ADB:Wilhelm I. (deutscher Kaiser)

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Artikel „Wilhelm I., Deutscher Kaiser, König von Preußen“ von Erich Marcks in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 42 (1897), S. 527–692, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Wilhelm_I._(deutscher_Kaiser)&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 02:57 Uhr UTC)
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Wilhelm I., Deutscher Kaiser, König von Preußen.

1. 1797–1815.

Deutlicher als irgend ein anderer Staat ist der preußische das Geschöpf seiner Fürsten. Durch sie ist er entstanden; ihre starken Persönlichkeiten haben sich ihm selber auf das tiefste eingeprägt. Wie verschiedenartig sind diese Hohenzollern gewesen! Fast immer in harten Gegensätzen hat sich die Entwicklung, vom einen zum andern, weiterbewegt. Und doch ist es, über die niemals allzu langen Zwischenräume hinweg in denen sie ganz abzubiegen scheint, eine einzige, genau zusammenhängende Entwicklung gewesen, und die schroffe Selbständigkeit ihrer größten Träger, so ungebrochen sie blieb, hat sich dem gemeinsamen Werke ein- und untergeordnet, den Aufgaben, welche die armen und zersprengten Lande ihres Herrschaftsgebietes und das aus zwingendem Pflichtgefühl und schöpferischer Selbstsucht gemischte Streben ihres eigenen hohen Ehrgeizes ihnen gestellt. Ueber die Sonderart der ragenden Einzelnen hinweg umschließt sie alle das gemeinsame Band eines Wesens, das sie in ihren Staat hineingebildet haben, entsprechend seiner norddeutschen und ostdeutschen Eigenart, und doch erst ein Gebilde des Hauses Hohenzollern: eines Wesens, das dann für sich selber eine historische Macht geworden ist, des preußischen. Unverkennbar genug hat es sich ausgestaltet: nüchtern, ernsthaft, soldatisch, hausväterlich und genügsam, hart und streng in der Hingabe an die gebieterische Pflicht, an die Macht dieses Staates, arbeitend mit beschränkten Mitteln und manchmal mit beschränktem Ziele, und doch am letzten Ende immer mit sicherem Stolze hinausdrängend in die Weite einer gewaltigen Zukunft. Die Gesinnung und Gewöhnung, die diesem Streben entsprang, wurde das Altpreußenthum. Der Genius ging in diesem Vermächtnisse des Staates nicht restlos auf; er regte die Flügel und hob sich und seinen Staat in die hohe und freie Luft empor; aber auch ihm war jenes gemeinsame, sittlich-politische Besitzthum eigen und vor allem werth. Einer schwachen Natur, die doch daran festhielt, mochte es zum Halte, zum Segen, zugleich zur engen Schranke werden: so war es bei Friedrich Wilhelm III.; in Einem hat sich dieses Preußenthum ganz verkörpert, derart, daß seine Persönlichkeit nicht darüber hinaus ragte, aber auch nicht dahinter zurückblieb; derart, daß die Persönlichkeit im Sachlichen ganz aufzugehen, das Persönliche in ihm, obgleich es keineswegs schwächlich und farblos war, ganz vor dem Historisch-Allgemeinen zurückzutreten schien: das war Friedrich Wilhelms III. Sohn, Kaiser Wilhelm I. Wie überwältigend reich ist der sachliche Inhalt seines Lebens gewesen, das ein großes Jahrhundert umspannt, sich mit dessen Kräften berührt, auseinandergesetzt, durchdrungen, sie zuletzt ergriffen und geleitet hat! Auch auf sein inneres Wesen haben diese Bewegungen so vieler Jahrzehnte umgestaltend, weiterbildend zurückgewirkt – wie einfach aber erscheint inmitten all dieses Wechsels und der Fülle der Ereignisse und Erfolge sein inneres Wesen selbst! Wie wenig eigentliche Räthsel gibt es auf! Man sucht die Elemente auf, aus denen es zusammengewachsen sei; man finde sofort in dem Sohne das Ebenbild seines Vaters: alle entscheidenden [518] Züge Friedrich Wilhelms III. wiederholen sich in ihm, die schlichte soldatische Art, die Bescheidenheit und Mäßigung, die gehaltene Wärme – nur freilich alles gesteigert und gefestigt, aus dem Matteren und Spröderen hinaufgehoben in das Frische, Helle, Gesunde, Feste: es ist der Segen der mütterlichen Erbschaft Königin Luises, der alsbald in das Auge springt. Der Biograph, dem Stoff und Arbeitskraft wie der große Gegenstand sie fordert, voll zu Diensten stehen, wird diese klaren Aehnlichkeiten und Abweichungen in das Feinere hinein, er wird sie ferner über das Elternpaar in die Vorgeschichte hinauf verfolgen; was er da auch in vorsichtiger Prüfung etwa feststellen mag, die wahre Genealogie der gesammten Art Wilhelms I. wird doch wol immer in der staatlichen Ueberlieferung, die er verkörpert, und weit weniger im eigentlich Persönlichen zu finden sein. Und dieses Gesammtwesen des Herrschers und des Mannes, scheint es, vermögen wir schon heute ungefähr zu greifen. Seine Geschichte ist noch von dichten Nebeln umzogen und allzu oft sind es die wichtigsten Fragen, die uns beinahe ganz dunkel bleiben; auch seine seelische Entwicklung soll uns ihre feineren Wandlungen fast alle erst noch enthüllen: sein persönliches Bild im Ganzen tritt dennoch deutlich heraus, dem feineren Auge kaum anders sich darstellend als dem gröberen; und wir empfinden, es ist wirklich der Inbegriff einer langen Entwicklung, der in diesem ehrwürdigsten der Herrscher Gestalt gewinnt. In ihm ist die altpreußische Vergangenheit, die altpreußische Art, der altpreußische Staat; in ihm hat sich all das ausgeglichen und vollendet, nicht in genialer, und dennoch in großartiger Erscheinung; in ihm hat es sich selber überwunden und dann sein Bestes hinübergetragen in eine neue Zeit; in ihm bleibt es historisch unsterblich auf immer.

Noch Friedrich Wilhelm II. hat den Prinzen Wilhelm, den am 22. März 1797 im kronprinzlichen Palais zu Berlin geborenen zweiten Sohn seines Thronfolgers, über die Taufe gehalten; unter den Pathen waren zwei Brüder Friedrich’s des Großen, und neben preußischen, oranischen und hessischen Verwandten das russische Kaiserpaar. Dann trat, im November 1797, Friedrich Wilhelm III. seine Regierung an; in dessen friedliche Anfangsjahre gingen alle glücklichen Kindheitserinnerungen des Sohnes zurück. Wir sehen diese Jahre durch einen grauen Schleier hindurch: die Zeit der fortschreitenden innerlichen Zersetzung des fridericianischen Staates; unter einem unselbständigen Könige, der das Nothwendige ahnt aber nicht ergreift, unter stiller Wandlung der Ueberzeugungen und vielfältiger Fortführung oder Anbahnung wichtiger Reformen bleibt dennoch das Ganze des alten Systems ungebrochen, während sich draußen im Westen eine neue Welt gestaltet hat, die innerlich durch hundert Einflüsse auf Preußen wirkt, äußerlich drohend an dessen Pforten klopft; weder aufnehmend noch kämpfend rechnet man bei Zeiten mit ihr ab. Leblos ist Preußen keineswegs, aber sein Leben entspricht der Größe und der Gefahr der Zeiten nicht; alle Kräfte bleiben doch noch gebunden. In die Welt der jungen Königssöhne drang das alles nicht. Sie spürten Einiges von dem weichen Idealismus der zu Rüste gehenden Epoche, von der Empfindungs- und Redeweise des 18. Jahrhunderts, Nichts von den erschütternden Kämpfen, in denen jenes Alte sich umbildete; was an sie herantrat, das gehörte fast ganz der rein menschlichen Welt des häuslichen Daseins oder aber der unveränderten Bethätigung des alten heimathlichen Staates, seiner militärischen Sphäre an. Zuerst umgab sie ganz die Wärme des elterlichen Hauses, das Allen in Preußen das Vorbild herzlichen einfachen Zusammenlebens bieten wollte; der Vater in seiner knapperen und nüchternen Art, aber gütig und glücklich; die Mutter lebhaft, hochgestimmt, noch ganz in der Frische der Hoffnung und des Frohsinns. Da mochten sie denn in Schloß oder Gutshaus harmlos aufblühen, [519] im vollen Sonnenscheine unbefangener Liebe; sie athmeten reine und gesunde Luft. Denn die Idylle hatte bei Königin Luise, so sehr diese im Einflusse der Zeitbildung stand, nichts Spielerisches und nichts Kokettes; die Menschen- und die Gottesliebe, die sie ihren Kindern beibringen wollte, war echt. „Zu wohlwollenden Menschenfreunden“ sollten sie gebildet werden; der Erzieher, dem 1800 der Kronprinz und dann auch Prinz Wilhelm zugewiesen wurde, Delbrück[WS 1], war ein Philanthropinist, ehrlich und warmherzig, zugleich weich – so scheint es doch – bis zur Schwächlichkeit. Seine Einwirkung auf den empfänglichen und beweglichen Geist des Kronprinzen hat später mancherlei Tadel und Widerstand auch bei der Mutter gefunden; in diesen ersten Jahren aber mag doch die Art Delbrücks ihrem eigenen, noch ungehärteten Empfinden ganz nahe gestanden haben. Sie freilich hat nie daran gedacht, ihre Söhne nur als Menschen zu erziehen, wie es die Strömung des Tages forderte; sie führte sie früh zugleich in etwas weitere Kreise hinaus, unter die Bürger von Berlin, am liebsten allerdings auch da zu Werken menschlich theilnehmender Wohlthätigkeit. Aber auch vom Glanze des Hoflebens wurden sie allgemach berührt; vor allem sorgte ihre Stellung und sorgte der Vater, dessen einfache Verständigkeit und rationalistische Wohlmeinung im übrigen mit allen Maßregeln der mütterlichen Erziehung ganz einverstanden sein konnte, frühe dafür, sie auf das Heer, als die eigentliche Schule der Hohenzollern, vorzubereiten. Daß die Weichlichkeit der Delbrück’schen Pädagogik auf den jüngeren der beiden Brüder irgend welchen Einfluß geübt hätte, davon hören wir nie: seiner fester gefügten Seele – die damals freilich in zartem und schwächlichem Körper steckte – ist Alles, was den Kronprinzen in den Bahnen seiner reicheren und ungesunderen Eigenart weiter trieb, nur zum heilsamen Beisatze geworden. Ganz früh begann der Exercirunterricht der Prinzen; zu Weihnachten 1803 folgten – vorerst noch im Spiele – die ersten Uniformen. Dann aber zog das Geschick den Sohn wie die Eltern aus der Stille dieser Jahre heraus, alles Gute, was in ihm angebahnt war, vertiefend, jeden Mangel, der geblieben sein konnte, ausgleichend bis zum Uebermaß.

Prinz Wilhelm erlebte allen Jammer der furchtbaren Jahre von 1806–10 leidend und lernend mit: die Flucht nach Königsberg (Oct. 1806), die schlimmere nach Memel (Jan. 1807), das verzweifelte letzte Ringen um die Ehre und den Bestand Preußens, die Demüthigung und den entsetzlichen Druck des Friedens, den neuen Königsberger Aufenthalt von Anfang 1808 bis gegen Ende 1809. Als er dann nach Berlin zurückkehrte, hatte der nun beinahe 13jährige Knabe über drei Jahre im Zwange offenkundiger Verbannung gelebt. Die Eindrücke, die er ganz fassen konnte, waren die der Niederlage, der Schmach, des tiefsten Elends, und die des Heldenmuthes, mit dem sich seine Mutter diesem Elende entgegenstemmte, den sie von Anfang an ihren Kindern einzuimpfen trachtete. Sie hatte ihnen die erste Kunde der Niederlage in Worten mitgetheilt, deren, im Sinne der Zeit, ganz antike Form doch nur die natürliche Hülle einer durchaus wahren und durchaus heroischen Gesinnung bildete; sie hatte sie damals aufgerufen zu unverlierbarem Gedächtnisse dieser Stunden und zu unermüdlichem Kampfe, zur Mannhaftigkeit, zum preußischen Stolze, zu einer Kraft, die lieber den Tod als die Schande ertrüge. Sie hatte seitdem den Widerstand bis zuletzt vertreten; wie sie sich selber mit dem vaterländischen Pathos Schillers durchdrang, so wies sie die Ihrigen auf die Größe der preußischen Vergangenheit hin; Wilhelm las in diesen Jahren die Geschichtswerke Friedrichs des Großen. Er hatte überdies vor Augen, wie eine Reihe hoher Männer das gesunkene Preußen wieder aufzurichten begann; kein Zweifel, daß die stete Sorge der mit Stein verbündeten Königin sich auch ihm gegenüber [520] lebendig aussprach; bezeugt ist es, daß er aus dem Munde des Königs von dem hörte, was man berieth und schuf. Die Kämpfe, die man am Hofe um dieses Neue führte, sind ihm schwerlich deutlich geworden, auch wenn er etwas von ihnen gespürt haben mag. Der große Wandel der Gedanken, auf dem die Reform ruhte, indem sie den absoluten König zurückschob, den absoluten Staat brach, die Fülle der zeitgenössischen Ideen in das preußische Staatswesen einströmen ließ, den Idealismus der freien Persönlichkeit, die sich selber bestimmt und sich freiwillig für das Ganze opfert, die ihre Kräfte ganz einsetzt, weil man ihr erlaubt, sie ganz zu entfalten; all diese unvergeßliche Arbeit sittlich und social gerichteter Kräfte, die alles vertiefen, befreien, Staat und Volk in lebendige Einheit verschmelzen wollte, fremde Gedanken einfügend und umgießend in heimathliche Art, die großen Bestrebungen des alten Preußens neu aufnehmend, erweiternd, fortbildend und umbildend zugleich, voll des stolzen Glaubens, dies alte, straff gespannte Herrschaftswesen ganz durch das neue der Selbstbethätigung des Einzelnen und der natürlichen Kreise zu ersetzen – dieser edelste Inhalt der preußischen Reform wird dem fürstlichen Knaben schwerlich bewußt geworden sein. Man darf aus dem Ganzen seiner Entwicklung und dem Lebensalter, in dem er damals stand, vermuthen, daß ihn der Geist der Stählung und der Befreiung vom Landesfeinde bereits tief ergriff; daß er die Neuschöpfung des Heeres, dem er jetzt eingereiht wurde, sah und verstand; daß ihn der ethische Zug der Arbeit und Erhebung und des auch bei Luise von tiefer sittlicher Verachtung getragenen Hasses wider Napoleon berührte und hinriß: die auch dem Jungen und Einfachen faßbaren, elementaren Mächte und Erzeugnisse der Reformzeit; alles Weitere blieb ihm wol fremder, dies aber waren Eindrücke, wohl geeignet, einer Seele für immer Kraft und Richtung zu geben, und sie hat Wilhelm I. nie vergessen. Sofern sie sich in ihm mit dem Gefühle eines principiellen Gegensatzes vereinigten, so wird dieser Gegensatz nach Allem nicht dem alten preußischen Wesen, sondern dem revolutionär-französischen gegolten haben: er wird eher conservativ und legitimistisch, zugleich freilich auch in gewissem Maße national, gewesen sein als modern im Sinne der Reformer. Um Anregungen und allgemeine Einflüsse kann es sich ja immer nur handeln; diese wird man, etwa in der eben versuchten Art, bestimmen müssen, auch wenn man nicht vergißt, daß der, der sie erfuhr, noch ganz ein Kind war. Die Königin, die Alles daran setzte, diese Anregungen zu vertiefen, fand es in allem Elend doch gleichzeitig „gut, daß unsere Kinder die ernste Seite des Lebens schon in ihrer Jugend kennen lernen“, daß sie nicht bloß „im Schoße des Ueberflusses und der Bequemlichkeit groß werden“. Einfach bis zum Aeußersten war das Dasein der königlichen Kinder in der That; zur Bescheidenheit und Demuth hielt ihre Mutter sie noch besonders an. Sie selber lebte jetzt vollends in ihnen und in ihrem Gemahl, sie nennt jene ihrem Vater gegenüber in dem berühmten schönen Brief vom Sommer 1809 ihre besten Schätze, die ihr Niemand entreißen kann. Ihr Auge sucht fragend in die Zukunft ihrer Lieben zu dringen; gewiß lag die unbefangene Idylle der früheren Jahre weit hinter ihr, aber auch jetzt freut sie sich an allem Hellen, was sie von den Kindern melden kann, an den komischen Einfällen des Kronprinzen, des Prinzen Karl[WS 2]. „Unser Sohn Wilhelm wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Aeußern hat er die meiste Aehnlichkeit mit ihm, nur wird er, glaube ich, nicht so schön“. Die reichere Anlage des Aeltesten und seine Beeinflussung durch Delbrück machte eben damals der Mutter mancherlei Kopfzerbrechen, um den Kronprinzen kämpfte man – Prinz Wilhelm ging ungestört und auch unbeirrt seines Wegs. 1807 trat er in die [521] Armee ein, am 1. Januar; am 22. März erhielt er zu Memel, in der Leibcompagnie die der Hauptmann v. Natzmer commandirte, das Patent als Fähnrich, zu Weihnachten das als Lieutenant; Frontdienst that er, schwächlich wie er noch war und kürzlich noch vom Nervenfieber gepackt, erst später zu Königsberg. Dort erhielt er (1808) dann auch seinen Militär- und einen Civilgouverneur; von da ab blieb er stetig in der Laufbahn, in praktischem Dienste und militärischen Studien. Nur ein furchtbarer Schlag unterbrach die Gleichmäßigkeit der nun folgenden Jahre (Berlin, seit Weihnacht 1809): der Tod der Königin Luise, die am 19. Juli 1810 zu Hohenzieritz, noch eben von ihrem Gemahl und den beiden ältesten Söhnen erreicht, den gehäuften Leiden erlag. Man weiß, wie diese unverblichene Erinnerung den Sohn nach 60 Jahren in den gleichen Kampf begleitet hat, der ihr Leben zerstört hatte.

Schwerlich sind die dornigen politischen Entscheidungen, die sich von 1809–13 dem Vater aufdrängten, den Prinzen unmittelbar bewußt geworden; sie mögen doch wol nur gesehen haben, was alle Welt sah; und der Idealismus des endlichen Losbruches von 1813 wird ihnen durch keine Kenntniß all der Gegensätze und Schwankungen im königlichen Cabinette getrübt worden sein. Sie bemerkten nur das glückliche letzte Ergebniß so vieler Zweifel und Kämpfe; noch 1835 war sein Vater dem Prinzen Wilhelm der dritte „der drei hohen Männer, die (1813) Europa retteten“. Am J. 1813 aber verschwand, nach dem was wir später von ihm darüber hören, dem Prinzen alles Andere, nationales wie freiheitliches Streben, ganz vor dem Elementaren, dem Mächtigsten, vor der erhabenen Wucht des Völkerzornes gegen den auswärtigen Bedrücker. Der Befreiungskrieg war es ihm, vom preußischen Volke unter dem preußischen Könige gegen Napoleon und Frankreich geführt, und weiter Nichts.

Er selber mußte ihm lange fernbleiben; er vollendete im März 1813 ja erst sein 16. Jahr und war noch immer nicht kräftig genug; den Beginn der Erhebung erlebte er in Breslau mit, dort mußte er den Sommer und Herbst hindurch als müßiger Zuschauer ausharren, erst im November erlaubte der König dem Capitän Prinzen Wilhelm, ihn in den französischen Winterfeldzug zu begleiten. Da hat er dann am 1. Januar 1814 beim Rheinübergang, bei Mannheim, sein erstes Gefecht gesehen, und am 27. Februar bei Bar-sur-Aube die oft geschilderte Feuertaufe erhalten: von seinem Vater mit der Einholung einer Auskunft beauftragt, reitet er unbefangen muthig durch den Kugelregen; ihm selber schien es nicht der Rede werth, aber ein russischer Orden und das eiserne Kreuz haben ihn dafür belohnt. Er machte weiterhin die Kämpfe, gelegentlich etwa als Ordonnanzofficier verwendet, bis zum Ende mit, am 30. März sah er vor Paris die letzte Schlacht, am 31. ritt er beim Einzug dicht hinter den drei Monarchen einher. Als militärischer Begleiter war ihm den Feldzug hindurch der treffliche Oberst v. Natzmer zugewiesen worden, ein Anhänger der preußischen Reformpartei und während der politisch und strategisch zerrissenen Kriegführung dieses Winters ein, wenngleich mehr zurückstehender, Gesinnungsgenosse der „Enragirten“ von der schlesischen Armee, der Gneisenau und Grolman. Kein Zweifel, daß die gewaltige Lehre seines ersten Feldzuges dem Prinzen Wilhelm von diesem Lehrer, dem er lebenslang dankbar blieb, bei aller Vorsicht ausdrücklich genug gedeutet worden ist. Auch sie hat er niemals vergessen. Die Feldbriefe freilich, die er im Augenblicke schrieb, sind, soweit wir sie kennen, frisch, wenig reflectirt, von einer noch fast kindlichen Jugendlichkeit.

Nach dem Siege begleitete er seinen Vater im Sommer 1814 nach England, dann in die Schweiz; im August nahm er daheim am Siegeseinzug theil. Der neue Kampf von 1815 rief ihn noch einmal nach Frankreich und noch [522] einmal in die feindliche Hauptstadt. Inzwischen war er am 8. Juni 1815 in Charlottenburg eingesegnet worden. Sein Glaubensbekenntniß ist uns erhalten geblieben: es spricht in einer langen Reihe einfache Sätze – „Lebensgrundsätze“, die im wesentlichen gewiß sein Eigenthum sein werden – eine klare, demüthige und ernste Gesinnung aus: Hingabe und Ehrfurcht vor seinem Gott, ohne den er nichts ist, ein pflichtgetreues und bescheidenes Bewußtsein von den Aufgaben, die sein Stand ihm auferlegt, gegen sich selber und gegen alle Anderen; den Vorsatz der Treue und der Arbeit, der Menschliebe, der Dankbarkeit und ernster Sittlichkeit. In diesem Bekenntniß ist nichts Ueberraschendes und nichts Geistreiches; kein Zug von mystischer Vertiefung, kein Hauch der ringsum aufsteigenden Romantik; ein rationalistisch-nüchterner Klang geht hindurch, und Gott erscheint einmal ganz mit dem Namen der Aufklärung als „das höchste Wesen“. Es ist die noch in die alte Zeit hinaufreichende Religiosität Friedrich Wilhelm’s III. und doch wol auch der Königin Luise: ihr geistlicher Freund, der „biedere freimüthige“ Hofprediger Borowsky hatte ihre Frömmigkeit „eine gesunde, einfache, naturgemäße“ genannt, „fern von allem Erzwungenen, Erkünstelten und Sentimentalen“. So ist auch die ihres Sohnes; dieses einfache „unerschütterliche Vertrauen“, das sich „im Glauben an Gottes Vorsehung einen getrosten Muth zu erhalten suchen will“, ist ihm sein Lebelang treu geblieben; und mindestens bis auf die Höhe seines Greisenalters hinauf hat er sich auch eine klare Abneigung gegen alle politische Religiosität, gegen alles hierarchische Bestreben bewahrt. Sein Glaube war naiv, dogmatisch, protestantisch; er erscheint nicht wie ein Erzeugniß persönlichsten Erlebens, und seine persönliche Farbe ist ruhig und beinahe blaß: die Persönlichkeit durchdrang er dennoch ganz; sie wich hier wie in Allem kaum von der mittleren Linie, vom allgemein Sachlichen, ab und war doch fest und eigen in sich selber begründet.

Der 18jährige Prinz hatte in doppelter Beziehung einen Abschnitt erreicht. Die Confirmation schloß seine persönliche Vorbildung ab. Der zweite Pariser Friede endete eine Epoche voll stürmischer Bewegung, ruhige Zeiten folgten nach. An die große Kriegeszeit seiner Jugend hat sich erst ein volles Halbjahrhundert später die Kriegeszeit von König Wilhelms eigener Regierung angeknüpft: dann allerdings zuletzt im engsten innerlichen Anschlusse an jene erste. Und den eigentlichen Grundton seines ganzen Lebens hatte diese doch angeschlagen: in ihren langen Nöthen und bestimmenden Erfahrungen, ihrem großen militärischen Inhalte, ihrer unvergeßlichen Richtung preußischen und monarchischen Kampfes gegen Frankreich, des Kampfes um Dasein und Weltstellung seines Staats.

2. 1815–1840.

Für das volle Jünglingsalter Wilhelms und für die Zeiten seines Reifens zum Manne, die letzten 25 Jahre unter Friedrich Wilhelm III., liegt heute bereits eine kostbare Reihe vertraulicher Aeußerungen von hohem innerem Werth vor: immerhin lassen sie nur gewisse Grundlinien eines Bildes erkennen oder, oft genug, auch nur ahnen. Ihre Bedeutung läßt sich erst im Zusammenhange der Vorgänge und Mächte, die ihn im alten Preußen umgaben, einigermaßen erfassen; es sind dieselben Mächte, deren Bethätigung und Wandlung von da ab sichtbar seinem ganzen weiteren Leben Richtung und Aufgabe weisen sollte. Ueberschauen wir sie hier, beim Eintritt in die Friedensepoche nach 1815.

Da wirkten die Antriebe der Reformperiode noch mannichfach nach; ihre großen Vertreter waren zum guten Theile noch thätig und ihr Idealismus war unerloschen: in Staat und Heer hofften sie ihn festhalten zu können, in [523] beiden gesammelte Kraft und freie Selbstthätigkeit zu vereinigen, alle Einrichtungen auf die enge sittliche Gemeinschaft mit dem Volksleben zu begründen. Sie wollten dieses gereinigte preußische Wesen, das die Siege von 1813–15 erfochten hatte, lebendig und mächtig über Deutschland leuchten lassen. Es ist bekannt, daß äußerlich und zum Theile auch innerlich ganz andere Gewalten in dem befreiten Staate die Leitung gewannen, daß der hohe Schwung der vergangenen Kriege bald gedämpft ward und das Alte wieder stark hervortrat, welches man in den Jahren nach 1806 ganz hatte brechen wollen. Keine der inneren Schöpfungen der Reformzeit wurde zerstört, auf dem Grunde des preußischen Daseins erwiesen sie vielmehr alle auch künftig ihre tiefe Lebendigkeit. Aber weitergebildet wurde Vieles und Wichtiges auf lange hinaus nicht mehr: bald stockte die Arbeit der wirthschaftlichen Befreiung auf dem Lande, die Fortführung der Organisation der Selbstverwaltung, die verheißene Verfassung wurde in Frage gestellt und dann versagt; mit wie viel gutem Recht und wie viel Unrecht, ist hier nicht abzuwägen. Aber gewiß, aus dem starken Lichte der letzten Jahre sank man tief in den Schatten zurück. Die deutschen Hoffnungen, die sich so vorzeitig und so glückselig erhoben hatten, wurden zerknickt. In der deutschen und der europäischen Politik trat Preußen in das System der alten conservativen Mächte, das ihm die Ruhe zu gewähren schien, deren es bedurfte. Es wahrte dabei der Regel nach seine Interessen besser, als man wol lange gemeint hat; der Eindruck blieb doch bestehen und bestand zu Recht: in Stimmung und Doctrin und diplomatischem Handeln ordnete sich die Regierung Friedrich Wilhelms III. der Führung Metternichs ein und unter. Aus der Nähe des Königs verschwanden die Männer der weiten und hellen Gedanken, der starken Persönlichkeit. In die Stelle der Reformpartei rückten, als die nunmehr eigentlich bewegenden Kräfte der preußischen Entwicklung, andere Mächte ein. Das war einmal derjenige Stand, gegen den die Reformen sich vollzogen hatten, der östliche Landadel. Einst der Herr der von den Hohenzollern zusammengebrachten Lande, hatte er die politische Macht an die Herrscher abgeben müssen; er war wirthschaftlich, administrativ, social stark geblieben, aber er hatte sich der Einheit des Königsstaates fügen müssen und hatte diesem dann getreu seine Dienste geleistet. Dann war der Sturm von 1807 über ihn dahingebraust und hatte ihn zum Widerstande aufgerufen; der erste Widerstand war niedergeworfen worden, allein der Rückschlag dieser tiefgewurzelten aristokratischen Gewalt erhob sich von neuem, und er ward jetzt, nach dem Friedensschlusse, inmitten der allgemeinen Reaction und zugleich inmitten einer Zeit, wo die socialen Mächte freier zu Worte kamen als ehemals unter dem absoluten Könige, immer sicherer und bewußter. Er war es, der die agrarische Reform zum Stillstande brachte; er unternahm es, sein Interesse auch in der allgemeinen Verfassung und Leitung des Staates durchzusetzen. Er fand sich dabei von den Ideen unterstützt, die im Kampfe gegen Aufklärung und Revolution groß geworden waren und die dem ganzen neuen Jahrhundert ihren Stempel aufdrücken sollten, den Ideen vom organischen und historischen Leben des Staates und der Gesellschaft: die Romantik, keineswegs bloß in Anlehnung an aristokratische Interessen erwachsen, kam doch diesen zunächst am meisten zu gute, und ihre Doctrin verlieh in diesem Geschlechte, das vom Weltalter der Aufklärung den Glauben an die Doctrin, die Gewohnheit abstracten Denkens in Allem geerbt hatte, den Interessen des Landadels, die ohnehin in sich selber Recht und Macht genug trugen, erst die Weihe und die eigentlich zwingende Kraft. Hing doch der preußische Kronprinz und sein Kreis selber diesen Theorien der mittelalterlich ständischen Gliederung, der ständischen Zerlegung des einheitlichen Staates innig an, Lehren, die aller Arbeit seiner [524] großen Vorfahren widersprachen, die ihr Werk, diesen straffen preußischen Staat selber, in seinem eigentlichsten Wesen verneinten. Anstatt einer einheitlichen Repräsentativverfassung erhielt die erweitere preußische Monarchie, die jene Verfassung wahrscheinlich in der That zunächst noch nicht hätte ertragen können, die 8 Provinzialstände: es war wirklich eine Zerschneidung des Staatskörpers, und ihre Gefährlichkeit ward lediglich durch die Bedeutungslosigkeit, in welcher diese Sonderstände gehalten wurden, einigermaßen abgestumpft. Im übrigen war diese Einrichtung ein Sieg des Adels und ein Sieg der romantischen Lehre. Dem gegenüber stand die andere der beiden natürlichen socialen Parteien, das Bürgerthum, zunächst noch weit zurück. Es hatte sich, emporgewachsen unter der alten Monarchie, seit der späteren Zeit Friedrichs II. mit seinen Ansprüchen auf Gleichberechtigung zu regen angefangen; die Revolution hatte diese Ansprüche gesteigert; die Idee der persönlichen Selbständigkeit und bürgerlichen Gleicheit hatte, obwol auch sie in Deutschland keineswegs bloß als ein Erzeugniß besonderer socialer Entwicklungen, sondern in eigenem, theoretischem Wachsthume, in wesentlich geistiger Entwicklung für sich, groß geworden war, doch im 3. Stande ihren stärksten natürlichen Rückhalt, und ihm war die Arbeit der Reform mit Bewußtsein gerecht geworden und vor allem zugute gekommen. Indessen, eine Macht, die sich politisch selber hätte geltend machen können, war das preußische Bürgerthum von 1815 trotz alledem noch in keiner Hinsicht; wirthschaftlich war es erst im Emporstreben, in seiner Organisation, als Stand, war es dem alten Landadel noch weit unterlegen. Jetzt wuchs ihm im rheinischen Mittelstande erst eben ein neuer starker Bundesgenosse zu: die Zeiten eigener siegreicher Entfaltung, im wirthschaftlichen wie im öffentlichen Leben, bereiteten sich ihm erst vor. Und auch die geistig-politische Anschauung, unter deren Banner es später siegen sollte, der Liberalismus, brauchte noch geraume Zeit, ehe er sich der Gesinnungen des norddeutschen Bürgers allgemein und sicher genug bemächtigt hätte. Dem Adel und seinen Ideen den Widerpart zu halten war dieser 3. Stand noch nicht fähig. Dies Werk – und jede wesentliche zukunftsreiche Weiterbildung des staatlichen Lebens in Preußen überhaupt – fiel für das soeben beginnende Menschenalter noch einmal dem Staate selber zu, d. h. demjenigen Träger des Staates, der social zu einem guten Theile dem 3. Stande entstammte, aber doch keineswegs ihm allein zugehörte sondern etwas für sich selber war: dem Beamtenthum. Wie sehr dies letzte Vierteljahrhundert Friedrich Wilhelms III. das letzte Heroenzeitalter der altpreußischen Büreaukratie, wie sehr sie die eigentlich regierende Classe im Staate, ja geradezu die Nachfolgerin des alten absoluten Königthumes selber war, das ist seit Treitschkes Werke einem Jeden anschaulich. Sie ist von liberalen, conservativen, monarchischen Gedanken gleichmäßig durchdrungen; sie vereinigt die neuen Ideen der Reformperiode mit der praktischen Fortführung des Lebendigen aus dem fridericanischen Staate, sie pflegt und übt die feste Staatsmacht und Staatseinheit, und vertheidigt sie gegen die Ansprüche der Romantik, des Ständethums; sie wahrt den modernen Staat selber gegen die Reaction. Was eine Verwaltung nur vermag, hat sie, organisirend und schaffend, geleistet, für wirthschaftliche und geistige Wohlfahrt, für Angliederung und Durchdringung des neuen Besitzes, für innere und äußere Eroberungen in Preußen und in Deutschland; allerdings ohne die Ergänzung durch die freie Mitarbeit der Nation, und ohne die immer unentbehrliche, starke Belebung durch eine große Politik. An diesen Mängeln wie jenen Verdiensten war Friedrich Wilhelm III. reichlich betheiligt: landesväterlich und umsichtig im Einen, hemmend und fesselnd in Anderem, schwunglos und matt freilich im Allem. In seiner Nähe wie überall in diesem wirkenden Beamtenthume fehlte es nicht an preußischem Gefühle; [525] in Männern wie Motz, Maaßen, Witzleben brach es stark hervor, auch im Könige selber war es vorhanden, aber es steigert sich in ihm nicht zum großen treibenden Machtbewußtsein: die besten Wirkungen blieben im Stillen. Und wol durchdrang sich in diesen Jahren, dem Anstoße von 1807 folgend, dieses Preußenthum in tiefer innerlicher Verschmelzung unlösbar mit dem deutschen Geiste: aber auch diese Arbeit vollzog sich in der Stille und die Begründung des Zollvereins selber, so unendlich bedeutsam sie war, war äußerlich immer noch unscheinbar, mehr eine Vorbereitung als in sich eine bereits allsichtbare und glänzende That. Der Gedanke der deutschen Nation aber schlummerte oder wagte sich selten heraus. Tage der Vorbereitung in Allem, arbeitsam, erfolgreich und deshalb glücklich: die hochgepriesenen „halkyonischen Tage“ der inneren Herstellung und der geistigen Sammlung und Schöpferkraft, die großen Zeiten der Wissenschaft und auch noch der Dichtung. In Berlin eine Reihe erlauchter Denker und Forscher, alle vom großen Stile, Träger der neuen, erobernden Erkenntniß des historischen Jahrhunderts oder der höchstgesteigerten Arbeit der noch immer herrschenden, speculativen Philosophie; daneben die Kreise der Geistreichen; überall in der Hauptstadt eine lebhafte, geistige, gesellige Bewegung. Auch das Hofleben stand in frischem Glanze; nach dem langen Drucke der Niederlage und der Kriege schnellte es freudig empor; die Gräfin Bernstorff hat später die fröhliche Heiterkeit von 1821 sehnsüchtig gerühmt. Der karge König überwand da wol seine Sparsamkeit in reichen Festen; freilich, etwas Großes und Freies konnte in seiner näheren Gegenwart doch nicht gedeihen. Seine Mittelmäßigkeit lastete auf dem geistigen Dasein des Hofes; die vornehmen Geister wichen zurück; und nur im Kreise des Kronprinzen waltete ein ursprünglicher und anspruchsvoller geistiger Zug.

Noch eine der Trägerinnen des preußischen Staatslebens ist unerwähnt geblieben. Wie stand es inmitten dieser nicht inhaltlosen, aber verengerten Welt mit der Armee? Mit dem Beamtenthum zusammen war sie im ganzen, wie stets in Brandenburg-Preußen, auch damals eine Stütze der Einheit, ein Sitz der gesunden und hoffnungsvollen Kräfte. An ihr vornehmlich hatte sich das Werk der Reformer durchgesetzt; in ihr haftete es und hafteten seine großen Förderer am sichtbarsten. Boyens Heergesetz hatte 1814 vollbracht, was sein und der Seinen Ideal in Allem war, jene Begründung des Staates auf das Volk, auf die möglichst freiwillige Bethätigung der heilig gehaltenen Persönlichkeit. Neben der Linie, der auch aus den Landeskindern gleichmäßig gebildeten, die eigentliche Darstellung des Volksheeres, die Landwehr, Boyens Liebling, die Krone seines Werkes, wie er selber es verstand. Sie ist von der Linie geschieden; von allem Starren, allem technisch oder kastenmäßig Abgeschlossenen soll sie frei bleiben, auch von der Leitung durch die Aristokratie des Berufsofficierstandes. Deshalb war es dem Kriegsminister ein Greuel, als der König 1819 auch nur die bisher völlig abgesonderten Divisionen der Landwehr zerschlug, und jeder Division des Heeres eine Landwehrbrigade einfügte. Er trat von seinem Amte zurück: mit Recht, insofern er die Restauration im Ganzen in Preußen mächtig werden sah und sich selbst dieser Strömung entziehen wollte; mit Unrecht, insofern er das Heer in seinem Wesen durch die kgl. Ordre angetastet meinen mochte. Denn das Heer blieb im Ganzen unberührt. Allerdings, aus der Oberleitung verschwand zum guten Theile der Scharnhorst-Boyen’sche Geist; Friedrich Wilhelm selber sah die Armee, die unter ihm neugebildet war, nicht mit den Augen seiner idealistischen Gehülfen an. Ihm war sie das Werkzeug der königlichen Gewalt; er liebte sie und sorgte für sie, so gut er es mit seinen immer knappen Mitteln vermochte; er hielt sie gegen jeden Einspruch aufrecht wie sie war, aber er [526] verehrte in ihrer Ordnung nicht nach Boyens Weise das Princip. Die alten preußischen Gewalten der Monarchie und der Aristokratie wurden im Heere und seinem Officiercorps wieder ganz überwiegend. Das Neue blieb, und so auch der innige Zusammenhang mit dem Volke, der das Heer durch die Nation und die Nation durch das Heer erzog und erhob. In der Gesinnung blieb die Nachwirkung des großen Krieges stark; lange noch standen die Feldherrn von 1813, Gneisenau voran, an der Spitze. Sie freilich konnten an des Königs ganzer Art, an dem Verluste an Lebendigkeit des Staates und der Armee im Größten, keine Freude haben. Und späterhin begann wol auch der Geist im Heere selbst sich von einem Theile der Eigenart seiner ersten Schöpfer und Führer langsam abzuwenden. Man hat es fein beobachtet: der idealistische, manchmal selbst doctrinäre Zug, der die Männer von 1807 beseelte und in Boyen vor allem weiterlebte, ein Zug von Ideologie, der in Gefahr gerieth, der eigenen hohen Vorstellung vom Wesen dieses Volksheeres, der Reinhaltung der Landwehr, die Sicherheit der Ausbildung und die Schlagfertigkeit theilweise zu opfern, – er pflanzte sich, ein Besitz der Generation vom Beginne des Jahrhunderts, nicht mehr auf diejenige fort, die unter anderen, minder idealistischen Einflüssen des Lebens und der Bildung später heranwuchs. Wenn er in Boyen, dem sonst so Klaren und Praktischen, manchmal beinahe wunderlich überwog, so empfand im Ganzen das preußische Officiercorps, das unter ihm und nach ihm emporkam, elementarer als er: realistischer, derber, gesunder. Im Heere hatte stets ein frischer Wirklichkeitssinn seine natürliche Stätte; wer die Geisteskämpfe gegen das 1806 zertrümmerte System nicht mehr erlebt hatte, mußte auf die Festigkeit, die praktische Brauchbarkeit, die aristokratisch-monarchische Führung der Truppe einen stärkeren und den ausschließlichen Werth legen. Im übrigen aber konnte die Ueberlieferung des Scharnhorst’schen Geschlechtes im Heere nur stets erneuten Segen wirken und ist sie lebendig geblieben; Clausewitz übertrug in classischer Fassung die strategischen Lehren der Freiheitskriege auf die folgenden Zeiten; der frische Drang nach Thätigkeit blieb unerstickt. Freilich im Frieden auch ungestillt: über die unvermeidliche Stockung der Säfte in der langen Ruhezeit mochte klagen, auch wer im übrigen die Weiterentwicklung des Heeres nicht am Maßstabe des älteren Idealismus maß. Das Heer, das Officiercorps sehnte sich nach der That: gerade deshalb blieb es, in den einbrechenden dumpferen Tagen, eine Heimath wie der lebendigen und treuen Arbeit, so des Weiterstrebens, des hinausdrängenden, der preußischen Größe stolz und ungeduldig zugewandten Staatsgefühls.




Als Officier hat Prinz Wilhelm die Jahre von 1815–1840 verbracht. Man darf, unter dem Gesichtspunkte seines militärischen wie seines persönlichen Lebens und seiner politischen Anschauungen, diese Zeit in zwei ungefähr gleiche Hälfte scheiden: die erste, bis über die Mitte der 20er Jahre reichend, umfaßt, so wird man etwa sagen dürfen, auf all diesen Gebieten den Abschluß seiner eigentlichen Lehrzeit. In der zweiten erscheint er, trotz aller Wandlungen die ihm noch bevorstanden, bereits als fertiger Mann.

Noch in Paris war er Major geworden und hatte ein Gardebataillon bekommen; in den nächsten Jahren stieg er rasch aufwärts, rascher, so hat er später geurtheilt, als seinen eigenen Absichten, sich auch im artilleristischen und cavalleristischen Dienste praktisch zu schulen, entsprach. Militärischer Unterricht bei hervorragenden Officieren, unter denen auch Natzmer war, lief daneben her, auch dieser nicht ganz der Regel gemäß; der Kronprinz und Prinz Friedrich[WS 3], sein Vetter, waren hierin wie in allen Stadien seiner früheren [527] militärischen Laufbahn Wilhelm’s Gefährten, wie sie denn bis dicht an das Ende des alten Königs hierin mit ihm gleichen Schritt gehalten haben. Zum künftigen ersten Soldaten des Staates wurde aber naturgemäß doch vornehmlich Prinz Wilhelm herangebildet, und seine Anlage und Neigung kamen diesem Bemühen willig entgegen. Schon 1818 hatte er einmal den abwesenden König in den Militärangelegenheiten zu vertreten und erntete für seine Leistung den Dank des gestrengen Vaters. Seit dem März 1817 war er Oberst, März 1818 erhielt er als Generalmajor eine Gardeinfanteriebrigade, 1820 die erste Gardedivision, 1824 trat daneben das interimistische, 1825 das definitive Commando des III. Armeecorps, kurz darauf wurde er Generallieutenant. Hier und dort erfahren wir Näheres von Uebungen, an denen der Prinz betheiligt ist: Feldmanövern, Belagerungsübungen mit Abweisung eines Entsatzheeres; seit 1821 erweitern sich seine Aufgaben. Er mußte da, ziemlich unvorbereitet, im Manöver eine Cavalleriedivision führen; er lernte die ihm fremde Waffe kennen – anfangs nicht ohne Widerstreben; er werde kein Cavallerist werden, versicherte er Natzmer, der ihm, gleich einigen anderen befreundeten Officieren, in allen militärischen und vielen persönlichen Angelegenheiten ein viel befragter Vertrauter war und blieb; die Infanterie bleibe ihm stets die Hauptwaffe, die vielseitigste und lehrreichste. Doch drang er alsbald auch in das neue Gebiet ein, verhandelte mit Natzmer selbständig die eben aufgerollten Fragen von Formation und Gebrauch der Truppe, ward zum Mitgliede und dann zum Vorsitzenden einer Commission zur Ausarbeitung einer Cavallerie-Instruction ernannt. Die Arbeit „gewährte ihm ein unendliches Interesse“, er hoffte auf die Durchsetzung nützlicher Neuerungen. Schon war er auch dem Kriegsministerium zugetheilt worden, präsidirte einer Commission, die das Exercierreglement der Infanterie neu regeln sollte; seine Briefe sind voll von militärisch technischen Dingen. Dabei übte er dann allerlei Kritik, die sich manchmal, mit Zurückhaltung aber doch mit Bestimmtheit, auch gegen „den König“ richtet – nicht nur, wenn er mit resiginirtem Lächeln von den „Allerhöchsten Nasen“ erzählt, die beim Manöver erfolgten und deren eine auch er erhielt: „ich steckte ein, was ich nicht ändern konnte“ (21. Sept. 1821); er wich auch im allgemeineren Urtheile über die Aufstellung der Reiterei vielfach ab; vor allem, er gerieth auf militärischem Felde mit dem eigentlichen Systeme der sparsamen und thatenlosen Politik seines Vaters zuerst in bewußten Gegensatz. Er beklagt schon 1821 schmerzlich, daß mit Kleist der letzte commandirende General aus der Kriegszeit die Armee verläßt. Dann aber, 1823, beginnt er sich über die Gefahren des allzulangsamen Avancements im Officiercorps zu sorgen; er tritt 1824 an die Spitze einer Commission, die berufen wird, systematische Vorschläge zu rascherer Beförderung der besonders Tüchtigen zu prüfen, und im Jahre darauf wagt er es, seinen dringenden Wunsch nach einer „gehörigen Aufräumung in der Generalität“ dem Könige selber vorzutragen, dessen Gutherzigkeit in den Entlassungen er fürchtet. Sein Schreiben wurde „gnädig aufgenommen“, aber weder in den sachlichen Maßregeln noch in der Auswahl der Persönlichkeiten befriedigte der Erfolg den Prinzen, und als er im December 1825 mit der Möglichkeit eines Krieges rechnete, vertheilte er auf eigne Hand, halb im Spiele, aber im Grunde doch ernsthaft genug, die obersten Führerstellen in einem Brief an Natzmer derart, daß dabei eine recht „bedeutende Veränderung der Rangliste“ herauskam. Dann wurde die Besorgniß auch wieder von heller Freude an der Thätigkeit durchbrochen: noch 30 Jahre später erinnerte er sich gern und stolz daran, wie 1827 sein Armeecorps seine erste Königsrevue, in Verbindung mit der Garde, gehabt habe, wie der König [528] da dem III. Corps seine ungetheilte Zufriedenheit bezeigte und Wilhelm selbst „viel Lob erntete“ für seine Manöverführung gegen den Herzog Karl von Mecklenburg. Von anderer Seite wird bezeugt, daß General Prinz Wilhelm für streng und genau galt, daß er jeden Fehler, auch im Kleinen, entdeckte und rügte, daß aber die Truppen ihn liebten und über die inneren Abweichungen, die sie nicht kennen konnten, hinweg die Aehnlichkeit des Sohnes mit dem königlichen Vater freudig empfanden.

Es war seine Lehrzeit, in der That, und eine an Früchten offenbar reiche. Alle Seiten des Militärwesens, Organisation, Verwaltung, Taktik, Strategie wurden dem Prinzen in eigener angestrengter und verantwortlicher Arbeit, in täglicher und langer Erfahrung vertraut. Er gewann einen festen Boden, den er ganz kannte, und von dem her er in alle übrigen Richtungen seines Lebens, in alle Aufgaben, die sein fürstlicher Beruf noch stellen mochte, mit der praktischen Nüchternheit, der weisen Selbstbeschränkung und der inneren Klarheit des in dem einen Hauptberufe ganz durchgebildeten Fachmannes hinausschreiten konnte.

Daß er nicht einseitig wurde, dafür sorgte die Stellung des Königssohnes von selbst. Er lernte die Welt in Reisen kennen; er lebte unablässig inmitten der weiten Kreise des Berliner Hofs. Von dessen Geselligkeit erzählen seine Briefe mancherlei, wenngleich, soweit wir sie kennen, nicht eben charakteristisches; auch vom Theater, von der Oper berichtet er, und fügt wol einmal ein Urtheil bei; tiefere geistige Interessen aber treten nicht hervor; das entsprach dieser Umgebung und der Neigung des Prinzen. Nichts weist darauf hin, daß er damals zu den großen litterarischen Gewalten des Zeitalters, oder auch nur zu ihren Berliner Vertretern, irgend ein innerliches Verhältniß gehabt hätte. Er war Officier; bei den Festen des Hofes, dem glänzenden Feste der weißen Rose etwa, das Friederich Wilhelm III. seiner russischen Tochter gab, spielte er ritterlich seine Rolle. Die gute, etwas ängstliche Gräfin Bernstorff, die in den 30er Jahren ein Bild des Berliner Hoflebens aus dieser Zeit entworfen hat, beschwert sich darüber, daß Prinz Wilhelm seine gesellschaftliche Thätigkeit gar zu militärisch aufgefaßt habe: er hat sie (1827) ernstlich getadelt, weil sie ihre erwachsenen Töchter dem Hofe zu oft entziehe, und die jungen Officiere commandirt er ziemlich rücksichtslos zum Tanzen; Disciplin verlangt er auch in der Geselligkeit. Das mag immerhin wahr sein, aber es ist in übler Laune beobachtet und geschrieben. Ein Weimarer Correspondent Hans v. Gagerns hatte (im Winter 1826/7) einen anderen Eindruck: „Prinz Wilhelm ist die edelste Gestalt, die man sehen kann, die imposanteste von allen; dabei schlicht und ritterlich, munter und galant, doch immer mit Würde“. Ganz ebenso hatte ihn Bunsen im December 1822, von Rom aus, geschildert: aufgeweckt, artig, würdig und ernst. Und diesem freundlichen Bilde entsprechen die Briefe an Natzmer; sie sind frisch und natürlich, immer ungekünstelt, nicht elegant, hie und da ein wenig ungelenk, aber doch niemals wirklich unbeholfen; im Ausdruck, in den leicht einmal ein französisches Wort eindringt, immer gerade, knapp und eigentlich; der Prinz ist gar kein Stilist, aber er hat seinen Stil. Er liebt es, viel Thatsachen zu melden; er sieht und urtheilt einfach und gesund; im ganzen schreibt er ernsthaft und sachlich; gelegentlich ein guthmüthiger Scherz über Andere oder auch über sich selbst; sarkastische Wendungen sind sehr selten. Ein frisches, belebtes, gar nicht geistreich eigenthümliches Antlitz blickt aus Allem heraus: man gewinnt es bald lieb und spürt die Wärme eines herzlichen schlichten Empfindens, die Sicherheit eines reinen und männlichen Charakters. Seine Gedanken schweifen niemals in das Ungewöhnliche, aber sie [529] steigen in die Tiefen persönlichen Schmerzes hinunter und auf die Höhen des patriotischen Stolzes hinauf – da staunt man denn, wie ergreifend seine Herzensklagen und wie monumental seine Ideale, seine politischen Gesinnungen und Hoffnungen sich äußern können: er, der nie nach dem Ausdrucke als solchem sucht, trifft zuletzt stets den richtigen und echten und oft genug einen in aller seiner Einfalt überraschend großen.

Er stand in dem Alter, in dem die Persönlichkeit sich ausgestaltet: es fehlte ihm, in dem was ihn am nächsten anging, im Menschlichen wie im Staatlichen, nicht an starkem Inhalte, dessen Bewältigung ihn zum Manne machen sollte.

Wir bleiben in dem Kreise seines Hoflebens, indem wir dem Ersten, dem Herzenskampfe nachgehen, der ihn gepackt und gereift hat mehr wie wol alles Andere. Es ist seine Liebe zu Elisa Radziwill, der Tochter einer hohenzollerischen Prinzessin und des geistreichen Fürsten Anton, der Pole und Preuße zugleich zu sein meinte, dem verwandten Königshause als Statthalter in Posen eifrig gedient hat, und dessen Berliner Palais die vornehme Gesellschaft der Geburt mit der des Geistes zusammenführte. Die Tochter (geb. 1803) hatte der königlichen Familie immer nahegestanden, auch Prinz Wilhelm war längst mit ihr und den Ihrigen in engem Verkehre, als 1820 aus diesem Umgange die Liebe hervorbrach, die ihm sechs Lebensjahre ganz erfüllen sollte. Prinzeß Elisa wird als holdselig und zart geschildert; sie ist, wie fast das ganze Haus des Fürsten Anton, von der Schwindsucht früh dahingerafft worden; etwas ätherisch Reines, dabei ein weiches und lebhaftes Empfinden scheint ihr eigen gewesen zu sein. Näher vermögen wir ihr Bild nicht zu erkennen; sie muß Allen eine reine Liebe und Achtung eingeflößt haben; man hat auf allen Seiten Alles gethan, um ihre Verbindung mit dem Sohne des Königs möglich zu machen. Im December 1820 legt dieser zum ersten Male seinem Freunde Natzmer Rechenschaft über die Angelegenheit ab: er bestreitet die Neigung nicht, aber er glaubt sie bezwingen zu können. Er hat, aus eigenem freiem Entschlusse, verzichtet, weil er sich scheut, in die Verwandtschaft dieser Familie, d. h. in ihre polnischen Beziehungen, einzutreten, „und somit sind alle ferneren Gedanken über diesen Gegenstand abgeschnitten“. Die Gedanken haben ihm dann doch nicht gehorcht; im Januar 1821 sehnt er sich von Berlin weg, wo ihm „Kopf und Herz zerspringen möchte“. Endlich – im Winter 1821/22 – regt der König selber die Sache von neuem an. Er befragt Wilhelm über seine Neigung, und als dieser bekennen muß, sie sei nur immer gestiegen, müht er sich ehrlich, ihr den Weg frei zu machen. Glückliche Wochen folgen nach: dann aber die schwerste Enttäuschung. Die Verbindung mit den Radziwills erwies sich nach den Untersuchungen des Hausministeriums, wider alle Erwartungen des Prinzen, als unstandesmäßig. Die Rechtsfrage nach der Ebenbürtigkeit ist freilich verschieden beantwortet worden, zuletzt aber entschied die große Mehrheit der Stimmen zum Kummer des Königs unzweideutig für die Verneinung, und sein Sohn mußte zum zweiten Male den Kampf in sich durchleben: diesmal gegenüber einem väterlichen Gebote vollständiger Entsagung. „Oefter hatte ich mir die böse Katastrophe vorgestellt; daß sie mich aber so überwältigen würde, ahnte ich kaum“. Am 16. Februar 1822 sprach er den Verzicht aus, ganz betäubt durch das Opfer das er bringen gemußt, „wieder verwaist in der Welt, die mir öde und freudenleer vorkommt“ (9. März). Es blieb ihm nichts erspart; er selber mußte auch den Radziwills die schon fast sichere Hoffnung zerstören. Eine Reise nach Holland sollte ihm dann helfen, „den ersten Schmerz zu überwinden“. Sie erfüllte ihm den Dienst schlecht: [530] in der Fremde, im Haag, so klage er (21. April), beherrsche ihn die Erinnerung vollends; an seinem Geburtstage steigerte sich die Traurigkeit bis zu fieberischer Erkrankung, und nur im Gottvertrauen fand er seinen Trost. Auch die Hoffnung „auf die großartige Zerstreuung“ eines Feldzuges schlug ihm fehl; der Vater rief ihn ziemlich trocken nach Berlin zurück. Trotzdem war zwei Jahre darauf die Angelegenheit wieder in vollem Flusse, und zwar offenbar seit längerer Zeit. Die Beweggründe Friedrich Wilhelms III. bei alledem zu beurtheilen ist schwer; vorläufig sind die Thatsachen selber zu wenig genau bekannt. Augenscheinlich sind die Wünsche seines Sohnes, mittelbar oder unmittelbar, immer wieder an den König herangetreten und gewiß hat er selber immer wieder alle Wege versucht, sie zu erfüllen. Wuchsen dann doch die Schwierigkeiten allzu hoch, so ließ er nach seiner Art den Aerger über das Mißlingen seines wohlgemeinten Planes an dem unschuldigen Sohne aus, der selber am schwersten litt, aber ein Ende zu machen brachte er doch noch nicht über sich: ein Rest von Hoffnung wirkte dabei mit der angeborenen Entschlußlosigkeit des Herrschers zusammen. So hat er im Winter 1823/4 dem Prinzen „in einer sehr heftigen Unterredung“ jegliche Aussicht genommen; der suchte sich aus dem „entsetzlichen Zustande herauszureißen“, indem er, mit der Fürstin Radziwill zusammen, den Vater um eine endgültige königliche Entscheidung bat. Die Bitte wurde „sehr gut aufgenommen“, aber erfüllt wurde sie nicht. „Er will noch nach diesem fragen und nach jenem, kurzum nur Aufschub. Es ist kaum zu ertragen“. Der Prinz beschwerte sich bitter über den „Mangel an Energie“, der die Politik genau so lähme wie er diese häusliche Noth endlos mache. Da hellte sich noch einmal Alles auf: der Gedanke wurde – ohne Vorwissen Wilhelms, und, nach dessen Berichte, vornehmlich durch den Hausminister Fürsten Wittgenstein – aufgestellt und betrieben, den Mangel der Ebenbürtigkeit vermittelst einer Adoption Elisas durch den Prinzen August zu ersetzen; die Radziwills erklärten ihre Einwilligung und 1825 konnte Wilhelm der alten Nachbarin und Vertrauten des Radziwill’schen Hauses, der Gräfin Bernstorff, die Nachricht zuflüstern, er habe die Erlaubniß, die Geliebte in Posen zu besuchen: das sage Alles, und S. Majestät habe auch seinen jubelnden Dank für diese Erlaubniß mit Wohlwollen aufgenommen. In der That reiste er nach Posen, nicht viel anders denn als erklärter Bräutigam: „glückselige“ Tage, so rühmte er sie zu Natzmer. „Es genüge Ihnen, wenn ich versichere, daß ich glücklicher mich fühle, als ich es mir nur hätte träumen können“. Der Besuch fand durch einen schweren Sturz des Prinzen – einen der beinahe zahllosen „accidents“, die ihn sein Leben hindurch verfolgt haben – einen bösen Abschluß; sehr ernstlich krank mußte er nach Berlin zurückkehren, und Gräfin Bernstorff glaubt, daß diese Krankheitswochen Alles verdorben hätten: der König, ungehalten über das vorzeitige Bekanntwerden der Verlobung, habe sich in ihnen von neuem durch die Gegner der Heirath gewinnen lassen. Der Prinz weiß, genesen (1. April 1825, an Natzmer), von solchem Scheitern noch nichts, er erwartet für die nächste Zeit die froheste Erfüllung. Sie war, als er im Juli von neuem schrieb, noch immer nicht gekommen; er theilte Wittgenstein in harten Worten die Schuld zu, gegen sein eignes Werk, die Adoption, schmählich zu intriguiren, und schäumte vor zorniger Ungeduld. „Gibt es etwas Unwürdigeres? darf ich, darf Prinzeß Luise und Elise, selbst der König so das Spielwerk der Intriguen und Kabalen sein?“ Im sechs Wochen soll die Lösung erfolgen. „Gott gebe es!“ Noch im Februar 1826 hat Wilhelm die Bitte um die Erlaubniß jener Adoption beim Könige wiederholt. Vergeblich: die Mehrheit der Minister erklärte, die Adoption könne das Blut nicht ersetzen. War es das Gefühl, daß er nun [531] endlich reine Bahn machen müsse, oder erzwangen äußere Verhältnisse – Heirathsaussichten des jüngeren Prinzen Karl – eine glatte Entscheidung: genug, am 22. Juni 1826 verkündigte Friedrich Wilhelm brieflich dem Sohne sein endgültiges Nein. Er that es, nun da er endlich handelte, im würdigsten Tone des Mitgefühls, der Liebe, die Prinzessin rühmend, den Prinzen hinweisend auf die Pflichten seines Standes. Und dem guten Worte kam gute Antwort. Wilhelm danke in einem wunderschönen Briefe, der den ganzen schlichten Adel seiner Art spiegelt, in Worten, nicht eben flüssig, aber würdig und wahr, in voller Aussprache seines Schmerzes und doch in männlicher Fassung dem Vater, „unbeschreiblich tief ergriffen“ für die reiche Güte seiner Haltung. „Denn Ihre väterliche Liebe war nie größer als in der Art der schweren Entscheidung.“ „Ich werde Ihr Vertrauen rechtfertigen, und durch Bekämpfung meines tiefen Schmerzes und durch Standhaftigkeit in dem Unabänderlichen in dieser schweren Prüfung bestehen. Gottes Beistand werde ich anrufen. Er verließ mich in so vielen schmerzlichen Augenblicken meines Lebens nicht, Er wird mich auch jetzt nicht verlassen.“ – „Daß ich dem Könige so gegenüberstehe, nach solchen Ereignissen, halte ich für das größte Glück“, wiederholte er Natzmer am 29. Juli. Freilich, die Fassung wurde ihm bitterschwer, das zeigt dieser Freundesbrief auch. „Seine theuersten, ja die höchsten Wünsche“ hatte er, nach „so vielen, vielen Jahren“ nun doch geopfert; er nahm sich vor, Niemanden anzuklagen und Alles auf Gott zu werfen, der sich der Menschen doch nur als seiner Werkzeuge bedient, aber „der Schmerz der Leere in ihm, der entsetzlich ist“ nagte an ihm und er sah mit Grauen in seine Zukunft. – Dann hat ihn „der Strom des Lebens und der Geschäfte“ naturgemäß mit fortgerissen. Die Anwesenheit bei der Verlobungsfeier des Prinzen Karl in Weimar, die man ihm auferlegte, empfand er noch als eine schwere und schmerzliche Pflicht (Decbr. 1826). Ihn selbst zwang man 1827 zu vielerlei „Prinzessinnenschau“; bald bereitete sich die Verlobung mit der jüngeren Schwester seiner Weimarer Schwägerin, der jugendlichen Prinzessin Augusta vor (geb. 1811). Nach allerhand Weiterungen ist sie dann im October 1828 vollzogen, im Februar 1829 gefeiert worden; am 11. Juni folgte die Vermählung zu Berlin. Damit war eine neue Persönlichkeit und ein ganz neues Element in Wilhelms Leben eingetreten. Natzmer, der die Feierlichkeiten mitmachte, fand den Prinzen „voller Attention für die Prinzeß“. Sein eigenstes Empfinden aber war schwerlich bei ihr. Aus den Jahren 1827 und 1830 finden sich Aeußerungen von ihm, die mit leiser Schwermuth auf die Wunde in seinem Herzen hindeuten; kurz vor der Hochzeit hat er auf den Wunsch seiner Schwiegermutter die Radziwills aufgesucht, um das äußere Verhältniß zu ihnen noch im voraus versöhnend und unbefangen zu regeln: er theilte es der etwas unsicher zu seiner Vermählung gratulirenden Gräfin Bernstorff mit, indem er ihre beiden Hände in großer Bewegung ergriff: „ich werde Elisa wiedersehen; ich gehe nach Antonin“. Später hat die Prinzessin Elisa im Hause des prinzlichen Paares verkehrt und ihr Herz hat sich einer neuen Liebe zugewandt, die ihr freilich eine neue, unheilbare Enttäuschung eintrug; da war es eine sonderbare Fügung, daß der Blutsturz, dessen Folgen sie erliegen sollte, sie (1833) bei einer Feier in Prinz Wilhelms Palais traf. Damals indessen lag die gemeinsame Tragödie ihrer Jugend abgeschlossen hinter ihnen beiden.

