus u. A. und werden ihm in Konstanz, wohin er 1518 zum bischöflichen Generalvikariat berufen wurde, wieder begegnen als dem Gastfreund unsrer Humanisten.

In der Nähe des Münsterpredigers Capito stehen Caspar Hedio und Ludwig Carinus.

Durch die luzernische Heimat lange festgehalten, in Beromünster als Chorherr verpfründet, kam Carinus spät zu den neuern Studien. Ein Vierunddreißiger erst, 1514, wurde er in Basel Baccalaureus. Aber mit voller Kraft trat er in die mächtige geistige Bewegung dieser Basler Welt ein und gewann sich rasch Anerkennnng. Erasmus lobte seine Gelehrsamkeit und Eloquenz; Nesen rühmte ihn und verhieß ihm eine glänzende Zukunft. Glarean ehrte ihn durch die Widmung des zweiten Buchs seiner Elegien; Rhenan liebte ihn. Aber seine sitis literarum, sein wissenschaftlicher Eifer, ließ ihm keine Ruhe, führte ihn weiter, nach Paris Löwen Köln. Erst 1520 kam er wieder nach Basel. Aber nicht um zu bleiben. Im Dienste Capitos, als dessen Privatsekretär, ging er nach Mainz.

Kleinere, oft fast bedeutungslose, nur durch eine zufällige Nennung festgehaltene Existenzen sind in Menge vorhanden.

Namentlich mit Glarean treten manche seiner Schüler in das Licht, das diese einzigen Jahre erhellt: die Basler Egolf Offenburg und Wolfgang Wissenburg; die Luzerner Johann Jacob Zurgilgen und Rudolf Collinus (zum Bühl); die Glarner Peter Valentin und Gilg Tschudi, Jacob Heer, Fridolin Eglin; die Zürcher Johann Jacob Ammann, Konrad Grebel, Gerold Meyer von Knonau; der Solothurner Melchior Macrinus (Dürr).

Wir finden die meisten dieser Jünglinge auch in der Matrikel der Universität aufgeführt. Dort waren sie Studenten; Größeres scheint ihnen doch das freie humanistische Wesen im Bereiche Glareans u. A. gegeben zu haben.

Auch die Freunde Glareans Myconius und Artolf gehören in diesen Schweizer Zirkel.

Der Luzerner Oswald Myconius kam 1510 zur Universität Basel und wurde hier Baccalaureus. Dann erhielt er, zur selben Zeit da Glarean hier eintraf, eine Lehrerstelle an der Schule zu St. Theodor, später an derjenigen zu St. Peter. So fanden sich in Basel die Beiden wieder zusammen, die schon als Schüler des Rubellus Kommilitonen gewesen waren. Myconius als der Untergeordnete. Wie er im Kampfe mit den „Sophisten“ dem [162] Glarean sekundierte, so diente er ihm, auch nachdem er Basel 1516 wieder verlassen, mit dem Kommentar zur Beschreibung Helvetiens. Er war eine rauhe Erscheinung, schon in der Äußerlichkeit seines gewaltigen Haarwuchses; ein harter Kopf, den jeder Widerstand nur noch stößiger machte. Aber dies Alles sah man zurücktreten hinter einer geistigen Potenz, die eine Naturkraft war gleich derjenigen Glareans. Daß er mit ihr die Studien förderte und zu einem der Pioniere des Humanismus in der Schweiz wurde, gewann diesem Bauer die Neigung der Basler Gelehrten, sogar des Erasmus. Seiner überströmenden Liebe versichert ihn Dieser; er schätzt ihn, weil er seinem Glarean ein Theseus ist, ja noch treuer als Theseus.

Wie Glarean und Myconius war ein Schüler des Rubellus der 1509 in Basel immatrikulierte Hieronymus Artolf von Mutten bei Thusis. Er wurde damals für die Hauptzeit seines Lebens ein Basler. Zunächst beinahe ganz durch sein Pädagogentum absorbiert. Er war Schulmeister zu St. Theodor, später Lehrer an der Münsterschule; außerdem führte er eine private Lehranstalt. Aber auch in den Wissenschaften wollte er sich vorwärts bringen. Er gelangte dabei bis zum Doktor der artes, welchen Titel er freilich nur als Äußerlichkeit wertete; er meinte, die Köstlichkeit der Wissenschaften erst mit den Lippen genossen zu haben. Er trieb Griechisch. Ebenso die Medizin, ohne es in ihr trotz jahrelangem Studium zu mehr zu bringen als zum Kandidaten. Er trieb zu Vielerlei und kam nirgends so weit wie er wollte. Haereo ubique, klagte er. So ist an ihm nichts Vortretendes Bestimmendes wahrzunehmen. Aber er steht mitten in dem mannigfaltigen, von überall her anregenden Verkehre dieser Menschen, für die er gemeinhin nur der Bündner Rhetus heißt. Von Allen gerne gesehen. Dem Rhenan bei der Arbeit am Tacitus helfend, dem Salandronius in Chur Bücherpakete aus Paris vermittelnd, den Glarean beherbergend, dem Vadian sein Herz samt allen Sorgen öffnend.

Während diese Schweizer sich mit Vorliebe um Glarean sammelten, scheinen die Elsässer zu Rhenan gehalten zu haben. So Peter Frauenberger. So Paul Phrygio. So Lucas Klett, latinisiert Paliurus, ein geborner Rufacher. Er war mit den Amerbachen zusammen in Paris, immatrikulierte sich in Basel 1509, wurde hier Magister 1512 und erhielt als Regens einer der Bursen 1513 auf besondre Empfehlung des Rates Sitz im Fakultätsrate der Artisten. Im folgenden Jahre war er Inhaber einer privaten Lehranstalt, eines paedagogium. Aber auch diese Tätigkeit hatte nur kurze Dauer. Er suchte noch immer seinen Weg und sein Ziel. Durch Erasmus ließ er sich im November 1514 bei Zasius [163] in Freiburg einführen. Dann wieder, 1515 zum Doktor juris promoviert, versah er während einiger Semester eine vom Rate besoldete Lektur der Poesie an der Basler Universität. Daß er hierauf bei Baldung in Ensisheim sich vorstellte, geschah wohl, weil er in die dortige Regierung einzutreten willens war. Endlich 1517 fand er Ruhe und eine dauernde Lebensstellung: er wurde Kanzler des Bischofs von Basel.

Als Typus des kleinen Humanisten mag Johann Glother hier genannt werden, eh er seine Helferei in Schlettstadt, dann die Pfarrei in Mülhausen antritt. 1520 erhält er durch Verwendung seines Gönners Ulrich Falkner ein Pfründlein zu St. Martin und kann nun Griechisch lernen; vorher ist er irgendwo in Basel ein Schulmeisterlein, ludimagisterculus, gewesen.

Ansehnlicher ist der zum Umgange Rhenans gehörende Basler Niclaus Briefer. Historische Interessen haben die Beiden vielleicht schon frühe zusammengebracht. Briefer, eine stattliche und stadtbekannte Figur, hatte seit 1511 eine Chorherrei zu St. Peter inne, von 1507—1513 versah er eine vom Rate besoldete Lektur. Seine geschichtlichen Arbeiten werden an andrer Stelle zu erwähnen sein.

Wo von Rhenan die Rede ist, hat auch Albert Bürer eine Stelle. Aus Brugg stammend, Sohn des Königsfelder Hofmeisters, war er in Basel anwesend von seiner Immatrikulation 1514 bis zum Jahre 1521 und während dieser Zeit minister perpetuuades Rhenan; der alumnus, der famulus, der Hausgenosse des stillen frauenlosen Gelehrten. Durchaus subaltern und treuer Knecht. Rhenan ist ihm Alles, ersetzt ihm in seiner einzigen Person sämtliche Weisen von Bologna Mailand und Athen. Er wird ihm folgen, wohin er will und auf allen Wegen, per saxa et per ignes. Bei Gelegenheit ist er auch wissenschaftlicher Helfer. Ächt und offen, durch wenig Stilisierung verdorben, lebt die Kunde dieses persönlichen Verhältnisses in Bürers Briefen. Während der Abwesenheit Rhenans in Schlettstadt sucht Bürer als Korrektor etwas zu verdienen. 1521 geht er nach Wittenberg, um den Melanchthon zu hören, und verschwindet damit aus Basel.

Aus Niederungen werden wir wieder zur Höhe geführt durch Claudius Cantiuncula. In Metz geboren, bildet er sich zum Juristen in der berühmten, den modernen Methoden geöffneten Rechtsschule zu Löwen. Von dort kommt er nach Basel und wird 1517 in die Matrikel eingetragen; 1518 erhält er die Nachfolge Göttisheims in der Professur des Zivilrechts, im März 1519 wird er zum Doktor der Rechte promoviert, am 18. Oktober [164] d. J. zum Rektor gewählt. Und dann legitimiert er sich auf eine den Zeitgenossen glänzend erscheinende Weise durch sein großes Werk der Topica, 1520 bei Cratander erscheinend, durch den Autor dem Kardinal Matthäus Schiner gewidmet. Zasius, der diese Topica schon im Manuskripte kennen gelernt hat, nennt sie ein goldnes Buch, ein Buch zum Küssen; ungeduldig wartet er, bis es im Druck erscheine, der fruchtreiche Garten des Alcinous in ihm sich auftue. Reizvoll ist die Gestalt dieses jungen Professors und Schriftstellers. Schon als Halbfranzose inmitten all der Schwaben und Oberrheiner der Universität. Er ist offenbar auch weltmännischer als die Meisten seiner Kollegen. Ein eleganter Jurist von moderner Art. Sein nicht leichtes, aber fein geformtes Latein wird durch Erasmus gepriesen, und auch an seinem fröhlichen umgänglichen Wesen hat Dieser ein Wohlgefallen. Jedenfalls tauscht Cantiuncula gerne so oft als möglich die zum guten Teil klerikale Welt der akademischen Hörsäle gegen die belebten Humanistenzirkel, wo vor Allen Bonifaz Amerbach ihm nahe tritt. Aber auch der große Zasius im nahen Freiburg liebt ihn; Cornelius Agrippa hat sich ihm, dem Jüngern, als Freund angetragen; die gute Meinung, die er sich in der Löwener Studienzeit bei Martin Dorpius erworben, verschafft ihm dessen warme Empfehlungen. In solcher Weise erscheint Cantiuncula vor uns. Ohne scharfen persönlichen Umriß. Mehr eine Richtung und Denkart als sich selbst darstellend. Nur ein kurzer Eintrag über eine Matrimonialsache, in der er durch Magdalena Lamparts als Klägerin vor Gericht gezogen wird, gibt seinem schattenlos hellen Bild einen an Menschliches und Leidenschaftliches erinnernden Zug. Von der praktischen Tätigkeit Cantiunculas als Sachwalter bei den Gerichten, als Sekretär und Syndikus des städtischen Rates ist an anderm Orte zu reden.

Wir schließen die Reihe, die mit einem Fürstbischof anhob, mit einem Bettelmönche, dem uns schon bekannt gewordenen Konrad Pellican, dem einzigen Kuttenträger in dieser Gesellschaft. Pellican scheint allen Sodalen, mit Ausnahme des Erasmus, an Kenntnis von Welt und Menschen überlegen gewesen zu sein. Als Minorit war er an keine Stabilität gebunden; im Geleite des Provinzials Satzger sodann kam er auf jahrelangen Reisen durch ganz Süddeutschland, nach Paris Rouen Rom. Es waren Reisen, die ihn allenthalben zu Gelehrten, zu Bibliotheken, zu wissenschaftlichen Neuigkeiten jeder Art brachten. Die Beweglichkeit des Mendikanten verband sich so mit derjenigen des Humanisten, bei einem Menschen, der an sich schon ein Typus von Elastizität und Frische war. Unter völligem Fehlen [165] alles Pathetischen. Wie im Bereiche der Kirche Pellican als eine Gestalt von seltener Reinheit vor uns steht, so im Gelehrtentreiben. Hier wies ihn seine wissenschaftliche Art ohne Frage zu den Besten. Schon frühe feierte ihn Rhenan als einen der wenigen großen Vertreter des elsässischen Humanismus; später wußte Reuchlin für die neue hebräische Professur in Wittenberg keinen Tauglicheren zu empfehlen als ihn. Sein erster Basler Aufenthalt, während dessen er das Lektoramt im Barfüßerkloster versah, dauerte von 1502 bis 1508. Die Stadt erlebte damals viel, und die Aufregung dieser Jahre reflektiert sich z. B. in den Briefen Wimpfelings; auch Pellican verlangte nach einem ruhigeren Orte und ließ sich 1508 nach Rufach versetzen. Dann im Sommer 1516 wieder weilte er hier, und zu Pfingsten 1519 wurde er Guardian des Basler Konventes.


Die bunte Schar dieser Nachgeordneten muß uns schon als Ganzes wichtig sein vermöge der durch sie gemeinsam vertretenen Gesinnung. Aber auch vermöge ihrer Funktion, Resonanz Dessen zu sein, was die Großen sagten und taten. Wie lebendig mögen sie oft den Kontrast empfunden haben! Es war das Gefühl der Nähe großer Geister, das bald niederdrückt bald erhebt; es war das Bewußtsein, nur Nebenfigur und Begleiter, höchstens Gehilfe zu sein.

Ein Zeugnis solcher Stimmungen gibt uns Bürer, bei dem neben der Verehrung für seinen Herrn und Meister Rhenan zuweilen die Klage über Aussichtslosigkeit einer solchen Subalternität durchbricht. Er verlangt nach Änderung, nach Verbesserung. Unschätzbar in ihrer Laune ist die Antwort Rhenans. Er rät dem Bürer, gleich andern Lehrkurse für Jünglinge aus guten Häusern einzurichten. Er werde damit sein Glück machen, Geld und Gönner gewinnen; solches Lehren sei auch das beste Mittel, um selbst gelehrt zu werden und durch die beständige Übung einen eigenen Stil zu erlangen. Es gebe aber noch einen andern Weg, der aus dem Elend heraushelfen könne, nämlich Söhne reicher Herren oder Nepoten großer Prälaten als Mentor zur Universität zu begleiten, nach Mailand oder Bologna oder Wittenberg. Von solchem Dienste heimgekehrt werde er mit Hilfe seines Herrn leicht Gelegenheit haben, entweder eine fette Pfründe zu erlangen oder eine wohlhabende Matrone zu heiraten, die er nach ihrem baldigen Tode beerben und sodann als reicher Mann eine schöne junge Frau nehmen könne. Die dritte Möglichkeit sei die Arbeit eines Korrektors in der Druckerei.

[166] Die Epoche, die Alles zur Steigerung und Reife brachte, hob auch die Buchdruckerei in einziger Weise. Aus einer Fülle verschiedener Persönlichkeiten und Leistungen formt sich vor uns ein imposantes Bild.

Wenn Konrad Geßner die einzelnen Bücher seiner Pandekten den großen Basler Druckern widmete und wenn später Christian Wurstisen ein hohes Lied auf die Typographen des erasmischen Basel — als die Mehrer des Schatzes göttlicher und menschlicher Weisheit, die Förderer so vieler erlauchter Geister, die Verherrlicher der Stadt, die Wohltäter der Menschheit — erklingen ließ, so waren das Huldigungen der Wissenschaft durch den Mund von Polyhistoren, die aus ihrer Distanz die ganze mächtige Erscheinung vor Augen hatten.

Der Geist der neuen Kunst des Buchdrucks war an sich verwandt mit dem Geiste des Humanismus. „Alles wandert zur Druckerei, es gibt keine Geheimnisse mehr, und wir wissen, was Jupiter droben im Himmel und Pluto unter der Erde treibt.“ Die Drucker selbst konnten das Bewußtsein haben, gleich den Humanisten Kämpfer und Bahnbrecher zu sein.

An eine ausschließliche Tätigkeit der Basler Pressen im Dienste der neuen Wissenschaft ist natürlich nicht zu denken. Sie besorgten auch Tagesliteratur, während geraumer Zeit auch noch viel Erbauliches, scholastische Kommentare Predigten Postillen u. dgl. Noch 1517 wetterte Rhenan, daß Lachner nur Sinn habe für den Verlag der gangbaren und einträglichen Bücher alter Art von Brulifer Spiera Biel usw.

Auch das übersehen wir nicht, daß viel Schweres zu überwinden war auf dem Wege zum europäischen Ruhme der nobilis Basiliensis libraria, daß viel Irdisches hinter diesem Glanze lebte. Zahlreiche Äußerungen zeigen die Befangenheit und Bedingtheit, die Arbeitsmühe, die Sorge und den Streit: unabwendbare Beigaben zum Tun Derer, die sich Vollender so großer Dinge nennen durften.

Johann Froben, 1460 im fränkischen Städtchen Hamelburg geboren, wurde 1490 Bürger zu Basel. Ohne Zweifel durch seinen Landsmann Johann Amerbach hergezogen, in dessen Werkstatt er seine Ausbildung erhalten zu haben scheint. Sein erster eigener Druck, eine Bibelausgabe, kam 1491 zu Stande. Später druckte er in Gemeinschaft mit Johann Petri und Johann Amerbach. 1507 erwarb er das Haus zum Sessel am Totengäßlein, in dem die amerbachische Offizin zur Miete gewesen war. Seitdem hieß Froben der Drucker zum Sessel, bei Freunden kurzweg der Sessler Sediliensis.

[167] Der Tod Petris 1511, dann der Tod Amerbachs 1513 gaben Froben freie Bahn. Jetzt erst, er stand schon in den Fünfzigen, begann sein eigentliches Wesen sich zu verkünden. Er erbte die Tradition Amerbachs, der ihm seine letzten großen Publikationspläne, den Hiob, den polyglotten Psalter, die Chronik Eusebs u.a.m., samt dem schon begonnenen Hieronymus, zur Ausführung übergeben hatte. Er war willens, auch den amerbachischen Ruhm anzutreten und durch eigene Leistungen frisch zu verdienen.

Es geschah dies in denkwürdiger Weise durch neue Orientierung des Verlags sowie äußerlich durch Ändern des Formates, der typographischen und der bildlichen Ausstattung.

Schon der erste frobenische Druck, die Bibel von 1491, hatte sich durch Zierlichkeit ausgezeichnet. In dieser Sorge für eine neue Schönheit des Werkes zeigte sich Frobens Natur und gewann er sich Anerkennung; Zasius wollte deshalb Alles besitzen, was Froben ans Licht gab, und Rhenan pries am Drucke des decretum Gratiani 1512 neben der dem Amerbach zu verdankenden Korrektheit des Textes die hohe venustas der Typen Frobens. Mit eleganter Antiqua druckte dann Froben die Adagia des Erasmus. Jodocus Badius in Paris hatte sie nach dem Venediger Erstdrucke von 1508 neu drucken wollen; Froben kam ihm zuvor und publizierte im August 1513 eine Ausgabe der Adagia, jener Aldina so täuschend nachgeahmt, daß sie mit ihr verwechselt werden konnte. In solcher Weise den Wettkampf mit Venedig und Paris aufnehmend vollbrachte Froben etwas, das über die Bedeutung der typographischen Leistung und des buchhändlerischen Geschäftes weit hinausging. Dieser schöne Foliant, mit der Klarheit und Anmut seiner Typen, der Geschlossenheit des Satzbildes, dem reichen Schmucke begründete das Verhältnis des Autors zum Drucker. Durch die Adagiaausgabe zog Froben den Erasmus nach Basel; dann brachte die überlegene Schönheit seines griechischen Satzes vollends zu Wege, daß Erasmus den Pariser Badius aufgab und sich an den Basler Froben hielt. Dieser wurde vor Allem der Drucker des Erasmus. Ein Adel war damit erlangt, der die Werkstatt im Sessel über alle andern Druckereien Basels hob; zugleich aber war einer Gestaltung der Arbeit gerufen, vermöge deren diese eine Offizin während langer Zeit das Zentrum der neuen geistigen Bewegungen nicht allein Basels, sondern eines viel weiteren Bereiches wurde.

Neben Johann Froben will sein Socius Wolfgang Lachner aus Neuburg a/D. beachtet sein. Er wurde 1488 in Basel Bürger. Vom Buchführer, als welcher er den Detailvertrieb von Büchern besorgte, erhob er sich bald zum Verleger. Er gab dem Kilian Fischer, dem Jacob von Pforzheim [168] und andern Basler Druckern Aufträge, so auch dem Heinrich Gran in Hagenau. Er machte Geschäfte mit der Societät Amerbach-Koberger und betrieb neben dem Allem noch immer den Einzelverschleiß von Büchern, auch von auswärts, in Paris usw. gedruckten. Er hatte in seinen Diensten ein Geschäftspersonal, zu dem Leute gehörten wie die später im Bücherwesen viel genannten Konrad Resch und Buchbinder Mathis. Auf diesem Wege wurde er ein „Druckerherr“. Aber er hieß auch „Kaufmann“, weil er sich nicht nur bei der Druckerei beteiligte, sondern noch andere Geschäfte machte, Geld auslieh und allenthalben Debitoren hatte. Seine Tochter Gertrud wurde 1510 die zweite Frau des Johann Froben. Und seitdem nach Amerbachs Tode die Offizin im Sessel dem Froben allein unterstand, war Lachner mit Diesem in engster geschäftlicher Verbindung. Er war Frobens Verleger. Er besorgte den Absatz. Er verhandelte über neue Unternehmungen. Nicht immer nach dem Sinne der humanistischen Freunde Frobens. Lachner war der erfahrene und rührige Händler. Neben dem künstlerischen Schöpfer Froben der Geschäftsmann. Gegen außen weniger hervortretend; aber die Eingeweihten wußten, wie viel von ihm abhing, wie energisch er den ganzen Betrieb zusammenhielt. Nach des Erasmus Urteil war er der Führer, der princeps/tt> der Unternehmung. Im Januar 1518 starb er an der Pest, und die Zunftgenossen zu Safran begingen in der Andreaskapelle seine Jahrzeit. Aber im Sessel schien ein Teil seines Wesens weiterzuleben in seiner Tochter, der Frau Frobens. Über das Regiment dieser kleinen resoluten Person, die auch in geschäftliche Dinge hineinredete, hatte Erasmus sich oft zu ärgern. Noch in Frobens alten Tagen bescherte sie ihn mit einem Kinde, der 1523 geborenen Ursula; nach seinem Tode heiratete sie rasch den Johann Herwagen.

Der Weggang Lachners machte den Froben zum alleinigen Herrn der Buchdruckerei. Noch gab es finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden. Dann aber begann ein Jahrzehnt mächtiger und glorreicher Tätigkeit, das letzte Jahrzehnt im Leben Frobens.

Inmitten dieser Tätigkeit steht er vor uns, wie ihn Holbein gemalt hat: mit dem etwas verkniffenen Gesichte, niederstirnig, aber energischen ruhigen Wesens. Seine Rechtlichkeit rühmten Alle; wenn Erasmus ihn langsam vergeßlich leichtgläubig schalt, so waren das momentane Verdrossenheiten eines maßlos verwöhnten Autors. Voll zäher Kraft verrichtete Froben Tag für Tag eine „Herkulesarbeit“. Seiner Jahre bewußt, aber mitgerissen vom allgemeinen gewaltigen Arbeitsdrange trieb er ungeduldig vorwärts, wollte er jede Stunde nützen.

[169] In Allem, was von ihm ausging, lebte etwas Großes, etwas auf weite und dauernde Wirkung Gerichtetes. Daher er keine „deutschen Liedlein“, keine Flugblätter und Hefte hervorbringen wollte, sondern nur tüchtige inhaltsreiche Bände. Er war ohne den Geschäftssinn Lachners. Auch ohne die Gelehrsamkeit Amerbachs, indem er zwar ein gelenkes Deutsch schrieb, aber im Lateinischen nicht stark war. Was ihm Leben und Mut gab, war das regste wissenschaftliche Interesse, war der künstlerische Schöpferwille.

In der Tat machte die von solchem Geiste geleitete Produktion seiner Offizin, samt all dem Hohen Schönen Programmatischen, das in den Frobens Namen tragenden Vorreden gesagt war, ihn berühmt durch die Welt. In Deutschland und in Flandern wie im anspruchsvollen Italien. Als höchstes Lob eines wissenschaftlichen Werkes galt dem Erasmus, wenn es der Ehre würdig genannt wurde, durch Froben gedruckt zu werden. Humanisten und Bücherfreunde feierten in Froben den mit dädalischem Geiste Begabten, den Fürsten aller Typographen, den Wiederhersteller der Wissenschaften, die Leuchte der gebildeten Welt.


Der aus Straßburg nach Basel gekommene Niclaus Lamparter heißt Anfangs bald Drucker bald Buchführer; er ist auch Diener des Buchhändlers Hans Herlin in Freiburg i/B. Erst 1500, nachdem schon seit zwanzig Jahren hier von ihm die Rede gewesen, wird er Bürger, gelangt er zu einer selbständigen Stellung. In den Jahren 1505—1509 und 1515—1521 werden Bücher genannt, die er hier erscheinen läßt; dazwischen zeigt er sich, 1507 und 1508, auch in Frankfurt a/O. als Drucker tätig, in Gemeinschaft mit Balthasar Murrer. Aber wie die Produktion Lamparters wenig umfangreich und an sich wenig ansehnlich ist, so hat auch sein Leben nichts Gehobenes. Friedbrüche Mordhändel üble Aufführung seiner Ehefrau, Geldschulden u. dgl. bringen seinen Namen unaufhörlich in die Akten von Rat und Gericht. Zuletzt flieht er vor seinen Gläubigern aus Basel, und im Herbste 1522 verzichtet er auf das Bürgerrecht. Vier Jahre später begegnen wir ihm doch wieder in Basel, diesmal als neugewähltem Siegrist zu St. Martin; 1529 stirbt er.

Auch Michel Furter, Jacob von Pforzheim, Thomas Wolf sind Basler Drucker dieser Zeit. Aber neben der großen Macht Froben haben sie sowie Lamparter kaum Bedeutung; das Interesse an ihrem Genossen Pamphilus Gengenbach liegt wesentlich auf der schriftstellerischen Seite. Nur Zweie vermögen sich eigenartig und kräftig zu behaupten: Adam Petri und Andreas Cratander.

[170] Der zu Langendorf 1454 geborne Adam Petri gehörte zu derselben fränkischen Sippe, die den Johann Petri und den Johann Froben nach Basel gab; Jener war Adams Oheim und auch Froben ihm nahe verwandt. Im Betrieb ihrer Societät hatte sich Adam Petri herangebildet. Dann ging er seinen eigenen Weg, vielleicht in Zusammenhang mit Vorgängen im Innern der Gesellschaft, deren Wirkung auch die Übernahme des Sessels durch Froben 1507 gewesen zu sein scheint. In eben diesem Jahre erwarb Adam Petri das Bürgerrecht. Damals nahm er die Anna Selber, Tochter des bischöflichen Fiskals Sixtus Selber, zur Frau. Auch begann er jetzt den Betrieb einer eigenen Druckerei, im Hause zum Langen Pfeffer an der Weihengasse.

Zwei Jahrzehnte füllte die Tätigkeit Adam Petris. Wir sehen ihn an die Messen reisen und Novitäten nach Hause bringen. Aber das Wesentliche ist seine eigene Produktion, zum Teil als Lohndrucker für Andere. Der Katalog seiner Arbeiten erweist sich unter den Basler Katalogen jener Zeit wohl als der interessanteste. Nicht so vornehm wissenschaftlich und stilvoll geschlossen wie derjenige Frobens. Sondern von reichster Mannigfaltigkeit und überdies bewegt durch eine lebendige Entwickelung. Seit Beginn pflegt Petri das normale und fruchtbringende Feld der Erbauung und der Scholastik; daneben kommt bald auch der Humanismus zu seinem Rechte. Namentlich aber vertritt Petri — mit Lamparter und Gengenbach — diejenige Produktion, auf die sich die Drucker der vornehmen Folianten nicht einlassen: Flugblätter Lieder Kalender Laßbriefe u. dgl. Sie sind Träger der ungeduldigen und ungestümen Zeitstimmung, stehen völlig im Heute. Während Froben nie ein deutsches Buch druckt, ist der frische Petri Urheber von populärer Literatur und Übersetzungen. Von 1518 an wird seine Offizin die Heimat von Werken Luthers und von Tages- und Streitschriften aller Art, bis zu Eberlin von Günzburg und zur deutschen Bibel. Damit hat er seinem Betriebe die Eigenart gegeben und sich selbst den Ruhm gewonnen, der ein halbes Jahrhundert später bei Wurstisen laut wird, da Dieser die Begräbnisstelle Petris zu Barfüßern sucht, zwischen den Gräbern so vieler vergessener Helden und Edeln das Grab des einen unvergeßbaren Mannes.

In den Büchern des Stadtgerichtes ist Adam Petri oft erwähnt. Er hat viel mit Gläubigern zu tun, ist geplagt durch Lasten und Verbindlichkeiten mancher Art, bis die Lutherdrucke ihm das Gedeihen bringen; mit ihrem raschen und großen Absätze macht er glänzende Geschäfte.

[171] Der Straßburger Andreas Cratander (Hartmann) immatrikulierte sich 1502 an der Heidelberger Universität. Dann kam er nach Basel. Aber trotz der geistigen Qualitäten, die er später zeigte, waren hier seine Anfänge untergeordneter Art. Akten von 1505 und 1512 nennen ihn einen Druckergesellen. Sie erwähnen auch seine Ehefrau Irmeli, die hier starb. In Folge davon scheint er Basel verlassen zu haben; 1513 trat er bei Mathis Schürer in Straßburg als „Diener“ ein. 1515 jedoch war er wieder in Basel und hatte Anstellung bei Adam Petri; als ein Korrektor von gelehrter Bildung verfertigte er 1516 das Repertorium zu den von Petri gedruckten Werken des Ambrosius. Zwei Jahre später sehen wir ihn im Besitz einer eigenen Offizin. Zusammen mit dem später in Köln wirkenden Servatius Kruft druckte er 1518 Werke des Ökolampad, des Erasmus, des Lorenzo Valla usw. Seit 1519 sodann, in welchem Jahr er Bürger von Basel wurde, arbeitete er allein. Eine durchaus modern gerichtete, humanistische Offizin.

Rasch und mächtig wachsend, zum Teil als Lohnwerk für auswärtige Verleger, steht die Produktion Cratanders mit glänzenden Autorennamen vor uns. Ihrer hohen Qualität entspricht der persönliche Verkehr Cratanders mit den Gelehrten. Merkwürdig frei, wie ebenbürtig begegnet er Diesen. Seine zahlreichen Briefe an Vadian zum Beispiel, dann auch die an Bonifaz Amerbach in Avignon gerichteten, sind in Sprache und Geist tadellose Humanistenbriefe. Mit Capito in Mainz pflegt er die alte Freundschaft. Ökolampad ist sein Vertrauter. 1521 wohnen Ursinus Velius und der Zürcher Konrad Grebel bei ihm, und er freut sich des frischen Lebens, das sie seinem Hause bringen. Auch mit dem großen Andreas Alciatus wird er bekannt und erhält von ihm sein neuestes Werk zur Veröffentlichung. Cantiuncula gibt ihm seine Topica und Vadians Wiener Verleger Alantsee die zweite Ausgabe des Pomponius Mela. So bekannt ist Cratander schon überall, so empfohlen durch seinen wissenschaftlichen Sinn und die Sorgfalt, die er dem Text und der Ausstattung seiner Editionen schenkt. Täglich strömen ihm Gelehrtenmanuskripte zu, die gedruckt sein wollen, so daß er nicht weiß, mit welchem beginnen. 1522 erwirbt er die Hofstatt der Sürlin in der Petersgasse, zum schwarzen Bären, und richtet da seinen Betrieb ein.

Angesichts solchen Wesens denken wir natürlich an Froben. Es liegt nahe, die Beiden zu vergleichen. In der Tat fand Froben, daß dieser Cratander ihm ins Gehege komme. Ungerne sah er ihn Erasmisches drucken, ungern auch das alciatische Buch übernehmen; die geschäftliche Verbindung Cratanders mit der großen Societät Koberger-Birkman-Alantsee, zum Drucke des Augustinus 1521, mißfiel ihm sehr.

[172] Uns erscheint der cratandrische Verlag, in dem auch die Kampf- und Tagesliteratur Platz fand, vielseitiger als derjenige Frobens. Ohne weniger vornehm zu sein. Die Figur Cratanders ist überhaupt die stärkere; er vermochte sich unabhängiger zu halten.


Das diesen Einzelnen Gemeinsame ist die Eigenart des Buchgewerbes innerhalb der Stadtwirtschaft sowie sein weit über die Stadt hinausreichender Ruhm.

Wie sich dieser Ruhm seine Wege bahnt, im Buchhandel und im großen Verkehr aller Welt, wird uns noch gezeigt werden.

Aber ein Stück dieser Anerkennung, die das Basler Gewerbe draußen gewinnt, ist schon die Teilnahme auswärtiger Verleger.

Das alte Verlegerwesen haben wir kennen gelernt bei den Kaufleuten Meltinger Bischoff usw., die ihr Geld auf gleiche Weise im Buchgewerbe arbeiten ließen, wie sie es in Tuchfabriken Bergwerke u. dgl. gaben.

Die Entwicklung war zunächst die, daß die Kaufleute allmählich ausschieden und die Verlegerei Sache der Buchgewerbsleute selbst wurde. Vor Allem war der Drucker immer häufiger zugleich auch Verleger. Außerdem ging das Verlagsgeschäft auch in die Hände Solcher über, die zwar Buchgewerbler, aber nur Händler und nicht auch Drucker waren; sie gaben sich nicht mit der „Sudlerei“ der Werkstatt, sondern ausschließlich mit Verlagsgeschäften ab. Ein Basler Buchhändler dieser Art war Wolfgang Lachner.

Daneben zeigen sich noch andere Kombinationen. Der Vertrag, den Adam Petri 1519 mit Heinrich David über den Druck zweier juristischer Werke und einer Postille schloß, war ein Buchunternehmen eines Kaufmanns, wie deren früher viele vorgekommen waren. In andern Fällen, so beim Verlage der Werke des Hieronymus durch die Familie Amerbach 1516, oder beim Verlage der glareanischen Elegien durch Gertrud Lachner 1516, wirkten bestimmte persönliche Beziehungen.

