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Und nur der so zugleich Gelehrte und Gebildete kann als der wahre, der vom Barbaren unterschiedene Mensch gelten. Nur er ist doctus et humanus. Nur er besitzt Würde und reine Menschlichkeit, freies edles Menschentum, humanitas. Dieser hohen Herrin Humanitas, die auf ihrem Triumphwagen einherfährt, von Homer und Demosthenes und Virgil und Cicero geleitet, dient er freudig. Er ist der „klassische Mensch“, der Humanist.

Unverkennbar aber weitet sich dieser Begriff von Humanität allmählich über das geistige Gebiet hinaus. Es besteht der feste Glaube, daß der frei gebildete Mensch vermöge dieser Bildung auch ein wohlgearteter, ein guter und reiner Mensch sei. Zum Humanistenideal gehört auch die integritas, die puritas vitae, der candor. Der Humanist ist ausgezeichnet in literis et moribus.

Bis schließlich die humanitas auch die urbanitas umfaßt, vom Humanisten auch die Humanität im allgemeinen Sinne gefordert wird, die Menschenfreundlichkeit Höflichkeit Güte. Auch um dieser Tugenden willen erscheint Rhenan als eine Zierde der Humanistengesellschaft, und Erasmus übertrifft an Humanitas sogar die Grazien.


Durch solche Forderungen beherrscht erscheint der Basler Humanismus. Er will, daß sich der „Mensch“ heraus- und hinaufarbeite und gestalte. Ohne die Poetenmanieren eines Celtis u. dgl. Auch ohne die Pose einzelner Italiäner. Wissenschaftliche Tätigkeit, freie Denkart, Pflege strenger und schöner Form der Äußerung, pädagogisches Wirken, ernste Haltung sind die Hauptzüge seines Bildes. Was außerdem sich in Lebensgefühl und Lebensführung als Humanisteneigenart geltend macht, ist sekundär.

Die Gesamtheit dieser Humanisten gibt uns die Vorstellung der vielen über ihre Schreibtische Gebeugten, zu einer Zeit, da man draußen von Basel zu sagen pflegte, daß hier in jedem Haus ein Gelehrter sitze.

Wir sehen sie sacra musarum tractare haben ihre Werke vor uns, Zeugnisse zahlloser Stunden voll Mut Mühsal und glückseliger Inspiration.

Wir bestaunen ihre Arbeitsamkeit, ihren Scharfblick, die große Conception ihrer Gesamtausgaben und universalen Sammlungen.

Wir hören das nie aussetzende Geräusch ihres oft aufgeregten geistreichen Verkehres.

Es ist unendlich viel, und doch kann es uns nicht befriedigen. Wir wünschten weiter hinein dringen zu können. Hinter all der Humanitas suchen wir das einfach Menschliche. Hinter dem Methodischen und Gelehrtenhaften möchten wir das warme innere Erleben und die Leidenschaft fühlen.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/254&oldid=- (Version vom 1.8.2018)