„Also erzog eine unerforschlich weise Waltung der Nation ihren Helden und lehrte den gehorchen und entsagen, der einst Deutschland beherrschen sollte“: so hat H. v. Treitschke die innere Bedeutung dieser Herzensgeschichte zusammengefaßt; er hat dabei an die Jugendkämpfe Friedrichs II. mit seinem Vater erinnert. Gewiß nur im Sinne dieser Erziehung: denn von den tiefen und [532] großen Gegensätzen die Friedrich Wilhelm I. von seinem Thronfolger trennten, sachlichen wie persönlichen, findet sich in Kaiser Wilhelms I. Erlebnisse nichts. Aber auch er ist mit seinen persönlichen Wünschen an die harten Nothwendigkeiten des Staates angestoßen; er hat sich gefügt, ohne einen Bruch; er sah die Unmöglichkeit ein. Er ist in den heißen Schmerzen und Erregungen dieser sechs Jahre gehärtet worden, aber niemals verhärtet. Im Persönlichen münden sie ihm ein in die Versöhnung mit dem Nothwendigen und in eine vertiefte Hingabe an seinen Vater. Auch im Politischen hat er, der in seinem eigenen Schicksale die Schwächen und Härten der ewig zaudernden Art Friedrich Wilhelms erfahren und tief beklagt hatte, sich gleichzeitig gegen diese Art aufgelehnt; auch da ist er zuletzt dazu gekommen, sich in das System des Vaters im wesentlichen einzufügen: indessen da nicht ohne einen Rest entschieden abweichender Selbständigkeit. Von Sturm und Drang kann man in dieser ruhigen Entwicklung wol nirgends reden: soweit dergleichen in ihm hervortrat, fällt es, auch in politischer Hinsicht, in dieselben Jahre wie sein Herzenskampf: in beiden kommt er etwa gleichzeitig zur Ruhe.

Auffallend wenig scheinen den Prinzen die inneren Verhältnisse zu beschäftigen. Einmal erwähnt er (25. Dec. 1821) die Commission zur Errichtung der Provinzialstände, und er steht ihr mit offner Sympathie gegenüber, von der man allerdings nicht recht sieht, ob sie sich mehr auf die Sache selbst oder auf das Persönliche daran bezieht. Am meisten freut ihn das gute Einvernehmen zwischen dem Könige und dem Kronprinzen, dem Vorsitzenden der Commission. Und doch spricht er sein Bedenken aus, ob eine so vorzeitige öffentliche Festlegung wichtiger Ansichten des Thronfolgers nicht Schaden anrichten könne. Hätten ihm diese ständischen Ideen auch nur entfernt so viel bedeutet wie seinem älteren Bruder, so würde er solche Festlegung nicht bedauert haben. Aber er nimmt zwischen den Strömungen die wir im damaligen Preußen einander bekämpfen sahen, überhaupt nicht ausdrücklich und scharf Partei. Seine persönliche Stellung brachte ihn in Hof und Officiercorps zum Adel in stete enge Berührung; seine Gesammtanschauung wird eine naiv conservative gewesen sein: der eigentlich ständischen Gruppe kann man ihn offenbar nicht zuzählen. Ein Gesinnungsgenosse des Kronprinzen wie Leopold v. Gerlach stand auch dem Prinzen Wilhelm, dessen Adjutant er Jahre lang war, ganz persönlich nahe und selbst in religiösen Dingen konnten sie, zu Gunsten Goßners, gelegentlich zusammengehen; dem Kronprinzen selber ist Wilhelm stets in herzlicher Liebe und Bewunderung zugethan gewesen; in den Nöthen der Radziwill’schen Sache hörte er seinen Rath. Aber mit den Doctrinen des geistreichen Bruders hatte er, nach Allem was man sieht und erschließen muß, nichts zu schaffen, mit den religiösen so wenig wie mit den politischen. Ihm lag „der echt religiöse Sinn auf der weisen Mittelbahn zwischen Freigeisterei und Frömmelei. Traurig nur daß unser Zeitalter diese schöne Mittelstraße nicht wandeln will und sich so gewaltig zu letzterem Extreme neigt“ (31. März 1824). Seine nüchterne Natur lehnte die romantische Mystik der Erweckten ab; auch von der ideenlosen Restauration, deren Führer am Hofe sein Oheim Herzog Karl von Mecklenburg war, mochte er nichts wissen. Dem Herzog selber ertheilen seine Briefe manchen Hieb; der „mecklenburger Clique“ ist er aber nicht nur persönlich Feind, auch eine politische Beförderung ihres Anhängers Kamptz mißbilligt er.

Der Schlüssel für das Verständniß all seines politischen Denkens vor 1848, und im Grunde für die Erfassung der politischen Triebkraft seines ganzen Lebens, liegt in dem Satze, den er während der Revolution, aus England, [533] an L. v. Gerlach schrieb: „ich kannte und träumte nur ein selbständiges Preußen, eine Großmacht des europäischen Staatensystems“. Daraus habe er seine innerpolitischen Ansichten abgeleitet. So war es in der That. Eben deshalb stand ihm in dieser früheren Zeit, wo er ein verantwortungsfreier Zuschauer war, das Innere überhaupt völlig im Hintergrunde: auf die Machstellung Preußens kam es ihm an, er blickte nach außen.

Was seine Briefe an politischen Betrachtungen enthalten, bezieht sich beinah immer unmittelbar oder mittelbar auf das Auswärtige. Er hatte es in der Leidens- und in der Kriegszeit bis 1815 würdigen gelernt und er blieb in europäischer Schulung. 1817 begleitete er seine Schwester Charlotte[WS 4] zu ihrer Vermählung mit dem Großfürsten Nikolaus[WS 5] nach Rußland, lernte in halbjährigem Aufenthalte Hof und Land vielseitig kennen und erfreute zugleich seinen Begleiter Natzmer durch die Würde seines Auftretens. 1822 sah er die Niederlande, im Winter darauf Italien. Die südeuropäischen Revolutionsbewegungen hatten seit 1820 auch seinen Blick auf sich gezogen; wenn er da einmal ein wenig politisirte, so geschah es natürlich in correct-monarchischem Sinne. Indessen, lebhaft beschäftigten ihn diese Vorgänge aus einem andern Grunde: er hoffte auf Krieg. Das blieb Jahre hindurch, während all der langen orientalischen Wirren, die sich so bald an den griechischen Aufstand anschlossen, der Grundton seiner politischen und persönlichen Wünsche. Das Elementare daran war sicherlich seine persönliche, jugendliche Ungeduld, die Ungeduld des jungen Officiers, der sich bethätigen will, und gerade diese Sehnsucht nach einem frischen Waffengange ist das Jugendlichste, das seine Entwicklung aufzeigt. Die Schmerzen seiner Liebesgeschichte verstärkten diesen Drang und als eine „großartige Zerstreuung“ sahen wir ihn den gehofften Feldzug herbeisehnen, als er einsam und traurig im Haag saß. Allein dazu gesellte sich von Anfang an ein Zweites, Tieferes: der preußische Stolz. „Gewiß ist uns nichts gefährlicher als ein langer Friede. Man sehe unseren politischen Standpunkt an: unsere körperliche Schwäche ist erschreckend, wenn man die Nachbarstaaten dagegen betrachtet. Wir müssen dieser Schwäche also durch intellectuelle Kräfte zu Hülfe kommen und diese müssen vornehmlich in dem Heere geweckt und erhalten werden. Daher wäre der Krieg ein sehr erwünschtes und passendes Mittel, sie aufzufrischen“ (an Natzmer 25. Dec. 1821). Im Februar 1824 fand er Alles nur immer schlimmer geworden „und das deshalb, weil man, wie in meiner Privatangelegenheit – aus Mangel an Energie zu keinen Entschließungen und kräftigen Maßregeln kommt! Gott weiß, wie das noch endigt!“ Und am 31. März 1824 klagte er über „unseren Rückschritt in allen Staatsverhältnissen“. „Was die äußere Lage unseres Staats betrifft, so muß ich leider ganz Ihrer Ansicht beitreten: hätte die Nation Anno 1813 gewußt, daß nach 11 Jahren von einer damals zu erlangenden und wirklich erreichten Stufe des Glanzes, Ruhmes und Ansehens nichts als die Erinnerung und keine Realität übrig bleiben würde, wer hätte damals wol Alles aufgeopfert solchen Resultates halber? – – Die einzige Aufstellung jener Frage verpflichtet auf das heiligste, einem Volke von 11 Millionen den Platz zu erhalten und zu vergewissern, den es durch Aufopferungen erlangte, die weder früher noch später gesehen wurden noch werden gesehen werden. Aber hieran will man nicht mehr denken, im Gegentheil, man muß hören, daß es lächerlich sei, mit 11 Millionen eine Rolle zwischen Nationen von 40 Millionen spielen zu wollen! Man vergißt aber dabei, daß 3 Millionen jene Ereignisse begründeten … Und was damals bei 3 Millionen der Enthusiasmus that, muß jetzt bei 11 Millionen die geweckte und beförderte Intelligenz thun. – Auch Alliirte wird in bedrängten Fällen [534] eine Nation nicht mehr finden, die freiwillig ihren Rang aufgibt“. Und diesen großen Sätzen schließt sich, kurz darnach, im Vorblick auf die Herbstrevue bei Leuthen, der Ausruf an: „möchte doch der classische Boden alle Geister, vor allem die schwachen beleben!“ Das war es: Prinz Wilhelm wurzelte im Boden Friedrichs II. Nur mit offenem Widerwillen ertrug er die Selbstunterordnung Preußens unter Oesterreich. Man darf es wol sagen: in der Nähe des Thrones war er, mehr als der Vater, unendlich mehr als der Bruder, die wahre Verkörperung des preußischen Bewußtseins, des preußischen Großmachttriebes. Deshalb stieß er sich an der Frömmelei des Zeitalters, deshalb sah er so sorgenvoll auf die Stockung im Heerwesen; hinter keinem, auch nicht hinter dem befreundeten Rußland, sollte sein Land und dessen Armee auch nur äußerlich zurückstehn (3. April 1823). Er will Preußens Macht gewahrt sehen und deshalb Preußens innere Lebendigkeit. In jenen Briefen von 1821 und 1824, mit ihrem Jugendfeuer und ihrem schwungvollen Ernst, mit ihrer Schätzung der lebendigen Kraft, ihrer Würdigung der sittlichen Gewalten ist ein gut Stück von dem Geiste des Jahres 1813, auf das er sich beruft; da ist er rückhaltlos oppositionell wie die Vertreter der Reformzeit, und reicht er ihnen bewußt die Hand. Nur daß bei ihm das letzte Ziel doch immer die Macht bleibt: nicht die innere Weiterbildung des Staates, seine Durchdringung mit einem Ideale, sondern – auch jetzt, wo es keinen Todfeind abzuschütteln galt – seine Bethätigung innerhalb der großen Welt.

Auf diesem Wege ist er verharrt; insofern bleiben die Gesinnungen, die er sich damals erkämpft hat, sein dauerndes Eigenthum. Jener Klang jungendlicher Opposition aber wurde schwächer, indem er selbst älter wurde: die zweite Hälfte der 1820er Jahre, in der sein persönliches Schicksal sich setzte, scheint auch dafür die Zeit des Umschwunges gewesen zu sein. Er wurde nach dem Tode Alexanders I.[WS 6], dem er einen bewegten Nachruf schrieb, Anfang 1826 nach Petersburg geschickt. Die Luft war noch voll von der Schwüle des Dekabristenaufstandes[WS 7]; Prinz Wilhelm empfing starke Eindrücke davon und zeigte sich seinem Begleiter Leop. Gerlach geneigter, auch für Deutschland an Verschwörungen zu glauben, als dieser guthieß. Seinem Vater hat er damals eine Fülle von Berichten geschickt, die man wol kennen möchte; dem glänzenden russischen Schwager, dem neuen Kaiser Nikolaus, der auch die europäischen Verhältnisse mit ihm besprach, schloß er sich in warmer Bewunderung an. Schon im Winter 1827/28 weilte er wieder bei ihm, diesmal mit dem gewichtigen Auftrage, den Argwohn Rußlands gegen die unabhängig sich zwischen den beiden östlichen Kaisermächten haltende preußische Politik zu bekämpfen; er kam, vom Minister Bernstorff sorgfältig unterrichtet, vom Gesandten Schöler dauernd berathen, und er trug wirklich erfolgreich dazu bei, jenes Mißtrauen zu zerstreuen: um so erfolgreicher allerdings gerade deshalb, weil er selber mit dem Herzen russisch war, ein Gegner so der Türkei wie zumal Oesterreichs, eifrig wenngleich vergeblich bestrebt, seinen Vater zu kräftigen, womöglich kriegerischen Thaten ganz auf die Seite des Zaren herüberzuziehn. Immerhin durfte er sich in bedeutsamen eigenen Verhandlungen erproben; gar zu gern wäre dann wenigstens er selbst mit den Russen gegen die Türken ins Feld gezogen, aber auch das erlaubte der König ihm nicht, er schickte ihn vielmehr im September nach Wien, um dort, halb wider Willen, im Sinne der Vermittlung weiterzuwirken. 1829 holte der Prinz, wieder von Bernstorff zuvor instruirt, Nikolaus ein, als dieser zu Wilhelms eigener Hochzeit nach Berlin kam, und hat ihn dann 1832, 34 und 35 von neuem besucht. Er erscheint in all diesen Jahren auch in seinen politischen Grundsätzen gewissermaßen russischer, positiver geworden. Als die Julirevolution von 1830 die europäische [535] Lage von neuem spannte, war Wilhelm kriegerisch wie nach den Revolutionen von 1820: aber die Form und auch das Motiv seines Wunsches hat sich den ersten 20er Jahren gegenüber verändert. Er ist jetzt vor allem Legitimist geworden, den jugendlichen Thatendrang und die frische Unzufriedenheit mit der Leblosigkeit des preußischen Staates hat ein starkes, aber gehaltenes, ganz fürstliches Bewußtsein verdrängt.

Freilich hatte der neuen französische Stoß die Verhältnisse Europas sehr wesentlich verwandelt. Die Zeit der Restauration war seit 1830 für den Erdtheil zu Ende; überall, in Italien, Belgien, Polen, in Deutschland selber fand die Revolution willige Nachfolge und Wiederholung, überall erhoben sich die liberalen Ideen zu erfrischter Wirksamkeit, und in Frankreich, England und Belgien brach, nach den Hindernissen der letzten Jahrzehnte, die Epoche des Bürgerthums unwiderstehlich und dauernd herein. Der Mittelstand ergriff die politische Macht, gestaltete, erfüllte, beherrschte die neuen Constitutionen, nutzte wirthschaftlich die errungene Gewalt. Auch in Deutschland hob sich in den 30er Jahren, vom Zollvereine allmählich gestützt und immer weiter gesteigert, Wohlstand und Selbstbewußtsein des Bürgerthums und die von neuem eifrig einsetzende Reaction vermochte weder diese Entwicklung noch die Kritik zu hemmen, die sich überall ausbreitete und in sich selber, kämpfend, verschärfte. Preußen freilich blieb unter seinem alten Könige das alte: nur allmählich bereiteten sich auch hier, zumal an den beiden Enden der Monarchie, neue Ansprüche vor. Ueber Europa hin aber sorgte das Zusammengehen der liberalen Westmächte, des orleanistischen Frankreichs mit dem whigistischen[WS 8] England, für eine gründliche stetige Erschütterung des alten, von Metternich so kunstvoll und fein durch alle Nöthe hindurch gewahrten Systems. Der Krieg drohte am Beginn und wieder am Ende des vierten Jahrzehnts, zum guten Theile Preußen verhinderte ihn. Aber auch Preußen wurde, wie friedlich und conservativ es sich immer hielt, in die weiter und unruhiger gewordenen, großen Gegensätze hineingezogen.

Man spürt in dem Briefwechsel eines preußischen Officiers wie Natzmer recht deutlich, wie aufregend das unheimliche Aufflammen der internationalen Revolution in West und Ost und Süd und an so verschiedenen Stellen des eigenen, deutschen Vaterlandes auf die Menschen wirken mußte, und wie den Kämpfern von 1806 und 1813, bei einer so mächtigen Wiedererhebung des alten Gegners, die Hand von selber an den Degen fuhr. Im preußischen Heere war der Stolz auf die eigene Kraft und die Kriegslust groß; Jahre lang stellten die französischen und die niederländischen Bewegungen ihr die lockendste Aussicht. Auch Natzmer, der alte Freund der Reformpartei, der doch kein ultraconservativer Durchgänger war, war kriegerisch. Auch Prinz Wilhelm, wie gesagt, war es; Ende 1832 entwarf er wieder Pläne für die Heerführung, und am 1. April 1833 schüttete er dem Freunde über die Politik sein Herz aus. Den Gang, den sie seit drei Jahren geht, kann er nicht loben. Der Friede ist bestehen geblieben „und wie ich glaube nicht zum Heile der Menschheit“. – So ist bei ihm, wenigstens seinem Bewußtsein nach, an die Stelle des preußischen Ehrgeizes vorerst die internationale Parteigesinnung getreten. – „Die Irrlehren, die man durch Erhaltung des Friedens in den Augen der Menge sanctionirt, dürften leichter verderblich für die Völker werden, als ein Krieg zur Bekämpfung derselben. Und doch wird es zum Kampf kommen“. Nur wird er um so blutiger werden, je sicherer sich Frankreich rüstet, je weiter sich die Irrlehren ausbreiten. Hat man doch beispielloserweise die Revolution dieses Mal geradeswegs anerkannt! 1834 beklagte er achselzuckend, daß, wie die Dinge in England liegen, „die monströse Politik [536] Europas wol eine Zeit lang so fort dauern“ werde. Als Friedrich Wilhelm III. 1837 dem Herzog von Orleans[WS 9] eine mecklenburgische Fürstentochter[WS 10] zur Braut werben half, widersprach sein Sohn in einem Schreiben an die Großherzogin von Mecklenburg auf das heftigste: der Gedanke eines Ehebundes zwischen dem Hause des Usurpators und einem der „anderen, ehrenvoll und rein dastehenden Fürstenhäuser“, „bekümmert ihn in jeder Hinsicht sehr, sehr tief“. Um so vollständiger schloß er sich jetzt seines Vaters österreichischer Politik an. Nach dem Tode des Kaisers Franz schickte ihn Friedrich Wilhelm 1835 nach Wien, um dort durch das sichtbare Eintreten Preußens die schwierige Lage der drei Minister zu festigen, die für den schwachsinnigen, aber legitimen Nachfolger Ferdinand die thatsächliche Regierung übernahm: selbst wenn ein solcher Herr Kaiser ist, bleibt Preußen ihm getreu und halten die alten Monarchien zusammen. Der Prinz freute sich der Mission, der Dankbarkeit Metternichs, der Sicherung des Kaiserstaates; sein Vater hat sich hier bewiesen als „der letzte der drei hohen Männer, die Europa retteten“.

Man sieht den Prinzen als den Träger wichtiger politischer Sendungen, als Mann behandelt, selber über die Jahre unruhigerer Bewegung hinaus, in seiner Anschauung vielleicht verengert, aber zugleich befestigt und gereift. Auch auf dem Felde seines eigentlichen Berufes, des militärischen, war er damals in die Zeiten der Reife eingerückt. Er blieb bis 1840 und darüber hinaus commandirender General und durfte als solcher und als Prinz seine Ansicht selbständig geltend machen; so erhob er mit Erfolg 1832 Einspruch gegen die Verkürzung der Dienstzeit, 1835 gegen eine Schmälerung der Befugnisse der Corpscommandeure. Er freute sich der Leistungen seiner Brandenburger und freute sich, sie vom Könige anerkannt zu sehen. Als 1837 durch den Tod Herzogs Karl die Garde frei wurde, erhielt Wilhelm erst in Stellvertretung, dann dauernd die Führung dieses vornehmsten Armeecorps, daneben wurde ihm wie dem Kronprinzen und dem Prinzen Friedrich 1838 und 1839 eine Armeeinspection übertragen: seine Ausbildung wurde hier, wie gleichzeitig in der europäischen Politik, noch unter seinem Vater auf den Gipfel geführt: hier wie dort lernte er die weiten Verhältnisse überschauen und handhaben, und hier ganz gewiß wurde er zum Meister: auf ihm, so hatte es Witzleben ausgesprochen, ruhten die künftigen Hoffnungen der Armee. Als ihr ein neues Dienstreglement gegeben werden sollte, war er (Winter 1837) wieder der Leiter der dafür geschaffenen Commission. Aus der immerhin gleichmäßigen Ruhe dieser militärischen Friedenswirksamkeit weist, soviel wir sehen können, nur eins in eine Zukunft hinaus, in welcher der getreueste Sohn Friedrich Wilhelms III. etwas Eigenes und Neues begründen sollte: jene Verhandlung über die Länge der Dienstzeit in den Jahren 1832 und 33. Die andauernde Geldklemme, in die der König sich durch die Lage seines Landes und mehr noch durch sein Versprechen von 1820, ohne Reichsstände keinerlei neue Anleihen aufzunehmen, versetzt sah, macht sich dem Heere schmerzlich fühlbar. Als 1830 die Mobilmachung nothwendig wurde, merkte man erst, wie viel aus Sparsamkeit versäumt worden war, und mußte nun plötzlich doppelt Ausgaben tragen. Aber zu einer ebenmäßigen Einziehung und Ausbildung aller Wehrpflichtigen fehlten auch künftig die Mittel. Man hatte sich durch eine ganz oberflächliche, kurze Einübung eines Teiles der Rekruten in der Landwehr zu helfen gesucht und damit eine völlig unzuverlässige Truppe geschaffen. Wollte man jetzt ohne erhöhte Kosten größere Zahlen und gleichmäßigere Dienstzeit vereinigen, so mußte an die Herabsetzung der Dienstzeit überhaupt gedacht werden. Ein künstliches Verfahren wurde entworfen, nach welchem die Durchschnittspflicht sich auf 16 Monate ermäßigen sollte. Gegen „dies heillose Project“ erhob, [537] seit dem October 1832, Prinz Wilhelm, ebenso wie seine Brüder, die schwersten Bedenken. Die Nothwendigkeit des Sparens mußte er zugeben, er suchte allerlei Auswege; schließlich wurde nach seinem Rathe wie dem der besten unter den übrigen Generälen (Oct. 1833) der Versuch gemacht, mit einer zweijährigen Dienstzeit auszukommen. Die Zahl der Mannschaften in der Linie wurde erhöht, ohne daß das Heeresbudget wuchs. Wilhelm hatte in diesem Kampfe mit General Boyen vereint gefochten, der aus dem Dunkel hervorgetreten war, um den König vor schwerer Schädigung des Heeres zu warnen, und war „sehr glücklich“ gewesen, als sein Vater den alten Träger der Reform gnädig aufnahm und mit Vorschlägen beauftragte. Gleichzeitig sprach der Prinz seine helle Empörung über einen Angriff aus, den Schön gegen das Andenken Scharnhorsts gerichtet hatte. Er fühlte sich also mit den Schöpfern des neuen Wehrsystems zu dessen Vertheidigung innerlichst verbunden. Und doch wich er im Grunde weit von Boyen ab. Die Landwehr erregte seine ernsthafte Sorge, über jenen neuen Mißbrauch ihrer Ueberlastung durch kurzeingeübte Rekruten weit hinaus. Er wollte auf dem Wege von 1819 weiterschreitend die in sich allzu lockere Landwehr enger an die Linie heran-, in deren festeres Gefüge hineinziehen; er dachte an Führung der Landwehrbataillone durch Linienofficiere und an zeitweise Versetzung der aus den Einjährig-Freiwilligen hervorgegangenen, ungeübten Landwehrofficiere zur Linie. Das war für Boyen eine Entwürdigung der Landwehr, die er ja eben von allem Berufssoldatenthum unbedingt reinhalten wollte. Der Prinz hielt seine Ansicht fest: die Ansicht des realistischen, über die Theorien auch seiner Meister ruhig hinweggehenden, von der sachlichen Nothwendigkeit, von dem Vorrange der festen Organisation und der strammen Zucht ganz durchdrungenen Officiers. Er wurde so der höchstgestellte Führer des jüngeren Geschlechts, auf dessen starken Gegensatz gegen die Idealisten von 1807 früher hingewiesen worden ist. Und andererseits, auch in die zweijährige Dienstzeit vermochte er nur gezwungen und vorläufig einzuwilligen: er sprach die Ueberzeugung aus, zur wahren Erziehung des Soldaten bedürfe es mindestens dreier Jahre. In beiderlei Hinsicht hatte der 35jährige das Programm seiner späteren entscheidenden Lebensarbeit aufgestellt.

Noch aber stand er unter dem Zeichen Friedrich Wilhelms III. Es war ihm gegönnt, in ruhigen Bahnen fortzuschreiten, seine Persönlichkeit allgemach zu vollenden, sich wohlthätig auszuwachsen. Er war stärker und lebensvoller als sein Vater je gewesen war; aber er athmete, kleinen Widersprüchen zum Trotze, im ganzen doch völlig dessen Luft. Mit dem Kirchenstreite zwar war er unzufrieden, der Friedrich Wilhelms letzte Jahre erfüllte: man hat die Revolution nicht bekriegt, nun wird man doch nicht der Religion halber, um den Papst zu stürzen, zu den Waffen greifen wollen? (18. April 1838). Aber wie Wilhelms politischer Legitimismus der Gesinnung des Königs im Grunde so nahe stand, so deckt sich die religiöse Anschauung, derenthalben er sich hier empört, ganz mit der rationalistisch-staatlichen, die jenen beherrschte. „Religionskriege würden uns völlig ins Mittelalter versetzen, weil der Fanatismus unausbleiblich sein würde und mit ihm alle damaligen Greuel! Leider giebt es Personen, die dies wohl möchten, und das sind unsere Frömmler à la tête und warum? Weil sie sich gern an die Spitze der evangelischen Kirche und somit auch über die Gouvernements stellen möchten. Von diesen Leuten droht uns stets Gefahr.“ Wie ganz anders waren die Gefühle, aus denen heraus der Kronprinz dieser Kirchenpolitik widersprach! Prinz Wilhelm aber trat, in charakteristischem Einvernehmen mit dem Vater, im Mai 1840 dem Freimaurer-Orden [538] bei, dem seit Friedrich II. alle hohenzollerischen Herrscher angehört hatten und den sein Bruder verwarf.

Wilhelm blieb altpreußisch, hierin wie in allem; und ganz altpreußisch war es ja, daß die Keime späterer Weiterbildung über die Kreise Friedrich Wilhelms III. hinaus, die wir in dem Prinzen festgestellt haben, gerade im Boden des Machtbewußtseins und im Boden des Heerwesens ihre Wurzeln hatten. Daneben war freilich etwas ganz Andersartiges und Fremdartiges seinem Leben angefügt worden: die weimarische Prinzessin, die seit 1829 seine Gemahlin war, die hochstrebende, lebhaft und warm empfindende Schülerin der classischen und der romantischen Bildung; eine Ehe, die gleichsam die zeitgeschichtliche Vereinigung des alten Preußenthums mit den neuen Trieben der außerpreußischen deutschen Geisteswelt zu symbolisiren scheint. Was diese Ehe dem Prinzen Wilhelm bedeutet hat, wage ich nicht zu bestimmen; aus tiefer Liebe war sie, nach allem was man vermuthen muß, nicht hervorgegangen und zu einer tiefen innerlichen Durchdringung der beiden Charaktere und ihres besonderen Gefühls- und Gedankeninhaltes hat sie wol nicht geführt. Einflußlos blieb sie dennoch keineswegs. Sie brachte den Prinzen mit manchem in Berührung, was ihm fern gelegen hatte; sie bildete ihn schwerlich um, aber gab ihm gewiß eine heilsame und fruchtbare Ergänzung. Jetzt (1835) ließ er sich durch Langhans sein Haus unter den Linden zu Berlin, das „Tauentziensche“, zu dem Palais umbauen, das seitdem ein halbes Jahrhundert lang sein Wohnsitz bleiben und für die Nachwelt, in seiner vornehmen Schlichtheit, mit der Fülle seiner Erinnerungen, zum besten Abbilde seines Wesens werden sollte. Seine Gemahlin war an dem Werke lebhaft betheiligt: „die Prinzessin zeichnet selbst in die Risse“, erfuhr Natzmer durch einen Correspondenten am Hofe; der Prinz aber rühmte einem alten Erzieher gegenüber an seinem Palais besonders, „daß zu demselben alles im Inlande gefertigt ist“, das müsse ihm in jedes Preußen Auge einen doppelten Werth geben. Unmittelbarer noch als hier hat sich Kunstsinn und Persönlichkeit der Prinzessin Augusta wohl in dem Schlosse bethätigt, das im gleichen Jahre auf dem Babelsberge bei Potsdam erwuchs, von Schinkel selber in den Formen englischer Gothik errichtet. Hier bildeten sich, über den Havelseen, inmitten eines neu geschaffenen Parkes, in einer ganz und gar brandenburgischen Umgebung die beiden Gatten ihre eigne Welt; aber die Zimmer der Fürstin sind angefüllt mit Zeugnissen des romantischen Empfindens, die ihres Gemahls tragen vor allem den Stempel einer ehrwürdigen Einfachheit, den echten Stempel des Preußens der 20er und 30er Jahre – den Charakter bewahrte ihr Herr ihnen, auch als später das Schloß größer und reicher ward. In diesen zwei Wohnungen war fortan seine wahre Heimath. Am 18. October 1831 war ihm der Sohn, Prinz Friedrich Wilhelm, geboren worden, 1838 folgte eine Tochter, Luise[WS 11], nach: beide Namen vom Elternpaare des Vaters genommen. Auf ihm und diesem Sohne ruhte die Nachfolge der preußischen Krone, seit die Kinderlosigkeit des Kronprinzen sicher geworden war. Das gab dem Dasein Wilhelms einen größeren Werth, und der Familienkreis, der sich ihm gebildet hatte, schloß es fester zusammen. Die volle Manneszeit war erreicht. Und alle entscheidenden Züge seines Wesens waren sichtbar: der Officier, der Anhänger des patriarchalisch-militärischen Königthums, der Freund der Ostmächte, der einfach aber entschlossen conservative Mann; der Mann der Arbeit, der Treue, der Schlichtheit des Empfindens und des Auftretens; zuverlässig, klar, kräftig, aber in dem herrschenden Systeme fast völlig aufgehend, viel mehr jedenfalls als in der ersten Hälfte des vorhergehenden Jahrzehntes. Er war ein Vierziger und eigentlich ganz fertig, der menschlichen Regel nach mochte ihm bestimmt sein, so zu bleiben [539] wie er war, auch wenn – das ahnte man allerseits – die preußische Welt sich mit dem Tode des alten Königs mannigfach wandeln mußte. Man hätte damals erwarten können, daß er auch in einer neuen Zeit seinen Weg finden und ihr gerecht werden würde; daß sie ihn selber in seinen Ansichten und Zielen umgestalten, daß er gar berufen sein könnte, sie zu leiten – das sicherlich nicht.

Der Prinz stand seinem Vater liebevoll zur Seite, als es mit Friedrich Wilhelm III. zur Rüste ging. Am 7. Juni 1840 starb der König. Das Gardecorps des Prinzen Wilhelm war es, das ihm, nach seinem Willen, das letzte Geleit zu geben hatte. Dann aber legten sich dem Prinzen neue Pflichten und Lasten auf die Schultern: er war jetzt Thronfolger, der neue König begrüßte ihn als Prinzen von Preußen.




3. 1840–1857.

Friedrich Wilhelm IV. räumte seinem Bruder eine Stellung ein, wie er selber als Kronprinz sie bisher eingenommen hatte: er gab ihm den Vorsitz im Staatsministerium und im Staatsrathe, bald auch die Statthalterschaft in Pommern, und während seiner eigenen Auslandsreisen mehrere Male die allgemeine Vertretung des Königs. Das waren durchaus neue Aufgaben. Die alten blieben: der erste Soldat Preußens mußte der Prinz unter diesem unsoldatischen Herrscher vollends sein, mit dem an die Spitze des Kriegsministeriums zurückberufenen Boyen zusammen war er – seit 1840 General der Infanterie – der erste militärische Berather oder Vertreter der Krone. Das Gardecorps behielt er bis 1848. Gleich anfangs schien sich seine alte Sehnsucht eines Krieges mit Frankreich erfüllen zu sollen: die nationale Begeisterung, die das aus den orientalischen Wirren hervorgestiegene Zerwürfniß mit Thiers[WS 12] und Ludwig Philipp[WS 13] in Deutschland überall entzündet hatte, ergriff auch ihn, er schrieb sich Beckers Rheinlied ab und redete kriegerisch zu seinen Officieren. Der Krieg brach nicht aus; die Reformen im Bundesheerwesen, die man unter dem Antriebe der westlichen Gefahr wieder betrieben hatte, mißlangen dieses Mal wie alle Male; es war ein Nachklang dieser Ereignisse, daß der Prinz von Preußen im J. 1841 als Bundesinspecteur die österreichischen Truppen musterte. Dann aber traten die inneren preußischen Angelegenheiten ganz in den Vordergrund und hier erwies sich bald, daß wol die Bedeutsamkeit seiner Stellung gestiegen war, unendlich höher aber ihre Schwierigkeit.

Deutlich hob sich der Charakter der 40er Jahre von dem Vorhergegangenen ab. Alles was bisher sich vorbereitet hatte – für Preußen wenigstens im Stillen sich vorbereitet hatte – brach jetzt an das Licht: die nationale Bewegung auf Kraft und Einheit, durch jenen Kriegslärm von 1840 gewaltig angeregt; die liberale auf Freiheit und Verfassung, getragen von dem jetzt allerorts auch in Deutschland bei erweitertem und beflügeltem Verkehre und Betriebe reich aufblühenden und eifersüchtig empordrängenden Bürgerthume, geleitet durch dessen wirthschaftliche und sociale Bedürfnisse und durch die politische Doktrin, die sich im Westen Europas ausgebildet, mit dem deutschen Denken längst innig berührt hatte und jetzt in Deutschland mit allem Anspruche unfehlbaren Rechtes und praktischer Geltung gebieterisch hervortrat. Nationale Einheit und bürgerlich repräsentative Verfassung vermählten sich miteinander; die nachhaltige Kraft ihrer Forderungen ruhte auf dem breiten Grunde jener inzwischen vollzogenen socialen Neubildung; unmittelbar wirksam wurde diese Kraft durch den heißen Glauben an die Lehre, das Ideal. Ihm gegenüber [540] hielt sich der Widerstand des ostdeutschen Adels und der des alten absolutistischen Systemes aufrecht, auch sie beide materielles Interesse und feste Doctrin auf das engste verbindend. Ueberall rückten in dem neuen Jahrzehnt, inmitten der bürgerlicher gewordenen Welt, inmitten der Entfaltung der Eisenbahnen, des Zollvereins, der neuen Industrie, die realistischen Bestrebungen siegreich vorwärts, in Litteratur und Politik; das Zeitalter der großen Philosophie und der großen Dichtung, des allgemeinen idealistischen Denkens wich sichtbar zurück. Indessen, die Träger der neuen Zeit waren doch noch alle die Schüler der alten; auch ihr Denken, insbesondere auf politischem Boden, war ganz durchsetzt von der Theorie und ihr Handeln allzu oft von ihr gelenkt. Erst ganz allmählich sollte der neue Geist, durch bittere Erfahrungen erzogen, seinen Weg vollenden, sich selber reinigen und steigern, die Wirklichkeit und Möglichkeit bescheiden erkennen und thatkräftig ergreifen lernen. In den ersten Jahren Friedrich Wilhelms IV. prallten die Gewalten und Gedanken von rechts und links noch maßlos und wirr aufeinander; die Führung – das allein war bereits ganz erkennbar – gehörte dem modernen Zuge, dem nationalen und liberalen, zu.

Das ist die eine Macht, mit der auch der Prinz von Preußen nun innerlich und bald äußerlich abrechnen mußte, um dann sein Lebelang von den Fragen und Aufgaben, die sie stellte, nie wieder losgelassen zu werden. Die andere wurde, auf beinahe zwei Jahrzehnte, für ihn noch unmittelbarer als für die deutsche Entwicklung im ganzen, die Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV. Die Bahnen des alten Königs werden verlassen, sein Nachfolger will die Wünsche der Zeit erfüllen, nicht so, wie sie selber, sondern so, wie er sie versteht, ein Fürst von starkem Herrscherbewußtsein, von unbedingter Treue gegen sein oberstes Princip; durchdrungen von der romantischen, christlichen, ständischen Idee, entschlossen, ihr, aber auch nur ihr alle Ueberlieferungen Altpreußens zu opfern; dabei liebenswürdig, hochsinnig, geistvoll, glänzend, willkürlich, bei aller Festigkeit des leitenden Ideals im einzelnen ein Spielball der Stimmung, der widersprechenden Gefühle; eine Natur von ergreifendem Schwunge und bestrickendem Reiz, aber von Hause aus das genaue Gegentheil des Staatsmannes; verurtheilt zu der tiefen Tragik, gegen die Geschichte und Eigenart seines festgefügten modernen Staates und gegen die Ansprüche der sich ringsum entwickelnden socialen und politischen Gewalten zäh und vergeblich anzukämpfen, bis die Mächte der Zeit ihn überwältigen, niederwerfen, ihm die eigensinnig festgehaltene Führung aus den Händen reißen, ihn nöthigen, fortan das Gegentheil seiner Grundsätze durchzuführen und sich, trotz scheinbarer Erfolge, in stillem, aussichtslosem Widerstande gegen das Neugeschaffene und Unvermeidliche innerlich zu verzehren.

Neben ihn, den Künstler und den Dogmatiker, sieht sich sein Bruder gestellt, der Praktiker und Soldat; dem unruhigen Neuerungstriebe des Einen setzt sich der Conservatismus des Anderen, dem springenden, wechselvollen Eigenwillen und der verborgenen, unbelehrbaren Zähigkeit der gesunde Verstand, der Sinn für das Mögliche und Nothwendige entgegen. Sie standen sich herzlich so nahe wie zwei Brüder es nur vermögen, und der Jüngere ganz besonders bewunderte den sprühenden Reichthum des Aelteren mit selbstloser Hingabe und einer geradezu ungerechten Bescheidenheit. Dennoch brachte beinahe die erste Stunde Abweichung auf Abweichung: nicht minder schwer als der Geist der veränderten Zeit war dem Zöglinge Friedrich Wilhelms III. der Geist der genialen Unberechenbarkeit und der Ruhelosigkeit zu ertragen, der fortan vom Throne her alle Verhältnisse erst vollends zu verwirren unternahm, da er sie souverän entwirren zu können glaubte, und in dem Wilhelm [541] doch die Autorität seines Königs zu ehren, die Vollgewalt seines Königs anzuerkennen gezwungen blieb.

Am einigsten waren sie von vornherein in demjenigen, was sie später am schwersten entzweien sollte, in der auswärtigen Politik. Wilhelm blieb gut ostmächtlich gesinnt, und das war die preußische Regierung in den 40er Jahren im wesentlichen auch; an den englischen Neigungen, die sein Bruder damit verbinden zu können glaubte, scheint er keinen Anstoß genommen zu haben. Er selber hat in dieser Zeit sowohl Rußland (1841, 1846) als England (1844) besucht und auch dieses, nach seines Führers Bunsen Eindrucke, liebgewonnen und in seiner Eigenart schätzen gelernt. Bunsen, der Vertraute des Königs, bewunderte in einem politischen Gespräche die Klarheit und Haltung des Prinzen. „Er ist ganz der Vater: ein durchaus edler, ritterlicher brandenburger Fürst, von dem Hause, welches Preußen geschaffen“ (10. April 1844). Königin Victoria[WS 14] fand ihn ebenso: ruhig, mild, freimüthig, er würde ein stetigerer Herrscher sein als es sein Bruder sei. „Er genießt ein allgemeines Vertrauen und eine größere Popularität als sein königl. Herr Bruder“, urtheilte auch General Natzmer im Februar 1845 in einem schriftlichen Selbstgespräche. Zugleich fügte er hinzu, der Prinz sei, wie bekannt, der Führer der conservativen Partei: eben damals zu Friedrich Wilhelm im hellsten Widerspruche. Beinahe auf allen Gebieten hatte sich dieser bereits ausgedrückt.

Unbefriedigt blieb Wilhelm schon im Militärischen. Er arbeitete mit Boyen in vielem zusammen und ehrte den alten Minister hoch. Unter seinem Vorsitz tagte und beschloß (1841–42) eine Commission über Veränderungen in der Cavallerie; die kräftigen Neuerungen Wrangels freilich nahm der Prinz offenbar mit Mißtrauen hin. Damals und später (1841–47) war er an der Neuregelung des Infanterie-Exercierreglements entscheidend betheiligt; auch sonst sah er mancherlei Heilsames geschehen. Aber in der Hauptsache bestanden seine alten Sorgen fort. Noch immer hielt man die zweijährige Dienstzeit und die allzugroße Selbständigkeit der Landwehr; der Prinz fand, daß die öffentliche Meinung diese auf das einseitigste der Linie gegenüber überschätze, und daß sie dazu gelangen könnte, die Landwehr ganz zu verderben (Dec. 1846). Er wünschte auch jetzt, die Landwehr vielmehr enger an die Linie heranzuziehen und brachte 1847 den Antrag ein, an die Spitze der Landwehrcompagnien Berufsofficiere zu stellen. Nichts konnte Boyens innersten Ueberzeuugnen stärker zuwiderlaufen, er lehnte den Antrag unwillig ab. Der Prinz von Preußen aber, vom Doctrinarismus der alten Schule von neuem zurückgewiesen, behielt seine Gedanken der Zukunft vor. Friedrich Wilhelm IV. war ohnehin nicht der Mann, eine kostspielige Reorganisation des Heeres durchzuführen.

Weite sichtbarer war die Abweichung auf dem bürgerlichen Gebiete. Unter den Gesetzen, durch welche der König sein christlich-ständisches Ideal zu fördern hoffte, fanden gerade die wichtigsten die Billigung seines Bruders nicht. Das strenge Ehescheidungsgesetz (1843) erschien ihm unpraktisch und gefährlich; das Adelsgesetz, das die preußische Aristokratie nach englischem Muster neugestalten sollte, verwarf er (1846); die Personalveränderungen in den Ministerien beklagte er (1844). Sowol das Verfahren des Königs war ihm unverständlich als dessen Rathgeber unsympathisch: der König erkennt an, daß das Ehegesetz zu viel enthält und den Magen des Volkes für jetzt überlädt – und doch bringt er das Gesetz ein und reizt dadurch auf. Weshalb aber? „weil die Frömmler ihm immer predigen, der Magen des Volkes müsse verdauen, was man ihm bietet! Eine vortreffliche, aber naive Heilsmethode, zu deren Fahne [542] ich nicht schwöre!“ (an Natzmer 4. April 1843). Der ganze Unterschied der Naturen und der Ansichten prägt sich in dieser Kritik aus.

Das Arge war, daß dieser Unterschied auch in der eigentlichen Hauptfrage der ersten Zeiten Friedrich Wilhelms IV. wirksam werden mußte, in der Verfassungsfrage. Es ist bekannt, Friedrich Wilhelm wollte eine Verfassung geben, die seinem ständischen Ideale entspräche: keine formalistisch gleichmachende, liberale, sondern eine auf die Provinzialstände, und sonach auf die Geburts- und Berufsstände, auf die natürlichen Unterschiede begründete Verfassung; nicht eine also, die zu machen wäre, sondern eine solche, die nur der Ausdruck der ewigen Gliederungen des Volkes sein sollte, wie seine Doctrin sie ihn schauen ließ. Und er wollte sie aufbauen in künstlicher Harmonie, ein vielgliedriges System von provinzialen und allgemeinen Versammlungen, den Ständen frei gewährend soviel ihm beliebte, wann es ihm beliebte und wie es ihm beliebte, ungedrängt, ungezwungen, aus königlicher Hand spendend, immer der Geber und der Herr. Er wich dabei vor Einwänden immer von neuem zurück, aber immer nur auf eine Weile. So versäumte er die günstigen Stunden wieder und wieder, gewährte schließlich erst, als die Forderung längst laut und lauter geworden war, und gewährte dann doch stets nur das, was seinem Systeme gemäß war – alle durch sein Andeuten, Zaudern, Versagen und Bewilligen reizend und erregend, keinen am Ende wirklich befriedigend; in dieser achtjährigen höchstpersönlichen Politik ein Vorarbeiter der Revolution wie kein anderer sonst.

In dem Wandel seiner Haltung dieser königlichen Politik gegenüber vollzieht sich die eigentliche politische Entwicklung des Prinzen von Preußen zwischen 1840 und 48.

Friedrich Wilhelm III. hatte 1820 die Aufnahme neuer Staatsschulden an Reichsstände gebunden; sein politisches Testament von 1838 beschränkte deren Berufung auf jenen einen Fall und setzte die Stände selber so zusammen, daß sie vollkommen ohnmächtig bleiben mußten, band ferner jede Aenderung der ständischen Verfassung an die Einwilligung der Agnaten, der volljährigen Prinzen. Eigentliche Rechtskraft besaß das Testament nicht; aber es legte dem Prinzen von Preußen, der es rückhaltlos anerkannte, die innere Verpflichtung auf, seine Ansichten geltend zu machen. Er empfand diese Pflicht doppelt, als getreuer Schüler seines Vaters und als Vater desjenigen, der einst die Krone erben müsse – daß sie ihm selber zufallen könnte, war wenig wahrscheinlich, und es wird wirklich anzunehmen sein, daß nicht nur seine Denkschriften, sondern seine Gedanken selber die Aussichten nur seines Sohnes ernstlich in Betracht gezogen haben.

Er trat mit den Anschauungen des alten Königs in die neue Zeit ein. Das Drängen des Königsberger Landtags auf eine Verfassung veranlaßte ihn noch 1840 zu einem schroff ablehnenden Briefe an Schön; da bezeichnete er die maßvolle Forderung als eine That des Umsturzes, der höchsten Illoyalität, berief sich auf den tiefen und praktischen Blick seines Vaters. Und als die Pläne des Königlichen Bruders allmählich sichtbar wurden, blieb er in unablässiger Opposition. Freilich, von der völligen Versagung aller ständischen Institutionen sah er sich durch den Willen des Herrschers abgedrängt; dafür mahnte er 1842, ganz vorsichtig vorzugehen, die Erweiterung der ständischen Functionen erst im Bedürfnißfalle zu berufen und alsdann deutlich zu erklären, mehr werde nun überhaupt nicht bewilligt werden. So blieb er im wesentlichen doch bei dem Programm seines Vaters stehen. Und jedenfalls verlangte er eine unzweideutige, abschließende Aeußerung des Königs zu seinen Unterthanen. [543] Vergeblich; Friedrich Wilhelm berief 1842 die Vereinigten Ausschüsse und erlebte an ihnen seine erste Enttäuschung. Den weiteren Ausbau schob er auf, ohne ihn jemals ganz ruhen zu lassen; 1844 trat er wieder damit hervor. Der Vereinigte Landtag, aus allen Provinziallandtagen zusammengesetzt, sollte sich über diesen und über den Ausschüssen erheben. Im Sommer 1844 mußte Bunsen den Prinzen bearbeiten, der gelegentlich zu recht scharfen Aeußerungen vorschritt und auch in den Sitzungen der Commission für die Ständefrage seine Meinung nicht zurückhielt. Von unmittelbarer Befragung des Bruders nahm Friedrich Wilhelm bald ganz Abstand, Leopold v. Gerlach vermittelte zwischen ihnen, ihm und Natzmer schüttete Wilhelm sein Herz aus (Winter 1844–45). Die Bedenken, die er da gegen das persönliche politische Verfahren des Königs aussprach, waren, wie seine früher aufgeführten ähnlichen Einwendungen, vollständig berechtigt: er forderte Consequenz, Einheitlichkeit des Ministeriums, praktische Bestimmtheit des Arbeitsprogrammes für die Stände. Und er vermißte all dies. Er fragte sich, ob diese Minister geeignet wären, mit Reichsständen zu regieren. „Der König sei es aber am allerwenigsten, weil er die Geschäfte parlamentarisch zu führen nicht geschaffen sei. Er sei zu sehr an einen absoluten Willen gewöhnt.“ Wenn seine Kritik dann die königlichen Entwürfe im einzelnen untersuchte, so zeigte sie auch da vielen gesunden Sinn. Aber hatte der Prinz im Sachlichen Recht? Gewiß insofern, als die Anschläge, die er bekämpfte, auch sachlich nicht haltbar waren: das aber, was Wilhelm seinerseits empfahl, war es doch ebensowenig, und vielleicht noch weniger. Niemand wird sagen können, was er gethan hätte, wenn er selber damals König gewesen wäre. Die Möglichkeit und, gegebenenfalls, Nothwendigkeit von Reichsständen gestand er zu; hätte er die Verantwortung gehabt, so würde er sich gangbare Wege haben suchen müssen. Als bloßer Kritiker, der nur Widerspruch erheben und Verbesserungen eines fremden Vorhabens aussinnen mußte, vermochte er sich aus der überkommenen Anschauung, dem alten und unhaltbar gewordenen absolutistischen Systeme, nicht weit genug herauszuziehen, und gelangte so auch seinerseits zu unmöglichen Vorschlägen.

Sein Gesichtspunkt ist dabei immer der gleiche: er geht von der Weltstellung Preußens innerhalb Europas und des deutschen Bundes aus; diese sieht er an die Unabhängigkeit der Krongewalt gebunden. Ist die Krone beschränkt, so sinkt Preußen gegenüber den von Hause aus stärkeren Nachbarn im Süden und Osten in Schwäche zurück; die Einheit der Souveränität, und als deren Ausdruck und Mittel die Festigkeit des königlichen Heeres, muß erhalten bleiben.

Gedanken, die für alle künftige Wirksamkeit Wilhelms I. überaus wichtig bleiben, für unsere Geschichte dereinst schöpferisch werden sollten; sie wurzeln im echten preußischen Gefühle; waren die Besorgnisse richtig, die Wilhelm an sie knüpfte, die Folgerungen, die er daraus zog? Konnte die Verfassung verweigert oder verkümmert werden und mußte sie die Kraft des Staates lähmen? Die Antworten, die er diesen Fragen vorerst ertheilte, zeugen davon, wie er danach strebte, der Gegenwart gerecht zu werden, wie ihn aber bei alledem die Vergangenheit noch beherrschend umfing.

Im Januar 1845 entschied er sich, nach allem Hin und Her offen vor seinen Bruder zu treten. Er berief sich in einem ausführlichen Schreiben auf das von Friedrich Wilhelm III. verfügte Einspruchsrecht der Agnaten; er ging im übrigen auf die Wirklichkeit, d. h. die nun einmal bestehenden Pläne des Königs, ein; in ihnen bekämpfte er die Gewährung des Bewilligungs- und des Petitionsrechtes an die Stände; er wünschte ferner, neben den Vereinigten Landtag ein besonderes Herrenhaus als Gegengewicht zu stellen. Er warnte den [544] König, wie es scheint, vor dem Hinübergleiten in eine wirkliche Constitution, und fand ihn bereits auf der schiefen Ebene. In das Haus des Prinzen läßt uns Gerlachs Angabe blicken, den langen Brief ihres Gemahls habe die Prinzessin abgeschrieben. Friedrich Wilhelm IV. wies ihn nicht ohne Erregung zurück; er zweifelte nicht an seiner Fähigkeit, die königliche Vollgewalt in jedem Augenblicke festzuhalten; das Recht des Einspruches, das Wilhelm gefordert hatte, ließ er ihm in einem staatsrechtlichen Gutachten bestreiten. Ohne den Prinzen tagte vom Sommer 1845 ab eine neugebildete Commission, auch sie in ihren Bedenken dem Könige gegenüber ganz ohnmächtig; da ergriff Wilhelm, auch diesesmal ungefragt, im November 1845 von neuem das Wort. Er hielt im Ganzen seine alten Gedanken fest, fügte sie aber in das System, das Friedrich Wilhelm entworfen hatte, ein: er wollte den Vereinigten Ausschüssen die Berathung der Gesetzte, dem Vereinigten Landtage – allerdings einem verkleinerten – die der Finanzen zuweisen, damit der Landtag seine finanzielle Einwilligung nicht vom Erlaß bestimmter Gesetze abhängig machen könne. Eigentliche Bewilligung sollte überdies den Ständen nicht zustehen, nur die berathende Stimme. Wieder berief er sich dafür auf Preußens äußere Lage. Er forderte die Prüfung dieses Votums durch die Commission, die es mit gutem Rechte ablehnte; in der That, wer vermöchte sich dieses künstlich gespaltene System von nur berathenden Körperschaften ernstlich vorzustellen? daß sie zu einander streben und in erbittertem Kampfe Alles daran setzen würden, die nur zum Viertel gewährten Rechte, dem alten Versprechen und der lebendigen Gesinnung der Zeit gemäß, ganz zu erobern, konnte ja gar nicht zweifelhaft sein. Es waren Auskünfte, in denen der nüchterne Wirklichkeitssinn des Prinzen von Sorge und Vorurtheil ganz verdüstert war.

Im März 1846 ward er wieder zur thätigen Mitwirkung berufen; Friedrich Wilhelm wollte seinen Plan endlich ins Leben führen, und Ministerium und Commission sollten ihn, nunmehr unter dem Vorsitze des Prinzen von Preußen, der ja das Haupt des Ministeriums war, vereinigt, zu Ende berathen. Am 11. März eröffnete jener die Sitzungen. Zeitgemäße Wandlungen der Institutionen seien, das erkannte er an, stets unerläßlich, die preußische Geschichte erweise es. Aber sind Reichsstände wirklich erforderlich? er sei noch nicht davon überzeugt, und fürchte für die Freiheit der Krone. Noch einmal erhoben sich die Stimmen für und wider, aber die erdrückende Mehrheit bejahte die Bedürfnißfrage, und am Ende trat Wilhelm ihr bei. Dann blieb freilich noch außerordentlich Vieles strittig; die Verhandlungen währten bis in den December, fast immer stimmte der Vorsitzende mit der Minderheit. Zum letzten Male trug er am 17. December 1846 in einem Sondergutachten dem Herrscher all seine Bedenken vor: die Fortbildung der Stände selber nahm er jetzt völlig an, aber die Art gefiel ihm auch jetzt noch nicht. Es sind die alten Gedanken: Zweikammersystem, Trennung von Finanzwesen und Gesetzgebung, Beschneidung des Petitionsrechtes, das die Grundlagen der conservativen preußischen Politik, den Bund mit den Ostmächten, und die Grundlagen der Armee bedroht, das stehende Heer gefährdet, die Landwehr verherrlicht und verdirbt; Einwürfe gegen die Schwerfälligkeit und Unauflösbarkeit des neuen Landtags kamen dazu. Er wies wieder auf die Folgen hin: der Weg des Königs führe zur Constitution und zertrümmere die Macht der Krone. So könne er das Patent, das den Vereinigten Landtag berufe, nicht unterzeichnen; er könne es nicht, im Rückblick auf die Zukunft seines Sohnes. Er bat, die übrigen Prinzen zu befragen.

Friedrich Wilhelm konnte nicht anders als auch diesen letzten Protest abweisen. Nur zur Kenntnißnahme legte er den Prinzen seinen Beschluß vor. [545] Wilhelm blieb unüberzeugt (an Roon, 11. Januar); bis an die Veröffentlichung des Patentes heran hat er sich dann noch innerlich gewehrt; widerstrebend hat er es unterschrieben; Gerlach meinte, eine kleinere Concession und persönlicher Einfluß habe ihn zuletzt gewonnen. Verhindern konnte er ja ohnehin Nichts. Und nachdem er, erst gegen jede ständische Neuerung, dann wenigstens gegen die Gefahren, welche die hier geplante ihm zu enthalten schien, Alles versucht hatte, trat er ehrlich und endgültig auf den neuen Boden hinüber: er hat den ganzen Inhalt seiner und der allgemeinen Entwicklung in diesen Jahren in die monumentalen Worte zusammengefaßt, mit denen er in der Commission die Berathungen abschloß: „ein neues Preußen wird sich bilden. Das alte geht mit Publizierung dieses Gesetzes zu Grabe. Möge das neue ebenso erhaben und groß werden, wie es das alte mit Ruhm und Ehre geworden ist.“

Er legte die erste Probe seines festen Willens im Vereinigten Landtage, noch 1847, ab. Es versteht sich, daß der unklare Gang dieses ersten preußischen Parlamentes in Manchem sein Unbehagen und seinen Widerspruch hervorrief; wohl war ihm auf dem „Schlachtfelde der Zungen“ überhaupt nicht; das Wichtigste aber war doch, daß er sich öffentlich für die ständischen Rechte und ihre zukünftige Wahrung verbürgte, sein Vertrauen zusagte und das der Abgeordneten für die Krone verlangte: deren „Rechte und Freiheiten“ allerdings wollte er auch anerkannt sehen, und jeder neuen Beschränkung der Kronmacht trat er sofort entgegen.