Das Häufigere aber war jetzt, daß nicht einheimische, sondern auswärtige Unternehmer die Basler Pressen beschäftigten, soweit diese nicht dem eigenen Verlage des Druckers dienten. Das Verbot der Assozierung mit Fremden, das sonst Alle binden wollte, bestand für solche Vertragsvereinbarungen nicht. Ja ein Ratsbeschluß von 1506 ermäßigte für das im Aufträge fremder Verleger geschehende Lohnwerk den Pfundzoll.

Von einem großen Beispiele solcher Publikationen durch auswärtige Unternehmer, der Verbindung Amerbachs und seiner Gemeinder mit Anton [173] Koberger in Nürnberg, ist schon gehandelt worden. Es ist in eingehendster Weise bezeugt und uns nahe gebracht, während wir von zahlreichen Abmachungen dieser Art nur das Faktum wissen, aber nichts Näheres erfahren. So hat Jacob von Pforzheim gedruckt für Koberger, für Johann Rynman in Augsburg, für Max Werdmüller in Zürich; Michel Furter für Johannes Schott in Straßburg; Niclaus Lamparter für Hans Haselberg auf der Reichenau; Adam Petri für Johannes Lor in Magdeburg, für Leonhard und Lucas Alantsee in Wien, für Gotthard Hittorp und Ludwig Hornken in Köln, für Hans Koberger in Nürnberg, für Johann Rynman in Augsburg, für Konrad Hysch in Augsburg; Andreas Cratander für Ludwig Hornken in Köln, für das Konsortium Koberger-Birkman-Alantsee.

Das Gesamte dieser Beteiligung des Auslandes, dieser Verbindung hiesiger und fremder Kräfte zu gemeinsamer Arbeit hat etwas Großes. Die Unternehmungen solcher Art gründeten sich alle auf die Tüchtigkeit des Basler Gewerbes; sie befestigten ihrerseits wiederum den Ruf der Stadt als eines Zentrums im Buchgewerbe überhaupt.

Wichtig für die Buchproduktion Basels war zunächst die Beschaffung des Papieres. Wie vor einem halben Jahrhundert die Papiererei der Gallizian den Druckern das Fußfassen in Basel erleichtert hatte, so waren jetzt die Nachfolger der Gallizian im St. Albantal, die Zürcher Dürr Heusler u. A., die Lieferanten. Auch wurde auf der Klybeck durch Siegmund den Steinschneider eine Papierfabrik betrieben. Außerdem ist viel die Rede vom Import fremden Papieres; die hiesige Produktion mochte dem starken Konsume der Basler Pressen nicht immer genügen. So kam Papier von Straßburg, wo Fabriken bestanden und zugleich der Stapelplatz für Papiere aus Lothringen (Epinal) war. Koberger hatte da die Hauptbezugsquelle für seine Basler Editionen gehabt, und auch Froben verarbeitete öfters lothringisches Papier. Ein Lieferant der Basler war auch der Papierer Felix Mennli in Lörrach. Die Stadt erleichterte den Import durch die Bestimmung, daß dieses Papier nicht wie andere fremde Ware zuerst ins Kaufhaus zu bringen sei, sondern den Druckern direkt in ihre Häuser geführt werden könne. Die Billigkeit des Papieres auf dem Basler Markte scheint notorisch gewesen zu sein.


Nur Weniges erfahren wir aus dem Betriebe der Werkstätten.

Während Cratander in seinen guten Zeiten mit zwei Pressen arbeitete, hatte Froben deren vier, sechs, ja sieben. Auch die Gesellen im Sessel [174] werden ab und zu genannt. Sie mußten als Setzer Bildung haben und gelegentlich im Stande sein, griechischen Satz unmittelbar aus einem Originalcodex herzustellen. Wir vernehmen auch, daß sie Xenia der Autoren beanspruchten; als einmal dieses Trinkgeld des Erasmus ausblieb, rächte sich der Setzer dadurch, daß er mittelst leichter Änderung eines Wortes, das einem unbedachten Lesefehler ähnlich sah, eine Unanständigkeit in den Text brachte, deren Schmach Erasmus gerne mit vielem Gelde beseitigt haben würde.

Das sind vereinzelte und zufällige Nachrichten. Vom gesamten Personal — Setzer Drucker Posselierer Illuministen Componisten Formschneider Buchbinder usw. — wissen wir kaum Etwas.

In den Anfangszeiten des Buchdrucks, durch den zum ersten Male eine Massenfabrikation an Stelle der sonst üblichen Einzelherstellung und Stückarbeit trat, konnte das Einbinden des Buches nicht gut vom übrigen Betriebe gelöst werden. Auch war die bestehende Buchbinderei außer Stande, dem plötzlich auftretenden großen Bedarfe zu genügen. Wir sehen demnach dieselbe Offizin nebeneinander Druck und Einband besorgen.

Das mächtige Wachstum des Buchgewerbes drängte allerdings auch seinerseits die Buchbinder zur Organisation, und Konflikte konnten dann nicht ausbleiben in der Art des Streites der beiden zünftigen Buchbindermeister Spidler und Zumüller mit einem im Dienste Amerbachs, dann Furters arbeitenden Buchbinder, 1507. Andrerseits mußte die Entwicklung des Buchgewerbes zu allmählicher Ausscheidung der verschiedenen Funktionen führen. Wie der Verleger, der Sortimenter, der Formschneider, der Schriftgießer zu selbständiger Stellung gelangten, so auch der Buchbinder.

Hans Zumüller 1505 1507, Peter Spidler 1506 1508, Niclaus Cantus 1507—1526, Philipp Ytel von Augsburg 1516 1520, waren selbständige Buchbinder im damaligen Basel. Ebenso Hans Furter, des Buchdruckers Michael Bruder, 1513 1515 1517. Ferner Wolf Lorenz Faust, erst Geselle des Michael Furter, nach dessen Tode 1517 als Buchbinder auf eigene Rechnung arbeitend, später (bis 1558 nachweisbar) auch Korrektor und Drucker geheißen. Endlich Mathis Bierman aus Jülich, als der bärtige Mathis, Mathias barbatus, in Humanistenkreisen weithin bekannt. Er hatte den Magistergrad; zu Zeiten im Dienste des Wolfgang Lachner stehend, betrieb er von 1511 bis[WS 2] 1522 im Hause zum Enker am Fischmarkte sein Gewerbe, das neben der Buchbinderei eine kleine Druckerei, wohl für Akzidenz und Flugblätter, und zugleich ein vielbesuchter Buchladen war.

[175] Arbeiten dieser Männer liegen vor uns in zahlreichen Einbänden, deren manche durch ihre mit reicher Blindpressung geschmückte Lederhüllen einen deutlich erkennbaren Basler Typus darstellen.

Auffallend ist aber die kleine Zahl selbständiger Buchbinder in einer so massenhafte Bücher produzierenden Stadt. Jedenfalls geschah wie zu Beginn so auch später noch vielfach das Buchbinden innerhalb des Druckereibetriebes. Im Jahre 1521 beschwerten sich die zum Safran zünftigen Buchbinder über das Anstellen von Buchbinderknechten durch Druckerherren.

Zum Bilde des Basler Buchdrucks in dieser Periode gehört, daß seine Verwendung durch kirchliche Behörden für Anfertigen von Missalen Brevieren u. dgl. sichtlich zurücktritt. Noch immer aber ist er in hohem Maße beherrscht durch die Devotion. Daneben machen sich geltend der amtliche Erlaß, die deutsche Dichtung, die Unterhaltungsliteratur, die Publizistik. Herrscherin aber ist die Wissenschaft. Dankbar preist Erasmus den Buchdruck als ein göttliches Gewerbe. „Die Drucker spenden uns täglich gleichsam ganze Bibliotheken, ganze Welten von Büchern in jeder Gattung der Sprachen und Literaturen.“ Basel wurde der erste Ort Deutschlands für den Verlag und Druck klassischer Literatur.

Wie einst Heynlin und Sebastian Brant durch die Druckereien waren an Basel gefesselt worden, dann die amerbachsche Hieronymusausgabe den Cono und durch ihn den Rhenan hergezogen hatte, so wurde jetzt die gewaltige geistige Bedeutung des Buchgewerbes neu evident, indem Frobens Kunst den Erasmus zum Basler machte und ein Jahrzehnt später Cratander den Ökolampad bewog, nicht in Augsburg, sondern in Basel sich niederzulassen.

Als große Einheit steht das Leben der Gelehrten und ihrer Drucker da, als Arbeitsgemeinschaft edelster Art. Es ist bezeichnend, wie bei der Ankunft des Erasmus in Basel der Pariser Professor Jacob Faber von der einen, der Ottobeurer Mönch Ellenbog von der andern Seite her mit denselben Worten die gelehrte Welt glücklich preisen, weil nun Erasmus „unter den Buchdruckern“ lebe. Ein Verhältnis bildete sich, das vielleicht einzig in seiner Art war. Eine mit den höchsten Aspirationen und Fähigkeiten arbeitende Offizin trieb den größten Gelehrten der Zeit, indem sie ihm unausgesetzt und ihm fast ausschließlich diente, unausgesetzt auch zu stets neuen Schöpfungen.

Was hier mächtig geschah, hatte seine schwächere Wiederholung bei andern Offizinen. Und staunend stehen wir vor dieser Produktion, wie [176] die typographischen Annalen Basels sie zeigen, da jedes Jahr seine Volumina in langer Reihe bringt, die großen Hauptwerke Jahr um Jahr sich folgen und drängen.

Aber unmöglich ist festzustellen, in welchem Maß Autor und Verleger sich in das Verdienst der Gedanken, der Initiative und der Arbeit teilten.

Wie der Gelehrte seine Pläne hatte und „invulgiert“ sein wollte; wie er sich durch Freunde anpreisen ließ; wie er eine Offizin zuweilen für sich allein in Anspruch nahm und so sehr beschäftigte, daß kein Andrer mehr Aufnahme fand; wie er Publikationen andrer Orte zum Nachdruck empfahl; wie er Stoff suchend die Bibliotheken durchstöberte und zu Kollegen reiste; so rührte sich der Drucker. Auch er hatte seine Studien gemacht, auch er besaß Kenntnisse und wissenschaftliches Urteil. Er war nicht allein Geschäftsmann. Mit solchen Gaben stand wohl Cratander an der Spitze der Basler Topographen. Ihnen Allen gemeinsam aber war eine Aktivität, die sie dem Autor beinah ebenbürtig erscheinen ließ. Sie hatten bestimmte Wünsche. Sie bezogen Bücher andrer Verleger, die ihnen der Wiederholung wert schienen, und beauftragten einen Gelehrten mit der Herrichtung zum Drucke. Sie gingen selbst auf Reisen und suchten Handschriften zur Edition. Wieder ist Cratander zu nennen; er schreibt dem Capito von seinem Verlangen, das „göttliche Werk“ des Chrysostomus ans Licht zu bringen; er drängt den Vadian in Briefen von elegantestem Latein um das Manuskript zum Mela; er „dürstet“ nach dem in Aussicht gestellten Werke des Alciat. War der Druck vollendet, so ging das Buch nicht hinaus ohne ein Geleitwort, in dem der Drucker von der Arbeit redete, über die Quellen referierte, die Wichtigkeit dieser Publikation darlegte, den Leser begrüßte und zum Kaufen aufforderte. Das Entscheidende ist nicht, daß manche dieser Prologe gar nicht von dem Drucker selbst verfaßt waren, dessen Namen sie trugen, sondern die allgemeine Anschauung, der gemäß der Drucker und nicht ein Andrer hier das Wort hatte.

Mochte auch etwa einmal ein Gelehrter die Verleger als schnöde Ausbeuter tarieren, zu allermeist glauben wir doch in ein Zusammenarbeiten hineinzusehen, bei dem geistige und wissenschaftliche Interessen für beide Teile obenan stehen konnten. Nicht allein die Arbeit des Gelehrten erhielt ihren Adel daraus, daß sie einer allgemeinen und idealen Aufgabe diente. Nicht ihr allein winkte der geliebte Ruhm. Auch einem Froben konnte bezeugt werden, er sei mehr auf Förderung der Wissenschaften bedacht gewesen als auf materiellen Gewinn und habe seinen Erben wenig Vermögen hinterlassen, aber einen gefeierten Namen.

[177] Wir hüten uns vor allgemeiner Überschätzung der Buchdrucker. Unter ihnen waren gewiß hochstehende und selbständige Menschen. Aber ein Andrer war der Gelehrte, ein Andrer der Drucker. Nicht allein dann, wenn das Buch ein Produkt nur des Druckers — infolge eigener Initiative oder eines Verlegerauftrages — war, sondern auch in allen übrigen Fällen, auch neben Autor oder Editor bedurfte die Offizin gelehrter Mitarbeiter. Sie mochten Berater Helfer oder gar Führer sein; sie mochten eine allgemeine Verantwortung haben oder nur das Einzelne der Ausführung überwachen; sie waren unter allen Umständen nicht zu missen. In solchen Funktionen begegnen uns vorerst Rhenan Pellican Capito. Es sind freie übergeordnete Helfer. Einem Unternehmen die Richtung gebend, die Einzelarbeit der eigentlichen Korrektoren durch ihre großen Orientierungen und Normen ergänzend. Indem sie ihre Kenntnisse und ihre Kritik nicht nur einer Offizin zu Gute kommen ließen, sondern mehreren, ruhte der Ruhm der damaligen wissenschaftlichen Produktion Basels zum guten Teil auf ihnen. Neben die eigene Arbeit stellten sie diese unschätzbare Beistandschaft bei Froben Petri Cratander.

Unter ihnen aber drängte sich die Schar der Korrektoren oder Kastigatoren.

Setzer und Drucker hatten zu sorgen für die äußere Sauberkeit, den caracter nitidus des Textes, für die andere Qualität, die correctura exactissima, diese Korrektoren. Nicht nur um „einfache Hauskorrektur zweifelloser Satzvorlagen“ handelte es sich, sondern um wissenschaftliche Arbeit. Die sich ausbildende Philologie des Humanismus gab dieser Korrekturarbeit zuweilen geradezu den Wert einer kritischen Edition. Einer aus der Reihe dieser Arbeiter selbst hat uns, als Einleitung zu fünfzig Kolonnen Kastigationen, das Bild des mit wissenschaftlichem Ernst arbeitenden Korrektors entworfen.

Jedenfalls war solche Korrektorentätigkeit, zusamt dem unausgesetzten Kontakt mit den in der Offizin verkehrenden Gelehrten, die beste Schule eines jungen Mannes, der von der Universität kam und einer wissenschaftlichen Laufbahn zustrebte. Aber wir denken auch an die Masse des dabei Geleisteten. Es war Gehilfenarbeit, die im Einzelnen unansehnlich sein mochte, aber in ihrer Gesamtheit zu imposanter Wirkung kam. Gerade dies bedingt den eigentümlichen Reiz der Korrektorengesellschaft. Es ist eine bestimmte Gruppe von Gelehrten zweiten Ranges, eine unentbehrliche Arbeiterschaft. Hingegeben einer zu Zeiten intensiven, aber nicht immer absorbierenden Tätigkeit. Es sind Einzelne dabei, die den reichen Wechsel [178] eines Humanistenlebens zur Genüge kosten können; sie sind Korrektor für verschiedene Offizinen, geben aber auch Unterricht im Griechischen, profitieren bei Erasmus, besorgen Büchereinkäufe für Auswärtige u. dgl. Gleichwohl regt sich etwa das Gefühl des Gebundenseins, zumal des Untergeordnetseins. Sie haben manchmal mit empfindlichen Autoren zu tun, die dem Kastigator keine Freiheit und kein Urteil gönnen. Sie verbrauchen vielleicht das Beste ihrer Kraft für Andre, für einen hochberühmten Gelehrten, dessen Ruhm auf ihrer Arbeit ruht und der sie gleichwohl übersieht. Ohne Handlanger kein Meister und ohne Vernichtung der Kleinheit keine Größe.

Und doch bestimmen wesentlich sie neben den paar Großen das Bild des damaligen humanistischen Basel. Neben der Wichtigkeit ihrer Arbeit ist ihr Charakteristisches ihre Jugend. Sie zum guten Teil geben der ganzen Erscheinung den Hauch der Frische.

Die mannigfaltigsten Figuren dieser Art sind in den Offizinen anzutreffen.

Bei Furter der Fürsprech Rudolf Huseneck, von dem wir noch zu reden haben werden, sowie vielleicht Mathis Hölderlin, ferner Wilhelm Nesen.

Bei Adam Petri der Straßburger Cratander, später Ulrich Hugwald und der Karthäuser Georg Carpentarii. Ebenso scheint der 1519 als Korrektor erwähnte Magister Hans Petri, ein Verwandter Adams, bei Diesem gearbeitet zu haben.

Dem Cratander dienen Wolfgang Schiverius, Valentin Curio. Für Alle ist diese Tätigkeit eine Vorbereitung zu künftigen bedeutenderen Leistungen.


Bei Froben ist vorweg nochmals an Beatus Rhenanus zu erinnern. Dieser hatte seiner Zeit schon in Paris bei Heinrich Stephanus, dann in Straßburg bei Mathias Schürer als Korrektor gearbeitet; jetzt war er Ratgeber und Vertrauter der Offizin im Sessel. Es kann sogar, wenigstens nach Lachners Tode, von einer wissenschaftlichen Oberleitung des Verlages durch Rhenan geredet werden. Lachner war ein Gegner der rhenanischen, rein wissenschaftlichen Anschauungen gewesen, und diese Meinungsverschiedenheiten hatten wiederholt zum Streite geführt. Aber auch später noch mußte Erasmus gelegentlich den Froben ermahnen, nicht auf jeden „Esel“ zu hören, sondern sich an den Rat des Rhenanus zu halten, wenn er den Ruhm seiner Offizin behaupten wolle. Und als Rhenan 1519 Monate lang von Basel abwesend war und die Sachen im Sessel gehen ließ, machten sich Leute wie Zwingli schwere Gedanken über dies Preisgeben einer Tätigkeit, die [179] „nicht allein ganz Germanien, sondern dem christlichen Erdkreis überhaupt Ruhm bringe“. Auch im Erfurter Humanistenzirkel wußte man, wie sehr der Flor des frobenischen Unternehmens von der Mitarbeit des Rhenanus abhing. Es war eine Mitarbeit, die gelegentlich bis ins Einzelne ging; reizvoll ist zu beobachten, daß Rhenan auch dem Buchschmucke sein Interesse schenkte und hiefür den Hans Halbem in die Gedanken- und Bilderwelt der Antike einführte.


Eine ähnliche, den gewöhnlichen Korrektoren Frobens übergeordnete Stellung scheint Bruno Amerbach gehabt zu haben.

Er war von vorneherein Träger einer großen Tradition. Mit der besondern Obliegenheit, die vom alten Amerbach begonnene Ausgabe des Hieronymus zu vollenden, trat er in die frobenische Offizin ein, und diese Arbeit nahm ihn während der ersten Jahre fast ganz in Anspruch; nebenher gingen andere Geschäfte wie die Kastigation der berühmten Adagiaausgabe von 1513. Es war eine gewaltige Arbeit, und Erasmus bewunderte die incredibilis diligentia des Bruno bei Herstellung des Textes und Scheidung des Ächten und Unächten. Auch standen ungeduldige Treiber — Lachner Froben Erasmus — hinter ihm; wie oft seufzte er über seine Pein in diesem pristinum frobenianumxlstiinuni kroksniamim. „Wir haben endloses Geld auf das Hieronymuswerk verwandt und fast unser ganzes väterliches Vermögen aufs Spiel gesetzt“, schreibt er einmal; „doch scheint uns der Aufwand noch größer, daß wir unsre schönste Lebenszeit und unsre liebsten Studien daran gegeben haben. Es ist eine Arbeit, die jeden jungen Menschen zum Greise machen könnte.“

Endlich im Sommer 1516 war der Hieronymus in neun Folianten erledigt, und Bruno konnte sich als freien Mann fühlen. Er kehrte zu seinen Studien zurück; er las Tage und Nächte durch in den Werken des Erasmus; er träumte eine italiänische Reise.

Diese konnte er im Spätsommer 1517 ausführen. Aber sie brachte ihm wenig Freude, und schon im November sah er sich wieder in den Fesseln Frobens. Von da an liegt in wenige Monate zusammengedrängt vor uns, was Brunos Leben war.

Vor Allem seine Tätigkeit bei Froben, mit der er zum Teil Lachner abgelöst zu haben scheint. Er ist sichtlich an der Leitung des Geschäftes beteiligt. Er besucht die Messen; er schreibt Briefe und Vorreden; er stöbert in Bibliotheken sowie in Buchhändlerlagern gute nachzudruckende Bücher auf; er legt den Autoren Typenmuster vor usw. Er besorgt aber neben dem [180] Allem auch noch die Detailarbeit des Kastigators, z. B. am Neuen Testamente; dabei ist er so fleißig, wie sein Bruder Basilius faul ist. Aber noch mehr: er kontrolliert gelegentlich die Korrespondenz Frobens, und wenn dieser „schläft“, muß er die Geschäfte in die Hand nehmen. Wie froh ist Erasmus, daß Bruno wieder im Sessel mitarbeitet und den Froben vor „Dummheiten“ bewahrt.

Wir nehmen wahr, wie das ganze Dasein dieses hochgepriesenen Mannes ohne eigene Produktion dahingeht. Er hat den Ruhm, der Gelehrteste in ganz Helvetien zu sein; seine Beherrschung der drei Sprachen wird als eine vollendete bestaunt. Aber all dies Wissen drängte zu keiner Schöpfung.

Offenbar waren die rein menschlichen Eigenschaften das Vorherrschende in ihm. Schon seine Freunde fragten sich, was mehr an Bruno zu bewundern sei, die eruditio oder die probitas. Die Anmut seines Wesens, seine Treue und Hilfsbereitschaft machten tiefen Eindruck auf Jeden, der mit ihm zu tun bekam.

Es folgte ein stürmischer Lebensausgang. Erst das Glück der Vermählung mit Anna Schabler, der Witwe des Hieronymus Murer genannt Ruman, im Sommer 1518; dann bald schon der Tod der geliebten Frau sowie Auseinandersetzungen mit dem alten Schabler wegen Geldsachen. Den vielfach erschütterten Bruno ergriff die Pest, die damals in Basel wütete, und er erlag ihr, erst vierunddreißigjährig, am 12. Oktober 1519. „Um ihn weinten die Chariten und die Musen.“


Wir wenden uns zu den Korrektoren Frobens im Hause zum Sessel, das von Hasten und Drängen unaufhörlich erfüllt ist. Fervet ingens officina. Alles glüht in Arbeitseifer und Arbeitsnot, und die gequälten Korrektoren klagen, daß Tag und Nacht ohne Schonung, ohne Pause geschafft werden müsse, daß immer vielzuviel der Arbeit sei und zu wenig des Lohnes; zu den Mühen der Arbeit treten noch die Ermahnungen und Scheltworte unzufriedener Autoren. Das sind Grundlagen der großen Leistung und, hinter dem weithinhallenden Ruhme, Zustände und Stimmungen des Ortes selbst.

Die Reihe dieser Korrektoren wird eröffnet durch Konrad Fontejus (Brunner) von Wesen im Glarnerlande. Auch er wuchs aus dem alten amerbachischen Kreis in den frobenischen herüber. Seine Anfänge finden wir in Kleinbasel, bei Johann Amerbach. Vielleicht hatte ihn sein Landsmann Gregor Bünzli dorthin gezogen, der nach Absolvierung seiner Basler [181] Studien 1497 Korrektor in der amerbachischen Druckerei wurde, später Schulmeister zu St. Theodor war und eine Kaplanei am St. Petersstift erhielt. Möglicherweise durch ihn ist Fontejus auch mit Ulrich Zwingli, dem Schüler Bünzlis in der St. Theodorsschule, bekannt geworden. Als amerbachisches Hausgeschöpf sehen wir nun diesen Fontejus allerhand Familiengeschäfte besorgen, mit Hieronymus Gebwiler in Schlettstadt wegen der dort zur Schule gehenden jungen Basler abrechnen, dann auch den Sohn Amerbach nach Paris begleiten. Er nimmt Teil am Leben des Amerbachkreises und treibt seine Scherze mit Salandronius. Nebenher gehen die Studien an der Universität, die er 1513 mit dem magisterium abschließt. Von da an hat Fontejus seine Heimat und seine Arbeit im Sessel. Rhenan Bruno Amerbach Erasmus sind ihm geneigt. Zwingli schickt keinen Brief an die Basler Freunde ohne einen Gruß an den guten Fontejus. Den Ruf an eine glarnerische Pfründe lehnt er ab; dagegen übernimmt er 1517 das bisher durch Glarean betriebene Lehrinstitut. Jedoch mit wenig Erfolg. So sympathisch Fontejus erscheint, ist er doch ein untergeordneter Mensch. Im Oktober 1519, kurz nach Bruno Amerbach, erliegt auch er der Pest. Auf dem Todbette noch so freundlich, wie er stets am Tische der Freunde gewesen. „Ruhigen Sinnes gleich Seneca sich in das Sterben schickend“, schließt er seine Existenz.

Wilhelm Nesen aus Nastätten in Hessen, geboren 1493, kam 1511 nach Basel. Im gleichen Jahre wie Rhenan und vielleicht wie Dieser angezogen durch den Ruhm Conos. Er immatrikulierte sich im Sommer 1511 an der Universität und wurde Rhenans Freund. Denkmal dieser Freundschaft ist, daß ihm Rhenan 1512 seine Ausgabe eines Gedichtes des Piattino Piatti widmete und dabei seine Wißbegier und seinen Fleiß mit Worten pries, die nicht nur konventionell klingen. Das Bild des arbeitsamen und mit Begeisterung Bücher sammelnden Studenten rührt um so mehr, als er kränklich war und zu Zeiten von Bruno Amerbach Geld entleihen mußte. Trotz Allem hielt er sich auf der Höhe. Im Jahre 1515 wurde er magister artium, und die gleiche Zeit sah seinen Eintritt in das Zentrum wissenschaftlichen Lebens in Basel: er wurde Korrektor bei Froben. Zunächst für den Seneca des Erasmus, der dabei dem jungen Arbeiter auch persönlich nahe trat. Der leidenschaftliche Eifer Nesens für die Wissenschaften mochte auch ihn bezwungen haben; er schätzte ihn so hoch ein, daß er ihn im Herbste 1516 von Antwerpen aus mit der Widmung der neuen Ausgabe seines Buches De duplici copia ehrte und beglückte. Daneben sehen [182] wir den Nesen durchaus im Dienste der frobenischen Offizin aufgehen; er besuchte die Messen; er schrieb Geschäftsbriefe; namentlich aber machte ihn seine feine Witterung für jeden Fehler in den Texten zum Ideal eines Korrektors. Alles dies gab er auf, um anderwärts sich weiterbilden zu können. Im Herbste 1517 verließ er Basel und ging nach Paris, später nach Löwen. Dort nahm er am Kampfe des Erasmus mit den Theologen teil; dann gewann er die Freundschaft Luthers. Seine ganze Erscheinung macht den Eindruck des Frischen und Tüchtigen. Er starb jung in Wittenberg 1524.


Mit den Anfängen des Erasmus in Basel ist der Name Gerhard Listers verbunden. Lister, ein Niederländer aus der Provinz Utrecht, hatte in Löwen und Köln studiert. Als Erasmus im August 1514 nach Basel kam, fand er hier den Lister, seinen Landsmann, schon vor. In der Medizin, deren Doktorat er vor wenigen Monaten in Pavia erlangt hatte, war er von nicht gewöhnlicher Bildung, in den drei Sprachen und Literaturen bewandert, überdies ein Jüngling dazu geboren, dem Erasmus zusagend zu sein. Aus dem nahen Verkehre mit Diesem erwuchsen ihm griechische Verse zum Plutarch, Scholien zum Lobe der Narrheit. Als Korrektor Frobens besorgte er 1515 die neue Ausgabe der Adagia. Daneben scheint er griechischen Unterricht erteilt zu haben. Schon 1516 verließ Lister Basel. Er wurde Rektor der berühmten Schule in Zwolle. Aber sein Geist weilte noch oft am Oberrheine; lange Zeit war keine Nacht, in der er nicht von Basel träumte und mit Erasmus zu sein glaubte.


Die früheste große Arbeit des Erasmus in Basel, die Ausgabe des Neuen Testamentes, zog den Johann Ökolampad in diese Stadt. Zu einem ersten Aufenthalte, für wenige Monate.

Ökolampad war 1482 in dem damals pfälzischen Weinsberg geboren, als Johann Hüsgen (Häuslein). Durch seine Mutter, die Baslerin Anna Pfister, hatte er Beziehungen zu unsrer Stadt. Er studierte in Bologna und Heidelberg und trat den Humanisten näher. Publikationen Wimpfelings und Gresemunds wurden von ihm durch poetische Beiträge geziert. Auch seine eigene Erstlingsschrift, die declamatione de passione, die 1512 in Straßburg gedruckt wurde und an der sich Zasius und Wimpfeling mit Empfehlungen beteiligten, war oberrheinisches Gewächs. Noster Icolambadius nennt ihn Wimpfeling in der großen Charakteristik seiner Theologie, die er 1511 dem Erasmus nach Cambridge sandte.

[183] In solcher Weise war Ökolampad schon bekannt, als er — nach einer Predigertätigkeit in der Heimatstadt und Studien in Tübingen und nochmals in Heidelberg — am 21. September 1515 in Basel eintraf. Er hatte den Ruf gründlichen theologischen Wissens sowie nicht gemeiner Kenntnis der drei Sprachen. Erasmus und Froben, die für die Edition des Neuen Testamentes Arbeiter suchten, waren wohl durch Wimpfeling Zasius Reuchlin zur Berufung des gelehrten Weinsberger Predikanten vermocht worden. Jetzt kam er; ein Brief des Johann Sapidus in Schlettstadt führte ihn bei Erasmus ein.

Er erhielt Wohnung in Frobens Hause zum Sessel, zusammen mit dem gleich ihm berufenen Nicolaus Gerbel. Das waren die duo probi docti, die zwei braven Gelehrten, von denen die Rede ist. Als ihre Aufgabe galt das Zurechtmachen der Druckvorlagen und das Berichtigen des Satzes. Außerdem hatte Ökolampad „allerhand hebraica in die annotationes einzustreuen, um die Ausgabe vor einem Nachdrucke möglichst zu schützen, und die annotationes zu prüfen, ob sich keine Ketzereien eingeschlichen hätten“.

Neben dieser ernsten und verantwortungsreichen Arbeit ging einher das theologische Studium an der Universität; Ökolampad war zugleich mit Capito immatrikuliert worden. Aber schon im März 1516 ging er wieder nach seinem Weinsberg; er wollte die noch nötige Vorbereitung zur Lizenz dort erledigen.

In Basel ließ er das monumentale, von ihm mitgeschaffene Werk des Neuen Testamentes und seine berühmten Freunde. Wie oft mochte er sich in der Enge, in der Dürre seines Städtchens nach den geistigen Freuden sehnen, die im großen reichbewegten Basel ihm beschert gewesen waren.

Von Nicolaus Gerbel, dem Genossen Ökolampads, ist wenig zu sagen. Seine Gestalt tritt hier zurück. Was ihn auszeichnet, liegt vor seiner Basler Zeit und nach ihr. Reichbewegte Studienjahre, mannigfaltige gelehrte Tätigkeit in Wien Köln Tübingen, die Ausbildung im Griechischen durch Georg Simler in Pforzheim, eine italiänische Reise mit dem in Bologna erlangten juristischen Doktorat, Alles hatte der Dreißigjährige hinter sich, als er aus seinem Korrektorendienste bei Schürer in Straßburg herausgerissen wurde für einige Arbeitswochen in Basel bei Froben und für Erasmus. Am 21. September 1515 trat er zusammen mit Ökolampad die Arbeit an, die er aber, zu des Erasmus Ärger, nur nachlässig besorgte; im Dezember kehrte er nach Straßburg zurück.

[184] Bei der frobenischen Psalterausgabe im Urtexte 1516 war Sebastian Münster als Kastigator beschäftigt.

Auch Magister Johannes Froben, Neffe des Buchdruckers, war wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Sessel. Er hatte 1499 die Schlettstädter Schule, 1505 mit den Amerbachsöhnen zusammen die Universität Paris besucht. Wahrscheinlich sein Werk sind die Scholien zu der erasmischen Schrift Sileni Alcibiadis.


Wolfgang Angst von Kaisersberg im Elsaß studierte in Frankfurt a/O., 1513 in Freiburg. Er arbeitete dann als Korrektor bei Schürer in Straßburg, 1515 bei Gran in Hagenau, 1517 und 1518 bei Froben. Hier in Basel, das er im September 1518 wieder verließ, arbeitete er für Erasmus an den Adagia, dem Gaza, der Utopia; hier war er eingefügt in das rastlose Getriebe dieser Offizin und den bewegten Verkehr. Er erwarb dabei das Lob, gelehrt zu sein und doch nicht so eingebildet, daß er nicht durch Capito oder Rhenan oder Bruno Amerbach sich belehren ließe. So gelangte er dazu, später einer der geschicktesten Korrektoren Deutschlands zu heißen.

Mit diesem Allem würde sein Bild doch ein dürftiges bleiben. Aber wir vernehmen noch Anderes Lebendigeres. In seinen Studentenjahren gewinnt er den Ulrich von Hutten zum Freunde. Dann als Korrektor in Hagenau spielt er den kecken Streich, den ersten Druck der epistolae obscurorum virorum aus der nur an Ernstes und Würdevolles, an Predigtsammlungen Grammatiken u. dgl. gewöhnten Presse seines Patrons Gran ohne dessen Wissen in die lachende Welt hinausgehen zu lassen. Und zuletzt hat er seinem Namen noch Klang geben können durch den Fund der vierten Dekade des Livius in der Mainzer Dombibliothek.


