Seite:Wackernagel Geschichte der Stadt Basel Band 3.pdf/244

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

möchte die ganze Bibel in solcher gereinigten Gestalt besitzen. Überall hin geht das Buch und gewinnt dem Erasmus neue Freunde und Bewunderer. Aber auch die Gegner regen sich.

Erasmus selbst ist sich des großen Neuen und Kühnen seiner Tat durchaus bewußt. Daher er den Leser zu gründlicher Prüfung der Arbeit auffordert und ihre Art und Absicht ihm darlegt. Nicht Eleganz aber Richtigkeit ist das Ziel; die graeca veritas, der Urtext, soll die einzige Quelle sein und die Grundbedingung richtigen Schriftverständnisses. In des Erasmus Äußerungen über die Pflicht der Kritik, über die Bedeutung auch kleiner Verschiedenheiten, über den Wert des das Heilige bergenden Wortes lebt ein tiefes Gefühl, eine Ehrfurcht, aber auch der Stolz auf das Geleistete. Das Buch soll in erster Linie nicht einem wissenschaftlichen Zwecke dienen; es ist mehr als eine Humanistenedition, „eine reformatorische Tat“.

Wie Erasmus vor zehn Jahren die Ausgabe des Vallakommentars mit dem Namen des päpstlichen Protonotars Christian Fischer gedeckt hat, so schirmt er jetzt sein Neues Testament mit dem Namen Leos X.; diesem Papst ist die Edition gewidmet.

Schon im Sommer 1516 aber denkt Erasmus an eine zweite Auflage, in der das Überstürzte der ersten verbessert werden soll. In Löwen wird diese Arbeit begonnen, in Basel fortgeführt. Unter Beigabe des Breve Leos X., das Erasmus durch Vermittlung Puccis sich erwirkt hat und in dem der Papst die Edition approbiert, erscheint das Buch im März 1519 bei Johann Froben.


Das Streben, die reineren Quellen christlicher Erkenntnis aufzudecken, führt den Humanismus auch zu den Kirchenvätern. Einst im dreizehnten Jahrhundert haben sie als die Veralteten gegolten gegenüber den neuen Meistern, den Scholastikern; jetzt kommen sie wieder zu ihrem Rechte durch die Arbeit der die Scholastik Bekämpfenden.

Überall rauschen und brausen unsern Humanisten die Quellen. Auch die Patres werden von ihnen gewürdigt. Die mächtige Energie, mit der sich der Basler Humanismus der Sammlung und Publikation ihrer Werke annimmt, gibt ihm das Recht, zu den Begründern der modernen Patristik gezählt zu werden.

Wieder haben wir auf Johann Amerbach zurückzugreifen. Durch seinen Freund und Mitarbeiter Heynlin angetrieben, will er außer der Bibel die Werke der heiligen katholischen Männer, insbesondere diejenigen der vier großen

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Wackernagel: Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band. Helbing & Lichtenhahn, Basel 1924, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wackernagel_Geschichte_der_Stadt_Basel_Band_3.pdf/244&oldid=- (Version vom 1.8.2018)