Das war seine letzte politische Bethätigung vor der Revolution von 1848. Das „alte Preußen“ hatte in ihm sich selber überwunden. Er hatte es wol wesentlich aus ererbtem und pflichtgemäßem Gehorsam gegen den König gethan; genug, daß er nun, nachdem es geschehen, sich bedingungslos, wenn auch freudlos, zu den neuen Verhältnissen bekannte: er sollte auch innerhalb ihrer fortan die Verkörperung der festen, nüchternen, zuverlässigen Kräfte bleiben, die Preußen gestaltet hatten und die es charakteristisch vor allen anderen vertraten; und er sollte dabei doch in sich selber die weiteren, auch innerlichen Umbildungen spüren, die aus der einmal vollzogenen Veränderung folgen mußten. Die kommenden Ereignisse fanden ihn bereit, sich anzupassen. Daß man ihm im Lande, oder wenigstens im Volke der Hauptstadt diese ehrliche Bereitwilligkeit nicht zutraute, ist immerhin begreiflich genug; war es doch längst bekannt, daß er den Neuerungen widerstrebt hatte, war er doch das sichtbare Haupt des Officiercorps, an dessen reactionäre Gesinnung man glaubte, und war er doch im Vereinigten Landtage selber nach Art und Gegenstand seiner Reden gewissermaßen der Wortführer der Armee gewesen. Wenn Natzmers Urtheil, Wilhelm sei populärer als der König, jemals Recht gehabt hatte, jetzt war es mit dieser Popularität schlecht bestellt. Schon im April 1847 warf man ihm in Berlin die Fenster ein. Und ganz gewiß, dem fieberhaften Drängen der Zeit blieb er im Grunde fremd, er verstand sie nicht von innen heraus, er konnte ihre Ziele nicht herzlich theilen und auch der Größe ihrer Aufgaben war er schwerlich gewachsen. Das aber hatte er langsam in sich selber vollendet, daß er ihre Nothwendigkeiten männlich ergriff.




Friedrich Wilhelm IV. war daran, die ständischen Rechte nach seinem Willen weiter auszubauen und auch eine Reform des deutschen Bundes von neuem anzuregen; wie bald er aus seinen Bahnen geworfen werden würde, ahnte er nicht. Da führte die Pariser Revolution vom 24. Februar 1848 auch für Deutschland die neue Zeit herauf. Ueberall stürzten überraschend schnell [546] die alten Gewalten, große wie kleine: die Vorarbeit zumal der letzten acht Jahre hatte den Boden völlig bereitet. Auch in Berlin. Den März hindurch stieg auch hier die Erregung, und Schritt für Schritt kam die Regierung, unter dem Antriebe Bodelschwinghs, den Ansprüchen des Tages entgegen. Der Prinz von Preußen wurde am 9. März bestimmt, als Generalgouverneur von Rheinland und Westfalen die Aussicht über die besonders gefährdeten, der französischen Grenze naheliegenden Westprovinzen zu übernehmen; schon hatte er sich (13.) warm von der Garde verabschiedet, aber die Ereignisse hielten ihn in der Hauptstadt fest. Noch war er Vorsitzender des Ministerrathes. Wenn nun Bodelschwingh dort den Erlaß eines freien Preßgesetzes, die Einberufung des Landtags, ja die Gewährung einer „Verfassung“ im modernen Sinne immer dringender befürwortete, so scheint es daß Wilhelm ihm nur langsam und widerstrebend gewichen ist: am 14. hat der Minister ihn beschworen, nachzugeben. Am 15. erhoben sich in Berlin die Straßenunruhen bereits zu bedenklicher Höhe, derart, daß der Prinz die allzulange Nachsicht des Gouverneurs Pfuel mit scharfen Worten tadelte: man demoralisire die Truppen; kurz darauf kam es dann wirklich zu einem regelrechten Straßenkampfe. Nach einer Reihe von Sitzungen brachte Bodelschwingh endlich am 17. März, in tiefer Nacht, seine Amtsgenossen zur Annahme des Preßgesetzes, am 18. früh, unter dem Drucke schlimmer Nachrichten, zur Unterzeichnung eines Königlichen Patentes, das den Landtag schleunigst beruft, eine Constitution für Preußen und ein deutsches Parlament in Aussicht stellt. Auch der Prinz unterschrieb; der König stimmte zu und ging auf die Suche nach einem neuen, populären Ministerium. An all diesen Maßregeln also war Wilhelm, sicherlich nicht ohne Widerspruch, aber doch zuletzt in freier Nachgiebigkeit betheiligt gewesen, er hat in der Folgezeit den Uebertritt Preußens in das moderne Verfassungsleben mehr als einmal auf jenen Morgen des 18. März verlegt und seine Mitverantwortlichkeit dafür ausdrücklich hervorgehoben: die Bahnen, die sein Vater, auch diejenigen, die sein Bruder bis dahin innegehalten hatte, sie waren, – mit welchen Gefühlen immer und mit welchem Bewußtsein von der Tragweite der neuen Entschlüsse –, offenbar verlassen worden. An dem jedoch, was nun folgte, hatte der Prinz keinen Theil. Der Mittag des 18. März brachte den Ausbruch der eigentlichen Revolution, der Nachmittag den großen Straßenkampf, der Abend den Sieg der Truppen, die Nacht den halben, der Morgen des 19. März den ganzen Umschwung in der Haltung des Königs. Der Thronfolger hat all diese Ereignisse mit gespannter Aufmerksamkeit, mit dem heißen Bemühen, einzugreifen, verfolgt, aber er hat wenig thun und nichts verhindern können: halb gefesselt, beinahe ein Zuschauer nur, mußte er die beispiellose Demüthigung der preußischen Krone miterleben. Er stand am Abend des 18. bei den Truppen auf dem Schloßplatze, der königlichen Erlaubniß zum Angriffe auf die Barrikaden der Breiten Straße sehnsüchtig harrend, die Soldaten solange streng zurückhaltend; ihn erfüllte dabei das Gefühl, jetzt sei der König berechtigt, all seine Concessionen zurückzunehmen. Er war späterhin im Schlosse bei Friedrich Wilhelm. Am Morgen des 19. war er wieder dort, in die Vorzimmer gebannt, von den eigentlich entscheidenden Berathungen seines Bruders ausgeschlossen. Schon war dessen Aufruf an seine lieben Berliner erschienen, der für den Abbruch der Barrikaden den Rückzug der Soldaten auf das Schloß verhieß, schon mahnten und drängten Deputationen und Einzelrathgeber, berufene und unberufene, den tieferschütterten, halbbewußtlosen Fürsten, dessen ganze innerliche Welt bei diesem Aufruhre seiner getreuen Unterthanen gegen seine heilige Krone in bitterem tragischem Jammer zusammengebrochen war; sie bestanden darauf, daß die Truppen den ersten Schritt der Nachgiebigkeit [547] thun müßten, verwirrten den Herrscher, seine Umgebung, die Einheit und Klarheit aller Befehle drinnen und draußen immer heilloser. Es ist nicht wahr, daß niemand dagewesen wäre, den diese Verwirrung nicht ergriffen hätte, daß alle, Staatsmänner und Generäle, die Verworrenheit des Königs getheilt hätten, alle am Ende mitschuldig gewesen wären. Vielmehr fällt alle persönliche Verantwortung zweifellos auf den unglücklichen König selbst. Wie stark die Verhältnisse, auch die ganz persönlichen seines eigensten seelischen und körperlichen Zustandes sie milderten, wird man nicht vergessen, und daß das alte System zusammenbrach war eine Nothwendigkeit; aber daß es so zusammenbrach, ruhmlos, würdelos, schmachvoll, dieser tiefste Unsegen, der sich schwer genug an Preußen und an Deutschland gerächt hat, bleibt schließlich allein auf Friedrich Wilhelms Haupte haften: die ihn dabei mit Bitten und Drohungen vorwärtstrieben, handelten, wie sie nach ihrer Anschauung mußten; die ihn schwächlich beriethen, hätten an seinem königlichen Willen ihr Gegengewicht finden müssen; die seine halben Befehle zu rasch auf die Straßen trugen, führten doch schließlich nur aus, was er geboten hatte; und an ernstem Widerspruche hat es ihm nicht gefehlt. Aber auf ihn allein kam es an; wer wäre berechtigt gewesen, in diesen entscheidenden Stunden dem Könige zuwider zu handeln, ihm die Macht aus der Hand zu reißen, das Königthum gegen ihn selber zu retten? Das war in diesem monarchischen Preußen unmöglich, und auch der Prinz von Preußen durfte und vermochte es nicht. Zuerst hatte der König seine vertrauten Generäle befragt; dann kamen die Minister, der abgehende Bodelschwingh, der neu berufene Arnim, mit ihnen berieth er, in Anwesenheit auch seines Bruders; mit dem Prinzen trat er in den Saal, wo die letzte Deputation, wo auch der commandirende General v. Prittwitz wartete. Noch war ein klarer Entscheid, ob und wie das Militär abzuziehen, ob es seinerseits damit den Anfang zu machen, wie weit es zu gehen habe, offenbar nicht getroffen worden, als sich Friedrich Wilhelm mit Arnim und Bodelschwingh zurückzog; der Prinz nebst Prittwitz und den Uebrigen blieb im Saale, weiterberathend, und vertrat neuen, rosigen Meldungen von außen gegenüber die Nothwendigkeit sorgfältiger Nachprüfung. Da brachte Bodelschwingh, vom König kommend, den Befehl des bedingungslosen Rückzuges der Truppen von allen Straßen und Plätzen. Der Prinz und der General widersetzten sich heftig, ohne Erfolg. Damals muß es gewesen sein, was – so scheint es doch – ein Augenzeuge erzählt hat, daß Wilhelm seinen Degen auf den Tisch warf, mit den Worten, er könne ihn nun nicht mehr mit Ehren tragen. Aber der Augenblick zwang, den Zorn zu bemeistern; der Prinz mußte mit Prittwitz die nächsten militärischen Maßregeln berathen; er suchte den König auf, der die Herrschaft über die eigenen Entschlüsse augenscheinlich verloren hatte; zu ändern war nichts mehr, und wie auch immer die Dinge im einzelnen ineinandergegriffen haben mögen – vielleicht kommt man dabei nie aus den Widersprüchen heraus, die eben in der Natur des Herrschers selber wurzelten –, das Geschick vollzog sich nun unabwendbar. Die Truppen konnten nicht auf halbem Wege Halt machen, die Entblößung des Schlosses, die volle Wegziehung allen Militäres folgte, Schlag auf Schlag. Wilhelm hat später diesen 19. März als den eigentlichen Begräbnißtag des alten Preußens bezeichnet: er durfte sich sagen, daß er sich gewehrt hatte so gut er nur konnte; nun rissen auch ihn die Folgen hinweg. Während der unbeschützte Monarch in schwerer Lebensgefahr den Leichenzug der Barrikadenkämpfer begrüßen mußte, während dann seine eigene Flucht nach Potsdam erwogen, begonnen, wieder aufgegeben wurde, sah sich der Prinz aus Berlin herausgeschleudert. Ihm galt seit einem Jahre der volle Groll der Radicalen, ihn vor allen traf jetzt [548] der Taumel von Haß, der sich in den überhitzten Köpfen gegen das Militär entwickelt hatte. Am Nachmittage des 19. war auch sein Palais von fieberhafter Unruhe, von stetem Kommen und Gehen erfüllt, bis dann am Abende das ihm von hochstehenden Männern zugetragene und geglaubte Gerücht, eine Abordnung der Bürger werde die Thronentsagung des Prinzen fordern, ihn zu der schriftlichen Frage an seinen Bruder drängte, ob er bleiben und entsagen, ob er weggehen solle. Man hatte ihn gemahnt, durch seinen Weggang die Person des Königs zu sichern. Auch der König empfahl die Abreise; in aller Heimlichkeit und Vorsicht ist sie am 19. begonnen worden, am 20. fuhren Prinz und Prinzessin nach Spandau, wo die Citadelle eine Zuflucht bot, am 22., dem 51. Geburtstage, nach der Pfaueninsel; und während dann die erlauchte Mutter zu ihren Kindern nach Potsdam ging, wo sie noch immer bedroht schien und erst der Zuspruch der hohen Officiere ihre Sicherheit klar legte, floh ihr Gemahl durch allerlei Schwierigkeiten hindurch, auf allerlei Beistand und Umwege angewiesen, über Hamburg nach England. Am Morgen des 27. März trat er unerwartet in die Wohnung Bunsens, des preußischen Gesandten in London, ein. In der Heimath verfolgte ihn das Toben der Massen; der Gedanke, ihm ein Commando im dänischen Kriege zu übertragen, wurde aufgeworfen, aber ebenso abgewiesen wie die Möglichkeit einer Rückkehr etwa nach Stettin, und so behielt er zwei Monate Zeit, in der „Verbannung“, verhältnißmäßig ruhig und einsam, die überwältigenden Eindrücke seiner Erlebnisse und der Umgestaltung seiner ganzen Welt in sich zu verarbeiten. –

Was hatte sich vollzogen? Die bleibende Bedeutung der 1848er Revolution ist, daß sich in ihr der Sieg des Bürgerthumes, der volle Eintritt des Mittelstandes in den Staat und seine Leitung, und somit die Bewegung auch für Deutschland vollendete, die von 1789 ab Europa in Athem gehalten hatte, die seit 1830 nach längerer Reaction von neuem hervorbrach und im Westen bereits durchgedrungen war. Während dort, in Frankreich wie in England, bereits der vierte Stand sich bedeutsam erhob und die Ereignisse von 48 zum guten Theile führte, gehörte, trotz mancher dem verwandten Regungen in Deutschland, und trotz mancher agrarisch-demokratischen Zuckungen, die deutsche Revolution in der Hauptsache doch dem Bürgerthume, seinen socialen, wirthschaftlichen und seinen politischen Forderungen zu. Es gewann jetzt seinen Einfluß auf die Regierung des Staats. Das war ein Ergebniß, das über die nachfolgende Reaction hinweg bestehen geblieben ist. Es prägte sich aus in den Verfassungen liberalen Charakters, die 1848 entstanden und sich späterhin, in ihrem Kerne, hielten oder wieder herstellten. Freilich, wie einseitig und rücksichtslos waren die Ansprüche des aufstrebenden Standes zuerst noch, wie stark beeinflußt von westeuropäischen Doctrinen, wie unverträglich mit den alten Gewalten, die in Deutschland, monarchische wie aristokratische, doch noch aufrecht standen! 1848 gedachte er, im Zerfalle des absolutistischen Staates, dessen Gesammterbe zu werden: vorerst schien die „Verfassung“ die Verneinung alles Alten in Deutschland bedeuten zu sollen.

Das war das Eine; das Andere war die Herstellung der nationalen Einheit, auch sie im wesentlichen, damals wie vorher, vom Bürgerthume getragen, wenngleich auch sie so wenig wie der Liberalismus das ausschließliche Eigenthum einer Classe: allein auch ihr versagte sich der alte Staat, die Menge der herrschenden Dynastien. Und es ist bekannt, wie dieser Auseinanderfall der Ideen und der Mächte in unserer Revolution beides gelähmt hat, die Vertreter des Neuen wie des Alten; wie sich das reinste und vornehmste aller deutschen Parlamente in unvermeidlicher Unfruchtbarkeit aufreiben mußte, weil ihm die Macht, und zudem die Erfahrung fehlte, durch welches es die Macht, [549] wenn überhaupt, an sich hätte fesseln können; wie die Paulskirche an der Ueberspannung der freiheitlichen und der einheitlichen Idee, an der Vernachlässigung der Einzelstaaten und ihrer Fürstenhäuser, bei allem Schaffen für die Zukunft, in unbefriedigender Tragik elend zu Grunde ging. Auch die Einheit ist 1848, wenn man so will, gebrochen worden: aber während die constitutionelle Entwicklung nie ganz gebrochen wurde und später zum guten Theile wieder in die Geleise des großen Jahres zurücklenken konnte, wurde die Einigung nach 49 völlig gehemmt und mußte sie sich auch in Zukunft ihre Wege, innerhalb der Wirklichkeit, ganz selbständig von neuem suchen und gangbar machen.

Mit dieser zwiefachen Entwicklung, in der ihm die Probleme der letzten acht Jahre mit so außerordentlich verstärkter und dringender Gewalt entgegentraten, hatte Prinz Wilhelm sich jetzt auseinanderzusetzen. Wie er bis zum 18. März innerlich stand, vermögen wir höchstens zu errathen; als er in England eintraf, brachte er den Entschluß rückhaltloser Annahme des einmal Vollzogenen bereits mit. Und nun sah er mit offenen Augen in das englische wie in das deutsche Dasein hinaus, noch schwer erschüttert, traurig, ein verbannter und – so empfand er es – ein verkannter Mann, von ergreifender Güte und Bescheidenheit gegen die, zwischen denen er lebte, immer dabei voll sicherer Würde, vor allem aber entschlossen, aufrecht weiterzuschreiten. Er ließ sich durch Bunsen, dessen leicht entflammtes Herz die Ideen der Zeit begeistert aufgenommen, in die politischen Kreise Englands führen, traf und sprach den Herzog von Wellington, den stolzen Tory, der allem unabweisbaren Neuen dennoch die Thore immer selber aufthat und den er am 10. April eine größere Gefahr, als sie der 18. März in Berlin eigentlich bedeutet hatte, kaltblütig überwinden sah; er verkehrte mit Prinz Albert[WS 15] und Königin Victoria, empfand den Einfluß des liberalen Fürsten lebhaft, bestärkte sich unter alledem in der Anerkennung constitutionellen Staatslebens. Und so erging es ihm, dem Vertreter des alten Preußens, zunächst genau so, wie der Mehrheit der Deutschen daheim: er gab sich dem gewaltigen Zuge, mit dem die noch ungebrochene Bewegung Deutschland durchströmte, ehrlich und sogar warm dahin. Als Dahlmanns und seiner Genossen Entwurf einer deutschen Verfassung erschien, der einen deutschen Einheitsstaat mit immerhin selbständigen Sondergliedern, eine constitutionelle kaiserliche Monarchie mit Ober– und Unterhaus und der Ausscheidung der nichtdeutschen Hälfte Oesterreichs errichten wollte, begrüßte ihn der Prinz von Preußen ebenso freudig, wie ihn König Friedrich Wilhelm, vom Standpunkt seiner altreichischen und österreichfreundlichen Anschauungen und Träumereien her, entschieden verwarf. Wilhelm ließ sich für das Erbkaiserthum gewinnen, dem auch Prinz Albert entgegen war; er drang auf eine bessere Berücksichtigung der Souveräne, die der Entwurf mit einer Anzahl ihrer Unterthanen zusammen in ein Oberhaus hatte einreihen wollen, aber er beließ dem Reichsoberhaupte die Entscheidung, selbst über die von ihm vorgeschlagene Fürstenbank hinweg, er ließ dem Kaiser die Ernennung zwar nicht der sämmtlichen Officiere aber doch aller commandirenden Generäle, und er rühmte in dem Gutachten, das er auf Bunsens Bitte am 4. Mai aufgesetzt hatte und das auch Dahlmann und den Seinen zugänglich werden durfte, an Dahlmanns Werke „die Großartigkeit der Auffassung der neuen deutschen Verhältnisse“; „die Grundsätze, auf welchen das Ganze beruht, sind diejenigen, welche zur wahren Einheit Deutschlands führen werden“; für Preußen habe er sich durch seine Unterschrift vom 18. März bereits dazu bekannt.

Da hatte er also ein deutsches Programm, in voller idealer Fassung, gebilligt und selber aufgestellt, dem er in Zukunft der inneren Hauptsache nach treu geblieben ist, freilich nicht, ohne daß die Form und Art, nach der Seite [550] der Einheit wie der Freiheit hin, recht erhebliche Wandlungen auch in ihm durchgemacht hätten. Sucht man aber den tiefen Grund zu packen, den selbst in der Erschütterung des Frühlings von 1848 sein eigenstes Empfinden nie ganz losließ, so findet man selbst damals, unter aller Bescheidung und Selbstüberwindung, doch die preußische Großmachtidee wieder. Er antwortete dem General Gerlach, der ihn vor dem Anschlusse an das in Preußen gegenwärtig herrschende System gewarnt hatte, am 16. Mai aus London, es scheine ihm unmöglich, nicht auch dem neuen Preußen seine Dienste zu weihen; wie? müsse sich noch zeigen. Aber indem er dies aussprach, richtete er den Blick schmerzerfüllt auf das alte Preußen zurück, die selbständige europäische Großmacht, die seit dem 19. März „in Deutschland aufgehen“ will. Hätte sie es gemußt? genug, der Entschluß dazu ist vom Könige ausgesprochen worden; und dieses neue deutsche Preußen bedarf der Constitution, das ist gewiß. – Die Zeit sollte kommen, wo, nach all den Eindrücken dieser ersten Monate, auch in Prinz Wilhelm das selbständige Preußenthum doch wieder emporschnellte. Vorerst ordnete er sich, in offenbarer Ueberzeugung, dem Wandel der Dinge ein.

Er erhielt bald Gelegenheit, sich auch den heimischen Gewalten gegenüber zu dieser Gesinnung zu bekennen. Man hatte in dem aufgewühlten Berlin mancherlei Demonstrationen gegen ihn, manche indeß auch für ihn erlebt. Ein Theil der Berliner Landwehrleute hatte sich, von dem getreu conservativen Louis Schneider, der den Doppelberuf des Hofschauspielers und Militärschriftstellers unbefangen in sich vereinigte, angeredet, zu seinem verbannten General geschlagen und Gaudys Lied vom Prinzen von Preußen war viel gesungen worden, hier in Berlin wie draußen von der Garde in Schleswig-Holstein:

Prinz von Preußen ritterlich und bieder,
Kehr zu deinen Truppen wieder
Heißgeliebter General!

Erste Ende Mai riefen ihn König und Ministerium endgültig zurück und aus Brüssel legte er, in einem offenen Briefe an den König, sein Programm am 30. Mai dar; er huldigt den freien Institutionen, auf deren Entwicklung er hofft, der entstehenden, zwischen König und Volk zu vereinbarenden Verfassung, der er bereit sein wird zuzustimmen. Eine ähnliche Erklärung gab er, zum Abgeordneten der Berliner Nationalversammlung erwählt, am 8. Juni, nicht ohne das Mißfallen der strengen Rechten und nicht ohne die Gefahr unangenehmer Zwischenfälle von der Linken her, in der Versammlung mündlich ab; ausdrücklich wandte er sich gegen alles Mißtrauen; sein Mandat trat er dann freilich an seinen Stellvertreter ab. Und seine Worte hatten zugleich einen stolzen und monarchischen Klang gehabt; in der Uniform war er erschienen. Immerhin bezeichnet der 8. Juni 1848 den äußersten Punkt, den er auf diesem Wege des Entgegenkommens überhaupt berührt hat. Wieder in der Heimath, freudig und festlich an vielen Stellen begrüßt, konnte er den Verhältnissen gegenüber, wie sie in Berlin zumal, aber auch in Frankfurt geworden waren und ferner wurden, unmöglich bei rückhaltloser Zustimmung verharren.

In dem truppenlosen Berlin ein Zustand innerer Unsicherheit und Anarchie, die immer wieder über alle die vorläufigen und unvollkommenen Schutzwehren hinwegfluthete; die preußische Nationalversammlung ohne Halt und ohne Haltung, zuletzt stets durch die radicale Linke vorwärtsgerissen, durch die Massen von der Straße her bedroht und gestoßen; erst ein Verfassungsentwurf, wie ihn die Krone nicht annehmen konnte, nachher erregende Angriffe auf das Heer; dabei drei Ministerien, ganz allmählich mehr nach rechts hinüberrückend, aber alle drei ohne Energie. Bei Friedrich Wilhelm in Potsdam der lebhafte Nachhall all dieser Klänge aus der Hauptstadt; hier mahnen die Officiere, die [551] Conservativen; bereits sammelt sich, im Juli, der ländliche Grundbesitz, das Junkerthum, zu einer neuen Partei, ihre Boten, wie Herr v. Bismarck, stellen sich in Potsdam ein, ihre höchsten Vertreter, die alten Freunde des Königs, die Männer der altständischen und pietistischen Ueberzeugung, umgeben den Herrscher, wirken stärker und stärker ein, bilden jene ‚Camarilla‘, die das nächste Jahrzehnt hindurch die preußische Politik so tief beeinflussen sollte und deren Wortführer für uns, wie ihr wol wirksamster Leiter, der General Leopold v. Gerlach ist. Sie alle suchen den König zu ermuthigen; er selber findet sich erst ganz langsam wieder, will die Dinge wol reifen lassen, kann vor allem nicht aus den Schranken seiner Natur heraus; er fährt oft genug auf, aber er handelt noch lange nicht. Das ist die Umgebung, in der auch sein Bruder diese schlimmen Monate verbrachte. Vom Babelsberg aus beobachtet er, erscheint er beim Könige, verhandelt er dann mit den bestimmenden Männern. Im ganzen ergibt sich aus dem, was davon bekannt geworden ist, daß auch der Prinz ohne einen Bruch durchzukommen suchte. Er warb sogar einmal bei Georg v. Vincke um dessen Eintritt in das Ministerium, weil er hoffte, die Radicalen durch den Liberalen schlagen zu können, und den Ultras wie Bismarck war er lange nicht scharf genug; sie fanden seine Haltung der des Königs viel zu ähnlich. Dabei blieb denn freilich ein großer Unterschied: eine Demüthigung wie die vom 19. März, so erklärte er Gerlach, werde er, bei aller Ehrfurcht vor dem Könige, ein zweites Mal nicht wieder gehorchend mitmachen; und vor allem, seit die Kammer dem Officiercorps zu nahe trat, seit dem September, drang er immer entschiedener auf Thaten. Dem Ministerium Brandenburg und seiner Sprengung der Nationalversammlung, diesem Werke vornehmlich Leopold v. Gerlachs, neigte er sich offen zu. Im December 1848 war er, als Wrangels Gast, wieder in dem befriedeten Berlin, die preußische Revolution war zu Ende und ihre Frucht war die zwar aufgezwungene, aber stark constitutionelle Decemberverfassung. Mit diesem doppelten Ergebniß war auch Prinz Wilhelm einverstanden; den Bedenken gegen die neue Zeit, wie sie ihm damals bei einem persönlichen Anlasse der Major v. Roon ehrlich vortrug, setzte er die pflichtmäßige Einfügung „in das Unvermeidliche“ (31. December 1848) entgegen. Immerhin hatte Prinz Wilhelm diese preußische Entwicklung wesentlich nur begleiten, nicht tiefer beeinflussen können. In Einem aber wiedersprach er im November seinem Bruder entschieden, als dieser das Programm für die Zukunft entwarf: die Ablehnung der Kaiserkrone, ihre Ueberlassung an Oesterreich, die Preußen mediatisire, wollte er nicht billigen. Also: die Rückkehr zur Wahrung einer straffen, wenngleich constitutionellen, Monarchie hatte auch er vollzogen; die deutsche Frage jedoch wünschte er auch jetzt noch im einheitlichen, und gleichzeitig preußischen Sinne gelöst.

In Frankfurt hatte inzwischen die deutsche Nationalversammlung ihre großen Tage längst hinter sich. Ihre Unfähigkeit zu eigener Politik hatte sich Dänemark gegenüber schmerzlich erwiesen; die Volksleidenschaft war im Sinken oder sie richtete, soweit sie radical war, ihre Wellen gegen die Paulskirche selbst. Die großen Mächte stellten sich wieder selbstbewußt neben und gegen das Parlament, Preußen zumal hatte noch in den Zeiten seiner inneren Zerrissenheit, im Juli und August, durch die Wahl des österreichischen Reichsverwesers verletzt, den Anspruch auf Unterordnung seiner Armee unter diese Reichsgewalt unbedingt abgelehnt, Regierung und Bevölkerung waren darin einig gewesen. Damals war eine Anzahl von Flugschriften erschienen, die beste und beredteste aus dem Schoße des preußischen Militärs selber, die das volle Machtbewußtsein, das „preußische nationale“ Bewußtsein dieses Staates und [552] seines Heeres dem „Schattenreiche in Frankfurt“ – dies harte Wort sprach der Oberstlieutenant v. Griesheim aus – stolz entgegenwarfen; das Aufgehen im Reichsheere, das Gleichmachen aller militärischen Einrichtungen wurde da mit politischer und technischer Kritik für ganz unmöglich erklärt. „Preußen will auch in der deutschen Einheit Preußen bleiben.“ Gleichzeitig hatte in der Paulskirche selber der hämische Angriff Brentanos[WS 16] auf den Prinzen von Preußen einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Seitdem war nun die Macht der Frankfurter noch gesunken, aber eben jetzt, vom Herbste ab, beriethen sie die Verfassung und einmal mußten doch die Würfel über das Kaiserthum fallen. Zu welchem Entscheide und welchem Erfolge, das war im December noch unbestimmbar; Männer jedoch, die wie der Prinz von Preußen die Einheit wollten, noch immer die verschiedenen Lösungen für möglich halten mußten und mit einer jeden von ihnen die Selbständigkeit des eigenen Staatswesens verbunden sehen wollten, hatten wol Anlaß, auch jetzt noch eine Einwirkung auf das Parlament und somit auf die Gestaltung der deutschen Zukunft zu versuchen. Der Prinz that es auf dem Gebiete, das er beherrschte, er trachtete praktische Politik zu treiben, indem er den Entwurf zu einem Gesetze über die deutsche Wehrverfassung, der am 25. September dem Parlamente von seinem Wehrausschusse vorgelegt war, mit seinen Bemerkungen versah. Auch darin gingen ihm Officiere vom Generalstab und vom Kriegsministerium voran, der eine von ihnen, dessen Broschüre ich vergleichen konnte – es war wieder v. Griesheim –, mit fachmännischen Einwänden, die sich mit denen des Prinzen in vielem Wesentlichen decken. Dennoch ist dessen eigene Schrift etwas ganz für sich, größer und weitgreifender als jene, voller im Tone, ganz durchdrungen von seiner Persönlichkeit: unter den Denkschriften, die wir von ihm aus all diesen Jahren besitzen, bei weitem die bedeutendste. Im December, also nach der vorläufigen Regelung der preußischen Angelegenheiten, übergab er dem getreuen und harmlosen L. Schneider, der ihm wie dem Könige seit den Ereignissen des Sommers nähergetreten war und mit seiner Wehrzeitung in vielen militärischen Organisationsfragen des nächsten Jahrzehnts das Sprachrohr des Prinzen für die Oeffentlichkeit blieb, das Manuscript seiner „Bemerkungen zu dem Gesetzentwurfe über die deutsche Wehrverfassung“. Schneider bezeugt, daß er selber daran nur geringe stilistische Kleinigkeiten geändert, den Druck besorgt, und die Auflage dem Verfasser eingeliefert habe (X u. 108 S. in 8°, Berl. Bibl.), der habe sie an eine Anzahl von höheren Officieren und an alle bei der Neuorganisation des deutschen Heerwesens Betheiligte verschickt; im Januar 1849 war die Ausgabe erfolgt. Die Urheberschaft ist damals wol vielen Einzelnen, der Oeffentlichkeit indessen nicht bekannt geworden.

Der fürstliche Verfasser gibt sich überall freiweg als Soldaten; seine Polemik ist überlegen, lebhaft, aber durchaus vornehm, seine Sprache sachlich, anspruchslos, im einzelnen fachmännisch knapp, in größeren Darlegungen geht sie auch in das Breite, erhebt sich da in aller Einfachheit zu warmer, kräftiger, sogar klangvoller Form: zu jener schlicht monumentalen Art, wie sie die schönsten Briefe seiner Jugend zeigten, nur vielleicht hier noch stärker und fester als dort.

Die Denkschrift stellt sich politisch ganz auf den Boden der nationalen Einheit; diese ist ihr der „ersehnte Zweck“, „der gemeinsame Strebepunkt“; dem „deutschen Vaterlande“ ein muthiges durchgebildetes Heer als „bereitestes Mittel“ zu schaffen ist die Aufgabe. Dabei rechnet der Prinz mit der Centralgewalt, die an der Spitze Deutschlands stehen werde; er bestimmt diese Gewalt nicht näher; ob sie etwa in Preußens oder in Oesterreichs Hand oder [553] wo sonst sie liegen werde, wird gar nicht berührt. Die Centralgewalt wird bereits erheblich enger eingeschränkt als in jenem Gutachten vom Mai über den Dahlmannschen Entwurf. Die Selbständigkeit der Einzelstaaten, zumal der zwei großen, wird vor allem gesichert. Auch die kleineren soll man schonen, immerhin werden deren Contingente zusammenzulegen oder einem der größeren anzuschließen und es wird entweder diesem letzteren oder dem größten der zusammengelegten Gruppe die Leitung zu überlassen sein; die Centrale wird hier mehr als bei den Großen einreden dürfen, aber die Leitung hat sie nirgends und über die Großstaaten ganz gewiß nur die „Aufsicht“. Im Kriege bestellt sie den Oberfeldherrn, sowie die Oberbefehlshaber combinirter Corps, auch die commandirenden Generale, indeß auch dann nur nach Vereinbarung mit den größeren Mächten. Das Nothwendige, aber niemals mehr, soll ihr zufallen, das Einzelne und Technische überhaupt nicht: da wird es nicht gut sein, Formation, Bewaffnung, Bekleidung, Reglements einheitlich machen zu wollen; nur innerhalb je eines Corps ist das nöthig und von oben her thunlich, sonst kann es sich stets nur „um Andeutungen und nicht um Befehle“ handeln. Die deutsche Cocarde und das deutsche Fahnenband sollen nur im Kriege getragen werden. Das Problem, Einheit und Sonderung zu verbinden, wird also überall in guter gemeindeutscher Absicht, aber doch schon mit sehr starker Betonung der Sonderrechte und mit starkem Bewußtsein der Stellung der Großmächte gelöst. Man bekommt es deutlich zu spüren, daß die erst Verhöhnten, die conservativen Gewalten sich an allen Orten wieder erhoben haben; indem er die neuen Siege der Truppen aufzählt, läßt der Verfasser übrigens auch die österreichischen in Prag, Wien, Italien nicht aus.

Das eigentliche Rückgrat der Schrift aber ist das lebendige preußisch-militärische Selbstgefühl. Die preußische Wehrverfassung hat der Frankfurter Ausschuß als sein Vorbild bezeichnet: aber was er vorbringt, „das ist nicht das preußische System“. „Feind aller Theorien, die sich noch durch keine Praxis bewährt“, in der „Sprache des Praktikers“, will Wilhelm das erweisen und es bessern. Und hier legt er seine eigensten Gedanken dar, wie er sie in der Vergangenheit oft genug verfochten hatte, wie er sie in der Zukunft erweitern und durchkämpfen sollte. Er duldet allerlei Neuerungen in Namen und Sachen, die ihm gewiß nicht leicht zu ertragen waren: die vier „Heerbanne“ des Entwurfs, die Oeffentlichkeit des Militärgerichtsverfahrens. Die allgemeine Dienstpflicht übernimmt er ganz, die Einberufung aller Wehrpflichtigen aber erklärt er sehr lebhaft für pecuniär und technisch undurchführbar. Und gerade hier besteht er auf dem preußischen System: Erziehung des Soldaten! Keine Verkürzung der Dienstzeit über die preußischen Fristen von 2, 2½ und 3 Jahren hinaus! Da wendet er sich eingehend und eifrig gegen die Legenden von einer Volkswehr, die ohne einmalige gründliche Durchbildung ihre militärisch-sittliche Pflicht erfüllen könne; weder französische Analogien von 1792 noch preußische von 1813, noch schweizerische von 1847 erkennt er an. Friedrich Wilhelm III., „dieser unsterbliche wahrhafte Kriegsherr“, und Boyen haben wohl gewußt, daß sich die Landwehr nur auf strenge Schulung begründen läßt, auf langen, ununterbrochenen, später dann nur zeitweilig wieder aufgefrischten Dienst: sie soll doch kein undisciplinirtes Zwischending zwischen Heer und Bürgerwehr sein? nicht Paradekünste meint er damit zu vertheidigen, sondern die „innere Tüchtigkeit“ der Truppe.

Nicht minder wahrt er die altpreußische Art im Officiercorps, in dessen Standesorganisation und seinem Zusammenhange mit der Krone. Die Wahl der Landwehrofficiere durch die Wehrmänner ist ebenso undenkbar wie jede Beförderung von Linienofficieren durch Wahl des Officiercorps: der eine [554] wie der andere Vorschlag entstammt der Verwirrung aller Begriffe durch die Revolution. Der Landesherr muß Herr der Ernennungen bleiben; das Officiercorps behält seinen monarchisch-aristokratischen Charakter. Weder die Aufhebung des besonderen Militärbildungswesens, noch die Einschränkung des Militärgerichts, noch etwa gar die Beseitigung des Ehrengerichts kann zugestanden werden. Das Officiercorps ist eine „geschlossene Sonderung“, fordert von seinen Mitgliedern die Hingabe des Blutes, legt ihnen die höchste Verantwortlichkeit auf: nur durch Pflege der Standesehre kann es die besondere Gesinnung aufrechthalten, die unerläßlich ist, wenn die Gewalt der Waffen nicht zu roher Ausschreitung verleiten soll. Aber die „Apostel der Anarchie“ haben im Officiercorps den Träger der Ehre der Armee, der Treue und des Gehorsams gegen den Herrscher, der Ordnung zu treffen getrachtet: deshalb die Angriffe auf das „Junkerthum“, die gehässige Verallgemeinerung einzelner übler Vorfälle. Hier, wo er das Eigenste seiner Armee zu vertheidigen hat, quillt die Bitterkeit, aber auch der Stolz des Prinzen, seine noch allzu frischen Erfahrungen, sein ganz persönliches Empfinden beinah leidenschaftlich über: „Glücklicherweise hat Alles seine Zeit und jetzt schon erfährt das so verschrieene Junkerthum die Genugthuung, auch wieder gerecht beurtheilt zu werden“. Und vorher schon: „Nie vielleicht hat eine Armee vom Schicksal so Schweres zu erdulden gehabt, als die preußische in diesem verhängnißvollen Jahre! Verhöhnt, verspottet, von allen Kunstgriffen der Verführung umstrickt, hat sie felsenfest und unerschüttert in ihrer Gesinnung und Disciplin dagestanden“: von neuem hat sie die „Bewunderung der Welt“ verdient. „Worin wurzelt diese Thatkräftigkeit, Ausdauer und Treue, welche solchen Eindruck hervorbringen kann? Nächst der Gesinnungstüchtigkeit, welche in der großen Mehrzahl des preußischen Volkes herrscht, allein in der Erziehung, welche dem preußischen Soldaten zu theil wird“. Die ist der Quell dieser militärischen Tugenden, dieses militärischen Geistes, dieses Vertrauens zwischen einem unübertrefflichen Officiercorps und allen Gliedern des Heeres, und daher fließen die Zucht und die Heldenthaten.

Wieder greift man hier den eigentlichen Boden, auf dem Wilhelm stand, jetzt und immer. Er konnte den Erfordernissen des Tages, selbst im Principe, weit entgegenkommen, so weit, daß er dann auch innerlich wieder zurückwich; er fand in diesem Wandel der Politik, bei manchem Schwanken das nicht immer staatsmännischer Beweglichkeit, sondern ein wenig der Unsicherheit entstammen mochte, immer zuletzt seinen Weg; aber er war der Vertreter des preußischen Heeres, das war seine eigene Welt und da war er völlig sicher und einheitlich. Gegen Ende des Jahres 1848 besichtigte er die rheinisch-westfälischen Truppen: die Officiere wies er auf die Möglichkeit einer Mobilmachung im nächsten Frühjahr hin. Dieses Heer in seiner Selbständigkeit zu schirmen war der tiefste Zweck seiner Flugschrift gewesen; mit diesem Heere den Schwierigkeiten der Zeit entgegenzutreten war ihm das Natürliche.

Die Aufgaben rückten 1849 in der That dichter heran. Das Frankfurter Parlament hatte die Verfassung durchberathen, es war, nach mancherlei Verhandlungen mit den Cabinetten und der Cabinette untereinander, durch Schwarzenbergs offenen Angriff Preußen in die Arme getrieben worden, und am 27. und 28. März 1849 brachte es die Verfassung mit dem Beschlusse des preußischen Erbkaiserthums zu Ende – freilich eine Verfassung, radical den deutschen Fürsten gegenüber, die sie weit in den Hintergrund schob, radical auch dem neuen Kaiser gegenüber, dem sie in allem die Hände band und das entscheidende Veto versagte; eine Würde ward ihm dargeboten, zu erringen im Gegensatze zu allen Sonderstaaten, im Gegensatze vornehmlich zu dem ausgeschlossenen [555] Oesterreich. Wir sehen die tragische Nothwendigkeit völlig ein, mit der dieses Werk von 1848, auf das Zusammenwirken so unvereinbarer Mächte wie der Paulskirche und Friedrich Wilhelms IV. angewiesen, scheitern mußte; wir begreifen, daß die Zeitgenossen sich an das letzte Rettungsmittel, das der deutschen Einheit gelassen ward, verzweifelt klammerten und daß eine tiefe Erregung die Menschen und die Länder durchzitterte; aber wie Friedrich Wilhelm IV. war, legitimistisch von Grund aus, großdeutsch in all seinen Gefühlen, viel zu fein, zu widerspruchsvoll und zu ängstlich, um den großen Waffengang inmitten einer feindlichen Welt zu wagen, der ihm allein das Kaiserthum hätte sichern können – so begreifen wir auch, daß ihm wol die Hand nach der Krone zuckte, daß er sie aber, so wie man sie bot, zuletzt nicht nehmen konnte: weder seinen innerlichen Gegensatz noch seine angeborene Scheu vor dem Wagniß vermochte er zu überwinden. Er hat es ja ausgesprochen, daß er kein Friedrich II. sei.

Es ist nun überaus anziehend, zu beobachten, wie sich sein Bruder zu der gleichen Frage stellte. Bei den Prinzen und bei den Officieren, so mußte Gerlach vom November bis zum März immer wiederholen, überwiegt die Eifersucht auf Oesterreich und der preußische Zug alle Bedenken: sie sind für die Annahme der Krone, voran der Prinz und die Prinzeß von Preußen. Der König müsse sich an die Spitze Deutschlands stellen, sprach diese im März aus; eine Verständigung mit Oesterreich, wie sie Friedrich Wilhelm erstrebte, sei ein Ding der Unmöglichkeit, fügte ihr Gemahl hinzu. Am Vormittage des 3. April 1849 erhielt die Kaiserdeputation vom Könige die aufschiebende Antwort, ehe er sich entschließe, werde er mit den deutschen Regierungen zusammen, deren freies Einverständniß die Voraussetzung ihres Beitrittes sein müsse, die neue Verfassung durchprüfen. Es war weder ein Ja noch ein Nein; die volle Freiwilligkeit des Beitrittes hatte Preußen schon vorher gefordert; neu war in des Königs Worten nur der ausdrückliche Zusatz von der Revision der Frankfurter Verfassung. Gerade darin sah die Mehrheit der Deputation den inneren Bruch. Als die Abgesandten am Abend des 3. April im Palais des Prinzen von Preußen empfangen wurden, zeigten die beiden Wirthe ihnen die herzlichste Theilnahme, bemühten sich, ihnen die pessimistische Auffassung der königlichen Antwort auszureden; „es werde, es müsse alles noch gut werden.“ Einen Zwang auf die Fürsten könne der König natürlich nicht ausüben. Darauf ward dem Prinzen erwidert, nicht darin, sondern in der Nichtanerkennung des Verfassungswerkes liege das Trennende. „Diese Seite der Frage, so war Karl Biedermanns[WS 17] Eindruck, hatte dem Prinzen ferner zu liegen geschienen; zum wenigsten hatte er diesen Standpunkt nicht vertreten.“ Und dieser Eindruck wird ganz richtig gewesen sein. Der Prinz war mit ganzer Seele für die Machterweiterung Preußens, deshalb vertraute er alle Schwierigkeiten überwinden zu können; daß die demokratische Verfassung nicht wegzuräumen sein würde und daß in dieser Richtung eine ernste Gefahr für die Monarchien läge, mag er wirklich nicht in das Auge gefaßt haben. Sobald ihm diese Erkenntniß aber deutlich wurde, schwenkte er ab. Am 21. und 28. April gab Friedrich Wilhelm der Paulskirche sein endgültiges Nein; noch kurz vorher hatte Beckerath das prinzliche Paar „sehr verständig“ gefunden. Ganz bald darauf warf auch Wilhelm der Verfassung, d. h. der demokratisch-liberalen Seite der gesammten Bewegung, die Absage ins Gesicht. Das ist nach allem, was man erkennen kann, keineswegs bloß aus Gehorsam gegen den königlichen Entscheid geschehen: auch ganz persönlich sprach er, schon am 29. April, Gerlach seine Zustimmung aus: fielen jetzt die Rheinlande ab, so wäre das noch kein irreparables Unglück. Die Frankfurter Verfassung, so [556] schrieb er jetzt (an Stillfried, 26. Mai), begründe ein Scheinkaiserthum, einen Uebergang zur Republik, der König habe sie mit Recht verworfen, und es zieme den Preußen, ihm und seinen Ministern zu vertrauen. Der Umschwung des Prinzen war vollkommen: die neuen revolutionären Zuckungen, die der Frühling an vielen Orten, am stärksten in Dresden und in Baden hervorgetrieben, werden ihn erst ganz erklären. Die Krise sei ärger als jede frühere, schrieb er am 20. Mai an Natzmer, aber man werde sie bestehen, schon habe sich die Königstreue des Volkes erwiesen, und wo „der blaue Rock“ erscheine, da habe er gesiegt. Allem Drängen der Gegenwart gegenüber hat der Prinz hier seinen festen Standpunkt gefunden: „daß ich bei meiner ledernen Natur, die man vielleicht praktisch nennen könnte, viel Anstoß in der phantastischen Professoren-Zeit gebe, können Sie denken. Wir wollen nur abwarten, wer zuletzt Recht behält.“ „Recht“ aber meinte er nicht nur gegen die Radicalen zu behalten: er schloß in diesem Mai, in all den Kundgebungen, die uns vorliegen, seine Rechnung mit den Ideen von 1848 in doppelter Weise ab – gegen die demokratische Verfassung, aber für die Einheit unter Preußen. „Wer Deutschland regieren will, muß es sich erobern; à la Gagern geht es nun einmal nicht. Ob die Zeit zu dieser Einheit schon gekommen ist, weiß Gott allein! Aber daß Preußen bestimmt ist, an die Spitze Deutschlands zu kommen, liegt in unserer ganzen Geschichte – aber das wann und wie? darauf kommt es an.“

Er hatte die Schicksalsfrage seiner eigenen Zukunft gestellt.



Die beiden nächsten Jahre gehörten der Ausführung des zwiefachen Programms, das jene Briefe des Prinzen enthalten: die Niederwerfung des Aufruhrs zuerst, der Begründung eines preußisch-deutschen Systems sodann.

Ein militärisches Commando hatte er sich längst gewünscht, die Minister hatten es ihm versagt. Plötzlich, binnen 48 Stunden, sah er sich nun aus tiefster Stille auf den Kriegsschauplatz versetzt: am 8. Juni 1849 wurde er an die Spitze der Armee gestellt, die in der Pfalz und in Baden den Aufstand zu unterdrücken bestimmt war. Zwei kleine preußische Corps sollten mit einem gemischten Corps unter Peucker, das der Reichsverweser aufgebracht hatte, zusammenwirken, der Plan wurde zu Mainz am 13. Juni dahin verabredet, daß die Rebellen am Neckar gestellt, von drei Seiten umfaßt und so erdrückt werden sollten. Sofort fiel die Pfalz – der Prinz selbst war bei dem Corps, das sie unterwarf, und erlebte dort den ersten Mordanschlag auf seine Person. Schwerer war es, die badischen Haupttruppen unter Mieroslawski[WS 18] zu vernichten, die Umfassung mißlang dank dem Zögern Peuckers, eine Reihe von Gefechten wurde nothwendig. Der Prinz setzte sich selber dabei kaltblütig aus; er fand die Gegner zäh, die eigenen Soldaten, namentlich die der Linie, vorzüglich, und bald stellte sich der vollkommene Erfolg ein, am 23. Juli fiel Rastatt, die letzte Zuflucht und Stütze der Revolution. Militärische Folgerungen mancherlei Art sollte Prinz Wilhelm weiterhin aus diesen neuen Erfahrungen ableiten; das Hauptgefühl war ihm jetzt die helle Freude, der sichere, wenngleich bescheidene Stolz auf diese erste Bewährung im Ernstfalle, die er und sein Heer, endlich nach 33jähriger Pause, hatten ablegen dürfen. Das ist der Ton, der seine Briefe, seine Erlasse durchklingt. Als ihm Natzmer herzlich Glück gewünscht, in ihm den Träger von Preußens Zukunft begrüßt hatte, antwortete er ihm (9. April 1850) mit dem warmen Danke des Schülers gegen den militärischen Lehrer: „meine unter Gottes Beistand errungenen siegreichen Ereignisse des vorigen Jahres“ sind Ihr eigenes Werk! Die Danksagung des Königs, – „Deine unendliche Gnade und Brüderlichkeit“ – [557] rührte ihn zu Thränen (August 1849). Man spürt, wie viel ihm diese Ausübung seines Berufes, der erste eigene Sieg, bedeutete. Und das, was ihm damit zusammenhing, war die Wahrung seines preußischen Stolzes. Die Versuche Oesterreichs, seinem Staate den Erfolg und den Ruhm zu verkümmern, wies er scharf ab; der König, bat er im Gegensatze zu den Plänen der Minister (Juli-August), möge ihn am Rheine belassen, da er dort sicherer als irgend ein General österreichischen Eingriffen entgegenzutreten vermöge; er erfuhr, nicht ohne ein ungeduldiges Erstaunen, und mit einiger Ironie, die Ansprüche der machtlosen kleinen Staaten, die doch soeben durch Preußen hatten gerettet werden müssen. Es war ihm eine erste, kurze Schule des politischen wie des militärischen selbständigen Handelns auf dem Boden der deutschen Frage.

Im Westen verblieb er dann in der That, als Militärgouverneur Rheinlands und Westfalens, mit Koblenz als Stabsquartier. Auf beinahe ein Jahr trat er, soviel wir sehen, und nicht ganz ohne Mißfallen, von den politischen Geschäften zurück; er suchte durch Schneiders Wehrzeitung auf die militärischen Angelegenheiten einzuwirken, erhob da bereits gelegentlich Opposition gegen das Ministerium. Das Frühjahr 1850 rief ihn wieder in die Politik hinein: Friedrich Wilhelm IV. war daran, die deutsche Frage, nachdem er sie der Paulskirche entzogen, nunmehr seinerseits zu lösen. Er unternahm den wunderlichen Versuch seiner Union, der Herstellung eines engeren, preußischen, auf freiwilligen Eintritt der Mittel- und Kleinstaaten zu begründenden Bundes innerhalb des weiteren; eines Bundes, der im Verständniß mit Oesterreich, nie gegen Oesterreich entstehen und bestehen sollte; er unternahm diesen Versuch, eigentlich doch im Widerspruche zu seinen eigensten Wünschen und Ueberzeugungen, in einer Richtung, die seinem Bruder natürlicher sein mußte als ihm selber: Gedanken der Paulskirche eigenthümlich gemischt mit selbständig vordringender preußischer Politik und der persönlichen Rücksicht des Herrschers auf das Alte, auf Oesterreich. All das begonnen zu einer Zeit, wo die Gluth von 1848 im Verlöschen war; weitergeführt, während Oesterreich sich wieder verstärkte und gegen den preußischen Plan deutlicher und deutlicher auflehnte; während zugleich Rußland immer entschiedener auf Oesterreichs Seite trat. Es ist bekannt, wie der Versuch mißlungen ist; wie bei allem Gesunden und Zukunftsvollen, das in ihm lag, nicht nur die steigende Ungunst der Umstände, sondern weit mehr noch die innere Halbheit des Königs, die alles im voraus verdarb, und die durchaus unglückliche und unpolitische Führung seines geistreichen Rathgebers Radowitz ihn zu nothwendigem Scheitern brachte. Man sammelt die übrigen Staaten um Preußen, erlebt den Abfall der wichtigsten, duldet ihn, rührt keine Hand zum Zwange und hält das verfallende Werk dennoch fest; man sieht Oesterreich vorgehen, der Union den alten Bund entgegenstellen, und beharrt bei ihr, solange es noch Zeit ist, mit Ehren einzulenken; man treibt über dem hessischen Conflicte bis dicht an den Krieg heran: dann giebt Friedrich Wilhelm IV. nach und unterwirft sich dem triumphirenden Gegner. Daß in einem Ringen, in welchem nur die äußerste Kühnheit und Festigkeit, mit der Geschmeidigkeit eines wirklichen Staatsmannes vereint, möglicherweise den Sieg sichern konnte, Friedrich Wilhelm IV. von vornherein zur Niederlage verurtheilt war, mag der Nachlebende einsehen. Unter den Zeitgenossen zeigte die Gerlachische Partei, zum Theile von wirklicher preußischer Einsicht, zum größeren Theile von der Parteidoctrin bestimmt, eine völlig klare Haltung: sie widerstrebte Radowitz von Anfang an und setzte alles an seinen Sturz, Leopold Gerlach führte diese Opposition, auch gegen den König selbst, mit zäher Consequenz. Prinz Wilhelm aber blieb sich selber treu, wenn er den preußischen Zug in den Unionsplänen ergriff und mit ganzer Kraft für [558] sie wirkte. Ganz natürlich, daß er durch die persönlichen Mängel des Königs, durch den inneren Widerspruch in dessen Stellung sich nicht abschrecken ließ, daß er trachtete, in den Ereignissen seine eigene, militärisch-politische Persönlichkeit zur Geltung zu bringen, daß er den Kampf empfahl, zu dem er den Muth in sich trug: er hatte recht; wie aber Dinge und Menschen einmal waren, so vermochte er auch dieses Mal wie einst am 19. März 1848 das Verhängniß nicht zu wenden, vielmehr sein Drängen half noch es herbeiführen, weil der zuletzt entscheidende Facor seiner Rechnung, der nothwendige Entschuß des Königs, in der Krisis versagte.

Daß der Prinz die Union begünstigte, zeigte sich schon früher. Näher verfolgen können wir seine Haltung seit dem Eintritt der schärferen Conflicte, seit dem Mai 1850. Da „beschwor“ er seinen Bruder im Widerstreite mit Oesterreich festzuhalten, sich und die treugebliebenen Fürsten nicht unheilbar bloßzustellen; da faßte er in einer muthigen Denkschrift vom 19. Mai die preußische, deutsche, europäische Lage entschlossen in das Auge. Preußen ist im Recht, es kann Oesterreichs staatsrechtliche Vorwürfe widerlegen, sich vor den Großmächten mit guten Gründen vertheidigen; es darf selbst dem kritischen Falle eines Krieges nicht ausweichen und muß alsdann dem äußerlich überlegenen Gegner „den Stern Preußens, seine tüchtige Armee und sein Recht“ entgegenhalten. Auch hier wieder vertrat er, in weitausgreifender historischer Darlegung, die sich gegen Oesterreich kehrte, seinen tiefen Glauben: „Preußens geschichtliche Entwicklung deutet darauf hin, daß es berufen ist, einst an die Spitze Deutschlands zu treten“. Dafür, und keineswegs für die Verfassung, wie sie das Unionsparlament zu Erfurt berathen hatte, erwärmte er sich – diese war ihm vielleicht nicht preußisch, sicher nicht königlich genug. Allein auch sie wird man, wie es bei der preußischen Verfassung ja schon geschehen ist, weiterhin noch verbessern, ihre „demokratischen Elemente“ zurückdrängen können. Nur muß man dabei langsam, „mit weiser Mäßigung vorschreiten“; abwenden wollte er sich von „den Mitteln der Zeit“ nicht. Aber zu Gerlach und gleichzeitig zu den europäischen Trägern der Reaction gerieth er so, und vollends im Aeußeren, von seinem fridericianischen Standpunkte aus, in unmittelbaren Widerspruch; daß auch der König, mit seiner Unfähigkeit gegen Oesterreich loszuschlagen, eigentlich doch auf der anderen Seite stand, erkannte er nicht oder wollte er nicht anerkennen. Er hatte empfohlen, die Großmächte zu Zeugen anzurufen; Ende Mai wurde er selber zu Kaiser Nikolaus nach Warschau geschickt. Bei ihm wie bei Felix Schwarzenberg, mit dem er dort zusammentraf, vertrat er mit Wärme die preußische Politik, ohne indes mehr heimzubringen als den lebhaften, ja drohenden Rath des Zaren zum Frieden mit Oesterreich, zu gemeinsamem Kampfe gegen die Constitutionen; über ihn selbst beschwerte sein Schwager sich offen. Gleich darnach war er zur Taufe in England; aber in Ost und West blieb Preußen isolirt. Mit dem Juli begannen in Berlin, der Lage entsprechend, militärische Berathungen, an denen auch er theilnahm; er hielt an der Union fest und mußte dabei über die Halbheit der heimischen Maßregeln klagen. Nun steigerte jeder neue Monat die Spannung der deutschen Lage; Radowitz wurde im September zum Minister erhoben, im October rückten die Truppen der Union und des hergestellten alten Bundes in dem strittigen Hessen gegeneinander, und der Premierminister Graf Brandenburg suchte noch einmal, mit unverändertem Erfolge, den Zaren auf. Seine Rückkehr brachte die Krise: in den Berathungen vor und an dem 1. November standen Gerlach, Brandenburg und die Minister gegen König, Prinz Wilhelm und Radowitz, in der großen Sitzung vom 2. entschied, unter Wilhelms lautem Widerspruch und zu seinem [559] heftigsten Unwillen, die Mehrheit gegen die Mobilmachung, und Radowitz ging. In dem, was nun folgte, waren die eigentlichen Führer offenbar Gerlach und der Prinz von Preußen. Mehr scheinbar war am Ende doch die Abweichung zwischen Gerlach und dem Könige. Friedrich Wilhelm ließ wol auch seinem Grolle gegen seinen widerspänstigen Generaladjutanten die Zügel schießen, dem Grolle des kraftlosen Eigensinnes, der gleichzeitig sich selber bereits aufzugeben beginnt; er richtete sich wol weiterhin Positionen ohne rechten Inhalt auf, an denen er festhalten zu wollen erklärte; Gerlach konnte sehr gut dem Wunsche des Fürsten nach einer Mobilmachung entgegenkommen, die doch nach dessen innerster Meinung nur dazu dienen sollte, den Abschluß des Friedens mit Oesterreich zu decken. Ueber all dies Schwanken, über alle Scheingründe des Königs hinweg trafen die wahrhaft ernsten Gegensätze vielmehr in Wilhelm und dem Generale aufeinander: rückhaltloses Drängen hier auf den Frieden, dort auf den Krieg. Gerlach vermittelt, beruhigt, bringt alle Fäden in seine Hand, verkehrt in höchst außerordentlicher Weise mit den preußischen, den russischen, sogar den österreichischen Diplomaten – ein Parteihaupt, wie er es selber nicht ohne Unbehagen empfand, das seinen Herrscher einfach mit selbständiger Politik in die eigenen Bahnen hinüberzuzwingen unternimmt, und sich offen gesteht, seine Hoffnung liege in der inneren Unsicherheit und Schwäche seines Herrn. Wilhelm dagegen ist ganz durchdrungen von der Unmöglichkeit jedweder, auch einer verhüllten, Umkehr und Demüthigung seines Staates: die Verkörperung der tiefbedrohten preußischen Ehre. Er erklärt (14. Nov.), die Armee werde die Räumung Hessens nicht aushalten – und er hatte dabei im Schooße der Gerlach’schen Partei selber Bundesgenossen, von denen er nicht ahnte: Kleist und Bismarck sprachen ganz in seinem Sinne zu Leopold Gerlach (21. Nov.). Gerlach hielt dem Prinzen wol vor, die Uneinigkeit in der Regierung mache einen energischen Krieg unmöglich: nun gut, ist die Antwort, so muß man andere Minister berufen. Dabei baute Wilhelm getrost auf den Patriotismus der Kammern. Die Mobilmachung war am 6. November doch noch vollzogen worden und der Prinz von Preußen erhielt den Oberbefehl über ein mobiles Heer von drei Armeecorps. All seine Hoffnungen wurden wieder wach und stark. Er suchte den Eindruck der Concessionen, die sein Bruder noch machte, abzuschwächen. Er sprach dem befreundeten Koburger Herzog – und zugleich wol ein wenig sich selber – am 22. in einem eindringlichen Briefe zu, stellte, nach der verblüffenden Aufhebung der alten (15. Nov.), eine neue, ebenfalls parlamentarische Unionsverfassung in Aussicht, rechnete mit dem künftigen Widerstande gegen Oesterreich: nur müssen Preußens Rüstungen erst fertig sein, sobald sie das sind, kann man fester zugreifen. Da lag freilich zugleich das eine, verschwiegene Bedenken: die Mobilmachung zeigte im Heere eine Fülle gefährlicher Mängel. Indessen, der Prinz wollte sie überwinden; ihn tröstete die Begeisterung, die in diesen Wochen durch das preußische Volk fluthete. „Jawohl, so hat er im April 1851 seinem getreuen Natzmer zustimmend geschrieben, es war im November ein zweites 1813 und vielleicht noch erhebender, weil nicht ein siebenjähriger fremdherrschaftlicher Druck diese Erhebung hervorgerufen hatte, es war ein allgemeines Gefühl, daß der Moment gekommen sei, wo Preußen sich die ihm durch die Geschichte angewiesene Stellung erobern sollte! Das Commando, das mir des Königs Vertrauen zuwies, war recht gemacht, um zu glauben, daß man die Welt stürmen könnte. Ich sah mit großem Vertrauen den Ereignissen entgegen. Denn in dem Geist, der unsere Armee belebte, lag das Gefühl der Nachhaltigkeit.“ Ob er richtig urtheilte, ob die Thatenlust ihn hinriß, ob die populäre Begeisterung, durch einen Irrthum über des [560] Königs Absichten hervorgerufen, stark genug war, um so viel Lücken auszufüllen; ob es wirklich möglich war, unter einem Friedrich Wilhelm IV. den großen deutschen Krieg zu führen – der Prinz hat all das durch die That nicht erproben können. Daß der Geist, der allein zu helfen vermocht hätte, in ihm lebendig war, das ist gewiß. Das Wort, das „eine hochstehende patriotische Frau“ – doch wol die Prinzessin Augusta? –, schon am 5. November an Bunsen schrieb, indem sie, im Anklange an einen früheren Ausspruch Wilhelms, dem „neuen Preußen“ die Grabrede hielt, das am 3. November 1850 gestorben sei wie am 19. März 1848 das alte – das Wort: „der Prinz von Preußen hat ritterlich für sein Vaterland gekämpft, doch vergebens!“: es gilt für die gesammte Zeit dieser Krisis, für den gesammten Verlauf des Novembers. Vergebens ist all sein Widerstand geblieben. Noch kurz vor der Entscheidung traf Gerlach eines Abends die beiden fürstlichen Brüder tieferregt, den Prinzen bereit, schon auf eine Drohung des kaiserlichen Gesandten hin die Truppen gegen die Grenze vorzuschieben. Aber seit dem 23. wurde alles durch den Vorschlag einer Zusammenkunft Manteuffels, des neuen Ministerpräsidenten, mit Schwarzenberg beherrscht – den von Preußen bei dem österreichischen Gegner beinahe bittweise durchgesetzten Vorschlag, dessen Verwirklichung die Olmützer Conferenzen und der offenkundige, kaum eben durch einige formelle Nachgiebigkeit Oesterreichs verschleierte Rückzug Preußens waren. Prinz Wilhelm hat sich diesem Abschlusse unterwerfen müssen. Ob und wie er sich noch gewehrt hat, ist mir nicht bekannt; gegen die für Preußen besonders ungünstige Art der verabredeten Abrüstung erhob er im Ministerrath am 2. December Einspruch, wie immer erfolglos. Leopold Gerlach fühlte sich als Sieger, auch O. v. Bismarck vertheidigte nunmehr im Landtage fast ohne Rückhalt den vollzogenen Entschluß; was nicht nur der Mann der Kreuzzeitung, sondern auch der Realpolitiker für ihn sagen konnte, wissen wir. Der Prinz von Preußen hat die Niederlage seines Vaterlandes nicht verwinden können. Schon um Mitte December sprach ein leidenschaftlicher Brief Wilhelms an Manteuffel, im Hinblick auf die soeben zur Ordnung der deutschen Verhältnisse berufenen Dresdener Conferenzen, von Verfassungsbruch und Meineid, forderte Offenheit gegen die Kammern, Energie in Dresden. Mit den Ministern hatte er im Januar 1851 Reibungen, die seine eigene Stellung betrafen; als er im Frühjahr als Gast des Prinzgemahls Albert zur Eröffnung der Londoner Weltausstellung reisen wollte, erhoben sie Einwände, die indessen nicht durchschlugen. Der englischen Reise folgte im Juni eine russische; sie verlief unpolitisch, und Nikolaus fand seinen Schwager „viel besser“ als 1850. Dieser aber strebte überhaupt aus dem Kreise der Berliner Politik heraus, er wollte im Rheinlande sein militärisches Gouvernement behalten und sträubte sich heftig, als ihn der König im Juli von dort abzuberufen und an die Spitze des Staatsraths zu stellen gedachte. Diesmal behauptete der Prinz seinen Willen, und mit gutem Grunde: nach Berlin hätte er nicht gepaßt. Gerlach hatte zum Jahreswechsel unter den „traurigsten Zeichen der Zeit“ auch den „Liberalismus des Prinzen von Preußen“ aufgezählt, „der sich durch Aerger gegen Oesterreich äußert“. Der General stellte die Dinge auf den Kopf: es war vielmehr die Rivalität des Prinzen gegen Oesterreich, die sich in seinem „Liberalismus“ äußerte, und dieser Liberalismus war jetzt schwach genug. „Mit der inneren Politik, so verzeichnete Gerlach im Juli 1851, hat sich S. K. H. einverstanden erklärt, die äußere müsse er aber noch immer verdammen.“ In der inneren ging der Prinz (in einem Briefe vom April 1852) sogar so weit, den Constitutionalismus als eine Farce zu bezeichnen, deren Ende und deren Ersatz durch eine vernünftige reichsständische [561] Verfassung – freilich eine bessere als die von 1847 – er in Betracht zog. Für das Aeußere aber blieben ihm die Sätze in Geltung, mit denen er im April 1851, an Natzmer, aus Union und Olmütz das Facit gezogen hatte: „es sollte noch nicht sein. Aber sobald sehe ich jetzt dazu keine Aussicht; es muß wol noch verfrüht gewesen sein und ich glaube, wir sehen die gehoffte Stellung für Preußen nicht mehr. Ich bin gewiß für den Frieden und für ein Hand in Hand gehen mit Oesterreich; doch beides muß mit Ehre geschehen und wir dürfen uns nicht, wie es geschieht, an das Gängelband nehmen lassen.“ Und Schwarzenberg widmete er ein Jahr darauf einen bitter feindseligen Nachruf.

