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Basel beinah als die Geburtsstätte der klassischen Philologie Deutschlands bezeichnet werden kann.

Wir vergegenwärtigen uns die damaligen Zustände und ahnen die mit solcher Edition verbundenen unendlichen Mühen. Wie zählt Glarean die Mengen seiner Emendationen und Noten in der Ausgabe des Dionys von Halikarnaß auf! Wie schildert Rhenan seine Arbeit am Tertullian und am Vellejus, seine Nachtwachen, seine Anstrengungen! Mit den Kämpfen Englands wider die Franzosen und Schotten vergleicht Erasmus das von ihm als Editor des Seneca Geleistete; nur daß bei ihm an Stelle des Schwertes die Schreibfeder gewesen, an Stelle des Mars die Musen, an Stelle der Heerscharen das Ingenium!

Diesem Allem entspricht dann auch die Vollendung, die Freude des Editors der überwunden hat. Da tritt sein Werk „mit Majestät“ in die beglückte Welt hinaus.


Wir aber machen uns klar, wie dieser stillen einsamen Editionsarbeit fast immer die Unruhe von Handschriftensuchen Schreiben und Reisen vorausgeht. Das Verlangen nach der reinen Quelle und die textkritische Pflicht treiben dazu, die verborgenen Schätze ans Licht zu heben. In einer Zeit, da jede Reise mühevoll und gefährlich und die Korrespondenz unsicher ist; in einer Zeit, die keine allgemein zugänglichen Inventarien, keine Bibliographien, überhaupt keine Organisation der wissenschaftlichen Arbeit kennt, deswegen aber auch einzigartige Entdeckerfreuden gewähren kann.

Wie einst die Humanisten Italiens getan, so mühen sich jetzt die Basler um Codices. Aus ihrem großen Sammelplatze von Gelehrten und Druckern ziehen sie nach allen Seiten hinaus, zu suchen und zu finden; neben der schwer befriedigten Gewissenhaftigkeit des Quellenforschers lebt in ihnen die Aufregung des Schatzgräbers, des Jägers. Schon Johann Amerbach hat seine Helfer mit solchen Aufträgen reiten lassen. Jetzt wiederholt sich dies. Entdeckungen und Überraschungen sind noch immer möglich; diese Generation sucht und findet mehr als die Frühern.

Vor allem die Klosterbibliotheken, wo der Humanist bei den sonst verachteten Mönchen zu Gaste gehen muß, bergen neben den gewohnten Haufen von Mammotrecten Vokabularien usw. noch immer alte Autoren als Juwelen. Und außer den Klöstern leben da und dort noch andere Handschriftenbesitzer.

Die Hinweise auf solche Schatzkammern, die Nachrichten über gemachte Funde, das Heraufbringen ans Licht einer verschollen gewesenen Handschrift

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 212. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/233&oldid=- (Version vom 14.12.2022)