In dieser bunten Reihe, die sich durch die Jahre zieht, erscheinen rasch im Oktober 1518 zwei fremdartigere Gestalten; junge von Erasmus hergesandte Gelehrte: der Holländer Menard von Horn, der schon nach zwei Monaten an der Pest hier starb, und Lambert Hollonius von Lüttich. Dieser hatte die Korrektur der Lucubrationen des Zasius zu besorgen, führte aber die Arbeit schlecht aus, sodaß Rhenan den Autor bedauerte, dessen Werk in die Hände eines solchen Stümpers gefallen sei.

Albert Bürer, des Rhenan Famulus, arbeitete während dessen Abwesenheit 1520 als Korrektor für Froben.

Auch Konrad von Heresbach und Michael Bentinius waren in dieser Zeit als moderatores der frobenischen Offizin tätig.

[185] Die lebendigste kräftigste Figur Aller aber ist Jacob Nepos (Näf).

Ein geborner Tettnanger, der für uns aber nicht in Schwaben und nicht am Oberrhein auftritt, sondern in Antwerpen bei Erasmus, 1516. Er ist dessen Famulus, dessen Sekretär, durch Fähigkeiten Kenntnisse und eine sehr schöne Handschrift zu diesem Dienste geeignet.

Im Mai 1517 läßt Erasmus durch ihn die Utopia des Thomas Morus zu Froben nach Basel bringen, und im Herbste 1518 soll er dort die zweite Ausgabe des Neuen Testamentes korrigieren. Um der Trefflichkeit dieser Arbeit willen hält ihn Froben fest und beschäftigt ihn weiter. Zum hohen Nutzen der Offizin. Denn dieses Männlein, der homuncio, der Pygmäe, wie die Kollegen spotten, bewältigt Alles in einer Weise, daß sogar Rhenan sich wundert und ihn über alle Andern erhebt.

Als frobenischer Korrektor hat Nepos von da an seine Heimat in Basel. An zahlreichen Drucken dieser Jahre, an Werken des Erasmus, des Rhenan, des Luther ist er beteiligt. Sein Name geht durch die damaligen Briefe als der eines dauernd vorhandenen, nicht wegzudenkenden Organes im großen Bereiche dieser Produktion; auch im Verkehre mit Auswärtigen, im Vermitteln von Büchern u. dgl. begegnet uns Nepos.

Aber dabei ist er voll Unbehagen und Unruhe. Er möchte aus der Tretmühle befreit sein, unter deren Zwang auch Bruno Amerbach geseufzt hat. Er möchte seine Korrektorstelle aufgeben. Er möchte überhaupt Basel verlassen und zu Zwingli gehen, bei dem er aufrichtiges Wohlwollen zu finden glaubt. Lauter Wünsche, die sich nicht erfüllen. Er bleibt in Basel, er bleibt Korrektor, er will zunächst die Ankunft seines Herrn Erasmus abwarten. Und inzwischen vergräbt er sich in griechische Studien. In ihnen findet er Ruhe und Genügen. Sum totus in Homero.

Aus diesen Studien erwuchs ihm nun aber der Entschluß, zu lehren und in Schülern die Genossen zu gewinnen, nach denen er verlangte. Er behielt die Korrektorstelle; daneben aber begann er Vorlesungen an der Universität und eröffnete außerdem, nach dem Beispiele Glareans und Andrer, im Frühling 1520 eine Lehranstalt mit Konvikt. Im Zusammenhange damit stand die Gründung eines eigenen Hausstandes, durch Heirat mit der schönen Tochter des Buchdruckers Michael Furter.


Wir haben die Hauptkräfte, die einzelnen Gestalten und Gruppen kennen gelernt, die das humanistische Leben in Basel während der beiden großen Jahrzehnte bestimmen.

[186] Diesen coetus doctorum, der in sich selbst schon durch ein mächtiges konzentriertes Schaffen erregt ist, sehen wir zugleich nach allen Seiten hin ins große und Weite wirken. In ihm weht universale Luft. Seine geistigen und wissenschaftlichen Absichten kennen keine Grenzen. Sie bewegen sich in einer republica literaria, die den Erdkreis überspannt und ihre Bürger so gut in London hat als in Basel.

Gemeinsam ist wesentlich die Gesinnung, die sich frei in den verschiedensten Leistungen äußert. Wobei wir uns in den Zustand einer gleichzeitigen wissenschaftlichen Tätigkeit Vieler hineinzudenken haben, die sich ganz unmethodisch vollzieht, ohne gelehrte Zeitschrift, ohne irgend ein gemeinsames Organ, auch ohne eine öffentlich geübte und organisierte Kritik. Die Gesinnungsgemeinschaft ist auch nicht in Sammelpublikationen bezeugt, die wie Programme wirken können. Jeder geht für sich allein. Was Zusammenhang oder Gruppe ist, wird höchstens dokumentiert durch Widmungen Vorreden Zuschriften u. dgl., die man den Editionen und Traktaten beizudrucken pflegt. Namentlich aber lebt dieser Zusammenhang des Basler Humanismus mit demjenigen der übrigen Welt in einer unvergleichlichen Korrespondenz.

Der Brief ist im Dienste der Humanisten-Gesellschaft zu einer Bedeutung gekommen, die er seitdem verloren hat. Er ist getragen durch den erregten, nach jeder literarischen Novität spähenden Geist dieser internationalen Brüderschaft; auch ist er die Form, nicht nur um Belesenheit und Sprachkunst zu zeigen, sondern auch um Entdeckungen Gedanken Anregungen mitzuteilen. Er vertritt in großem Maße das fehlende literarische Journal. Er ist zugleich Geplauder mit guten Freunden und Bekenntnis humanistischen Geistes, daher er als solches auch an Unbekannte gerichtet werden kann, die im gleichen Geiste wirken.

So quillt uns aus der Korrespondenz der Basler ein Leben mannigfaltiger Art entgegen. Die Briefe Rhenans und seiner Genossen, die erasmische Briefmasse, die Briefbände der Amerbache, sie alle sind von einzigem Reize. Sie offenbaren die Fülle der Menschennatur, das unendliche Streben und Sichmühen da und dort, das geistige Glück, die Entwickelung der Wissenschaft.

Auch an das persönliche Zusammentreffen, an die Besuche haben wir zu denken. In die seit Jahrhunderten von überall her kommenden und hier durchströmenden Menschenscharen mengt sich jetzt immer mehr das unruhige Element des Gelehrten, der bald wandert bald zur Sammlung und Arbeit sich in der Nähe einer Druckerpresse oder eines berühmten Mannes niederläßt. Die Basler Humanisten selbst freilich sind meist merkwürdig stabil. Sie haben vielleicht nur Paris gesehen, die Wenigsten je den heiligen [187] Boden Italiens betreten; der große Reisende ist einzig Erasmus. Aber neben ihnen ist der bewegliche Humanistentypus dargestellt durch Scholaren und Korrektoren, und rings um sie her wimmelt die Regsamkeit und der Wechsel der vielen Besucher, die das Angesicht dieser Fürsten der Gelehrsamkeit oder die berühmten Offizinen zu sehen begehren. Sie kommen und gehen, Jeder ein andres Stück Welt mit sich bringend, Jeder um sein Basler Erlebnis reicher, unter ihnen mehr als Einer, dem „überall auf Erden ein Vaterland grünet“.

Endlich aber steht hinter jedem Gedanken, hinter jeder Forschung und Entdeckung die Buchdruckerkunst bereit, um rasch für die Verbreitung zu sorgen. Wo von allgemeiner Wirkung, allgemeinen Beziehungen des Basler Humanismus die Rede ist, handelt es sich ohne Weiteres auch um die Druckerei.

Diese ist von ihrer ersten Stunde an in Verbindung mit dem Geiste des Ortes getreten. Die vorhandene Kapitalkraft macht ihr einen großhändlerischen Betrieb möglich; die ungewöhnliche Verkehrslage und der starke Transit tun das Übrige. Aber auch ihre hohen technischen und künstlerischen Fähigkeiten ruhen auf Eigenschaften Basels. Und die Impulse hat sie den Gelehrten zu danken, die sich hier um ihre Offizinen sammeln.

Alles dies begründet die Stärke der Basler Druckerei und die Gewalt ihrer Expansion. Zur Leistung der auswärtigen Verleger, denen sie dient, tritt der eigene Vertrieb. Es ist der Zustand, in dem „sich Basel zur Metropole deutschen Buchdruckes und Buchhandels erhebt“. Die Stadt steht auch hiebei unter der Einwirkung der Zeit, die selbst ungeheuer stark, reich an Ideen und Leben ist.

Ein kaufmännischer Kopf wie Lachner beschränkt sich nicht auf den Vertrieb der Drucke Frobens. Er handelt auch mit Andern; namentlich spielen die Aldinen eine Rolle, die er in Mengen aus Venedig kommen läßt und hier in Basel zum Verkaufe bringt. Natürlich ist er nicht der einzige Händler am Platze. Auch Adam Petri, auch Gengenbach, auch der Buchbinder Bierman treiben das Sortimentergeschäft. Diese haben zufällig Erwähnung gefunden, so und so Viele mögen neben ihnen das Gleiche tun.

Von allen Seiten her strömen die Bücher hier zum Verkaufe zusammen und schichten sich auf neben den hier selbst entstehenden. Ebenfalls von allen Seiten her blicken Liebhaber und Gelehrte nach diesem Zentrum. Es sind Zustände und Erregungen, deren Widerhall wir in den Korrespondenzen finden. Die Lesegier und ihre Befriedigung durch Basel ist ein stehendes Thema. Bestimmte Bücher werden gesucht. Nach den Werken, die bei [188] Froben, bei Cratander usw. unter den Pressen liegen, nach der hier zum Verkaufe stehenden Literatur wird gefragt. Amerbach Rhenan Fontejus Glarean u. A. haben unaufhörlich mit solchen Desideraten zu tun; ihre Listen der Basler Novitäten erregen unser Staunen; in diesen langen Verzeichnissen von Autorennamen und Titeln drängen sich oft die größten geistigen Vorstellungen.

Bei den in Basel selbst gedruckten Büchern handelt es sich mehrern Teils um auswärtige Käufer. So stark auch die seltsame Bücherwut am Orte selbst sein mag. die Stadt ist doch zu klein, um ihre mächtige Produktion wieder zu absorbieren. Die Drucker sind angewiesen auf den Export, auf den Absatz außerhalb der Mauern.

In den verschiedensten Formen geschieht der Vertrieb. Auf dem Markt und an der Messe in Basel selbst; am Lager der Druckereien; bei Buchbindern; durch Buchführer, die hausierend das Land durchziehen. Aber dies Wesen ist oft unbeholfen. Rhenan klagt, daß Wenige und vielfach der Sache nicht Gewachsene sich des Vertriebes annehmen, daß sie meist nur den Schund feiltragen. Es kann geschehen, daß der auf alle Neuigkeiten erpichte Hummelberg in Ravensburg doch eine ganze Reihe frischer Erasmiana nicht zu sehen bekommt, oder daß im nahen Ensisheim Hieronymus Baldung keines der frobenischen Bücher erhält, von denen alle Welt redet. Gerade diese Mängel des gewerblichen Vertriebes führen dann dazu, daß Einzelne, wie der Augsburger Mönch Veit Bild, der Zwickauer Ratschreiber Stephan Roth sich in freier Weise der Büchervermittlung annehmen.

Neben diesem vielgestaltigen Treiben steht die feste Form und Organisation der großen deutschen Büchermessen von Frankfurt und Leipzig. An diesen Weltmärkten, „wo neben Merkur die Musen walten“, sind seit früher Zeit die Basler heimisch. Auch das Buchgewerbe unsrer Stadt fügt sich in den großen Rhythmus, den diese Messen schaffen; auf den Meßterminen ruht die Datierung vieler Drucke, sie regeln die Creditverhältnisse, die Zeit der Abrechnungen, die Fälligkeir von Honoraren; sie sind die Momente der aufs Höchste gesteigerten Arbeit.

Namentlich aber: mehr als sonst je wird der Basler Buchhandel während dieser Messezeiten außerstädtisch und universal. Sie bringen ihm das große Geschäft und die weite Wirkung, deren er bedarf. Sie bringen ihn und die Produktion dieser einen Stadt aller Welt nahe. In den Leipziger Katalogen sind die Hauptrubriken: Venediger Lyoner Basler Drucke.

An den Messen werden die Beziehungen zu auswärtigen Verlegern angeknüpft und gepflegt. Auch die Kollegen aus Paris Lyon Pavia usw. [189] kommen da mit den Baslern zusammen. Gelehrte finden sich ein. Der mannigfaltigste Verkehr und Austausch ist möglich.

In solcher Weise tragen Buchdruck und Buchhandel das geistige Gut Basels hinaus in die Ferne.


In unzählbaren Äußerungen wogt und waltet die eine hohe Gemeinschaft. Wir sehen sie und vermögen dennoch die Wirkungen nicht in Klarheit zu erkennen. Neben vielem Einzelnen, das uns näher tritt, müssen allgemeine Vorstellungen genügen: vom Verkehre der über die Welt zerstreuten cultores optimarum literarum, von ihrer Aller heißen Liebe zu den Studien, von ihrem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit usw.

Basel ist eine der paar großen Herbergen auf Erden für Leute dieser Art. In deren Berührungen mit Gleichgesinnten andrer Orte lebt das Gemeinsame, das wir zu begreifen suchen.

Allem voran ist hier zu reden vom Verkehre der Basler Humanisten und Drucker mit denen Deutschlands als von einem erlesenen Teil unsrer Stadtgeschichte. Hüben und drüben ist gleiche Sprache, gleiches Leben und das Reich die eine große Heimat Aller; eine starke unausweichliche, zugleich geistige und nationale Gemeinschaft verbindet Diese mit Jenen. Aber nur einzelne Gestalten oder Gruppen können uns dies hier vergegenwärtigen. Jene Deutschen, deren Werke hier gedruckt werden: Brassicanus Murmellius Melanchthon Heinrichman u. A., und Jene, die hier zu Besuch ankehren, die Briefe wechseln mit den Baslern. Es ist durchweg dasselbe Gefühl des Zusammenseinwollens und Zusammenhaltens der oft weit Zerstreuten, die Freude des Einen am Andern, der Wetteifer, wohl auch der Neid. Wir sehen Ulrich von Hutten mit den Basler Freunden verkehren, ebenso die stattlichen Humanistenexistenzen Peutinger in Augsburg und Pirkheimer in Nürnberg. Wie auch entlegene Provinzen dabei zur Nähe werden, zeigen die Beziehungen der Brüder Johannes und Stanislaus Turzo, Bischöfe von Breslau und Olmütz, zu Rhenan Erasmus usw.; zeigt der Besuch des Caspar Ursinus Velius aus Wien, um hier seine Gedichte drucken zu lassen; zeigt die Veröffentlichung der Sylva panegyrica, des Fünfkirchener Bischofs Janus Pannonius durch Rhenan in der Presse Frobens 1518. Caspar Vollant in Tübingen hat den einzigen Wunsch, unter Rhenans Führung in die Heiligtümer der Musen eingeführt zu werden; daher er nach Basel pilgern will. Der unermüdlich lernbegierige Benediktiner Niclaus Ellenbog in Ottobeuren, ein Freund Wimpfelings Pellicans und Ökolampads, begrüßt aus der Ferne den Erasmus in Basel und wartet sehnsüchtig auf [190] das Erscheinen des Hieronymus und des Neuen Testaments. Der kaiserliche Sekretär Jacob Bannisius hält sich im Frühling 1518, von Paris nach Trient reisend, hier auf; er besucht den Rhenan, will den Bruno Amerbach kennen lernen, kauft beim bärtigen Buchbinder Mathias Frobendrucke und bewundert die griechische Bibliothek der Dominikaner.

Auch Andre draußen empfinden den Wert des humanistischen Basel. Lebendig bezeugt dies der Stiftsherr Konrad Mutian in Gotha, der dem Froben und dem Rhenan huldigt, um ein Porträt des Erasmus bittet und um einen Katalog aller frobenischen Editionen; er treibt den Rhenan, die Pandekten und den Quintilian herauszugeben. Er selbst ediert und schriftstellert nicht; er malt sich sein Motto über die Haustür und lebt in den geliebten Büchern, die er sammelt. Wie in seinen Briefen ein heidnisch freier Geist weht, so ist auch die Schar der um ihn sich bewegenden Erfurter Humanisten von den Baslern verschieden: der Peter Eberbach, der „fröhlichste aller Sterblichen“ Crotus Rubianus u. A. Einer von ihnen, der gepriesene Poet Eoban Hessus, würde gerne nach Basel kommen, vollbepackt mit Gedichten, um sie durch Froben drucken zu lassen.

Nach den Erfurtern die Rheinländer, von dem Bibliophilen Maternus Hatt, Domvikar in Speyer, und seinen humanistischen Genossen, zu den Mainzern Konrad Weidmann, dem gefeierten Lehrer des römischen Rechts und gebornen Basler, und Dietrich Gresemund, dem Altertümler, dann zum erzbischöflichen Zolleinnehmer Christoph Eschenfelder in Boppard, einem Enthusiasten, der auf seinem Tische zwischen den Zolltabellen immer die Schriften des Erasmus liegen hat. In Koblenz aber sitzt der Offizial Mathias von Sarburg, ein vorzüglicher, in Bologna gebildeter Jurist, Besitzer einer großen Bibliothek, dem Erasmus auf der Durchreise huldigend, später ein Hauptförderer der Arbeiten Sicharts. Durch alle diese Beziehungen weht dieselbe rheinische Luft. Es ist ein Leben den ganzen herrlichen Strom entlang, von der südlichsten Rheinstadt Basel bis hinab zum heiligen Köln. Hier hat Glarean studiert und den Triumph des Poeten gefeiert. Hier leben des Erasmus Freunde Johannes Cäsarius, der Begründer griechischer Studien, und Graf Hermann von Neuenahr. Herausgeber des Einhard, der im Schicksalsjahre 1519 auf der Durchreise nach Rom Gast der Basler Humanistengesellschaft ist. Hier weilt auch zu Zeiten der unruhige, überall für den Humanismus werbende Herman von dem Busche, ein kühner Kämpfer, von Erasmus geschätzt, von Rhenanus gepriesen als eines der Häupter des neuen geistigen Deutschlands; auf seinen Wanderungen besucht [191] er wiederholt Basel. Hier in eben diesem Zentrum Köln endlich hat auch der Antwerpner Buchhändler Franz Birkman eine Niederlage; in großartiger Weise vermittelt er den internationalen Austausch, er ist für Basel wichtig als Socius des frobenischen Betriebes; diese Beteiligung, die nach dem Tode Lachners besonders stark wird, gilt namentlich dem Absatz am Unterrhein, in den Niederlanden und in England.

Höchst lebendig in diesem Gesamtbild eines großen Aufeinanderwirkens ist die Bewegung im Einzelnen, der Wechsel von Emporkommen und Vergehen. In den schönen Jugendtagen der Basler Universität und des Basler Humanismus haben wir den Johann Reuchlin als einen Teilnehmer kennen gelernt; vierzig Jahre später stand er im Glanze weitverbreiteten Ruhmes und mitten in der Erregung des großen Geisterkampfes, der aus einem Streite Reuchlins mit den Kölner Dominikanern entstanden war. Gerade jetzt kam Erasmus nach Basel, im Sommer 1514, und das Erste, was er hier tat, war ein Brief an Reuchlin. Aber Dieser hielt sich merkwürdig zurück. Auf wiederholte Schreiben des Erasmus gab er keine Antwort. Erasmus trat sogar in Rom selbst, bei Papst Leo und den Kardinälen Riario und Grimani, zu Gunsten Reuchlins ein, dessen Kölner Sache vor der Curie lag. Möglicherweise war Reuchlin wegen der Hieronymusausgabe verstimmt, deren Leitung nun dem Erasmus zufiel. Schon vorher hatte er, der lange Zeit der große Einzige gewesen, in Cono, ja auch in Bruno Amerbach Nachfolger heranwachsen sehen; jetzt vollends mußte er sich sagen, daß er der Niedergehende sei neben dem mächtig aufsteigenden und ihn aus der Führung des deutschen Humanismus verdrängenden Erasmus.

Wir nehmen Ähnliches an andrer Stelle wahr. Zur selben Zeit, da Sebastian Brant nach Straßburg gezogen war und junge Basler in der Schlettstädterschule Dasjenige suchten, was in der Heimat sich noch nicht darbot, faßte der Elsässer Pellican Fuß in Basel und rüstete Johann Amerbach die großen Unternehmungen, die den Cono nach Basel riefen. Um bei Cono zu sein, wurde Rhenan in Basel heimisch; dann trat Froben das Erbe Amerbachs an, und Erasmus kam. Wie dies Alles einen Wendepunkt schuf in der Basler Geistesgeschichte, so besonders im Verhältnisse Basels zum Elsaß. Eine neue Machtverschiebung geschah. Das stets überlegen gewesene Basel wurde jetzt zur unbedingt herrschenden Humanistenstadt. Seine große oberrheinische Funktion, die durch den Bund von 1501 Vieles im Politischen eingebüßt hatte, wurde auf geistigem Gebiete in der edelsten Weise gestärkt.

[192] Brant ist noch immer der Hochverehrte. Wie Erasmus auf der Reise nach Basel 1514 durch die Straßburger Sodalen bewirket wird, ist ihm die größte Freude, als deren Haupt diesen Sebastian Brant zu sehen, den er liebt und der ihm außerhalb alles Gewohnten steht. Der Verfasser des Lobes der Narrheit begrüßt den Dichter des Narrenschiffes. Im August 1520 trifft er wieder mit ihm zusammen, in Antwerpen, anläßlich der Gesandtenreise Brants an den kaiserlichen Hof. Hie und da besucht Brant auch das ihm einst Heimat gewesene Basel. Der Rat erweist ihm bei solchen Gelegenheiten die offiziellen Ehren; er findet seinen Freund Bergman wieder; die Humanisten feiern ihn. Aber neben den jetzt Geltenden und Wirkenden macht er einen antiquierten Eindruck.

Das Gleiche gilt von seinem Genossen Jakob Wimpfeling. Er steht in wechselndem Scheine; bald ist er ehrwürdiger Herrscher der oberrheinischen Humanisten, bald überlebt müde und moros. Von Basel aus hat er einst gefochten wider die Schweizer und die liederlichen Kleriker. Auch dem alten Amerbach hat er bei den Editionen geholfen. Mit Leontorius ist er befreundet gewesen. Jetzt ist noch immer Bischof Christoph sein Patron und seine Zuflucht. Aber sonst besteht wenig Zusammenhang mehr. Seine mit Erasmus im September 1514 gewechselten Briefe begründen nicht Nachbarschaft und Verkehr; sie schließen vielmehr in fast monumentaler Weise eine Periode. Wimpfeling fühlt, daß andere Kräfte obenauf sind, daß die Zeit ihn überholt hat. Die Welt ekelt ihn. In Basel, dem Erasmus nahe, möchte er ausleben.

Das Elsaß von heut aber hat als Vertreter in Basel den Rhenanus. Hinter Diesem liegt das weite schöne Land, das so vertraute Gebiet mit seinen humanistischen Sodalitäten. Allenthalben leben die elsässischen „Besieger der Barbarei“, die mit den Baslern verbunden sind; sie bringen ihnen die Frische des Lebens, sie empfangen von ihnen Lehren und Ideen.

Eindrücklich vor Allem ist die Schlettstädter Gruppe, in der zu Ende des zweiten Jahrzehnts, anläßlich der Anwesenheit Rhenans, neues Leben erwacht. Mit dem gelehrtesten aller Äbte Paul Bolz, dem Erasmus die neue Ausgabe des Enchiridion widmet. Mit dem Büchersammler Martin Ergersheim. Mit den kräftigen Figuren Phrygio und Sapidus.

Paul Phrygio, ein Freund des Amerbachhauses, nach kurzer Tätigkeit an der Basler Universität und in Eichstätt 1518 zum Pfarrer in Schlettstadt gewählt, ist kein Jüngling mehr. Im ersten Auftreten verheißt er wenig; aber er offenbart sich, sobald er ins Reden gerät. Der humanistischen Sache mit demselben leidenschaftlichen Feuer hingegeben, das ihn sein Pamphlet wider das Papsttum schreiben läßt.

[193] Johann Sapidus, der mit Bruno Amerbach zusammen in Paris studiert hat, ist seit 1510 Rektor der Schule in seiner Heimat Schlettstadt. Durchaus so lebendig, so eingreifend und schöpferisch, daß einer seiner Schüler, Thomas Platter, später meint, damals erst seien „die studia und linguae aufgegangen“. Er führt das Griechische als Lehrfach ein. An der Spitze einer nach Hunderten zählenden Schülerschar, in reger literarischer Tätigkeit, von starker und gewinnender Art, ist Sapidus der Fürst im kleinen Schlettstadt. Gegenüber Basel aber erscheint er durch Manches — begeisterte Schreiben an Bruno Amerbach u. A., dichterische Huldigung an die Sodalität, Empfehlung von Besuchern — als der beredte Wortführer des jungen Elsasses. Er beneidet Alle, die ihr guter Stern in Basel leben läßt.

Straßburg liegt nicht nur geographisch entfernter von Basel; es hält auch an sich mehr Distanz. Vor kurzem noch klagten die Humanisten über die Musenfeindschaft dieser Stadt. Aber jetzt ist da Otmar Luscinius zu finden, eine Gestalt voll jugendlicher Frische, durch zahlreiche Reisen mit ganz Süddeutschland, aber auch mit Italien Griechenland Kleinasien vertraut geworden; begeisterter Kenner des Griechischen; Musiktheoretiker und Virtuose, der beim erasmischen Symposion 1514 die Tafelrunde durch sein Spiel auf der Hirtenflöte entzückt. Da ist Hieronymus Gebwiler, der in Basel studiert hat, dann des Bonifaz Amerbach u. A. Lehrer in Schlettstadt gewesen ist und nun die Straßburger Domschule leitet. Dem Domvikar Lucas Bathodius (Hackfurt) widmet Rhenan 1520 seine Ausgabe der Panegryci dem Thomas Rapp 1515 den Ludis Senecae; Rapp dient ihm später durch Vermittelung eines Tertulliancodex aus Hirsau. Sympathischer als Alle ist Jacob Sturm, dem einst Straßburg und ganz Deutschland Großes verdanken werden; jetzt in der anmutigen Bescheidenheit seiner Jugend, bei allem Wissen, gewinnt er sich das Wohlgefallen des Erasmus. Noch Einer lebt in Straßburg, mit dem die Basler verkehren: Otto Brunfels. In der Einsamkeit seiner Karthäuserzelle verlangt er nach gelehrtem Gespräche, nach einem Zusammensein mit Gleichgesinnten bei coena und Spaziergang; seine Briefe, die nach Basel gehen, voll überschwänglicher Hingabe an Erasmus und Rhenan, sind Zeugnisse dieser Sehnsucht.

Der Augustinermönch Niclaus Bruckner in Colmar, dann in Mülhausen, vertritt ein sonst nicht merkbares geistiges Leben der letztgenannten Stadt; er korrespondiert mit den Basler Humanisten und bezieht durch sie Drucke des Plinius, des Cicero, des Persius u. A.; er treibt auch mathematische und astronomische Studien; den Brüdern Bruno und Bonifaz Amerbach fertigt er ihre Horoskope.

[194] Ein eigenartiger Humanist des Elsasses ist der Colmarer Dekan Jacob Carpentarii (Zimmermann) aus St. Pilt. 1485 Student in Basel, dann Chorherr zu St. Peter daselbst. Hauptsächlich bekannt aber wird er uns durch seine diplomatische Tätigkeit alle die Jahrzehnte hindurch im Dienste der Stadt Basel, des Herzogs Karl von Savoyen, des Bischofs Christoph von Basel. Die ihn bei solchen Geschäften kennen gelernt, rühmen ihn als „eine geschickte verständige dapfere gelehrte person, der sprachen latin tutsch und welsch wol bericht und wüssend“. Daneben ist wichtig, daß er 1489—1492 die Professur der Poesie an der Universität Basel versieht und in der Folge bei den oberrheinischen Humanisten den Ruhm eines ausgezeichneten Förderers der Studien hat. In seinem Dekanatshaus in Colmar besitzt er eine große Bücherei; hier findet Rhenan eine alte Handschrift des Tertullian, die das Kloster Peterlingen s. Z. dem Carpentarii geliehen hat.

Mit der Betrachtung dieser Einzelnen verbindet sich der Gedanke an ihre persönlichen Beziehungen zu den Humanisten in Basel. Aber auch der Gedanke an die Macht des Allgemeinen und dauernd Gemeinsamen in Streben Arbeit und Kampf, auf dem der Reichtum jedes Einzellebens notwendig ruht. Dies Gefühl geistigen Beisammenseins, nach jeder Seite hin wirkend, ist doch am stärksten in diesem Verkehre mit dem Elsaß, wo es an uralte Zusammenhänge sich lehnt. Auch abwesend leben die Elsässer Freunde in Basel; dem Erasmus ist bei jedem Frühmahl und Abendmahl, bei Spaziergang und Gespräch Sapidus gegenwärtig, auch wenn er in Schlettstadt weilt.

Das breisgauische Freiburg bedeutet weniger für den Basler Humanismus als das Elsaß. Schon sein Leben an sich erscheint schwächer. Auch wird jede der beiden Städte durch ihre Universität der andern fernegehalten. Es ist ein Fremdsein, das der Geringfügigkeit der Relationen politischer und wirtschaftlicher Art entspricht.

Die namhaftesten Beziehungen der früheren Zeit zeigt uns der Freiburger Karthäuserprior Gregor Reisch. Um seiner Gelehrsamkeit willen ein Stolz des Ordens, ohne Rast arbeitend, von encyclopädischem Wissen. Rhenan verlangt seine Hilfe für die Edition des Cusanus durch Faber; für ihn verfaßt Pellican eine hebräische Grammatik; er besorgt die Ausgabe der Ordensstatuten durch Amerbach 1510; kaum ist Erasmus in Basel, 1514, so wirbt er die Mitarbeit des Reisch für den Hieronymus.

Auch des Lektors der Eloquenz und Poesie in Freiburg, Philipp Engentinus (Engelbrecht), gedenken wir. Er ist der feurige Gegner aller alten Manier, durch Kleidung und Bart den Kollegen ein Greuel, aber bei der [195] Jugend gefeiert als der froheste aller Poeten. Er verkehrt viel mit den Baslern, besucht sie oft, läßt 1515 hier sein Preisgedicht auf die Stadt Freiburg neu drucken und steuert zu den Topica des Cantiuncula in einer Reihe prächtiger Distichen einen Hymnus auf diese Zeit, in der alle Wissenschaften erneuert werden, frühere Mächte und Geister wieder erwachen.

Die große Gestalt unter den Freiburgern aber ist Ulrich Zasius.

Ehe er, achtundvierzigjährig, im Jahre 1506 die ordentliche Lektur des römischen Rechts an der Universität übernahm, hatte er in Verwaltungsdienst und politischem Geschäft, im Schulehalten und als Lehrer der Poesie die Stärke seines Geistes erwiesen. Alles schloß sich nun zusammen zu derjenigen Erscheinung eines in voller reifer Kraft wirkenden Mannes, die einige Jahrzehnte lang unsere Vorstellung von Freiburg beinahe völlig beherrscht. Zasius war auch in der Jurisprudenz durchaus Humanist. Freiheit von der traditionellen Autorität der Glossatoren und Rückkehr zu den Quellen fordernd, glänzend beredt, das gepflegteste Latein schreibend, von ausgedehntem Wissen; dabei heiß und leidenschaftlich in seinem Wesen, von mächtiger persönlicher Eindrücklichkeit. Als die außerhalb Basels am Oberrhein am meisten vortretende Humanistenfigur hat Zasius zu gelten. Nach allen Seiten war er anregend, auf allen Gebieten voll Interesse. Er stand dem Brant und dem Wimpfeling nahe; noch enger waren seine Beziehungen zu Basel, wo er sich geradezu als Genossen der Sodalitas fühlte. Hier hatte er seinen Schüler Bonifaz Amerbach, hier den Cantiuncula; den Rhenan nannte er seine „Wonne“; noch war Ökolampad sein Freund. Aber der Höchste war ihm Erasmus. Dem in Basel kaum Angekommenen, 1514, huldigte er sofort in einem Erguß schwärmerischer Verehrung; in ähnlichen Tönen erwiderte Erasmus diese „Aufforderung zur Freundschaft“. Von da an ging der Briefwechsel der beiden berühmten Nachbarn weiter, voll Geist, erlesener Kunst des Stiles, eleganter Schmeichelei; wohl die stärkste Korrespondenz, die Erasmus in Deutschland hatte.

Zu den oberrheinischen Humanisten kann auch die Gruppe am Bodensee gerechnet werden.

Konstanz freilich galt Vielen als „ein von den Musen verlassener Ort“; der Engländer Pace urteilte, daß es keine Gelehrten besitze und keine Bücher. Aber die dortigen Freunde unserer Basler zeigten, wie wenig Grund ein solches Urteil hatte.

Da war Johann von Botzheim, Domherr seit 1512, nachdem er ein Jahrzehnt lang in Straßburg mit Wimpfeling Geiler Luscinius u. A. gelebt hatte. Jetzt war er der große Humanistenfreund in Konstanz. Ohne [196] eigene nennenswerte Produktion. Aber sein schönes Haus am Ufer, dessen Wände mit biblischen Historien und den Göttergestalten des Olympus geschmückt waren, wo das von Holbein gemalte Altärchen stand, wo Musikinstrumente zum Gebrauche bereit lagen samt der reichen, einst aus Italien mitgebrachten Bibliothek, war die stets offene Gelehrtenherberge. Da genoß er die Alten und empfing er seine Freunde. Er selbst „ein guter Musicus, ein holdseliges höfliches Männlein“; so heitern Wesens, daß er selbst einen Toten hätte zum Lachen bringen können.