Mit diesen Gefühlen schied er aus der deutschen Revolution, an die ja die Geschichte des Unionsversuches noch unmittelbar anknüpft: der liberalen Idee gegenüber zuletzt, angesichts so vieler Enttäuschungen, tief ernüchtert, ein Bekenner der Autorität; und auch der nationale Gedanke hat sich ihm, wie der Zeit, dicht verschleiert, die nähere Zukunft liegt in mattem Grau; über sie hinweg hofft er auf eine ferne Erhebung dessen, wovon er stets ausgegangen war und wozu er auch jetzt allein zurückkehrte, der preußischen Großmacht. Er selber hatte alle Kämpfe der inhaltreichen Jahre mannhaft, ja sieghaft bestanden; zuletzt lenkte er doch, nach mancher Erweiterung und mancher Wandlung seines Wesens, wieder in stille und wie es schien, in die alten Bahnen ein: und alles wies darauf hin, daß der 54jährige nun doch endgültig zum Abschluß seiner Entwicklung und seines Strebens gelangt war. Die Jahre der Reaction brachen an, auch für ihn trübe und unlebendig, und schlossen seine Arbeit in enge Schranken ein.




Die Reaction bringt in Preußen, wie man beobachtet hat, gleichmäßiger als wol irgendwo sonst, alle die Gewalten empor, die vor der Revolution hatten zurückweichen müssen: Königthum, Bureaukratie, Adel und Kirche reichen sich dabei die Hände. Friedrich Wilhelms IV. persönliche Eigenart erhielt freien Raum, sich wieder zu bethätigen, und auch gegen seinen Adel setzte er gewisse Erhöhungen der eigenen Macht durch. Im ganzen aber überwiegt doch der Eindruck nicht so sehr eines königlichen, als eines Parteiregimentes: das Junkerthum, nach dem 48er Schlage in frischer Kraft zurückgeschnellt, steht jetzt voran, das Bürgerthum, das allzu eifrig vorgedrungen war, ist in den Schatten gedrängt, König und Ministerium gehören zur herrschenden Partei. Freilich zeigt diese Einheit, sobald man ihr nahe tritt, tiefe innere Spaltungen. Sie gehen durch die Seele des Herrschers selbst, der im Grunde alle dem feind ist, was er doch als Erbschaft der Revolution übernommen und beschworen hat; er verabscheut diese Verfassung, strebt zu seinem ständischen Ideale zurück, bleibt so zuletzt und im Herzen der Parteigenoß der engsten Gerlach’schen Gruppe, die noch immer den ständischen Staat der „Doctrin“ als oberstes Ziel im Auge behält. Aber er hat diese Verfassung, und schlimmer noch, er hat seinen modernen, heimathlichen Staat einmal vor sich, ja trotz allem in sich selbst, und mit getheiltem Herzen muß er in dem Systeme verharren, das ihn umschließt. Getheilt ist das Ministerium: auch in ihm neben den Getreuen Gerlachs, den Raumer und Westphalen, der böse Geist des preußischen Staates, heidnisch, absolutistisch, bonapartistisch, wie Gerlach klagt; sein oberster Vertreter ist der Ministerpräsident O. v. Manteuffel selbst, der die Einheit dieses Staates, seiner Bureaukratie, die Nothwendigkeiten des modernen Lebens halb wider Willen gegen die Ultras und gegen den König selber vertheidigen muß. Das Ideal des Königs und seiner Freunde will nicht Wirklichkeit [562] werden, eine organisch ständische Neubegründung von unten auf wird nicht durchgesetzt, bei eifriger Arbeit der Gesetzgebung und der Verwaltung kommt man doch über einen unlebendigen Widerstand, über eine hitzige Feindschaft gegen alle Forderungen und Menschen der neuen Zeit, über ein System des dumpfen Druckes und Zwanges nicht hinaus, das seiner selber inmitten einer ganz anders gerichteten Welt nicht sicher bleibt. Diese tiefe Unfruchtbarkeit und widerspruchsvolle Schwäche daheim und nach außen, dieses vergebliche Ringen mit den vorwärtsdrängenden gesellschaftlichen und staatlichen Kräften des Tages, mit dem Charakter des preußischen Königsstaates selber – das ist doch das Bild, das, bei aller überzeugenden persönlichen Ehrlichkeit und Innerlichkeit des Schreibenden selber und auch des Königs, die Aufzeichnungen Leopold Gerlachs dem Betrachter in unvergeßlichen und sicherlich in schmerzlichen Zügen vor die Seele halten: man blickt in eine dem Untergange rettungslos verfallene Welt. Die conservativen Gewalten, adelige wie monarchische, die sich in diesem Systeme selber übertrieben, haben lebendig erst wieder gewirkt, als sie aus der Enge dieses Parteisystems herausgerissen und in lebendige und große Aufgaben hineingeführt worden sind.

Der Zeitgenosse vermochte es begreiflicherweise nicht, so ruhig anzuschauen und zu urtheilen. Diesem ostdeutschen Treiben, das sich da in Berlin entfaltete und dem er selber in so vielen innerlichen Beziehungen eigentlich nahe stand, setzte sich von seinem Koblenz her der Prinz von Preußen von vornherein und immer nur deutlicher und deutlicher in scharfer, ja verbitterter Feindseligkeit entgegen. All diese Jahre hindurch blieb seine Stimmung unter dem Zeichen von Olmütz. Seine Gemahlin bestärkte ihn darin. Sie hatte sich in die spröde Eigenart des preußischen Wesens wol niemals ganz hineingefunden. Schon 1846 bezeichnete sie es dem Erzieher Friedrich Karls als höchstes Ziel, „preußische Prinzlichkeit in deutsche Fürstlichkeit zu verwandeln.“ Sie war während der Revolution vollends eifrig deutsch gewesen und geblieben; ihre eigenen Gesinnungen waren wol aus liberalen und romantischen Elementen gemischt und in dieser Zeit mögen die liberalen ganz in ihr überwogen haben, zumal jetzt, da sie in ihrem Gemahl doppelt enttäuscht und gekränkt war und da jenes Preußenthum seine Eigenart zu toter Einseitigkeit übertrieb. Eine Anzahl von Officieren, die sehr gut preußisch waren, aber eben deshalb den Schlag von 1850 und den unmilitärischen Zug der gegenwärtigen Regierung so wenig ertragen konnten wie der Prinz, standen ihm ferner zur Seite: General v. Griesheim, sein publicistischer Kampfgenosse aus dem Herbst 1848, der Oberst Fischer, dessen naher Freund Albrecht von Roon, und andere mehr. Man sah in Berlin diesen „Koblenzer Hof“ bald mit starkem Mißtrauen an; der nahe Gegensatz gegen den Oberpräsidenten der Rheinprovinz, H. v. Kleist-Retzow, konnte die Herrschaften nur stärker vorwärtstreiben; ihre Verbindungen gingen in das Lager der Altliberalen, der Partei Bethmann, hinein und über den Kanal hinüber zu Bunsen; man erstaunt, eine wie schneidende Kritik Bunsens Briefe (Sept. 1851) dem Prinzen gegenüber an der Berliner Regierung üben durften. Wilhelm selber erklärte dem Gesandten damals seine helle Mißbilligung der Kirchenpolitik seines Bruders: er ist gegen alle hierarchischen Uebergriffe, gegen jedes Bündniß mit den „sogenannten konservativen Elementen der katholischen Kirche“, allzu schwer käme man aus diesen Klauen wieder heraus; 1852 sprach er verwandte Warnungen in Berlin offen aus. Im übrigen hielt er sich vorläufig, etwa die Jahre 1851 und 1852 hindurch, in der inneren Politik, wie[WS 19] wir sahen, zurück, und wo er sich äußerte, klingen seine Worte nicht eben liberal. Was ihn beschäftigte und zum Eingreifen drängte, war in diesen Jahren vornehmlich das Militärwesen. Daß [563] die Mobilmachungen von 1849 und 1850 arge Mängel enthüllt hatten, lag am Tage; Wilhelms Beruf war es, hier Reformen zu fordern. Er wirkte mit allen Mitteln dahin, beim Könige, seinen Ministern, seinen Vertrauten, auch durch L. Schneider und dessen Wehrzeitung. Dabei trug er seine alten Gedanken von neuem vor. Die dreijährige Dienstzeit, die er früher wol gewünscht hatte, aber nicht unmittelbar hatte verlangen können, forderte er jetzt mit Entschiedenheit, und daneben die Neugestaltung der Landwehr. Ausdrücklich verwarf er die Geringschätzung, die sich nach den letzten Erfahrungen gegen die Landwehr erhob: aber verbessert müsse sie freilich werden. Die Landwehrofficiere haben nicht ausgereicht, neue Linienofficiere müssen, zur Führung der Landwehr, herangezogen, deshalb die Zahl der Linienofficiere erheblich erhöht werden; die Landwehr muß sich eng an die Linie anlehnen, ihre Stämme müssen vollständig innerhalb der Linie durchgebildet, die Landwehrregimenter mit Linienregimentern zu Brigaden zusammengefaßt werden. All diesen Ansprüchen trat der Geldmangel in den Weg; über eine nicht eben erhebliche Meinungsverschiedenheit brach im Winter 1851 ein Conflict zwischen dem Kriegsminister und dem Finanzminister aus und jener trat vom Amte zurück. Schon besorgte Gerlach, daß der Prinz von Preußen in dem Gestürzten die Armee und sich selber verletzt fühlen möchte; aber der Nachfolger, General von Bonin, war dem Prinzen genehm und kam ihm eifriger als sein Vorgänger entgegen; er arbeitete, unmittelbar mit Wilhelm zusammen, an einer Verstärkung des Heeres, leitete wirklich (1852–1853) einige Verbesserungen in die Wege. Wie gern hätte der Prinz die Waffen noch einmal geführt, die er inzwischen zu schärfen trachtete! „Für uns Soldaten“, schrieb er angesichts der sich erhebenden orientalischen Wirren am 26. März 1853 an Natzmer, „die doch auch gern etwas Resultat so langer Friedensvorbereitungen sehen möchten, wird die Zeit lang: man wird nicht jünger und so werde ich mich wol mit der Badener Episode begnügen.“ Die alte Kriegslust athmete also noch immer in ihm, aber sie äußerste sich in Resignation. Der Quell für beides floß ihm zuletzt immer wieder in Preußens auswärtiger Politik. Da blieb ihm in den ersten Jahren vor allem Oesterreich der Feind. Ganz ebenso wie der neue preußische Gesandte in Frankfurt, Herr v. Bismarck, den er, trotz mancher Bedenken um seiner Jugend halber, doch bald als „tüchtiger und kräftiger“, wie sein Vorgänger gewesen sei, freudig begrüßte, verfolgte er jeden Schritt von Selbständigkeit und Widerstand dem Kaiserstaate gegenüber, zumal in der Zollvereinskrise, mit lebhafter Genugthuung; er feierte den Sieg, den Preußen da errang, er verurtheilte auch die innere Verwaltung der Oesterreicher in der Lombardei. Als im December 1852 Kaiser Franz Josef[WS 20] in Berlin seinen Besuch anmeldete, fürchtete der Prinz dahinter eine „Finesse“, die Absicht, „Preußen in den Zollsachen überzurennen“, und er selber fand sich erst, nach offenem Widerstreben, auf eine bestimmte königliche Aufforderung hin zur Begrüßung des Gastes in Berlin ein. Auf seinem eigensten, dem militärischen Felde war er schon 1851 eifersüchtig darauf bedacht, die Einwirkung des preußischen Heerwesens auf die kleinen Staaten unverkümmert zu erhalten, und im Winter 1853 verhandelte man, auf eine Anregung des der Bethmann’schen Gruppe[WS 21] zugehörigen Grafen Pourtales hin, in den Koblenzer Kreisen sehr ernstlich die Frage, wie Preußen wol einmal seinen militärischen Einfluß in Deutschland höher aufrichten könne. Der Oberst v. Roon, von seinem Bonner Freunde Perthes befragt, entwarf (Jan. 1854) in seiner großen Art ein volles Programm, wie sein Staat die deutsche Heereseinheit herzustellen habe: ganz im preußischen Sinne, etwa durch Militärconventionen zuerst, weiterhin durch kühne Benutzung europäischer Möglichkeiten, mit dem Ziele unbedingter preußischer [564] Oberleitung. Er forderte eine umsichtige und entschlossene Politik und erblickte am Ende eines solchen Weges – wenn man nicht, weitervegetirend wie bisher, friedlich dahinsterben wolle – „die strenge Alternative: entweder die volle weltmächtige Ebenbürtigkeit oder ein neues, vielleicht ärgeres Olmütz“. Die Mahnung kann den Ohren des Prinzen wol verwandt und vertraut geklungen haben, auch den Weg Roons – durch Alliancen, Conventionen – scheint man in Koblenz ungefähr gebilligt, das Ziel wol noch höher als er gesteckt zu haben. Die Verhandlung ergab zunächst keine greifbaren Folgen, wenigstens war es eine Vorarbeit für die Zukunft. Auch das wird man hier aufführen dürfen, daß die Beziehungen des Koblenzer Hofes zu Bismarck in diesen ersten Jahren einigermaßen fester und enger geworden zu sein scheinen: Bismarck hatte dem Prinzen für „wiederholte gnädige Anerkennung seiner politischen Richtung“ zu danken. Auf den revolutionären Emporkömmling in Paris, den Leopold Gerlachs tiefste Empörung begleitete, blickte Prinz Wilhelm damals nicht eben mit Vertrauen und Sympathie – denn „er baut auf Franzosen und Volksouveränität, also auf Sand!“ –, aber er rechnete unbefangen mit Napoleons gegenwärtiger Macht und verlangte in Berlin, daß man Rücksicht auf ihn nehme. Gleichzeitig (Dec. 1852) mahnte er zum engen Anschlusse an England. Im Sommer 1853 besuchte das prinzliche Paar den englischen Hof von neuem. Damit sind die wesentlichen Elemente gegeben, die in den nächsten Jahren, unter der Vorherrschaft der orientalischen Frage, die Haltung des Prinzen von Preußen bestimmen sollten.

Alle die Abneigungen und Zuneigungen aber, die wir aufreihten, stellten ihn bereits vorher in unablässigen Gegensatz zur Berliner auswärtigen Politik. Das nächste Ergebniß dieses äußerpolitischen Gegensatzes war offenbar die Schwenkung, die er, etwa seit dem Winter 1852–3, auch in den inneren Fragen vollzog. Hatte er noch im April vorher von der Constitution mit Mißachtung gesprochen, so las im Februar 1853 Gerlach in einem Briefe Wilhelms an den König den Satz, Preußen sei ein Staat des Fortschritts: die Constitution war angenommen, die Stände verworfen – die Nachwirkung von 1849 überwunden durch den Rückschlag gegen die Reaction. Von da an reißt die Kette stiller und offener Feindseligkeiten zwischen Wilhelm und der Camarilla nebst ihrem Anhange im Ministerium nicht mehr ab. Da ist zu klagen über die schlechte Umgebung des jungen Prinzen Friedrich Wilhelm und später über dessen Eintritt in den Freimaurerorden, den er nach seinem und seines Vaters Willen, trotz der Abmahnung des Königs durchsetzt. Da äußert der Prinz von Preußen (im April 1853) zu pommerschen Deputirten, man sei jetzt zu weit nach rechts hinübergegangen, vertheidigt gegen König und Camarilla sein Recht, ebenfalls eine rheinische Abordnung und zwar ohne die Gegenwart des „ultra retrograden“ Oberpräsidenten Kleist zu empfangen. Da berichtet Bismarck im Juni und Juli an Gerlach von den Umtrieben, die den Prinzen zum Angriffe auf das Ministerium fortzureißen bemüht sind: Wilhelm weist solche Conspirationen mit gesundem Sinne von sich, aber er verhehlt nicht, „die Linie, bis zu der man zurückgehen mußte und von der aus man wieder vorwärts schreiten kann, sei jetzt erreicht“. Bald darauf erschreckt ihn Bismarck heftig durch die Erzählung von einer Ministerkrise; er sieht, wenn Manteuffel falle, ein „Ministerium Polignac[WS 22]“ d. h. Gerlach drohend emporsteigen und legt bei seinem Bruder verspäteten Einspruch ein. Dann zerstörte das Jahr 1854, mit dem Fortgange der orientalischen Wirren, sein Verhältniß zur Berliner Regierung fast völlig.

Es ist nicht möglich, an dieser Stelle all das Widerspiel von Absichten und Einflüssen zu entwickeln und zu beurtheilen, das der Krimkrieg am Berliner [565] Hofe hervorgerufen hat. Russische Gewaltthat gegen die Türkei hat England und Frankreich auf die Seite des Sultans getrieben, Oesterreich sympathisirt mit den Westmächten, Friedrich Wilhelms Wünsche und Entschlüsse schwanken, Beweggründe der Gefühls- und der Parteipolitik dringen von rechts und links auf ihn ein, seine eignen Liebhabereien und seine Reizbarkeit und Aengstlichkeit treiben ihn hin und her. Die eigentlich preußische Politik predigt Bismarck, der auch unser Urtheil beherrscht: Preußen soll sich keiner der europäischen Parteien hingeben, am allerwenigsten aus Sympathien und Doctrinen; es soll in fester, bewaffneter Neutralität auf sich selber stehen, Deutschland um sich zusammenschließen, vor allem sich von Oesterreich nicht mißbrauchen lassen, dem gegenüber gerade diese europäische Verwicklung der unbetheiligten und ausschließlich deutschen Macht Preußens zugute kommen muß; niemals darf es sich gegen Rußland in einen Kampf stoßen lassen, der nur Anderen, nie Preußen von Nutzen sein kann. Eine ähnliche Gesinnung von staatlicher Unabhängigkeit und nüchternem Realismus spricht aus den Briefen Roons. Man sollte die gleiche beim Prinzen Wilhelm erwarten. Daß er ganz andere Bahnen ging, ist indessen begreiflich genug.

Ihn trieb dabei mit unwiderstehlicher Wucht ein einfaches Grundmotiv: Olmütz. Das gibt den Schlüssel. Er war voller Grolles über die Schwäche, der man in Berlin auch diesesmal anheimfiel – eine Schwäche und Zerfahrenheit, die auch derjenige nicht läugnen kann, der das Endergebniß dieser Schwankungen, nämlich die Wahrung der preußischen Neutralität, als solches für ein Verdienst oder doch für ein Glück ansieht. Roon und Fischer fanden (März 1854) „die wunderlichsten Oscillationen in unserem politischen Barometer“. Der Prinz aber dankte Natzmer im April traurig für seinen Geburtstagswunsch: man rostet ein! „In der Stube räth man schon so viel und so lange, daß man sich ordentlich scheut, wenn man an das Handeln im Freien denkt; d. h. nicht ich, aber Andere!“ Er hielt es für unumgänglich nöthig, daß Preußen endlich handele. Sein Gedankengang ist all die Jahre dieser Krisis hindurch (1854–56) stets der gleiche geblieben. Rußland muß eine Lection erhalten, sonst bedroht es uns mit neuer Suprematie: „ein Holstein und Olmütz sind dann nur schwache Vorläufer derselben gewesen“ (Jan. 1855). Die beiden Gewaltsprüche des Zaren, auf die er da anspielt, hielt er auch Gerlach bitter entgegen. Nikolaus war es eigentlich gewesen, vor dem man sich 1850 gebeugt hatte. Deßhalb ist jetzt ihm gegenüber, da er von neuem übergreift, ein jedes Bündniß geboten. Man muß sogar mit Oesterreich – dem Olmützer Oesterreich! – zusammengehen, um Rußland in Schach zu halten. Den österreichisch-preußischen Bundesvertrag vom 10. April 1854, den Bismarck so grimmig beklagte, begrüßte der Prinz mit Freuden; er leitete aus ihm die Aufgabe und die Möglichkeit ab, beiden Parteien in Europa einen anständigen Frieden zu gebieten, wenn es sein müsse, mit Gewalt. Weder Rußland noch den Westmächten werde man gestatten dürfen, sich eigenmächtig zu weit vorzuwagen. Er hat geglaubt, durch ein so ernstes Einschreiten hätte man den Frieden wirklich erzwingen, dem Zaren eine goldene Brücke bauen können. Er selber stand ja dem russischen Schwager herzliche nahe, wahrte auch über diesen Zwiespalt hinweg „dem herrlichen Kaiser“ die persönliche Freundschaft und betrauerte seinen Tod auf das tiefste, nicht leichtherzig nahm er seine Stellung. Aber er sah sich doch, bei allem Bestreben, sich zwischen und über den beiden Lagern zu halten, von Anfang an thatsächlich ganz auf die Seite der Westmächte gedrängt, und damit auf die Seite derjenigen Parteigruppe in Preußen selbst, die ihm auch sonst nahestand, der Partei Bethmann-Hollwegs und des Preußischen Wochenblattes, „der Partei der Prinzessin“ wie die Andern sie nannten: die [566] Gegenpartei, die Kreuzzeitung, bildete ja auch in dieser internationalen Frage das Gegenspiel, d. h. die Gefolgschaft Rußlands. Auch Wilhelm ordnete sich, mehr als seine Art war, in diese Parteiungen ein. „Den ritterlichen Prinzen“, so schrieb ein conservativer Freund aus Berlin an Bismarck (Anfang 1854), „habt Ihr uns am Rhein ganz ruiniert; er schiebt das Ministerium nach der Linken rüber.“ In der That, seine eigenen Erklärungen lauten liberal genug; ihn bewegt nicht nur die begreifliche und durch das englische Herrscherpaar beinahe drohend genährte Sorge – die er indeß in anderer Lage und Stimmung wol auch überwunden hätte –, daß sein Land in den Krieg mit England und Frankreich getrieben werden könnte und daß ein Krieg mit Frankreich ein besonders gefährliches Ding sei, nur möglich unter einem jungen und heldenmüthigen Könige, d. h. unter Friedrich Wilhelm IV. ganz sicher nicht (zu Bismarck, März 1854): er ging über solche, äußerpolitischen, Rücksichten weit hinaus, wenn er dem gewaltthätigen Rußland „das zivilisirte Europa“ entgegensetzen wollte, wenn er den russischen Staatsmännern (1855) unmittelbar den Vorwurf ins Gesicht warf, Rußland habe alle europäische Bildung von sich gewiesen, die „Institutionen (d. h. die Verfassungen in den Nachbarländern) durch Gewalt beseitigt“, und wenn er „dagegen Garantie für Europa verlangte“. Da faßt also auch er den Krimkrieg als einen liberalen Culturkampf des Westens gegen den Osten auf. Er sprach als Parteimann. Eigenthümlich genug steht diese Episode innerhalb seines Lebens da.

Seit dem Februar 1854 trat er in Berlin mit großer Schroffheit für seine Bestrebungen ein. In aufgebrachten Schreiben warf er Manteuffel Halbheit, Bismarck Gymnasiastenpolitik vor, den Mobilmachungsplan nannte er einen Landesverrath: so erzählt wenigstens Gerlach. Dann steigerte die Entlassung seiner beiden Genossen im Kampfe gegen Rußland, Bunsens – bei der er sich persönlich übergangen fühlte – und des Kriegsministers Bonin (Anfang Mai) seine Erregung auf das höchste. Die Schwenkung zu Rußland, die sich in diesen Maßregeln aussprach, schien ihm den eben geschlossenen österreichischen Bündnißvertrag vom 20. April direct zu verletzen. Er war entschlossen, diese Wendung nicht mitzumachen. Noch im hellen Zorne, über das Maß, das er selber in ruhigen Augenblicken einem preußischen Thronfolger einräumte, sicherlich weit hinausgehend, schrieb er dem Könige einen bitterbösen Brief, soviel wir hören, voll starker Ausdrücke, voller Lossagungen, einen „Absagebrief“, von dem man urtheilte, er hätte den König wohl veranlassen können, den Schreiber auf die Festung zu schicken. Friedrich Wilhelm bezwang seine eigene Hitze; er ertheilte dem Bruder, wol an eine Forderung des Briefes anknüpfend, nicht ohne ernste Würde einen vierwöchentlichen „Urlaub“ nach Baden-Baden; aber von der außerordentlichen Schärfe des damit überwundenen Conflictes erfuhren die politischen Kreise doch. Der Prinz freilich drängte die persönliche Bitterkeit auch bald zurück, sprach über die Sache selber mit Unbefangenheit, sah seine Entfernung offenbar lediglich als eine freiwillige, „nicht als etwas Außergewöhnliches“ an; er wünschte es verbreitet zu sehen, daß er, wie es sich zieme, „den Befehlen des Königs als erster Unterthan gehorsam sein werde, aber nicht im Stande sei, ihm bei einer politischen Schwenkung zu helfen, die gegen meine Ueberzeugung läuft“. „Wenn man, wie ich, auf Befehl des Königs, Ihm geholfen hat auf einer bestimmten politischen Bahn, kann Er nicht von mir verlangen, Ihm nun auf einer andern Bahn zu helfen“. Das persönliche Verhältniß werde er herstellen, die „politische Position“ auch fürderhin so deutlich aufrecht halten, wie er sie durch seine Abreise kundgethan habe. Und so geschah es: die silberne Hochzeit beging das prinzliche Paar am 11. Juni 1854 auf dem Babelsberge, [567] die Jubiläen, die den beiden Brüdern in den nächsten Jahren erwuchsen, feierten sie zusammen in herzlicher und weicher Liebe; allein in der Orientfrage hielt Wilhelm seinen Standpunkt fest, in stiller aber unverkennbarer Opposition, gelegentlich in kritischen Glossen, aber auch, wenn es sich so bot, in lauter Erklärung vor dem königlichen Rathe. Er besuchte 1855 den jungen russischen Kaiser: auch das stimmte ihn keineswegs um. Als der Friede geschlossen war und Rußland Napoleon naherückte, zog Wilhelm aus den Erlebnissen dieser drei Jahre die Folgerung (an Natzmer 2. April 1856): „jetzt werden neue Constellationen eintreten und Preußen muß gerüstet sein, damit es nicht wie ein Kirschstein zwischen 2 Fingern geschnellt wird! Dazu gehört immer Kraft, Einheit und gesunder Zustand! Ist dies alles bei uns jetzt zu finden??“ Mit seiner Politik mochte er im Unrecht gewesen sein; mit dieser Frage war er nur allzusehr im Recht.

Im übrigen traten die äußeren Verhältnisse seit der Krisis von 1854 und 1855 mehr zurück. Aber diese Krisis beherrschte die Haltung des Prinzen zu den inneren Parteien bis an das Ende von Friedrich Wilhelms Regierung ganz. Alljährlich wurde der gestürzte Bunsen nach Baden zu dem prinzlichen Paare geladen; Herr v. Bismarck dagegen hatte das Gefühl, daß die Herrschaften ihm aus dem Wege gingen. Als dann freilich zu einer Zeit, wo Bismarck bei Hofe anscheinend in einiger Ungnade stak, seine Gemahlin bei einer Vorstellung von der Prinzessin wie von den Majestäten – geflissentlich, so meinte er – übersehen wurde, da war es doch der ritterliche Prinz, der sich „mit großer Liebenswürdigkeit ihrer merklichen Verlassenheit annahm“. Zu den anderen Mitgliedern der Kreuzzeitungspartei aber stand er in offenem und dauerndem Kriege. Er erklärte es öffentlich, daß er dieser Partei nicht angehöre, er glaubte sich von ihr überwacht, verleumdet, beleidigt, und trat gegen ihre einzelnen Vorkämpfer Wagener, Stolberg, Raumer sehr persönlich in die Schranken. Als 1855 den beiden Führern der Camarilla, Gerlach und Niebuhr, eine Anzahl vertraulicher Schriftstücke gestohlen war, schloß sich an eins dieser Stücke, den über den Prinzen scheltenden Brief eines Litteraten Lindenberg an Gerlach, ein sehr langwieriges Zerwürfniß und zuletzt ein Proceß an, in dem Lindenberg als Verleumder verurtheilt wurde; der König begnadigte ihn in einer seinem Bruder empfindlichen Weise (1857) und begünstigte ihn weiterhin – ich brauche der widrigen Angelegenheit nicht nachzugehen. Auch nach England griffen Streitigkeiten ähnlichen Ursprungs über; Wilhelm dankte (13. Mai 1856) dem Coburger Herzog für den Rath, den er ihm dabei gespendet: „ich bin malgré les ultras soweit gegangen, wie noch Spuren sich zeigten; als diese versiegten, mußte ich mich für jetzt begnügen, bewiesen zu haben, daß ich das Licht nicht zu scheuen brauchte und das ist un avis au lecteur gewesen“. Auch gegen den König ergriff ihn wol einmal Verstimmung oder kaustische Laune; das überwand er. Seine Mißbilligung aber des Berliner Systems überhaupt war allbekannt.

Positiv eingreifen konnte er am Ende dieses Zeitabschnittes ebenso wie an dessen Anfange nur in Heeresfragen. Da nahm die Regierung, doch wol unter seinem Antriebe, die dreijährige Dienstzeit 1856 wieder auf; in der Kammer erhoben sich das Jahr darauf finanzielle Schwierigkeiten und neue Debatten darwider, der Prinz sprach, durch Schneiders Vermittlung, in der Presse ein sehr scharfes Wort hinein. Rechtes Vertrauen gewann er zu der Heeresverwaltung auch jetzt nicht, und er wiederholte im März 1857 seine alte Klage über den allzu langen Frieden, der die Waffen stumpf und den Geist der Armee, so gut sie sich immer halte, doch lahmer mache. Er erfuhr, als der unselige Neuenburger Aufstand, den er im voraus, soviel wir sehen, begünstigt [568] hatte, den Conflict mit der Schweiz und einen Waffengang heraufzuführen schien (Anfang 1857), die Enttäuschung, daß zu der freilich undankbaren Aufgabe dieses Commandos ein Anderer als er erlesen wurde: es mochte aus guter Meinung geschehen sein, er aber nannte sich Freunden gegenüber bitter „den zu Hause gelassenen Feldherrn“. Es schien einmal bestimmt zu sein, daß ihm in diesen trüben, bleiernen Jahren Alles zum Mißvergnügen ausschlagen mußte.

Wol hob ihn dazwischen sein 50jähriges Militärjubiläum (1. Jan. 1857) zu dankbarer Freude empor; er fand sich reicher gefeiert als er verdiene und legte den Dank einem Höheren zu Füßen. Aber auch dieser Gedenktag ließ ihn neben der Bescheidenheit, die ihm natürlich war, wieder die Bescheidung empfinden, die sein Lebensalter nun von ihm verlange. Schon hatte der Sohn sich verlobt, die Tochter sich vermählt, der Eine mit der Tochter seines hochgehaltenen englischen Freundes, die Andere mit dem jungendlichen badischen Großherzoge, der 1854, bereits damals ein sehnsüchtiger Anhänger der deutschen Einigkeit, von dem Prinzen von Preußen geurtheilt hatte, „in ihm liege allein die Möglichkeit einer Rettung vor dem Untergange Deutschlands“. Schon meinte er, als er Roon für die Wünsche zum 60. Geburtstage dankte, in die Zeit eingetreten zu sein, wo man „nur noch in den Kindern fortlebe“. Natzmer hielt ihm den Wunsch entgegen, es möge ihm noch gehen wie Radetzky; er schüttelte den Kopf: nein, der Krieg scheint für Preußen abgeschafft zu sein; und seine Geburtstage fand er schon seit Jahren „nachgerade etwas ältlich“. So nahm er jetzt, zu Koblenz am 10. April 1857, in stiller Selbstbetrachtung von den Seinigen Abschied über das Grab hinaus, in einem Gruße voller Liebe und voller Dankbarkeit, der sie dereinst erreichen sollte, wenn er nicht mehr wäre. Mit einem Gebete beginnt und schließt die Aufzeichnung, in die Hände seines Gottes befiehlt er sein Sterben und seine Seele. Und er läßt sein „vielbewegtes Leben“ an seinem Auge vorüber gehen, den steten Wechsel von Leid und Freude, das Verhängniß, das des Kindes Herz mit Ernst erfüllt, die große Erhebung, die es zuerst durchleuchtet hat, „die Führung, Liebe und Gnade seines heißgeliebten Königs und Vaters“, dem er innig dankt, die Pflichterfüllung, die da sein Glück geworden ist. Auch seinem Bruder bringt er nichts entgegen als den tiefsten Dank; die Nöthe der Sturmzeit haben sie nur immer enger verbunden. Alles Trennende, alle Bitterkeit versank ihm so im Angesichte der Ewigkeit. Aber das ist deutlich: er meinte abschließen zu müssen, er war müde geworden und erwartete keine Zukunft mehr. Das war für ihn das Ende der Reactionsjahre. Wäre es zugleich das Ende seines Erdenganges gewesen, so stände seine Gestalt wol ehrenwerth und tapfer vor dem Augen der Nachwelt, der Geschichtschreibung; sie böte dieser vielleicht das typische Bild der Umwandlung eines ganz altpreußischen Mannes in eine neue Zeit hinein, eines Mannes, der sich zuletzt dem aufstrebenden Neuen zugewandt hat und, fertig mit seiner Entwicklung und mit seiner Welt, zu Grabe geht; die Persönlichkeit selber, wie echt und tüchtig immer, träte vor diesem Allgemeinen wol ganz zurück. Wie hätte der Prinz, als ihn der Eintritt in das siebente Jahrzehnt so ernst ergriff, ahnen können, daß es doch nur wieder eine Lehrzeit, eine zweite und späte freilich gewesen war, an deren Ausgange er stand? Nur seinem Sohne, so meinte er immer wieder, werde das Neue und Große, werde der Kampf beschieden sein. Da erkrankte im Juli 1857 der König; das Gehirnleiden, das seine Nächsten längst bange gespürt hatten, brach vor. Noch einmal raffte er sich auf, noch einmal machte sein Bruder unter ihm die Herbstmanöver durch; dann wiederholte sich Anfang October der Schlag und nun wälzte sich „der Stein“ einer ungeheuren Verantwortung [569] auf Wilhelms Seele. Da er dem Ende zuzuschreiten glaubte, eröffnete sich dem Sechziger erst seine eigentliche Wirkenszeit: eine weltweite Zukunft, unvergeßlich in aller Geschichte.




4. 1857–1862.

Auch an eigentlich biographischem Reize ist Wilhelms I. Leben reicher als die Einfachheit seiner Natur erwarten läßt. Immer wieder folgt in ihm auf scheinbaren Abschluß ein Neubeginn, eine frische Entwicklung nicht nur des Wirkens sondern auch der Persönlichkeit selbst. Denn diesem langen Leben stellen sich immer wieder neue Aufgaben, die es auch innerlich ergriff; sie fallen zusammen mit den Aufgaben des preußischen und deutschen Lebens überhaupt, die Epochen dieses Einzeldaseins decken sich mit denen des allgemeinen und durchlaufen in der Seele des Prinzen und Königs wechselnde Phasen, die keineswegs arm sind an innerer Bewegung, an tiefgehenden Kämpfen. Erst als 80jähriger hat er zum letzten Male diese Auseinandersetzung mit neuen Gedanken um sich und in sich zu vollziehen gehabt. All diese Gedanken aber sind ihm von außenher nahegekommen: gerade deshalb ist er fähig gewesen, mit jeder dieser Epochen zu leben und in jeder zu wirken, weil er im Grunde – von 1840 ab über 1848, 1857, 1866, 1871, 1879 hin – keiner einzigen von ihnen ganz und von innen heraus zugehörte. Er theilte die Einseitigkeit keiner einzigen, weil er an keiner von ihnen im vollen Sinne schöpferisch, sondern an jeder nur sich anlebend und einlebend und dann mitschaffend betheiligt war – an keiner innerlich productiv, sondern höchstens reproductiv. Keiner einzigen hat er sein ganzes Selbst hingegeben, und eben darum von jeder das jedesmal Nothwendige aufnehmen und annehmen können. Und trotz dieser steten Nachgiebigkeit war er ein Ganzes und Besonderes für sich. Von innen heraus kommt ihm nur eine, aber allerdings eine überaus bedeutende Strömung: jene altpreußische, die er ja auch nicht hervorgebracht, die er geerbt hatte. Das preußische Wesen, die preußische Macht, das preußische Heer, darin eben findet man stets von neuem die historische Kraft, die ihn innerlich erfüllte, die den Kern seiner Persönlichkeit durchdrang, ja, man darf sagen, der Kern seiner Persönlichkeit war. Dieses Preußenthum hatte er sich in den Jahrzehnten seiner Jugend ganz persönlich erlebt; in dessen Kreisen arbeitete sein Geist selbständig, hier bildete er selber die staatlichen und militärischen Gedanken lebendig fort, hier war er productiv. In diesem Boden wurzelte die Einheit seines ganzen Daseins: soviel er in der Mitte seines Lebens an neuem aufnahm, – je älter er wurde, um so siegreicher drangen die starken Kräfte seiner frühen Bildungszeit wieder in ihm hervor, und das Ende seines Lebens knüpfte sichtbar an seine Jugend an. Was er inzwischen aufgenommen, hatte er jedesmal, nachdem es ihn erst deutlich beeinflußt hatte, mit diesen seinen eingebornen Kräften verschmolzen, es verarbeitet, es in das Ganze seines Wesens eingefügt; er hatte sich durch all diese Einflüsse bereichert und weitergebildet, er hatte aber auch diese Gedanken der fortgehenden Zeit jedesmal mit seinem Grundgedanken des Preußenthumes durchdrungen: so umgebildet sind die ihm zugebrachten Ideen aus ihm wieder in die Welt zurückgeströmt und haben sich dort bethätigt. Das ist das Verhältniß dieses Einzelnen zu seiner Zeit gewesen: durch Geburt und Schicksal auf eine hohe Stelle versetzt die ihm gestattete zu wirken; die neuen Aufgaben und Gedanken wesentlich nur wie etwas Fremdes empfangend – ward er fähig, sie sich zu eigen zu machen, weil er in seinem Innern ein Eigenstes besaß, dem er sie einfügen konnte; alle Kraft seines Wirkens stieg jedesmal erst aus [570] diesem Kerne seines Wesens empor. Dadurch, daß er inmitten alles Neuen immer sich selber wiederfand, immer sich selber zuletzt wieder zur Geltung brachte, hat er nach außen hin tief zu wirken vermocht; er, der Bescheidene und ewig Lernende, hat den Stempel seiner Eigenart in all die Schöpfungen seiner Epoche hineingeprägt: in diesem Persönlichsten, Eingeborenen, früh und innerlich Erlebten liegt doch auch bei diesem einfachen Menschen das letzte Geheimniß und die letzte Erklärung all seiner Wirkenskraft.

Jetzt, im Jahre 1857, war seine Persönlichkeit längst ausgewachsen; sie war es, sahen wir, seit zwei Jahrzehnten und was sie seit 1840 neu erfahren hatte, – für ein Leben beinahe genug – hatte sie noch voller gereift. Auch jetzt noch war er vor allem der Officier aus königlichem Geschlechte, die Gestalt hoch und kräftig, ritterlich und sicher, das Antlitz von großen und schlichten Zügen, das blaue Auge gütig, frei und fest, ein volles Abbild seines Wesens. Auch ein kritischer Beobachter empfand die „Vornehmheit“ des Prinzen, der bei aller ungezwungenen und ungewollten Freundlichkeit, bei aller Milde gegen seine Umgebung, bei aller Bescheidenheit und Heiterkeit doch stets der große Herr war, geboren und herangebildet zum Befehlen; vornehm in aller äußeren Würde der Erscheinung, des Auftretens, des Wortes, das er wohl zu handhaben wußte, in alledem ganz ohne Pomp und Pose, durchaus echt; vornehm zumal in der sachlichen Klarheit und Reinheit seines Willens, seiner Seele. Die bitteren Jahre, die er hinter sich hatte, hatten den Adel seines Gefühles nicht getrübt; er war durch gehässige Feindseligkeiten hindurchgeschritten, hatte, da er der Zweite war und man ihn zurückschob, Groll und etwas wie Eifersucht nicht immer aus seinem Herzen fern halten können: es sollte sich zeigen, daß die Erinnerung daran alsbald, da er der Herr wurde, wesenlos von ihm abfiel und er innerlich er selber geblieben war, unfähig zu allem Niederen und allem Kleinen, großmüthig im Vergeben, neidlos und selbstlos, zartsinnig und gerade. Seine Nächsten empfanden den einfachen Reichthum, die Wärme und Weichheit seines Herzens; bis in das hohe Alter hinein blieb ihm die rückhaltlose Aussprache seiner Empfindungen in stillen schriftlichen Selbstgesprächen, in vertrauten Briefen ein Bedürfniß. Er folgte diesem nicht mit der Ueberschwänglichkeit seines ältesten Bruders, aber an Temperament fehlte es auch ihm keineswegs. Die Erregung konnte ihn in wichtigen Augenblicken, in Stunden einsamer Ueberlegung, aber auch bei Berathungen mit Andern übermannen, sich in heftige Worte, in Thränen ergießen. Er rang sich dann wol im Gebete wieder zu ruhiger Klarheit durch: die blieb der letzte Grundzug seines Wesens, im menschlichen und auch im religiösen Empfinden. Er behielt jene einfache, helle, zweifelsfreie Frömmigkeit, die er 1815 bekannt hatte, einen Glauben, der ihm „das Brod seines Lebens, der Trost seiner Schmerzen, das Richtmaß seines Handelns“, die Stütze in jeder schweren Entscheidung war. Er war wohlthätig, sparsam, bedürfnißlos, unendlich fleißig, ein Mann der strengsten militärisch-sittlichen Selbstzucht, die der eigenen Bequemlichkeit niemals schwächlich nachgab, der Pflicht und der Treue im Kleinen und Großen, von empfindlichem Gerechtigkeitsgefühle und unbedingter Wahrhaftigkeit. In Allem ausgeglichen und maßvoll, nicht leicht zu verkennen, aber schwer zu beschreiben, weil sein Wesen aus allen Abweichungen immer so bald wieder zur Mitte zurückkehrt. Größe und Begrenztheit seiner Art hatten sich in diesen 60 Jahren deutlich abgezeichnet und bewährt: er war keine starke Natur, die sich selber gewaltig die Bahnen bricht, weder von niederwerfender Wucht, noch von leidenschaftlich-selbstbewußter Zähigkeit. Bislang hatte er den Anforderungen seines Lebens allen genügt. Er brauchte Rath und nahm die Einflüsse willig in sich auf, war gegen die Seinen, die Gemahlin, [571] die Vertrauten, von anhänglicher und dankbarer Treue. Daß er sich bis dahin von irgend Einem hätte leiten lassen, wird man nicht sagen können: er trug das Maß in sich, nach dem sein Wesen und sein Handeln sich immer wieder regelte. So hatte er bisher all seine Kämpfe gewissenhaft und ernsthaft, selbständig durchgestritten. So vorbereitet, männlich, praktisch, klar, welterfahren, fand ihn die Stunde, die jetzt die Leitung seines Staates in seine Hände legte. Wie würde das höchste menschliche Amt von diesem fürstlichen Manne ausgefüllt werden, wie würde die neue, größere Pflicht auf sein Inneres zurückwirken? Vielleicht wird seine Gestalt den Späteren, denen sie weniger selbstverständlich ist, schärfer und eigener als uns vor das Auge treten; vielleicht wird sich ihnen auch das Schauspiel noch ergreifender darstellen, wie diese conservative gleichmäßige Natur nun unmittelbar und entscheidungsvoll mit den Aufgaben und Gesinnungen einer wirren Zeit zusammentrifft, die der Zukunft auch so viel fremder und deshalb so viel charakteristischer erscheinen wird als uns. Das erkennen wir schon heute: unendlich Schwereres als bisher stand vor ihm, Gegensätze, die sich im Kampfe enthüllen und miteinander messen, neue Erfahrungen, die sich ihm selber ergeben mußten. Stärken und Schwächen seines Wesens sollten sich erst in ihnen ganz entfalten und ganz auswirken.

Wilhelm seinestheils hat im October 1857 wol alles Andere eher erwartet und gewollt, als einen tiefgehenden Kampf. Welche politischen Anschauungen sich ihm in den Jahren der Reaction herangebildet hatten, lassen seine Aussprüche ungefähr erkennen. Das herrschende System verwarf er ganz: die Verfassung bestehe, so müsse man sie hinnehmen und ehrlich nach ihr handeln, sie weder mit mißtrauischer Aengstlichkeit beschränken noch gar durch unredliche Auslegung verfälschen wollen. Dabei unterschied er jedoch sehr scharf zwischen parlamentarischer Gesetzgebung und Controle einerseits, parlamentarischer Regierung andrerseits. „Erstere, schrieb er im September 1857 seinem altliberalen schlesischen Bekannten v. Vincke-Olbendorf, erstere gebe ich zu, letztere nicht, und kann daher die Minister-Verantwortlichkeit bis zur Anklage, oder Abdankung auch aus kleinen Veranlassungen, nicht zugegen.“ Die Regierung soll sich gegen die Controle des Parlaments, die heilsam und nothwendig ist, zugleich vertheidigen, oft wird sie dabei im Rechte bleiben, und selbst im andern Falle braucht sie noch nicht abzutreten, nur zu lernen. Die Unabhängigkeit der Krone vom Landtage, der sie ergänzen aber nicht beherrschen soll, hielt er also im voraus ganz fest. Die Verfassung aber rühmte er Vincke (Juli 1857) zugleich als ein Werbemittel Preußens in Deutschland. „Sie sei das Einzige, wodurch wir in Deutschland unsern Rang behaupten können, in allen andern Richtungen, Zollverein, materielle Vortheile usw. werde uns Oesterreich den Rang ablaufen“. Er wollte also durch innere Freiheit auf Deutschland wirken, wie es ja auch Bismarck in den großen Frankfurter Denkschriften dieser Jahre empfahl; nur daß der Satz des Prinzen in seiner starken, ja ausschließlichen Betonung dieser einen Seite die Zustimmung des Staatsmannes sicher nicht gefunden hätte. Der Gegensatz zu Oesterreich war im übrigen auch Wilhelms Ausgangspunkt: oft genug hatte er das wiederholt. Im Krimkriege hatte er sich freilich mit Oesterreich verbünden wollen. Denn sein einziges ganz festes Ziel war in aller äußeren Politik doch dieses: Preußen groß, mächtig, unabhängig zu sehn. Solange der Kaiserstaat die Gleichberechtigung Preußens anerkennte, wollte sich Wilhelm offenbar zufrieden geben. In Deutschland forderte er für seinen Staat Gleichheit des Ranges, daneben sicherlich eine fortschreitende Erweiterung seines Einflusses; an der Nothwendigkeit, daß einmal die deutsche Lage geklärt und gebessert [572] würde, zweifelte er nicht und daß die letzte Lösung Preußens Führerschaft sein müßte, war von altersher sein Glaube. Und ganz gewiß galt ihm jeder preußische Herrscher für verpflichtet, die Stunde, die eine solche Lösung gestatten würde, zu benutzen. Aber wie zu benutzen? in welchem Sinne, innerhalb welcher Grenzen? Und wäre er auch verpflichtet oder berechtigt, sie selber etwa herbeizuführen? und mit welchen Mitteln? Das alles wissen wir nicht. Gewiß ist wieder Eines: er wollte, soweit sein Staatsinteresse es irgend vertrüge, Rücksicht nehmen auf jedes bestehende Recht, er haßte die Revolution. Die Rechte der deutschen Fürsten waren ihm insbesondere heilig, achten wollte er auch die in Verfassungen verbrieften Rechte der Bevölkerungen. Innerhalb Europas galt es ihm, die Ehre und die ungefesselte Selbständigkeit seines Staates zu wahren; er hatte sich von Rußland abgewandt, Napoleon[WS 23] beobachte er mit Mißtrauen, aber ohne active Feindseligkeit.

Persönlich am Herzen lag ihm zumal das Heer: dessen Reform war der eigenste Gedanke des Prinzen seit 30 Jahren. Und man wird, im Zusammenhange damit, die Macht Preußens für den auch jetzt noch eigentlich leitenden unter Wilhelms politischen Wünschen ansehen dürfen. Das aber ergibt sich aus Allem: augenscheinlich zielen all jene Gedanken nicht auf irgendwelchen Kampf, den er im Innern oder auch nur im Aeußeren hätte erstreben wollen.

Diese Reihe von Anschauungen etwa wird man für die Zeit seines Regierungsantrittes bei ihm anzunehmen haben. Sie enthalten mancherlei bedeutsame Leitsätze einer eigenen Politik; sie bilden kein festes System, kein „Programm“; ein solches hat er ganz eigentlich selbst da nicht aufgestellt, wo er seine Forderungen und Absichten zusammenhängend entwickeln wollte, und Niemand wird es von dem praktischen Staatsmanne erwarten. Wol aber darf man fragen, ob hinter jenen locker gefügten, manchmal wol unbestimmten Gedanken, die dem Augenblicke, dem Flusse der Ereignisse mit Recht Vieles überließen, die wahre staatsmännische Kraft und Klarheit stand, die im Augenblicke dann wirklich das Höchste unter dem jeweils Möglichen zu wählen und zu wollen weiß, die zugleich geschmeidige und sichere Energie, die nach allem Warten den Augenblick dann wirklich zu ergreifen vermag weil sie dazu entschlossen ist, die rücksichtslose Schärfe des Denkens und zumal eben des Willens. Unendlich schwierig war die Lage in Deutschland und der Welt; alle deutschen und preußischen Entscheidungen seit einem Jahrzehnt vertagt, alle Gewalten und Bestrebungen, die vorwärts drängten, dadurch getrübt und verbittert, alle widerstrebenden Mächte verstärkt. War der Prinz von Preußen in seiner ritterlichen und gewissenhaften Geradheit der Mann, diese Lage zu beherrschen? Er hatte genug erlebt und in sich verarbeitet; wußte er im höchsten Sinne des Wortes, was er wollte? Leopold Gerlach glaubte es nicht: „wohin der Prinz segelt, schrieb er im Januar 1858 an Bismarck, ist mir nicht klar, ihm wahrscheinlich auch nicht“; vor der ihm drohenden Verantwortlichkeit, meinte er im Herbste vorher, sei Wilhelm bange.

Das ist gewiß dessen Gefühl gewesen. Dennoch ergriff er die Aufgabe, die sich ihm aufzwang. Er trat in die Jahre ein, die, seiner persönlichen Thätigkeit nach, die Höhe seines Lebens bedeuten, in seine eigentliche Wirkenszeit. Damals hat Wilhelm I. versucht, die Fragen der Zeit selber zu lösen: er ist damit nicht durchgedrungen, aber er hat dennoch in diesen fünf Jahren sein Eigenstes gethan, und auch sachlich sind es die Zeiten der Grundlegung für alles Künftige. Das Große selber zu vollbringen hat er nicht vermocht, mindestens nicht er allein. Er schreitet als Erster auf den Plan: unendlich reizvoll zu sehen, wie er, der Friedfertige, dazu gelangt, den Streit zu beginnen, [573] wie dann neben den schon Ermattenden seine großen Mitkämpfer treten, einer nach dem andern, helfend und ablösend. Unter dem Gesichtspunkt seiner Lebensbeschreibung ist hier der weite Inhalt dieser Entscheidungstage zu überschauen.



Der Anfang war trüb und peinlich: die Gesundheit des Königs schwankte noch, die unter ihm herrschende Partei wünschte die Macht festzuhalten, die Königin dem Kranken die Aufregungen, die ein tiefer greifender Wechsel mit sich führen mußte, zu ersparen, und der Prinz selber war viel zu feinfühlig, als daß er sich in eine Verantwortung hineingedrängt hätte, die ihm immer schwer zu tragen war, von der er aber zunächst noch nicht einmal mit Sicherheit wußte, ob sie der König nicht doch noch wieder in seine eigenen Hände zurücknehmen könnte. Das Spiel von allerlei Einflüssen, staatsrechtlichen Erwägungen und Ausflüchten, von persönlichen Wünschen und Gegensätzen, das in diesem unklaren Zustande Raum fand, braucht hier nicht verfolgt zu werden. Wilhelm duldete es, daß ihm am 23. October 1857 zunächst die bloße Stellvertretung des Königs auf drei Monate übertragen wurde; er duldete, daß diese Frist wieder und wieder erstreckt wurde. Er regierte inzwischen ganz nur als der Platzhalter des Kranken, mit dessen Ministern, und soweit es ging nach dessen Intentionen, in zarter Rücksicht auf Bruder und Schwägerin, mit einer passiven Vornehmheit, die Gerlach rühmen mußte. Er übernahm seinen Auftrag mit Thränen der Rührung; er hielt die schwerste Probe seines Opfermuthes gegenüber seinem Könige und nächsten Verwandten glänzend aus. Aber es war ein Uebergangszustand, der nicht dauern konnte; Preußen mußte einen Herrscher haben. Daß der Prinz im Grunde ganz etwas Anderes bedeutete als das Ministerium Manteuffel-Westphalen-Raumer, das wußte man überall und das prägte sich, trotz aller Zurückhaltung, doch hier und da in einem kritischen Worte Wilhelms aus; zuerst auf dem geistig-kirchlichen Gebiete gab er seine Abneigung auch öffentlich kund. Daneben legte er alsbald, gleich vom Herbste 1857 ab, vorbereitende Hand an die Militärreform. Schon aber erfuhr man in den politischen Kreisen, daß sich der Prinz das Provisorium nur für ein Jahr gefallen lassen wollte. Es heißt, daß er schon zum April 1858 die volle Regentschaft zu erhalten erwartet habe; er selber hat sich in vertrauten Briefen für jene einjährige Frist ausgesprochen und inzwischen die quälende Halbheit seufzend erduldet. Er meinte, nicht von ihm könne die Lösung ausgehn. Allein das Ministerium raffte sich, trotz manchen Anläufen, nicht zu eigener Initiative auf, Westphalen und die Seinen widerstrebten jeder Veränderung. Der Sommer zeigte deren drängende Nothwendigkeit. Im Innern mochte es noch angehen, obwol die Kammern schließlich einmal die Regentschaft, wie die Verfassung sie wollte, verlangen mußten und es Wilhelm darauf ankam, jeglichen Eingriff der Kammern in diese Angelegenheiten des Herrscherhauses hintanzuhalten; die äußeren Verhältnisse aber erzwangen eine feste Regelung unbedingt. Noch im April schrieb Graf Harry Arnim[WS 24] achselzuckend an Preußens Frankfurter Vorkämpfer Bismarck, es fehle im Berliner Hauptquartier an jedem Plan; Nichts als Actenwesen; Bismarck sei ein verlorener Posten vorm Feinde. Aber schon klopfte im Norden die schleswig-holsteinische Frage, im Süden die italienische an die Pforten der preußischen Politik, und mit Oesterreich gab es unablässige Reibungen. Im Juli empfing der Prinz in Baden-Baden Bismarck wiederholt und freute sich der ersten Erfolge schärferen Vorgehens am Bunde, der ersten gemeinsamen deutschen Erfolge des späteren Kanzlers und des späteren Kaisers; Bismarck aber war voll Lobes über die Aufmerksamkeit und verständnißvolle Mitwirkung [574] des Herrn. Auch Cavour[WS 25] sprach in Baden vor und fand den Prinzen nicht unfreundlich, wenn auch keineswegs national-italienisch gestimmt. Ein europäisches Unwetter konnte alsbald losbrechen. Da beschloß Wilhelm nebst seinen Vertrauten, der Stellvertretung ein Ende zu machen. Noch gab es Kämpfe im Ministerium; die Königin widerstrebte bis auf das Letzte, es blieb dem Prinzen nicht erspart, sie schärfer mahnen zu müssen; erst nach zäher Verhandlung hat sie am 7. October 1858 ihrem unglücklichen Gemahl, der nur allzu wohl empfand, was er opfern mußte, die Regentschaftsurkunde zum Vollzuge vorgelegt. Der Prinzregent aber nahm die Last, die er nun nach eigenem Recht und voraussichtlich für immer tragen sollte, in tiefer Bewegung auf sich: er suchte Kräftigung für alles Künftige im Gebet.

