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das Bild derjenigen Welt, die von Erasmus lebt, auch der Basler Welt, weniger sein Bild selbst.

In diesem verbindet sich Großes mit Kleinem; bald tritt der Heros vor, bald der befangene Mensch. Eine außerordentliche Spannkraft und Beweglichkeit des Geistes hat zur Seite eine nicht gewöhnliche Sensibilität. Wie diese den Erasmus das Glück seines Lebensgefühles, seines Strebens und Vollbringens gesteigert genießen läßt, so gesteigert leiden das Widerwärtige von Anfeindung und Mißlingen. Sie läßt ihn die „Tragik des höheren Menschen“ in besonderem Maße dulden. Der in Allem wählerische, nichts Unharmonisches und Unfeines ertragende, von Speise Luft und Himmel merkwürdig abhängige Erasmus, dem der Ofendunst eine Qual und der Lärm der Wirtsstuben ein Greuel ist, zeigt sich noch stärker beherrscht durch seine Empfindlichkeiten im Geistigen.

Von früh an hat Erasmus nach Freiheit von andern gestrebt, lebenslang jedes Schul- oder Parteibekenntnis abgelehnt. Daß er mit Unzähligen guter und schlimmer Art zu tun bekommt, ist unausweichlich; aber die dabei gemachten Erfahrungen lassen ihn, den Reizbaren, der von Allen verstanden und geschätzt sein möchte, sich vielleicht an einzelne Wenige anschließen, doch dem Menschengeschlechte gegenüber kühl ablehnend sein. Aus selbstsüchtiger Klugheit, aus Freiheitsbedürfnis, aus leicht erregbarem Mißtrauen, aus Ängstlichkeit, aus Scheu vor Unruh und Gewaltsamkeit. Aber damit ist auch sein Geschick gegeben, daß er in großen Momenten, die Kraft und Willen Andrer verdoppeln, ausweichen und schweigen muß. Zur Bestürzung Solcher, die ihm Alles zutrauen aber sein Innerstes nicht kennen, dieses mobile et anxium ungenium, das durch eine höchste Gerechtigkeit seinem stolzen Selbstbewußtsein beigegebene bittere Empfinden einer Unzulänglichkeit.

Ergreifend ist dabei, wie Erasmus bis in die Fünfziger Jahre fast nur das Glück und den Glanz gloriosen Emporsteigens genossen hat und dann von allen Seiten her die Angriffe schonungsloser Gegner beginnen, neue Probleme mächtigster Art sich vor ihm auftürmen. In Kämpfen und oft trüben Stimmungen vergehen ihm seine letzten Jahrzehnte.


Das Bild dieser Wenigen — Rhenan Bär Capito Glarean Erasmus — ist dadurch bestimmt, daß sie nicht isoliert, sondern inmitten Vieler zu ihnen Gehörender stehen. Wie sie selbst Vertreter und Geschöpfe einer allgemeinen Geistesbewegung sind, so haben die sie umdrängenden Gestalten denselben Ursprung, wenn auch weniger willig und fähig zur Aufnahme und Wiedergeben

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Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/179&oldid=- (Version vom 1.8.2018)