Da war der Generalvikar Johann Fabri, den wir schon kennen. Auch er gepriesen als Mäcen und Gastfreund der Gelehrten. Musis dictantibus schrieb er seine Briefe, nach dem Diktate der Musen. Zuweilen kam er selbst herab und besuchte die Basler Freunde, den Pellican, den Ludwig Bär, die Buchdrucker. Aber schon damals nahm man wahr, wie er Schmeichelei liebte und gebeten sein wollte.

Urban Rhegius, 1512 Professor der Rhetorik und Poesie in Ingolstadt, seit 1518 in Konstanz lebend als Pleban am Münster, besucht Basel 1519. Er bringt seinen Ingolstädter Ruhm mit und die guten Empfehlungen des Zasius. Hier in Basel vollendet er sein theologisches Studium. Dann geht er nach Augsburg und wird dort Domprediger.

Noch anziehender vielleicht als diese Konstanzer ist ihr Nachbar überm See, Michael Hummelberg. Nach den bewegten Jahren seiner Ausbildung in Heidelberg Paris und Rom lebt er einsam in Ravensburg und hütet im elterlichen Hause die unverheirateten Schwestern. In der Stimmung eines Mannes, der sich abseits fühlt. Der sehnsüchtig nach allen Seiten hin horcht, nach Novitäten aus der Welt der Gelehrten und der Drucker dürstet, nach Besuchen von Freunden verlangt. Mit Bruno Amerbach und Rhenan verbinden ihn Erinnerungen an die Pariser Studienjahre. Auch den Ludwig Bär, den Froben, den Capito, den Ökolampad nennt er seine Freunde. Aber er bleibt in seinem Ravensburg, „im stillen Röhricht Pfeifen schneidend“. Mit Rhenan Peutinger Bebel u. A. korrespondiert er über die germanischen Stämme und ihre Wohnsitze; gelegentlich unterrichtet er die Konstanzer Freunde im Griechischen oder macht Besuche bei den Mönchen in Weingarten und Salem. Wie reich innerlich das Leben dieses einsamen Humanisten war, das schon mit vierzig Jahren zu Ende ging, zeigt sein ausgedehnter Briefwechsel. Die von ihm verfaßte griechische Grammatik, sein einziges Werk, trat erst nach seinem Tod ans Licht, 1532, bei Herwagen in Basel.

[197] Dem Allem gegenüber zeigen uns die Beziehungen zur Schweiz ein anderes Bild. Von Gegenseitigkeit ist wenig zu merken. Wir haben es mit der Provinz, stellenweise beinahe mit Kolonisationsgebiet zu tun.

Wir übersehen die Berner Wölfflin Anshelm Rubellus keineswegs; auch nicht den reichbegabten Peter Falk in Freiburg. Aber sie sind vereinzelt, und ihre Wirkung ist eine beschränkte. Mit Bitterkeit wird an vielen Orten des Landes empfunden, daß es in Barbarei und Rustizität dahinlebe.

Nur allmälich regt sich der neue Geist in weitern Kreisen. Die großen Basler Jahrzehnte sind zugleich die Zeit, da auch die Schweiz erwacht. Sie schickt sich an, „zum kriegerischen Ruhme nun noch den wissenschaftlichen zu erwerben, die strahlende Minerva dem Mars zu vermählen“. Aber der Anstoß hiezu kommt von Basel. Überall in der Schweiz ist ein beständiges Schauen, ein beständiges Horchen nach diesem Basel, das schon ökonomisch und durch eine freie reiche Entwickelung des Bürgertums der übrigen Eidgenossenschaft voran ist, dem der größte Gelehrte der Zeit und eine ruhmreiche Sodalitas und eine Universität angehören, dessen Drucker die Welt mit Büchern versorgen.

Voll Reiz ist die nun anhebende Bewegung. Wer in der Schweiz etwas werden, wer höher hinaus will, der muß nach Basel gehen und hier wissenschaftliches und geistiges Wesen kennen lernen. Aus Luzern kommen Myconius Collinus Carinus, später Johann Lylotectus, aus Brugg Albert Bürer nach Basel. Die Zofinger Chorherren sind für das Einbindenlassen ihrer Bücher auf Basel angewiesen. Aber am lautesten tönt es aus der Ostschweiz. In Basel studieren Marx Bertschi aus dem Thurgau, die St. Galler Johann Keßler und Johann Rütiner. Die Karthäuser zu Itingen kaufen Bücher in Basel und geben eine Hymne zu Ehren des Hl. Laurenz bei Froben in Druck. Der Bündner Artolf findet seine Heimat in Basel, während der alte amerbachische Hausfreund Salandronius jetzt in Chur sitzt und von dort durch Briefe mit den Baslern weiter lebt. Namentlich aber zeigen sich hier die aufgeweckten Glarner, die Fontejus Bünzli Heer Tschudi u. A., an der Spitze des ganzen Chores Glarean. Auch Zwingli gehört zu dieser Gruppe. Er ist s. Z. in Basel geschult worden; jetzt steht er mit der Rheinstadt in regstem Verkehre, dessen Inhalt die Freundschaft mit Rhenan und andern Sodalen, der Erasmuskult, die unaufhörlichen Wünsche des Büchersammlers sind.

Das Alles ist wesentlich einseitig, in der Hauptsache Wirkung Basels. Wie mächtig dabei die Superiorität dieser Stadt empfunden wird, zeigt die [198] ihr durch den jungen Zürcher Gerold Meyer von Knonau dargebrachte schwärmerische Huldigung.

Als imponierende Einzelgestalt kommt auch in diesen Beziehungen Matthäus Schiner zur Geltung. Wir wissen, wie sehr in dieser Zeit die Politik Basels nach seinem Willen orientiert ist. Aber er hat hier noch andern Verkehr. Neben Jacob Meyer Gerster und Genossen ist ihm der Kreis der Humanisten vertraut. Vor Allem Erasmus selbst. Wie Dieser im Mai 1517 in Antwerpen weilt, sucht ihn Schiner auf, und die beiden so verschiedenen Menschen sitzen zusammen in eifriger Unterhaltung, die bald dem Neuen Testamente gilt, bald den politischen Plänen des Kardinals. Wenige Jahre später wieder treffen sie sich am kaiserlichen Hofe, und Schiner treibt den Erasmus an die Ausarbeitung der Paraphrase zum Jacobusbrief. Dazu das Leben in Basel selbst, die Huldigung der ganzen Sesselgemeinde. Wie Capito dem Schiner gefällig ist durch Verdeutschung und Publikation des römischen Spruchs in seinem Streite mit Jörg von der Flüe; wie Cantiuncula ihm, „cui theatrum plaudit universum“, sein Erstlingswerk die Topica widmet; wie Rhenan ihm und seinem Sekretär Michael Sander nahe steht und ihm gelegentlich politische Nachrichten aus dem Reiche vermittelt; wie Schiner dem Papste die Basler Edition des Hieronymus empfiehlt; wie er dem Fontejus zwei seiner Neffen zur Erziehung gibt und dem Fuhrmann, der ihm Wein aus dem Elsaß holt, die nach Zürich bestimmten Bücherballen in Basel aufladen läßt, — überall zeigt sich die Fülle des Lebens; politische und persönliche, kirchliche und wissenschaftliche Interessen drängen sich in der Berührung mit dem gewaltigen Manne.

Sodann der St. Galler Joachim Vadian. Aus einer vieljährigen wichtigen Gelehrtentätigkeit in Wien 1518 in die Heimat zurückkehrend, ist er hier, was die andern Alle nicht sind, ein weithin berühmter Gelehrter. Seine Wiener Freunde beklagen ihn, weil er nun bei den unwissenden Bauern, bei den Kühmelkern wohnen müsse. Aber sofort sieht er sich nach dem ihm Gemäßen um. Er sucht Basel nahe zu kommen. Er sucht Beziehungen zu Erasmus. Er gewinnt die Freundschaft Rhenans. Und da sein Wiener Verleger den zweiten Druck des Pomponius Mela mit Vadians Kommentar dem Cratander überträgt, kommt es zum Verkehre dieses Basler Druckerherrn mit dem St. Galler Humanisten, der sich gibt wie ein Verkehr zwischen Gleichgesinnten.

An Deutschland schloß sich die übrige Welt.

Die Beziehungen des Basler Humanismus zu den Niederlanden waren eine Sache fast ausschließlich des Erasmus. Dort hatte er seine Heimat, [199] dort die Freunde Roger Gerard Geldenhauer Barbirius Gilles u. A. Sie scheinen den übrigen Baslern so gut wie fremd geblieben zu sein; nur gelegentlich zeigt sich uns ein Verkehr des Gilles mit Rhenanus.

Namentlich aber steigt aus der mächtigen Gesamterscheinung dieses von allem Glanze des Lebens und von reichster Tätigkeit erfüllten Landes die Stadt Löwen vor uns auf mit ihrer bald ein Jahrhundert alten berühmten Universität, mit ihrem großen Buchdrucker Dierck Martens, dem „Aldus der Niederlande“, mit dem durch Hieronymus Busleiden gestifteten und 1517 unter Mitwirkung des Erasmus eingerichteten collegium trilingue, einer humanistischen Lehranstalt für die drei Gelehrtensprachen. Am meisten in diesem Löwen hat sich Erasmus während seiner Abwesenheit von Basel aufgehalten; hier wirkten seine Freunde Konrad Goclenius, Adrian von Barland, Martin von Dorp u. A.


England hat den Reiz einer mit der Monarchie der Tudor wie neu erstandenen und sofort groß und glänzend wirkenden Kraft. Es ist die Zeit, da neben Oxford und Cambridge der Hof des jungen Heinrich VIII. eine Stätte geistigen Lebens wird, sedes et arx optimorum studiorum. Es ist das Zeitalter des Johann Colet und des Thomas Morus, im Verkehre mit welchen Erasmus früh seine stärksten geistigen Erlebnisse gehabt hat. Es ist auch das Zeitalter der Thomas Wolsey, Thomas Grey, Andreas Ammonius, Wilhelm Warham, Richard Pace. Diese Alle sind gleichfalls Freunde des Erasmus; was zwischen ihnen und Basel geschieht, ist wesentlich erasmisch. Es ist auch sein Werk, daß Schriften von Colet Morus Tunstall in Basel gedruckt werden.

Dem Thomas Grey erscheint diese Stadt als der begehrenswerteste Ort sichern und edeln Lebens; auf besondere Weise kommt Richard Pace für sie in Betracht.

Von seinen italiänischen Studienjahren her Freund des Erasmus, mit dem er damals in Ferrara bekannt geworden, durch Budaeus gepriesen, durch Wolsey in selbständige politische Tätigkeit eingeführt, kam Pace 1514 und 1515 als Gesandter des englischen Königs in die Schweiz. Er hielt sich zeitweise in Basel auf, für seine Geschäfte hauptsächlich mit dem Ratsherrn Hans Stolz, sonst mit den Sodalen des erasmischen Kreises verkehrend. Der etwa dreißigjährige Mann, gründlicher Kenner der alten Sprachen und Literaturen, schrieb hier den Tractat De fructu qui ex doctrina percipitor, der 1517 bei Froben gedruckt wurde. Zur Unzufriedenheit des Erasmus, der sich in dem Buche nicht genügend vorteilhaft geschildert fand. Pace verfaßte [200] dieses Buch neben seiner Diplomatenarbeit, zur Erholung von ihr, zur Entschädigung für sie. Denn seine Lust waren die Studien, während er die Staatsgeschäfte haßte, in die er verstrickt war. Und doch standen ihm gerade auf diesem Gebiete noch die größten, freilich ergebnislosen Aufträge bevor: seinem Könige Heinrich die Kaiserkrone, seinem Meister und Gönner Wolsey die Papstkrone zu verschaffen. Erst nach Jahren, 1528, ward ihm die Befreiung aus dem Staatsdienste zuteil, die Möglichkeit der Rückkehr in sein wellenumrauschtes Vaterland und „zu den Musen, die noch süßer sind als das Vaterland“.


Im Verhältnisse zu Frankreich treten neben eine seit alters geltende Tradition neue Kräfte und Anregungen.

Vor Allem ist das Studium an der Pariser Universität zu beachten. Aber dieses Studienbild, samt Allem was daran hängt, erscheint gerade jetzt eigentümlich bewegt durch das umgebende Alltagsleben, das voll ist von Bewußtsein und Leidenschaft des nationalen Gegensatzes. Während das ganze Oberrheingebiet sich erregt und rüstet wider die „wälsche Gefahr“, bilden sich in Paris die jungen oberrheinischen Humanisten; in der Schweiz aber mahnt Schiner, die Studenten nach Wien zu schicken, nicht nach Paris, „wo sie dem Kaiser verloren gehen“.

Noch an Andres ist zu denken. Schon im fünfzehnten Jahrhundert, dann unter der Herrschaft des Bündnisses der Eidgenossen mit Frankreich von 1499 haben königliche Stipendien für Schweizerstudenten der Universität Paris bestanden; nach dem Frieden von 1516 nimmt König Franz dieses Verhältnis wieder auf und bewilligt für jedes Ort ein Studentengeld von hundert Franken im Jahre. Das Ergebnis dieser Pariser Studien würde sich vielleicht im Denken und Arbeiten jedes Einzelnen verfolgen lassen, sowohl Äußerliches als Innerstes treffend, bald nur streifend und momentan aufrüttelnd, bald auf das ganze geistige Leben wirkend.

Bei diesem denkwürdigen Rapporte zweier Kulturen haben wir sowohl das Verbindende zu erkennen als das jedem Teil Eigene.

Das Gemeinsame ist deutlich verkörpert in einer Figur wie Ludwig Bär, der während einer ungewöhnlich langen Zeit sich in Paris gebildet und diese Studien dann auch in sehr ehrenvoller Weise geschlossen hat, so daß er lebenslang gleichsam im Glanze dieser Pariser Jahre steht.

Ein andrer Basler, Ludwig Copus (Kopp), ist völlig zum Franzosen geworden. In Basel 1478/79 imatrikuliert erlebte er hier die Anfangszeiten des Humanismus. Er lernte Griechisch bei Johann Heberling aus Gmünd, [201] einem Schüler Reuchlins, daher Dieser später den Copus als seinen Enkel im Geiste begrüßen konnte. Copus trieb aber namentlich das Studium der Medizin und wurde 1495 Doctor dieser Wissenschaft. Von da an gehört er Paris, wo Laskaris Erasmus Aleander ihn weiterbilden. Er wächst rasch zum berühmten Manne. Den Erasmus heilt er vom Quartanfieber, den Jacob Faber von der Schlaflosigkeit; dankbar nennt ihn Erasmus den princeps artis medicae und widmet ihm seine Ode über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens. Er ist Leibarzt der Könige Ludwig XII. und Franz I. Neben der Praxis einher geht seine wissenschaftliche Arbeit. In ganz bestimmtem Geiste. Die Bibliothek des Copus enthält Homer, die griechischen Rhetoren u. A. m. Er ist einer der humanistisch hochgebildeten Ärzte gleich Occo Leonicenus Linacre. Er übersetzt den Paulus Aegineta, den Galen, den Hippokrates. Was Andre für Dichter und Philosophen tun, tut er hier. Auch die klassischen medizinischen Autoren sollen das Licht ehemaliger Herrlichkeit wieder gewinnen, in ihrer ursprünglichen Kraft wirken können. Durch ihn „fängt auch die Medizin wieder zu sprechen an“. So ist er in seiner Disziplin ein „treuer Diener der Musen“, und seine immer wieder laut werdende Lobpreisung durch Erasmus bedeutet mehr als nur schöne Phrase. Copus ist in der Tat eine der reichen Gestalten jener Zeit; denn auch an ihm ist nichts Einseitiges, nichts schematisch Beengtes. Weit hinaus klingt sein Name. Sowohl Deutschland als Frankreich nehmen ihn in Anspruch, und Paolo Giovio stellt sein Bild in die Galerie der berühmten Männer.

Aber auch an Erasmus selbst ist hier zu denken. Wie er jetzt Basel gehört, wie die Niederlande und England ihn als einen der Ihren preisen, so hat er entscheidende Zeiten in Paris zugebracht; die Beziehungen zu den dortigen Gelehrten Budaeus und Jacob Faber begleiten ihn durch sein Leben.

Von der Universalität dieser Einzelnen hinweg führt uns wieder in die Heimat und ein engeres Dasein, was die einstigen Pariser Scholaren Amerbach Rhenan Hummelberg Sapidus usw. als Jugend- und Studienerinnerungen auszutauschen lieben. Die Jahrzehnte entlang tönen zwischen den gereiften und die Last der Arbeit tragenden Männern diese Exclamationen stets aufs Neue. Bis zum schönen Nachrufe Rhenans an Hummelberg, bei Edition der von Diesem hinterlassenen griechischen Grammatik.

Eine Spezialität innerhalb der französischen Beziehungen bilden die Büchersachen.

Vom Druck erasmischer Werke in Paris, von Büchersendungen, die aus Paris nach Basel und über diesen Umschlagsort weiter nach Osten gehen, ist viel [202] die Rede. Wir lernen auch den Basler Buchhandel in Paris selbst kennen; wir hören von seinen Faktoreien in der Rue St. Jacques, die mit dem Baselschild und den Basilisken bezeichnet sind. Vor einem dieser Gewölbe sieht Pellican im Mai 1516 die soeben angekommenen Fässer liegen mit den frischen Exemplaren des Neuen Testaments der Basler Ausgabe. Hinter dem Allem stehen ein paar große Gestalten: der Verleger Jean Petit, der zu Zeiten die Pressen von nicht weniger als fünfzehn Druckereien beschäftigt; der gelehrte Drucker Jodocus Badius, überaus produktiv, Typograph des Erasmus und mit Rhenan befreundet; der Drucker Stephanus, dem Rhenan in jungen Jahren als Korrektor gedient hat.

Dieses Pariser Buchwesen ist eine Erscheinung voll Macht und Leben. Aber noch wichtiger für Basel ist seine römische Schwesterkolonie Lyon.

Schon als Druckort ist diese Stadt im Charakter ihrer Produktion verschieden von den durch die Sorbonne beherrschten Pariser Offizinen. Aber ihre Bedeutung ist noch viel allgemeiner. Über Lyon zieht neue italiänische Kultur in Frankreich ein. Großstädtisch geartet seit den Tagen, da es Hauptstadt des römischen Galliens gewesen, ist es jetzt einer der mächtigsten europäischen Handelsplätze. Hier entwickelt sich auch der größte Büchermarkt von Südeuropa. Dessen Verbindung mit dem deutschen Buchhandel aber geht über Basel, und dieses Basel selbst ist in allen Beziehungen des Buchgewerbes aufs engste mit Lyon verbunden; seinen Offizinen gibt die Lyoner Messe so gut die Termine wie die Frankfurter.

In Jean Grolier tritt die romanische Welt der Bücher den Baslern eigenartig entgegen; er ist der berühmte Bibliophile, der die schönsten Ausgaben sammelt und sich die schönsten Einbände anfertigen läßt, aber auch der liberale Gönner der Gelehrten, sodaß bei Diesen, wie Rhenan meint, Keiner ist, der den Namen Grolier nicht wie den eines Heiligen verehrt. Er selbst preist ihn als patronus musarum und widmet ihm eine seiner Editionen; auch von Erasmus haben wir einen Schmeichelbrief an den mächtigen Literatenfreund.

Hier ist aber namentlich zu reden von einigen Basler Figuren des Buchgewerbes.

Johann Schabler genannt Wattenschnee verbindet in seiner Person die Anfangszeiten des Buchgewerbes von Basel mit den jetzigen Zuständen. Er ist zugleich mit seinem Landsmanne Niklaus Keßler aus württembergisch Bottwar hier eingewandert und wird 1473 bei der Universität immatrikuliert. Aber schon frühe wendet er sich nach Frankreich. Seit 1483 ist er in Lyon nachzuweisen, als Drucker mit Martin Huß, gleichfalls einem Bottwarer, [203] zusammen, dann als Buchhändler. 1495 erwirbt er Bürgerrecht und Haus in Basel. Aber sein Gewerbe treibt er vorzugsweise in Frankreich. Von dort aus verkehrt er mit Amerbach in Basel, mit Koberger in Nürnberg usw. In Lyon hat er sein Geschäftshaus mit dem Baselschild; aber er lebt auch in Paris, als Verleger, längere Zeit mit Jean Petit zusammen. Bei dem Allem wird er selbst zum halben Franzosen, sodaß seine Basler Bekannten finden, er habe schon allzuviel gallische Hinterlist angenommen, um noch für einen biedern Deutschen gelten zu können. Zu Ende der 1510er Jahre scheint Wattenschnee, vielleicht aus persönlichen Gründen Paris meidend, sein Standquartier in Basel genommen zu haben; fortan ist er hier Sortimenter und Verleger, der stattlichste Repräsentant einer nach Westen orientierten Gruppe im Buchgewerbe.

Wattenschnees Ehefrau ist Claudia Vaugri, deren Vetter Johann Vaugri ein Buchhändler, der seit Beginn der 1520er Jahre meist in Lyon, aber auch in Paris, in Genf, in Basel, auf den deutschen Messen zu treffen ist. Als Wattenschnees Faktor oder Gemeinder führt er mit Michel Parmentier zusammen ein Buchgeschäft à l'écu de Bâle in der Rue Mercier in Lyon.

Auch Konrad Resch gehört zu dieser französischen Gruppe. Ein Schwabe aus Kirchheim am Neckar; 1508 Wolfgang Lachners Faktor in Lyon; dann studiert er in Tübingen; seit 1515 zeigt er sich uns als Buchhändler in Paris. Er ist der Verleger, für den Heinrich Stephanus 1519 die colloquiorum formulae des Erasmus nachdruckt. In der beständigen unruhigen Bewegung, die dem Gewerbe eigen ist, entwickelt sich vor uns auch Reschs Verkehr mit Basel. In allen möglichen Formen. Geschäftlich und rein persönlich. Als Schwestersohn Wattenschnees ist er der Vetter des Bruno Amerbach. Für Rhenan, für Erasmus, für Glarean, für Zwingli usw. besorgt er Bücher und vermittelt er Briefe. Er ist gelegentlich Verleger Frobens. Es selbst reist oft nach Basel und bringt jedesmal das Neueste aus Paris mit. Bis zuletzt auch er sich in Basel fixiert und hier 1522 Bürger wird, unter Beibehaltung seiner Pariser Geschäftsstelle.


Und nun Italien!

Wir sehen da in den lebendigen Gang einer Wandlung hinein. Das die frühere Zeit Deutschlands beherrschende Gefühl, im Gebiete wissenschaftlichen Lebens von Italien Großes zu erhalten und nur Weniges ihm zu geben, ist im Humanismus dieser Jahrzehnte ersetzt durch den Stolz einer neuen Generation von Menschen und Gelehrten. Einer Generation, die weiß, daß die Welt das ungeheure Geschenk der Buchdruckerkunst den Deutschen [204] verdankt, und die auch im Blick auf ihre eigene Leistung keineswegs als nur empfangend gelten will. Von diesen Stimmungen, die bis zum stärksten Bewußtsein des Gegensatzes und zum Wettkampfe mit der superba Italia wachsen, wird noch zu reden sein. Wie Celtis vor dem Italienlaufen warnt, so kämpft hier am Oberrheine Wimpfeling dagegen; er bestreitet, daß irgend Etwas dazu nötige, die Bildung im Auslande zu suchen.

Freilich, die Sehnsucht nach Italien ist unbesiegbar. Neben Kaufleuten Söldnern Pilgern ziehen auch Humanisten hinüber. Sie suchen den Weg zum Glanz italiänischer Universitäten, zu vielverheißenden Bibliotheken, zu Altertümern, zur Herrlichkeit der Welthauptstadt. Dem Cantiuncula prophezeit Agrippa, daß ihm, wenn er einmal Italien gesehen haben werde, „jedes andre Vaterland“ nur häßlich und gemein erscheinen könne. Noch in späten Jahren fühlt Pellican die tiefe Ergriffenheit wieder, die damals über ihn gekommen, als nach langer Reise vor ihm die Türme und Hügel von Rom aufstiegen „in der schönen Majestät ihres alten Ruhmes.“ Und welche Begeisterung bei Erasmus, welche sehnsuchtsvolle Schilderung seiner dort gelebten Zeiten! „Meine Seele ist in Rom“, schreibt er.

Aber die Wenigsten unsres Kreises sind in Italien gewesen. Wie Brant Wimpfeling Zasius niemals die Alpen überschritten haben, so wissen auch Capito Rhenan Bonifaz Amerbach Froben u. A. nichts vom schönen Süden. Bruno Amerbach ist kurze Zeit und unbefriedigt dort gewesen, Glarean nur bis Pavia gekommen und hat auch dort nicht gefunden, was er gesucht.

Ludwig Bär geht erst spät hinüber, in einer veränderten Welt.

Uralt herkömmlich, tief begründet, in ihren Wirkungen oft übermächtig sind die geistigen Beziehungen zu Italien. Dennoch sind der einzelnen Zeugnisse eines solchen Verkehrs unsres Kreises befremdlich wenige.

Wir können den Venetianer Johannes Baptista Egnatius nennen, einen Schüler des Angelo Poliziano und Herausgeber von Klassikern; mit Rhenan und Glarean steht er in Verbindung, durch Hutten schickt er 1517 seine Kaiserbiographien dem Erasmus, mit dem er lebenslang verbunden bleibt.

Auch dem Antonio Pucci gebührt eine Erwähnung. Er ist päpstlicher Legat bei der Eidgenossenschaft. Aber als Sekretär hat er den gelehrten Bolognesen Paul Bombasius, den Freund des Erasmus, bei sich, und auch er selbst liebt als Gönner unter die Basler Humanisten zu treten. Er kauft Bücher; er hilft dem Hieronymus Froben und dem Nicolaus Episcopius zum magisterium; und sein Verhältnis zu diesen Leuten zeigt sich auch in dem Lobe, das ihm Urbanus Rhegius gibt, oder in der Dedikation einer Schrift durch Capito. Erasmus aber, den Pucci zu Tische lädt, schickt als [205] Vertreter seine „Schatten“ an den Schmaus, den Rhenan, die Amerbache u. A., worauf der Legat sich dazu bequemt, dem Erasmus zu Hause, im frobenischen pistrinum, seine Aufwartung zu machen.

Um so nachweisbarer ist der buchhändlerische Verkehr. Von Italien her hauptsächlich beziehen anfangs die deutschen Humanisten ihren Bedarf. Bis auch dies sich ändert. Um das Jahr 1520 glaubt Rhenan sich über die eingebildeten Italiäner lustig machen zu können, die gegenüber den Deutschen noch immer mit ihrem Bücherreichtume prahlen und doch weit überholt sind.

Zentrum des italiänischen Buchhandels und der Ort großer Buchdrucker, zugleich der erste Marktplatz für griechische Handschriften, ist Venedig, und hier fesselt uns namentlich Aldus Manutius. Seit Beginn der 1490er Jahre, erst allein, dann in Gemeinschaft mit Andreas Torresanus (Asulanus) tätig, von hoher wissenschaftlicher Gesinnung, arbeitet Aldus in der ernstesten Weise und unter Mitwirkung großer Gelehrter, mit einer Geschäftsführung, die wie durchgeistigt erscheint und in der Geberde, in den Mitteln und Massen des Vertriebes großartig ist. Aldus druckt hauptsächlich Klassikereditionen und Handbücher; diese auch durch Schönheit des Druckes ausgezeichneten Bände überfluten Deutschland.

Auf dem Wege dahin aber liegt Basel, der wichtigste Ort der Vermittlung im buchhändlerischen Verkehre Deutschlands mit Italien, und selbst Handelszentrum für eine weite Umgebung. Hier in Basel blüht das Geschäft in italiänischer Literatur, namentlich in Aldinen. Ein eigentliches Kommissionslager des Aldus scheint in Basel nicht zu bestehen. Sondern Wolfgang Lachner schickt seine Leute nach Venedig, damit sie Aldinen herbringen. Da kommen sie dann wagenweise nach Basel: Gellius Caesar Plato Cicero Homer Lucian Demosthenes und unzählige Andere; die Käufer stehen schon in Haufen bereit, kaum nach den Preisen fragend und die Bücher rasch an sich reihend. Auch für auswärtige Liebhaber muß bei solcher Gelegenheit durch Lachner oder Froben gesorgt werden, für Zwingli in Zürich, für Erasmus in Löwen u. A.

Von Interesse ist, die Wirkung auf Froben zu beobachten. Er tritt mit Aldus in Konkurrenz. Er will so schöne Bücher drucken können wie Dieser und kommt dem Ziele rasch nahe, schon mit den Adagia 1513. Von da an beherrscht dieser spezielle Ehrgeiz seine Offizin und führt sie zu den größten Erfolgen. Die Italiäner selbst müssen die Kunst des Baslers bewundern. Natürlich greift der italiänische Buchhandel über Basel hinaus; seit Beginn des Jahrhunderts werden die deutschen Buchmessen auch von italiänischen Händlern besucht.

[206] Inmitten dieses internationalen Treibens kommt für Basel hauptsächlich in Betracht Franciscus Julius Calvus, ein aus Como stammender, Anfangs in Pavia, später in Rom ansässiger Buchhändler. Ein Polytropos nach Alciats Bezeichnung; für den Geschmack des Rhenan hat er zu viel vom Aufschneider an sich. Aber er ist gewandt, unentbehrlich, im südlichen Buchhandelsverkehr ein so vielgebrauchter Mittelsmann wie der Flame Birkman im nördlichen. An Johann Froben macht er sich 1517 brieflich heran; er liebt ihn vom Hörensagen und möchte mit ihm Geschäfte machen. Dann 1518 kommt er selbst nach Basel und wird nun mit Erasmus bekannt; er besucht auch den Zasius im nahen Freiburg, in den „hercynischen Waldschluchten“, wie der fröstelnde Alciat spottet. Seitdem ist sein Verkehr mit den Baslern der übliche. Er schickt Desideratenlisten, er schickt Bücherballen zur Spedition an die Frankfurter Messe, er fahndet auf Bücher und Manuskripte für die frobenische Presse, er übernimmt Drucke Frobens zum Vertriebe. Da er auf seinen Reisen auch nach Paris, auch nach Löwen kommt, besorgt er Basler Briefe dorthin. Er bestellt Grüße des Rhenan an Grolier Alciat Benedetto Giovio Coelius u. A.


Wir sind vielen einzelnen Gestalten und Beziehungen auf oft ermüdenden Wegen nachgegangen und kehren zurück zu einem geschlossenen Bilde, zu der Einheit des Ortes, von dem alle die Kräfte ausgehen, zu dem sie alle strömen.

Basel gilt wieder als Zentrum, wie es in andrer Weise vor siebenzig Jahren zur Konzilszeit gewesen. Wir sehen das gewaltige Schauspiel, daß Ideen Antriebe Lehren, zum Teile der größten Art, hier sich regen und zu Leistungen werden.

Am sichtbarsten kristallisiert ist dieses Leben um die beiden Punkte, die Erasmus und frobenische Offizin heißen. Eine andere Vereinigungsstelle solcher Art wird auch neben Froben noch ansehnlich werden: Andreas Cratander.

Gemeinschaft des Gelehrten und des Druckers ist durchaus die Kraft dieses Lebens. Es ist das enge Verbundensein von isolierter und gemeinsamer Tätigkeit, von Arbeit in der Freiheit und im Betriebe, von Schöpfung und vervielfältigender Ausbreitung; überall unter dem Gesetz, aber auch unter der Weihe derselben hohen Tendenz.

Träger dieses Lebens ist eine eigenartige Gesellschaft. Sie stellt sich in einer Erscheinung dar, die mehr ist als ungestaltete Fülle. Dem gravitätischen Gebahren der Universität gegenüber findet auch die freie Wissenschaft eine Form, in der die Gemeinschaft ihrer Bekenner sich verkündigt.

[207] Das ist die sodalitas Basiliensis, das sodalitium literarium. Eine für das Bewußtsein Aller vorhandene Vereinigung. Von den draußen Lebenden als coetus doctissimorum gepriesen, als eine Genossenschaft von Musageten, als ein Museion; Apollo selbst scheint sich in Basel niedergelassen zu haben. Solcher Bewunderung aus der Ferne gegenüber genügt den Beteiligten selbst das Gefühl ihrer Sodalität, das eigenartige Leben dieses Zusammenspiels individueller Kräfte und kollektiver. An eine Gesellschaft mit irgendwelcher Bestimmtheit äußerer Form, irgendwelcher Organisation haben wir nicht zu denken. Es ist eine freie Vereinigung. Durch kein anderes Recht geregelt als durch „das auf den Gesetzestafeln der Grazien geschriebene“. Nur die natürliche Herrschaft der geistig Überlegenen gilt und die natürliche Unterordnung der schwächer Begabten. Jedem steht die Sodalität offen; nur die Unfähigkeit und die Roheit sind ausgeschlossen.

Aber kein Leben der Ruhe umspannt die Sodalen. Sie sind unaufhörlich in Bewegung gehalten. Das Bedürfnis der stets sofortigen Mitteilung sorgt dafür, daß kein Tag ohne Erlebnis vergeht. So sehr fühlen sie sich durch dieselben Absichten und Aufgaben verbunden, daß, was dem Einen geschieht, als gemeinsame Angelegenheit Aller gilt. Es ist ein Leben der beständigen stärksten Aufreizung und Anregung. Während Einzelne dies Zusammensein ausgewählter Geister als eine beatitudo genießen können, machen Andere sich und den Genossen das Leben schwer durch Eifersucht und Zank. An Monotonie ist bei diesen Leuten jedenfalls nicht zu denken. Die gelehrte Diskussion hat ihre Ergänzung im Humanistenklatsch.


Innerhalb dieser Bewegung leuchten einzelne Szenen besonders hervor.