Am Tage darauf ward Westphalen – im vornehmer Höflichkeit – entlassen, einen Monat später hatte der Prinz sein neues Ministerium gebildet.

Er war jetzt der Herrscher; um persönlichen Raum für sich selber brauchte er nicht mehr zu kämpfen. Hatte er sich jemals, in den Dunkeln der Reaction, einer Partei nahe zugeneigt, so war auch das jetzt vorbei: über Allen wollte er stehen, Alle herbeiziehen, freilich das Regiment der Ultras vorerst ganz brechen. Sein Ministerium war aus persönlichen Vertrauten des Regenten, aus Anhängern des gemäßigten Liberalismus und zwei Conservativen des alten Cabinetts zusammengesetzt; an seiner Spitze stand der Fürst von Hohenzollern und nächst ihm Wilhelms Jugendfreund R. v. Auerswald, das Kriegswesen hatte wieder Bonin, das Auswärtige Schleinitz[WS 26]. Die Gesammtfarbe des Ministeriums war doch liberal; das entsprach der Wendung, die Wilhelm vollziehen wollte, und offenbar dem bedeutsamen Einflusse, den seine Gemahlin – „was für eine merkwürdige Frau! urtheilt Gerlach: Alles treibt sie mit Gewissen und Energie, aber zugleich mit einer unglaublichen Leidenschaft“ – aus den gemeinsamen Jahren des Grolles in die neue Epoche herüberbrachte. Entschiedenerer Parteimann freilich war unter allen Ministern höchstens der der Finanzen, der nicht vom Prinzen selber ausgewählte Herr v. Patow, später etwa noch der neue Minister des Innern, Graf Schwerin.

Das Land jubelte der Neuen Aera dieser liberalen Regierung entgegen. Wilhelm selber war weniger wohl zu Muthe, nicht nur weil ihm die Erwartungen, die man seinem Werke entgegentrug, übergroß und beängstigend erschienen, sondern weil dieses Werk selber ihm nicht ganz geheuer war. Auf dem Boden der Verfassung, aber auf conservativer Basis und mit Ehrenmännern als Gehülfen wollte er, wie er selber gesagt hat, zu regieren versuchen. Nun war ihm sein Ministerium bei aller Zahmheit doch zu liberal geworden. Noch im October hatte ihn Vincke-Olbendorf zuversichtlich und heiter gefunden, im December erschien er ihm „wie ein Mann, der erschrocken vor seiner eigenen That zurückweicht; Patow zu nehmen war weit über sein Ziel gegangen“. Zu Bismarck sprach er (Jan. 1859) seine Entrüstung darüber aus, daß man sein Ministerium für anticonservativ halte, Patow habe nicht er gewollt. Der Hausminister Massow[WS 27] empfing im Conseil damals den Eindruck, der Prinz sei in seinem eigenen Ministerrathe ein einsamer Mann, der vergeblich den Uebrigen widerspreche. Daß selbst die ihm nahestehenden hohen Officiere wie der Generaladjutant Alvensleben und Goltz, vollends daß Gerlach und Roon hart urtheilten, darauf wird man nicht eben viel geben, obwol es charakteristisch ist, daß sie alle hinter der neuen Schöpfung wesentlich den Einfluß der Prinzessin suchten; und nicht nur Goltz, auch der sorgenvoll und scharfsichtig beobachtende, altliberale Th. v. Bernhardi erwartete von Anfang an ein böses Ende, eine neue Reaction. Albrecht v. Roon aber traf gleich im December den Ministerpräsidenten unsicher und kleinmüthig.

[575] War es nur der Schauer des Neuen, was sich in diesen Stimmungen ausdrückte? Es wirkte doch wol von Anbeginn bei Allen der Eindruck, daß dieses Ministerium, selbst wenn man es nicht sofort mit dem unhöflichen Gerlach für impotent erklären wollte, kein Meisterwerk war. Es enthielt nicht einen einzigen bedeutenden Menschen; reine wohlwollende Männer wie Hohenzollern und Auerswald, ehrliche, maßvolle und vorsichtige Reformer wie Schwerin, einen Kriegsminister der mit Wilhelm Jahre lang zusammengearbeitet und mit ihm zusammen den Sturz von 1854 erlebt hatte, der aber jetzt keineswegs bereit war, große Unternehmungen zu wagen, einen Diplomaten, Schleinitz, der zwar der Prinzessin nahe stand, aber der schwierigen Weltlage weder Ideen noch Thatkraft entgegenbrachte. Man hat immer „die fast irrthumlose Menschenkenntniß“ Wilhelms I. bewundert. Auch damals wußte er sie zu zeigen: seine erste Regierungshandlung beinahe war die Berufung des einst von ihm „entdeckten“ Moltke an die Spitze des Generalstabes, auch Edwin v. Manteuffel, den er zuerst ungern als Chef seines Militärcabinetts übernahm, erkannte er bald in seiner Bedeutung und zog ihn auf das engste an sich, und schon hatte er Roon seine Denkschrift über die Heeresfrage schreiben lassen. Daß er diesen Griff für die richtigen Leute, der ihm auf seinem ursprünglichen, dem militärischen Felde bereits eigen war, auf dem politischen damals auch bewiesen habe, wird Niemand behaupten. Die Auswahl seiner ersten Berather war durchaus unglücklich ausgefallen. Er war in diesen Angelegenheiten noch halb fremd; er handelte zudem nicht frei nach seiner Neigung, er hatte sich selber die Bahn eingeengt. Aber er wollte den Versuch wagen, den Forderungen des Tages gerecht zu werden. Sein Ministerium, bunt wie es war, bedurfte der Weisung: er ertheilte sie ihm. Er stellte in der berühmten Ansprache an seine Minister (8. Nov. 1858) ein Richtmaß für die neue Politik auf; nach Schneiders Zeugnisse hat er diese Erklärung ganz allein entworfen, sie ohne Correcturen und Einschübe, einheitlich niedergeschrieben; sie trägt in der That alle Züge seines Stiles. Sie fordert, als die erste, umfassende officielle Kundgebung seines Willens, zum Vergleiche mit den Anschauungen auf, wie sie aus den privaten Aeußerungen des Prinzen für den Beginn dieses Zeitraumes oben zusammengefügt worden sind: für das Innere zunächst trifft sie genau mit jenen zusammen.

Auffallend ist die starke Betonung des Maßes, der conservativen Grundlagen, geradezu des Königthumes von Gottes Gnaden, die Abwehr aller weiteren Concessionen nach links hin. Der Regent warnt vor jeder Art von Ueberstürzung und Uebertreibung, so in der Selbstverwaltung, die man freilich weiterbilden, im Wirthschafts- und Verkehrswesen, das man freilich pflegen müsse, er findet eine Erziehung des Volkes nothwendig, damit die Geschworenengerichte wirklich Segen stiften können. Er kündigt die Nothwendigkeit neuer Staatseinkünfte und vor allem die dringende Nothwendigkeit der Heeresorganisation an: dort keine schädliche Sparsamkeit! All diese entschiedenen Warnungen waren der öffentlichen Meinung erträglich und manches, wie die zweimalige, sehr ausdrückliche Nebeneinanderordnung von Vaterland und Krone, wie das Schlußwort vom Gottesgnadenthume, mochte sie vielleicht ganz überhören, weil der Bruch mit der Reaction in Anderem so unverkennbar vollzogen war. Der Regent mochte immerhin betheuern, daß man mit der Vergangenheit keineswegs brechen wolle, und die Pietät gegen seine Vorgänger wahren: es war doch nicht mißzuverstehen, wen seine ausführliche Verurtheilung der politischen Orthodoxie, der geistlichen Heuchelei, aller kirchlichen Uebergriffe in beiden Confessionen, dieser breiteste Absatz der gesammten Erklärung, traf. Die Proclamtion erschien, im Lichte [576] dieses Bekenntnisses, unzweideutig liberal. Aber es ist sicher, nicht der Prinzregent war an dieser einseitigen Auslegung schuld: seine Sätze über die innere Politik waren in sich fest und klar. Sie enthielten seine volle Meinung; ob er diese der weitergehenden Strömung gegenüber handelnd aufrecht halten könnte, mußte sich herausstellen. Die Zeugnisse der nahestehenden Beobachter haben uns gezeigt, daß er und Andere bald empfanden, er werde weitergerissen als er ursprünglich wollte.

Anders steht es mit den Abschnitten zur auswärtigen Politik. Wie verhalten sich diese zu den früher verzeichneten, allgemeinen Gedanken? bedeuten sie eine Präcisirung, einen Fortschritt nach irgend einer Seite hin? Sie fügen der Forderung der Heeresreform die kurzen Hindeutungen an: freundschaftliches Verhältniß zu allen Mächten, Unabhängigkeit und Ungebundenheit; in Deutschland „moralische Eroberungen“ Preußens „durch eine weise Gesetzgebung bei sich, durch Hebung aller sittlichen Elemente und durch Ergreifung von Einigungs-Elementen, wie der Zollverband es ist, der indessen einer Reform wird unterworfen werden müssen. – Die Welt muß wissen, daß Preußen überall das Recht zu schützen bereit ist. Ein festes consequentes und wenn es sein muß energisches Verhalten in der Politik, gepaart mit Klugheit und Besonnenheit, muß Preußen das politische Ansehen und die Machtstellung verschaffen, die es durch seine materielle Macht allein nicht zu erreichen im Stande ist“. Das sind doch äußerst vage und magere Sätze. Vielleicht konnte ein Fürst gerade über die auswärtige Politik aus Gründen der Vorsicht nicht mehr und nichts Greifbareres sagen? immerhin lag in dem Hinweise auf den Schutz des Rechtes eine durchsichtige und ernste Anspielung auf Dänemark und Kurhessen; auch die „Einigungs-Elemente“ konnten an die Union erinnern und kleindeutsch zu deuten sein. Man mochte also urtheilen, daß der Regent sich mehr denke als er hier ausspreche. Indessen berühren sich seine öffentlichen Ausführungen auch hier wieder ganz eng mit den vertraulichen, auch jene besagten nicht mehr; die „moralischen Eroberungen“ durch die eigene Verfassungspolitik waren ihm ja auch in jenem Briefe an Vincke das „Einzige gewesen, wodurch wir in Deutschland unsern Rang behaupten können“. Ob er Willens war und ob er fähig sein würde, in der deutschen Frage über solche bescheidenen Pläne doch noch hinauszugehen, das mußten wirklich erst die kommenden Thaten erweisen, aus denen muß auch der Historiker hier erst auf die ursprünglichen Absichten und ihre Grenzen sicherer zurückzuschließen trachten – hier ist auch heute noch die innerliche Gesinnung des Prinzen für die Anfänge seines Regimentes nicht so deutlich, hier war sie in ihm selber wol nicht so ausgearbeitet, wie in den Grundfragen des innerpreußischen Lebens. –

Die Ansprache vom 8. November drückte Wilhelms Absicht aus, den Kurs seines Schiffes selber zu bestimmen. Die Fahrt begann und die Stürme blieben nicht aus. Er ergriff das Steuer.



Es ist nicht möglich, die Geschichte der nun anbrechenden Jahre hier eigentlich zu erzählen. In steter Wechselwirkung gehen preußische, deutsche, europäische Momente in ihnen durcheinander; es ist ja bekannt, daß die Lösung aller inneren Schwierigkeiten Bismarck zuletzt vom europäischen Boden her gelungen ist. Dennoch muß diese Darstellung die Kreise scheiden. Ganz unlöslich ist Preußens deutsche und seine europäische Politik verbunden: verfolgen wir ihren Gang bis Anfang 1862 im Zusammenhange, zunächst geschieden von den inneren Ereignissen.

[577] Gleich das Jahr 1859 rollte die großen Probleme vor dem Prinzregenten alle auf. Mit Napoleons Hülfe erhob sich Sardinien gegen Oesterreich, die nationale Befreiung Mitteleuropas errang ihren ersten, ganz greifbaren Sieg, einen Sieg über denjenigen Staat, dessen Zusammensetzung der Idee der Nationalität am stärksten widersprach und dessen Gewalt Deutschland und Italien gleichmäßig hemmend überragte. Man sah vom Januar ab diesen Angriff herannahen, Oesterreich stand ihm völlig isolirt gegenüber. Die Frage wurde dem preußischen Herrscher gestellt, ob er den Kampf um Italien für eine deutsche, für eine preußische Angelegenheit halten werde. In Süddeutschland sprach das Gefühl des Volkes, von der Presse geleitet, entschieden zu Oesterreichs Gunsten, und sicherlich ließ sich dafür vieles sagen. Die Bedrohung des alten Europas durch einen Bonaparte, das Bündniß dieses Bonaparte mit allen revolutionär-nationalen Bestrebungen, der alte Gegensatz Frankreichs gegen Deutschland, die noch verborgene, aber fast unzweifelhafte Absicht der Franzosen auf deutsche Länder im Westen – mußte dies alles nicht die Geschichte der eigenen Jugendzeit auch in Wilhelms Gedanken wachrufen? Wenn Oesterreich niedergeworfen war, würde dann Preußen nicht ebenso getroffen werden wie vor einem halben Jahrhundert? Napoleon III. stand der Prinz mit regem Mißtrauen und persönlicher Abneigung gegenüber. Aber sollte Preußen deshalb für Oesterreich die Waffen ergreifen? Die alte Nebenbuhlerschaft, dazu die Erinnerung an Olmütz stand zwischen ihnen und die österreichische Mißwirthschaft in seinen italienischen Provinzen mißbilligte Wilhelm längst ebenso sehr wie er die Ausdehnung des österreichischen Einflusses auf die selbständigen Staaten Italiens verwarf. Gegen Napoleon für die Wahrung der Verhältnisse von 1815, aber auch für Nichts, was über diese Grenze hinausginge, einzutreten war ihm das Natürlichste, als Angehörigem des legitimistischen Europas wie als preußischem Staatsmanne. Es gab Möglichkeiten, die Lage ganz anders für Preußen auszunutzen. Man konnte mit Napoleon offen zusammengehen – das wies Wilhelm weit von sich. Man konnte die Nothlage Oestereichs rücksichtslos verwerthen, in schroff zugreifender, egoistischer Politik, die dann freilich auch zu jedem Mittel bereit sein mußte. Mindestens konnte Preußen die Gelegenheit wahrnehmen, selbst ohne directe Feindseligkeit gegen den Kaiserhof, seine eigene deutsche Stellung entschieden zu verbessern; es konnte endlich, wenn es nicht selber handeln wollte, doch jede Dienstleistung für Oesterreich vermeiden, sich die Hände ganz frei halten. Irgend einen dieser Wege zu gehen wurde dem Regenten doch wol nicht nur durch die Publicistik nahegelegt; er hat offenbar von den Gedanken einer weitgreifenden preußischen Initiative gewußt, die Herr v. Bismarck verfocht, ja es scheint, daß er sie aus Bismarcks eigenem Munde vernahm, und daß man dabei dessen Berufung in das Ministerium bei ihm angeregt hat; er aber hat sie entschieden abgelehnt. Auch er wollte keineswegs dem Rivalen die Kastanien aus dem Feuer holen, aber aus dessen Nothlage dem nationalen Feinde gegenüber für sich Vortheil zu ziehen widerstrebte ihm. Er nahm den Mittelweg: nicht eigentlich für Oesterreich, aber doch, wenn es sein müsse, gegen Frankreich einzugreifen, im Interesse der deutschen und preußischen Unabhängigkeit; derart, daß er den Kampf der beiden Hauptgegner erst weit genug vorschreiten lasse, um sicher zu sein, daß er nicht die Hauptlast des Krieges vom Po an den Rhein herüberziehe; derart zugleich, daß er sich selber für den Ernstfall eine klare politische und militärische Führerstellung über den deutschen Streitkräften ausbedinge.

[578] Man muß zugeben, daß eine solche Haltung innerhalb einer drohenden und verlockenden Lage durchaus ehrenhaft und selbstlos war und daß sie vollständig loyal durchgeführt worden ist. Auch das ist offenbar, entschlußkräftiger und männlicher als unter Friedrich Wilhelm IV. war diese preußische Politik; daß er den Ereignissen nicht in planloser Schwäche zusehen dürfe, war dem Prinzen von Anfang an gewiß. Um so höher ist ihm sein Vorgehen anzurechnen, da er thatsächlich ganz allein war und sich allein entschließen mußte. Die unklare, wenn auch noch so wohlgemeinte Erregung im Süden überhäufte das zurückhaltende Preußen mit leidenschaftlichen Anklagen; in Preußen standen die Ansichten wider einander, im Ministerium auch; nirgends unter seinen nächsten Räthen ein wirklicher Staatsmann, der ihm zu helfen gewußt hätte, Schleinitz und sein Unterstaatssecretär ängstlich und thatenscheu. Wilhelm ging seinen Weg, vielleicht etwas langsam, natürlich durch den Gang der Dinge beeinflußt und weitergedrängt, im ganzen aber doch consequent und fest. Er wahrte sich seine volle Freiheit, bis der Krieg unvermeidlich geworden war (April); er trat vor, als Napoleons Absichten sich ganz enthüllten, bot (Mai) in Wien seine Vermittlung an, aber nur zu Gunsten des eigenen österreichischen Länderbesitzes in Italien, und nur unter preußischer Verfügung über das Bundesheer. Da man die unbedingte Hingabe all seiner Kräfte an alle österreichischen Zwecke forderte, zog er sich zurück; er war, als Oesterreich, in Italien bedrängt, auf jene seine Vorschläge zurückgriff, sofort wieder zum Eingreifen bereit und mobilisirte einen großen Theil seines Heeres (Juni). Noch einmal verwirft Franz Josef alle Bedingungen und beansprucht die rückhaltlose Unterstützung als einfache Bundespflicht. Da geht Wilhelm (24. Juni) selbständig vor, macht sich völlig kriegsbereit, beantragt in Frankfurt seinen Oberbefehl über alle Bundestruppen, will sich für Oesterreichs Besitzstand verbürgen, nur muß der Kaiser seinen italienischen Unterthanen billige Reformen gewähren. Es war der beinah unausweichliche Krieg gegen Frankreich, und mit gehobenem Muthe sah der Regent ihm entgegen. Aber Oesterreich will diese gefährliche Hülfe nicht, es beschränkt dem Nebenbuhler die Freiheit des Oberbefehls über die deutschen Truppen; Franz Josef schließt, militärisch wie politisch bedrängt und erschöpft, der Fortsetzung des Krieges nicht leicht gewachsen, aber zugleich in offenbarer Eifersucht auf Preußen, den raschen Frieden von Villafranca (11. Juli).

Otto v. Bismarck hatte in bitterer Verstimmung aus seiner Petersburger Ferne die deutschen Ereignisse verfolgt; ihm stand es fest, daß das Eintreten für Oesterreich, auch spät und vorsichtig vollzogen wie es der Prinz wollte, in jedem Falle ein Fehler und ein Unheil sein müsse, daß sein Vaterland sich einen fremden Krieg auf seine Schultern lade, zu Gunsten des eigentlichen Feindes. Er durfte aufathmen, als die beiden Kaiser dieser Gefahr durch ihre Versöhnung zuvorkamen. Die Ereignisse haben alsbald auch bewiesen, daß die „Vermittlung“ wie sie Wilhelm in Italien ausüben wollte, den Italienern gegenüber eine Unmöglichkeit war, und das Urtheil des Historikers hat sich die Kritik Bismarcks völlig zu eigen gemacht. Das eine liegt klar zu Tage: die Politik des Prinzregenten hatte aus den italienischen Wirren für seinen Staat schlechterdings keinen Nutzen gezogen, auch den bescheidenen nicht, den er erstrebt hatte, wenn er wenigstens den Oberbefehl über die Bundestruppen in seinen Händen vereinigen wollte. Es war für Deutschland wie für Preußen gar nichts erreicht, eine große Gelegenheit war versäumt worden. Diese Thatsachen hätte auch der Prinzregent nicht zu bestreiten vermocht; einen Tadel seiner Politik aber hätte er nicht zugegeben. Er schrieb, zurückschauend, dem Coburger Freunde im September: „was die Vergangenheit [579] betrifft, so würde ich, wenn ich dieselbe noch Einmal zu durchleben hätte, (sie) ganz genau ebenso wie geschehen durchleben und durchwandeln. Ich trage die mir nach allen Richtungen gewordenen Schmähungen sehr ruhig, weil mein Gewissen mich völlig frei von allen Vorwürfen spricht, die man mir macht“. Schon Ende Juni, in der eigentlichen Entscheidungszeit, hatte er den deutschen Officieren, die zu militärischen Conferenzen nach Berlin gekommen, seine tiefe Empörung darüber ausgesprochen, daß man ihn undeutscher Selbstsucht bezichtige: „Meine Herren! gehen Sie nach Hause und schlagen Sie dem, der Ihnen dies sagt, eins ins Gesicht in meinem Namen!“ – die erregten Worte hat damals der Württemberger Suckow aufgezeichnet. Jetzt, nach dem Frieden, klagte die österreichiche Regierung offen über den Verrath der preußischen. Ganz gewiß hatte Wilhelm Alles gethan, was man gerechter Weise, von Wien her, von ihm erwarten durfte. Nach dieser Seite hin durfte er sich im Rechte fühlen. Zweifellos glaubte er auch dem Tadel der schrofferen Preußen und Kleindeutschen gegenüber im Rechte zu sein. Er hatte gethan, was er nach seiner Gesinnung zu thun vermochte. Es geht aus Allem hervor, daß er eine starke selbständige Veränderung der deutschen Verhältnisse, eine Sprengung etwa des Bundes nicht wollte. Im Gegentheil, die nächsten Monate zeigten, daß er den Bund zu erhalten, ja zu verstärken gesonnen war.

Die erzwungene Ruhe der Reactionszeit war in Deutschland gründlich gebrochen. Der frische Luftzug, der mit der Neuen Aera durch Preußen zu wehen begann, die tiefe Erschütterung des italienischen Krieges, die Anregung aller Probleme deutscher Sicherheit und Zusammengehörigkeit, die andauernde Spannung der europäischen Verhältnisse – Alles wirkte zusammen und wirkte weiter. In Italien erhob sich die Nation und Oesterreichs Schutzverwandte wurden verjagt; Louis Napoleon legte seine Hand auf Nizza und Savoyen – überall demokratisch gewaltsame Neuerung, unter dem Banner des Nationalitätsprincipes hier, der natürlichen Grenzen dort. Die deutsche Frage wird durch all dies wieder in den Mittelpunkt des Denkens und Empfindens gerückt. Der Nationalverein wird begründet; Preußen soll die Leitung Deutschlands übernehmen; die alten Gegensätze, ein Jahrzehnt hindurch verschleiert, drängen leidenschaftlich an das Licht. Die Gewalten, die den deutschen Bund bildeten, treten wieder weit auseinander; die Unvereinbarkeit der beiden Großmächte im Rahmen eines und desselben Staatswesens wird wieder offensichtbar und neben ihnen bricht die Besorgniß der bedrohten Mittelstaaten unruhig hervor. Schrittweise, erst in den Forderungen der öffentlichen Meinung, dann in den Handlungen der Staatsmänner, wird die Bewegung deutlich und immer größer, die nun erst in dem Entscheidungskampfe über all diese Gegnerschaften, in der Vollendung des uralten Processes der Zersetzung und Neubildung ihr Ende finden sollte. Alles in Deutschland wird von ihr ergriffen und wird in ihr zur Partei, zur wirkenden Kraft: Geist, Wirthschaft, Politik; schon ist überall das innere Verfassungsleben wieder in starken Fluß gerathen, jetzt regt der Krieg die Wehrfragen und durch sie alle äußeren und inneren Machtfragen unwiderstehlich an – überall erhebt sich der Streit. Welche historischen Mächten in ihm die eigentlich Treibenden, die letzten Gegner waren, die Frage wird sich uns erst später wieder stellen, da wo die Geschichte Wilhelms I. auch ihrerseits in das große Strombett einmündet. Vorerst floß sie in ihren besonderen und engeren Bahnen dahin.

Der Herzog von Coburg hatte den Regenten gemahnt, die Bundesreform in die Hand zu nehmen. Der erwiderte ihm am letzten September, er denke nicht daran, diese Reform ignoriren oder zurückdrängen zu wollen, nur wisse er im Augenblick keinerlei Lösung zu finden, „die Oesterreich annehmen könnte [580] oder vielmehr annehmen würde“. So wollte er denn „mit praktischen Propositionen auftreten, z. B. der Besserung der Wehrverfassung. Dann dem Rechtszustande in Deutschland das Wort reden, wie er in Preußen geübt wird …“. Wie er diese Propositionen verstand, das ist hier zu untersuchen.

Daß die Wehrverfassung des deutschen Bundes nichts taugte, diese alte Erkenntniß hatte die Mobilmachung auch der Bundestruppen im Sommer 1859 von neuem eingeschärft. Weder Zahl noch Gesinnung, Ausbildung und Ausrüstung der Truppen noch die Ordnung des Oberbefehles genügten dem unzweifelhaften Bedürfniß, wäre es zum Waffengang gekommen, so hätte es an Einheit und Kraft gleichermaßen gefehlt. Der Prinzregent leitete seit dem September preußische Vorschläge zur Abstellung dieser Gebrechen in die Wege, verhandelte mit seinem militärischen Vertreter in Frankfurt, mit seinen Ministern in Berlin, ließ im November und December Anträge ausarbeiten, sie am Bundestage wie in Wien mittheilen, nahm dann, je lebhafter der Widerspruch von dorther ertönte, Anfang 1860 die Sache selber in die Hand und stellte in zwei eigenhändigen Denkschriften (Januar, Februar) all seine Forderungen zusammen. Deutschland, so ist der Gedankengang, bedarf einer starken Armee; das Bundesheer von 1859 ist militärisch und moralisch erbärmlich gewesen; es muß nach dem bewährten preußischen Muster verbessert werden. Dreijährige Dienstzeit; innere Gleichmäßigkeit jeden Armeecorps nach Reglement, Gewehr, Verpflegung, Gehalt; Verstärkung der Contingente; einheitliche Vorbereitung der Mobilmachung; Verschärfung der Inspectionen: das sind die technischen Ansprüche, die Wilhelm erhebt. Daneben steht die entscheidende Frage nach dem Oberbefehl. Einen Krieg ohne den vollen Beistand der beiden Großmächte wird der Bund zwar kaum führen können; indeß würde in einem solchen Kriege wie das Bundesheer so der Bundesfeldherr als selbständige und einheitliche Einrichtung des Bundes denkbar sein. Sind aber Oesterreich und Preußen in voller Macht betheiligt, so muß das Bundesheer den Heeren der beiden Großen angeschlossen werden. Denn weder der eine noch auch der andere von ihnen wird seine gesammte Heereskraft einem Dritten, einem Bundesfeldherrn, unterordnen: das ist für Preußen, wie es laut bekennt, ganz ausgeschlossen und auch Oesterreich wird es in Wahrheit niemals thun. Also Zweitheilung; die ist auch strategisch das Richtige; ein einheitliches Heer wäre viel zu groß, um gelenkt zu werden. Die wahre Einheit wird das Zusammenwirken der zweigetheilten Masse sein.

Das System, das Wilhelm aufbaute, war durchdacht und übersichtlich. Freilich, ein wunderliches Gebilde war es immer, das da entstehen sollte. Die zwei Großmächte innerhalb desselben Staatswesens, und doch zugleich neben diesem stehend; die Mittelstaaten, deren Souveränität ja gewahrt bleiben sollte, neben ihnen und doch zugleich unter ihnen; Deutschland für den militärischen Ernstfall zwischen beiden aufgetheilt; das Militärwesen dabei nach preußischen Regeln geordnet; die Voraussetzung der kriegerischen Action eine unbedingte Gleichmäßigkeit der politischen Absicht und des strategischen Vorgehens zwischen Oesterreich und Preußen – zwischen beiden liegt freilich die ungelöste Nebenbuhlerschaft, aber beide sind durch ein gemeinsames Drittes von vornherein gefesselt, denn beide haben zugleich je eine Hälfte der Bundestruppen unter sich; überdies sollte den kleineren souveränen Kriegsherren doch etwa eine gewisse Vertretung bei den beiden Obercommandos zufallen. Wie dieses ganze Ungethüm in seiner Mischung aus großstaatlicher Selbständigkeit und bundestäglicher Einordnung wirklich hätte arbeiten können, das mag sich Jeder ausmalen. Die Vorfrage war, ob sich die Mittelstaaten, ohne ihre Stellung aufzugeben, [581] in diese neue Ordnung sowol der Organisation wie der Leitung würden einfügen können und wollen. Von Anfang an trat da den Berliner Vorschlägen der Widerstand der Mittelstaaten offen entgegen. Hier wie dort stellte man sofort einen leitenden Grundsatz auf, behauptete hier die Nothwendigkeit einer durchgreifenden Aenderung, die man dort eben so bestimmt leugnete: nur im Einzelnen dürfe man bessern. Und die Bedenken der verschiedenen Cabinette waren sehr klar. Die Einheit des Bundes solle durch den Dualismus zerstört werden, klagte Beust, keineswegs ohne Recht; er rief die Mittelstaaten zur Gegenwehr auf, schon hatte sich diese dritte Gruppe wieder selbständig neben den zwei Großen aufgestellt. Nirgends zeigte sich der Entschluß, die preußischen Vorschläge anzunehmen; natürlich nicht, denn wer hätte sich aus bloßem gutem Willen, ohne Krieg, mediatisiren lassen? Auch Oesterreich war abgeneigt.

Aber damit nicht genug. Der Prinzregent fand auch daheim Niemanden, der ihm zugestimmt hätte. Seinem Ministerium, insbesondere dem auswärtigen Amte, war sein Vorgehen zu militärisch und nicht politisch genug, zu umfassend, zu gerade; es sprach in seinem Rundschreiben selber den betrübten Satz aus, die für die Neuordnung am Bunde erforderliche Einstimmigkeit werde sich ja wol nicht erreichen lassen. Von vornherein hatte der Kriegsminister Bonin die Achseln gezuckt: wie soll eine solche Umwälzung ohne politische Vorarbeit, d. h. ohne vorherige Beschneidung der mittelstaatlichen Souveränität, je durchführen lassen? Noch ganz anders war das Bedenken des Gesandten am Bundestage, des Grafen Usedom. Er erklärte die Reform, wie sie der Prinz betrieb, für schädlich. Darf man die innere und äußere Kraft des Bundes so ungeheuer verstärken, wie es das preußische Project und seine Erhöhung der Wehrkräfte will, solange dieser Bund im Grund der Feind Preußens ist? Die Mittelstaaten sind dies; wie kann man, solange das andauert, sie militärisch regeneriren wollen? Das waren Einwände, wie sie auch Bismarck erhoben hätte. Und ein Münchener Preußenfreund warnte nachdrücklich davor, Baiern derart unter die Führung Oesterreichs zu zwingen: das Project liefert den Süden an die Hofburg aus. Liegt das im preußischen Interesse?

All diese Einwände, die mittelstaatlichen wie die preußischen, waren nicht nur im höchsten Maße charakteristisch: denn in ihnen spiegelt sich die Lage der widerspruchsvollen deutschen Verhältnisse auf das lebendigste ab: sie waren auch vollkommen berechtigt, und wenigstens auf die preußischen unter ihnen hätte der Prinzregent wol hören dürfen. Aber gerade darin liegt für den, der die Entwicklung Wilhelms I., und in diesem Falle diejenige seiner deutschen Absichten, zu verfolgen hat, der hohe Werth dieser todtgeborenen Vorschläge von 1859/60. Hier treibt der Prinz seine eigene Politik. Hier greifen wir unzweifelhaft mit Händen, was er wollte. Er wollte, das bestätigt sich uns hier stärker als zuvor, den Bund nicht nur ertragen, sondern ihn kräftigen. Die patriotische Erkenntniß, daß Deutschland der Deckung unbedingt bedürfe, überwog in seiner ehrlichen und militärischen Anschauung jedes andere Moment. Preußen wurde er dabei sicherlich nicht untreu; als preußischer Officier dachte und organisirte er. Er nahm die Vorschläge seiner „Bemerkungen“ von 1848 wieder auf, aber er war jetzt in einer gewissen Richtung preußischer als damals. Er wollte jetzt weit unbedenklicher das preußische Vorbild in Organisation, Ausrüstung u. s. w. durchführen. Von der einheitlich über Alle hinwegragenden „Centralgewalt“, die damals, vor der Frankfurter Kaiserwahl, im Hintergrunde aller Ueberlegungen gestanden hatte, war jetzt nach zehn Jahren bundestäglicher Wirthschaft nicht mehr die Rede; daß sich [582] die Dinge auf Oesterreich und Preußen zugespitzt hatten, sieht man deutlich. Der Prinz stellte seine militärischen Forderungen unbefangener, rücksichtsloser, realistischer als im December 1848 auf. Aber Eines allerdings wollte er nicht anerkennen: Oesterreich und Preußen, ja; Oesterreich oder Preußen, nein. Er hielt die Erhaltung der deutschen Einigkeit, innerhalb der Bundesverhältnisse, für möglich und für wünschenswerth. Er versuchte ehrlich, rückhaltlos, diesen Weg mit Oesterreich zusammen zu gehen, trotz aller Aergernisse des letzten Sommers. Er gab wol zu, daß dies nicht das letzte Wort der Entwicklung zu sein brauche, und wol auch nicht sein letztes Wort, er schnitt der Zukunft die Bahnen nicht ab, er bestritt der deutschen Frage, Herzog Ernst gegenüber, nicht das Daseinsrecht. Aber in jenem Zeitpunkte, und überhaupt von sich aus, wollte er nicht weiter. Seine Politik, wie er sie übte, war die der activen Bundestreue, innerhalb deren er auch Preußens Stellung zu behaupten und zu erhöhen strebte, aber die Politik eines schöpferischen preußischen Egoismus war es nicht: dessen natürlichen Zwecken handelte er vielmehr schnurstracks zuwider; die preußisch-deutsche Zukunft hätte er so nur fester eingeschnürt. Er schloß in jenem Briefe von 1859 diesen Wehrreformen lediglich die Förderung des Rechts in Deutschland an, d. h. die Politik der moralischen Eroberungen. Wie aber hatte er 1849 geschrieben? „Wer Deutschland regieren will, muß es sich erobern“, d. h. mit blanker Waffe. Wollte er Deutschland nicht mehr regieren? Es zu „lenken“ war er beim Ausbruche des italienischen Krieges (an Natzmer, 26. April 1859) entschlossen; weshalb nicht mehr als das? Gewiß war der Augenblick ernst und aus dem Westen drohte unablässig Napoleon; selbst ein Moltke scheute im Februar 1860 vor dem Gedanken tiefer Umgestaltungen in Deutschland, d. h. vor dem Kampfe mit Oesterreich zurück, weil der Preis der Einheit mit deutschen Landen in Ost und West würde bezahlt werden müssen. Anderen, Kühneren, erschien gerade diese ungewisse Lage wie eine Aufforderung, die Verhältnisse zu klären. Das Entscheidende für Wilhelms innere Wandlung gegen 1849 und 50 lag doch wol darin, daß er jetzt die Verantwortung trug. Das Richtige und Kühne zu denken und zu fordern war selbst für den leicht gewesen, der so dicht neben dem Throne stand wie der Prinz von Preußen; der Schritt von dieser Stelle in die Ausübung der Macht selber hinein war doch riesengroß. Die Staatskunst ist unter allen Aufgaben, die Menschen zu lösen haben, die schwerste. Der ungeheuere Druck, der sich auf ihn gelegt hatte, hat hinsichtlich seiner deutschen Aufgaben in Wilhelms treuer und ernsthafter Seele die Kraft des einen seiner innerlichen Elemente, der Anhänglichkeit an das Bestehende und der Besonnenheit, des Sinnes für Ordnung und Einordnung, noch verstärkt, verdichtet; die andere Seite seines Wesens, ebenso preußisch wie jene, der Ehrgeiz für seinen Staat, die Fähigkeit zu tapferem Entschlusse, kam zunächst nicht zur freien Wirkung. Erst Ereignisse und Menschen, die stärker waren als er, haben diese Kraft in ihm wieder freigemacht. Da zeigte sich dann, daß er auch so in Vielem bereits für Dinge, die über seine Absichten von 1859 weit hinausgingen, vorgearbeitet hatte, und daß er ihnen die Bahn nie versperrte; aber daß er von Anfang an das wirklich Große gewollt und betrieben habe, davon sagen die Thatsachen uns laut das Gegentheil.

Usedom hielt die Bundes-Militär-Reform für einen Schlag gegen Preußens wahren Nutzen. War diese Reform wenigstens äußerlich möglich, d. h. für den Augenblick richtig angelegt? Der Prinz unterschied sie in seinem Briefe ausdrücklich von einer Bundesreform, welche keine Aussicht haben würde, durchzugehen. Die Hergänge übernahmen alsbald die natürliche Kritik. Der Wehrausschuß des Bundestages und dann der Bundestag selbst lehnten die preußischen [583] Anträge, und zwar in ihrem Grundsatze, ab. Verhandlungen außerhalb des Bundestags, in denen man sich darnach näherzukommen suchte, schienen wenigstens zu einigen bescheidenen Ergebnissen führen zu können; sie liefen in das Jahr 1861 hinein und verliefen, auch sie, im Sande. Nur eines hatte sich ergeben, die Unauffindbarkeit eines Weges, den alle am Bunde Betheiligten gemeinsam gehen könnten. Es war eine alte Erfahrung, die sich wiederholen sollte, so lange man auf dem alten Boden blieb.

Diese Wehrpläne des Regenten sind bei weitem das interessanteste aus seiner deutschen Politik dieser ersten Jahre; nichts zeigt deren Richtung so deutlich auf. Dabei wollte er sich, bemerkten wir, immerhin nicht in seiner Freiheit fesseln lassen; gegenüber der Aengstlichkeit seiner Minister setzte er im August 1859 in der Antwort auf eine Stettiner Adresse die öffentliche Erklärung durch, eine Bundesreform sei zu wünschen, nur sei sie jetzt noch nicht möglich; Preußen müsse fremdes Recht gewissenhaft achten, vorerst praktisch für Stärkung der Wehrkraft, für Befestigung gesicherter Rechtszustände eintreten. Es war das Programm, dessen eine Hälfte soeben erörtert worden ist, wir sahen, was es bedeutet. Der „Rechtszustände“ nahm Wilhelm sich gleichzeitig an, er war bereits 1858 für Schleswig-Holstein in die Schranken getreten, jetzt, im Herbste 1859, entschied er sich, trotz Schleinitz, für die Herstellung der 1831er Verfassung in Kurhessen; im Frühjahr 1860 nahm Preußen am Bundestage den Streit gegen den Kurfürsten offen auf. „Preußen stützt sich auf die Völker gegen die Fürsten“, hat Gerlach damals klagend gefolgert, den Sinn des Prinzen wenigstens hat er damit nicht getroffen: diesem lag eine so revolutionäre Ausnutzung seines Rechtskampfes noch ganz fern. Er hielt sich auch 1860 noch vollständig auf der oben bezeichneten Linie loyalster Bundespolitik.

Inmitten der Unruhe, die, von der italienischen Revolution ausgehend, Europa durchschritt, suchte Napoleon III. mit dem deutschen Piemont Preußen Fühlung zu gewinnen. Der Prinzregent entzog sich ihm lange; die Andeutungen, Preußen könne sich wol Gebietserweiterungen im Norden erkaufen, wenn es Frankreich im Westen ähnliche gestatte, überhörte er, ja er trat in öffentlicher Rede für die Unverletzlichkeit deutschen Gebietes entschieden ein. Nur unter der ausdrücklichen Bedingung dieser Unverletzlichkeit ließ er sich schließlich zu der Zusammenkunft herbei, die der Kaiser ihm mehrmals angeboten; und als diese dann im Juni 1860 zu Baden-Baden stattfand, empfing der Prinz den Gast an der Spitze der wichtigsten deutschen Fürsten. Mehrere hatte er von vornherein geladen, andere hatten sich hinzugesellt; es war eine Versammlung, die den Kaiser und die Welt empfinden ließ, daß Wilhelm bei aller Freundlichkeit gesonnen war, „in politischen Fragen um kein Haarbreit nachzugeben“, gewissermaßen nur vor dem Angesicht aller Welt, als Sprecher Gesammtdeutschlands, mit Napoleon zu verkehren. Die Begegnung verlief demgemäß in liebenswürdiger und formeller Weise; der Franzose betheuerte seine Friedfertigkeit; der Preuße hatte die Mittel, durch wirkliche oder auch nur scheinbare Vereinbarungen mit dem unheimlichen Manne seinen eigenen Einfluß in der Welt und in Deutschland zu erhöhen, mit der ritterlichsten Vornehmheit aus der Hand gegeben. Indessen waren die mittelstaatlichen Herrscher entschlossen, die Gelegenheit zu einer klaren Betonung ihrer bundespolitischen Wünsche Wilhelm gegenüber zu benutzen. Sie beriethen über Kurhessen, ohne sich zu einem gemeinsamen Acte zusammenfinden zu können, über das Bundeskriegswesen, in welchem sie sich zur Abweisung der preußischen Vorschläge vereinigten; sie entschieden sich, den Prinzen zum Einschreiten gegen den Nationalverein zu drängen. Er selber wehrte eine persönliche Abrechnung mit [584] seinen gekrönten Genossen ab. Er verlas ihnen zum Abschiede nach Dunckers wohlberathenem Entwurfe eine Art Thronrede, die den Gewinn des Fürstentages, die Eintracht nach außen, die Sicherung des deutschen Gebietes, mit Stolz hervorhob und für die Zukunft gleiche Treue verhieß. Ueber die Bundesreform sprach er wie immer: keineswegs ablehnend, aber friedlich und aufschiebend; er hoffe auf Verständigung mit den deutschen Regierungen, mit Oesterreich. Als dann der König von Württemberg einen Protest gegen den Nationalverein anschloß, in den die übrigen Könige lebhaft einstimmten, brach Wilhelm ab. Nur mit Max von Baiern hat er hernach alle Fragen der deutschen Politik eingehend durchgesprochen, in einer Unterredung, die er für bedeutsam genug hielt, um ihren Inhalt selber aufzuzeichnen, und die noch einmal charakteristisch Alles zusammenfaßte, was ihn und wie es ihn damals beseelte. Die beiden Fürsten handelten vom Bundeskriegswesen und Max stellte der Zweitheilung des preußischen Planes eine Dreitheilung entgegen, die den Mittelstaaten ihr Recht geben sollte, die der Regent aber rundweg abwies. Sie handelten vom Nationalverein, den Wilhelm, so lange er in gesetzlichen Wegen verharrte, keineswegs verurtheilen und sicher nicht verfolgen wollte; von den constitutionellen Grundsätzen, die er lebhaft vertheidigte, von dem Verhältnisse der kleinen Staaten zu Preußen, wobei sich der Prinz bitter über das alte Mißtrauen der Andern beschwerte; ob sie durch seine Haltung in diesen Tagen nun wol belehrt sein würden? Er selbst hatte unmittelbar zuvor Leop. Ranke seinen Entschluß ausgesprochen, „die deutschen Fürsten in ihrer Souveränität zu schonen“ und nur die militärische Einheit zu errichten. Zuletzt trug Maximilian dem Freunde seine Bitte einer Annährung an Oesterreich vor. Wilhelm lehnte sie durchaus nicht ab, er wünsche den Ausgleich und müsse nur verlangen, daß der Kaiserstaat den seinigen endlich rückhaltlos als ebenbürtig anerkenne; daran habe es bis heute noch immer gefehlt; noch seine Haltung im italienischen Kriege sei ganz unbillig verurtheilt worden.

Der Prinzregent ist auf den Antrag einer Begegnung mit Franz Josef wirklich eingegangen, sie hat am 26. Juli zu Teplitz stattgefunden. Auch hier konnte er, nachdem er sich Napoleon entzogen hatte, keinen Druck mehr ausüben; auch hier kam er dem Andern redlich entgegen, dergestalt, daß der Kaiser die Ueberzeugung mitnahm, bei einem neuen französischen Kriege werde ihm die Hülfe Preußens nicht fehlen. Gebunden hat sich Wilhelm in Teplitz nicht; und auf die Ansprüche, die er selber stellte, Alternat im Präsidium des Bundestages, Reform des Bundes-Kriegswesens, Vereinbarungen über Holstein, ging Franz Josef nicht ein. Auch die eigenthümliche Forderung, in der doch wol ein wenig der Regent der Neuen Aera redet, die Forderung liberaler Reformen und religiöser Duldsamkeit in den österreichischen Landen, wies er zurück. Die Verhandlungen scheinen dann in Berlin fortgesetzt, aber auch da gescheitert zu sein. Nur die persönliche freundliche Berührung blieb als Ergebniß dieser Zusammenkunft übrig, und nicht mehr brachte eine zweite zu Stande, die im October zu Warschau zwischen den Herrschern aller drei Ostmächte stattfand.

Persönlicher als wol jemals früher und später hatte Wilhelm in diesem Jahre 1860 seine Politik geführt, überall er selber zur Stelle, und überall nach eigenem Entschlusse, genau nach dem Richtmaße, das er selbst seit 1858 aufgestellt hatte. Was hatte er erreicht? Zu Oesterreich hatte er kein Verhältniß gewonnen; nur Frankreich hatte er offenkundig, wenn auch noch so höflich, seiner Wege gewiesen. In Deutschland hatte er sein Bestes gethan: aber auf die Heeresreform hatte er überallher ein Nein erhalten, die Herrscher der Mittelstaaten hatten ihm in jenem fast dramatischen Auftritte zu Baden [585] bewiesen, daß trotz all seines guten Willens zwischen ihnen und ihm die breite Kluft natürlicher Gegensätze lag, sie waren als geschlossene, wenngleich nur im Widerspruche einige Gruppe vor ihn hingetreten, und das, was er an Bundesreformen für die Zukunft offen halten wollte, hatten sie vor seinem Angesichte auf das entschiedenste verdammt. Einem charakteristischen Schriftwechsel der Könige mit dem Protector des Nationalvereins, dem Herzoge Ernst, gab Wilhelm ein Schlußwort, das seine eigenen Absichten des Gewährenlassens und der Passivität noch einmal wiederholte.

Es sollte also, sofern sein Wille bestimmend war, in der preußischen Politik trotz der erlebten Mißerfolge oder doch Nichterfolge Alles beim Alten bleiben. Einem Wechsel in der Person des Ministers des Aeußeren, dessen Lahmheit auch er sich nicht verhehlen konnte, hatte er sich versagt. Einen Nachfolger wußte er nicht; und schließlich leitete ja doch er selber.

Von außen her erst kam diesem Systeme, an dem er solange festhielt, die Erschütterung: der Sturm der nationalen Leidenschaft, nicht der Entschluß des Prinzregenten war es, der, indem er die Staatsmänner allgemein zu neuen, positiven Versuchen trieb, zuletzt auch die preußische Leitung dazu zwang, ihr Steuer fester und anders einzustellen. Die Geschichte des deutschen Einigungswerkes, die diesen Regungen des nationalen Geistes, ohne sie zu übertreiben, aber auch ohne sie zu verkleinern, ihr Recht zumäße, ist noch nicht geschrieben worden. Hier genügt es, zu sagen, daß nicht nur der Schaum, sondern auch die Wellen jetzt höher und höher schlugen, und daß die Cabinette es allmählich nöthig fanden, die Gewässer in das Bett ihrer Interessen hinüberzuleiten. Die Sonderstellung der Mittelstaaten ist mehr als einmal erwähnt worden. Der Historiker hat keinen Anlaß, die Bemühungen, die sie in diesen Jahren aufwendeten, zu verspotten. Was hätten sie thun sollen? Man lebte einmal im deutschen Bunde, legal war das, was seinen Regeln und Formen entsprach; und die Mittelstaaten waren sehr wesentliche Erzeugnisse und Träger der deutschen Geschichte, wohl begründet und fest gefügt, gewichtige Glieder im nationalen Dasein. Wer konnte ihnen zumuthen, sich ohne weiteres ihrer ungebundenen Selbständigkeit zu Gunsten eines Staates zu entkleiden, der historisch nichts Anderes war als sie selbst? Begreiflich genug, daß sie sich wehrten und daß ihr Selbsterhaltungstrieb, wie ihr bündischer und manchmal wol auch ihr ehrlich deutscher Patriotismus sie den Versuch wagen ließ, die Flammen der bedrohlich glühenden öffentlichen Meinung vielmehr gegen den verhaßten preußischen Emporkömmling abzulenken. Sie suchten die nationalen Forderungen für sich auszunutzen und so Preußen ins Unrecht zu setzen, ohne daß sie selber Schaden litten. Daß es ein vergeblicher Versuch sein mußte, begreifen wir freilich. Sie ersannen Auskunft über Auskunft und konnten doch keine finden, die dem deutschen Verlangen nach fester Einheit genügt hätte, ohne die Selbständigkeit der Mittelstaaten stark zu beschränken, ja ohne Preußen an die Spitze zu bringen. Sie sahen sich, ob auch widerwillig, zu der fremderen und ungefährlicheren der beiden Großmächte, Oesterreich hingedrängt, weil sie einen Rückhalt der Macht nöthig hatten; sie mußten die beiden Rivalen im Bunde festhalten, um nicht dem einen untergeordnet zu werden; sie zerbrachen sich den Kopf, Formen zu finden, die Oesterreich und ihnen erträglich wären. Wenn es solche überhaupt gab, so waren sie für Preußen unannehmbar. Sollte der neugefestigte Bund die Sehnsucht der Nation befriedigen, so mußte er ein starker Staat sein; er konnte es nur, wenn er der Gesammtheit überragende Rechte gab und zum Herrn dieser Rechte anstatt der eigentlich deutschen Großmacht die Gesammtheit der Mittleren nebst Oesterreich erhob, das heißt, wenn er Preußen [586] mediatisirte. So mochte man hundert Vorschläge aufbringen, eine festere Centralgewalt, eine einheitliche Gesetzgebung – die doppelte Schwierigkeit blieb doch unüberwindlich: den Schwerpunkt, einmal, konnte man doch nur an unnatürliche Stellen verlegen, über die künstlichsten Mittel kam man doch nie hinaus; ein wahres deutsches Parlament konnte man diesem auf die Kleinen und auf das halbdeutsche Oesterreich begründeten Wesen doch nie verleihen, weil es das Gebilde alsbald zersprengt hätte. Und zweitens: nun und nimmer konnte Preußen diese Auskunftsmittel, die seine Großmacht beugen sollten unter das Gebot seiner Gegner, sich gefallen lassen. Das waren die Lehren, welche die wiederbegonnene Bewegung dem Prinzregenten unausweichlich aufdrängte. Es entstand, wie immer der Leiter Preußens gesinnt sein mochte, falls er nur nicht entschlossen war das tiefste und selbstverständlichste Lebensinteresse seines Staates einfach zu opfern, die Nothwendigkeit für ihn, allen Neuerungen zu widerstreben, auch wenn sie ein Theil Gutes enthielten; es entstand gerade aus dem eifrigen Drängen der Anderen nach der Bundesreform – der Anderen, die seine eigenen, gutgemeinten Versuche wohlweislich vereitelt hatten – für ihn der Zwang, jede Bundesreform durch diese Andern nun seinerseits vermittelst seines verfassungsmäßigen Einspruches zu Frankfurt lahmzulegen, und, wenn man sie doch wagen wollte, sie mit drohender Stimme zu verbieten; der Zwang, selber zuletzt aus seiner Zurückhaltung herauszutreten, sich selber aus den Schranken des Bundes, so ehrlich er sie zu wahren gewünscht hätte, loszumachen, und von sich aus die einheitlich organische Lösung der Schwierigkeiten, die preußische Reichsreform, zu unternehmen. Ob er nun die Andern hindern, ob er vollends selber vorwärtsschreitend schaffen wollte – immer stand am Ende des Weges die Entscheidung der Waffen. Das hatten Tausende längst erkannt; das hatte Otto v. Bismarck seit seinen Frankfurter Tagen in schneidender Schärfe durchgedacht und in großartiger Wucht ausgedrückt; das hatte, in den Zeiten der Erregung, auch der Prinz von Preußen wol eingesehen. Die Zukunft, auf die er sich vor zehn Jahren vertröstet hatte, rückte heran. Ob er wollte oder nicht: seit die deutsche Frage in Fluß kam, seit Beust in Dresden und Schmerling in Wien – beide vielleicht nicht ohne persönliche und sachliche Fehler, der erste zumal, aber beide doch ganz überwiegend als Organe gebieterischer natürlicher Nothwendigkeiten – ihr die Richtung gegen Preußen gaben, seit die Bundesreform und der Wunsch Oesterreichs auf eine Sprengung des Zollvereins immer deutlicher in das Licht traten, seitdem mußte der Prinz aus seiner Stellung von 1859–60 allgemach weggedrängt werden. Aber er war ein lebendiger Mensch; in ihm vollzog sich die Entwicklung persönlich, mit Kämpfen und nach seiner Sonderart. Der Genius, der die Nothwendigkeit der Zeit souverän erfaßt, beherrscht, gestaltet, war er eben nicht. Dennoch ist es dem Biographen eine hohe Aufgabe, darzulegen, wie das Neue, das Wilhelm ja niemals abgewiesen aber doch auch nicht ergriffen und selber gewollt hatte, ihm allmählich näher kommt, von ihm bestritten, anerkannt und gemodelt wird, bis sich seine Persönlichkeit und die allgemeinen Kräfte noch einmal wieder gemessen und ausgeglichen haben. Wie wenig aber, leider, wissen wir insbesondere von dem Beginne dieses Processes, oder besser seinem Neubeginne, in den Jahren 1860–62! Daß ein seelischer Kampf einsetzte, ist uns wol spürbar, und wenigstens seine wichtigsten Phasen, aber keineswegs der volle Reichthum seines Verlaufes, zeichnen sich uns ab.

Nicht unerheblich wirkten dabei die innerpreußischen Wirren mit, die 1860 anhoben; sie mahnten umso nachdrücklicher, die Aufgaben im Bunde und in Europa zu bewältigen, weil nur durch Thaten draußen die Unruhe [587] drinnen gestillt werden könnte. Aber diese Mahnung hörte der Prinz schon seit dem Frühling 1860, ohne sobald von ihr einen Eindruck zu empfangen. Immerhin mochte sie den Rathschlägen, wie sie die Prinzessin Augusta, Ernst von Coburg oder Max Duncker ertheilten, seitdem eine bereitere Stätte schaffen. In Kurhessen ging der Streit unablässig weiter und Wilhelm hatte ihn ergriffen; gegen Dänemark blieb die Klage ebenfalls offen und eine Abrechnung mußte einmal kommen. Die Verhandlungen über die deutsche Wehrverfassung kamen erst 1861 zum vollen Ende: was Wilhelm erstrebt hatte, war ganz verworfen worden. Das Alles mochte vorbereiten oder stacheln. Den Ausschlag aber gab die deutsche Frage im eigentlichen Sinne: Bundesreform und Zollverein, der unmittelbare Gegensatz gegen die österreichisch-mittelstaatlichen Anschläge. Zwei sehr verschiedenartige persönliche Einflüsse ließ Wilhelm, bereits König, im Sommer 1861 da auf sich wirken. Im Juli berieth er zu Baden-Baden eingehend mit Herrn v. Bismarck, demjenigen Manne, der die Politik seines Herrn seit Jahren schon und noch soeben von neuem getadelt hatte, weil sie in Deutschland allzu zaghaft und conservativ auftrete. Bismarck hat ihm allem Anscheine nach in jenen Julitagen sein Programm vorgelegt, das letztlich in einer Centralgewalt nebst nationaler Volksvertretung gipfelte, dabei die Rechte der Einzelstaaten schonen, die Fürsten beruhigen und doch die öffentliche Meinung gewinnen zu können meinte. Auf irgend einen Fortschritt am Bundestage müsse Preußen jetzt verzichten; es müsse dort seine Reformabsichten anmelden, darnach aber da einsetzen, wo allein man etwas erreichen könne: es müsse erklären, daß es außerhalb des Bundes, neben ihm, freie Vereinigungen zu Zwecken der Wehrkraft und des freien Verkehres begründen werde. Also die Unionspläne, nur nicht von Friedrich Wilhelm IV. und Radowitz, sondern von Wilhelm I. und Bismarck betrieben; kein Erfurter oder Frankfurter, aber ein Zollparlament und eine Militäreinigung im Hintergrunde. Jetzt zuerst hörte König Wilhelm ernstlich auf Pläne dieser Art. Am 14. Juli schoß zu Baden der Student Becker[WS 28] auf ihn, unter der Begründung, wie Wilhelm schrieb, „daß, da ich nicht genug für Deutschlands Einheit thäte, ich ermordet werden müsse. Das ist klar, aber etwas drastisch“. Er folgerte daraus, „daß nichts überstürzt werden soll“: er behielt sein geistiges Gleichgewicht. Aber von Baden ging er nach Ostende, und dort trug ihm Frhr. v. Roggenbach[WS 29], der geistreiche und hochgesinnte junge Minister des badischen Großherzogs, einen zweiten, dem Bismarckischen verwandten Plan eines engeren Bundes neben Oesterreich, mit preußischer Centralgewalt und einheitlichem Parlamente, vor. Schleinitz verwarf ihn, Wilhelm selber keineswegs. Bald darauf entließ er den zaghaften Minister und übertrug die auswärtigen Angelegenheiten dem Grafen Bernstorff, der sich Roggenbachs Ideen zugeneigt hatte. Wol ging er in diesem Hochsommer und Herbst, in der dänischen und hessischen Frage, gern mit Oesterreich zusammen, dessen auswärtiger Minister Rechberg die stolze preußenfeindliche Kaiserpolitik Schmerlings zurückzudrängen trachtete. Aber im selben Augenblick (Septbr. 1861) zeigte Oesterreichs Protest gegen den werdenden Handelsvertrag des Zollvereins mit Frankreich, die Anmeldung seines Rechtes auf Aufnahme in den Verein, handgreiflich die Stärke der Gegensätze, die aller Versöhnung immer wieder spotteten: Oesterreichs Eintritt hätte diesen festesten Halt des preußischen Einflusses natürlich zerstört. Und nun brachte im October Frhr. v. Beust sein großes Reformproject heraus; Oesterreich nahm es nicht an, betonte aber gegen Beust und gegen Roggenbach scharf seinen eigenen Anspruch auf die Leitung Deutschlands; Preußens Antwort, im Ministerrathe vom Könige selber gegen Widerspruch durchgesetzt, lehnte (20. Dec. 1861) alle Erweiterung der [588] Befugnisse des Bundes ab und bezeichnete – nach Bismarck und Roggenbach – als einziges Heilmittel die freie, engere Gemeinschaft neben dem Bunde, die Union. Es war seiner Bedeutung nach das genaue Gegentheil der Wehrverfassungspläne von 1860; es war die erste, kühne Herausforderung, die der König den alten Verhältnissen ins Gesicht warf. Der Eindruck war gewaltig. Die Gegner rafften sich auf, ihre 7 identischen Noten vom 2. Februar 1862 protestirten drohend gegen die Unionsidee und luden zu Berathungen über die Reformvorschläge Beusts ein: Preußen versagte (14. Februar) seine Theilnahme. Auf weiten Wegen war der König Wilhelm doch wieder auf den Standpunkt des Prinzen von 1849/50 zurückgelangt. Freilich, nur erst bis zur Erwähnung der Möglichkeit und Rathsamkeit eines engeren Bundes, noch nicht zu dessen Versuche, der auch jetzt wieder den Krieg in seinem Gefolge haben mußte. Würde er weiter schreiten? Würde er, durch die Verhältnisse in diese neuen Bahnen geschoben, jetzt dazu übergehen, diese Verhältnisse zu beherrschen? Das hatte er bislang nicht gethan. Beugen würde er sich gewiß nicht; indeß, höchstens die Linien waren nun gezogen; an Erfolgen fehlte es noch ganz und an Thaten kaum minder. War jetzt die Stunde der starken Entschlüsse gekommen?

Schon aber hatten sich die äußeren Ereignisse ganz mit den inneren verschlungen; die inneren Kämpfe traten vor. Sie waren, in gewaltiger Steigerung, bis an die Schwelle der Entscheidung herangerückt, einer Entscheidung über Alles, was Wilhelms I. Leben überhaupt erfüllte.



Nicht mit leichtem Herzen aber mit entschieden verfassungstreuem Willen hatte der Prinz sein neues Regiment begonnen. Die Wahlen fielen ganz zu Gunsten des Ministeriums, der Altliberalen aus; die öffentliche Meinung, anfangs geduldig und freudig, erwartete indessen Leistungen, die dem Sinne des Regenten, wie wir ihn umschrieben haben, nicht entsprachen: sie wollte eine straffe Parteiherrschaft, sie sehnte sich nach liberalen Thaten drinnen und draußen. Der Prinz erklärte sich noch im Mai 1859 trotz Allem, was ihn bedenklich machen mochte, mit seinen Ministern identisch, wies die Opposition der äußersten Rechten unwirsch zurück. Männer der mittleren Richtung wie die Historiker Duncker und Baumgarten, die sich der neuen preußischen Aera mit opferwilliger Vaterlandsliebe als Publicisten zur Verfügung gestellt hatten, rühmten den Prinzen hoch, fanden seine Haltung ehrlich, männlich, gesund, aber von der Fähigkeit und Einmüthigkeit seiner Minister dachten auch sie bald gering. Ohne starken Inhalt floß das erste Jahr von deren Verwaltung dahin. Dann kam für sie, aber auch für die neuen Verhältnisse überhaupt, die große Probe: der Prinz war es, der nunmehr die Dinge in Bewegung versetzte, er stellte dem System das er begründet hatte, eine Aufgabe hohen Stils: die Militärreform.

Seit vier Jahrzehnten diente Wilhelm jetzt an hoher Stelle in der Armee; seit den 20er Jahren hatte er hier und da Verbesserungen verlangt, von 1827 ab die Umbildung der Landwehr, die Annäherung von Landwehr und Linie, die Unterstellung der ersteren unter Berufsofficiere, die vollständigere militärische Erziehung Aller durch eine volle dreijährige Dienstzeit. Seine Grundgedanken hatte er stetig festgehalten, unter Friedrich Wilhelm III. und unter Boyen, in der Revolution und Reaction; einige Erfolge hatte er seit 1851 davongetragen: Bonin hatte in seinem Sinne zu wirken begonnen, zuletzt war unter seinem eigenen Antriebe die dreijährige Dienstzeit wirklich wieder durchgesetzt worden. Das Bedürfniß nach Reformen empfanden weite militärische Kreise längst; Theodor v. Bernhardis, des Kenners und Beobachters, Tagebuch, das schon früher [589] über die preußische Armee geklagt hatte, ist gerade im J. 1857 dieser Dinge voll. Noch Friedrich Wilhelm IV. schien sie aufgreifen zu wollen, er ließ kurz vor seiner Erkrankung Vorschläge über die Mischung von Landwehr und Linie prüfen, das Allgemeine Kriegsdepartement des Kriegsministeriums wies sie ab, aber schon damals, im Juli 1857, stellte der Vorstand der Armee-Abtheilung im selben Ministerium, Oberstlieutenant v. Clausewitz[WS 30], einen umfassenden Reorganisationsplan auf, der für die Folge bedeutsam wurde. Gleichzeitig hatte Wrangel auf Mißstände in der Landwehr-Cavallerie hingewiesen. Das gab, im October 1857, dem Prinzen-Stellvertreter Anlaß, dem Ministerium eine erneute, allgemeine Erwägung der militärischen Organisationsfragen aufzugeben. Damit, also gleich im ersten Monat seiner Geschäftsführung, beginnt die Arbeit seines Reformwerkes, das sein eigentliches Lebenswerk werden sollte.

Die unmittelbare Vorgeschichte des Gesetzes von 1860 umfaßt somit mehr als zwei Jahre; Urheberschaft, Einwirkungen, Gegensätze und Bedeutung treten in den Hergängen dieser beiden Jahre deutlich hervor.

Die Antwort des Kriegsministeriums auf Wilhelms Fragen erfolgte im Februar 1858, in einer großen Denkschrift von Clausewitz, die sich auf seinen früheren Entwurf gründete. Ihr leitender Gedanke war die Vermehrung der eigentlichen Feldarmee, die seit 1820 ihren Rekrutensatz nicht erhöht habe und jetzt, entsprechend dem Anwachsen der Bevölkerung von 10 auf 18 Millionen, erheblich zu vergrößern, in ihrer Regimenterzahl zu verdoppeln sei; damit werde dann die Anomalie wegfallen, daß die Feldarmee wie bisher für den Kriegsfall durch die weit älteren Jahrgänge der Landwehr, durch die 29- bis 32jährigen, ergänzt werden müsse, während eine Menge diensttauglicher Jüngerer überhaupt nicht ausgehoben werde. Die Linie sei also durch reichlichere Aushebung zu verstärken, von der Landwehr werde man dann nur noch den ersten Jahrgang hinzuziehen müssen: die Armee werde verjüngt, die reiferen Männer entlastet. Clausewitz rieth zu zweijähriger Dienstzeit, die dreijährige werde zu kostspielig sein.

Im Juni 1858 besprach der Prinz die Reformfragen mit dem General v. Roon, der ihm, sahen wir, am Rheine nahegestanden, dessen Aufsatz über die Umgestaltung der deutschen Heeresverhältnisse ihm ehedem offenbar vorgelegen hatte. Roon reichte ihm im Juli eine umfangreiche Denkschrift ein, mit einem Begleitbriefe voll heiligen Eifers, der die Nothwendigkeit der Macht Preußens mit Preußens menschheitlichen Aufgaben motiviren wollte, dann aber vor allem diese Macht selber scharf und realistisch ins Auge faßte: eine Macht, die, bei der Kleinheit des Staates, durch eine doppelte Anspannung seiner innerlichen Kräfte getragen werden müsse. Roon wandte sich schroff gegen die Landwehr, wie sie sei; er forderte, nicht geradezu ihre Aufhebung, auch nicht ihre Ersetzung durch neue reine Linienregimenter, aber ihre Verschmelzung mit der Linie, in gemischten Bataillonen, die sich im Kriegsfalle und bei den Uebungen in je zwei spalten würden und in denen die Landwehr, stets von der Linie ganz umfaßt, militärisch besser erzogen würde: ihre „vollkommene Einverleibung also in die Linie“ und dazu eine starke Vermehrung der Officiere und Unterofficiere von Beruf. Die dreijährige Dienstzeit hielt er fest, die Entlassung der älteren Jahrgänge trat bei ihm zurück.

Erst unter dem neuen Kriegsminister, dem von ihm selber erwählten Bonin, glaubte der Prinzregent die Reformen in stärkeren Gang bringen zu können. Er legte Bonin die zwei Pläne vor, den Roon’schen namentlich der drei Jahre halber befürwortend, und im December 1858, im Januar 1859, wurde die Heeresfrage in Berlin stark verhandelt. Roon, der sich damals in [590] der Hauptstadt aufhielt, macht die wunderlichsten Erfahrungen. Eigentlich feststehend fand er nur Eines, die Abneigung des Ministers, dessen Entschluß, die Dinge zu verschleppen. Lebhaft klagte der Fürst v. Hohenzollern darüber; lebhaft betheuerte die Prinzessin von Preußen die Nothwendigkeit der Aenderungen und die Nothwendigkeit, ihren Gemahl auf diesem Wege zu erhalten; Wilhelm selber gab dem General zu, „daß es geschehen müsse“ – „aber dann müssen Sie heran“. Roon wunderte sich über die Schonung, mit der der Herrscher den Minister behandelte, abwartend, überzeugend, verhandelnd, wo er doch befehlen könne; zuletzt geschah für den Moment noch gar nichts; dem leidenschaftlichen Officier wollten vor Aerger und Ungeduld die Augen übergehen. Nur an den beiden militärischen Vertrauten des Prinzen, E. Manteuffel und G. Alvensleben, fand er festen Anhalt, und der Eintritt des Generals v. Voigts-Rhetz in das Kriegsministerium tröstete ihn. Bonin selber hat sich dann schließlich gegen Roons Denkschrift gewendet; Voigts-Rhetz hat im Februar 1859 Roons Anträge, soweit sie von Clausewitz abwichen, verworfen, mit Clausewitz die Ausschaltung der älteren Jahrgänge aus der Feldarmee empfohlen, die statt dessen durch vermehrte Rekrutirung unter den Jüngeren zu erweitern sei, und schließlich, auf Clausewitzens Grundlage einfach weiterbauend, eine auch formelle Zerlegung der Landwehr ersten Aufgebotes vorgeschlagen: ihre drei jüngsten Jahrgänge treten als Reserve zur Linie über, nur der Rest bleibt, zur Versorgung der Festungen, als Landwehr, bestehen. Im übrigen nahm er aus Roon vielerlei an, die dreijährige Dienstzeit, die Beförderung eines stärkeren Nachwuchses an Officieren und Unterofficieren; und er stimmte mit Roon in der letzten Hauptsache überein: der Nothwendigkeit und wirthschaftlichen Möglichkeit der Reorganisation im Ganzen. Darin wich er offenbar von Bonin ab; Gerlach erfuhr im April, daß Voigts-Rhetz sich beim Regenten bitter über seinen Minister beschwert habe. Wilhelm aber blieb gegen Bonin geduldig. Er verschob dann unter dem Drucke des italienischen Krieges die Umgestaltungen natürlicherweise bis auf ruhigere Tage, er befestigte sich durch den Anblick der bei der Mobilmachung von neuem hervortretenden Mißstände in seiner Ueberzeugung. Er ließ, als die Kriegsgefahr verrauscht war, bei der Demobilmachung die Kriegsformation im wesentlichen bestehen und zog so, ganz selbständig, in eigenhändig aufgesetzten Anordnungen, die nach Voigts-Rhetzens und Gerlachs Urtheil „alles wesentliche Material“ der Reorganisation enthielten, die Grundzüge selbst: er sorgte dafür, daß neben den alten 36 Linienregimentern 36 fernere (z. gr. Th. aus Reserven und Landwehren gebildete) Infanterie- sowie 10 Cavallerieregimenter stehn blieben. Er nahm damit die rein-militärischen Ergebnisse einer Reform, die Verstärkung der Feldarmee, vorläufig vorweg. Aber freilich, die innere Durchbildung der Organisation, die Gewähr ihrer Zukunft war damit noch nicht gegeben; und während der Regent, so scheint es, an Bonins Bereitwilligkeit nun doch verzweifelnd, Voigts-Rhetz und Roon zu neuen Verhandlungen anwies, entschied sich auch der Minister, mit ausdrücklichem Widerstreben, endlich auf eine Regelung auszugehen. Die Denkschrift, die er am 1. September überreichte, fußte auf Clausewitz und Voigts-Rhetz: Verjüngung, Erhöhung der Aushebungsziffer, dreijähriger Dienst, dabei allerdings Herabsetzung der Kriegsstärke der Bataillone von 1000 auf 800 Mann. Schon hatte Wilhelm in diesen selben Tagen durch Roon mahnen lassen wollen; jetzt nahm er, angenehm überrascht, den Vorschlag des Ministers an, nur drängte er diesen zu unmittelbarer Beschleunigung und erhob er eine Anzahl von Einwänden, deren wichtigster der Widerspruch gegen jene Etatsherabsetzung auf 800 Mann war. Von da ab bis Ende November wurde noch einmal lebhaft, fast fieberhaft [591] unterhandelt. Und nunmehr war es nicht etwa vorwiegend Roon, der die schärferen Bestimmungen seines Projectes gegen die milderen des ministeriellen verfochten hätte; vielmehr, er schloß sich im September ganz an dieses zweite an, in welchem er den Kern seiner eigenen Absichten wiederzufinden meinte. Aller Widerspruch kam von jetzt ab vom Prinzen selbst. Er stellte Ende September, nachdem er Roon und Bonin gehört, die Verschärfungen auf (Etatsstärke, Winterurlaub), die er für nöthig hielt; er wies die Vorstellungen des Ministeriums im October zurück; er berief eine Generalscommission, die um die Wende des Octobers tagte, und als das Kriegsministerium dort anstatt der Gesichtspunkte des Regenten vielmehr seine eigenen vertrat, ließ er die Commission von frischem, unter seinem eigenen Vorsitz, zusammentreten und verbot ihr alle außermilitärischen Nebenrücksichten. Er zwang dann den Minister, die so gewonnenen Ergebnisse zu formuliren; Bonin that es unter erneutem Protest, indem er auf die finanzielle und staatswirthschaftliche Undurchführbarkeit der erhöhten Anforderungen, auf die parlamentarischen Schwierigkeiten hinwies. Noch einmal arbeitete der Regent den Entwurf auf das genaueste durch, auch diesmal ohne Rücksicht auf finanzielle Erschwerungen, er stellte dem Minister anheim, ob er sich nicht doch entscheiden könne diese Vorlage zu vertreten; Bonin verneinte, erbat und erhielt die Entlassung von seinem Posten, wurde als commandirender General nach Koblenz versetzt. In alledem hatte der Herrscher Roon, Manteuffel, Alvensleben zur Seite gehabt; Roon begrüßte jene Verschärfungen mit Freude und war der vornehmste Vertreter des fürstlichen Willens innerhalb der Commission; ihn zum guten Theile persönlich, und neben ihm die beiden Generaladjutanten, traf die Eifersucht der Uebrigen. Roon selber wußte genau, daß die Leitung bei alledem ganz in den Händen seines Herrn lag; Bonins Widerstreben mußte er, mit leidenschaftlicher Ungeduld, ertragen, und schüttelte über die allzu versöhnliche Langmuth des Prinzen immer wieder den Kopf. Längst war bei den Freunden der Reform das Gefühl allgemein, daß Roon der gewiesene Minister sei, erst in den letzten Novembertagen aber entschied sich der Wechsel. Und auch dabei handelte durchaus nur der Regent. Er vertrat in einer langen, wuchtigen Rede im Staatsministerium (3. Dec.) ganz persönlich seinen Plan, in weitem Rückblick auf dessen Vorgeschichte, auf sein eigenes Leben, und nunmehr mit heftigem Grolle gegen Bonin, der jetzt das Werk durch seinen Abfall gefährde: und doch sei es geboten durch die eiserne Nothwendigkeit. Er erreichte, daß die Minister sich alle für das Project verpflichteten, und nun, am 5. December 1859, wurde Roon ernannt: in feierlich gehobener Stimmung, tief ergriffen, hat ihm der Prinz das schwere Amt übertragen; er sprach dabei „mit sichtlichem Selbstgefühl“ von seinem Erfolge im Ministerrath. Es war seine erste große eigene Leistung im innern Staatsleben: er empfand, daß es seine eigenste war. Er hatte sich selber durchgesetzt.

Das sind, in kurzem Ueberblicke, die Thatsachen. Suchen wir sie, bei dem ganz entscheidenden Werthe dieser Dinge für Wilhelms I. Geschichte, noch in all ihren Hauptrichtungen ausdrücklich zu deuten.

Wilhelm hat die Heeresvorlage immer für sein Werk erklärt. Der Thatbestand gibt ihm dazu ein gutes Recht. Was die eigentlichen Grundgedanken betrifft, so gehörte er, wir haben es verfolgt, zu deren ersten, stetigsten und bedeutendsten Vertretern; ich wage nicht zu entscheiden, wieweit man ihn geradezu zu ihren Schöpfern rechnen muß und wer da noch neben ihm zu nennen wäre. Diese Grundgedanken – Einordnung der Landwehr, Berufsofficiere, dreijährige Dienstzeit – theilten um 1857 so Manche mit ihm; wieweit freilich waren sie als seine Schüler zu betrachten? Männer wie Gerlach, [592] die der Landwehr von Hause aus feindlich waren, weil sie in ihr das demokratische Princip erblickten, darf man nicht neben ihn stellen wollen; Wilhelm blieb auf dem Boden der preußischen Armeereform von 1808 und wollte nur das an ihr bessern, was militärisch unerträglich schien; er ging aber wiederum weiter als viele unter seinen Genossen, die wie Bonin nur halbe Arbeit wagen wollten – er war im Kern hier ganz sicher, fest und selbständig. Und wieweit er nun auch der innerlich Erste unter denen genannt werden darf, die diese Gedanken aufstellten, das Eine ist ja ganz sicher, daß er der äußerlich Erste und Gewichtigste von ihnen gewesen ist. Ein Friedrich Wilhelm IV. hätte die Gedanken niemals in die Wirklichkeit umgesetzt; Wilhelm hat das gethan; schon insofern bleibt die Reorganisation ganz seine That. Wie er sie durchsetzte, das ist für seine Persönlichkeit überaus bezeichnend. Er ist von Anfang an von der Nothwendigkeit durchdrungen; er läßt von seinem Ziele nicht ab; die Art es zu erreichen, sucht er ziemlich lange; den Widerstand, den er bei seinem nächsten Berather trifft, duldet er länger als Manchem gut scheint; als er sich zuletzt ganz klar geworden ist, da geht er über die Entschiedensten noch hinaus und hält unweigerlich das allmählich in ihm Entstandene fest, bis ans Ende. Das ist die typische Form, die alle Eindrücke und Entschlüsse in ihm annahmen; auch dieser aus seiner eigenen tiefsten Persönlichkeit erflossene Entschluß nimmt denselben Verlauf. Wie aber stand es mit seinem Antheile an der Art der gefundenen Lösung? Das Ziel hatte er gesetzt; das Ergebniß ist gewesen, daß die Feldarmee die sicher brauchbaren Elemente der Landwehr dauernd in sich hineinzog und ganz durchbildete, daß aus Allem eine Einheit wurde. Wer hat den Weg dazu gewiesen? Man wird wohl sagen müssen, daß dabei Viele mitgearbeitet haben und mit beinahe gleichem Verdienst. Der erste, bedeutsame Hinweis scheint doch Clausewitz zu gehören, also dem Mitarbeiter des Reactions-Kriegsministers Waldersee; sowol die Verjüngung des Heeres mit ihren volkswirthschaftlichen Motiven, wie das der Volksvermehrung folgende Wachsthum der Aushebung hat Clausewitz zuerst beantragt und der Prinz hat aus diesen Darlegungen gelernt. Voigts-Rhetz und damit der Kriegsminister Bonin haben diese Gedanken wieder aufgenommen und sie ausgebaut. Was Wilhelm dann hinzuthat, war wesentlich eine Verstärkung der Zahlen, eine Versagung gewisser Erleichterungen, vor allem Andern die Festhaltung der 3 Jahre; und darin ging er mit Roon zusammen. Elemente dieser schrofferen Ansicht sind in den endgültigen Entwurf übergegangen; dessen Ausgestaltung, nach immer wiederholter eigenster Nacharbeit, ist ganz Wilhelms Werk, als des militärischen Fachmannes, und daß dieser verschärfte Entwurf die unverrückbare Grundlage aller politischen Arbeit der Regierung blieb, ist ebenfalls ganz sein Werk, als des Herrschers. Daß also ein Kampf gewagt wurde, den Bonin zu vermeiden gestrebt hatte, das ist wiederum dem Regenten zuzuschreiben. Lediglich für die Richtung, die man zu seinem Ziele hin einschlug, für jene Verbindung wirthschaftlicher Rücksichten mit den militärischen, für die ‚Verjüngung‘ ist er nicht der Bestimmende gewesen, sonst für Alles, für Anstoß, Zweck und für das politisch Entscheidende in der Form.

Das aber ist die weitere Frage, die sich hier stellt: worauf kam es denn bei jenem Gegensatze zwischen schärferer und milderer Tonart, zwischen Roon (und somit Wilhelm) und Bonin eigentlich an? Roon hat wol sich selber für den Vater der Heeresvorlage gehalten, von anderer Seite ist behauptet worden, vielmehr Bonin habe das Wesentliche für sie festgelegt. Weder das Eine noch das Andere ist richtig; indessen liegt der Hauptunterschied zwischen ihnen nicht auf diesem Gebiete des positiven Verdienstes: er liegt tiefer. Faßt [593] man nah in das Auge, was die beiden Minister innerlich trennte, so springt erst die volle historische Bedeutung der Reorganisation recht heraus. Wol scheint es nach den verschiedensten Aussagen Wilhelms, Roons, Gerlachs, Manteuffels unzweifelhaft zu sein, daß Bonin persönlich lau und ängstlich, großen Dingen abgeneigt war, daß er deshalb, wie der Prinzregent selber gesagt hat, mit seinen eigenen, reformlustigeren Referenten keineswegs übereinstimmte, derart, daß es dann freilich, da Wilhelm ihn nun einmal nicht beseitigen mochte, einer Art Gegengewichtes gegen ihn bedurfte, wie es ihm, seit dem December 1858 bereits, in dem thatkräftigen Roon gegeben worden ist. Aber Roon und er wichen eben nicht nur im Temperament und Verfahren, sie wichen vornehmlich im Grundsatze weit von einander ab. Der Minister hat die große Denkschrift des Generals von 1858 mit Randglossen versehen, wie sie Boyen hätte schreiben können: Roon und die Seinen „trennen das Heer vom Lande“, bis dieses gegen jenes gleichgültig werden wird wie 1806: „dann hat Preußen die Grundbedingung seines Daseins verloren“. In der That hat Roon 1858 die Landwehr härter verurtheilt und sie rücksichtsloser, man möchte sagen einschlachten wollen als irgend einer der andern Mitarbeiter; er ist ganz und gar der Officier, der Zucht und Brauchbarkeit verlangt und dem sich die zarteren Ideale der Reformzeit von 1808 mit ihrem rein menschlichen Idealismus vollständig verflüchtigt haben. Es ist ein Gegensatz der Weltanschauung überhaupt; bis zu welchem Grade er auch zwischen Wilhelm und den alten Reformern – sowie deren Schülern – bestand, ist öfter bestimmt worden. Dieser Gegensatz der zwei Minister aber erstreckt sich auch auf das eigentlich politische Gebiet. Bonin begründet die Heereskraft auf den Volkswohlstand und ist so grimmig davon überzeugt, daß die geplante Mehrbelastung diesen Wohlstand unfehlbar erdrücken müsse, wie es dann 40 Jahre lang alle Opponenten unseres Wehrsystems immer von neuem gewesen sind. Dem gegenüber ist Roon einfach Officier und hier hat er den Herrscher vollständig hinter sich: „in einer Monarchie wie die unsrige, so schrieb Wilhelm am 24. November 1859 an Bonin, darf der militärische Gesichtspunkt durch den finanziellen und staatswirthschaftlichen nicht geschmälert werden; denn die europäische Stellung des Staates, von der wieder so vieles Andere abhängt, beruht darauf …“ Der alte Gegensatz des Prinzen Wilhelm gegen alle die weicheren, bureaukratischen oder liberalen, Auffassungen des Staatszweckes oder wenigstens des preußischen Staates tritt da an entscheidender Stelle wieder vor: es war diejenige Idee, der dieser Hohenzoller einmal nicht fremd werden konnte und die seine historische Größe bedingt. Der Kriegsminister dachte hierin liberal. Und wie lange schon hatten die deutschen Liberalen in der Enge des deutschen Lebens, durch die Schuld aller Gewalten im Lande, vor allem aber doch auch durch eigene Schuld, das Mißtrauen gegen den Militarismus in sich aufgenommen! Wie hatte Prinz Wilhelm 1848 gegen dieses Mißtrauen ringen müssen! Auch jetzt noch, auch in Preußen, bestand es; auf diese Gegnerschaft wies ihn die laue Vorsicht des Kriegsministers, der seiner Sache als Soldat innerlich selbst nicht recht sicher war, im voraus hin. Und auch darin war Bonin mehr Liberaler als preußischer Soldat, und jedenfalls für Roons ganz entgegengesetzte Ueberzeugung ein Liberaler vom reinsten Wasser, daß er, so meinte Roon am 1. December 1859, dem Regenten als parlamentarischer Minister entgegentrat, dem es erlaubt und geboten ist, seinem Herrscher den eigenen Willen aufzutrotzen und mit dem Rücktritte zu drohen, in der „irrigen Ansicht, hier sei ein Childerich zu behofmeistern und zu bevormunden und sein berechtigter Pipin sei der constitutionelle Kriegsminister. Gottlob, daß [594] dem nicht so ist! wir wären damit der Volksouveränität und der Republik einen großen Schritt näher gekommen“. Roon bezeichnet damit eine Ansicht von der preußischen Verfassung, die erst zu bewähren war; „daß dem nicht so sei“, so, wie Bonin es wol ganz natürlich voraussetzte – ja, darüber stand der Kampf erst noch vor der Thüre!

Der Gegensatz der beiden Männer umfaßt also, von rein persönlicher Nebenbuhlerschaft abgesehn, eine ganze Fülle von Verschiedenheiten: sie alle, Fragen der Weltansicht und der Staatsauffassung, der allgemeinen Denkweise und des Verfassungsrechtes, d. h. der Macht, meldeten sich dem Prinzen von Preußen bereits an, ehe er noch mit seinem Reformwerk vor die eigentliche Oeffentlichkeit trat. Und seine eigene Zukunft verkörperte sich in dem Manne, dem Bonin den Platz räumen mußte. Daß Bonin weder innerlich noch äußerlich geeignet war, die Reorganisation durchzuführen, darin hatten die Generale in Wilhelms Umgebung ganz Recht; und in der Wahl Roons hatten sie und ihr Herr es nicht minder. Streng, schroff, ein Diener seines Kriegsherrn, voll großer, harter, stolzer preußischer Anschauungen, voll reicher wissenschaftlicher Bildung und kühnen Fluges der Gedanken und der Worte, tief christlich und tief monarchisch, ein Mann der Wirklichkeit, der That, des hohen Ehrgeizes, furchtlos, ja rauh und herb bei aller innern Wärme, die sein Wesen seiner Gattin und seinen Freunden enthüllte, der erste der mächtigen Kämpfer einer hereinbrechenden eisernen Zeit – so trat jetzt dieser preußische Edelmann, oder besser, dieser preußische Officier, neben seinen Herrn; man darf sagen: bereits jetzt gewaffnet bis an die Zähne. Sein Antheil an den Entwürfen der Reorganisation – um den auch für Roon noch positiv zu bestimmen – war nicht so beherrschend wie man glauben konnte: denn die unmittelbaren, technischen Vorschläge seiner Denkschrift waren, gerade in ihrem Eigensten, abgelehnt worden. Wenn er dennoch meinte, Bonins neuer Plan (Septbr. 1859) sei nur eine Nachbildung des seinigen, so hatte er dabei in Einem trotzdem Recht. Das, was er vertrat, war die weitgehende Umschaffung des Heeres; das, was er hinter diesen Gedanken setzte, war seine feurige Energie, sein Charakter. Das Wesentliche war ihm, daß etwas Neues, Strafferes, zugleich Breiteres und Einheitlicheres, entstünde; das eben wollte Bonin im Grunde nicht. Von Bonins Referenten dagegen wich Roon nur in der Art des Verfahrens ab; und ihre bessere Auskunft – minder hart, und wirthschaftlich sowie wol auch militärisch umsichtiger als die seine – nahm er sofort und mit Freuden an, er sprang mit beiden Füßen auf den Boden hinüber, bereitwilliger als sein Fürst. Was er hauptsächlich wünschte, jene Entschiedenheit der Neuerung, wurde dann doch erreicht; er half dabei vorwärtsdrängen, auch auf dem Wege der Andern; er war nicht kleinlich selbstgerecht und eigensinnig. So war sein Antheil trotz allem bisher schon groß genug gewesen. Nun aber wurde er Minister. Er wurde es „mit Seufzen“, im Vollbewußtsein der Schwierigkeiten und Gefahren, in die er sich begab. Und doch ist es unverkennbar: er empfand seit Monaten, daß diese Stelle, vor der ihm ein wenig grauen mochte und zu der er, soviel man sieht, sich nicht gedrängt hatte, die ihm gebührende war, und aus all seinen Berichten an Frau und Freund sprüht doch der ungeduldige Ehrgeiz des geborenen Thäters großer Thaten heraus. „Es gilt Großes zu leisten, war sein Schlußwort; nur ein Schelm denkt immer nur an sich. Das Reformwerk ist eine Existenzfrage für Preußen, es muß vollbracht werden“.

Roon nahm sich damals vor, er, der Conservative, lediglich als Fachminister in das liberale Cabinett einzutreten. Gerlach, der all diese Hergänge vom Hofe des sterbenden Königs her gespannt beobachtete, zeichnete ihm [595] (4. Dec.) eine ganz andere Zukunft vor: „für jetzt noch darf sich Roon der Politik enthalten; seine Stunde wird kommen, wenn er sich richtig nimmt“. Im selben Moment erfuhr Bernhardi, daß sein Freund, der gemäßigte Vincke-Olbendorf, der aber ein scharfer Gegner der 3jährigen Dienstzeit war, in der Kammer deshalb einen heftigen Angriff gegen die Aeußerlichkeit des preußischen Militärwesens zu richten gedenke: denn dem Starrsinne des Prinzen gegenüber „könne da nichts helfen als die Oeffentlichkeit“. Bernhardi folgerte, diese „Oeffentlichkeit“ in dieser Sache werde den Regenten lediglich erbittern und das junge constitutionelle Leben Preußens schwer gefährden. Er und Gerlach behielten Recht. Die Ernennung Roons bedeutet für Wilhelms I. Geschichte einen wichtigen Einschnitt. Alle Kämpfe, die nun folgen sollten, haben sich uns im voraus abgezeichnet.

Roon übernahm ein fertig gefaßtes Gesetz; nur zu feilen hatte er noch. Als der Ministerrath Abstriche an den Kosten verlangte und Roon solche erwog, beharrte der Regent auf den bisherigen Anschlägen. Am 12. Januar 1860 kündigte die Thronrede das Gesetz an, indem sie vor allem den bleibenden Zusammenhang mit der alten Heeresverfassung betonte; am 10. Februar erschien die Vorlage, mit einer bewundernswerth vielseitigen Begründung. Sie traf bei denen, die den Ausschlag im Landtage gaben, den Altliberalen, auf keine wohlwollende Stimmung. Man hatte allerlei von den Plänen des Regenten, der steten Hinaufschraubung seiner Ansprüche, der Verdrängung Bonins durch die Junker und Officiere gehört, von der Absicht dieser Leute, die Landwehr zu beseitigen, an die Stelle des Volksheeres eine in sich abgeschlossene Armee mit vielen neuen, natürlich adligen Officieren zu setzen; die Reorganisation war also reactionär und zudem, sie war unerschwinglich theuer. Sie mußte Preußen zu Grunde richten. Ueberdies fehlte nach anderthalb Jahren unbefriedigten Wartens das Vertrauen auf dieses Ministerium; würde es neue Machmittel jemals lebensvoll zu verwerthen wissen? Alle die Einwürfe, die uns aus Bonins Widerstande entgegentreten, erhoben sich in der öffentlichen Discussion. Die Commission der Kammer verwirft nach langen Verhandlungen die dreijährige Dienstzeit wie die Zurückschiebung der Landwehr. Darauf zieht die Regierung Anfang Mai den Entwurf zurück; sie stellt sich auf den Standpunkt, den schon Bonin erwogen hatte, dem Könige aus dem noch immer gültigen Gesetze von 1814 die Vollmacht abzuleiten, daß er die Stärke des Heeres auf der dort gelegten Grundlage allgemeiner Wehr- und dreijähriger Dienstpflicht frei bestimme; die Kammer habe nur die Mehrkosten zu bewilligen. Diese Mehrkosten fordert Patow zunächst auf ein Jahr; er spricht dabei das Wort Provisorium aus und erläutert es zwei Mal in verschiedener Weise, derart, daß das Land annimmt, nach einem Jahre solle gegebenenfalls Alles wieder abgeschafft werden. Das Geld wird zur „einstweiligen“ Heeresvermehrung bewilligt. Der Regent faßt die Bewilligung als Pfand späterer vollkommner Lösung, richtet die neuen Regimenter endgültig ein; er läßt, so jubelt Gerlach seinestheils, „die Schwadroneure hin- und herreden und handelt unterdessen nach seinem Belieben“. Jeder Unbefangene wird urtheilen, daß der Prinz nicht wohl anders vorgehen, den Beschluß nicht anders auffassen konnte, wenn er der Kammer nicht den baren Unsinn zutrauen wollte. Sollte wirklich das vielbedauerte arme Preußen neun Millionen Thaler rein zum Vergnügen wegwerfen, eine Organisation schaffen um sie nach einem Jahre wieder aufzuheben? Aber das Mißverständniß, als habe die Regierung Kammer und Land mit zweideutigem Versprechen übertölpelt, entstand. Man hat den Kampf, der alsbald ausbrach, auf dieses Mißverständniß einmal, allgemeiner dann auf die Fehler zurückgeführt, die von den Ministern wie von der liberalen [596] Partei begangen worden seien. Gewiß sind die Fehler unleugbar. Die Zahl der politisch reifen Köpfe war erstaunlich gering; Männer wie Bernhardi, Simson, Sybel, Duncker, Baumgarten sahen sofort, was für eine Thorheit es war, wenn die Liberalen die unvergleichliche Gelegenheit verscherzten, sich der Regierung durch freies Zusammenwirken mit dem Regenten, dessen völlige Hingabe an dieses Gesetz Jedermann kannte, dauernd zu versichern. Bernhardis Tagebücher, das lebendigste Spiegelbild dieser bewegten Monate, sind voll von klagenden und entrüsteten Urtheilen über die Verblendung eines Georg v. Vincke, der sich keine schönere Aufgabe wußte, als das endlich gewonnene liberale Ministerium zu „controliren“, d. h. zu entwurzeln, und der sich nachher seines „Sieges“ über diese Regierung rühmte. Baumgarten rief im Juli verzweifelt aus: „die Regierung hat wie überall so auch hier colossale Fehler gemacht, aber Monsieur Vincke – nun über diese constitutionelle Weisheit fehlen mir die Ausdrücke. Unsere politischen Freunde sind in einem Maße bornirt …“ Bernahrdi fand bei Ministern und Abgeordneten die gleiche vollkommene Planlosigkeit. Gerlach vermochte sich das Ungeschick des Cabinetts eigentlich nur aus Unredlichkeit zu erklären. Sicherlich, man darf vermuthen, wenn auch nicht eben behaupten, daß bei einer bessern Leitung auf einer Seite oder auf beiden Vieles einen andern Gang genommen hätte. Aber es ist doch keineswegs die Thorheit allein, die den Conflict heraufgeführt hat. Die Gegensätze waren, – das ist die Hauptsache – über alle Fehler des Verfahrens hinaus, wirklich groß und tief. Hohle Phrase, aber auch ehrlicher Idealismus, der sich auf eine große Vergangenheit berief, der in der Reformzeit von 1807 wurzelte und davon nicht lassen wollte, zürnten über die Zertrümmerung des ‚Volksheeres‘; diese Tendenzen gingen ihrerseits bis zum Programm der Volksbewaffnung, einer Auflösung des stehenden Heeres weiter. Von dieser Gedankenwelt zu der des Regenten hinüber gab es kaum eine Brücke; die Ansichten konnten sich nur auseinandersetzen durch Kampf. Und noch eine andere Anschauung stand hinter der Opposition der zweiten Kammer. Die Liberalen nannten im März 1860 dem vermittelnden Herzog von Coburg eine Reihe von Concessionen, die sie als Gegengabe für ihr Votum fordern müßten; der Prinz wies sie von sich, er dürfe den Rechten der Krone nichts vergeben. Der Altliberale Milde aber entwickelte vor Bernhardi im April, wie man sich den Gang der Dinge zu denken habe: die Ablehnung des Gesetzes werde die Regierung zwingen (wie es ja dann auch geschah), vorerst nur das nöthige Geld für die nächsten Jahre zu verlangen; in Zukunft könne dann die Kammer alljährlich bestimmen, wieviel Rekruten einzustellen seien, ob 40 oder 60 000 (!). „Das muß bei dieser Gelegenheit erobert werden.“ Das war es: um die Vormacht von Krone oder Parlament, um die Macht, um die Verfassungsgewalt ging der Streit, und zwar vom ersten Anfang an.

Der Prinzregent hat den Streit seit dem ersten Augenblick mit voller Leidenschaft ergriffen und bald auch dessen allgemeinen Inhalt gespürt. Schon Ende Februar sagte er Vincke-Olbendorf, wenn die Militärvorlage scheitere, so müsse er entweder die Kammer auflösen, oder seinerseits die Regierung niederlegen. Es sei ja doch, so wiederholte er auch Andern, sein Werk um das es sich handle; nicht die Minister seien dafür verantwortlich, er selber aber stehe und falle damit. Nicht seine Ueberzeugung nur, gewissermaßen seine Ehre sah er daran gebunden. „Die Herren in der Militärcommission sind alle confus geworden“, klagt er am 15. März seinen Gästen; „nun ich werde noch in dies Wespennest fahren“. Herzog Ernst rieth ihm zu einer größeren deutschen Politik, mit der werde er die preußische Stimmung [597] am ehesten gewinnen; womit soll ich denn diese Politik machen? fragte er zurück; erst muß doch Preußens Macht hergestellt sein und eben daran arbeite ich. Gleichzeitig damit war es, daß er es ablehnte, als Gegengaben für das Gesetz Kronrechte zum Opfer zu bringen. Und ein Vierteljahr später stand ihm die Lage in principieller Schärfe vor der Seele. Er stimmte L. Ranke am 13. Juni eifrig zu: Revolutionen entstehen, wenn Fürsten keine Armee haben oder sie vernachlässigen, und laufen dann durch wilde Wirren hindurch in die Herrschaft des militärischen Usurpators ein. Schwebte doch, zumal seit Dahlmanns Buche, welches die Fürsten, freilich im genau entgegengesetzten Sinne, hatte warnen wollen, allen die Geschichte Karls I. von England[WS 31] vor Augen; ihr Bild begleitete Wilhelm durch diese Jahre. „Einen vollkommenen Begriff, so faßte es Ranke nach seiner Art in die Formel, hat er davon, daß die militärische Macht die Souveränität in sich schließe“. Den Schluß dieser Gedankenreihe bildete dann die Gegenüberstellung: parlamentarisches oder Königsheer.

Damit hatte Wilhelm den Punkt erreicht, wo seine Persönlichkeit wieder unmittelbar mit der weiten Entwicklung des Jahrhunderts zusammenstieß.

Wie ist die verfassungsgeschichtliche Stellung der Neuen Aera? Krone, Beamtenthum und Adel hatten von 1850 ab das Bürgerthum aus seiner in der Revolution errungenen Stellung zurückgeworfen, dem geschlagenen Radicalismus war eine Parteiherrschaft nachgefolgt, auch den König fanden wir in der Partei. Bernhardi hat die Wirksamkeit dieses Regimentes 1858 so zusammengefaßt: „das felsenfeste Vertrauen, mit dem der preußische Unterthan ehemals auf die Gerechtigkeit seiner Regierung baute, das ist dahin“. Als die Reaction endete, trat das Bürgerthum wieder aus dem Schatten hervor. Die Führer der neuen Bewegung zwar waren zum großen Theil Adelige; wieder waren auch die Ueberzeugungen, vollends die bewußten, keineswegs durch das Interesse des Standes allein bestimmt; dennoch ist die sociale Bedeutung des Wechsels ganz zweifellos. Das Schlagwort auch der Gemäßigten, auch der Edelleute in der Partei war der Kampf gegen die „Junker“. Es war das Bürgerthum, das jetzt das vor einem Jahrzehnte verlorene Steuer wieder ergreifen wollte, und in seinem Streben lag die Parteiherrschaft, die Errichtung des bürgerlich-constitutionellen Systems. Die Rechte war besiegt, die Linke wollte regieren. Nun hatte freilich der Prinz, wie wir sahen, stets die Selbständigkeit der Krone hervorgehoben und vor allem in sich selber das Regiment der Kammern niemals anerkannt. Auch die Minister sprachen aus, sie wollten nicht Minister einer Partei, sondern des Regenten sein, und Georg Vincke-Hagen zuckte über die „constitutionelle Schablone“ die Achsel; vollends, gut monarchisch war er gewiß und war alle Welt. Darum ist es nicht minder wahr, daß er und die Seinen thatsächlich von den allgemein-europäischen Vorstellungen des Constitutionalismus ziemlich weit erfüllt waren, daß sich jeder Theil über das Verhältniß von Krone und Parlament besondere Gedanken machte, daß verborgene, vielleicht sogar unbewußte Gegensätze doch einmal bestanden. Es ist falsch zu sagen, die Militärvorlage habe die Verfassungsfrage geschaffen. Im Gegentheil: diese Frage war da, deshalb wurde die Militärvorlage umstritten, an dieser wurde der latente Gegensatz bewußt. Gerade bei Georg v. Vincke tritt die Voraussetzung, daß auch in Preußen die Partei, die Kammer sich den König unterwerfen müsse, mit einer gewissen naiven Selbstverständlichkeit zu Tage. Es wäre „constitutionell“ gewesen, diese Parteigenossen, die jetzt Minister waren, zu unterstützen, gewiß; aber man wollte eben mehr als solch liberales Ministerium von Herrschers Gnaden, man wollte eine völlig liberale Beamtenschaft, man wollte die Parteiregierung. [598] Nur die ganz überlegenen und maßvollen Politiker sind dieser Strömung damals überhaupt nicht gefolgt und auch sie fielen ihr in den nachfolgenden Kämpfen zum guten Theile anheim; die Masse der Partei aber ließ sich doch wol immer von ihr leiten und gar die weiter links Gerichteten wollten einfach und unmittelbar das parlamentarische System. Wie hätte es auch anders sein können? Ueberall in der Welt, wo man sich Vorbilder zu holen gewohnt war, galt dieses System; in Preußen war man seit 20 Jahren wahrlich nicht von der Krone verwöhnt oder erzogen worden; die Krone selber hatte im letzten Jahrzehnt sich einer Partei eingefügt. Und stark, noch immer mächtig aufstrebend, all seine Gegner als rückständig verachtend, seiner Thätigkeit und seines Reichthums, seiner Bildung, seiner Führerstellung im Leben der Nation innerlich ganz sicher und stolz bewußt, war jetzt nach langer, erbitternder Quälerei das Bürgerthum endlich wieder, ja eigentlich zum ersten Male so recht an die Spitze gekommen: ganz natürlich, daß es allein regieren wollte wie ringsum in Europa. Daß der preußische Staat seine Besonderheit für sich habe, hörte man wol bereits, ohne es doch in der Wirklichkeit schon anzuerkennen; daß er ein Königthum habe, von dem er geschaffen worden war und dessen starken Zusammenhalt inmitten einer feindlichen oder unruhigen Welt er noch lange nicht entbehren könnte, ein Königthum, das durch keine Partei, durch keinen Stand zu ersetzen sei und das über diesen Parteien, nur mit ihnen, regieren müsse – eine solche Erkenntniß wird nicht durch Betrachtungen begründet, und selbst Betrachtungen dieser Art waren nicht auf der Höhe der Zeit; sie muß durch lebendige Leistungen erworben, ja erzwungen werden und wird zuletzt doch nur durch Kämpfe durchgesetzt. Gesucht hat kein Theil diese Kämpfe, beiderseits hat man lange genug gewartet, bis man den vollen Krieg erklärte, aber man kam um die Entscheidung einmal nicht herum. Hier eben liegt die Bedeutung des Militärstreites für Wilhelms I. Leben und die Bedeutung Wilhelms für das preußische und deutsche Verfassungsleben. Er selber ging ja stets von jener kräftigen Auffassung seiner Krone aus, er entwickelte noch im Juni 1860 Max von Baiern seine Grundsätze genau so wie er sie früher aufgestellt hatte: die Zügel werde er sich schon nicht entgleiten lassen; er verglich die verfassungsmäßige Regierung mit der Regulirung eines Flußbettes, dem man auch seine festen Grenzen zu setzen und sie durch Dämme zu sichern habe, nicht zu eng und nicht zu weit, dem man aber auch nicht quer in seinen Strom hineinbauen dürfe, damit er nicht rückwärts staue und ringsum verwüste. Wir sahen, wie tief ihn damals bereits der Widerstand seines Landtages verletzt hatte und wie wenig er dessen Tragweite verkannte. Aber weder war sich der Prinz damals bereits der wahren Breite der bestehenden Gegensätze ganz bewußt, noch vollends war er in sich selber ganz sicher oder gar schon entschlossen, aus seiner Auffassung die vollen praktischen Folgerungen zu ziehen, den Kampf auf Tod und Leben schon aufzunehmen. Soeben noch hatte er, nicht allzu preußisch, davon gesprochen, wenn sein Lieblingsplan nicht durchgehe, so habe er zurückzutreten, er, nicht die Minister, wie es sonst normal sein würde. Dem Könige von Baiern, der ihn vor traurigen Erfahrungen warnte, antwortete er noch ziemlich getrost, er hoffe mit Preußen die richtige Mittelstraße zu gehn. Erst ganz allmählich sollte er sich nach seiner Art, hierin wie in seiner deutschen Politik, aus dem Systeme wirklich lösen, dem er sich nun einmal seit 1858 angeschlossen hatte. Und wieder ist es die Aufgabe, zu verfolgen, wie ihm Schritt für Schritt die Erkenntniß kam, daß er thatsächlich werde streiten müssen und worum; wie er dann Schritt für Schritt, lange noch widerstrebend oder doch zögernd, weitergegangen ist. Vergeben hat er sich dabei niemals etwas. Er hatte das Recht, in heiligem Selbstgespräche, [599] in der Neujahrsstunde von 1867 von seiner „gewissenhaften Ueberzeugung“ zu sprechen, nach der er die Krone gegen die „neuen Institutionen“ geschirmt habe in schweren Kämpfen. „Diese Kämpfe haben mich tief erschüttert, weil ich Stand halten mußte gegen ein wirres Andrängen gegen jene irdische Macht, die ich nicht aus den Händen geben durfte, wenn Preußens Geschichte nicht aufgegeben werden sollte.“ Die Ueberzeugung war stets in ihm; sie bis zum herrschenden Gefühle, bis zur Alles wagenden That zu steigern, hat es doch einer geraumen Zeit und mancherlei Anstöße bedurft. Es ist wieder der alte Hergang in ihm: allmählich wird – vom December 1859, vom März 1860 ab, deutlicher dann erst 1861 – der Kern seiner Persönlichkeit wieder frei, sein Altpreußenthum. Er geht dabei aus von Preußens Weltstellung und Wehrmacht: die hat er gleich festgehalten, und es ist die eine seiner großen, ganz persönlichen Leistungen, daß er das Heer herstellte, alles Weitere im Innern und Aeußern floß davon aus. Er geht weiter zur Vertheidigung des altpreußischen Charakters des Staates, der Verfassung: daß er auch da festhielt, ist die zweite jener Leistungen. Ein Jeder mag urtheilen wie er will, bestreiten kann es Niemand, daß Wilhelm I. in den Kämpfen die er 1860 widerwillig aufnahm und 1861 und 62 bewußt erfaßte, der preußischen und damit der deutschen Verfassungsentwicklung die Bahnen gewiesen hat, entscheidend bis zum heutigen Tag. Er hat der Krone die Selbständigkeit gewahrt oder wiedergewonnen; er hat ihr den Platz über den Parteien und Ständen fest angewiesen. In beiden Rücksichten sind die ursprünglichsten Kräfte seines Wesens in die Welt hinein wirksam geworden.

Die Stufen seines Weges sollen hier hervorgehoben werden. Im Mai 1860 war die Session des Landtages geschlossen worden, den Sommer erfüllte vorwiegend die äußere Politik, im September, bei den Vorbereitungen auf das nächste Etatsjahr, vereitelte Wilhelm einen vom Finanzminister geforderten, nicht einmal hohen Abstrich am Militärbudget nur dadurch, daß er seine Abdankung in die Wagschale warf; schon hatte er „eine sofortige Resignations-Urkunde“ aufgesetzt. So scharf principiell behandelte er selbst die Nebensachen der Militärfrage; so wenig überdies fühlte er sich seines eigenen Ministeriums sicher. Seitdem wuchsen die Anstöße; immer lebhafter forderte die liberale Partei die Absetzung gewisser, besonders schwer belasteter conservativer Beamten. Wilhelm und Roon schritten in der Festigung der Neuorganisation immer weiter. Im Januar 1861 trat der Landtag wieder zusammen. Im Herrenhause drückte Wilhelm durch schneidende Schärfe des persönlichen Eingreifens die Annahme der Grundsteuer durch, deren er zur Deckung der Heereskosten dringend bedurfte. Im Abgeordnetenhause gab es über deutsche und europäische Politik unerfreuliche Verhandlungen, die Ministerium und Kammer einander nicht näher brachten; die Kosten für das Heer wurden trotzdem noch einmal auf ein Jahr bewilligt, aber unter allerlei staatsrechtlichen Vorbehalten, mit der Absicht, 1862 ein neues Wehrgesetz zu erzwingen und dann in Sachen der Dienstzeit und Landwehr den Willen der Liberalen durchzusetzen. Den König erregten diese Debatten, durch Monate hindurch fortgesetzt, auf das tiefste.

Denn am 2. Januar 1861 war Wilhelm I. König geworden. Mit schmerzlicher Trauer erwies er seinem Bruder die letzten Ehren, und in hohen Ehren hat er ihn bis an sein eigenes Ende gehalten; es mag wahr sein, daß er sich erst den Todten eigentlich idealisirt hat. Man hat beobachten wollen, er selber sei ihm von da ab in seinem Empfinden verwandter geworden, ein Hauch von Friedrich Wilhelms IV. Mystik sei auf den Nachfolger übergegangen. Der Verstorbene hatte einmal geheimnißvoll geäußert: „es gibt Dinge, die man nur als König weiß, die ich selber als Kronprinz nicht gewußt und nun erst als [600] König erfahren habe“. Von dem eigenthümlich Träumerischen, das bei Friedrich Wilhelm auch diese Worte erfüllt, hat Wilhelm I. nichts übernommen, an eine besondere Erleuchtung, die dem Herrscher werde, hat er sicherlich nicht geglaubt. Aber auch ihm sah die Welt als Könige offenbar ein gut Theil anders aus, denn als Prinzen, selbst als Prinzregenten. „Der gewaltige Abschnitt meines Lebens“, schrieb er am 25. Januar 1861 an Natzmer, „der mich noch spät im Alter trifft, war zwei Jahre lang vorbereitet, aber dennoch ist der Abstand gegen früher gewaltig“. Die Verantwortung, die auf ihm lag, nahm jetzt doch noch eine andere Form an, sie wurde noch persönlicher, weihevoller, tiefer; sie wurde zugleich freier, fast leichter, insofern er künftig auch seinem Empfinden nach, nicht nur wie bisher den Thatsachen nach, keinem einzelnen Menschen mehr innere Rechenschaft schuldete. Er war jetzt selber der Souverän. Er empfand das Königthum, das ihm nun zufiel, mit bescheidenem Stolze, als eine Würde, die unmittelbar von Gott käme; auch dieses Verhältniß hat er einfach und klar aufgefaßt, mit seiner männlichen Frömmigkeit, die von derjenigen des Bruders auch künftighin verschieden blieb. „Furchtbar ist die Zeit, in der wir leben! Alles wanket, nirgends Treue und Glauben.“ Da stärkte ihm die göttliche Weihe des höchsten Amtes das Herz. Und mit der vollen Weihe wollte er dies Amt übernehmen. Er dachte daran, nach früherer Art die Erbhuldigung zu verlangen; einer jeden Feierlichkeit dieser Art war das aufgeklärte Gefühl der Zeitgenossen ungünstig, die Erbhuldigung fand noch ihre besondere Schwierigkeit in der Frage, wer denn huldigen solle? es schien, die Stände von ehedem; eben deshalb war die Kreuzzeitungspartei für diese Form. Die Minister widerstrebten heftig, lange zogen die Streitigkeiten sich hin, bis zuletzt an die Stelle der Huldigung ein Anderes trat, das die Minister dulden konnten, während der König es sich mit besonderem Inhalte erfüllte: die Krönung. Es war die erste seit 1701; jetzt, da neben das Königthum neue Institutionen getreten waren, mochte die Krönung des ersten, von Anbeginn her constitutionellen Königs die neue Epoche sichtbar einführen, und zwar, so deutete er es sich, sollte sie zeigen, daß die Krone auch jetzt noch Etwas für sich geblieben sei, keine Gabe aus Menschenhand. So sprach er in Königsberg, im October 1861, im voraus zu den Kammern, die den König zu berathen, zu den Vertretern des Heeres, die ihn gegen jeglichen Feind zu vertheidigen hätten, so nahm er am 18. October in stark betonter Symbolik die Krone „vom Tische des Herrn“ und setzte sie sich selber auf das Haupt, so verkündigte er in entschiedener Rede ihre unantastbare Heiligkeit und hob das Gottesgnadenthum hoch empor. Die Worte mochten Manchem – denn sie gingen weit – anstößig, manchem Weisen altfränkisch und leer erscheinen: ihm waren sie feierlicher Ernst; seine Stimmung war gehoben und königlich. Seinem Volke dankte er bald nachher bewegt für seine „herzerhebende“ Feier dieser Tage; er athmete offenbar frei und stolz auf. Schon hatte er damals Bismarck und Roggenbach über die deutsche Frage gehört, Schleinitz durch Bernstorff ersetzt. Man kann sagen, daß der 18. October ihm einen Höhepunkt, eine Art Abschluß oder doch den vornehmsten äußerlichen Ausdruck seiner innerlichen Befreiung und Erhebung, einer schwer errungenen neuen Selbständigkeit bedeutete.

Denn das ganze Jahr 1861 war ihm in schweren Seelenkämpfen vergangen; jene Befreiung aus einer für ihn falschen Lage war unter steten inneren Schmerzen vorwärtsgerückt.

Während der Landtag im Frühjahr verhandelte, arbeitete sich in König Wilhelm das volle Bewußtsein seines Gegensatzes zu den Parteibestrebungen durch. Zu Bernhardi sprach er es Ende April scharf aus: „nicht der König [601] soll regieren, sie wollen regieren“. Das könne und dürfe aber in Preußen nicht sein. Im Mai kam es zwischen dem Abgeordneten Karl Twesten und dem Chef des Militärcabinetts und nahen Vertrauten des Königs, Edwin v. Manteuffel, den jener angegriffen hatte, zum Duell. Wilhelm mußte den General für eine Weile von seinem Amte suspendiren. Außer sich schreibt er in der Nacht des 27. Mai an Roon: „in diesem Moment Manteuffels Dienste zu entbehren, den Triumf der Démocratie ihn aus meiner Nähe gejagt zu haben, das Aufsehen, was dieses Ereigniß in meiner allernächsten Umgebung machen muß, das sind Dinge, die mir fast die Sinne rauben können, weil es meiner Regierung einen neuen unglückseligen Stempel aufdrückt!! Wo will der Himmel mit mir hin!“ Da sah er sich der „Demokratie“ im allgemeinen gegenüber; der eigentliche, greifbare Kampf vollzog sich in seiner höheren Umgebung, im Ministerrath. Der Minister Schwerin – und damit der König – wird gedrängt, den reactionären Polizeipräsidenten zu entlassen; der König klagt zürnend, man wolle ihn von allen getreuen Dienern seines Bruders trennen: „dann kommt es zu einem Bruch!“ Vor allem, die Minister selber fordern von ihm liberale Gesetze, denen er widerstrebt; immer deutlicher wird der innere Spalt; seit dem Januar, so hören wir, blieb die Ministerkrise chronisch. In diesen Kämpfen, in denen er selber doch noch nicht das äußerste wagte und blutenden Herzens noch zurückwich, ist ihm nun Albrecht v. Roon in neuer Art zur Seite getreten, nicht mehr als Kriegsminister bloß, obwol er auch als solcher schon, wie die Dinge lagen, ein eminent politischer Minister sein mußte, sondern als Gewissensrath, als Sprecher der eigenen, noch nicht durchgedrungenen Gesinnung des Herrschers, als Vertreter des altpreußischen Wesens selbst. Erst von diesem Frühling 1861 ab hilft er im vollen Sinne dem Könige die Last des innerlichen Streites tragen und wird er, bis der Größere kommen könne, im stillen gewissermaßen der erste seiner leitenden Minister. Roon hatte die Erklärung vom 8. November 1858 stets in der conservativen Auslegung aufgefaßt, deren sie ja fähig war. Jetzt, im März und April 1861, ging er zum offenen Angriff auf die Deutung der Anderen über. Wir besitzen die Briefe, mit denen er, nach stürmischen Sitzungen, dem Könige den Muth zu stählen unternahm, Briefe voll von Herzenswärme, freimüthig bis dicht an die Grenze des einem Officier Erlaubten, tapfer, männlich und scharf in Gesinnung und Rathschlag, einherschreitend „mit Worten wie von blinkendem Stahle“. Roon hat den König widerstrebend nachgeben, er hat „in seines geliebten Königs Augen Thränen gesehn, die ihn mit Schmerz und Grimm erfüllten“, er ist „so unglücklich, seinen theuern König in so tiefem Leid, in so schwerer Gewissensangst zu wissen“. Er fürchtet für das Land „den schwersten aller Verluste, den Verlust seines Königs“. Da muß er es aussprechen, daß der König sich von seinen Ministern nicht zurückdrängen lassen darf. Soll ein Wechsel eintreten, dann treffe er nicht den Herrn, auch nicht einmal das System, sondern die vom Könige in irriger Wahl berufenen Diener. Es geht nicht an, so wiederholt Roon seinen Satz von 1859, daß diese ihm ihren Willen aufzwingen; in Preußen regiert nicht die Partei durch die Minister, sondern es regiert die Krone. Roon unterscheidet scharf zwischen dieser Krone und dem „Scheinkönigthum Belgiens, Englands oder Louis Philippes“. Er geht soweit, die sehr eigenthümliche Theorie aufzustellen, ein König von Preußen sei nicht einmal an die Verheißungen der Verfassung gebunden, denn die Verfassung sei aus freiem königlichem Entschlusse erlassen worden, also auch ihre Erfüllung „an fernere freie königliche Entschließungen geknüpft“. Auf festerem Boden befand er sich, wenn er dann fortfuhr: „Preußen bedarf nach seiner ganzen Geschichte, zu seinem Heile eines ganz ungetheilten [602] königlichen Willens“. Und er berief sich auf die Armee, die an jeder Schwächung der Krone Aergerniß nehme, wies warnend auf die Möglichkeit einer Erschütterung dieses rocher de bronce hin. Da traf er das Herz des Königs: „das überlebe ich nicht!“ schrieb Wilhelm an den Rand des Briefes. Roon aber rieth ihm, diese Minister zu entlassen, die durch ihre Vergangenheit der Partei verpflichtet seien, und sie durch Männer nicht etwa der Gegenpartei, sondern lediglich des königlichen Dienstes, durch tüchtige Beamte zu ersetzen. „Minister mit einer parlamentarischen Vorgeschichte sind Ew. Majestät Ruin.“ Zwei Wege hat der Herrscher vor sich. Er kann nachgeben, sich und seinen Staat aufgeben, ein neues Belgien entstehen lassen: die Bürgerkrone und der Beifallsjubel werden nicht fehlen. Er kann das Phantom, das ihn einschüchtern soll, verscheuchen und die Fesseln abstreifen, „die Ihr edles Selbst jetzt gefangen halten“, er kann „die Fesseln des Adlers lösen“ durch rechtmäßigen Entschluß, die preußische Vergangenheit wahren. „Dieser Weg führt auf freilich anfangs rauher Bahn, aber mit allem Glanz und aller Waffenherrlichkeit eines glorreichen Kampfes zu den beherrschenden Höhen des Lebens; es ist der Preußens Könige allein würdige Weg.“ Stolzer und furchtloser hat wol kein Diener zu seinem Herrn gesprochen; der große Stil der Sprache und die Kraft des staatsmännischen Willens kommen einander gleich. Roon erreichte seine Absicht, der König richtete sich selbstbewußter empor. Er entzog sich den Gesetzesforderungen Schwerins; er behauptete dann im Sommer in jenem Streite um die Erbhuldigung wenigstens das wesentliche seiner Ansprüche in der Krönung; er war um Ende Juni dicht daran, das Cabinett zu entlassen, und als er sich im Juli mit ihm versöhnte, sprach er doch offen aus, der Wille des Königs stehe über dem der Minister: wer sich aus Gewissensüberzeugung seinem Entscheide nicht fügen könne, müsse allerdings zurücktreten. So war der fast wichtigste Fortschritt in Wilhelms Inneren und in seiner Haltung gewonnen worden: den Grundsatz hatte er sich neu erstritten und war in dessen Bahnen auch praktisch hinübergelenkt; gerade in diesem Sommer bekannte er es auch nach außenhin, daß er Parteikönig in keinem Sinne sein wolle. Nur war damit noch keineswegs ein Abschluß erreicht: die volle That ging hier wie immer bei Wilhelm aus der nun ganz errungenen Erkenntniß doch erst langsam hervor. In den letzten drei Monaten des Jahres 1861 wiederholten sich die Zusammenstöße zwischen Regierung und Herrscher, aber auch da wieder wurde der Riß noch einmal übertüncht.