Vor Allem das Leben mit Erasmus. Kaum eine der andern humanistischen Sodalitäten ist in dem Maße wie diejenige Basels durch einen Einzigen bestimmt. Während den Zeitgenossen in den Schriften vornehmlich der gewaltige erstaunliche Erasmus entgegentritt, mag er hier momentan sein Menschliches und Kleines, aber auch in guten Stunden den Zauber des persönlichen Verkehres zeigen, dessen bezwingende Anmut immer wieder empfunden wird. Es ist der Verkehr, den er, vielleicht mit der Güte eines Fürsten, seinen Bewunderern gewährt, über Tisch beim convivium geniale, das auch ein convivium caeleste heißen kann, oder beim Spaziergange. Da auch empfängt er, in seiner Stube bei Froben auf- und niederwandelnd, die Besucher; da läßt ihn gute Laune in Epigrammen scherzen; da wird geredet de restitutendis bonis studiis, de retis moribus, de rebus sacris, über Themen also, die als die Quintessenz des Basler Humanismus gelten [208] können. Wir vergegenwärtigen uns, wie sich die Sodalen zu diesem Verkehre drängen, von den draußen Stehenden um das hohe Glück beneidet. Ihnen Allen ist die Nähe des Erasmus eine Lust; aber nie verläßt sie dabei die scheue Empfindung, daß er auf einer ganz andern Linie stehe als sie, daß eine vis plane divina in ihm sei. So ist er trotz Allem einsam, in seiner Größe und dem aller Mitteilbarkeit entzogenen Eigensten seines Wesens. Aber durch Alles hin zeigt sich seine starke Wirkung auf die Sodalität. Er ist ein immerwährendes Vorbild. Er läßt nicht zu, daß Einer sich gehen lasse; seine Gegenwart hebt unwiderstehlich Kraft und Produktion der ihn Umgebenden. Indem er so dem Basler Humanismus sein Gepräge gibt, ist auch sein eigenes Wesen dem genius loci selbst merkwürdig entsprechend, und die Empfindung hievon lebt in all den Bezeugungen seines Wohlbehagens in Basel, seiner Freude an den Reizen des Ortes, an der Geistesart der Bewohner.

Erasmus wohnt im Hause zum Sessel, als Gast Frobens. Rings um ihn her lärmt das Leben, in dem, als im Gegenstücke des erasmischen Daseins, der Basler Humanismus ein anderes Zentrum hat. Haus und Werkstatt Frobens sind der beständige, auch draußen allgemein bekannte Sammelplatz. Hier gehen die Korrektoren ein und aus und die dieser berühmten Pressen sich bedienenden Gelehrten. Hier verbringt Rhenan einen guten Teil seines Lebens, Rat gebend, prüfend und beaufsichtigend; bei Gelegenheit diktiert er dort wissenschaftliche Arbeiten wie den Kommentar zur Germania des Tacitus; auf seinem Nachmittagsspaziergange kehrt er im Sessel an, um das Neueste zu erfahren, auch um die Briefe zu erheben, die unter seinem Namen dorthin adressiert sind. Nur die Wohnung hat er nicht auch dort; er wohnt für sich in seinem Hause, wo er in der geliebten Stille leben, „sich selbst und die Musen genießen kann“. Der Sessel, die domus alta Frobeni ist auch die Herberge durchreisender Humanisten; da werden sie fröhlich aufgenommen und wohl traktiert; da treffen sie die Sodalen; da verkehren sie. Es ist ein Zusammensein und Zusammenarbeiten so enger Art, daß von einer frobenischen Akademie gesprochen werden kann, wie in Venedig von einer aldinischen. Den Haus- und Geschäftsherrn Froben selbst haben wir kennen gelernt. Hier im Sessel, wo Tag und Nacht gearbeitet wird, im Lärme der Pressen und der gelehrten Debatten, inter literasintsr literas, wird 1515/16 sein Erasmiolus (Johannes Erasmus) geboren, das Patenkind des Erasmus und des Rhenanus. Dessen älterer Bruder Hieronymus, 1501 geboren, zum Buchdrucker bestimmt, lebt und arbeitet neben dem Vater, der noch keine Schwäche zeigt. Froben führt [209] einen guten Tisch, dem es nie an Gästen fehlt und der wohl manche fröhliche Tafelrunde erlebt, da man bei vollen Bechern bis in die zweite und dritte Nachtwache disputiert. Rhenan nimmt dort zu Zeiten die Kost; auch Pensionäre werden angenommen, wie z. B. der junge Zürcher Joachim Göldli. Mitten in dem Treiben aber steht als holdselige Figur, die Freude Aller, die durch den guten Bürer so begeistert geschilderte Elisabeth Lachner.


Zum Bilde der Sodalitas gehört ihr Mangel an Stabilität. Erasmus ist wiederholt von Basel abwesend. Glarean bleibt Jahre lang in Paris hängen. Rhenan wohnt 1519/20 in seiner Heimat Schlettstadt. Bär hält sich oft in Thann auf. Bei den vielen andern aber ist ein beständiges Kommen und Gehen; die humanistische Beweglichkeit sorgt dafür, daß Wechsel ist und keine Erstarrung.

Wir empfinden dies als Äußerung von Kraft und Freiheit. Die ganze Gesellschaft macht überhaupt den Eindruck der Frische, ja der Jugendlichkeit; neben Erasmus Froben Bär Capito, die früher geboren sind, haben wir lauter Söhne der 1480er und 1490er Jahre vor uns.

Mit Ausnahme Pellicans sind keine Kutten dabei und nur einige Weltpriester. Sonst durchweg Profane. Diese Wissenschaft ist von der Kirche emanzipiert.

Wenige edel Geborene, durch Geist und Gelehrsamkeit einen besondern Adel behauptend, sind da; im Übrigen bilden Bürger und Bauern die Schar.

Aus den verschiedensten Ländern finden sie sich zusammen, und es können landsmannschaftliche Gruppen entstehen. Den Elsässern Rhenan Klett Pellican Cratander Capito Angst Utenheim stehen die Franken und Schwaben Froben Petri Lachner Wattenschnee Resch Ökolampad Nepos gegenüber; zu den feinern Städtern und Rheinländern stoßen die Schweizer Glarean Myconius Carinus Fontejus Bürer Artolf.

Versehung von Pfründen und kirchlichem Amt, Versehung einer Professur, Schulmeisterei, Betrieb einer eigenen Lehranstalt, Arbeit im Buchgewerbe, — solcher Art sind die Berufe. Die Wenigsten haben Unabhängigkeit und freie Stellung.

Aber alles persönlich und örtlich Bedingte tritt zurück hinter der allgemeinen Beziehung. Daß in dem Verhältnisse zu aller Welt eine zweite und reichere Existenz für jeden Einzelnen dargeboten ist, zeigen die den Kreis der Sodalität unaufhörlich bewegenden Besuche, zeigt die Korrespondenz, die eine Gegenwart von Hunderten heranbringt. Alles aber durchdringend und verbindend, der Sichtbarkeit ewig enthoben, sind die großen wissenschaftlichen [210] Erlebnisse die auch hier durchzuleben, die großen geistigen Kämpfe die auch hier durchzukämpfen sind. Sie gehören zum weiten Bereiche Dessen, was dieser Menschen Dasein im höheren Sinn ist.

Uns reißt das Steigen und Wachsen, die starke Entwickelung auch dieses Zustandes hin. Wir erinnern uns an seine Voraussetzungen, an sein Beginnen, an die denkwürdigen Jahre des Überganges aus der amerbachischen in die frobenisch-erasmische Zeit. Jetzt, ein Jahrzehnt später, da in der allgemeinen Geschichte des Humanismus ein großer Moment ist, ausgezeichnet durch umfassende programmatische Äußerungen des Reuchlin, des Herman von dem Busche, des Erasmus, kann auch der Humanismus Basels sich in seiner goldenen Zeit fühlen. Der Ruhm des Ortes lebt im Mund Unzähliger an allen Enden, im Widerklange hiezu äußern der Lobgesang, den Engentinus den Topica des Cantiuncula 1520 beigibt, und die Vorrede Rhenans zu seinem Tertullian 1521 auf prächtige Weise das in Basel selbst lebendige Gefühl dieser Höhe der Zeit.


Jetzt endlich haben wir die Möglichkeit, in der Tätigkeit dieser Menschen den humanistischen Geist kennen zu lernen.

Die Ahnung, daß ein Sichneubesinnen nötig sei, führt vor Allem zur Herrschaft des Quellenbegriffes und des Gefühls für Urkundlichkeit.

Für Basel ist der Ruhm einer frühen Erkenntnis und Betonung des Quellenwertes gewonnen durch die amerbachische Bibelausgabe von 1479. Jetzt im erasmischen Basel bedarf es keiner einzelnen Anregung mehr. Die allgemein vorhandene Überzeugung ist durch Erasmus selbst am würdigsten Orte, in der Vorrede zu seiner Ausgabe des Neuen Testamentes, ausgesprochen worden; in gleicher Weise treibt Capito zum Studium des Originaltextes der Bibel und weist hin auf den geraden Weg zum Heiligtum an Stelle des Herumkriechens im Dorngestrüppe der „gotischen“ Lehrweise.

Man ist der Kommentare und Spekulationen satt. Ein ernster Geist wie Reuchlin will auch nichts von Übersetzungen wissen; er ist so empfindlich für Ächtheit und Eigenart, daß er kein Buch lesen mag außer in dessen Ursprache. Man verlangt nach dem Wahren. Man dürstet nach der Quelle.

Bezeichnend ist, wie dieser Quellensinn sich ohne weiteres in Tätigkeit und Editionseifer umsetzt. Die gewaltige Leistung der Basler Gelehrten und Drucker in Ausgaben der antiken Autoren, der Bibel, der Kirchenväter, der Rechtsbücher usw. erscheint wie etwas Unerläßliches. Ohne Rückhalt [211] erklärt Glarean, daß die Herausgeber den Studien größere Förderung bringen als die Schriftsteller; und so findet auch Erasmus, ein Wiederherstellen von Monumenten der Alten tauge mehr als das Zusammenklauben neuer Werke.

Mit triumphierendem Gefühle empfindet jeder dieser Editoren das Verdienst seiner Arbeit. Aus dem großen Untergange der Bücher und Wissenschaften, aus Brand Verheerung und unerhörtem Schiffbruche sind durch ihn diese kostbaren Überbleibsel gerettet. Ins Leben zurückgerufen sind die lange verborgen gewesenen Klassiker, dem Lichte wiedergegeben, aus den Finsternissen ausgegraben, vom Orkus zurückgeholt; der angeborne Glanz, die ursprüngliche Würde sind ihnen wieder verliehen. Wiedergewonnen sind mit den Handschriften und Texten auch Ideen, geistige Kräfte, ehemaliges Leben.


Aber es ist nicht nur ein äußerliches Wiederbringen, sondern auch ein Reinigen und Wiederherstellen. Die Editorentätigkeit wird geadelt durch die sich zu ihr gesellende Textkritik.

In den ersten Jahrzehnten nach Erfindung des Buchdruckes haben die Editionen nur den Wert von Handschriften-Wiedergaben; für solche kann die gewöhnliche Hauskorrektur genügen. Aber schon Johann Amerbach hat die Korrektur zu einer wissenschaftlichen Aufgabe gemacht, und in Entwickelung des von ihm Begonnenen nimmt sich eine wachsende philologische Einsicht und Kraft der Ausgaben an.

Wie das Wiederhervorholen einer alten Größe, eines ehemaligen Lebens auch kritischer Arbeit bedürfe, hat Lorenzo Valla gelehrt, und wenn auch Erasmus selbst gelegentlich einem raschen, durch Begeisterung getragenen Edieren das Wort redet und lieber verbesserungsbedürftig als gar nicht ediert sehen will, so vernehmen wir doch vor Allen wieder ihn, wie er eindringlich handelt von der Bedeutung des Wortes ja des Buchstabens und von der Pflicht der Emendation überlieferter Texte. Dem entspricht dann, was durch ihn und in ausgezeichneter Weise durch Rhenan in Textkritik geschieht. Im Übrigen haben wir die Leistungen der uns schon bekannt gewordenen Korrektoren vor uns. Was jetzt verlangt wird, ist Vergleichung der Lesarten in den Handschriften, das Herausholen des wahren Textes aus dem Verderbnis der Überlieferung, die Emendation, die Konjektur; auch Rechenschaft über die Grundlagen der Edition, über die Art der Verwendung der benützten Handschriften. Eine im Gesamten der damaligen Editionen ausgezeichnete, so gewissenhaft und geistreich geübte Methode, daß [212] Basel beinah als die Geburtsstätte der klassischen Philologie Deutschlands bezeichnet werden kann.

Wir vergegenwärtigen uns die damaligen Zustände und ahnen die mit solcher Edition verbundenen unendlichen Mühen. Wie zählt Glarean die Mengen seiner Emendationen und Noten in der Ausgabe des Dionys von Halikarnaß auf! Wie schildert Rhenan seine Arbeit am Tertullian und am Vellejus, seine Nachtwachen, seine Anstrengungen! Mit den Kämpfen Englands wider die Franzosen und Schotten vergleicht Erasmus das von ihm als Editor des Seneca Geleistete; nur daß bei ihm an Stelle des Schwertes die Schreibfeder gewesen, an Stelle des Mars die Musen, an Stelle der Heerscharen das Ingenium!

Diesem Allem entspricht dann auch die Vollendung, die Freude des Editors der überwunden hat. Da tritt sein Werk „mit Majestät“ in die beglückte Welt hinaus.


Wir aber machen uns klar, wie dieser stillen einsamen Editionsarbeit fast immer die Unruhe von Handschriftensuchen Schreiben und Reisen vorausgeht. Das Verlangen nach der reinen Quelle und die textkritische Pflicht treiben dazu, die verborgenen Schätze ans Licht zu heben. In einer Zeit, da jede Reise mühevoll und gefährlich und die Korrespondenz unsicher ist; in einer Zeit, die keine allgemein zugänglichen Inventarien, keine Bibliographien, überhaupt keine Organisation der wissenschaftlichen Arbeit kennt, deswegen aber auch einzigartige Entdeckerfreuden gewähren kann.

Wie einst die Humanisten Italiens getan, so mühen sich jetzt die Basler um Codices. Aus ihrem großen Sammelplatze von Gelehrten und Druckern ziehen sie nach allen Seiten hinaus, zu suchen und zu finden; neben der schwer befriedigten Gewissenhaftigkeit des Quellenforschers lebt in ihnen die Aufregung des Schatzgräbers, des Jägers. Schon Johann Amerbach hat seine Helfer mit solchen Aufträgen reiten lassen. Jetzt wiederholt sich dies. Entdeckungen und Überraschungen sind noch immer möglich; diese Generation sucht und findet mehr als die Frühern.

Vor allem die Klosterbibliotheken, wo der Humanist bei den sonst verachteten Mönchen zu Gaste gehen muß, bergen neben den gewohnten Haufen von Mammotrecten Vokabularien usw. noch immer alte Autoren als Juwelen. Und außer den Klöstern leben da und dort noch andere Handschriftenbesitzer.

Die Hinweise auf solche Schatzkammern, die Nachrichten über gemachte Funde, das Heraufbringen ans Licht einer verschollen gewesenen Handschrift [213] gehören zu den schönsten Humanistenerlebnissen. Welche Gedanken dabei kommen können, ist durch Erasmus prachtvoll dargelegt in seiner Vorrede zum Hieronymus 1516.

Merkwürdig ist bei dieser Verehrung der originalen Handschrift, wie schonungslos oft mit ihr verfahren wird. Nur die Ungeduld erklärt dies. Otto Brunfels in Straßburg, Michael Hummelberg in Ravensburg schicken dem Rhenan der Erste einige aus einem Codex der Karthäuserbibliothek gerissene oder geschnittene Blätter mit Nachrichten über Barbarossa, der Andre die letzte „Tabelle“ des altrömischen Itinerars, das ihm Peutinger anvertraut hat. Erasmus, später Sichart, geben alte Handschriften selbst in die Druckerei, wo sie durch die Setzer beschmiert werden und oft lange Zeit herumliegen wie der Murbacher Plinius oder wie jener durch Reuchlin und Erasmus benützte Band der Basler Dominikaner, der später durch Hieronymus Froben an den Pfalzgrafen Otto Heinrich verschenkt wird.

Den editionslustigen Humanisten bieten sich schon in Basel selbst Schatzkammern, unter ihnen an erster Stelle die Dominikanerbibliothek. Deren Stolz und Glanz sind die Griechen, die einst Johann von Ragusa ihr gebracht hat; seit Reuchlins Jugendjahren das Ziel mancher Gelehrtenwallfahrt. Diese kostbaren Codices dienen dem Martin Waldseemüller, dem Erasmus, dem Rhenan, dem Johann Döring, dem Wilibald Pirkheimer; eine Chrysostomus-Handschrift wandert mit Capito nach Mainz, dann zu Ökolampad auf die Ebernburg und ist erst 1527 wieder in ihrer Heimat; zwei andere Handschriften, ein Neues Testament und ein Athanasius u. A., sind dem Reuchlin geliehen worden und kehren erst einige Jahrzehnte später, nach Reuchlins Tod, auf die Gestelle zurück.

Andere oberrheinische Klöster sind schon zu Johann Amerbachs Zeiten tributpflichtig gemacht worden; für die Hieronymusausgabe liefert z. B. Mehrerau eine Handschrift; namentlich aber kommt jetzt Murbach zu neuem Ruhme seiner ehrwürdigen Büchersammlung. Rhenan entdeckt dort um 1515 den Vellejus Paterculus, kurz darauf Hieronymus Baldung das Breviarium Alarici und die Institutionen des Gajus. Von den verschiedensten Orten her holt sich Rhenan die Codices zur Edition. Erasmus bezieht solche aus Gembloux, Cantiuncula aus Metz usw.

Aber auch einzelne Gelehrte haben das Glück, Handschriften zu besitzen. So, wie wir schon wissen, der Colmarer Dekan Carpentarii. Erasmus selbst hat in seiner Bibliothek einen Sueton, der aus dem Martinskloster zu Tournay stammt; er schenkt ihn später dem Glarean. Bonifaz Amerbach besitzt griechische Handschriften, der Chorherr Diebold Oeglin zu St. Peter [214] einen Seneca. Auch in der reichen Büchersammlung des Rhenanus finden sich Handschriften, dabei die Chronik von Ebersheinmünster und ein Codex des zwölften Jahrhunderts, der in seinen ältesten Teilen schon der karolingischen Zeit angehört.


Mit geschärften Augen, entwickelten Werkzeugen stehen die Humanisten der Erscheinung des Altertums gegenüber. Das nichts Neues ist. Seit Jahrhunderten überschattet es die bestehende Welt, ist es eine stets gewaltige Gegenwart.

Nachdem dieses römisch-griechische Altertum schon auf die ganze mittelalterliche Bildung eingewirkt hat, ja in seinen literarischen Äußerungen durch dieses Mittelalter selbst mit Bewußtsein aufbewahrt und weiter vermittelt worden ist, vermag es sich jetzt mit einer bisher unmöglich gewesenen Kraft zu verkünden. Es ist dieselbe Antike, aber sie wirkt wie neu und wiedergeboren, weil sie viel umfangreicher und in ihrer ächten Form, dazu in der durch den Buchdruck gewährten Mächtigkeit auftritt und weil feinere und zugleich stärkere Organe sowie eine neue Denkweise, ein neues Lebensgefühl ihr entgegenkommen.

Unverkennbar ist in Italien, das sich als Erbe Roms fühlt, die Wirkung der Antike eine andere als im Norden; dieser erlebt jetzt die Auferstehung alter Geister und Götter. Nicht sogleich im ganzen Umfange. Anfangs stehen noch die glänzenden Schriftsteller des neuen Italiens im Wege, die an der Antike sich gebildet haben, die näher und begreiflicher sind. Nur allmählich, wie die wissenschaftliche Einsicht wächst und auch nationales Gefühl mitspricht, gelingt die Ablösung von diesen Vorbildern der Poesie, der Historik, der Sprachkunst. Ein solcher Verlauf ist z. B. bei Rhenan zu beobachten; Glarean scheint sich von Anbeginn freier von den Italiänern gehalten zu haben.

Die neue Zeit im Norden erlebt und empfindet nun neben dem gewohnten Bildungskomplex als neue geistige Macht auch die Antike. Sie empfängt vom Altertum den Hauch lebendigen Atems. Sie nimmt Maßstäbe von seiner männlichen Kraft, seiner Freiheit und Größe. Sie bereichert an seiner Lehre ihr Wissen. Sie vermag mit der Kraft ihres Glaubens auch seine kosmischen Dämonen zu erfassen. Sie bildet an seinen Mustern ihr Formgefühl.

Bei dieser Aufnahme des Altertums durch eine moderne Welt sind die Handelnden zunächst wesentlich die Humanisten.

Auch in Basel betreffen wir die Humanisten vor Allem bei diesem Tun. Ihre Sehnsucht, ihr Erkenntnisdrang, ihre Arbeit und ihre Freude [215] gehören großenteils dem Altertum. In erster Linie und fast ausschließlich seinen literarischen Denkmälern.

Die antiken Autoren erscheinen dem Cono als die „Klassiker“. Dankbar will er sie als ein Geschenk Gottes betrachten und annehmen, der sie einst zu ihren Werken begeistert habe und sie jetzt unserm Jahrhundert wieder gebe.

In Edition der Klassiker nimmt Basel damals einen der ersten Plätze unter den deutschen Städten ein; die Ausgabe des Vellejus Paterculus 1520 ist aus dieser Büchermenge als Erstausgabe herauszuheben, während es sich im Übrigen um Wiederholungen zu handeln scheint.

Neben den oft edierten Lucian und Horaz begegnen uns in diesen Basler Ausgaben Homer und Hesiod und Euripides, ferner Cicero Varro Caesar Sallust Tacitus u. A. Natürlich auch der allbeliebte Terenz, dem s. Z. schon die Offizin Bergmans gedient hat und den jetzt Fontejus in seiner Privatschule traktiert. Bemerkenswert ist die starke Beschäftigung mit Plutarch, dessen Schriften hier wiederholt herausgegeben werden. Seine Biographien sind dem Zeitalter, das an der Persönlichkeit wohllebt, natürlich willkommen; aber dieses selbe Zeitalter bedarf auch des Moralisten Plutarch, in gleicher Weise, wie es sich für Seneca begeistert. Dieser ist ein Lieblingsautor. Erasmus, der seine Basler Arbeiten 1514 mit Plutarch begonnen, ediert im Jahre darauf den Seneca, „den Einzigen, der den Geist zu den himmlischen Dingen rufe, der den Haß des Schändlichen einflöße und zur Liebe des Ehrbaren entflamme“. Wir wissen, daß Zwingli den Seneca Allen vorgezogen hat; Glarean hält 1516 Vorlesungen über ihn an der Universität; sprechend ist auch, wie oft in diesen Jahren der Seneca der Karthausbibliothek zum Lesen entliehen wird.

Wir erinnern uns hiebei an die Diskussion der oberrheinischen Humanisten über das Thema, ob nicht von den „heidnischen Poeten“ nur die nicht unsittlichen zum Studium heranzuziehen seien. Rhenan, in seinen früheren Jahren durch Jacobus Faber beeinflußt, will die Alten lediglich nach ihrer Gesinnung werten; das Künstlerische und Literarische als solches soll kein Recht haben. Mit der Zeit leitet ihn ein freieres Urteil. Aber auch Erasmus hat zuweilen das Bedenken, daß unter dem Schutze dieser antiken Literatur das Heidentum sein Haupt erheben könnte.

Auch der große Schritt in das Griechentum ist jetzt eine Notwendigkeit.


Völlig neu ist es ja nicht. Durch die lateinische Literatur ist früh auch griechischer Geist vermittelt worden. Hiebei kann aber der Humanist [216] nicht stehen bleiben. Er dringt weiter bis dahin, wo die griechischen Wurzeln jener griechisch-römischen Kultur sind, und in Herrlichkeit tut sich ihm nun die neue Welt auf.

Wir beachten die Eigenart dieser humanistischen Beschäftigung mit dem Griechischen. Sie kann von vorneherein auf keine Allgemeinheit und Weite der Wirkung rechnen. Wie das griechische Altertum an sich fremder und unbegreiflicher ist als das römische, so vermag auch dieses griechische Studium den dem Humanismus angeborenen lateinischen Charakter nicht zu überwinden.

Johann Reuchlins Gestalt ist verbunden mit dem Beginne griechischer Wissenschaft in Deutschland, und Basel der Ort dieser Berührung. „Nicht bei den Joniern und nicht in Griechenland habe ich mein erstes Griechisch gelernt,“ sagt Reuchlin, „sondern in Basel bei Andronikos Kontoblakas.“ Dann folgt hier eine Pause. Aber zu der Bildung, die Johannes Amerbach seinen Söhnen verschaffen will, gehört das Griechische; in Paris, wo noch das Andenken Bessarions lebendig ist, wo Hermonymos und Tissardus lehren, legt Bruno Amerbach den Grund zu seinem später so berühmten Graecismus. Dann beginnt die wichtige Tätigkeit des Johannes Cono in Basel; sein Auftreten hier als Lehrer des Griechischen ist ein Ereignis, das weithinaus zu reden gibt und Hoffnungen weckt. Neben Bruno Amerbach ist Rhenanus ein Schüler Conos; wir sehen, wie leidenschaftlich er jetzt hier das schon in Paris ihm bekannt gewordene Studium erfaßt, den lepor atticus bewundert, und sich durch die griechische Grammatik weiterbildet, die sein Freund Michael Hummelberg verfaßt hat. Er ist auch der Erbe Conos und erhält dessen handschriftlichen Nachlaß, darunter Kollegienhefte von Musurus in Padua. Mit diesen Schätzen und im Andenken an den Lehrer arbeitet er weiter. Aber zur gleichen Zeit ist noch ein andrer begeisterter Grieche in Basel, der Niederländer Gerhard Lister, der mit Bonifacius Amerbach zusammen Griechisch treibt; „wie die Bienen fliegen wir auf den bunten Wiesen der Wissenschaft umher und schwelgen bald in den Gärten der Philosophen, bald auf den Auen des Hesiod und Theokrit, bald am homerischen Quell.“ Auch Glarean setzt hier das in Köln begonnene griechische Studium fort. Durch Erasmus vollends wird griechisches Wesen in Basel mächtig gehoben. Sein Wissen, seine Publikationen sind von Einfluß. Er wirkt nicht nur mittelbar durch Uebersetzungen griechischer Schriftsteller; er veröffentlicht auch die griechische Grammatik des Gaza und ediert den Urtext des Neuen Testamentes.

In solcher Weise begründet sich aufs Neue die Bedeutung Basels für das griechische Studium in Deutschland.

[217] Wir wissen, daß z. B. Wimpfeling und Bebel des Griechischen unkundig, Zasius ihm abgeneigt gewesen; Andere wittern hinter der ihnen unverständlichen Schrift und Sprache ein Geheimnis. In Straßburg faßt die neue Disziplin erst um die Mitte des zweiten Jahrzehnts Fuß, namentlich durch Luscinius, und ungefähr gleichzeitig in Schlettstadt durch Sapidus. In Basel aber blühen diese Studien, und wir suchen uns vorzustellen, wie inmitten der allgewohnten Latinität das griechische Wesen sich ausnimmt und wirkt. Es gehört dazu, daß den meisten Druckern Deutschlands voran Froben griechische Typen besitzt und unaufhörlich für Mehrung und Verschönerung dieses Materials besorgt ist. Konrad Melissopolitanus will von Straßburg nach Basel kommen, um hier auf günstigerem Boden seine griechischen Kurse abzuhalten. Glarean wird der erste Lehrer des Hedio in dieser Sprache, und der große Capito sitzt mit Bruno Amerbach zusammen zur Lektüre des Sophokles. Wir sehen diesen allgemeinen Eifer und merken ab und zu auch die Freude die ihn trägt; wir hören die Basler die Formenfülle und Biegsamkeit der griechischen Sprache preisen und dabei begeistert bekennen, daß nirgends reiner, nirgends eifriger, nirgends mannigfaltiger alle Künste betrieben worden seien, als bei den Griechen. Sie erleben auch das Glück, einen leibhaftigen Griechen bei sich zu empfangen.

Es ist ein Mönch vom Sinai, Clemens Palaeologus, der im Sommer 1517 auf der Kollektenreise hier durchkommt und mit dem nun diese Basler sich in seiner Sprache unterhalten können. Das Griechischlernen macht sogar den guten alten Domherrn von Hallwil wieder zum Jüngling. Und so vernehmen wir auch von Jacobus Nepos, dem Korrektor, wie er ganz im Homer aufgeht. In seiner Schule behandelt er des Lucian Dialoge und griechische Epigramme; er hält auch öffentliche Vorlesungen über die Odyssee. Vielleicht liegt hier der Anstoß zu der Odysseeausgabe, die 1520 bei Cratander erscheint, bei demselben Verleger, dem wir auch anderes Griechisches verdanken: die Dragmata Ökolampads 1518 und das Dictionarium 1519.

Ipsa musa vivit, omnes graecantur !, jubelt Rhenan. Das Wort Reuchlins scheint hier erfüllt zu sein: daß ohne Kenntnis des Griechischen Keiner als wirklich gebildet gelten könne.


Neben eine unsterbliche Literatur, die der erwachenden Welt den Geist des Altertums vermitteln soll, treten gleichen Rechtes, wenn auch lange nicht gleicher Kraft und Wirkung, die baulichen bildlichen schriftlichen Reste des antiken Lebens.

Die Anregungen zu antiquarischer Forschung kommen von allen Seiten her. Noch in Rhenans Jugendjahre fällt die Tätigkeit des Thomas [218] Wolf in Straßburg, der die Ruinen Roms durchstreift hat und sich ein Inschriftencorpus sammelt; im Elsaß, wo ihn allenthalben die Trümmer der römischen Zeit umgeben, macht er Ausgrabungen. Aber auch an Dietrich Gresemund in Mainz bildet sich Rhenan; er besucht ihn zwischen seinen Steinen und Inschriften und unterhält sich mit ihm de re latina deque virus eruditis. Im gleichen Jahre 1509, da der Basler Hieronymus Brilinger den Altertümern am Mittelrheine nachreist. Auch mit dem antiquarischen Führer Deutschlands Konrad Peutinger steht Rhenan in Verkehr. Er beschäftigt sich mit Pomponius Laetus. Über alles groß wirkt aber Rom selbst und das um seine Trümmer sich bewegende Leben. 1519 druckt Thomas Wolf in Basel die Mirabilia Romae des Francesco Albertini.

Es handelt sich nicht um eine beliebige Doctrin. Unvermeidlich, im Grunde keiner Anregung bedürfend, aus dem Wesen des Humanismus geboren ist das Verlangen nach greifbaren Zeugen antiker Wirklichkeit. Vor Allem hier in Helvetien und am Oberrheine, wo der Humanist weiß, auf einem Boden zu leben, über den schon die Römer geschritten sind.

So macht Glarean 1515 mit dem Freiburger Peter Falk eine Wallfahrt zu den Ruinen von Aventicum. Und in Basels Nähe selbst liegt das römische Augst. Wir wissen, wie schon das frühe Mittelalter diese Stätte beachtet hat. Dann, nach langem Stillschweigen, ist seit dem vierzehnten Jahrhundert wieder von den Augster Ruinen die Rede. Der Rat von Basel braucht sie als Steinbruch, er betreibt dort auch einen Kalkofen. Im Jahre 1510 aber wird in Augst eine antike Statuette gefunden; der Stadtschreiber Gerster nimmt sie zu Händen und verehrt sie seinem Kollegen in Augsburg, der kein Anderer ist als Peutinger. In diesen Jahren ist offenbar draußen in Augst viel nach Dingen aller Art gegraben worden, daher der Rat durch wiederholte Erlasse, 1512 und 1514, das Recht der Obrigkeit am Funde wahrt. Dieses Augster Schatzgräberwesen hat dann in der Geschichte von Lienimann, der in das Heidenloch eindringt, seine phantastische Bezeugung gefunden.

Römisch ist aber auch Basel selbst. Nicht nur einzelne Stücke werden beachtet, wie Rheintor und Salzturm, die nach der Annahme Rhenans auf römischen Fundamenten stehen. Die Anfänge der Stadt überhaupt geben den Antiquaren zu denken. Eine frühere Generation, auch sie schon vom humanistischen Geiste berührt, hat als Gründer der Stadt den Römer Basilius genannt, und die Kunst hält auch jetzt noch diese Gründungssage fest. Aber inzwischen hat gelehrte Forschung die Anfänge Basels mit dem benachbarten Augst verbunden. „Aus den Ruinen von Augst erwuchs Basel“, [219] schreibt Pirkheimer; Myconius läßt die Rauriker Augst verlassen, rheinab wandern und Basel gründen; Rhenan weiß von Überlebenden des zerstörten Augst, die in die alamannische Niederlassung Basel einziehen. Noch ist hiebei nirgends von Munatius Plancus die Rede; erst das Bekanntwerden der Inschrift seines Grabmales bei Gaëta wird ihn als Gründer von Augst — und somit auch als Gründer von Basel — bekannt machen und hier seine Verherrlichung ermöglichen.

Zwischen all diesen lokalgeschichtlichen engen Bemühungen aber macht immer wieder sein Recht geltend ein allgemein gerichteter antiquarischer Sinn. Der Drang nach Erkenntnis des Altertums in seinen Denkmälern, die Freude an diesen, die Lust sie zu besitzen, die Sammlerleidenschaft.

Nicht durchweg in rein wissenschaftlicher Absicht. Wenn der Notar Johannes Salzman, der Kaplan Gregor Weyer zu St. Peter, der Propst Jörg Locher im nahen Sulzburg ihre Briefe mit antiken Gemmen siegeln, so sind ihnen diese Kostbarkeiten vielleicht nur Erinnerungen an eine italiänische Reise, an schöne Pilgertage in Rom.

Andern Charakter hat das Sammeln antiker Münzen; ein glücklicher Sammler dieser Art ist Bonifaz Amerbach. Rhenan sammelt ebenfalls Münzen. Sie können auch als stilvolle Humanistengeschenke dienen: Erasmus spendet dem Glarean zur Hochzeit eine Trajansmünze und ein goldenes Prachtstück Alexanders des Großen. Basel hat ja numismatische Fundstätten in der Nähe; mit Münzen, die in Augst hervorkommen, wird hier Handel getrieben, und 1516 tritt bei der Landskron ein ganzer Vorrat antiker Kaisermünzen ans Licht.