Inzwischen hatte die Volkserregung sich gesteigert, Becker hatte auf den König geschossen, die Fortschrittspartei sich gebildet, und die Wahlen für 1862 trugen sie in stattlicher Zahl in den Landtag hinein. Von Januar bis März 1862 maß sich die neue Kammer mit dem Ministerium, in heller Feindseligkeit; die hessische, die deutsche Frage ward zum Streitgegenstand, man verstand und fand einander nicht mehr; über den Militärfragen kam es dann ganz zum Bruche. Das Abgeordnetenhaus schnitt der Reorganisation die finanziellen Mittel völlig und bereits für 1862 ab, es wurde aufgelöst, der König und die liberalen Minister vermochten sich über die Zukunft nicht zu einigen und nunmehr endlich zog Wilhelm aus dem Verlaufe der letzten zwei Jahre die Folgerung. Am 17. März wurde das Ministerium in conservativem Sinne umgestaltet, unter dem Präsidium Hohenlohes[WS 32] verblieben an den entscheidenden Stellen Bernstorff und Roon.



Mit tiefer Bitterkeit hatte der König schon vor Monaten in Gesprächen von der gepriesenen Liebe seines Volkes geredet, auf die er gar nichts geben [603] könne, von der Verblendung, die sich nicht belehren lassen wolle; er selber hatte sich dabei zu „conservativ-constitutioneller“ Gesinnung bekannt. So erklärte es auch der Wahlaufruf, den er im März ausgehen ließ: eine Wiederaufnahme der Proclamation vom November 1858, mit ausdrücklicherer conservativer Erläuterung: Krone und Parlament, Fortschritt und Erhaltung nebeneinander! Der Erfolg aber blieb aus, die Wahlen brachten im Mai dem entschiedenen, ja dem radicalen Liberalismus eine überwältigende Mehrheit.

Was sollte da geschehen? Aus den Briefen altliberaler Beobachter erklingen in jenen Jahren sehr eigenthümliche Urtheile über das, woran es in Wilhelms Umgebung fehle und was kommen müsse. „Es fehlt, so klagt H. Baumgarten im Januar 1861, in Preußen jede Tradition großer Politik, jedes sichere Selbstbewußtsein, jede höhere Kraft, jede überlegene Intelligenz. Ein Ministerium von einiger Schneide würde mit diesem Könige sehr erhebliche Dinge ausrichten, aber sie stehen sammt und sonders einige Kopflängen unter ihm“. Der Fürst von Hohenzollern gestand im December 1861 dem mahnenden Max Duncker, woran es ihm selber mangele: er verehre Wilhelm I. aus tiefster Seele, ja nur allzu unbedingt. „Um gründlich zu helfen, gehört aber dem Könige gegenüber ein eiserner Charakter, der, rücksichtslos die edlen Seiten desselben ignorirend oder ihnen Schach bietend, auf das Ziel hinarbeitet, welches als das dem Staatswohl entsprechende anerkannt wird.“ Duncker predigte dem Kronprinzen seit dem Beginn von 1862 die Dictatur der Krone als einzigen Ausweg, eine im Sinne des gemäßigten Liberalismus, mit Hülfe der Armee zu übende Dictatur, die der politischen Erziehung des irrenden Volkes dienen würde; er fand indeß bereits im März auch die conservative Dictatur, die Berufung des Herrn v. Bismarck, erträglicher als die bisherige Zerfahrenheit. Gerade ein Jahr zuvor hatte Baumgarten, an dieser Zerfahrenheit und thatlosen Ueberklugheit verzweifelnd, geschrieben: „hier müßte ein großes Genie oder ein gewaltiger Tyrann aufstehen; in Berlin wird aber ein solches Wesen sicher nicht groß“. In der Gesammtheit dieser Aussprüche war der Weg ungefähr bezeichnet, den die Zukunft dann, zuletzt doch überraschend und eigen, nehmen sollte; aber noch immer war er nicht endgültig eingeschlagen. Das Ministerium vom März 1862 war dem Könige congenialer als das der Neuen Aera, aber zu großen Dingen war auch dieses nicht fähig, weder nach seinen Personen noch nach seinen Tendenzen; in seiner Färbung war es einigermaßen matt, noch im April betheuerte der König mit einiger Entrüstung, ein Kreuzzeitungsministerium wolle er nicht und niemals. Als dann freilich, in demselben Monat, die Minister den ernsthaften Versuch machten, am Militärbudget zu sparen, war es wieder der Herrscher, der dabei nur widerstrebend mitging und das Maß der Concessionen nicht nur hinter des Finanzministers v. d. Heydt, sondern selbst noch hinter Roons Vorschläge zurücksteckte. Er wich also in der Hauptfrage nicht zurück, in allem Andern wünschte er noch immer entgegenzukommen und zum Kampfe um jeden Preis war er noch keineswegs entschlossen. Das ist der Eindruck, der sich auch aus Roons Briefen in jenem Frühjahr und Sommer vornehmlich ergibt. Trotz dem Umschwunge im März „knarrt der neue Apparat noch zu vielfältig“, ja, der König lebt des Irrthums, die Regierungsmaschine müsse auf Friction eingerichtet sein und „immer hin- und hergehn“; „es laufen auch allerlei Intriguen nebenbei“: man hat dabei wol an Einflüsse in der königlichen Familie, zumal an den der Königin zu denken, die von diesen Zeiten ab den Gegensatz gegen die conservativere Wendung ihres Gemahls und gegen seine dabei mitwirkenden Minister niemals wieder aufgegeben hat. „In gewissen [604] hohen Regionen, schrieb Roon kaustisch am 16. Juli, bin ich immer entschiedener la bête, in andern das pis-aller, der Nothnagel vollsten Vertrauens“. Er sah die Dinge doch schließlich ernster und ernster werden. „Mir ist zu Muthe wie den Kämpfern in einem Gottesgerichte zu Sinn gewesen sein mag“ (2. Aug.). Nur vor seiner eigenen Unzulänglichkeit habe er Furcht. Denn das war in all diesen Monaten sein erstes und letztes Wort: wir haben in unserer Regierung kein führendes Haupt. Auch er lenkte immer wieder in jene von seinen altliberalen Gegnern aufgestellte Forderung zurück: ein wirklicher Staatsmann, ein Mann der entscheidenden That muß an die Spitze treten.

Man versuchte es mit den Mittelwegen und der Mittelmäßigkeit, so lange es nur ging. Im neuen Landtage gehörte die Zeit vom Mai bis in den August hinein mehr den Vorbereitungen; Gewichtiges geschah damals nur in der auswärtigen Politik. Da brachte der vorläufige Abschluß des Handelsvertrages zwischen Preußen und Frankreich (März), der erneute Einspruch Oesterreichs gegen dessen Annahme durch den Zollverein (Mai), der Conflict, der innerhalb des Vereins darüber ausbrach, der nunmehr offen eingereichte Antrag des Kaiserstaates auf seinen eigenen Eintritt in den Verein (Juli), das entschlossene Vorwärtsgehen Preußens die ganze Gespanntheit der deutschen Lage zum Ausdruck. Der Vertag mit Frankreich wurde am 2. August unterzeichnet. Und seit Anfang Juli beriethen zu Wien die Vertreter Oesterreichs und seiner mittelstaatlichen Freunde über den praktischen Beginn einer Bundesreform im Beustschen Sinne. Bernstorff lehnte auch diesmal die Theilnahme an den Conferenzen ab, erkannte das junge Königreich Italien an, wies dann im August die Bundesreformpläne von neuem ausdrücklich zurück, indem er die preußischen Pläne einer wirklichen nationalen Einheit darwider ins Feld rief. Die Kriegsgefahr trat damit sichtbar hervor, und Oesterreich hatte in Europa mehr Gegner als Freunde. Gleichzeitig hatte sich die hessische Sache zum offenen Conflicte gesteigert. Nicht ohne Bedenken scheint König Wilhelm jetzt diesen Boden des Gegensatzes von 1850, von dem aus man damals nach Olmütz geführt worden war, beschritten zu haben; aber Preußen hatte sich einmal für das „Recht“ der hessischen Verfassung verbürgt. Noch im März 1862 ging es dabei am Bundestage mit Oesterreich Hand in Hand gegen den Kurfürsten vor; als dann aber dieser widerspenstig blieb, war es Preußen allein, das ihm (vom Mai ab) mit wachsenden Drohungen unmittelbar auf den Leib rückte. Zwei Armeecorps wurden bereit gestellt; der Kurfürst gab, wenngleich nicht unmittelbar Preußen sondern nur dem Bundestage gegenüber, jetzt nach. Roon war mit dem Vorgehen seines Staates in jeder Hinsicht unzufrieden. Nicht so sehr, weil es ihn ärgerte, daß Preußen sich für die Tendenzen des Nationalvereines ins Zeug lege, denn er gestand zu, daß es jetzt schon nicht mehr zurückkönne; dagegen fand er (4. Juni) auch jetzt die preußische Politik steuerlos, „Wollen und Nichtwollen balanciren sich fortwährend“; er fand nachher die Nachgiebigkeit des Kurfürsten unsicher, Preußen düpirt und trotzdem wieder unentschlossen; ihm ergab sich aus diesen Erfahrungen von neuem die Nothwendigkeit energischer Thaten und zugleich die Unfähigkeit dazu. Bestehen blieb in der That die Möglichkeit, daß der Kurfürst von neuem ganz abschwenkte, und sie ist späterhin eingetroffen; was dann? Wollte Preußen wirklich die Waffen für die hessische Verfassung ergreifen, während es im eigenen Hause den Verfassungsconflict emporwachsen sah? Wollte es den Kampf um Deutschland, der hier jeden Augenblick losbrechen konnte, aufnehmen? War es entschlossen, die Consequenzen seiner Forderungen und der deutschen Lage zu ziehen und einmal Alles an Alles zu setzen? [605] Roon zweifelte daran. Und doch lag, wie man auf allen Seiten längst einsah, der Schlüssel zur Besserung auch der inneren preußischen Verhältnisse in der auswärtigen, der deutschen Politik. Würde man ihn jetzt zu fassen und zu verwenden wagen? Innen und außen stand Alles auf der Spitze des Schwerts.

Soweit war Wilhelm I. gekommen. Man wird urtheilen müssen: seit dem März 1862 war Preußen in seiner äußeren Bethätigung vorgerückt; unzweideutig sah es sich durch seine eigenen Anläufe und die gesteigerte Gegenwirkung seiner Nebenbuhler auf künftige Kämpfe hingewiesen; über die bloß „moralischen Eroberungen“, mit denen der König, auch in der hessischen Frage, begonnen hatte, drängte es ihn weiter. Dreierlei ist gewiß: einmal, daß bis zu diesem Augenblicke Wilhelm die Leitung seines Staates in Allem wesentlich selber geführt hatte – er war vielfach durch die Ereignisse fast wider Willen geschoben, durch gewichtige Berather bestärkt worden, aber Niemand stand im Ganzen handelnd neben oder vor ihm. Zweitens: er hatte jetzt die Bahnen der Neuen Aera überall verlassen, im Aueßern wie im Innern war er in die Richtung einer energischen preußischen Eigenpolitik, in die richtigen Bahnen zurückgekehrt, und geschlagen war er nirgends. Ueberall war der Grund wirklich gelegt worden. Aber war mehr als das geschehen? Offenbar nicht. Offenbar – das ist das Dritte – hatte seine neue Politik, auch jetzt noch, nirgends einen Erfolg errungen. Und war die persönliche Voraussetzung zu solchen Erfolgen da? Roon bestritt auch dies. „Mehr Muth! mehr energische Thätigkeit nach außen und innen! mehr Handlung muß in dies langweilige Ifflandsche Familiendrama gebracht werden, oder wir sterben an allgemeiner Geringschätzung!“ (an Bismarck 26. Juni). Die Laune des Herrn, setzte er hinzu, sei sehr finster und keine Aussicht, daß sie rosiger werde. Und sicherlich war das begreiflich genug. Mit ehrlichster Meinung war der König in sein Amt eingetreten; jetzt stand er isolirt, seine eigene Gemahlin, sein Sohn ihm entgegen, sein Land ihm feindselig, die Kammer radical, nichts als Nöthe an allen Enden. Er verlor die Freudigkeit. Er war ein Mann von 65 Jahren. Er konnte seine Art und seine Ueberzeugung, das eben wieder von neuem durchgekämpfte Ergebniß seines langen Lebens, nicht wieder ablegen. Die Zeit ringsum forderte etwas Anderes, Etwas, das er nicht vollziehen konnte. Vor dem Kampfe, dem harten inneren Conflicte inmitten einer drohenden Welt, bebte er zurück; die Frische, das Selbstvertrauen, wenngleich durchaus nicht der physische Muth, fehlten ihm dazu. Er traute es sich nicht zu, die Welt zu überwinden. Und mit Recht: denn die activen Kräfte dazu hatte er nicht. Und da er sich nicht beugen wollte, so blieb ihm im Grunde nur Eines: der Rücktritt. Die Gedanken an den Rückritt erheben sich demgemäß im Jahre 1862 von neuem und füllen den Vordergrund seines Empfindens. Er war dieser Lage gegenüber hülflos. Er war, bei Allem, was er geleistet hatte, unzweifelhaft mit seinen Mitteln am Ende.

Da wandte er in der höchsten Noth das letzte aller Mittel an, dasjenige, das er Jahre lang von sich gewiesen hatte. Er berief Bismarck.

Wilhelm kannte den Herrn v. Bismarck seit langen Jahren. 1848 hatte der streitbare Wortführer der Junkerpartei manchmal mit ihm verhandelt und ihn zu lau gefunden, 1850 hatte er Olmütz vertheidigt, von 1851 ab, in Koblenz und Frankfurt, waren sich die beiden Männer, wir sahen es, nähergerückt, beide vom gleichen, preußischen Streben getragen, aber in wichtigen Dingen doch sehr verschiedener Ansicht. Sie hatten 1858, als eben der Prinz die Regentschaft zu ergreifen sich anschickte, mit Nutzen und nicht ohne Freude zusammengearbeitet. Von da ab war Bismarck nie wieder aus dem Gesichtskreise [606] des Herrschers entschwunden. Freilich 1859 mußte er nach Petersburg ziehen, und wenn er damals in Berlin seine hohen Pläne vortrug und Wilhelm sie anhörte, so wies dieser doch den Gedanken, ihm das auswärtige Amt zu übertragen (ein Gedanke, den eine Ueberlieferung doch wol mit Unrecht bereits bis in den Frühling 1858 hinaufverlegt) mit großer Schärfe zurück: „das fehlte jetzt gerade noch, daß ein Mann das Ministerium übernimmt, der Alles auf den Kopf stellen wird“. Auch Fürst Hohenzollern erklärte ein Jahr darnach, soweit sei man denn doch noch nicht, „den Bock zum Gärtner zu setzen“. In Berührungen blieb man immer mit ihm; seit 1860 war er Roons stiller, später sein offener Candidat für die Ministerschaft. Wie Bismarck damals dachte, ist bekannt. In die Kreise der Neuen Aera paßte er nicht hinein; auch nicht in die Kreise des Regenten und Königs, wie sie damals waren. Weshalb aber eigentlich nicht? Man kann nicht sagen, daß damals die Ziele des Gesandten und des Herrschers soweit auseinandergegangen wären. Im Innern wollte auch Bismarck ehrliche Anerkennung der Verfassung unter Wahrung einer beherrschenden Krongewalt; ja, er war geneigt, die Verfassung in irgendwelcher Form auf Deutschland auszudehnen. Unbekannt waren diese Tendenzen Wilhelm nicht; hätte er sie vielleicht, bei diesem Manne, nicht ganz für ernst genommen? Nach außen wollte Bismarck die Auseinandersetzung mit Oesterreich und zwar, im Grundsatze, die gewaltsame. Daß diese einmal unerläßlich sein würde, war auch Wilhelm wohlbewußt, und der Größe Preußens wollte ja auch dieser nichts vergeben. Den Mittelstaaten gegenüber wollte der Staatsmann rücksichtsloseren Zwang anwenden als der Fürst; aber auch Wilhelm war in dem, was ihm das wichtigste war, im Militärischen, zu einer Einfügung der Dynastien in das preußische System entschlossen oder doch von der Nothwendigkeit solchen Entschlusses durchdrungen; und Bismarck war kein 48er, keineswegs auf gewaltsame Beseitigung oder auch nur Brechung dieser Dynastieen, sondern lediglich auf ihre Einengung bedacht; als er zum Könige darüber sprach, trat auch er für die möglichste Schonung der Souveräne ein. Innerhalb der europäischen Welt sollte Bismarck angeblich französischer sein als es Wilhelms Gefühle, wie es sich 1860 so ritterlich bewährt hatte, entsprechen könnte. War der König wirklich in der Lage, dem Gesandten, dessen Berichte er doch kannte und dessen Gesinnungen man in Berlin mündlich „genau gesiebt“ hatte, Gelüste auf Abtretung rheinischer Lande an Napoleon zuzutrauen? Dagegen spricht jede Wahrscheinlichkeit. Die politischen Freunde Bismarcks wußten ja, daß, wenn er einem Teufel verschrieben wäre, es ein teutonischer war und kein gallischer; schwerlich ist Wilhelm darüber im Zweifel gewesen. Bismarck war vielleicht nur ein Stück bereiter, dem Franzosenkaiser die Hand zu reichen, als sein Herr; indessen hatte auch dieser jederzeit mehr Rücksicht auf Napoleon verlangt und gezeigt, als wenigstens die Genossen Friedrich Wilhelms IV. gewünscht hatten. In all diesen Beziehungen war den beiden Männern Eines gemeinsam, gerade das Specifische in ihnen: die ausschließlich preußische Gesinnung. Nicht diese Ziele, auch nicht wichtige Einzelheiten des politischen Programmes waren es, die sie trennten, sondern die Energie in der Verfolgung der Ziele. Dem Preußischen, Deutschen, Europäischen gegenüber – überall war doch ein Gradunterschied zwischen Wilhelm und Bismarck vorhanden; überall wollte der Zweite etwas mehr, war er freier, rücksichtsloser, kühner. Was er der preußischen Regierung seit 1858 vorwarf, war ihre Mattigkeit. Seitdem hatte sich Wilhelm dem Bismarckischen Standpunkte, der im wesentlichen vordem sein eigener gewesen war, wieder mehr und mehr angenähert. Aber ein Gradunterschied bestand noch immer. Und er war entscheidend. Erst wenn der Strom dieses preußischen Willens, [607] der durch sie beide floß, die Tiefe, die Höhe erreicht hatte wie in Bismarcks Seele, erst dann war er fähig, die Ufer zu übersteigen und seinen befruchtenden Segen weit über die Niederungen auszugießen, die nach ihm schmachteten wie Aegypten nach der Ueberfluthung des Nils. Das Schöpferische begann erst in der Höhe Bismarcks. Allmählich erst wuchsen die Gedanken des Königs dieser zu. Erst wenn sie bis dahin gestiegen wären, konnte Bismarck mit Nutzen berufen werden zu wirken.

Damit hängt auf das engste ein Anderes, ganz Persönliches zusammen. Die Bedeutung seines Staatsmannes verkannte Wilhelm nicht; er war dazu viel zu sehr Menschenkenner und hörte überdies zu viel von ihm. Es lag in der Luft, daß dieser Mann einmal Minister werden müßte; kühne Geister hatten es stets gefordert, seit Jahren graute jetzt den Liberalen davor, alle Parteien rechneten damit; immer wieder berieth der König mit ihm. Aber soweit man aus Erzählungen und Gerüchten, aus Anspielungen und den Thatsachen selbst, soweit man namentlich aus der innern seelischen Wahrscheinlichkeit das Verhältniß der beiden ahnend erschließen kann, so stand ein starkes Hinderniß zwischen ihnen: eine ganz ausgeprägte Abneigung des Königs. „Er selbst passe nicht für den Prinzen, der sehr sanft behandelt werden müßte“, äußerte Bismarck im Juni 1858 zu Gerlach. Dem Könige war er der Unberechenbare, Stürmische, Gewaltsame; noch galt, wie es Bismarck 1862 einmal ausdrückte „seine alte Reputation von leichtfertiger Gewaltthätigkeit“, man traute ihm Alles zu; auch Friedrich Wilhelm IV. hatte den „rothen Reactionär“ ja zuerst mit einer gewissen Scheu seines zarten Empfindens von sich zurückgeschoben. Und ebenso zart empfand auch Wilhelm; er vertrug bedeutende Männer und ließ Roons herbe Männlichkeit weit gewähren; aber vor diesem Genius durfte der Sohn Friedrich Wilhelms III. wol ein gewisses Unbehagen spüren, vor diesem Gewaltigen, dessen Naturkraft über alles Correcte und Ueberkommene so souverän hinwegsprang, vor diesem Manne des kalten Ueberlegens und der heißen Leidenschaft, des überwältigenden, ungeheuren Willens. Die herzliche Tiefe dieser Persönlichkeit konnte der König noch nicht ermessen; von ihrer unbedingten Treue mochte er überzeugt sein; aber wohin Bismarck ihn reißen könnte, davor hat ihm, so darf man vermuhten, im Stillen gegraut. Seine eigene, vornehme, gerade Art, allem Dämonischen so ganz fremd, männlich aber milde, von jener Reinheit, die sich niemals beflecken kann, aber eben deshalb auch nicht dazu fähig ist, im harten Zusammenstoße des Weltlichen, im Gemenge der Politik das Große selber zu thun, das nun einmal nicht ausgeführt werden kann ohne den Griff auch in den Ruß und in den Schmutz hinein, ohne die Freiheit einer sich selber daransetzenden, verwegenen Entschließung – diese sittlich empfindliche Natur, die überdies die eigene, monarchische Würde sehr bestimmt empfand: sie wurde von Bismarcks dämonischer Kraft zurückgestoßen; sie mußte sich selber erst überwinden, ehe sie sich ihm anheimgab. Das war doch wol der Kernpunkt; alles Uebrige, der allgemeine Haß, in welchem der kecke Junker von 1850 in der öffentlichen Meinung, der Streiter von Frankfurt bei den ängstlichen unter den Eingeweihten stand, die tiefe Abneigung der Königin, die Scheu vor dem Eindrucke, den Bismarcks Ernennung also machen mußte und den Wilhelm noch nicht wagen mochte, das kam zu jenem Hauptmotive wol nur hinzu. Im Juli 1861 brachte die Besprechung über die deutsche Frage zu Baden die beiden Männer einander wiederum näher; jene Bedenken der innern Politik mochten auch dann noch bestehen bleiben, obwol ja Bismarck und die Kreuzzeitung thatsächlich durchaus nicht das Gleiche bedeuteten. Die Hauptsache blieb eben doch, daß der König in seinen politischen [608] Absichten, in seiner – man wird es sagen dürfen – politischen Nothlage und demgemäß in seiner persönlichen Empfindung erst noch ein Stück weiter vorrücken mußte, ehe er soweit war, Bismarcks Hand fassen zu können und fassen zu wollen. Die Ansichten blieben dabei leichter zu vereinigen als die Charaktere, die Temperamente. Zwischen ihnen stand Roon, sie verbindend: dem Könige vertraut durch seine soldatisch gerade und treue Art, mit Bismarck, von dem ihn immerhin manches trennte – denn Roon war conservativer als jener – doch in dem Entscheidenden ganz verwandt, in dem Drange auf die rücksichtslos die Wirklichkeit packende That.

Im Mai 1862, als eben von allen Seiten die Wolken sich dichter zusammenzogen, war Bismarck, von Petersburg abberufen, in Berlin; er hatte mit dem Könige, mit den Ministern eingehende Gespräche; dann wurde er, unerwartet genug, dennoch nach Paris weitergeschickt, freilich unter der königlichen Weisung, sich dort nicht erst wohnlich einzurichten. Noch immer kam Wilhelm nicht zu dem Entschlusse, ihn zu rufen; der Minister des Auswärtigen, Bernstorff, stand fortwährend im Begriffe, sein Amt mit einer Gesandtschaft zu vertauschen, Bismarck saß in der unbehaglichsten Stimmung in seinem Pariser Palais. Man dachte daran, ihm das Präsidium des Ministerraths vorläufig ohne bestimmtes Portefeuille zu übertragen; widerstrebend war er doch bereit, zur Noth selbst das anzunehmen. An Roon, der seine Ernennung beim Könige eifrig betrieb und die feindlichen Einflüsse wie Wilhelms eigene Scheu unablässig bekämpfte, während er auf den lange hingehaltenen Freund besänftigend einzuwirken trachtete, hat er damals die berühmten Briefe geschrieben, die in größerem Stile noch einmal ganz ähnliche Gefühle aussprechen, wie sie Roon drei Jahre früher, vor seiner eignen Berufung durchlebt hatte. Die Unlust, das Berliner Amt mit seinen Unklarheiten und Lasten auf sich zu nehmen, ist groß und sicherlich echt; offenbar ist, daß auch Bismarck sich zu diesem Amte nicht gedrängt hat; stärker aber, als es zu geschehen pflegt, wird man hervorheben dürfen, daß über all diese Aueßerungen der Abneigung doch ein starker Ton des Verlangens hinwegdringt. Im Grunde treibt es ihn doch, zu thun, wozu er geschaffen ist: er weiß genau, nur er kann die Aufgabe bezwingen, und er empfindet es sehr gut, daß nur diese, die höchste Aufgabe, ihm ganz genügen wird. „Nicht muthwillig, aber bereitwillig“ stellt er sich dem sorgenvoll mahnenden Freunde zur Verfügung. Er dachte, als bis zum 15. Juli nichts geschehen war, am besten dann berufen zu werden, wenn der Conflict mit der Kammer offen geworden wäre, d. h. im September; dann werde sein verrufener Name den Gegnern einen heilsamen Schrecken einjagen und es werde ihm gelingen, die Eingeschüchterten zu Unterhandlungen zu vermögen. Nicht auf den Conflict also meinte er loszusteuern.

In Berlin sah man die Lage mit gutem Rechte ernster. Der König war tief erregt; den liberalen Coburger Herzog befragte er (28. Juli) mit schneidender Schärfe über seine Haltung zu der preußischen Opposition, die das Heer ruiniren wolle, damit es ein Parlamentsheer werde und kein königliches mehr sei. Compromisse, so bezeugte Roon Ende August, wies er ganz von sich, „gefährliche Katastrophen“ waren also unvermeidlich. Die Entscheidung reifte heran. Den August füllten die Berathungen der Budgetcommission, ihr Ergebniß war die völlige Streichung aller Mehrausgaben für die Heeresorganisation, sowol für 1862 – auch soweit sie bereits geleistet waren – wie für 1863. Am 11. September begann die siebentägige Verhandlung im Plenum. Die „Kraftprobe“ zwischen Abgeordnetenhaus und Krone war gekommen. Den Ministern war schwül zu Muthe; sie standen vor der Aussicht, ein Budget [609] nicht zuwege zu bekommen, eine Einigung mit dem Landtage niemals wiederzufinden. Sie boten dem Hause ein Wehrgesetz für die nächste Session, baten dringend, die schon verausgabten Kosten inzwischen zu bewilligen. Vergebens: die Gegensätze hatten sich allzuweit verschärft, einen anständigen Mittelweg vermochte in Wahrheit wol keiner der beiden Theile mehr einzuschlagen. Ein Antrag einiger Gemäßigten schien zwar noch einmal eine Versöhnung möglich zu machen: die Minister ergriffen ihn, Roon stellte gewisse Concessionen betreffs der zweijährigen Dienstzeit in Aussicht (17. Sept.). Es scheint daß es der Regierung damit Ernst gewesen ist, wie denn Roon selber in all diesen Zeiten auf seinem besonderen Gebiete stets bereit gewesen ist, entgegenzukommen, soweit er es eben vermöchte; die Sache war gewichtig, die Sitzung wurde vertagt. Sind wir recht berichtet – und es ist ein Augenzeuge der Ministerialverhandlung, der, aus dem Gedächtnisse, von den Hergängen erzählt hat –, so hätte Roon im Kronrathe Nachgiebigkeit empfohlen, für die er Gegenleistungen zu erobern hoffte, und die Uebrigen hätten ihm zugestimmt. Da aber habe der König rund heraus erklärt: auf die drei Jahre könne er nicht verzichten; ließen ihn seine Minister im Stich, so danke er ab; und schon wollte er dieses Aeußerste zur That machen, als die Minister ihren Wunsch eiligst darangaben und ihm versprachen, seine Entscheidungen im Abgeordnetenhause zu vertreten. Roon hat dann thatsächlich Tags darauf seine Andeutungen dort zurückgenommen oder doch unwirksam gemacht, er hat seinem Freunde Perthes gegenüber den „schwächlichen Versuch“ vom 17., „bei dem leider mir die Hauptrolle zugefallen war“, bedauert und auch Wilhelm hat später – es hatten sich, scheint es, alsbald Unklarheiten und Mißverständnisse, wie sie der Kampf mit sich bringt, darangeknüpft – mit Groll an diese Episode gedacht. Wie sich nun auch das Einzelne verhalten hat, soviel wird wirklich wahr sein, daß es in der That der König selber gewesen ist, an dem diese letzten – noch aussichtsvollen? – Versuche einer Verständigung gescheitert sind, die doch, wie die Dinge lagen, immer einer schweren Niederlage der Krone gleichgekommen wäre.

Am 12. September hatte Bismarck dem Kriegsminister seine Bereitwilligkeit erklärt, am 18. rief ihn dieser von sich aus nach Berlin, am 20. traf er dort ein. Am selben Tage erklärte Roon seinem Bonner Vertrauten den ungünstigen Beschluß der Kammer für sicher bevorstehend, die Ministerkrise für eröffnet: Hohenlohe und Heydt wollen bedingungsweise, Bernstorff unter allen Umständen gehen. Sie hatten also die Befehle des Königs ausgeführt; in den Conflict, in die budgetlose Zeit mit ihm einzutreten wagten sie nicht. Und der König hatte der Kammer gegenüber seine Ueberzeugung festgehalten; er hatte seinerseits nichts aufgeopfert; aber von neuem erschütterte ihn jetzt, angesichts der Gewißheit des vollen Bruches, angesichts der Fahnenflucht seiner höchsten Räthe, der Zweifel, ob er positiv durchdringen werde, und der Gedanke des Rückritts wurde von neuem übermächtig. Auch den Widerspruch des liberalen Kronprinzen hatte er „durch diese Drohung entwaffnet“: er meinte sie völlig ernst. Am 20., 22., 23. September empfing er Bismarck. Roons Sohn überliefert, daß er jetzt, als die Andern von ihm wichen, den erneuten Rath des Kriegsministers erhört und die Hand Bismarcks, von dessen Anwesenheit er nichts gewußt hatte, alsbald ergriffen habe. Eine bekannte Erzählung, die auf den Kanzler selber zurückgehen muß, hat die entscheidende Unterredung im Babelsberger Parke geschildert: wie der König muthlos, tiefgebeugt beginnt, entschlossen, seine Abdankung, deren Urkunde er bereits bei sich trägt, zu vollziehen, wenn sich ihm auch Bismarck versage; wie er sich [610] seiner Bereitwilligkeit versichert, ohne Mehrheit, ohne Budget, ohne Preisgabe der Reorganisation zu regieren; wie er dann ein Programm vorlegt, das er sich aufgesetzt hat, und das Bismarck zurückschiebt, weil nur das Eine zu vereinbaren sei, die Aufrechterhaltung des Königthums, und alles Andere sich dann von selber geben müsse; wie Wilhelm zuletzt aufrecht, fest und straff von dannen schreitet. Das Gespräch muß wol am 20. September stattgefunden haben, am 23. folgte der erwartete radicale Beschluß der zweiten Kammer und die Ernennung Bismarcks zum Staatsminister und Vorsitzenden des Ministeriums; so wenig die Einzelheiten auch dieser Tage bisher feststehen, gegen den Hauptinhalt jenes Berichtes erhebt sich kein Zweifel, er stimmt völlig in die Umgebung hinein. Es ist sicherlich wahr, daß „das Band“, das Bündniß zwischen König und Kanzler damals in der Gluth heißer Seelennöthe und höchster Gefahren geschweißt worden ist, daß Bismarck seinem Herrn als „der Retter in der Noth“ gekommen ist, in einem Augenblicke, da jener sich verloren glaubte. Die Entwicklung der eigentlich schicksalsvollen Jahre von Wilhelms Leben hat damit ihren Schluß erreicht. Der zweite seiner großen Genossen, der größte unter ihnen allen, hat sich zu ihm gesellt. Die eigentliche Krisis seines Lebens ist überwunden. Erst diese Stunde hat es entschieden, daß der schwere Kampf mit allen Feinden ausgefochten werden würde. Aber damit tritt König Wilhelm aus der Stelle des Handelnden um einen Schritt zurück: die Last der Thaten muß er nun in die Hände des Andern legen. Die Zeit der Größe bricht an; die Zeit, die Ihm im vollen Sinne zu eigen gehört, ist vorüber: sein Größtes hat er geleistet.



5. 1862–1871.

Die tiefe Wandlung vom Herbst 1862 verändert auch für den Biographen Wilhelms I. die Aufgabe. Dem gewaltigen Inhalte der folgenden Zeit erzählend, auch nur zusammenfassend wie bisher nachzugehen, liegt ihm nicht mehr ob. Wer diese Ereignisse heute selbständig erzählen wollte, der müßte ohnehin die weite Quellenarbeit Heinrich v. Sybels in gleichem, ja in erheblich weiterem Umfange noch einmal aufzunehmen im Stande sein; aber schwerlich würde er zum Mittelpunkte seiner Darstellung die Persönlichkeit des Königs wählen, so wichtig diese unzweifelhaft immer bleibt. Hier gilt es nur noch, an die Ereignisse mehr erinnernd, dem Maße und der Art des Antheils nachzufragen, den der König als Handelnder an ihnen nimmt; freilich ist eben diese Frage fein und schwierig zu beantworten und keineswegs überall sehen wir bereits klar genug. Bis in den Sommer 1866 hinein scheinen wenigstens die Umrisse seiner persönlichen, unmittelbaren Mitwirkung schon ungefähr erkennbar zu sein; in diesen vier Jahren erhält ja überdies sein Leben innerlich und äußerlich die künftige Richtung. Von da ab kann der Darsteller nur immer rascheren Schrittes über die Fülle der Begebenheiten hinweggehen. Daneben wird er bis an das Ende heran stets die zweite, allgemeinere Frage stellen: die nach der mehr mittelbaren Einwirkung des alten Herrschers, der Einwirkung seines Daseins auf die neue Zeit, ihre Bewegungen und ihre Schöpfungen, und nach deren Rückwirkung auf ihn, die Frage nicht nach den Thaten, sondern nach dem Verhältnisse der Persönlichkeit zu ihrer Welt. In beiderlei Hinsicht trifft der Blick immer dicht neben dem Könige die Gestalt seines Ministers; wo es sich um die Urheberschaft der Thaten handelt, handelt es sich ja natürlich vor allem Anderen um die Stellung Wilhelms zu Bismarck. In der Geschichte ihrer Beziehungen faßt sich die Geschichte des Königs fürderhin zusammen.

[611] Vornehmlich der innere Conflict hatte Bismarcks Berufung herbeigeführt. Bismarck hat seine Versprechungen aus dem Babelsberger Parke gehalten: er hat die Sache seines Herrn ergriffen und behauptet, er ist ihm hier unentbehrlich geworden; und kein irgendwie sicheres Zeichen weist darauf hin, daß sein Herr jemals bereit gewesen wäre, ihn seinen liberalen, inneren Widersachern zu opfern. Zuerst hat der Minister, so wie er es vorher entworfen hatte, die Versöhnung mit dem Landtage gesucht, und zweifellos vollkommen ernsthaft und ehrlich. Als der Versuch alsbald mißlungen war, hat, so scheint es, König Wilhelm, durch seine Gemahlin bedrängt, von seinem Berather zeitweilig räumlich geschieden, noch einmal die Bedenken durchgekämpft, die ihn bis zum 20. September erschüttert hatten; er hat sie noch einmal überwinden müssen; Fürst Bismarck hat später von der nächtlichen Fahrt erzählt, auf der er dem bekümmerten Herrscher die Sorge vor dem Schaffott aus dem Herzen geredet habe, indem er ihn an seine eigenste Pflicht, d. h. an die Treue mahnte, die der Hauptmann im Gefechte seiner Compagnie schuldig ist. „Ich faßte ihn beim preußischen Portepee.“ Von da ab haben sie zusammengehalten bis zum gemeinsamen Siege. Seit er den inneren Kampf unvermeidlich sah, hat ihn Bismarck mit rückhaltloser Schärfe, nicht ohne manche erklärliche Uebertreibung im einzelnen, und offenbar mit der ganzen reckenhaften Kampfesfreude seiner Natur geführt: aber weder hatte er ihn hervorgerufen, noch hat er ihn, wie man geargwöhnt hat, leichtfertig genährt, um ihn zu Zwecken zu mißbrauchen, die mit dem Gegenstande des Streites nichts zu schaffen hatten. Sein beherrschender Zweck war hier nur der eine und klare, die selbständige Macht der Krone und der Regierung zu wahren; deshalb hat er mit zäher Energie all die Jahre hindurch in der Bresche gestanden, mit einer Festigkeit und einer unbedingt selbstsicheren, Alles umfassenden Kraft, wie sie vor ihm Keiner bewiesen hatte und ganz gewiß außer ihm Keiner bewiesen haben würde. Er hielt aus, so hoch und scheinbar unbezwinglich der Widerstand emporwuchs, so schreckhaft den zarteren und schwächeren Beurtheilern die Gefahr der Revolution vor die Seele trat. An diese Gefahr hat er wol nicht geglaubt: daß er sich selber auf das Spiel setzte, das wußte er. Dabei hat er niemals daran gedacht, die Verfassung, die er suspendiren mußte, zu zertrümmern; er hat stets die Versöhnung als letztes Ziel im Auge behalten. Und es widerspricht jeder Wahrscheinlichkeit, daß ihm der Conflict wesentlich das Mittel gewesen sei, den König dauernd an sich zu fesseln. Natürlich, er hat im einzelnen die innere Lage ausgespielt, um in anderen Dingen, die ihm persönlich noch näher als jene am Herzen lagen, den widerstrebenden Herrscher seinen Absichten gefügiger zu machen; aber im ganzen ist eben er, und unter seiner Führung der Ministerrath es gewesen, der zu wiederholten Malen den Ausgleich mit dem Abgeordnetenhause vorgeschlagen hat, und der König war es, der diese Vorschläge verwarf. Seit Wilhelm, nach langem Abwarten, den Verfassungskampf aufgenommen hat, ist ihm dieser Kampf offenbar zur eigentlichen Hauptsache geworden, und er blieb entschlossen, keinen Schritt wieder zurückzuthun. Auch ihm blieb dabei die Versöhnung das letzte Ziel, aber mit irgendwelchen Opfern glaubte er sie nicht erkaufen zu dürfen. Auf seinem Empfinden lastete dieser Streit schwer; er hat (Nov. 1862) auf Beckeraths Klage mit dem ergreifenden Ausrufe geantwortet: „traure ich denn nicht? ich schlafe keine einzige Nacht!“ und als der Conflict längst zu etwas beinahe Gewohntem geworden und sein Gipfel schon überschritten war, kamen ihm doch immer wieder an Neujahrs- und Geburtstagen im vertrauten Gespräche traurige Worte und Todesgedanken über die Lippen. Sachlich aber war er ganz fest. Ich weiß nicht, ob der König, wie Sybel andeutet, jemals die [612] Empfindung gehabt hat, das budgetlose Regiment, zu dem ihn die Ablehnungen im Abgeordnetenhause vom September und October 1862 ab zwangen, stehe mit seinem Verfassungseide in Widerspruch; mir scheint aus den Aeußerungen, die uns vorliegen, eher hervorzugehen, daß er dies niemals anerkannt hat und daß seine Bedenken und Sorgen von der Seite der Machtlage und des Gefühles, nicht von der des Rechtes herkamen. Sicher aber ist, daß er sich jetzt – Ende 1862 – auch die Rechtsauffassung Bismarcks, den Satz von der Verfassungsglücke zu eigen gemacht hat, in welche, da sich die drei Factoren der Gesetzgebung, Krone, erste und zweite Kammer über das Etatsgesetz nicht haben einigen können, da aber der Staat weiterleben will und muß und für den Fall jener Nichteinigung eine positive Bestimmung nicht vorliegt, die ausführende Gewalt nothwendigerweise „suppleirend“ eintreten muß. Er muß „als guter Hausvater das Haus weiter führen und später Rechenschaft geben“; denn das Seine an entgegenkommender Nachgiebigkeit hat er gethan, jetzt muß das Abgeordnetenhaus das Gleiche thun. „Wo steht es in der Verfassung, daß nur die Regierung Concessionen machen soll und die Abgeordneten niemals???“ Er betonte jetzt die grundsätzliche Bedeutung des Streites häufig und mit aller Schärfe: die Machtbefugnisse der Krone wolle er erhalten und damit eine Grundbedingung des inneren Friedens, der Wohlfahrt und der europäischen Stellung seines Staates. Sein innerstes Empfinden hatte diese Aufgabe jetzt ergriffen. Recht und Unrecht in beiden Lagern abzuwägen war er, der im Kampfe Stehende, nicht berufen; er sah nur sein Recht, und seine Pflicht es durchzusetzen; er sah auf der Gegenseite die verderblichen, die zerstörenden Gedanken der Zeit. „Der König, urtheilte Fürst Hohenzollern im November 1863, ist ganz beherrscht von der Idee, daß er vor allen Dingen ‚Zucht und Ordnung‘ im Lande wiederherstellen muß.“ In einer Reihe officieller Kundgebungen hat er diesen Ton angeschlagen; mit voller Leidenschaft in einem privaten Briefe an Vincke-Olbendorf, der ihn (zu Neujahr 1863) über die Stimmung seines Volkes hatte aufklären wollen: da verurtheilt Wilhelm die Führer, die sein Volk zu verwirren streben, mit der persönlichsten Bitterkeit, mit Worten wie ‚Infamie‘ und ‚Tollhaus‘. Den Antrag Roons auf ziemlich weitgehende Aenderungen des Militärgesetzes lehnte er (an Roon, 18. Nov. 1862) mit wahrer Entrüstung ab, er bezeichnete die Vorschläge als das Todesurtheil der Armee. Und dabei blieb er 1865, als nach dem Siege über die Dänen die Möglichkeit einer Verständigung aufzusteigen schien und eine Vermittlung wirklich versucht und von seinen Ministern, auch Bismarck und Roon, soviel wir wissen, empfohlen wurde: nicht einen Thaler vom Budget, nicht eine Stunde von der Dienstzeit werde er sich abhandeln lassen. Er hatte damals gerade in einer eigenhändigen Denkschrift alle Beweisgründe zur Widerlegung der Opposition in der Heeresfrage nochmals beredt und durchsichtig zusammengestellt. Noch 1866 wies er jede Concession mit gleicher Bestimmtheit ab. Man glaubte hinter dieser Hartnäckigkeit den Einfluß der Generäle, Manteuffels, Alvenslebens, und den der Gruppe des Prinzen Karl, der höfischen Ultras, suchen zu müssen. Das Wichtigste jedoch ist sicherlich die eigene Art des Königs gewesen: hier wie stets schritt er in der einmal erkämpften Richtung mit einer gewissen Schwerfälligkeit geraden Weges weiter, den Forderungen auch einer veränderten Lage nicht leicht zugänglich, aber mannhaft, voll königlichen Bewußtseins. Ob ein Einlenken vor dem August 1866 wirklich Erfolg gehabt hätte, ist kaum entscheidbar; daß der Gang der Dinge dem Könige mindestens nicht Unrecht gegeben hat, ist gewiß. – Hier war es also seine eigenste Sache, die er verfocht. Deshalb hat er hier auch den schmerzlichsten aller Widerstände offenbar verhältnißmäßig [613] leicht überwunden: den seiner nächsten Angehörigen. Die Königin blieb dem Ministerium feindselig; der Kronprinz, von jeher den liberalen Gesinnungen seiner Generation zugethan, von englischen Gedanken und Einflüssen fortwährend bestürmt und geradezu geleitet, von dem tragischen Wirrsal des inneren Kampfes, das auch ein ruhigerer Blick schwer beherrschen konnte, ganz überwältigt, verbarg seine tiefe Abneigung noch weniger. 1854 hatte er sich in dem Zusammenstoße seines Vaters mit Friedrich Wilhelm IV., schon aus überwiegender kindlicher Verehrung, wie damals sein Erzieher urtheilte, ganz auf die Seite des Vaters gestellt. Jetzt trat er so entschieden gegen ihn in die Schranken, wie damals jener gegen den König, nur freilich – das war der Unterschied – in ganz öffentlichem Bekenntnisse. Wilhelm I. verfuhr gegen seinen Sohn, wie der Bruder gegen ihn selbst verfahren war. Der Mai 1863 hatte einen persönlichen Zwist zwischen dem Präsidium der zweiten Kammer und den Ministern heraufgeführt, der König sich, in scharfen Erklärungen, den Ministern unbedingt angeschlossen; am 1. Juni war die schlimme Preßordonnanz erlassen worden, die Erbitterung im Lande überaus groß. Da protestirte Friedrich Wilhelm zunächst in einem persönlichen Briefe an seinen Vater, ließ sich darauf, in Danzig, zu einer Rede hinreißen, die ihn fast wie ein oberstes Haupt aller Opposition dem Könige gegenüberstellte. Der König schritt mit drohendem Verweise ein, und antwortete dann, als der Kronprinz in einem zweiten, würdigen Schreiben seinen Standpunkt behauptete, aber für seine That um Verzeihung bat, mit mildem und eindringlichem Ernste; er versicherte sich sehr entschieden der künftigen Zurückhaltung des Sohnes und schloß den Streit mit überlegener, väterlicher Hoheit ab. Die Spaltung im königlichen Hause blieb in allem Sachlichen auch fürderhin bestehen und war der Welt bekannt; man sprach in politischen Kreisen von dunkelen Plänen der Gruppe des Prinzen Karl gegen den Thronfolger; Wilhelms Herz wird der stete stille Widerspruch schwer genug bedrückt haben, seine Politik beeinflußte er, im Innern, nicht.

Da also waren – das ist die Summe – die Gegensätze, wie sie seit 1858 herangereift waren, jetzt in voller Klarheit ausgeprägt und die Stellung des Herrschers einfach und bewußt. Freilich konnte er diese Gegensätze nur überwinden und den Vorrang seines Rechtes über das gegnerische Recht nur erweisen durch lebendige Thaten; die aber waren nur denkbar auf dem Boden der auswärtigen Politik. Und hier war der Fortgang, auch der in Wilhelms persönlichen Handlungen und Gesinnungen, während der Jahre bis 1866 sehr viel weniger stetig als im preußischen Verfassungsstreite; hier schritten er und sein Minister durch unablässige Krisen, in fortwährendem Kampfe mit einander, zu ganz neuen Ergebnissen vorwärts. Seit dem Hochsommer 1862 stand Wilhelm Deutschland und Oesterreich innerlich so gegenüber, daß er und Bismarck überhaupt zusammenwirken konnten; die Ideale des Prinzen von Preußen, wir sahen es, waren in dem Könige wieder durchgedrungen. Dennoch zeigte sich bald, daß zwischen ihm und seinem Berather der früher beschriebene Unterschied der Naturen noch ganz ungebrochen fortbestand; es ergab sich daraus ein Unterschied der Mittel, die sie anwenden wollten, und wenigstens insofern auch der Ziele, als der Eine bereits jetzt nach den höchsten Preisen zu greifen gewillt war, die der Andere wol überhaupt auch erstrebte, aber so bald, und vollends selbstthätig, als Angreifer, noch nicht zu packen wagen wollte. Erst Bismarck brachte ihm die Kraft des großen Entschlusses zu; die ganze Löwenhaftigkeit des Mannes trat ihm gerade hier, auf dem Gebiete von Bismarcks eigenster Thätigkeit und eigensten Wünschen, alsbald erschreckend nahe; er widerstrebte noch lange, ehe er sie [614] frei gewähren ließ. Folgen wir zuerst den Thatsachen rasch bis in den Frühling 1866.



Daß jetzt ein Mann der zu handeln verstünde, Preußens Ruder hielt, das konnte König Wilhelm an der genialen Leichtigkeit spüren, mit der sein neuer Minister noch im November 1862 den wieder aufflammenden Widerstand des Kurfürsten von Hessen erstickte, ganz nebenher, ohne die Gefahr eines hier schwer zu rechtfertigenden Krieges. Er war dann ebenso vollkommen mit ihm einig, als im Februar des nächsten Jahres der polnische Aufstand Preußen an die Seite Rußlands führte: ein unermeßlich wichtiger Schritt, für den König die praktische Rückkehr zu der alten Vorliebe seiner Jugend; erst damit hat er die liberale Wendung, die seine auswärtigen Sympathien nach 1850 genommen hatten, ganz und gar überwunden. Der Politik Preußens und Deutschlands aber wurde hier, für lange Jahre, ein Rückhalt geschaffen, eine bedeutsame Richtung gewiesen. Die Angriffe des Abgeordnetenhauses auf die russische Convention trieben den König nur dichter an seinen Minister heran; gemeinsam und siegreich haben sie die europäischen Bewegungen, die von der polnischen Erhebung ausgingen, im Einverständnisse mit Rußland bestanden, gemeinsam sich auch der bedenklichen russischen Lockung zu einem Angriffskriege gegen Oesterreich und Frankreich entzogen; aus dem Lärme und aus den Anklagen dieser polnisch-europäischen Verwicklung ging Preußen mit einem vollen Erfolge hervor. Bismarck konnte ihn, auch für die Festigung seines Verhältnisses zu seinem Herrn, wohl brauchen: denn gleichzeitig schien die Abrechung mit Oesterreich hereinbrechen zu wollen. Gleich im ersten Winter brachte Preußen die Bundesreformpläne, die Oesterreich von den Mittelstaaten übernommen hatte, am Bundestage zu Falle, ganz in Bernstorffs Sinne also, freilich unter verblüffend rückhaltlosen Drohungen Bismarcks, wie sie Bernstorff nicht ausgesprochen hatte und wie sie doch wol auch über die Gesinnung und mindestens über die Art des Königs ein gutes Stück hinausgingen. Dann aber erneuerte Oesterreich seinen Antrag in ungleich gefährlicherer Form. Kaiser Franz Josef ergriff den Gedanken einer Fürstenzusammenkunft, den man ihm anregte, mit ganz persönlichem Feuer: er hoffte auf ihr die drängende deutsche Frage zur Befriedigung der erregten Nation und gleichzeitig im Sinne seines Staates entscheiden zu können. Ebendeshalb waren die neuen Vorschläge für Preußen ebenso unannehmbar – im Grunde auch für Deutschland ebenso unfruchtbar – wie die früheren. Aber es war keine Kleinigkeit, den Ansturm des Kaisers selber abzuweisen. Er droht für den Fall preußischen Widerstandes, das alte Mittel Preußens, den Bund im Bunde, gegen Preußen anzuwenden; er lädt den König in den ersten Augusttagen 1863 zu Gastein persönlich auf den 16. nach Frankfurt ein, er hält die Ladung aufrecht, auch als jener sie sofort abgelehnt hat. Wilhelm hat sich in all diesen Verhandlungen durchaus fest, und durchaus abweisend, verhalten, er hat sich nicht das mindeste vergeben; sehr charakteristisch ist aber doch der Unterschied zwischen den Aeußerungen des Königs, die einen ganz persönlichen Charakter tragen und offenbar nicht etwa lediglich von seinem anwesenden Ministerpräsidenten dictirt worden sind, und den Aeußerungen Bismarcks und der officiellen preußischen Acten. Wilhelm verwarf in seiner mündlichen Antwort zu Gastein, die er gleich nachher selber niederschrieb, den Gedanken des Fürstentages an sich nicht völlig, nur seiner Ueberstürzung trat er unbedingt entgegen; er sprach auch sachliche Bedenken gegen den Inhalt der österreichischen Vorschläge aus, aber wesentlich unter dem Gesichtspunkte einmal ihrer Durchführbarkeit, andererseits des conservativen Interesses; auf den Boden des grundsätzlichen preußischen [615] Widerstandes gegen diese Pläne, die doch immer Preußen die Lebensluft benehmen mußten, stellte er sich nicht: während Bismarck und dann auch das Ministerium dies unzweideutig thaten. Der König meinte, man müsse die Berathung der Fürsten durch solche Minister erst gehörig vorbereiten; Bismarck erklärte, daß er an österreichische Vorschläge, die zugleich wirksam und für Preußen erträglich wären, überhaupt nicht glaubte. War das nur eine Vertheilung der Rollen zwischen Fürst und Diener, eine Höflichkeit des Monarchen, der dem Monarchen seinerseits nicht ein einfaches Nein zu entgegnen wünschte und deshalb die schärfere Antwort seinem Minister überließ? Die Vorgänge, die sich in Baden-Baden während des Frankfurter Fürstentages abspielten, sprechen gegen eine solche Deutung; sie erweisen, daß der König nur sehr ungern dem Rathe seiner Standesgenossen fern blieb und daß die bedingungslose Ablehnung nicht wesentlich von ihm, sondern von Bismarck getragen worden ist. Es ist bekannt, daß die unter Franz Josefs Vorsitz versammelten Fürsten den König Johann von Sachsen nach Baden hinüberschickten, um die Theilnahme Preußens doch noch zu erreichen (19. August); daß es der ganzen Wucht von Bismarcks Einspruch bedurfte, um seinen tieferregten Herrn über sein eigenes fürstliches Gefühl, über die Bedenken des Herzens und wol auch der ängstlichen Klugheit hinwegzuheben; daß sich die schwüle Spannung dieser Badener Stunden in leidenschaftlichen Ausbrüchen entladen hat. Aber hier wie stets siegte zuletzt das sachlich-preußische Moment, das der Minister überlegen vertrat; und als der Fürstentag vorüber war, da hielt (6. Sept.) auch Wilhelm dem unsicher schwankenden Coburger Herzog in scharfen Worten den preußischen Stolz entgegen: Preußen hat sich nicht mediatisiren lassen wollen; „was er in Preußens Stellung (dem österreichischen Entwurfe gegenüber an Forderungen) für nöthig halte, werde er dictiren“. Bismarck durfte auch mit diesem Erfolge wieder zufrieden sein. Das Werk des Fürstentages fiel kläglich in sich zusammen, Preußen hatte in diesen Jahren wie in Europa so in Deutschland seine Stellung selbständig behauptet, sein Ansehn gefestigt, es hatte als Großmacht gehandelt und der König war jetzt mit ganzem Herzen bei dieser – freilich bisher noch rein defensiven – Politik. Da eröffnete der Spätherbst 1863 die schleswig-holsteinische Frage und mit ihr die Wege zur positiven Lösung aller deutschen Schwierigkeiten. Hier erst sollt die Kluft ganz sichtbar werden, die noch immer zwischen den beiden Führern des preußischen Staates lag. –

Seit langen Jahrhunderten sind die Herzogthümer Schleswig und Holstein mit Dänemark verbunden. Holstein gehört zugleich dem deutschen Reiche, später dem deutschen Bunde an, Schleswig nicht; dennoch bilden die beiden Herzogthümer unter einander eine untrennbare Einheit, und beiden sind weitgehende Sonderrechte gewährleistet. In diese Meisterschöpfung des alten Reichsrechts, in diese Welt des Vertragsrechtes, der Privilegien, bricht das neue Recht des 19. Jahrhunderts hinein, dasjenige des einheitlichen Staats und der einheitlichen Nationalität. Dänemark sucht sein staatliches Wesen über Schleswig und Holstein, zumal über Schleswig auszudehnen; aber der Zug der neuen Zeit, der Zug des Blutes treibt die Lande weit stärker und zuletzt unwiderstehlich zu Deutschland hinüber, beide, auch das rechtlich dänische Schleswig. Die Aussicht auf das Erlöschen des dänischen Königshauses, auf den Eintritt der durch die männliche Erbfolge für die Herzogthümer erbberechtigten Augustenburger Familie eröffnet den Schleswigholsteinern die Hoffnung, das unnatürliche Band mit dem Nachbarstaate ganz lösen zu können. Aber die Erhebung von 1848 führt, inmitten einer feindlichen europäischen Welt, zur Niederlage, Oesterreich und Preußen liefern 1852 die Herzogthümer an [616] Dänemark zurück, freilich unter Bedingungen, welche deren Sonderrechte wahren. Das Londoner Protokoll vom Mai 1852 schließt diese Verhandlungen ab und bestimmt die Nachfolge der Glücksburger für die gesammte dänische Monarchie; der Herzog von Augustenburg hat sich verpflichtet, für sich und sein Haus, gegen diese Erbfolge nichts zu unternehmen, und hat sich seine Güter in Schleswig durch den dänischen Staat abkaufen lassen. Diesem Kaufgeschäft haben seine Söhne zugestimmt, durch jene Verpflichtung meinen sie nicht mitbetroffen zu sein. Die Frage dieses augustenburgischen Erbrechts blieb strittig und wird es wol immer bleiben; die Unterhändler von 1852 nahmen es für abgetreten und erloschen an; alle Thüren waren ihm aber nicht verschlossen worden. Inzwischen hatte Dänemark längst die Rechte der Landschaften wieder verletzt und so Oesterreich und Preußen als Garanten des 52er Vertrages, dem Bundestage als dem natürlichen Beschirmer der Verfassung des Bundeslandes Holstein die Befugniß zum Einspruche gegeben. Die nationale Empfindung in Deutschland hatte die Wunde längst brennend gespürt; aller Protest war bis 1863 vergeblich geblieben; aber ein Kampf rückte bereits ganz sichtbar heran. Da erlosch im November 1863 mit Friedrich VII. das dänische Königshaus. Der Glücksburger Christian IX. folgt ihm nach und sieht sich bald durch die eiderdänische Nationalpartei gezwungen, die Vergewaltigung der Herzogthümer aufrechtzuerhalten. Zuvor aber ist der Erbprinz Friedrich von Augustenburg, auf einen Verzicht seines Vaters hin, mit den Ansprüchen seiner Familie, die nur sein Vater nicht habe ausüben können, wieder hervorgetreten: Schleswig-Holstein will er als sein Erbe, als einen eignen, deutschen Staat besitzen, und die deutsche Stimmung begrüßt jubelnd in Augustenburgs Forderung die Befreiung der Nordmarken; die nationale Bewegung wendet sich seinem Rechte zu, die deutschen Mittelstaaten vertreten es am Bundestage und in der Welt.

Das sind die Voraussetzungen, auf deren Hintergrunde allein die Bedeutung der Ereignisse, der biographische Werth der nachfolgenden Entschlüsse sich begreift; gleich hier sei ihnen der Hinweis auf den Gang angereiht, den die Dinge dann von 1863 ab wirklich genommen haben. Preußen hat den Anspruch des Augustenburgers und die deutsche Stimmung zur Seite geschoben; es ist nicht auf den Bahnen jenes Erbrechtes, noch auf denen des Bundesrechtes vorgeschritten, sondern, im Gegensatze zur Nation und zu den Mittelstaaten, auf den Bahnen, die das Londoner Protokoll wies. Weil Dänemark seine Verpflichtungen von 1852 gegen die Herzogthümer nicht einhielt, haben die Vertragsmächte Preußen und Oesterreich die Herzogthümer – so ist das Ergebniß – besetzt, den Dänen den Krieg erklärt, sich den Einreden Europas gegenüber durch ihre Vollstreckung eines europäischen Vertrages gedeckt. Preußen hat es vermocht, durch den Gegensatz gegen die Mittelstaaten und den Liberalismus und durch die Wucht seines eigenen Vorgehens Oesterreich an sich zu fesseln; Europa durch dieses gemeinsame und correcte Vorgehen zu lähmen; Dänemark dank der Maßlosigkeit der dänischen Ansprüche, mit deren unbelehrbarer Leidenschaft der preußische Minister rechnet, ins Unrecht zu setzen. Durch einen diplomatischen Feldzug von unerhörter genialer Kühnheit und Sicherheit werden die beiden Lande von Dänemark losgelöst, das Londoner Protokoll gerade durch seine strenge Innehaltung aufgehoben; unter dem erbitterten Zorne des deutschen Liberalismus, im Widerspruche zu allen Forderungen und Voraussagungen der nationalen Partei wie der Mittelstaaten, durch unzählige Klippen hindurch geht die Fahrt glücklich dem Ziele der Befreiung entgegen – bis zuletzt die Frage übrig bleibt, wem denn nun das so Befreite künftighin angehören soll.