Mit dem römischen Matz- und Gewichtsystem beschäftigt sich Glarean; die römischen Maße der amerbachischen Kunstkammer sind durch ihn justiert und verzeichnet.

Dem Allem gegenüber ist lediglich Studiengegenstand, von allem Beiwerk äußerlicher Köstlichkeit und Verwertbarkeit frei, die Inschrift. Auch auf diesem Gebiet ist vor Allen Rhenan zu nennen, der Erste, der über lateinische Inschriften der Schweiz öffentlich Bericht gibt. Schon vorher hat Glarean Inschriften beachtet und gesammelt, und noch tätiger hiebei ist Bonifaz Amerbach. In seinem epigraphischen Sammelbande vereinigt er Texte, die er dem Glarean verdankt, mit einer Copie der auf den Bologneser Thomas Sclaricinus zurückgehenden Sammlung des Thomas Wolf in Straßburg und mit Einzeichnungen der von ihm selbst in Vienne Nimes usw. gesehenen, sowie der von verschiedenen Freunden ihm mitgeteilten Inschriften. Ihm zur Seite steht der bescheidenere Hieronymus Brilinger mit seinem [220] Sammelhefte Vetustatis fragmenta. Amerbach wie Brilinger aber bekunden bei ihrem Sammeln ein weites, an keine Grenzen gebundenes Interesse. Mit antiken Inschriften mischen sie die Grabschriften von Reuchlin Valla Savonarola Albrecht Dürer usw., die Breisacher Torinschrift sowie Aufschriften an Geräten des Basler Münsterschatzes u. dgl. m., ja Grabschriften von Angehörigen der Familie Amerbach selbst. Am Schlusse der langen Reihe aber rufen die Scharen der Toten, denen diese Inschriften gelten, dem noch mitten im Leben stehenden Leser zu: „Allen drohet der Tod. Nimm dir ein Beispiel an uns und lebe glücklich!“


Dem Drange der Erkenntnis, der überall originale Form und ächteste Bezeugung sucht, öffnet sich auch der Weg zum Hebräischen.

Es handelt sich dabei um etwas eigentümlich Lockendes, vom Studium des Alten ganz Verschiedenes.

Wie ungefällig, injucundum, klingt das Idiom dem an römische Würde und attische Anmut gewöhnten Ohre! „Gute Götter, welch ein geistloses und trauriges Studium!“ ruft Zwingli. Aber diese Sprache des verachteten Judenvolkes, der gehaßten Christuslästerer, ist doch zugleich eine geheiligte Sprache, lingua sacrata. Ohne ihre Kenntnis ist das Alte Testament nicht zu verstehen. Durch sie zuerst hat Gott den Sterblichen seine Geheimnisse kundgetan, in ihr redet unmittelbar sein Mund. So urteilt Reuchlin, der Begründer hebräischer Wissenschaft in Deutschland, und so urteilen seine Schüler. Nicht zunächst durch philologisches, sondern durch theologisches Interesse ist er zu diesen Studien geführt worden.

Von Pellican ist schon wiederholt die Rede gewesen. Hier fesselt er uns als Derjenige, der Jahre hindurch der erste Hebraist des Oberrheins war. Schon sein frühester Aufenthalt in Basel 1502—1508 bescheert dieser Stadt Früchte seines durch Selbstschulung erworbenen reichen Wissens von hebräischer Sprache: die Mitarbeit am Hieronymus, den dem Ludwig Bär und den Amerbachsöhnen erteilten Unterricht, die Publikation der von ihm verfaßten Grammatik; nach Jahrzehnten noch redete Pellican mit Stolz davon, daß er es gewesen, der einst die hebräischen Studien nach Basel gebracht habe. Es ist die Zeit, da er mit Hilfe des Basler Rates nach hebräischen Büchern forscht, die bei einem Juden in Mülhausen sein sollen. Die Zeit, da auch Leontorius sich mit der Sprache abgibt; er schenkt 1509 dem Bruno Amerbach einige Blätter mit hebräischen Texten aus dem Nachlasse des alten Sebastian Murr in Colmar. Dann kommen die Wanderjahre Pellicans mit Satzger; aber auch sie lassen ihm Muße, in Basel zu [221] wirken: durch Mitarbeit an dem der Hieronymusausgabe angehängten Psalterium Quadruplex 1516 und an der Taschenausgabe der Psalmen im gleichen Jahre.

Auch Capito wird durch das Fascinierende dieser Studien ergriffen. Unterricht hat er s. Z. von Matthäus Adrianus erhalten. Jetzt ist er selbständiger Forscher und Editor. Die ergreifenden Worte, in denen er vom Glücke des Lesens der Heiligen Schrift in der Ursprache, von der Herrlichkeit der reinen Quelle redet, bezeugen den Sinn dieser seiner Studien; die Glut, die in ihm lebt, erklärt uns sein rasches Aufsteigen zur Meisterschaft.

Zu einer Meisterschaft, die auch Erasmus anerkennt. Er hält den Capito für einen dem Reuchlin überlegenen Hebraisten. Wobei wir nicht übersehen, welche Stellung er selbst einnimmt. Indem er seine Inferiorität in diesem Fache zugibt, will er sie rechtfertigen durch Herabwürdigung des Faches selbst: die hebräische Sprache sei ihm unsympathisch; ihr Studium diene einer Überschätzung des Alten Testamentes und führe zum Talmud, zur Cabbala, zum Tetragrammaton und andern Nichtigkeiten; hinter ihm laure die Pest des Judaismus.

Capito ist damals unbestreitbar der Führer dieser Disziplin in Basel. Er nimmt teil an der Edition des Neuen Testamentes, indem er die hebräischen Namen und die Zitate aus dem Alten Testamente revidiert. Im selben Jahre 1516 fügt er zur Ausgabe des hebräischen Psalters einen grammatischen Anhang (institutionuncula, und 1518 folgt sein Hauptwerk, die große hebräische Grammatik (institutiones). An einem Orte, wo von allen Seiten her das Hebräische tönt. Bruno Amerbach ist auch dieser Sprache kundig, feliciter trilinguis. Ebenso Ökolampad; er gibt demselben jungen Hallwil, dem Capito 1518 seine Grammatik widmet, schon 1516 hebräische Stunden. Auch in Glareans Institut wird diese Sprache gelehrt. Sogar Thomas Murner treibt damals Hebräisch. Und wie dann Capito Basel verläßt, wird zur selben Zeit Pellican, den kurz vorher Reuchlin an die hebräische Lectur in Wittenberg empfohlen hat, wieder in Basel heimisch und unternimmt in seinem Kloster große lexikalische und grammatikalische sowie das Alte Testament kommentierende Arbeiten. Zugleich tritt sein Ordensgenosse Sebastian Münster hervor. Vor einem Jahrzehnt hat er im Rufacher Minoritenconvent bei Pellican Hebräisch gelernt, 1516 dient er in Basel der Taschenausgabe der Psalmen als Kastigator, jetzt 1520 publiziert er hier einen Abriß der hebräischen Grammatik und die Sprüche Salomonis. Im gleichen Jahre, da bei Froben auch des Matthäus Adrianus hebräisches Lesebüchlein für Studenten erscheint.

[222] Denkwürdig bleibt jedenfalls, mit welcher Raschheit und Kraft die Basler Drucker sich der neuen Disziplin anpassen. Sie verfügen sofort über die Spezialitäten dieser Typen Setzer Kastigatoren. Seit der ersten Grammatik Pellicans werden hier zahlreiche hebräische Bücher hergestellt.


Aus der prächtig wogenden Masse der Studien und ihrer Ergebnisse treten zwei Werke mit eigenartigem Glanze hervor: die Editionen des Neuen Testaments und des Hieronymus.

Im Sommer 1504 fand Erasmus in einer Prämonstratenserbibliothek unweit Löwen die auf griechische Terte sich gründenden Anmerkungen des Lorenzo Valla zum lateinischen Vulgatatexte des Neuen Testamentes; er entschloß sich zur Veröffentlichung dieser Arbeit, die ihm den Abstand zwischen Vulgata und Urtext zeigte, obgleich er voraussah, daß die auch vor der Heiligen Schrift nicht Halt machende Kritik Manchem bedenklich erscheinen werde. Im März 1505, in Paris, trat das Werk ans Licht.

Von da an scheint das Problem einer kritischen Ausgabe des Neuen Testamentes den Erasmus dauernd beschäftigt zu haben. Auch in Italien, dann in England. Er wollte den Text in seiner ächten Form wiederherstellen, die alte anerkannte, aber vielfach schlechte Fassung verbessern, nicht oberflächlich und ehrfurchtlos, träumend gleichsam und mit ungewaschenen Händen, sondern unter Benützung der ältesten Handschriften sowie der Meinungen gelehrter und heiliger Kirchenväter.

Als Erasmus im August 1514 nach Basel kam, meldete er sofort dem Reuchlin, daß der Druck des Neuen Testamentes beginnen werde. Aber die Arbeit war noch nicht so weit gediehen, auch traten andre Publikationen dazwischen. Noch im April 1515 hatte Froben kein Manuskript erhalten. Erst die Nachricht von einer Ausgabe des Neuen Testamentes in Spanien, in der großen complutensischen Polyglotte des Kardinals Ximenez, scheint die Basler zur Eile getrieben zu haben. Im August 1515 ist das Neue Testament im Druck; im September kommen Ökolampad und Gerbel als Kastigatoren zu Hilfe; im Februar 1516 erscheint die Edition, die überhaupt erste des Neuen Testaments im Originaltexte.

Sie ist eilig gemacht, nicht frei von Fehlern und Willkür. Aber die Wirkung auf die Geister sofort eine gewaltige.

Dieses Buch hat die Namen seiner Mitarbeiter in die Unsterblichkeit gerettet, urteilt Rhenan. Ludwig Bär küßt es, betet es an, beklagt die vielen in scholastischen Zänkereien verlorenen Jahre. Andreas Ammonius in London huldigt dem Erasmus, Budaeus jubelt, Herman von Neuenahr [223] möchte die ganze Bibel in solcher gereinigten Gestalt besitzen. Überall hin geht das Buch und gewinnt dem Erasmus neue Freunde und Bewunderer. Aber auch die Gegner regen sich.

Erasmus selbst ist sich des großen Neuen und Kühnen seiner Tat durchaus bewußt. Daher er den Leser zu gründlicher Prüfung der Arbeit auffordert und ihre Art und Absicht ihm darlegt. Nicht Eleganz aber Richtigkeit ist das Ziel; die graeca veritas, der Urtext, soll die einzige Quelle sein und die Grundbedingung richtigen Schriftverständnisses. In des Erasmus Äußerungen über die Pflicht der Kritik, über die Bedeutung auch kleiner Verschiedenheiten, über den Wert des das Heilige bergenden Wortes lebt ein tiefes Gefühl, eine Ehrfurcht, aber auch der Stolz auf das Geleistete. Das Buch soll in erster Linie nicht einem wissenschaftlichen Zwecke dienen; es ist mehr als eine Humanistenedition, „eine reformatorische Tat“.

Wie Erasmus vor zehn Jahren die Ausgabe des Vallakommentars mit dem Namen des päpstlichen Protonotars Christian Fischer gedeckt hat, so schirmt er jetzt sein Neues Testament mit dem Namen Leos X.; diesem Papst ist die Edition gewidmet.

Schon im Sommer 1516 aber denkt Erasmus an eine zweite Auflage, in der das Überstürzte der ersten verbessert werden soll. In Löwen wird diese Arbeit begonnen, in Basel fortgeführt. Unter Beigabe des Breve Leos X., das Erasmus durch Vermittlung Puccis sich erwirkt hat und in dem der Papst die Edition approbiert, erscheint das Buch im März 1519 bei Johann Froben.


Das Streben, die reineren Quellen christlicher Erkenntnis aufzudecken, führt den Humanismus auch zu den Kirchenvätern. Einst im dreizehnten Jahrhundert haben sie als die Veralteten gegolten gegenüber den neuen Meistern, den Scholastikern; jetzt kommen sie wieder zu ihrem Rechte durch die Arbeit der die Scholastik Bekämpfenden.

Überall rauschen und brausen unsern Humanisten die Quellen. Auch die Patres werden von ihnen gewürdigt. Die mächtige Energie, mit der sich der Basler Humanismus der Sammlung und Publikation ihrer Werke annimmt, gibt ihm das Recht, zu den Begründern der modernen Patristik gezählt zu werden.

Wieder haben wir auf Johann Amerbach zurückzugreifen. Durch seinen Freund und Mitarbeiter Heynlin angetrieben, will er außer der Bibel die Werke der heiligen katholischen Männer, insbesondere diejenigen der vier großen [224] Doktoren Augustin Ambrosius Hieronymus Gregor im Drucke herausgeben. Demgemäß erscheinen von 1489 an bei ihm einzelne Schriften und 1506 die Gesamtausgabe des Augustin, 1492 in drei Folianten die Gesamtausgabe des Ambrosius.

Dem Beispiel Amerbachs folgen andere Basler Offizinen: 1504 Jacob von Pforzheim mit der auf Kosten Lachners gedruckten Ausgabe aller Werke des Chrysostomus, 1512 Froben mit der Schrift Augustins vom Gottesstaate, Adam Petri 1515 mit einzelnen Schriften Augustins und 1516 mit den Werken des Ambrosius.

Dieses selbe überreiche Jahr 1516, ausgezeichnet schon durch das griechische Neue Testament sowie Frobens psalterium quadruplex bringt nun auch die Ausgabe des Hieronymus. Sie ist einst das letzte große Unternehmen Amerbachs gewesen, durch ihn begonnen 1507, nach Erledigung des Augustin, aber nicht vollendet. Seine Söhne und Froben übernehmen nach seinem Tode diese Aufgabe und gewinnen zur Mitarbeit oder Leitung den Erasmus, den dieser Schriftsteller Jahrzehnte beschäftigt und der 1512 mit Badius über eine Ausgabe der Briefe verhandelt hat. Seine Beziehungen zu Froben übertragen nun auch ihm dies große Erbe Amerbachs und beseitigen frühere Pläne. Wie begeistert vor andern ist gerade er für eine solche Arbeit! „Wir küssen und verehren die Tücher und Schuhe der Heiligen; aber ihre Schriften, in denen ihr Bestes noch heute für uns lebt und atmet, lassen wir untergehen!“ ruft er aus. Und Hieronymus zumal ist ihm unter allen Christen der alten Zeit der Gebildetste und Beredteste; wie von göttlicher Gewalt fühlt er sich zu ihm hingezogen.

Seit dem September 1514 ist von dieser Basler Ausgabe die Rede. Von da an gibt es keine Pause mehr, kein Aufatmen. Erasmus selbst, „wie ein Herkules sich mühend“, bearbeitet die Briefe; Rhenan, die Amerbache, Ökolampad besorgen das Übrige; Froben wendet die elegantesten Typen an das Werk. Auch überall draußen wird davon geredet, unausgesetzt werden alle Korrespondenten Basels vom Fortgange der Arbeit unterrichtet. In Ravensburg freut sich Hummelberg auf den Moment, da er diesen Hieronymus in Händen halten wird, seiner römischen Tage gedenkend, da er zu Santa Maria Maggiore die dort ruhende Asche des Heiligen zu verehren pflegte. Auch den ihm von Rom her persönlich bekannten Kardinälen Riario und Grimani schreibt Erasmus darüber, ebenso dem Papste, dem er die Ausgabe widmen will. Überall ausführlich über die einzige Bedeutung dieses heiligen Autors redend, der einem goldenen Strom, einer reichen Bibliothek zu vergleichen sei; eindringlich und bewußt [225] auch über die Mühen der Editoren, die mächtige Leistung der Offizin. Im Sommer 1516 tritt das große Werk, neun Bände füllend, ans Licht; Froben und die Erben Amerbachs bestreiten die Kosten. Wie mitten in einem von kriegerischem und politischem Tun hocherregten Basel diese großen Arbeiten des Erasmus vollbracht werden, ist eine Erscheinung von unvergleichlicher Belebtheit.

Aber der Eifer der Basler Humanisten für die Kirchenväter und die durch sie vertretene „alte Theologie“ ist mit diesen Bändereihen keineswegs erschöpft.

Caspar Hedio bittet Gott, daß er einen guten Menschen dazu treibe, den Origenes wieder im alten Glanz erstehen zu lassen, und auch Froben bleibt tätig. Im Jahre nach dem Hieronymus, 1517, läßt er in fünf Bänden die Werke des Chrysostomus hinausgehen, 1520 die Werke des Cyprian. Sodann veranlaßt der Fund einer aus Peterlingen stammenden Tertullianhandschrift in der Bibliothek des Kolmarer Dekans, zu der später noch ein Hirsauer Codex tritt, den Rhenan, da die Pressen Frobens gerade Ferien haben, diese Zeit rasch zur Publikation zu benützen. Die Vorlagen sind verderbt und fehlerhaft; nicht ohne Grund mahnt Bürer seinen Patron, die Tränen um den Tod des Vaters zu trocknen und die Augen zu sparen für den Tertullian; denn diese Arbeit ist voll unsäglicher Mühe, trotz Pellicans Hilfe. Aber was bedeuten Mühe und Anstrengung? Es handelt sich ja um Tertullian, den „Origenes der Lateiner“, der nun aus der Unterwelt wieder ans Licht steigen soll. Es gilt die guten Studien. Die Stimmung, die all die Patristikarbeiten der Basler bis dahin begleitet, dazu das einzige herrliche Gefühl dieser Höhezeit, leben in der Edition und werden aufs Schönste ausgesprochen durch Rhenan selbst in seinem großen Geleitschreiben an Stanislaus Turzo, Bischof von Olmütz.

Für die Basler Lokalgeschichtschreibung bleibt der Humanismus fast wirkungslos. Sie lernt nichts von den Italiänern, nichts von den Alten und bewegt sich weiter in den gewohnten Bahnen. Einzig der uns schon bekannte Hieronymus Brilinger ist unter diesen Stadthistorikern hier namhaft zu machen, weil er in Verschiedenem über das Traditionelle hinausgeht. Er gibt eine, allerdings nur ganz äußerlich, humanistische Überarbeitung der Blauensteinchronik. Er zeigt auch in bemerkenswerter Weise Sinn für Erweiterung des Gebiets historischer Quellen durch seine Sammlung von Inschriften, sowie durch sein Diplomatar der Hochkirche Basel, in dem er die Monogramme, die Siegel, die verlängerten Schriften usw. der Papst- und Kaiserurkunden nachzeichnet. Derselbe Brilinger untersucht 1512 den [226] Inhalt des wohl auf seinen Antrieb geöffneten Grabes der Königin Anna im Münster und enthebt ihm die Krone; es ist eine in antiquarischem Eifer unternommene Grabschändung, die an die gerade damals übliche Schatzgräberei streift und ihre Parallelen hat in gleichzeitigen Öffnungen von Heiligengrüften durch eine schaugierige Devotion.

Aber wichtig ist das an solche lokalpatriotischen Leistungen sich weiter Anschließende.

Im Jahre 1519 publiziert Cratander das Schriftchen des Benvenuto di san Giorgio vom Ursprunge der Welfen und Ghibellinen mit der Würdigung des Otto von Freising als eines Geschichtszeugen gegenüber italiänischen Darstellern. Vielleicht ist Rhenan, der sich zu jener Zeit mit Barbarossa beschäftigt zu haben scheint, bei dieser Publikation beteiligt. Wie das Jahr 1519 überhaupt merkwürdig reich für Rhenan ist, ihn außerordentlich angeregt und überall hin in historicis tätig zeigt.

Er plant eine Ausgabe der deutschen Volksrechte, der leges Pipini. Durch Vermittelung des Calvus fahndet er auf Handschriften von Historikern, die nach dem Untergange des römischen Reiches geschrieben haben. Er geht einer Chronik nach, die der Abt eines Schwarzwaldklosters ihm vordem geliehen hat und die nun an Jacob Spiegel gekommen ist. Namentlich aber beschäftigt er sich mit Tacitus und seiner Germania. An der Gesamtausgabe bei Froben, August 1519, nimmt er Teil durch Revision des Germaniatextes, unter Benützung einer von Hieronymus Artolf ihm mitgeteilten Kollation, und durch Anfertigung eines Registers. Sodann aber gibt er der gleichzeitig und ebenfalls bei Froben erscheinenden Sonderausgabe der Germania einen Kommentar bei, der „einen ersten Platz in der Geschichte der kritischen Erforschung der deutschen Vorzeit verdient“. Aus Rhenans Mund auch vernehmen wir eine eigene Benennung des unmittelbar vergangenen Zeitraumes. Im Bewußtsein des Humanisten, in einer neuen, durch Wiederauferstehung des Altertums geweihten Zeit zu leben, redet er von der media antiquitas, die sowohl von dieser Gegenwart verschieden sei als von jenem Altertum.


Durch Gelehrsamkeit, kritisches Urteil, Methode des Arbeitens erweist sich Rhenan als einer der Bedeutendsten unter den deutschen Geschichtsforschern der Zeit; nachdem er sich lange hauptsächlich als Editor ausgezeichnet hat, wird er in seinen Drei Büchern deutscher Geschichte ein darstellendes Werk von hohem Werte geben.

Ein neuer Geist berührt auch Gesetzgebung und Jurisprudenz. [227] Vom Eindringen römischen Rechtes in das Stadtrecht ist schon die Rede gewesen. Es war ein Vorgang, der nie mehr zur Ruhe kam, aber dabei keinem allgemein mächtigen Bedürfnisse zu entsprechen hatte, sondern sich darauf beschränkte, dem Stadtrechte einzelne neue Rechtsbegriffe und Rechtssätze zu bringen. Als solche können wir hier erwähnen den Versuch der Einführung einer Obervormundschaftsbehörde im Entwurfe der Stadtgerichtsordnung von 1518/19 und das Statut über das Eintrittsrecht der Großkinder von 1522.

Aber es handelt sich noch um Anderes als um Reception. Um das Streben nach einer Reform der Jurisprudenz, wobei wiederum das Gebot gilt, die Quellen aufzusuchen. Auch die legalis scientia, die Gesetzeswissenschaft, soll erleben, was andern Disziplinen zu Teil geworden ist: sie soll aus den „Dunkelheiten alter Irrtümer“ ans Licht gehoben, der „wahre Intellekt“ gegenüber der überlieferten Meinung und der alte ächte Text der Rechtsbücher gegenüber nachträglicher Kommentation zur Geltung gebracht werden. Auch die philologische Kritik hat dabei zu helfen, und überdies wird Eleganz der Form, Klarheit und Schönheit der Diction verlangt.

Diese Gedanken und Forderungen werden in Basel zunächst nicht durch die eigene Universität verkündet. Sondern aus der Nachbarschaft, von Freiburg her, wirkt in diesem Geiste der große Ulrich Zasius. Er ist das anerkannte Haupt des neugerichteten juristischen Deutschland; er und Budaeus und Alciat sind die Triumvirn für Reform der Jurisprudenz überhaupt. Von der merkwürdig frischen und mächtigen Art des Zasius haben wir schon zu reden gehabt; er ergreift Jeden, der mit ihm zu tun bekommt, und überwältigt ihn.

Auch Basel steht unter seinem Einflusse. Vielleicht ist die Bemühung des Rates um einen päpstlichen Erlaß, daß auch geistliche Personen in Basel das kaiserliche Recht sollen studieren dürfen, 1512, Folge einer solchen Influenz. Namentlich aber haben wir uns an diejenigen Basler Juristen zu halten, die durch die Zucht des Zasius gegangen sind: Lucas Klett, die Officiale Johann Pludanus und Ulrich Schmotzer, Bonifaz Amerbach. Auch Stephan Verdelet (Fredelot Fredler) von Besançon, der 1521 hier eine juristische Lektur versieht, ist Schüler des Zasius gewesen.

Die wichtigste Erscheinung aber ist Claudius Cantiuncula. Er kommt 1517 nach Basel, nicht von Freiburg her. Aber in feuriger Bewunderung gibt er sich dem Zasius zu eigen. Er erhält eine Professur an der Universität, plädiert auch vor dem Gerichte des Officials und schriftstellert. Wie er eine vom Herkömmlichen abweichende Art der Argumentation aufstellt, [228] stellt, so wirkt er überhaupt für eine neue Methode juristischen Studiums, mit dem bestimmten Verlangen humanistischer Vorbildung. Ohne Kenntnis der literae politores, auch der griechischen Sprache, erscheint ihm das Rechtsstudium als unvollkommen. Alle Kraft ist an das Verständnis der Quellen zu wenden.

Dennoch erscheint neben dem mächtigen Leben, das in Basel den philologischen Disziplinen gegönnt ist, die Jurisprudenz als dürftig. Um so eher beachten wir die Hilfen, die ihr hier zu Teil werden durch Edition von Rechtsquellen. Basel hat den Ruhm, daß es 1474 die Erstausgabe des Sachsenspiegels geschaffen hat“ ein halbes Jahrhundert später werden hier die Ausgaben alter germanischer Volksrechte folgen. Inzwischen publiziert die Druckergesellschaft Amerbachs in den Jahren 1511 und 1512 den ganzen Komplex der kanonischen Rechtsbücher. Dann beschäftigt sich Rhenan, durch Mutian aufgefordert, mit einer Ausgabe der Pandekten.


Auch in der Medizin regt sich etwas Frisches. Man will die alten Klassiker vom Arabismus gereinigt kennen lernen und nach ihrer Lehre handeln. Nur spüren wir in Basel selbst von diesem Streben kaum etwas. Die Stadt dient ihm durch ihren Sohn Wilhelm Copus in Paris, den wir kennen; hier ist nur der paar Humanisten zu gedenken, die sich zugleich Mediziner nennen — Lister Carinus Artolf — und des Arztes Oswald Bär, der vordem die Schlettstädter Schule geleitet hat.


Als Mathematiker von Bedeutung wird nur Glarean genannt, zu wiederholten Malen durch Erasmus.


Dieser selbe Glarean, der auch musiziert und horazische Oden komponiert, erweist sich zugleich in der wissenschaftlichen Musik als Kapazität. Nach Kainspeck Prasperg Virdung gibt er hier den Musikstudien neue Anregung. 1516 veröffentlicht er die Isagoge in musicen.


Wie an Nürnberg, so kann an Basel eine besondre Disposition für die Pflege geographischer und kosmographischer Interessen wahrgenommen werden. Der Ort alter Kaufmannschaft und unausgesetzter Weltbereisung ist auch dem wissenschaftlichen Betrachten dieser Dinge günstig. In demselben Basler Dominikanerkloster, dessen Mönch im dreizehnten Jahrhundert eine Weltkarte auf zwölf Pergamentblätter gezeichnet hat, liegt ein berühmter Codex mit der Geographie des Ptolemaeus. Aus der elsaß-lothringischen [229] Kartographenschule aber kommt jetzt Mathias Ringman nach Basel und hält hier Vorlesungen über Kosmographie, während zur gleichen Zeit Konrad Pellican, der einst mit dem Astronomen Johann Stöffler zusammen bei Paul Scriptoris in Tübingen sich gebildet hat, das durch einen Basler Barfüßer, gebornen Nürnberger, angefertigte Astrolabium und Planetarium demonstriert.

Die Beschäftigung mit diesen Dingen ruht von da an nicht mehr. Zentrum der Ptolemaeus-Studien in Deutschland ist der Nürnberger Pirkheimer, und das Gelingen der von ihm geplanten Ausgabe liegt auch den Baslern am Herzen. In ihrem Verkehre mit Pirkheimer Hummelberg u. A. ist das Beziehen von Angaben des Ptolemaeus auf spätere Zustände und Benennungen ein stehendes Thema.

Auf dem so zubereiteten Boden muß sich Glarean sofort wohl fühlen. In seiner Schule lehrt er auch Geographie. Schon früher, in Köln 1510, hat er eine Weltkarte mit den neuesten Entdeckungen und dem Namen Amerika gezeichnet, in Nachbildung der großen Karte des Waldseemüller von 1507. Kurz nachher entsteht dann das wichtige umfassende Werk, das er zwei Jahrzehnte später seinem Lehrbuch der Geographie zu Grunde legen wird: eine Darstellung der mathematischen Geographie sowie Beschreibungen der Erde und des Universums, samt mehreren Weltkarten mit eigenartigen Methoden der Längen- und Breiteneinteilung, der Projektion usw., auch einer Zeichnung der konzentrischen Sphären des Weltalls mit dem Flecken Glarus als Zentrum.

Zu diesen geographischen Arbeiten Glareans tritt nun noch eine poetisch und halbhistorisch gehaltene Beschreibung der Schweiz. Im Frühsommer 1514 von Köln her in Basel angelangt, unterhält sich Glarean hier mit dem Zürcher Heinrich Utinger über die Geschichte der Schweiz und ihre bisherige Vernachlässigung. Er entschließt sich selbst zur Arbeit, sammelt Material, und vor Ende des Jahres erscheint bei Adam Petri die Descriptio Helvetiae.

Wir bedenken, in welchem Momente Glarean dieses Werk schafft. Er kehrt aus einem jahrelangen Leben der Fremde in die Heimat zurück, die gerade jetzt so stark und ruhmreich ist wie nie zuvor. Glareans geographischer Sinn verbindet sich mit patriotischem Hochgefühl und mit der Freude am Wohllaute seiner Verskunst.

Vorgeblich, um für die vernachlässigte Schweizergeschichte etwas Positives zu leisten. Aber es ist gar kein Geschichtswerk. Nicht erzählen hören wir den Glarean, sondern beschreiben. Der allgemeinen Schilderung des [230] Landes folgen Lobsprüche auf die einzelnen Orte; den Schluß bildet eine summarische Charakteristik der Schweizer, die ermahnt werden, immer Papst und Kaiser, die beiden Leuchten der Welt, vor Augen zu haben und die Taten der Römer nachzuahmen. Das Ganze ist ächte Humanistenarbeit. Bezeichnend vor Allem, daß Glarean seine Beschreibung zum kleinsten Teil auf Autopsie, im Übrigen auf Excerpte aus Strabo Ptolemaeus u. A. aufbaut. Weil Caesar nur zwölf Oppida der Helvetier kennt, läßt Glarean in der ersten Fassung die Ehre seines Panegyricums auch nur zwölf Orten zu Teil werden und Appenzell leer ausgehen. Er stellt seinen Landsleuten die großen Römer als Muster hin, nicht die Helden der eigenen Vorzeit, mit Ausnahme Tells.

Jedenfalls empfinden schon die Zeitgenossen, wie leer diese Hunderte von Hexametern sind; auch über manche Dunkelheiten des Ausdruckes klagen sie, so daß Glareans Freund Myconius einen Kommentar zu dem Gedichte verfaßt und eine neue kommentierte Ausgabe erscheinen läßt, bei Froben 1519. Es ist eine gut schulmeisterliche Leistung, durch zahllose Notizen viel Belehrung bringend, aber den Originaltext überflutend. Auch typographisch unerfreulich: aus dem schönen Dichterhefte von 1514 ist ein schwerfälliges Produkt geworden.


Wir überschauen das Ganze dieser Vorgänge und sehen in ihm ein durchgehendes Gefühl da stärker dort schwächer wirken: das Gefühl eines durch Lösung bisheriger Bande gewonnenen, neuen Lebens.

Seine Äußerungen haben wir vernommen, wo immer von Edition alter Autoren die Rede gewesen ist; diese Alle kommen wieder ans Licht und beginnen neu zu sein. Aber nicht beim Einzelnen, beim Hieronymus renatus und dgl., bleibt der Humanist stehen. Durch das ganze Reich des Geistes ahnt er ein neues Erfahren, ein wieder jung werden alter Weisheit so gut wie ein Treiben und Quellen frischer Gedanken.

Es ist nur ein einzelner Drang der universalen Bewegung, die über dieses Geschlecht dahingeht und es ergreift, die ihm das Hochgefühl des Freiwerdens von Mächten und das Bewußtsein neuer Energien und unbändiger Kräfte bringt.

Aus der Schar der Solches Empfindenden vernehmen wir hier nur die Humanisten. Sie nennen die Zeit eine glückliche, in der ein Neues über die Erde kommt. Dem Rhenan erscheint sie als das wahre goldene Säculum. Während der zu frühe gealterte Erasmus sich in dieser so Großes [231] verheißenden und gebietenden Morgenstunde seine Kraft zurückwünscht: „O daß ich wieder jung werden könnte!“

Vom allgemeinen Sturme geweckt und begeistert steht der Humanist vor uns.

In der Überwindung der Tradition, in der Anwendung freier Kraft und selbstgewählter Mittel, im Stolze seiner „geistigen Sendung“ fühlt er sich als eine neue Kreatur. Ihn trägt das keinen Zweifeln ausgesetzte Bewußtsein, ein Mensch besonderer Art zu sein. Wozu auch die lebendige Empfindung einer Gemeinschaft gehört. Er weiß, daß in der Nähe und in der Ferne Andere leben, mit denen zusammen er erhoben ist über Barbarei und Vulgus.

Aber bei aller Gemeinsamkeit herrscht doch im Einzelnen der Wille zur völligen Freiheit. Jeder hat zunächst sich selbst zu behaupten. Erasmus begehrt Allen nützlich zu sein, aber Keinem verpflichtet. Wogegen Glarean gelegentlich mit bittern Worten klagt, statt daß Einer dem andern beistehe, suche jeder nur „sein eigenes Rühmlein“.

Das Entscheidende, den Einzelnen wie überall so auch hier in der Höhe Haltende ist die eigene Leistung. Jeder dieser Humanisten möchte sich in feinem Bereich als einen Erneuerer der Wissenschaften fühlen. Und so erklärt sich, daß uns überall dasselbe gesteigerte Wesen begegnet. Es ist durchweg die Überzeugung, daß es sich um Bahnbrecherarbeit handle und nichts erreichbar sei ohne höchsten Aufwand von Kraft.

Rastlose Tätigkeit gehört zum Wesen der Zeit überhaupt. Nicht in der Form gewöhnlichen Fleißes, sondern als mächtige Energie, als bewußte Konzentration von Wille und Fähigkeit auf ein Vorhaben. Thomas Platter zeigt uns das unvergeßliche Bild eines solchen gewaltigen und seiner selbst nicht schonenden Arbeiters. Ähnlichen Eindruck macht unser Basler Humanistenkreis. Er ist erfüllt von einer stets neu erregten und jede Erregung weiter gebenden, unruhig vibrierenden Tätigkeit. Zum Teilnehmen an allem Gelehrten, das da und dort geschieht, tritt das eigene ungeduldige Vorwärtsdringen, der Mut des Bekennens und des raschen Produzierens. Man fühlt sich frei von Vorgang und Autorität, ohne des natürlicherweise sich einstellenden eigenen Autoritätsbedürfnisses neuer Art bewußt zu werden. Man will für das Selbsterrungene allein verantwortlich sein, will sich auszeichnen und Lob hören. Auf neuen Bahnen, zu neuen Zielen strebend fühlen sich die Kräfte. Es geht weiter mit Geist- und Feuerschritten.

Die Beherrschung einer Mehrzahl alter Sprachen gilt den Ehrgeizigen und Wißbegierigen als erstrebenswert. Vielgepriesen sind die das Lateinische [232] Griechische Hebräische beherrschenden Trilingues, wie Bruno Amerbach Capito Leontorius. Auch Pellican gehört zu ihnen; 1506 schreibt er die Bußpsalmen in sechs Sprachen nebeneinander hin. Allen gemeinsam ist die Geringschätzung des Spezialistenwesens als einer der Harmonie vollkommen ausgebildeten Menschentums nicht gemäßen Art; in diesem Geiste wachsen einige ungewöhnlich Mächtige zu glänzender Vielseitigkeit. So Erasmus mit seiner einzigen Geisteskraft und Arbeitsvirtuosität. So Glarean, der Philologe Geograph Mathematiker Musiktheoretiker Dichter und Erzieher ist. So Capito, den die Wißbegier erst zur Medizin treibt, dann zum Jus, dann zur Theologie, und der ein Meister der hebräischen Wissenschaft wird. Auch Beatus Rhenanus verdient sich den Ehrennamen eines Polyhistors. Den Bonifaz Amerbach, an dem Zasius den vehemens studii ardor bewundert und der nach des Cantiuncula Urteil „schon frühe den Kreis der Encyclopädie umschritten hat“, zeichnen nicht einzelne Leistungen aus, sondern die Allgemeinheit und Weite seiner Bildung.

Es ist die Zeit, die von keiner Schonung weiß und Jeden zur stärksten Ausnützung der ihm beschiedenen Kräfte treibt. Die möglichen Übeln Folgen solcher Anstrengungen sind ihr wohl bewußt. Daher die Schrift des Marsilius Ficinus „Von der Gesundheitspflege der Gelehrten“ damals in Basel publiziert wird. Beständige Verschleimung, pituita, ist eine Gelehrtenkrankheit, über die viel geklagt wird. Und wie Manche, die „handlich studieren, früh aufstehen und spät niedergehen“, sind durch Kopfweh und Schwindel geplagt! Schon der alte Surgant empfiehlt Studierenden den Gebrauch der der gedächtnisstärkenden Pillen; Bischof Christoph läßt sich solche aus der Apotheke kommen, und auch Erasmus kennt sie.

Wichtiger ist, daß Surgant in demselben Traktat, der diese Pillen nennt, neben den Mahnungen zu Mäßigkeit und guter Zeiteinteilung die Studiosen auffordert, eifrig zu arbeiten und in solchem Arbeitseifer bis zum Tode nicht nachzulassen.

Aber zum Wesen des Humanisten gehört noch Anderes als Wissen und Arbeit.

Es gehört dazu die Bildung, die zu gewinnen ist in der Beschäftigung mit den politiores elegantiores humanae litorae, mit den ingenuae disciplinae, m. a. W. die sich nährt an den Werken der großen Dichter Philosophen Redner des Altertums und der verjüngten Gegenwart.

Erst beim Hinzutreten dieser Bildung zum Gelehrtentum ergibt sich Besonnenheit und Adel des Urteils, Erregbarkeit auch für die äußere Form, Freiheit von engen Lehrbegriffen und Denkweisen, Ergebensein den Musen. [233] Und nur der so zugleich Gelehrte und Gebildete kann als der wahre, der vom Barbaren unterschiedene Mensch gelten. Nur er ist doctus et humanus. Nur er besitzt Würde und reine Menschlichkeit, freies edles Menschentum, humanitas. Dieser hohen Herrin Humanitas, die auf ihrem Triumphwagen einherfährt, von Homer und Demosthenes und Virgil und Cicero geleitet, dient er freudig. Er ist der „klassische Mensch“, der Humanist.

Unverkennbar aber weitet sich dieser Begriff von Humanität allmählich über das geistige Gebiet hinaus. Es besteht der feste Glaube, daß der frei gebildete Mensch vermöge dieser Bildung auch ein wohlgearteter, ein guter und reiner Mensch sei. Zum Humanistenideal gehört auch die integritas, die puritas vitae, der candor. Der Humanist ist ausgezeichnet in literis et moribus.

Bis schließlich die humanitas auch die urbanitas umfaßt, vom Humanisten auch die Humanität im allgemeinen Sinne gefordert wird, die Menschenfreundlichkeit Höflichkeit Güte. Auch um dieser Tugenden willen erscheint Rhenan als eine Zierde der Humanistengesellschaft, und Erasmus übertrifft an Humanitas sogar die Grazien.


Durch solche Forderungen beherrscht erscheint der Basler Humanismus. Er will, daß sich der „Mensch“ heraus- und hinaufarbeite und gestalte. Ohne die Poetenmanieren eines Celtis u. dgl. Auch ohne die Pose einzelner Italiäner. Wissenschaftliche Tätigkeit, freie Denkart, Pflege strenger und schöner Form der Äußerung, pädagogisches Wirken, ernste Haltung sind die Hauptzüge seines Bildes. Was außerdem sich in Lebensgefühl und Lebensführung als Humanisteneigenart geltend macht, ist sekundär.

Die Gesamtheit dieser Humanisten gibt uns die Vorstellung der vielen über ihre Schreibtische Gebeugten, zu einer Zeit, da man draußen von Basel zu sagen pflegte, daß hier in jedem Haus ein Gelehrter sitze.

Wir sehen sie sacra musarum tractare haben ihre Werke vor uns, Zeugnisse zahlloser Stunden voll Mut Mühsal und glückseliger Inspiration.

Wir bestaunen ihre Arbeitsamkeit, ihren Scharfblick, die große Conception ihrer Gesamtausgaben und universalen Sammlungen.

Wir hören das nie aussetzende Geräusch ihres oft aufgeregten geistreichen Verkehres.

Es ist unendlich viel, und doch kann es uns nicht befriedigen. Wir wünschten weiter hinein dringen zu können. Hinter all der Humanitas suchen wir das einfach Menschliche. Hinter dem Methodischen und Gelehrtenhaften möchten wir das warme innere Erleben und die Leidenschaft fühlen. [234] Hinter dem allgemeinen Humanistenbegriff und auch hinter einem äußern Gleichsein lebt die größte Varietät einzelner Persönlichkeiten und Geistigkeiten, eine unendliche Verschiedenheit der Wirkungen von Quellen Autoren Gedanken Lehren usw. auf den Einzelnen. Hinter dem scheinbar überwältigenden Wesen der Sodalitas ahnen wir die Einsamkeit, die Jedem selbst inmitten vertrautester Genossen beschieden ist.

Aber in solche Tiefen wird uns kaum zu blicken gegönnt. Viel beflissener zeigen sich uns diese Menschen in der ihnen zusagenden Stilisierung.


Es handelt sich vor Allem um den sprachlichen Ausdruck. Um Erfüllung des Gebotes, daß auch die stärkste Gelehrsamkeit noch geadelt sein müsse durch auserlesene Form, daß auch die Grazien den Studien nahe sein sollen.

Dem Humanisten liegt nicht ausschließlich an der wissenschaftlichen Forschung. Er hat das Bewußtsein einer allgemeinen „menschlichen“ Aufgabe und der Vertretung neuer Ideen. Dem Ziele hoher Ausbildung seiner selbst ist er auch die Kultur des Wortes schuldig. Diese Einsicht macht den Gelehrten zum Schriftsteller und gibt der Sprachkunst die hohe Bedeutung.

Dabei wirkt die Erkenntnis, daß zum alten Mustergültigen zurückzukehren sei, auch auf diesem Gebiete. Mit Nachdruck fordert Rhenan die Humanistenjugend auf, sich wieder zur prisca elegantia, zur Formschönheit der Antike zu bekennen. Und kaum ein Jahrzehnt später, 1516, kann Erasmus froh verkünden, daß die Zeiten vorüber seien, da Grammatik und Rhetorik, „diese Führerinnen zu Reinheit Fülle und Glanz der Rede“, in elendem Stammeln untergiengen, und daß die Welt jetzt der Erudition wieder „das majestätische Geleite der Eloquenz“ beizugeben vermöge.

Derselbe Erasmus hat schon in seinem Buche De dublici copia eine methodische Anleitung zur Eloquenz gegeben, und er selbst ist der Meister der kunstreich ausgebildeten und doch wie ganz improvisiert klingenden, schmiegsamen, zum Dienste des höchsten Geistigen wie der Alltagskonversation bereiten Sprache. Unerläßlich ist von da an die Forderung der schönen durchgearbeiteten Form, der kunstvollen Satzfügung, der Wahl und Stellung der Worte nach dem Wunsch eines feinen Ohres, des Reichtums an Sentenzen und Bildern, überhaupt der elegantia. Autoren wie Leser werden dabei immer sensibler, sodaß bald keine „Simplicität“ mehr geduldet wird und nur diejenigen Schriften noch Lob erhalten, „die nach den Myrrhenkästchen der Musen duften.“ [235] In öffentlicher Rede die Eloquenz tönen zu lassen, dazu wird hier außer Vorlesungen und akademischen Akten wenig Gelegenheit geboten. Um so wichtiger ist der Brief.

Die Briefe der Humanisten sind die zahlreichsten Dokumente ihres Wesens, zugleich die persönlichsten. Nirgends auch ist das Gebot der schönen Form so begründet wie beim Briefe, in dem der Humanist sich und seine Kunst darstellt und den er für Leser schreibt, die gleich ihm nicht allein mit den Augen lesen. Daher das was Stil heißt, in der Epistolographie seine höchste Anwendung finden soll; Schreiber von illiteratae literae bitten von vorneherein um Nachsicht, aber gutgeschriebene Briefe bereiten dem Empfänger eine voluptas, eine Wonne.

Das Schreiben eines Briefes ist eine literarische Arbeit. Sie bedarf des Beistandes der Musen. Aber es gibt auch Briefsteller und sonstige Hilfsmittel, elegantiarum praecepta, in Menge, die sie erleichtern. Von Cicero und Plinius an bis auf Petrarca Enea Filelfo Politian stehen klassische Muster vor den Augen der Schreiber. Bebel gibt ihnen in seiner Briefkunstlehre ein vielbenütztes Werkzeug an die Hand; ein noch näheres, mit stärkster Macht wirkendes Vorbild haben sie an Erasmus.

Wie auf allen Gebieten humanistischen Lebens und Leistens, so ist auch hier Erasmus der gefeierte Princeps. Er verfaßt den Briefsteller De conscribendis epistolis; seine große Sammlung von Sprichwörtern und Tropen, die Adagia, ist ein den briefschreibenden Humanisten geöffnetes und von ihnen unaufhörlich benütztes Magazin der Eleganzen und der Pointen, der Ornamentik und des Geistes. Namentlich aber wirkt er selbst durch sein Briefwerk als Stilmeister. Wenn der stilus erasmicus überhaupt höchste Form darstellt, so gilt dies vor Allem von den Briefen, in denen Geist und Laune, reichstes Wissen, jede momentane Stimmung, jede Nuance des Innern, vom Zauber einer einzigen Sprachkunst umgeben, flimmern. Zur literarischen Bedeutung dieses Briefthesaurus, eines Unicums an Umfang Inhalt Schönheit, kommt ihr programmatischer Wert; viele dieser Briefe des Erasmus sind Proklamationen an die Welt. Einer solchen Würde entspricht nicht allein die sorgfältige Führung von Konzeptbüchern in der erasmischen Privatkanzlei, sondern namentlich die oft wiederholte Publikation von Sammlungen erasmischer Briefe. Wie werden diese aufgenommen! Mutian in Gotha jauchzt, täglich hat er seine Lust daran. Moibanus in Breslau und Martens in Löwen stellen Auslesen aus diesen Schatzkammern her und veröffentlichen sie als Schulbücher.

[236] Auch Cantiuncula hat den Ruhm eines perfekten Briefstilisten. Und als ihm ebenbürtig wird Bonifaz Amerbach gepriesen. Bei Diesem sehen wir die Kunst sich entwickeln; namentlich unter des Zasius Leitung wird das Rhetorische und „Saftige“ des Anfängers ersetzt durch Klarheit Anmut Einfachheit. Amerbach gewinnt sich schließlich das Lob eines erasmusgleichen Stiles, und Erasmus selbst stellt seine Briefe denen des Politian an die Seite.

Der Allen bewußte literarische Wert der Briefe erklärt, daß sie gedruckt werden, nicht in Sammlungen des Autors selbst wie die erasmischen, sondern vereinzelt, als Beigaben zu Editionen usw. Das Veröffentlichen von Briefen ist eine damals übliche Form von Publizistik.

Wir aber beklagen, daß mit dieser Formkunst oft Monotonie und Leblosigkeit verbunden sind. Wenn auch Erasmus selbst fordert, daß der Brief nur wahre Affekte enthalten und nichts Andres wiedergeben solle als Erlebtes, so vermitteln doch viele Humanistenbriefe mit all ihrem Wort- und Bilderreichtum, mit ihrem Glanz und Wohllaut verhältnismäßig wenige Tatsachen und zumal wenig unstilisiert Menschliches. Alles ist wie erhöht, von einem helleren Licht umflossen, in gleichmäßiger Art und Intensität. Die Briefe können auch uns noch hohen literarischen Genuß bieten; inhaltlich haben sie zuweilen kaum einen Wert; und wohin die Manier führen kann, zeigt z. B. ein Brief des jungen Johann Cosmas Holzach in Paris an Bonifaz Amerbach. Holzach schreibt zögernd, weil er sich ohne facultas oratoria weiß und doch die Art des sprachlichen Ausdruckes für das Höchste halten muß; der lange Brief ist ohne Gehalt und gibt nur Variationen des Stilthemas durch einen schwachen Kopf, der in der Luft des Humanismus um seine letzte Naivetät und Natur gekommen ist.

Über Abhandlung und Brief weit hinaus hofft der Humanist zum schönsten Glücke seiner Sprachkunst zu gelangen durch die Poesie. Das Gedicht bietet ihm die Möglichkeit, unter Anwendung des von den Alten Übernommenen, eine geschlossene und im höchsten Maß edle Form zu schaffen und in dieser sein Inneres zu offenbaren. Nicht der „Poet“ im Schulbegriffe des mit den antiken Autoren vertrauten Gelehrten ist das Ziel, sondern der wirkliche Dichter. Aber was hiebei entsteht, ist Philologendichtung. Sie läßt uns zumeist fragen, ob bei ihr überhaupt persönliches Glück oder Leid zum Ausbruche kommen, ob ihre Form Lebensgluten meistert. Nur dem Genius weniger Humanisten ist dies gegeben.

Der Dichter solcher Art ist dem Basler Humanistenkreise beinahe fremd. Was gelehrten Publikationen an Strophen und Distichen als tönendes [237] Schmuckwerk beigefügt ist, was Jahr um Jahr an Poemen in die Rektoratsmatrikel geschrieben wird, ist durchweg eine ganz äußerliche Leistung. Aber in derselben Matrikel steht auch ein Gedicht Glareans, zum Rektorate des Peter Wenk 1515 verfaßt, und wie beträchtlich ist sein Abstand von den Produkten des Lucas Klett, des Mathis Hölderlin u. dgl.!

Glarean ist in der Tat der Einzige der Sodalen, der hier, wo von Poesie die Rede ist, beachtet werden darf. Er bringt den Dichterlorbeer schon mit nach Basel, von der Krönung durch Kaiser Max in Köln, und was dann hier folgt, scheint diese Ehre zu rechtfertigen.

Zu Ende seines ersten Basler Jahres, 1514, veröffentlicht er das große Gedicht der Descriptio Helvetiae, das wir kennen; dann im Dezember 1516, vor seiner Abreise nach Paris, eine Sammlung von in Köln und Basel gedichteten Elegien. Dieses zierliche Heft bietet uns Anderes als die versifizierte Gelehrsamkeit der Descriptio. Nicht ein Land soll Glarean beschreiben; hier hat er geliebte Menschen vor sich, und dies ists, was ihn sichtlich ergreift und seine Verskunst, bei aller Konventionalität, doch zum schönen Gewande von Leidenschaft und Leben macht. Zwei Hauptthemen kehren durch das ganze Büchlein wieder im Klange zahlreicher Variationen: die Verherrlichung des Erasmus und die Verachtung der törichten Welt durch den hienieden zwar in Finsternis befangenen, aber zu ewigen Gestirnen strebenden Geist.


Das Latein — ihm hauptsächlich gehören diese stilistischen Bemühungen — ist die Gelehrtensprache von universaler Geltung und überhaupt die Sprache höherer Kultur. Wie der Niederländer mit dem Italiäner lateinisch korrespondiert, so der Basler Humanist mit dem Pariser. Auch in der mündlichen Unterhaltung erscheint diesen Leuten das Latein als das ihrer würdigere Idiom. Ohne Prätension vermögen sie lateinisch zu denken, ist Reden und Schreiben in dieser Sprache das Natürliche, das keinen Entschluß braucht und an sich keine Anstrengung macht.

In solcher Leichtigkeit und Universalität dauert aber bisheriger Brauch einfach weiter.

Das Scholastiker- und Juristen- und Mönchslatein der media aetas steht vor den Humanisten als eine lebende Weltsprache. Festgehalten in unzähligen Büchern, die in Jedermanns Händen sind; den Unterricht beherrschend; getragen durch die innere Macht der Werke, deren Sprache sie ist, und der tatsächlichen Bedürfnisse, denen sie dient. Nicht mehr die Sprache Ciceros, aber den Erfordernissen des Alltags wie der Wissenschaft angepaßt [238] durch neue Bildungen bereichert, kräftig flüssig, auch ausgeartet. In Allem durchaus lebendig. Dabei nationaler oder provinzialer Eigenart zuweilen folgend, so daß die Schwaben wegen ihres „Hechinger Lateins“ verspottet werden und der alte Amerbach seine Söhne in Paris vor der französischen Aussprache des Lateinischen warnt.

Gegen diese „barbarische“ „gotische“ „vandalische“ „schlechtklingende“ Sprache erhebt sich der stolze Humanismus mit seiner Latinität, die er aus den besten Quellen geschöpft zu haben überzeugt ist. Das geliebte edle Latein will er wieder befreien von all den Mißbildungen, die ihm zu Teil geworden, die Jugend wieder erziehen zu Reinheit und Glanz der Rede. Lange steht dabei der deutsche Humanismus unter der Zaubermacht Italiens. Dieses ist ihm nicht allein der nächste äußere Vermittler der Antike; es überwältigt ihn auch durch seine eigene leidenschaftliche und selbständige Auffassung. So kann es kommen, daß der frühe Humanist die Briefe des Enea Silvio denen Ciceros vorzieht, daß der Kreis Wimpfelings sich durchaus an italiänische Vorbilder hält. Der junge Rhenan erlebt und kennt als Meister der hohen Sprachkunst die Italiäner Politian Pico Marsilius Pontanus u. A. neben den einzigen Nordländern Agricola und Erasmus; und nach Jahren noch gilt als Ruhm des Zasius, daß er an sprudelndem Reichtum und an Anmut der Rede von keinem Südländer erreicht werde.

Wie dann unter Bebels Führung deutsche Humanisten diese Autorität der Italiäner bestreiten und auf die Alten als die einzigen klassischen Stilmuster hinweisen, ist bekannt. Sie haben schon früh ihren Anhang auch in Basel, wo Cono 1512 die livianische Eloquenz als Inbegriff von Sprachreinheit und Sprachschönheit lobt; höchstens das gute Latein von Kirchenvätern, die ambosiana gravitas, darf daneben noch gelten. Dann Tritt auch hier Cicero in seine Rechte und hat das Ansehen des höchsten Meisters lateinischer Prosa. Nicht mächtiger glaubt man den Erasmus verherrlichen zu können als durch den Titel eines christlichen Cicero.


Notwendig wird auch die Schrift unter dieses Gesetz der Form gestellt.

Was im Zeitalter Heynlins begonnen worden ist, wird jetzt allgemeiner humanistischer Brauch. Es ist die der Minuskel des früheren Mittelalters nachgebildete, sogenannte römische Schrift, die der vielartigen und eckigen „deutschen“ Schrift der Notare und Mönche usw. gegenübertritt. Ihre reinen Linien mögen bei Pellican Franz Wiler Leontorius noch konventionell sein; bei den Spätern zeigen sich freie individuelle Formen, die aber immer noch dem schönen Typus folgen. Neben der mächtigen [239] Führung dieser Schriftzüge Rhenans Reuchlins u. A. offenbart die um ihrer krausen Verzwicktheit willen berüchtigte Handschrift des Bonifaz Amerbach den nicht groß gearteten Menschen.


Wie der Humanist seine Schrift neu formt, so erlebt jetzt auch das gedruckte Buch, aber in weit größerem als nur dem humanistischen Bereich, eine Reformation seines Äußern.

Vor Allem wird für die dem Drucke dienende Type gleichfalls die anmutige frühmittelalterliche Buchstabenform wieder aufgenommen und eine Druckantiqua geschaffen: die „römische Type“, die seit den 1490er Jahren in Basler Drucken, zuerst in solchen Amerbachs, Verwendung findet. Ihr folgt die modernere feinere und elegantere Form einer durch Aldus in Venedig gebildeten Antiqua. Johann Froben nimmt diese herüber, als der Erste nördlich der Alpen, und beginnt ihre Verwendung mit seiner berühmten Ausgabe der erasmischen Adagia 1513.

Die weitere Ausbildung dieser Type durch Froben geschieht im Geiste derselben ehrgeizigen Konkurrenz mit dem Venezianer, die sich auch im frobenischen Verlage zeigt. Die literae aldinae vel frobeniae, die literae frobenaldinae sind berühmt. Martin Dorp in Löwen urteilt, daß der Basler Buchdruckerfürst in der Schönheit seiner Werke den Aldus übertreffe. Andere finden, nichts sei zierlicher klarer anmutiger als die Type Frobens. Zum Teil auf ihr ruht der Ruhm der Druckerstadt Basel; sie ist der gepriesene character basilianus

Aber diese Type ist nur eine Einzelheit in der umfassenden neuen Stilisierung des Buches. Diese entspricht dem Verlaufe, der das Buch nicht mehr nur Vervielfältigung der alten Handschrift sein läßt, sondern ihm Recht und Form eigenen Lebens gibt. Freie künstlerische Anschauungen verbinden sich mit Tendenzen der Gelehrsamkeit, mit allgemeinen Bedürfnissen der entwickelten Zeit. „Die Folianten werden handlicher, die Oktavbändchen häufiger, die Lettern deutlicher und damit kleiner und feiner, das Papier glätter, der Druck schärfer.“ Und zu dem Allem tritt nun noch ein hochgearteter künstlerischer Schmuck in Titel- und Texteinfassungen, Initialen und Signeten. Es entstehen in Basel jene unzähligen Werke, die als Schmuck- und Prachtstücke des Buchwesens über die Zeiten hin dauern und noch uns entzücken, nachdem der einst auch die reichste Form völlig beherrschende Inhalt längst um Leben und Ansehen gekommen ist. Auch hiebei wieder erweist sich Froben als der ruhmreiche Reformator. Adam Petri und Cratander folgen ihm in glänzender Weise.

[240] Unausweichlich ist, daß der neue graphische Stil sich auch der durch die Humanisten gepflegten Inschrift annimmt. Rhenan vor Allen, der so manches weihevolle Epitaph redigiert, sorgt dabei zugleich für die Art der Ausführung. Er will nur die feierlichschöne römische Majuskel gelten lassen; statt ihrer duldet er höchstens solche Buchstaben, die den aldinischen und frobenischen Typen entsprechen. Bei der Grabschrift für Geiler freilich ist ihm auch dies nicht gelungen: die „Halbgelehrten“, die den Stein besorgen, lassen die Inschrift in „barbarischen“ (mittelalterlich gotischen) Buchstaben einmeißeln; die römischen Majuskeln des Rhenanus halten sie für hebräische oder ägyptische Zeichen.


Der Geist, der um glücklich zu sein einer solchen Formenwelt bedarf, sucht allenthalben nach ihr. Alles soll in Zucht genommen werden, unter die „stolze Macht der Form“ sich beugen. Er verlangt eine Stilisierung des Lebens und Handelns, die nicht nur Sache des einzelnen Ausdruckes bleiben, sondern die ganze Person ergreifen soll. Soweit dies bei den übrigen Voraussetzungen unseres Humanismus und in seiner bestimmten Umgebung überhaupt angeht.

Hiezu gehört schon, daß an dem Musizieren, das wie ein neues Lebensbedürfnis des damaligen Geschlechtes laut wird, der Humanismus auf seine Weise teilnimmt. Auch es bedeutet ein Gestalten des Lebens, ein Bändigen von Empfindung in Form und Wohllaut.

Freude hieran hat schon den Celtis zum Musiker gemacht, und ein rührendes Bild ist der alte Reuchlin, der im Exil zu Ingolstadt sich mit einsamem Saitenspiele tröstet. Wie überall, wo von Anmutigem des Humanistenlebens zu reden ist, so macht sich auch hier Bonifaz Amerbach geltend; was wir von seinem Gesange, seinem Spielen auf verschiedenen Instrumenten, seinem Verkehre mit Sixt Dietrich, Hans Kotter u. A. vernehmen, scheint einen hochentwickelten Dilettantismus zu bezeugen. Die kräftigere Erscheinung aber ist auch hier wieder Heinrich Glarean. Er gehört zu den singenden Humanisten gleich Herman von dem Busche; in dorischer Tonart singt er 1512 in Köln sein Preislied auf Kaiser Max, und vierzig Jahre später wird er einen Vorlesungskursus über Sueton mit dem Absingen eines Dankgebetes an Gott eröffnen. Wie mächtig er daneben die Theorie der musikalischen Kunst gefördert hat, wissen wir; er komponiert selbst; auch in seiner Schule tönt es von Musik, unter seiner Leitung spielt der junge Luzerner Johann Zurgilgen Laute Flöte und Orgel.

[241] Auffallender, bewusst eigentümlich aber ist die Stilisierung, die als Antikisierung geschieht. Wie der Humanist das Altertum bewundert und sich an ihm bildet, so will er in den Erscheinungen der eigenen Welt solche jener vergötterten Zeit sich wenigstens Vortäuschen. Um ein Fortsetzen, um ein Herübernehmen kann es sich nicht handeln. Aber um eine ihn befriedigende Ausdrucksform handelt es sich, wenn die Karren, die vor Rhenans Fenstern durch die Gasse rumpeln, Quadrigen heißen und das am Tische Sitzen accumbere. Das Abendessen wird zum Symposion, und wer auf dem Todbett eine würdige Haltung bewahrt, der stirbt wie Seneca. Daher die Tage nach antiker Weise datiert, der November Monat der Diana genannt wird. Wie oft und viel werden die Musen, diese humanistischen Nothelfer, angerufen. Es mag meist nur Mode sein. Da und dort ist hinter diesen Äußerlichkeiten und Phantasiespielen vielleicht ein Stück antiken Weltempfindens wirklich vorhanden.

Rein konventionell, Preisgabe schönen Eigentums für ein Fremdes von nichtssagender Allgemeinheit und Hoheit sind die bald durch Umformung bald durch Übersetzung gewonnenen antiken Namen, wobei der Näf zum Nepos wird, der Amerbach zum Amorbachius, der Brunner zum Fontejus, der Salzman zum Salandronius, der Hartman zum Cratander usw. Ähnlich der dem gotischen Häuslein zum Tanz vorgemalten Renaissanceprachtfassade Holbeins. Und vollends als Maskerade erscheint uns, daß Glarean in seiner Lehranstalt Würden und Titel der römischen Republik braucht, sich selbst als consul auftreten läßt, die Zöglinge als censor praetor aedilis usw.


Der Humanist empfindet seine Existenz als eine ungewöhnliche, und dem entsprechen die so häufigen Äußerungen seines Selbstgefühles. Es ist aber weniger Persönlichkeits-, als Standesgefühl und Kastenbewußtsein, zuweilen — bei den Amerbachen — noch mit einem speziellen Familienstolze gemischt. Das Gefühl einer an keine irdischen Grenzen gebundenen Genossenschaft, einer neuen geistigen Partei. Zugleich das gemeinsame Glücklichsein einer Generation, die sich jung und frei und berechtigt fühlt.

Mit diesem Selbstbewußtsein geht zusammen die stärkste Empfindlichkeit, die schroffe oder spöttische Abwehr von Andersgesinnten. Im Verkehre mir den Genossen aber herrscht Enthusiasmus, überschwängliches Loben, überschwängliches Werben um Freundschaft. Da ist Alles voll heißen Atems; Alles superlativisch gefaßt. Freude des Einen am Andern, Freude am Humanistenleben wird uns in diesen klingenden Worten verkündet, vielleicht zuweilen auch nur vorgespielt.


ik [242] Wie aber von Gotha her Mutian den Basler Freunden sein "Vivite"! zuruft, so wird dem Humanisten sein Besonderes auch beim Scheiden vom Leben zu Teil, in einer Grabschrift, die den bisher üblichen Epitaphien gegenüber den Geist einer befreiten und glänzenden Zeit atmet.

Ein frühes Beispiel ist die Grabschrift des Cono 1513. Von ihr zieht sich die große schöne Reihe bis zum Epitaph des Erasmus, wo ausgesprochen ist, daß, solange der Erdball daure, Erasmus in seinen Schriften weiterleben und sich mit den Weisen aller Völker unterhalten werde. Zwischen diesen beiden Polen sehen wir die unablässige Bemühung um klassische Grabschriftredaktion. Brilingers Sammlung ist reich an solchen Entwürfen. Rhenan, der schon dem Cono das Grab geweiht, konzipiert auch die Grabschrift für Johannes Petri und in wiederholten Fassungen diejenige für die Amerbache.


Unverkennbar ist Wirkung dieses bewußten Sichbeugens unter gemeinsamen Stilzwang, daß in humanistischen Schilderungen das Typische überwiegt, selbst bei Erasmus, der doch eindringend zu beobachten und scharf zu porträtieren vermag. Auch das persönliche Einzelbild der Humanisten selbst erscheint uns wie verschleiert. Das Individuelle und Charakteristische soll zurücktreten hinter der harmonischen Gesamterscheinung. Gleichmäßig geformt und gefärbt, nur durch wenige Machtgestalten unterbrochen, liegt das ganze Humanistenwesen vor uns. Die zahlreichen Darstellungen und Bezeichnungen in Briefen Dedikationen Grabschriften haben bei all ihrem Glanz und Klang nur selten etwas bestimmt Kennzeichnendes. Wir dürfen sagen, daß all dies Konventionelle die Spuren von Eigenart und Ursprünglichkeit tilgt. Aber wir sehen auch, wie diese Form dem unbedeutenden Menschen seine Haltung, dem unbedeutenden Geschehen sein Pathos geben kann.

Im Bewußtsein der Allen gemeinsamen Humanität kommt der Einzelne dazu, bei allem Selbstgefühle doch Eigenes preisgeben zu müssen. Seine wissenschaftliche und schriftstellerische Leistung wird hingenommen als ein Teil der über das persönliche Verdienst weit hinausgehenden humanistischen Tätigkeit und Offenbarung überhaupt. Es ist der Zustand der „wahrhaft kräftigen Zeiten, in denen die Einzelnen einander geben und von einander nehmen, ohne ein Wort zu verlieren“. Die allgemeine Bewegung, der allgemeine Zustand sind Alles. Wie in den Gebieten der Kunst und der deutschen Literatur geistiges Eigentum mißachtet werden kann, so bei den Humanisten.

[243] Schon das unbedenkliche Publizieren von Briefen bei Lebzeiten des Schreibers und des Adressaten ruht auf der Empfindung, ein solcher Brief sei aus der persönlichen und intimen Geltung übergegangen in den Bereich humanistischer Literatur. Daher auch so oft in Titel Vorrede usw. der Autor hinter dem Verleger zurücktritt. Anstandslos wird fremde Arbeit literarisch verwertet; z. B. Bonifaz Amerbach findet in den Papieren Alciats dessen Jugendgedichte und läßt sie ohne Wissen des Verfassers in Basel drucken; Rhenanus und Hollonius geben hinter dem Rücken des Erasmus eine „unter Beistand Merkurs (des Gottes der Diebe)“ ihm entwendete Auswahl seiner Briefe und seine colloquiorum formulae in die Pressen Frobens. Selbst das Herübernehmen einzelner Stellen aus einem andern Autor in das eigene Werk gilt nicht ohne weiteres als unzulässig und geschieht auch bei der Abfassung von Briefen, z. B. durch Cantiuncula, ungescheut und in großem Maße.

Bei solchen Anschauungen erklärt sich, daß Begriff und Recht des Autorhonorars sich nur zögernd entwickeln. Die erste Rücksicht gehört offenbar dem das Werk zum Gemeingute machenden Verleger. Daher auch sein Unternehmerrecht früher Schutz findet als das Recht des geistigen Urhebers

Für die Beurteilung des Nachdruckes aber kommt in Betracht, daß die Aufgabe der Presse ist, möglichst Vielen möglichst rasch zu dienen. Das Interesse des Lesers, des Forschers, des Lehrers und des Schülers steht in der ersten Linie und darf nicht gehemmt sein weder durch ein Recht des Autors noch durch ein solches desjenigen Verlegers, der das Buch zum ersten Male veröffentlicht. Das Nachdrucken ist an sich kein Unrecht; nur als unfein, incivils, wird etwa ein sofortiges Nachdrucken angesehen, das den Absatz des ersten Verlegers schädigen könnte.

Zahlreiche Fälle des Nachdruckes durch Froben werden uns bekannt; eine Hauptleistung auf diesem Gebiet ist das der alten Druckergesellschaft Amerbach-Petri-Froben gegenüber Koberger, am berühmtesten aber das behende Nachdrucken lutherischer Schriften durch Adam Petri.

Ordnung schaffende und verbindliche Rechtsvorschriften fehlen; daher suchen sich die Verleger selbst zu helfen. Eigenartig bei der Ausgabe des Neuen Testamentes: da wird viel Hebräisches in die Anmerkungen gesetzt, um durch solche Einschiebsel ein Nachdrucken zu erschweren. Das Hauptmittel aber sind die Privilegien, durch die der Nachdruck nicht an sich für unrecht erklärt, sondern nur für eine gewisse Zeit verboten wird. Vor Allem die kaiserlichen Privilegien. Solche werden erworben durch Froben für das Neue Testament und den Hieronymus 1516, durch Adam Petri für das [244] Plenarium und Murners Gäuchmatt 1518, durch Cratander für Ökolampads Dragmata usw.; die Schutzfrist ist beim Neuen Testament auf vier, beim Plenarium auf sechs Jahre bestimmt. Während die kaiserlichen Privilegien theoretisch für das Reichsgebiet gelten, erteilt neben ihnen der Papst Privilegien für das ganze Gebiet der Christenheit; so Leo X. 1516 dem Hieronymus. Aber diese doppelt, durch Papst und Kaiser, geschützte Hieronymusedition wird dennoch teilweise „imitiert“; der Nachdrucker ist Eucharius Hirzhorn in Köln, gegen den Froben deswegen Klage erhebt.


Das Leben des Humanisten soll Leben von bestimmter wissenschaftlicher und menschlicher Richtung, mit einem bestimmten Gehalte höherer Art sein, und wie jeder Verkündiger eines neuen Geistes will auch der Humanist seinen Geist weitertragen, sein Leben lehren; er will sein Wissen Anderen vermitteln und sie in seinem Sinne bilden.

Schon die großen moralischen Schriften des Erasmus (Encomium, Enchiridion, Antibarbarorum liber, die spätere Form der Colloquia)dienen diesem Willen in ihrer Bestimmung für einen möglichst großen und schon reifen Leserkreis. Deutlicher kräftiger, den Menschen sofort beim Beginne seiner Bildung anfassend ist die speziell pädagogische Literatur der erasmischen Erziehungslehren und Schulbücher (De ratione studii, De duplici copia,De pueris institutendis); auch an eine besondere Fürstenpädagogik ist dabei gedacht (Institutio principis christiani).

Soweit es sich um solche Schriftstellerei handelt, kann hier in Basel nur von Erasmus die Rede sein, nachdem noch der junge Rhenan durch Veröffentlichung von Schriften des Guarinus und Anderer im Geiste des lehrhaften Elsässer Humanismus gehandelt hat. Erasmus ist jetzt nicht nur in Basel der einzige, sondern zu dieser Zeit im Norden überhaupt der stärkste Vertreter solcher Ideen, wobei wir aber beachten, wie energisch er das praktische Erziehen ablehnt und Theoretiker bleibt.

Dem Orte Basel selbst angehörend ist tatsächliches Unterweisen; wir finden seine zahlreichen Spuren. Ungeduldig drängt das Leben zur Anwendung und Erprobung der Doctrinen, so daß wir durch die Jahrzehnte hin beständig unsern Humanisten als Erziehern begegnen. Überall schließen sich Lehrende und Lernende zusammen; weniger die einzelnen Forderungen der Lehrbücher gelten als der Geist Desjenigen, der gerade Lehrmeister ist. Auch alle Vorstellungen von einheitlich geordnetem Studienwesen haben wir ferne zu halten; die Fülle der Möglichkeiten ist übermächtig, die Freiheit des Einzelnen unberührt. Wie Reuchlin seiner Zeit Pädagoge des jungen [245] Hieronymus Zscheckabürlin gewesen ist, so erzieht jetzt Capito den Hartman von Hallwil, Nesen die jungen Stallburger, Ökolampad die pfalzgräflichen Prinzen. Überall ist Unterrichten Bilden Vorwärtsbringenwollen. Wie fest die Humanisten an die Bedeutung der Schule glauben, verraten sie oft genug; Erasmus stellt das Amt eines Schulvorstehers der königlichen Würde an die Seite. Und von den Privatvorlesungen Ringmans, von den amerbachischen Hauskursen des Cono und des Adrianus an überschauen wir diese ganze Bemühung, wie sie sich am eindrücklichsten offenbart in den privaten Lehranstalten, den Pädagogien und Konvikten der Lister Artolf Klett Fontejus Nepos Glarean.

Lauter Interna, aus denen wir nur zu wenig erfahren. Aber wir dürfen vermuten, daß jedes geistige Erlebnis der Sodalitas, ja der humanistischen Welt überhaupt auch in solche Lehrstuben hineinwirkt. Da ist Alles elastisch, frei von der Härte und Pedanterie akademischer Bursen, anziehend durch die Neuheit des Lehrstoffes wie der Methode. Da bilden sapientiaund eloquentia die große einheitliche Macht, nach der Jeder strebt. Da werden auch die Grazien herbeigerufen zu den Musen. Da wird nicht nur Wissen gelehrt, da werden auch Gefühl und Urteil und Geschmack erzogen, da wird zu guter Sitte, zu Reinlichkeit, zu Höflichkeit angeleitet. Alles mitten in der Stadt des „ungestümen Lebens“ und umgeben durch die grobianischen Gewohnheiten des Zeitalters.

Die Wirkung solchen Treibens auf Universität und Stadtschulen werden wir noch zu erwähnen haben. Sie verdient aber schon hier in ihrer allgemeinen Wichtigkeit gewürdigt zu werden: als Streben, die Menschen zur Humanitas zu erziehen, als eine die Bildung des Bürgertums erweiternde und erhellende Kraft. Wir denken an das hinter dieser Pädagogik Liegende, an den Enthusiasmus, der Alles belebt, an das Überzeugtsein von der absoluten Güte dieses Wollens und Wirkens. Was sich so mit dem Verlangen nach Leitung der gebildeten Welt in den verschiedensten Formen und Dimensionen bewegt, was Traktat Lehrbuch Schulanstalt Unterricht ist, bildet als Ganzes und Einheit eine Propaganda, in der wir eine der stärksten Äußerungen des Humanismus zu sehen haben.


Wir fragen nach dem Verhältnis der Humanisten zu Religion und Kirche.

Wenn vor Jahrzehnten die Basler Humanisten in der Mehrzahl sich zum Realismus bekannten, so entspricht dem jetzt die Haltung ihrer Nachfolger.

Die namhaftesten Figuren unsres Kreises erweisen sich als religiös gerichtete, sittenstrenge Männer, und ihre Äußerungen bezeichnen den weiten [246] Abstand dieses Basler Humanismus von demjenigen einzelner Italiäner oder Mutians. Sie wollen Jünger der Wissenschaften und Christi zugleich sein, literarum Christique cultores. In ihnen leben eruditio und doctrina, recta studia und vera peitas als Einheit; ihre Bildung ist vor Allem dazu bestimmt, der wahren Religion zu dienen.

Mit diesem Gesinntsein stehen die Humanisten in der Gemeinschaft einer Kirche, die auch als ihr Ziel den Dienst Christi verkündet, aber dabei der schärfsten Kritik derselben Humanisten sich aussetzt. Erbittert redet Rhenan vom Aberglauben, von den possenartigen Kultusgebräuchen, von den erdichteten Wundern, von der heidnischen und jüdischen Lehre dieser Kirche. Mit Widerwillen und beißendem Hohne verurteilt sie Erasmus. Ein verunreinigtes Christentum sehen die Humanisten vor sich.

Die Gemeinschaft der Kirche wird deswegen durch sie nicht preisgegeben, auch der Zwang der Kirche nicht durchbrochen. Zu tief wurzelt auch der Humanist noch in der Tradition. Freiheit von Autorität proklamiert er; aber vor dem ehrwürdigen und geheimnisvollen Ganzen der Kirche verzichtet er auf dieses Befreitseinwollen, begnügt und beruhigt er sich mit persönlichen Vorbehalten.

Im Übrigen allerdings wahrt auch der Angesichts der Macht und Ordnung der Kirche so läßliche Humanismus seine Rechte.

Zunächst durch die Forderung, daß die Theologie ihren Schwesterwissenschaften folge und, „zur Nützlichkeit der Erudition die Pracht der Eloquenz gesellend“, literarischen Wert erlange. Auch über göttliche Dinge dürfe nicht barbarisch, ohne Stil und Schmuck, geredet werden.

Mächtiger ist das Verlangen nach einer religiösen Erneuerung. Der Humanismus erstrebt auch hier die Reinheit der Anfänge. An den evangelischen Quellen sollen wir trinken, die wir bisher nur aus Pfützen geschöpft haben. Ohne Kenntnis der Sprachen sei auch die Erkenntnis des wahren Christus nicht möglich. So setzt Bruno Amerbach an die Edition des Hieronymus seine beste Kraft, damit die alte ächte Theologie wieder auflebe. Ähnlich denken und reden Capito Rhenan Glarean. Erasmus vollends sieht seinen Beruf darin, der Religion Christi und der wahren Theologie zum Siege zu verhelfen.

Sie Alle fühlen sich in der Arbeit für eine Renaissance des Christentums. Und Einzelnen kommen dabei auch Gedanken an die Antike, deren tiefstes geistiges Leben der Humanist selbst erst erschlossen zu haben glaubt, ein Leben, das nun nach Auseinandersetzung mit der herkömmlichen kirchlichen Bildungswelt verlangt. Die Beziehung liegt nahe, daß die purissima [247] Christi philosophia, in deren Dienste die humanistische Arbeit steht, dieses wiedergewonnene reine Evangelium, auch alles Große und Wahre umschließe, das Sokrates Plato Seneca und andre Weise des Altertums gelehrt haben.

Solcher Art etwa sind die Themen von Unterhaltungen zwischen den <prave haeretici — nach dem Witzworte der epistolas obscurorum virorum —, die sich im frobenischen Hause treffen. Auch hiebei wieder sind Kräfte von Italien her mittätig: die Lehren der in der Akademie zu Florenz sich an Plato Begeisternden, die in ihm den Paulinismus zu entdecken und durch solche Verbindung das wahre Christentum wiederzufinden meinten. Diese Lehren sind dann wohl durch Johann Cono nach Basel gebracht worden als die philosophia christiana, auf die er den Rhenan hinweist; durch John Colet in Oxford gelangen sie zu Erasmus.

Bei Diesem erscheint nun alles tiefer erfaßt und zugleich schärfer formuliert. Auch von ihm freilich ist die paulinische Auffassung des Christentums, die Gnadenlehre, nicht zu vernehmen. Was er vorträgt, ist eine auf dem Willen, Christ zu sein, und einem ruhigen Vorsehungsglauben ruhende Moral. Es ist die vielleicht aus Jugenderfahrungen im Kreise der Brüder vom gemeinsamen Leben geschöpfte Forderung einfacher praktischer Frömmigkeit, eines Wandels nach der im Evangelium der Bergpredigt verkündeten Lehre, eines Erstrebens der Gotteskindschaft durch die Nachfolge Christi. Dazu eine scharfe Kritik an der kirchlichen Überlieferung und am Dogma sowie, noch entschiedener ausgesprochen als bei den Andern, der Satz, daß diese philosophia Christi schon bei den frommen Heiden zu finden gewesen, daß das Wesentliche der christlichen Lehre schon durch sie vertreten worden sei.

Liebhaber der Musen, nennen sich die Humanisten. Aber auch misobarbari. Ringsum sehen sie diese gehaßten Barbaren stehen und haben durch sie ihre Bahn zu brechen. Es sind nicht nur die rohen und die frivolen Nichtwisser, sondern auch die „Sophisten“, die Vertreter alter Wissenschaft; eine Bildung abwehrend, die der Kirche gegenüber frei und selbständig sein will, hüten sie die „gotischen Disciplinen“; jedes Neue ist ihnen zuwider; „nur ihr eigener Mist gefällt ihnen.“ In dieser Schar von Verachteten ist der Verachtetste, trotz Leontorius und Cono und Pellican, der Mönch. Der in seiner Stumpfheit den alten wissenschaftlichen Ruhm der Klöster schändet, der ungebildet ist und dennoch eine Macht ausübt, der widerlich und unrein ist, „das Tier in der Kutte.“ [248] Wie eine völlig verlorene Zeit erscheint dem Humanisten, der sich vordem mit der traditionellen Schulweisheit beschäftigt hat, jeder hierauf verwendete Tag. Um so leidenschaftlicher äußert er sich über die noch immer jene Weisheit Lehrenden.

Sophisten und Mönche sitzen in nächster Nähe unserer Humanisten auf den Lehrstühlen der Universität, dieser Anstalt, die erst ein halbes Jahrhundert alt ist und doch, mitten in der Herausbildung neuer Dinge, in so Manchem schon wie ein zurückgebliebenes Stück früheren Zustandes aussieht.

Das Gefühl dieses Gegensatzes lebt hüben und drüben; es kann geradezu Haß werden. „Mit hochmütig gehobenen Brauen“ blicken die Universitätsherren Fininger Wonnecker Gebwiler Mörnach u. A. auf die Gegner herab. Diese klagen bitter, daß sie sich untergeordnet durchs Leben schlagen müssen, während jene nebulones, jene Windbeutel und Dunstmacher, in lauter Prosperität leben.

Aber die wichtigen Grenzjahre, die uns aus der amerbachischen in die froben-erasmische Zeit geführt haben, bringen Kräfte für Besserung auch dieses Verhältnisses.

Dabei ist vorerst an Ludwig Bär zu denken und an den Einfluß dieses mächtigen Mannes auf Universität und Rat. Dann aber an die Vieles überwindende Wirkung eines Menschen wie Glarean.

Dieser Gelehrte, als poeta laureatus mit besonderen Ansprüchen begabt, macht schon durch sich selbst Eindruck. Sofort nach seiner Herkunft von Köln 1514 erhält er die Befugnis zum Betrieb einer Burse und durch die Aufnahme in das Magisterkonsortium der artistischen Fakultät die Befugnis zum Dozieren. Eine neue Figur, eine völlig frische und ungewohnte Kraft tritt mit ihm in die akademischen Zirkel ein. Auch Capito hält von 1615 an Vorlesungen.

Wir wissen, daß gleich Glarean noch andere Humanisten Lehranstalten betreiben, und jede solche private und im neuen Geiste geführte Schule kann durch die Professoren als Herausforderung empfunden werden. Die Schüler sind meist inskribierte Scholaren der Universität, aber Lehrgang und Methode vom offiziellen Brauche verschieden.

So werden Konflikte unausweichlich. Wir vergegenwärtigen uns gerne diese Jahre, da die Gegensätze das bewegteste Leben schaffen. Am meisten natürlich um den starken und rücksichtslosen Glarean her. Seine Streitigkeiten mit akademischen Kollegen, sein Widerstreben gegen bestehende Ordnungen, erregen ein Semester nach dem andern. Die berühmt gewordene [249] Szene, da ihm sein Platz in der Aula nicht bewilligt wird und er daher in den Saal einreitet und auf seinem Pferde sitzend der Disputation beiwohnen will; dann im September 1516 das Herabreißen seines eine Senecavorlesung ankündigenden Anschlages durch die Gegner, sind Einzelheiten aus dem Kampfe.

Gekämpft wird, weil Tätigkeit gegen Tätigkeit steht. Das mächtige Arbeiten der Humanisten treibt die Universität dazu, ihre Kraft stärker anzuspannen. Unverkennbar hebt sich ihr Leben. Daher 1512 in Aussicht genommen wird, auch geistlichen Personen den Besuch von Vorlesungen über Physik und kaiserliches Recht zu gestatten. Daher dem Pädagogium eine neue Ordnung gegeben wird. Auch die Zunahme der Inskriptionen gibt das Bild gesteigerten Daseins.

Bemerkenswert ist, daß auch die städtische Behörde sich regt. Wir täuschen uns kaum durch die Annahme einer Gruppe im Rate, die eine Reformation der Universität will und dabei unter der Anregung und Beratung humanistischer Kreise steht. Wir denken an Adelberg Meyer, an den mit Rhenan befreundeten Jacob Meyer zum Hirzen, an den Stadtschreiber Gerster; der die Gelehrten und die Regenten zugleich repräsentierende Ludwig Bär ist Vermittler.

Die Wirkungen zeigen sich begreiflicherweise zuerst bei der juristischen Fakultät, wo staatliche Interessen direkt beteiligt sind. Hier ist der Einfluß des Zasius mächtig. Hier wird 1518 Claudius Cantiuncula Professor des Zivilrechts. Hier treten zu dieser Zeit auch Stephan Fredoleti und Thomas Murner ein.

Thomas Murner, dem Barfüßerorden angehörend, Doktor der Theologie und beliebter Volksprediger, geistreich, „von jeder Kunst etwas wissend“, kommt im Sommer 1518 nach Basel. Die Stadt ist ihm, dem Elsässer, von früher her bekannt; seinen alten Freund und Studiengenossen Johann Werner von Mörsberg findet er hier in hoher domstiftischer Würde. Er immatrikuliert sich bei der Universität und hält Vorlesungen über römisches Recht, mit einer städtischen Besoldung.

Hier publiziert er jetzt auch, verbreiteten Popularisierungstendenzen folgend, seine Übersetzungen aus den Rechtsbüchern; in demselben Bestreben, es den Leuten leicht zu machen, bedient er sich zum Unterricht im römischen Rechte des von ihm hiefür erfundenen Kartenspieles. Wie schon der Elsässer Mathias Ringman seine Schüler die Grammatik, der Pariser Jacob Faber die seinen die Verskunst durch das Mittel von Spielkarten zu lehren verbucht haben, so tut Murner. Er will Wissenschaft lehren und dabei die Arbeit durch das Spiel, den Ernst durch den Scherz ersetzen. In Krakau [250] hat er die Logik und die Prosodie zu Gegenständen von Schach- und Brettspiel gemacht; jetzt unternimmt er ein Ähnliches mit Rechtswissenschaft und Spielkarten. An ein Spiel im eigentlichen Sinne ist dabei freilich nicht zu denken, sondern an ein buntes mnemonisches Hilfsmittel. Murner verspricht seinen Schülern, ihnen auf diesem Wege die Institutionen in vier Wochen beizubringen.

Im Jahre 1519 erlangt Murner hier die Promotion zum Doktor der Rechte. In der prahlerischen Vorbereitung und im Erzwingen dieser Zeremonie, aber auch sonst in Tun und Reden, zeigt sich die vulgäre Art des Menschen, die ihn den Humanisten zu einem Greuel macht und zu einem Anstoß für die alten Herren der Fakultät. Zasius findet, daß die Anwesenheit dieses bekutteten Juristen die Universität tödlich verwunde, und fordert den Cantiuncula auf, als Arzt einzugreifen.

Unzweifelhaft gehört auch ein Wesen wie dasjenige Murners in den Verlauf der damaligen Umgestaltung; die Zeit schuf solche Elemente und bedurfte ihrer. In Basel selbst ging diese eine Erscheinung rasch vorüber. Schon im Jahre 1519 zieht Murner weiter, unter höhnischem Lachen die von ihm gedichtete Gäuchmatte der Stadt als Abschiedsgruß lassend.

Ein Memorial der Universität an den Rat im Juni 1518 zeigt uns die Lage der Dinge und die vorhandenen Meinungen. Mit Bitterkeit konstatieren Rektor und Regenten, daß die ehemalige Größe der Anstalt dahin sei; sie klagen über die Dürftigkeit der städtischen Hilfe, über die Nachlässigkeit einzelner Lehrer; sie verlangen gemeinsame Beratung des „zu Gutem der hohen Schule“ Nötigen.

Was damals an allen Universitäten als Modernisierung, als Reform von Organisation und Lehrmethode in humanistischem Sinne Fürsten und Städte und Korporationen beschäftigt, vollzieht sich vor unsern Augen auch in Basel. Die Universität selbst bietet die Hand; der Rat versteht sich zu regerer Teilnahme; bei einzelnen Maßregeln sind namentlich Bär und Cantiuncula tätig, die Beide dem Lehrkörper angehören und zugleich Fuß im Rathause haben.

Johannes Alexander Brassicanus in Tübingen wird für Übernahme einer Lektur geworben. Wolfgang Wissenburg erhält den Auftrag zu mathematischen Vorlesungen. Jacob Nepos liest über Homer. Namentlich aber betritt nun Glareanus wieder die Szene. Er denkt aus Paris zurückzukehren, und es ist beachtenswert, wie der in diesen letzten Jahren Gereifte seine künftige Arbeit und Stellung in Basel zu gestalten wünscht. Er will wieder eine Lehranstalt betreiben. Er begehrt kein öffentliches Honorar und [251] keinerlei Privileg, aber Freiheit. Nur der städtische Rat soll sein Herr sein, seine Zöglinge sollen gleich Bürgern der Stadt geschützt werden. Unabhängig von der Universität soll er nach seinem Ermessen Lehrer anstellen und die zu lesenden Autoren bestimmen können.

Also auf eine eigene größere Schulanstalt neben der Universität geht Glareans Sinn. Wir hören von ihm selbst, 1520, wie Bär und namentlich der zuverlässigere Cantiuncula sich der Sache annehmen, wie verhandelt wird. Die Fakultät natürlich will von einem solchen konkurrierenden Institute nichts wissen und hofft, durch eine Konzession in ihrem Bereiche, nämlich die Ersetzung des Unterrichts in den Logikalien durch eine Geschichtsvorlesung, das größere Unheil abzuwenden.

Welche Form im Einzelnen schließlich vereinbart wird, wissen wir nicht. Im Frühling 1522 trifft Glarean in Basel ein; er eröffnet eine Lehranstalt mit Konvikt und hält daneben Vorlesungen an der Universität.


Die Humanisten wollen in exklusivem Sinne nur ihren Studien und einer ihnen gemäßen Lebensführung angehören. Sie erstreben keine Wirkung auf die Masse, nur mit Gebildeten haben sie zu tun. Wozu auch gehört, was sie uns über ihr Verhalten zur Profansprache zu verstehen geben. In ihrem Zirkel findet kein lebendes Idiom von heute Beachtung und Pflege. Der „Genius“ schreckt davor zurück. Erasmus spricht nicht Deutsch und nicht Italiänisch; Glarean lernt in Paris, wo er fünf Jahre lebt, nicht Französisch. Dieselben Menschen, die sich ihr Leben lang mühen um Wohllaut und Fluß der geliebten Standessprache, des Lateinischen, schreiben bei Gelegenheit ein erstaunlich unbeholfenes und trockenes Deutsch.

Aber die Humanisten wollen auch nicht zu tun haben mit staatlichem Leben und politischer Parteiung, die nur Störungen ihres ruhigen Glückes sein können, die auch viele Talente absorbieren und den Wissenschaften rauben. Ihr Eigenstes ist auf Frieden und Stille angewiesen; es ist bei den sanften Musen, den placidae musae, und so umgeben sie es mit dauernder Opposition gegen die allgemeine Gewalttätigkeit und Wildheit. Kein Gegensatz frappanter als der zwischen diesem Leben in der humanitas, das ein streitloses zu sein vorgibt, und der kriegerischen Welt, in die hinein es gestellt ist. Allen voran preist Erasmus den Frieden, den „Schirmer der guten Studien“ und kämpft für ihn in Traktaten und in Briefen; ähnliche Äußerungen hören wir von Rhenan, von Myconius.

Ein Teil dieser Abkehr von öffentlichen Dingen ist der besondere Widerwille unsrer Humanisten gegen das Hofleben, dem doch so manche [252] ihrer auswärtigen Genossen sich gerne hingeben. Schon dem Sebastian Brant ist es als Etwas erschienen, das der freie geistige Mensch nur als Beschwerde empfinden könne; dem Bonifaz Amerbach ist es geradezu verhaßt; daher auch der Weggang Capitos von Basel in den Dienst des Mainzer Erzbischofs von Manchen ungerne gesehen und eine Schädigung seines ingenium, seiner Studien und seiner Integrität durch die Hofgeschäfte vorausgesagt wird. Das Gefühl geborner Reichsstädter mag hiebei mitsprechen, während Einige vielleicht erst mittelbar durch einen an den Alten genährten Republikanismus bestimmt werden. Erasmus allerdings ist königlicher Hofrat, hält sich aber nach Möglichkeit frei von Höflingsleben und Höflingspflichten.


Bei solcher Gesinnung hat das Verhältnis zu Basel seine besondere Art.

Das völlige Verschwiegenwerden der humanistischen Gesellschaft in zeitgenössischen Aufzeichnungen der Stadt will bei der Art dieser Chroniken überhaupt nicht viel besagen. Und wenn auf Seiten der Humanisten nichts Städtisches und kaum etwas Persönliches aus der bürgerlichen Laienwelt zur Sprache kommt, so gehört auch dies zum Stil ihrer Briefe. In der Wirklichkeit ist das tausendfache Verflochtensein auch dieser Einwohnergruppe mit dem alltäglichen Leben des Gemeinwesens selbstverständlich, auch ein Reichtum persönlichen Einzelverkehres natürlich. Der ungeheure und nicht zu messende Einfluß endlich auf Geist Wissen und Urteil der Stadt ist nichts Anderes als der dem Nächsten zuerst zukommende Teil einer universalen geistigen Wirkung.

Lebensvoll und überzeugend kommen uns auch einzelne Zeugnisse entgegen: da im Mai 1516 Erasmus wegreist, wird er von vielen Baslern zu Pferde bis vors Tor hinaus begleitet, und er sieht Tränen in ihren Augen; da Glarean im Frühling 1522 von Paris hieher zurückkehrt, wird er durch Scholaren und Bürger mit Jubel empfangen.

Als ein Gegenstück hiezu kann die Lobpreisung Basels durch Erasmus gelten. Denn Voraussetzung der Existenz des Humanismus in Basel und seines Gedeihens ist allerdings die Individualität unsrer Stadt, eine ihr eigene geistige Luft, die diese Menschen hier leichter atmen läßt als anderswo.

Dennoch ist ein Abstand nicht zu verkennen. Schon Das kommt in Betracht, daß die Humanisten meist Eingewanderte und Fremde sind, daß sie sich der Stadt nicht assimilieren, vielmehr meist nur einige Zeit hier weilen und dann wieder Weiterziehen. Die Buchdrucker erwerben in der Regel das Bürgerrecht, um ihrer geschäftlichen Interessen willen; die Gelehrten, [253] auch die Jahre lang hier wohnenden, fühlen in sich keinen Beruf zum Städter. Doch ist Ludwig Bär geborner Basler; auch daß unter den im Herbste 1515 zum Heerzug Ausgehobenen ein Mann wie Bruno Amerbach steht, macht einen singulären Eindruck. Die Meisten sind ledigen Standes, und auch dies isoliert sie.

Das Gemeinwesen als solches kümmert sich kaum um diese Leute. Selbst einem Erasmus gegenüber übt der Rat weder Teilnahme noch Munificenz; höchstens daß er ihm bei der Herkunft den Ehrenwein gibt. Was Erasmus damals, in einem Brief an Wolsey, von Förderung der Gelehrten und ihrer Studien dem Minister eines Monarchen zutraut, erlebt er auch zum kleinsten Teile nicht in Basel. Aber indem für den Staat Basel diese ganze glorreiche Gruppe gar nicht vorhanden zu sein scheint, ist auch gegeben, daß er sie nicht plagt, sie in keiner Weise stört. Er läßt sie gewähren. Indem er möglich macht, daß „die tüchtigsten Geister und die ruhige Forschung sich hier zusammenfinden“, gewinnt er der Stadt den Ruhm einer Stätte geistiger Freiheit.


Ein tieferes verpflichtendes Ortsgefühl ist hienach bei unsern Humanisten nicht wahrzunehmen. Aber wir hören ihre zahlreichen Äußerungen, in denen ein deutsches Nationalgefühl laut wird. Innerhalb der Weite weltbürgerlicher Humanität empfindet der Sinn für das ausgebildet Menschliche deutlich die Besonderheit des Nationalen; gerade die Universalität des neuen geistigen Lebens und Strebens treibt jede der wetteifernd daran beteiligten Nationen zum Bewußtsein ihrer selbst, ihrer eigenen Art und Kraft.

So waltet der Stolz, deutscher Humanist zu sein, der Patriotismus des Celtis und des Bebel, auch in den Männern unsres Kreises.

Vorab als Empfindung des Gegensatzes zu allem Wälschen.

Unverhüllt zeigt sie sich in der Antipathie gegen Frankreich und die Franzosen, die eingeboren ist und sich durch keine wirtschaftlichen Beziehungen, keinen wissenschaftlichen Verkehr irre machen läßt. Die alte Erregtheit des Rheinlandes über die „wälsche Gefahr“, gerade jetzt leidenschaftlich gesteigert und durch die gelehrte Diskussion der Wolf Wimpfeling Peutinger über das Deutschtum der linksrheinischen Gebiete begleitet, von der andern Seite her die alles öffentliche Leben der Eidgenossenschaft aufwühlende Parteiung in Kaiserlich und Französisch, wirken auch in die Stimmung der Basler Humanisten. Diese äußert sich unaufhörlich. Bis zur Aufzeichnung der Spottverse von den welkenden Lilien Frankreichs durch Brilinger; bis zum Schelten Bürers über die unzüchtigen Franzosen, die er im Sessel trifft; [254] bis zur Verspottung der Pariser Studenten durch die Schüler Glareans. Der heftige Zasius wird nicht müde, seinen Widerwillen gegen das französische Wesen zu bezeugen, und in einem wichtigen Briefe fordert Erasmus 1518 den Wilhelm Nesen in Paris auf, sich als Deutschen zu bewähren und auch an seinem Teile den Schein zu widerlegen, als ob die Galli den Germani geistig überlegen seien.

Eigenartiger ist das Verhalten gegenüber Italien. Auch in den Humanisten lebt das nationale Empfinden, das sich durch die gravamina gegen Rom Luft macht; aber daneben stehen sie als Forscher und Literaten unter der Bezauberung durch die großen italiänischen Autoren. Bis auch hier der Widerwille wach wird. Wider die Nation als solche, namentlich aber wider ihre hochmütigen Gelehrten, die in gleicher Weise die „barbarische und kindische“ Wissenschaft der Deutschen verspotten, wie die italiänischen Künstler und Kunstschriftsteller die deutsche Baukunst. Es regt sich das Bewußtsein, durch die eigene Kraft es Jenen gleichtun, ja sie übertreffen zu können. Gelehrte Drucker Buchhändler stellen sich unter die Gewalt eines solchen Wetteifers; Amerbach und Rhenan und Zasius streben zur Überwindung ultramontaner Wissenschaft, Froben will Rivale des Aldus sein. Dann aber sammelt sich all dieser Ehrgeiz um Person und Werk des Erasmus, der die Leuchte Germaniens ist und der Vorkämpfer für die geistige Herrschaft. Was einst Rudolf Agricola vorausgesagt hat, scheint jetzt Vielen durch Erasmus erfüllt zu sein: Latium ist die Palme entrissen, Italien überwunden, die Führung der Geister im Norden.

Wir sehen, wie aus der Notwendigkeit der Abwehr fremder Willkür und Arroganz das immer stärkere Gefühl der eigenen Ehre, der Herrlichkeit des eigenen Landes erwächst. Das deutsche Altertum in seiner Stärke und seinem Ruhme wird jetzt wieder lebendig; Tacitus tritt neu ans Licht; den Arminius erhebt Hutten zum Begründer der deutschen Freiheit. Im Mittelalter, das die Italiäner als eine Periode des Verfalles und der Barbarei zu verachten pflegen, in dieser Zwischenzeit voll „dunkeln tiefen energischen Wirkens“, erkennt der deutsche Humanist die eigene große Vergangenheit. Er sammelt die Kunden von den Kämpfen der alten Kaiser gegen dasselbe römische Papsttum, dessen Ausbeutung Deutschlands heut einer allgemeinen Opposition ruft. Wissenschaftliche und patriotische Gedanken gehen dabei durcheinander. Erasmus freilich ist wesentlich auf Weltbürgertum gestimmt. Aber neben dem historisch begründeten Hochgefühle Rhenans hat die Begeisterung des Ulrich Hugwald für sein „geliebtes Vaterland Deutschland, die edelste und christlichste Nation“, ihre Stelle. Es ist Teilnahme an der [255] gerade damals, im Zeitalter Maximilians, mächtig ansteigenden nationalen Stimmung des deutschen Volkes.

Auch in Basel fühlt sich der Humanist auf deutschem Boden, unberührt von allen Debatten und vom Streite der Schweizer und Schwaben. Inclyta Germaniae Basilea heißt die Stadt immer und immer wieder auf den Titelblättern der zahllosen hier gedruckten schönen Humanistenbücher. Da Erasmus 1514 herkommt, lernt er hier Deutschland kennen. Hier ist das große geistige Germanien, ihrer Aller Heimat und Arbeitsfeld, das der politischen Grenze nicht achtet.

Nur Glarean steht hiebei etwas abseits, mit einem spezifisch schweizerischen Patriotismus. Er hat das Gefühl einer persönlichen Pflicht, für die gloria Helvetiorum einzustehen. In seinen Gegnern beim Streit um die logicalia, in den reaktionären Lehrern der Universität, sieht er Überrheiner und Schwaben; er träumt davon, daß das rechte Rheinufer mit dem Schwarzwald einmal zur Freiheit gelangen d. h. schweizerisch werden möge.

An der allgemeinen Huldigung der deutschen Humanisten an Kaiser Maximilian beteiligen sich auch die Basler. Aber zu wirksamer persönlicher Berührung kommt es dabei nicht. Die paar Dedikationen an den Kaiser, das Panegyricon Glareans, die Hymnen und Traueroden beim Tode von Max wollen nicht viel besagen.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ben
  2. Vorlage: is