König Wilhelm und sein Staatsmann sind diesen Weg gemeinsam [617] gegangen, aber mit sehr verschiedener Absicht. Bismarck hatte den Vertrag von 1852 zu Stande zu bringen geholfen; der Prinz von Preußen hatte damals in dieser Nachwirkung der Olmützer Politik eine Schmach seines Staates und seiner Nation erblickt. Sein Streben ging seitdem auf die Abwerfung des dänischen Joches. Er wollte nicht blindlings den europäischen Conflict heraufbeschwören, sein Preußen der Zwangslage von Olmütz nicht von neuem aussetzen; aber sein Empfinden war hier offenbar national, als Deutscher und für Deutschland wollte er die Herzogthümer befreien. Ihm schien die natürliche Lösung ihre Zutheilung an den Prinzen von Augustenburg. Sein eigener Sohn war mit diesem befreundet und von seinem Rechte lebhaft durchdrungen. Dabei trennte den König freilich von der liberalen Strömung, der sich der Kronprinz angeschlossen hatte und mit der er selber diesmal auf das gleiche hinauskam, eine breite Verschiedenheit der ideellen Auffassung. Die Fremdherrschaft der Dänen über deutsches Land verdroß ihn und die dänischen Rechtsbrüche empörten ihn, aber der Idee der allmächtigen nationalen Souveränität an sich, deren Stimme er von 1848 her kannte und die sich jetzt ringsum wieder bethätigen wollte, gestand er nichts zu. Daß die „demokratischen“, die „revolutionären“ Parteien in Deutschland sich des schleswig-holsteinischen Problems kurzerhand bemächtigen wollten – zufälligerweise als Bundesgenossen des Augustenburgers, und so auch scheinbar Bundesgenossen seiner eigenen Absichten –, daß der Sprößling und Doctrinär der Volkssouveränität, des demokratischen Nationalitätsgedankens, Louis Napoleon, seiner Regierung hier zu Eroberungen rieth, beides reizte vom ersten Anfang her sein Mißtrauen. Auf dem festen Boden der Macht und des Fürstenrechtes, nicht der Nationalitätsidee, wollte er vorgehn, das Recht vor allem festhalten, auch den Bundestag über das Erbrecht hören. Vornehm und selbstlos wollte er verfahren, als deutscher Fürst, als Legitimist, wie es seine Anschauung, seine Vergangenheit mit sich brachten. Das geht aus seinen wohlverbürgten Aeußerungen wie aus den Berichten der Näherstehenden hervor.

Bismarcks Standpunkt war ein ganz anderer. Daß er nur eine einzige Legitimität kenne, die seines Fürsten, hatte er längst erklärt. Er sprach es in diesen Jahren, in seiner schneidenden Art, vor einer Gegnerin aus, daß für ihn keine Pflicht gelte als die Erfüllung der preußischen Traditionen, und kein Ziel als die preußische Macht. „Er sei nur Preuße und bemühe sich in seiner Politik der größten Einseitigkeit“, vom Gegner wolle er Gutes gar nicht wissen, er gehe einfach vorwärts seines Wegs. Nun war sein Ueberspringen aller Ansprüche von Nationalität und Erbrecht in der schleswig-holsteinischen Sache nicht lediglich durch diese Gesinnung veranlaßt. Er mußte den Weg des Londoner Protokolles wählen, weil nur dieser ihn gegen das Ausland sicherte und ohne internationale Schwierigkeiten auch die Besetzung des nicht zum Bunde gehörigen Schleswigs erlaubte. Aber gewiß, auch sein Ziel selbst entsprach von vornherein jener Gesinnung. Er mochte ein Gegner des augustenburgischen Anspruches sein, schon weil er 1852 den Verzicht des Herzogs verhandelt hatte; auf diesen Boden hat er sich dann auch von vornherein gestellt. Aber das war doch nur die Form. Die Rechtsfrage war ihm unzweifelhaft in weitem Maße gleichgültig. Er wollte einen Gewinn für Preußens Macht. Da hat er es denn gleich anfangs ausgesprochen: fordert und erlaubt der Nutzen Preußens wirklich die Entstehung eines neuen Mittelstaates im Norden, eines Mittelstaates, der sich immer vor preußischer Erdrückung fürchten wird und, gerade weil er auf Preußen angewiesen ist, gegen Preußen eifersüchtig sein wird und muß? Man darf nicht vergessen, in welchem Kampfe Preußen lebte: eben dem Kampfe gegen die natürliche Feindseligkeit [618] der Mittelstaaten. Sollte es sich mit eigenen Opfern einen neuen Gegner schaffen? Bismarck folgte weder Doctrinen oder Sympathien noch kannte er andererseits unverrückbare Ziele, er wollte der wechselnden, sachlichen Nothwendigkeit gehorchen; er war deshalb auch nicht ein für alle Male ein Feind der augustenburgischen Lösung, auch sie konnte vielleicht einmal die beste erreichbare werden, dann würde er sich mit ihr zufrieden geben; unbedingt sicher war ihm nur Eines, daß er den größtmöglichen Gewinn für seinen Staat erstreben würde, und daß der eigentlich erwünschte Gewinn daher die Annexion der Herzogthümer an Preußen wäre. Ueber diesen Gedanken des Ministers ist im Grunde wol nie ein Mensch im Zweifel gewesen. Das aber ist ebenso wahr: diese Anschauung von der „Legitimität des preußischen Staates“ als der einzigen Richtlinie preußischer Politik theilte der König nicht. Er sei hier „der erste Schüler“ seines Ministers geworden, hat man mit einem glücklichen Worte gesagt. Dies Wort ist zutreffend, obwol sich in Wilhelms eigenen Gedanken von Jugend auf diese Selbstsucht preußischer Staatsgesinnung so mannichfach nachweisen läßt – denn bis zur Rücksichtslosigkeit Bismarcks hatte sie sich in ihm bisher nicht gesteigert; zutreffend wenigstens, wenn man unter dem ersten Schüler nicht gerade den frühesten, sondern den nächststehenden und bedeutsamsten begreift. Einige Jahre hindurch hat sich der König gegen die Lehre gewehrt, für die doch zugleich eine Stimme seines Innern sprach. Ihr Durchdringen bezeichnet erst die thatsächliche Vollendung des Bundes vom 20. September 1862 und dessen Nutzbarmachung für das allgemein-deutsche Leben. Zunächst vertrat Bismarck sie allein. Dieser handelte, nicht ohne den König, auch nicht eigentlich gegen ihn, und doch so, daß er ihn in fortwährendem stillem Zwange mit sich riß; er that, was Fürst Hohenzollern, an sich selber verzweifelnd, verlangt hatte: „den edlen Seiten des Königs Schach bietend arbeitete er eisern auf das Ziel hin, das dem Staatswohle entsprach“.

Unmittelbar nach der Eröffnung der Erbfolgefrage, im frischen Gefühle daß jetzt die Rettung geschehen könne und müsse, scheint Wilhelm die harte Nüchternheit seines Berathers besonders unangenehm empfunden zu haben; wir erfahren, daß in den letzten Tagen des Novembers, den ersten des Decembers 1863 die Stellung des Ministerpräsidenten ernstlich erschüttert gewesen sei, daß der König sich im Januar 1864 Hinweise Bismarcks auf eine preußische Annexion geradezu verbeten habe. Wir wissen mit Sicherheit aus dem Briefwechsel Bismarcks mit Roon, daß der Ministerpräsident (im Januar) seinem Herrn Hinneigung zur Demokratie, eine Europa gegenüber gefährliche Begünstigung Augustenburgs vorwarf, und düster von seinem eigenen Rücktritt, vom Sturze der Krongewalt, ja Preußens selber sprach. Roon, der in diesen Jahren auch seinerseits solchen Stimmungen gelegentlich Raum gegeben hat, suchte den erzürnten Freund, in der Hauptsache ihm zustimmend, zu begütigen (30. Jan.): „der arme Herr ist in einer beklagenswerthen Agitation, die ihn zum Bruch mit Ihnen, mit uns führen könnte und damit zur Selbstvernichtung seines Regiments, ja des königlichen Regiments in Preußen überhaupt. Wenn Sie das verhindern können, so müssen, so werden Sie es ja thun“; zu seinem getreuen Perthes klagte Roon selber über weibliche Kabalen. Genug, diese Anstöße sind überwunden worden; zuletzt geschah immer, was Bismarck wollte; aber in ihren innersten Absichten zogen Herr und Diener auch weiterhin noch geraume Zeit fremd neben einander her. Die beiden deutschen Großmächte drängten die Mittelstaaten weg und führten ihren Krieg mit Dänemark. Wilhelm erlebte es, daß sein Abgeordnetenhaus ihm die Mittel dazu versagte, das focht ihn nicht an. Er sah im Kriege die Reorganisation, die er geschaffen, glänzend ihre erste Probe bestehen. Er machte weniger erfreuliche, [619] aber lehrreiche und für die Zukunft fruchtbare Erfahrungen mit der Heeresführung; länger als Roon und Andere guthießen, unterließ er es, den commandirenden Generälen in ihre Fehler und Versäumnisse hineinzureden, zuletzt ward doch die Leitung in die richtigen Hände gelegt, und über Allem bewährte sich der Genius Moltkes und nächst ihm Blumenthals[WS 33]. In heller Siegesfreude aber eilte der oberste Kriegsherr auf das Schlachtfeld von Düppel; so wurde ihm doch noch, was er so lange ersehnt hatte, der Lorbeer des großen Kriegs! Daneben her liefen die vielverschlungenen europäischen Verhandlungen, denen ich hier nicht folgen darf; Ende Mai war es soweit, daß die Sieger das fernere Schicksal der eroberten Herzogthümer zu regeln unternahmen. Damals hat sich die zukünftige Auseinandersetzung zwischen Oesterreich und Preußen deutlich angemeldet, denn Oesterreich wollte die Bedingungen nicht zugestehn, unter denen allein sein Bundesgenoß die Länder an den Augustenburger zu geben bereit war; damals hat sich auch zwischen Wilhelm und Bismarck der innere Kampf um Augustenburg im Grunde entschieden. Der Augenblick ist bedeutsam.

Der Mann, der hier für kurze Zeit im Mittelpunkte weitreichender Entscheidungen stand, der Erbprinz Friedrich von Augustenburg, wie ihn die Großmächte, oder Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein, wie ihn seine Anhänger nannten, hat seinen Historiker noch nicht gefunden, sondern noch immer nur Ankläger und Vertheidiger. Seine Persönlichkeit scheint festzustehen – nicht eben klar und bedeutend, aber durchaus ehrenwerth, wohlmeinend, sicherlich kein Gegenstand für Spott und Mißachtung; seine Haltung aber ist wol auch heute noch nicht ganz so deutlich erkennbar und war wol nicht ganz so einfach, wie seine Anwälte sie schildern. Er schwankte naturgemäß zwischen dem Wunsche nach einer möglichst selbständigen dynastischen Stellung und der Erkenntniß, daß er nur aus Preußens Hand, auf dessen Bedingungen, militärische, commerzielle, allgemein-politische hin, sein Land bekommen könnte. Er strebte, nachdem er zuerst bei Preußen, dann bei den Mittelstaaten und dem Liberalismus Hülfe gesucht hatte, seit der Besetzung der Provinzen durch die Großmächte sich der Geneigtheit König Wilhelms zu versichern; dieser verhandelte mit ihm um Abmachungen „zwischen Fürst und Fürst“, band sich aber nicht, und erst im Zusammenhang seiner Verhandlungen mit Oesterreich, Ende Mai, stellte dann Bismarck dem Prätendenten die endgültige Frage. Es scheint doch in der That, daß Bismarck damals seine Einsetzung mindestens ernsthaft erwogen hat, nicht gern, aber doch als ein wichtiges Auskunftsmittel. Er konnte ihn annehmen, wenn er sich seiner für die Zukunft ganz sicher halten durfte. Seine Forderungen gingen weit, aber sie waren, wie die Dinge lagen, alle ernst gemeint und alle begründet, und wie auch das berühmte Gespräch vom 1. Juni im einzelnen gelaufen sein mag, sicher ist, daß Friedrich sich nicht auf sie verpflichtet hat. Und nur wenn er dies gethan hätte, schnell, ohne verfassungsrechtliche Vorbehalte, für jeglichen Fall, wäre er Bismarck erträglich gewesen. Das Urtheil wird doch lauten: so viele Bedenken Friedrich hatte und haben durfte, er hätte dennoch bedingungslos einschlagen müssen. Dann war Preußen gebunden; mindestens war dieses das einzige Mittel, das der Herzog Preußen gegenüber – und auf Preußen kam alles an – besaß. Daß er es nicht ergriff, war, trotz allen erklärenden Momenten, ein verhängnißvoller Fehler. Und nicht nur die Schärfe und etwa die Kunst Bismarcks hat seinen Unterredner dahin getrieben, sondern dessen eigene Unterschätzung der Wichtigkeit des Augenblickes und seine Unterschätzung der ausschlaggebenden Wichtigkeit Bismarcks, ja Preußens selbst, also doch seine eigentliche politische Gesinnung. Es kann kein Zufall und kein bloßer Irrthum sein, daß soviele [620] ernsthafte Freunde Augustenburgs, die zugleich Preußen waren, nationale und altliberale Männer wie Th. v. Bernhardi, Duncker, Beseler – und Andere wären ihnen anzureihen – mit Sorge und Zorn auf die Stimmung der Kieler Umgebungen des Herzogs, und auch auf die Stimmung des Herzogs selber gegen Preußen blickten, vom Winter 1863, vom Frühling 1864 an. Im Grunde war der Prätendent, soweit er bisher auch entgegenkam, doch offenbar nicht preußisch gesinnt; wer dürfte es verlangen? Aber er versäumte so, das doch Nothwendige im kritischen Zeitpunkte entschlossen zu thun. Die österreichische Diplomatie warnte ihn überdies, sich Preußen ganz in die Arme zu werfen; Bismarck meinte zu wissen, daß auch Augustenburg nach Wien hin beruhigende Erklärungen erlassen habe. Zum Mißtrauen hatte ein preußischer Minister diesem Verbündeten der Mittelstaaten gegenüber ohnehin allerlei Anlaß; der Vorgang von 1852 konnte ihn auch nicht ermuthigen; und jetzt verweigerte der Prätendent ein abschließendes Ja. Ich zweifle nicht, daß Bismarck diesen Ausgang einer ihm in jedem Falle bedenklichen Verhandlung doch auch mit einiger Erleichterung, wahrscheinlich mit Freuden begrüßt und das Ergebniß dann mit voller Absicht zugespitzt und verwerthet hat; aber lediglich ein Opfer in der Hand eines dämonischen Gegners war Herzog Friedrich auch nicht; was ihm geschah, entsprach doch zuletzt den innersten Forderungen des gegenseitigen Verhältnisses, und die sachlichen Gründe, die Bismarck wie stets im Ganzen so nunmehr im Einzelnen wider ihn aufführen konnte, sind unleugbarer Weise recht stark. Ueber Beweggründe und Hintergedanken der beiden Unterredner des 1. Juni möchte man gern noch Sichereres erfahren als bisher, wo doch das Urtheil immerhin einigermaßen unbestimmt und tastend bleiben muß; vor allem wüßte man gern, wie die Hergänge dem Könige dargestellt und ihm erschienen sind und wie sie auf ihn gewirkt haben; darauf käme es hier ja insbesondere an. Daß sie auf ihn gewirkt haben, zeigt der Fortgang der Dinge. Augustenburg hat in den nächsten Wochen weitergehende Anerbietungen gemacht, hat seine Ansprüche zugleich wiederholt, aber von Wilhelm keinerlei Zusage erreicht; der König läßt Alles in der Schwebe, betont die Unsicherheit der Rechtsfrage, die Wichtigkeit der neuen, inzwischen von Oldenburg aufgeworfenen Candidatur, zieht sich merklich zurück. Der Juni 1864 bleibt der Wendepunkt. Später hat Wilhelm seinem Sohne gestanden, seit den Waffenthaten von Düppel und Alsen sei ihm der Gedanke einer Erwerbung der so erstrittenen Lande für Preußen vertrauter geworden. Zwischen beiden Ereignissen (18. April, 28. Juni) liegen jene Verhandlungen; daß sie, wie auch immer, den König abgekühlt haben, wird man nicht bezweifeln können, und es ist dargelegt worden, daß sie doch auch sachlich dazu angethan gewesen sind: sie durften einen Eindruck auf ihn machen. Der positive Wille, den er bisher dem Augustenburger entgegengebracht hatte, ist künftighin erloschen, das preußische Gefühl wird in ihm frei und wird allgemach immer sicherer und stärker.

Als nach dem Abschlusse des vorläufigen Friedens mit Dänemark sich die beiden siegreichen Monarchen nebst ihren Ministern des Aeußern in Schönbrunn besprachen (vom 22. August 1864 ab), um für ein ferneres Zusammengehen in Deutschland und Europa die Bahnen festzulegen, gelang die Einigung scheinbar für alles Uebrige, für Schleswig-Holstein nicht. Bismarck zielte auf den Anschluß an Preußen hin; die Oesterreicher deuteten an, daß sie alsdann durch preußisches Gebiet, die Grafschaft Glatz, entschädigt zu werden verlangten, der König wies solche Abtretung ganz von sich. Aber er ließ sich, zum Kummer seines Ministers, zu einer klaren Aeußerung über die Absicht, die er für die Herzogthümer hege, überhaupt nicht bewegen. Man hat den Eindruck, [621] daß er schon entschlossen war, sie nicht wegzugeben, aber noch nicht, sie seinerseits wirklich zu nehmen. Er ließ nach seiner Art den Dingen, die Bismarck scharf und rasch zu entscheiden wünschte, Zeit; er rechnete erst mit ihnen ab, wenn sie unabweisbar dicht auf ihn eindrangen. Aber in der Behauptung dessen, was er sich schon errungen hatte, war er um so fester. Graf Rechberg, der österreichische Diplomat mit dem gemeinsam Bismarck die dänische Sache geführt hatte, legte das stärkste Gewicht darauf, daß Preußen dem Kaiserstaate für die Zukunft eine wenn auch unbestimmte Aussicht auf Eintritt in den Zollverein eröffne oder belasse. Der Kampf der beiden Nebenbuhler um den Zollverein war ja alt, er war soeben wieder, nach langer Krise, völlig zu Preußens Gunsten entschieden worden. Bismarck vertrat den Wunsch Rechbergs auf das wärmste; er hielt ihn für unschädlich, und hielt die Festigung von Rechbergs Stellung für wichtig. Allein die handelspolitischen Fachleute in Berlin widersetzten sich der, wie sie meinten, gefährlichen und sicherlich unaufrichtigen Concession, und trotz aller Widerrede seines Ministers trat der König ihnen zuletzt bei. Offenbar, hier fühlte er sich, als Preuße, in seinem Machtbereiche angegriffen; er wußte, daß Rechbergs freundliche Gesinnung ohnehin durch Schmerlings feindselige in Wien überwältigt zu werden drohte; er zog nicht die Folgerung, daß er Rechberg zu stützen habe, sondern daß er einer so unsicheren Freundschaft nicht erst bedeutsame Interessen seines Staates opfern dürfe. Hier, in der Defensive, war er unerschütterlich, und weniger geschmeidig als sein Diplomat. Er ließ die Verhandlungen abbrechen, Rechberg stürzte und der König warnte die Wiener Verbündeten offen vor Schmerlings bösen Plänen. Das war seine Art die Geschäfte zu führen: würdig und ehrlich. Aber hatte er die Tragweite des Entschlusses ganz ermessen? Es war innerhalb dieses Jahres der zweite Wendepunkt in den Ereignissen, der so, und diesmal unter der treibenden Einwirkung des Herrschers selber, im October 1864 erreicht war. Von jetzt ab stand nicht bloß das Schicksal der Elblande, sondern ganz offensichtlich – nicht mehr, wie bisher, nur mittelbar – das Verhältniß zu Oesterreich in Frage. Neue Entscheidungen, denen er sich eigentlich zu entziehen wünschte, waren durch König Wilhelm heraufgerufen oder doch beschleunigt worden; einmal hätten sie sich freilich doch eingestellt.



Es ist das größte und reizvollste persönliche Räthsel dieser Jahre, wie wol in Otto v. Bismarcks Seele die österreichische Frage mit der schleswig-holsteinischen innerlich zusammengehangen haben mag. Bisher können wir es nicht lösen; neuer Anhalt wird uns hoffentlich noch geboten werden; in gewissem Sinne wird dieses Problem, wie die entscheidenden Hergänge im Innern des Genius überhaupt, vermuthlich immer strittig bleiben; es wird stets mehrere Antworten vertragen und vermuthlich werden sie alle zusammen richtig sein. Man kann doch die Vorstellung nicht abweisen, daß Bismarck in dem Augenblicke, da er sich der festen Mitwirkung Oesterreichs gegen Dänemark sicher sah, mit hellem Triumphe empfunden haben muß, nun halte er wie die Herzogthümer so auch den Kaiserstaat in der Hand; daß er mit einem Blicke die Wahrscheinlichkeiten der Zukunft übersah: der gemeinsame Besitz der beiden Landschaften müsse zur Auseinandersetzung der zwei, von Alters her rivalisirenden Eroberer führen – und er selber werde nun das widerstrebende Altpreußen in den Kampf, auf den er seit einem Jahrzehnt mit aller Kraft seiner starken Seele hoffte und hindrängte, in den Todkampf mit Oesterreich hineinzwingen können. Das brauchte ja natürlich nicht die einzige Lösung zu sein; auch hier wieder konnte der praktische Staatsmann nur nach demjenigen [622] Höchsten, das er jeweils erreichen könnte, greifen wollen und sich nicht eigensinnig an ein einziges allerhöchstes Ziel fesseln. Er würde nehmen, was sich böte; er wußte ja, wie Geschichte entstünde: „denn je länger ich in der Politik arbeite, desto geringer wird mein Glaube an menschliches Rechnen“, schrieb er mit halber Resignation, die ihn freilich nicht lähmte, schon im Mai 1864. Selbst wenn Preußen nur die Herzogthümer bekam, ohne Oesterreich zugleich aus Deutschland zu vertreiben, so war Preußens Gewinn groß; einen Gewinn mußte es einheimsen, wenn es überhaupt nur fest zugriff. Bismarck war gewiß geneigt, sich auch bei einem Abkommen mit dem Kaiserstaate, wenn es möglich, vortheilhaft und vielleicht nothwendig wäre, zu beruhigen. Aber daß er diesen friedlichen Weg je gewünscht hätte, vermag ich nicht zu glauben; ja, nicht einmal, daß er diesem Wege jemals irgendwelche Wahrscheinlichkeit zugemessen haben sollte. Die von allen Bewegungen der letzten Zeit immer aufs neue genährte, natürliche Eifersucht der zwei Großmächte machte den Zusammenstoß beinahe unvermeidlich; ihn, das ist doch kein Zweifel, wollte Bismarck und für ihn vor allem hat er gearbeitet – noch nicht als Deutscher, aber als Preuße. Moltke hat später die monumentalen Sätze geschrieben: „der Krieg von 1866 ist nicht aus Nothwehr gegen die Bedrohung der eigenen Existenz entsprungen …; es war ein im Cabinett als nothwendig erkannter, längst beabsichtigter und ruhig vorbereiteter Kampf nicht für Ländererwerb, Gebietserweiterung oder materiellen Gewinn, sondern für ein ideales Gut – für Machtstellung“. Das trifft ganz zu; der Historiker wird zudem auf die Quellen jahrhundertalter Gegensätze hinweisen, aus denen der Kriegsentschluß „entsprang“; gewiß, es war kein Entschluß persönlicher Willkür. Aber der Angreifer war Preußen und war Bismarck, und unter diesem Aspecte und keineswegs dem der Friedensliebe oder irgendwelcher Art von Geduld und wohlmeinendem Einlenken stehn die Jahre von 1864 ab. Das ist ihre wahre Größe.

Damit ist aber erst das Thema der allerwichtigsten inneren Entwicklung des greisen Königs in diesen selben Jahren angeschlagen. Schleswig-Holstein war in jedem Belange nur das Vorspiel gewesen. Wilhelm war weit davon entfernt, den Krieg mit Oesterreich zu wollen. Im Herbste 1864 erstrebte er noch die Freundschaft mit dem bisherigen Verbündeten, unter der Voraussetzung, daß auch dieser ihn als gleichstehenden Freund behandle; es war seine alte Forderung. Der Stand unseres Wissens läßt uns ungefähr erkennen, welche Saiten dann weiterhin in seinem Innern vornehmlich geschwungen haben. Einmal das militärische Gefühl. Daß in dem von ihm errungenen Holstein noch Bundestruppen standen, verletzte ihn; er drang darauf, daß sie entfernt wurden und die beiden Herzogthümer nur noch in preußisch-österreichischer Hand blieben. Dies militärische Gefühl führte ihn weiter; wir hörten ihn den stachelnden Einfluß der preußischen Siege auf seine eigenen stillen Wünsche bekennen; der Stolz, den das widerwillige, vom Conflicte zerrissene Preußen nach diesen Waffenthaten doch allgemach überall durchdrang, bewegte vor jedem Anderen ihn; die Stimmung seines Heeres, seiner Officiere, die nicht für den Augustenburger gekämpft haben mochten, übten ihren Eindruck auf ihn. Dazu kam dann sein großmächtliches und sein monarchisches Bewußtsein; dieses nahm Anstoß an der Agitation, welche die Anhänger des Prätendenten gegen die Herrschaft der beiden Mächte, und zumal die preußische, im Lande entfalteten; die augustenburgische Opposition schien ihm den vielbedrohten monarchischen Gedanken überhaupt zu gefährden. Als er den Erbprinzen aufforderte, die Herzogthümer zu verlassen, und sein gebieterisches Ansuchen vergeblich blieb, war ihm das zugleich eine persönliche Kränkung. [623] Und jeder neue Conflict verschärfte diese Empfindungen, verstärkte in ihm das Gefühl, daß der Prätendent und das diesen bald deckende Oesterreich seine Rechte beeinträchtigten. Er selber wollte beim Rechte bleiben, aber auch bei seinem eigenen Recht. Je länger dieser Zustand des Streites währte, um so stärker wurde sein Mißfallen an Oesterreichs Haltung und sein preußisches Widerstreben gegen den alten Nebenbuhler, um so häufiger begegnet die Erinnerung an Friedrich den Großen und an all das, was man seit dessen Tagen von Wien her erlitten habe. Wenn Bismarck meinte, der gegenwärtige, ungelöste Zustand des gemeinsamen Besitzes der strittigen Lande müsse Oesterreich, als den Entfernteren, doch allmählich mürbe machen, so kam ihm diese Wirkung der Zeit auch in der Stimmung seines Herrn zugute. Aber von da bis zur That, bis zum Angriffe, war noch ein weiter Schritt. Man möchte wol wissen, mit welcher Empfindung der König das Dankschreiben seines Ministers für den Stab, den er ihm zu Weihnachten 1864 mit warmen Worten geschenkt hatte, aufgenommen hat, den Wunsch „daß Ew. Majestät Stab im deutschen Lande blühen werde wie der Stecken Arons laut dem 4. Buch Mosis im 17. Capitel, und daß er zur Noth sich auch in die Schlange verwandeln werde, welche die übrigen Stäbe verschlingt, wie es im 7. Capitel des 2. Buches erzählt ist“. Derjenige seiner Vertrauten, der ihm am nächsten stand, Edwin Manteuffel, hat in einem Briefe an Roon vom März 1865 den Eindruck ausgesprochen, „im Innern denke der König doch noch die Armee in einem Kriege zu commandiren und sei in seinem Gedankengange da an Moltke als Generalstabschef gewöhnt“. Gewiß, es waren keine absoluten Gegensätze, die ihn von Bismarck schieden, aber über alles Gemeinsame überwog zunächst doch noch die Schwierigkeit, den letzten Entschluß zum Kriege wirklich zu fassen.

So verliefen die anderthalb Jahre vom Herbst 1864 bis in den Frühling 66. Oesterreich stellt gleich anfangs, nach Rechbergs Falle, seine Forderungen, Selbständigkeit Schleswig-Holsteins unter seinem Herzog oder aber Entschädigung Oesterreichs durch Preußen. Preußen bringt im Februar 65 seine Bedingungen für den augustenburgischen Sonderstaat, dessen Souveränität sie beinah unerträglich einschnüren; sie sind dem Prätendenten unannehmbar. Der Gegensatz erfaßt nun den Bund und erfaßt Europa; während der Bund sich für Augustenburg ausspricht, ergreift Preußen vom Kieler Hafen Besitz und klopft an in Paris und Florenz. Auch der König denkt nicht daran, Kiel fahren zu lassen; er wendet sich persönlich gegen den Aufenthalt des Erbprinzen; er wird in seinem Rechtsbedenken durch den Spruch der Kronsyndiken beruhigt; seine Aeußerungen gegen seinen Sohn, gegen eine augustenburgische Prinzessin zeigen im Juni die offenbar gesteigerte Neigung zur Annexion. Zwei Kronräthe werden, am 29. Mai und am 21. Juli, abgehalten. In beiden opponirt der Kronprinz, im ersten neben ihm der Finanzminister; Bismarck befürwortet da die Annexion und den Krieg: unvermeidlich ist er und populär würde er auch sein, aber nur der freie Entschluß Seiner Majestät darf ihn herbeiführen. Roon und der Rest der Minister folgt ihrem Präsidenten; der König befragt Moltke: auch dieser stimmt Bismarck bei. Aber die Entscheidung vertagt der Herrscher noch. Am 21. Juli beschließt man ein Ultimatum an Oesterreich; wird es nicht helfen, in den Herzogthümern erträgliche Zustände zu schaffen, so hilft sich Preußen allein. Die Krisis scheint gekommen. Da aber wird sie noch einmal abgewendet. Die innere Lage macht dem Kaiser, die europäische seinen Gegnern den Ausgleich erwünscht und die Gasteiner Convention vom August 1864[1] verschiebt die Lösung, indem sie den strittigen Besitz vorläufig theilt und den Oesterreichern Holstein, den Preußen Schleswig, diesen zudem, [624] gegen eine Geldsumme, dauernd Lauenburg zuertheilt; im Einzelnen sind die Bestimmungen Preußen günstig, im Ganzen ebenfalls, insofern der Kaiser die augustenburger Candidatur geopfert hat. Für Wilhelm war die Erleichterung groß; „Gott sei Dank! sagte er zu Louis Schneider, das war wenigstens ein unblutiger Sieg!“, er erhob seinen Minister in freudiger Dankbarkeit – froh offenbar nicht über die Erfolge allein – in den Grafenstand. Aber freilich, der Sieg war auf die Dauer ebenso nutzlos wie er unblutig war. Als jetzt Manteuffel als Gouverneur in Schleswig einzog, gerieth der hochconservative Mann sofort in fast hitzigeren Gegensatz zu den Oesterreichern und zu ihrem augustenburgischen Gaste in Holstein, als der so viel weniger gesinnungssichere Bismarck. Die Verständigung der beiden Höfe nahm bald ein Ende; im Januar und Februar 66 brach die mühselig vernähte Wunde wieder auf. Wieder fühlte sich Wilhelm durch den unmonarchischen Bund der Hofburg mit der Kieler Opposition persönlich betroffen; Bismarck aber stellte fest, daß die Allianz der beiden Großmächte erloschen sei. Für ihn war das kaum eine neue Erkenntniß und schwerlich darf man die Krisis seines Lebens in diese Wochen verlegen wollen; aber für Wilhelm brach jetzt die Stunde herein, wo es galt, endgültig Ja oder Nein zu sagen. Die preußische Macht stand auf dem Spiele; das Dasein der Krongewalt stand auf dem Spiele: denn der Conflict ging ungebrochen weiter und ein ruhmloser Rückzug im Aeußeren bedeutete auch die moralische Niederlage im Innern. Jetzt, etwa vom März bis zum Mai 1866, entschied sich in der Seele des Königs der Kampf. Dabei erst tritt sein Verhältniß zu Bismarck in seiner ganzen Breite und Tiefe vor den Biographen hin.

Die eigenen alten Bedenken des Monarchen wurden damals von allen Seiten her genährt und gestachelt. Sein Sohn hatte in allen Verhandlungen mit Friedrich von Augustenburg dessen Partei gehalten und wesentlich dazu beigetragen, daß sein Freund, im Vertrauen auf den hochgestellten Beistand oder mindestens durch dessen Erregung bestärkt, den Augenblick des Einlenkens versäumte. Jetzt war man im kronprinzlichen Palais voll tiefer Erbitterung auf den waghalsigen und gewissenlosen Minister, der, um Schleswig-Holstein zu rauben, den Bruderkrieg entfessele und um Preußens Dasein würfeln wolle. Bis an die Schwelle des Krieges heran hat dieser Widerstand sich fortgesetzt und auf Wilhelm unmittelbar und mittelbar einzuwirken getrachtet; eine ganz Gruppe unheilweissagender Politiker schloß sich an, die Königin Augusta nebst ihren diplomatischen Berathern war ganz auf dieser Seite. Längst hatten sich die staatsmännisch blickenden Männer, wie Bernhardi, Duncker, Droysen und so Mancher außerhalb Preußens zu Bismarcks auswärtiger Politik bekannt; auch von den Conservativen blieb ein guter Theil ihm treu, in Roon, Manteuffel, Blanckenburg überwog das preußische Bewußtsein ganz. Andere indessen, die Doctrinäre wie Leopold v. Gerlach, wandten sich erschreckt von der revolutionären Thatkraft ihres früheren Parteigenossen ab, als diese sich offen gegen Oesterreich und den Bund zu kehren und die Feinde aller legitimen Gewalten für sich aufzubieten begann; auch dem Könige mußten solche Stimmen Eindruck machen. Von rechts und links immer die gleiche, klagende und drohende Warnung! Die Hauptsache war sein eigenes Empfinden. Trotz allem aber hat er Bismarck sein Werk thun lassen.

Das etwa wird ja die populäre Ansicht von dem Verhältnisse Wilhelms I. zu seinen Paladinen sein, die 1866 nun alle bereits um ihn geschart waren: er hat es verstanden, die Großen zu finden und sie zu halten; gehandelt haben sie, er hat sie gewähren lassen und sie gedeckt, er hat vor allem die schwerste sittliche Fürstenpflicht geübt, den Genius neben sich zu ertragen. – Diese Ansicht [625] ist richtig, aber sie ist unvollständig. Wahrlich, schon das Verdienst, das sie dem Herrscher zuweist, ist überaus groß und jeder Ehrfurcht werth. Aber Wilhelm I. hat weit mehr gethan. Er hat nicht nur die natürliche Eifersucht – soweit er sie etwa besessen hätte –, nicht nur die negativen, sondern gerade die positiven Kräfte seines eigensten Innenlebens überwinden müssen, um Bismarcks Thaten zu ertragen, und er hat sie überwunden. Darin liegt sein innerliches Heldenthum. Mochte er das eigentlich Entscheidende schon im Herbst 1862 gethan haben, als er Bismarcks Hand endlich ergriff – der Gegensatz der Charaktere war doch immer wieder hervorgebrochen, und immer glaubt man die stille Abneigung zu spüren, die der König der Art seines riesenhaften Mitarbeiters entgegensetzt: manchmal tritt sie ja offen zu Tage. Das Verfahren, das jenen an schwindelnden Hängen entlang und über tiefe Abgründe hinüberführt, der Einschlag von Gewaltsamkeit und List in seinem Gewebe, blieb dem Könige fremd und widerwärtig, das leuchtet aus seiner Behandlung eines jeden neuen Problemes hervor; er ist rein, wie er gewesen war, geblieben, und Bismarck hat ihm geholfen, daß Er es bleiben konnte; von den Umwegen, deren der Minister nicht entrathen konnte, hielt er den König immer fern. In diesen Dingen hat dann freilich Bismarck statt seines Herrn und, wenn man so will, ohne und gegen dessen Willen gehandelt. Dennoch blieb ein großes Gebiet, und zwar das eigentlich wichtigste, übrig, auf dem dieser selbst wollend mithandeln mußte, gerade das Gebiet der großen grundsätzlichen Entscheidungen. Und da gerade verlangte Bismarck von seinem König wahrlich viel. Vor allen Dingen, gegen den Krieg, und sei es aus welchem Anlaß auch, sträubte sich das ganze Wesen des alten Herrn. Er empfand die furchtbare Verantwortung für das Blut, das er vergießen, noch mehr wol für den Staat der Hohenzollern, den er auf das Spiel setzen sollte. Der Krieg sollte gegen Oesterreich gehen. Ich glaube nicht, daß es gerade sein Herz war, das an dem Bruche mit Oesterreich so schweren Anstoß nahm; Oesterreich war seinen Gefühlen von Jugend auf zugleich der Feind gewesen und doch eigentlich immer geblieben. Aber immerhin, Oesterreich vertrat ihm – abgesehen von seiner Gefährlichkeit als Gegner – in diesem Falle die Welt des Conservatismus, der er von Kindheit auf angehörte, und seine Bundesgenossen sollten Frankreich vielleicht, sicher Italien sein, die Mächte der Revolution; noch einen Schritt weiter, und es wurde ihm zugemuthet, die Ideen von 1848 in Deutschland selber aufzurufen, den Bund umzugestalten nach den Entwürfen der Paulskirche. Hatte er solange der Volkssouveränität widerstanden, um nun, wenngleich durch fürstlichen Arm und von oben her, ihr Werk zu vollstrecken? Die alten preußischen Kräfte, die er in sich trug, wurden, durch einen Staatsmann, der freilich selber ganz Preuße war und zunächst nichts wollte als preußische Zwecke, auf ein neues Feld hinausgeführt, das sich noch ganz fremd und unabsehbar dehnte. Sollte es König Wilhelm vermögen, sich diesem ungeheuren Zuge der Bismarckschen Politik hinzugeben? Bethmann-Hollweg wagte es am 15. Juni 1866 dem Könige ins Gesicht zu sagen, der arge Minister habe im „Widerspruche mit der Gesinnung und den Zielen seines Herrn“ gehandelt, jenen gewissermaßen düpirt, sein Bild vor den Augen seines Volkes gefälscht. Von diesem Urtheil hat Wilhelm sicher kein Wort zugegeben und in der That sagt es mindestens viel zu viel.

Darin vielmehr lag für Bismarck eben die Schwierigkeit, daß der König zäh an sich selber festhielt und keinen anderen Willen einfach für den seinigen eintreten ließ. Er war der König; er hatte die Krone vom Tische des Herrn [626] genommen, auf ihm lag die Weihe und er war etwas Anderes als die Andern. Das war zweifellos Wilhelms Anschauung. Sie erlaubte ihm, den Anderen viel zu überlassen, denn er stand doch über ihnen; sie war es, die seine königliche Seele vor der Gefahr der Eifersucht auf seine Diener bewahrte; und wirklich hat er sich, als der Herr, in der Würde der wahrhaftigen Majestät allezeit zwischen und über den Großen, die er berufen hatte, behauptet. Den Zusammenhang zwischen ihnen allen, die Einheit über ihnen allen, stellte doch immer nur er selber dar. Er wußte, was er seinen „Fachmännern“ verdanke, Alexanders II. Unglück sei es, daß er keine habe. Er hielt dabei von Anfang an den Grundsatz fest, mit jedem von ihnen nur über die Gegenstände seines besonderen Ressorts zu handeln; er versicherte 1865 L. Schneider, mit Bismarck habe er nie militärische, mit Manteuffel nie politische Dinge besprochen. Vielleicht war das nicht wörtlich – oder auch, es war nur dem Worte nach – richtig; denn daß der Chef seines Militärcabinetts, der ihm sein Officiercorps so heilsam verjüngen half, damals auch einen gewissen politischen Einfluß auf ihn geübt hat, kann man nicht bloß vermuthen, sondern fast beweisen; die Grenzen der beiden Bezirke waren ja schließlich fließend; Bismarck und Roon haben wohl gewußt, weshalb sie das halbe Jahr 1865 daran gearbeitet haben, den allzu mächtigen Generaladjutanten von der Person des Herrschers wegzubefördern. Und so mochte sich der König wol immerhin ein wenig über seine unbedingte Selbständigkeit täuschen; die Kieler Politiker erzählten sich im Februar 1864 die ganz wahrscheinliche Geschichte, daß er, im damaligen Zwiste mit Bismarck, den Rathschlag, jenen zu entlassen, als überflüssig abgewiesen habe, „denn Bismarck müsse ja doch thun, was er, der König, wolle“. Der Irrthum, der dabei unterläuft, ist handgreiflich; dennoch bleibt der Kern bestehen, daß nämlich Wilhelm nie auf die ernsthafte und ganz persönliche Antheilnahme an den Entschlüssen verzichtet hat. Es war ihm selbstverständlich, daß Er sie zu fassen habe. Und Bismarck erkannte das an; er wußte auch, daß er mit dem preußischen Königthume zu thun hatte, und meinte nur handeln zu können, wenn er die ganze lebendige Persönlichkeit seines Fürsten für sich habe: „seine passive Zustimmung, sagte er am 27. April 1866 zu Bernhardi, genügt mir nicht!“ Und in der That, es ging ja um Krone und Dasein. Jene Verantwortung, die auf ihm lag, konnte kein Lebender dem Monarchen abnehmen: sie war seine Bürde aus Gottes Gnaden und Auftrag und er fühlte sie ganz. Er hätte sich gewissenlos gefunden, wenn er sie nicht durchgekämpft hätte, in bittrem Ernste, in schlaflosen Nächten, in Thränen und heißem Gebet. Was in ihm widerstrebte, kam da alles zu Worte, und wurde nur in hartem Ringen überwunden. Aufgezwungen hat ihm dies sein Minister; man darf wol sagen, ohne diesen Zwang wäre König Wilhelm, soweit es über das Wenn und Aber Vermuthungen geben kann, zu keinem der großen Ergebnisse seiner Regierung gekommen. Aber daß er sich prüfte, sich wandelte, daß er sich dann einsetzte und Alles wagte, das ist doch seine That, und die ehrwürdige Leistung eines tiefen innerlichen Lebens. Er war gegen sich selber und seine Vergangenheit treu; um so härter ist jenes Ringen gewesen und seine Berather haben ebenso schwer, vielleicht schwerer darunter gelitten als er selbst. Wäre er aber gegen sie so treu geblieben wie er es ein Lebenlang geblieben ist, wenn er von weniger zäher Treue gewesen wäre gegen sich selbst? Diese Schwerfälligkeit ist doch eben der Schatten seines Lichtes, oder vielmehr, sie ist selber Licht. Und man hat mit Recht gesagt, daß sein Volk und eine jede Nachwelt sich des großen Schauspieles dieser innerlichen Kämpfe freuen darf. Es war der Kampf lebendiger Gewalten, die Auseinandersetzung des Alten mit dem Neuen, die [627] innerliche Ueberwindung des hier verkörperten alten Preußens, das sich jetzt, von einem Genius geführt, in die neue Zeit, handelnd, nicht etwa bloß duldend, hinüberfinden sollte; es war der Kampf lebendiger Menschen, bei denen Persönlichkeit gegen Persönlichkeit, Recht gegen Recht, Wille gegen Willen steht und nicht etwa die willenlose Schwäche des Einen durch die einseitige Herrschaft des Andern erdrückt wird. Aus dem Kampfe starker Kräfte aber entspringt in aller Geschichte die lebensfähige Zukunft. Wie viel größer und tiefer sind hier die Hergänge und die Menschen, als in dem älteren Beispiele, an welches das Wort von „dem ersten Schüler“ Bismarcks den Historiker erinnern möchte, in der Eroberung des schwachen Königs Ludwigs XIII.[WS 34] durch den Bismarck so vielfach wahlverwandten Genius Richelieus[WS 35]! –

Vielleicht wird man dereinst in der Lage sein, genauer die Empfindungen bestimmen, vielleicht sie in ihrem Wandel verfolgen zu dürfen, die Bismarck in diesem Kampfe der Persönlichkeiten und Gedanken seinem Fürsten gegenüber erfüllt haben. Wo wir sie bisher untersuchen oder errathen können, da mischt sich in ihnen naturgemäß ein Zug von Ungeduld und Widerspruch, der überlegene Drang, sich durchzusetzen, und die feine Berechnung des Menschenkenners und -lenkers, die sich der Eigenart und Eigenheit, auch der Schwächen des Anderen souverän bedient, mit dem ganz ebenso aufrichtigen Bewußtsein der Treue und liebevollen Ehrfurcht, die der gewaltige Diener, von Hause aus bereits und vollends in der zusammenkittenden Gemeinschaft harter Nöthe und mächtiger Thaten, der echten Hoheit seines Herrn entgegenträgt. Zuletzt hat doch immer die große sachliche Nothwendigkeit in ihren Beziehungen den Ausschlag gegeben und hat sich das Kleinere auch in ihrem persönlichen Verhältniß dem Großen und Reinen untergeordnet. Es sollten noch Jahre kommen, in denen dies Verhältniß, nach allen Gegensätzen des Beginnes, sich wie durch einen Sonnenstrahl persönlicher Freundschaft erwärmen und vergolden würde.

Vorerst standen sie in der Periode des schärfsten Kampfes. Ich suche aus diesen entscheidenden Monaten wenigstens die charakteristischen Züge herauszuheben. Am 28. Februar 1866 legte der preußische Ministerrath, den Herrscher voran, die Lage eigentlich ganz klar: man war, bis auf den Kronprinzen und den Finanzminister, einstimmig für den Krieg; nur abzuwarten beschloß Wilhelm noch. Moltke, Roon, Manteuffel hatten sich in Bismarcks Sinne geäußert. Der März steigerte, unter unfreundlichem Schriftenwechsel der beiden Mächte, die Spannung; am 27. entschied sich der Ministerrath für allerlei militärische Maßregeln, Bismarck drängte, dem Osterfeste zum Trotz, auf deren schleunigen Vollzug durch den König. Schon unterhandelte man seit Mitte März mit dem italienischen Abgesandten Govone[WS 36], am 8. April schloß man ab; am 9. brachte Savigny am Bundestage den preußischen Antrag auf Berufung eines deutschen Parlamentes ein – eine Kette scharfer und weitreichender Handlungen. Verhältnißmäßig am unklarsten ist uns die Stellung, die Wilhelm dabei zur Bundesreform einnahm. Seine persönlichsten Wünsche, ein Brief an Ernst von Coburg vom Ende März bezeugt es, hielten sich auch jetzt noch in engen Grenzen: eine gewisse Bundesreform namentlich für Norddeutschland; für ihn selber die Stellung, wie er sie 1860 in Baden eingenommen, selbstlos und bundestreu; nur muß Oesterreich die Ebenbürtigkeit Preußens endlich anerkennen. Also Preußens Stellung wollte er wie immer wahren, und sie, gegenüber den Tendenzen des Prinzregenten, wol auch steigern, eine Vormacht im Norden, eine gewisse moralische Führerstellung überdies, nahm er in Anspruch. Merkwürdig: gerade jetzt, da der Krieg heranrückt, bekennt er selber sich zu den Bestrebungen seiner ganz friedlichen Anfangsjahre, friedlicher, als er bereits 1862 gehandelt oder doch gesprochen hatte. So blieb [628] sein innerstes Empfinden, über alle Entwicklung seiner äußeren Entschlüsse und Entschlußfähigkeit hinweg. Wie sich nun diese doch immerhin recht bescheidenen Ansprüche mit dem Antrage auf ein deutsches Parlament, ein Parlament aus allgemeinen und gleichen Wahlen, vertragen sollten, wie Wilhelm sich zur Genehmigung dieses Antrages hat gewinnen lassen – das wird aus den uns bekannten Nachrichten nicht deutlich; daß er sich gesträubt habe, daß er hier etwas ganz Anderes als sein Minister wünschte, wiederholte z. B. der französische Gesandte Benedetti[WS 37] in seinen Briefen damals oft genug. Bismarck blieb sich selber nur consequent, indem er die Bundesreform aufnahm. Die Lage der Dinge zwang Preußen, zwang auch den König gebieterisch, es zu thun; seine eigenen Neigungen drängte er zurück; mehr wissen wir vorerst nicht zu sagen. Auch der Antrag vom 9. April in sich selbst regt allerlei Fragen an; unmittelbar scheint er, und ebenso seine Erläuterung vom 11. Mai, den Fortbestand des alten Bundes, offenbar mitsammt Oesterreich, vorauszusetzen; wie aber sollte die neue Einrichtung mit dem Verbleiben Oesterreichs im Bunde vereinigt werden? All diese Vorschläge sind, in ihrer Begrenztheit, wol nur aus taktischen Rücksichten auf den Augenblick zu begreifen; Bismarck mochte sicher sein, daß die Lage sich bald ändern, der Stein fortrollen, der Ausschluß Oesterreichs sich von selber ergeben werde: thatsächlich war ja doch dieser Ausschluß die nothwendige Voraussetzung oder Folge des Parlaments. Vorläufig mochten die Anträge auch Wilhelms wegen davon absehen, das Letzte und Aeußerste gleich scharf zu formuliren. Viel war es bereits, daß er das demokratische Parlament zugab; es sieht fast aus, als ob er damals diese Pläne nicht in ihrer ganzen grundsätzlichen Tragweite, sondern mehr als unvermeidliche Auskunftsmittel des gegenwärtigen diplomatischen Kampfes mit Wien ergriffen habe. Denn noch zeigte er sich im übrigen zu extremen Thaten keineswegs bereit; gerade im April begann er sich wieder zurückzuziehen. „Wir sind sehr einig, aber „Wir“ sind nicht immer zu schnellen Entschlüssen und Handlungen geneigt“, hatte Roon nach dem Kronrath vom 28. Februar geschrieben. Diese Abneigung Wilhelms ward jetzt zu sehr ausdrücklicher Friedenslust. Die Aussicht auf die Gegnerschaft Baierns erweckte (5. April) seine ernsten militärischen Sorgen; angreifen wollte er nicht, die drei ersten Aprilwochen sind von weitgehenden Abrüstungsverhandlungen mit dem Kaiserhofe angefüllt. Bismarck sah Alles von neuem in Frage gestellt; die Zeugnisse seiner leidenschaftlichen und zornigen Erregung sind zahlreich. Er versuchte seinen Grimm in diesen Zeiten weder vor den ausländischen Diplomaten – denen der Stand dieser Beziehungen übrigens ohnehin bekannt war – noch vor den preußischen Politikern zu verbergen; er hat zu den Benedetti und Govone, weit mehr noch zu den Bernhardi und Duncker mit verblüffender Klarheit über sich und seinen Herrn gesprochen. Er könne, sagt er am 22. zu Duncker, die Sache nicht weiter führen; das Abrüstungsangebot des Königs habe Alles verdorben, so sehr er seinerseits sich bemühe, es durch Klauseln wieder gut zu machen; er wolle zurücktreten, wenn er nur – was freilich bis jetzt nicht der Fall sei – ein Ministerium erblicke, das ihn in dieser Lage zu ersetzen vermöge. Seine ganze Seele lebte und webte in dem Kampfe, den man ihm nun, noch im letzten Augenblicke, wieder untersagen wollte: „wie Jakob bei Laban“ habe er dem Könige gedient, um ihn für diesen Kampf zu gewinnen, und wahrlich nicht trivialen Ehrgeizes halber. Jetzt ließ ihn, inmitten der Arbeit und Erregung, zu allem Ueberflusse „sein treuester Unterthan“, sein Magen, im Stiche, und ein ernstes Unwohlsein lähmte gerade in entscheidenden Wochen seine unerläßliche persönliche Einwirkung auf den Herrscher; jetzt ärgerten ihn „die Intriguen“ der königlichen Verwandtschaft; er klagte Roon, [629] daß er „diese entsetzliche Friction nicht mehr ertragen könne“, und der Freund, selbst kein geduldiger Mann, mußte sich wieder mühen ihn zu beruhigen und zu stärken und die begreifliche Unsicherheit des Königs zu entschuldigen. Bismarck setzte Alles daran, diesen nicht los zu lassen; er wandte sich unmittelbar an ihn; zurückhaltend in der Form, aber vollständig klar in der Sache, schrieb er ihm am Tage der höchsten Spannung, am 22. April. Es widerstrebe ihm, den Landesherrn zum Kriege unbescheiden zu drängen, er könne da weniger rathen als beten; aber es sei doch nur ein Aufschub, in Wien die Feindschaft gegen Preußen der oberste Staatszweck; man werde dort nur auf eine Gelegenheit warten, wo Preußen ungünstiger stehe als jetzt. – Da aber kam ihm auch die Befreiung; die Rüstungen Italiens brachten die österreichischen wieder in Fluß und mit der Abrüstung war es vorbei. Eine deutliche Aussprache des Königs mit seinem Minister fand statt; „Otto ist darüber fast gesund geworden“, jubelte Roon (25. April). Und nunmehr liefen die Dinge, wenn auch nicht ruhig, so doch gleichmäßiger voran. Anfang Mai begann Preußen mobil zu machen; gleichzeitig zog sich, auf Roggenbachs freimüthigen Rath, die Königin, allerdings mit offenem Proteste, aus Berlin zurück und gab das Feld frei. Noch immer versuchte der König es mit Vermittlungen, die er sicherlich ernsthaft gemeint hat und auf die Bismarck nothgedrungen einging, ohne wol noch an die Möglichkeit ihres Gelingens zu glauben oder diese zu fürchten; sie scheiterten an der Ablehnung Oesterreichs, nicht minder ein Congreß, den Napoleon vorschlug. Sonderbar genug klingen die Berichte, wie die befreundeten Besucher noch tief im Mai den König in Friedenshoffnungen fanden, den Minister des Krieges gewiß. Moltke und Roon haben damals dem beinah 70jährigen die Schwere des Entschlusses warmherzig nachgefühlt. Sein Widerstand war vergeblich: im Grunde wollten beide Parteien jetzt den Krieg, zu große und tiefe Gegensätze waren aufgerüttelt und drängten der endlichen Abrechnung zu, kein Einzelner konnte die Schwerter mehr in die Scheide zurückstoßen. Und in den Stunden, da er dies selbst empfand, wallte dem alten Fürsten doch auch das Soldatenblut freudig auf: „ich weiß es, rief er damals Schneider entgegen, sie sind Alle gegen mich, Alle! aber ich werde selbst an der Spitze meiner Armee den Degen ziehen und lieber untergehen, als daß Preußen diesmal nachgibt“.

Er hatte so lange und fast länger gezaudert, als er ohne Gefahr durfte. Wir besitzen die immer neuen Klagen und Mahnungen Moltkes, der die günstige strategische Lage sich allgemach in ihr Gegentheil verkehren sah; Wilhelm selber hat lange geglaubt, zu bloßer Defensive verurtheilt zu werden. Die Mängel der Oesterreicher haben es bewirkt, daß die Lage trotz allem günstig blieb; und, es ist mit Recht gesagt worden, König Wilhelm durfte zaudern, denn das Instrument, das er gebildet hatte, das Heer, glich durch seine schlagfertige Raschheit die Säumniß des obersten Kriegsherrn aus; sein eigenstes Verdienst trat so in die Lücke ein, die er im Augenblick, aus ehrlicher Gewissenhaftigkeit, dem Feinde öffnete. Und nun, im Juni, zwang ihn Oesterreichs diplomatischer Angriff am Bundestage zur That. Er hatte das Bewußtsein und durfte es haben, daß er langmüthig gewesen war bis zum äußersten; er sprach jetzt mit ehrlichem Zorne von dem Lug und Trug und der Willkür des Gegners; er hielt sich für den angegriffenen Theil. Die allezeit unzuverlässige Priorität der Rüstungen mochte ihm dabei Recht geben, der Kern der Ereignisse sicherlich nicht. Aber er selber hatte sich gegen den Strom der Dinge, dem sein Minister die Dämme durchstochen hatte, kämpfend bis an das Ende behauptet. Jetzt, da er vorwärts mußte, that er es mit gutem Gewissen, mit fast naiver Einseitigkeit, aber mit dem Entschlusse, nunmehr [630] auch ganze Arbeit zu thun. Er berief sich auf Friedrich II., dessen Werk er vertheidige, indem er jetzt das Schwert aufnahm; er reihte sich in den Zusammenhang der preußischen Größe ein. Der neue Antrag auf Bundesreform, den er am 10. Juni in die Welt schickte, wies Oesterreich aus dem deutschen Staate weg: er war vollständig und klar. Der unwiderstehlich hohe Zug des Augenblickes hatte dem Könige dieses Aeußerste aufgenöthigt. Hat er jetzt die volle Bedeutung des Antrages empfunden, oder versank ihm dieser einigermaßen in der überschäumenden Erregung des nahen Entscheidungskampfes? Ueber die Pläne, die er seit 1859 vertrat, ging dieser Reformplan weit hinaus; aber an die Prophezeiungen von 1849 und 50 knüpfte er wieder an. Die stolzen Hoffnungen des noch ungebundenen Prinzen von Preußen, zu denen wir den König mit seiner lastenden Verantwortlichkeit sich in langsamen Erfahrungen mühevoll und widerwillig zurückfinden sahen, werden, von Bismarcks Hand, in der Stunde der großen Abrechung, wieder an das Licht gerissen; erst der Kriegsausbruch von 1866, so darf man rückblickend wiederholen, bringt für Wilhelm und für Preußen und Deutschland die Wandlung ganz zur Reife, die 1862 begonnen hat.

Der Minister hätte gewünscht, dem äußeren Kampfe den inneren Friedensschluß vorausgehen zu lassen; er verhandelte mit den Führern der Liberalen innerhalb wie außerhalb Preußens; er empfahl dem Könige, dem Gefühle des Volkes durch Erklärungen, vielleicht auch durch einen Wechsel innerhalb des Ministeriums entgegenzukommen. Da aber fand er seinen Herrn unerbittlich: vor dem Siege mindestens wollte Wilhelm keinen Fuß breit weichen. Und nun ging er in den Kampf. Seine beiden großen Gehülfen, der Staatsmann und der Feldherr, hatten zu klagen und zu treiben gehabt bis zuletzt, sie hatten ihre Ungeduld mühselig bemeistert. Um den 14. Juni herum aber wurde Alles klar. Von diesem Zeitpunkte ab, seit die Waffen heraus sind, wird König Wilhelm ganz ruhig und fest. Jetzt trat er auf das Feld seines eigenen Berufes.



Vielleicht gewährt erst der Krieg von 1870/71 für Wilhelms I. Leistung als Oberfeldherr das rechte Maß; vielleicht ist überhaupt die Stunde noch nicht gekommen, wo es der Historiker wagen darf, über diese militärische Leistung und über das so schwer bestimmbare Verhältniß des Königs zu seinem Generalstabschef abwägend zu urtheilen. Den Versuch wird er, trotz manchen Vorbehaltes, auch hier nicht umgehen dürfen.

Man hat die Stellung Bismarcks zu seinem Könige derjenigen eines Stabschefs zu seinem Generale verglichen. Aber abgesehen davon, daß da das immerhin Deutlichere durch das Undeutlichere erläutert wird, so triff der Vergleich, mindestens bis 1866, doch wol überhaupt nicht zu. Wir sahen den König in aller äußeren Politik seinem überlegenen fachmännischen Berather widerstreben, ihre Beziehungen haben die Form des Kampfes, und wenn Wilhelm auch die Entscheidung und die Verantwortung zuletzt immer selber auf sich nimmt, der Handelnde ist doch nicht eigentlich er. Auch in der Kriegführung ist dies ja nun im höchsten Sinne ganz gewiß Moltke gewesen. Aber hier war das Verhältniß des obersten Führers und seines nächsten Berathers, so überragend dieser blieb, doch offenbar ein anderes, ein völlig normales. Was er mit einem anderen Generalstabschef erreicht haben würde, wissen wir nicht; aber wir sehen, daß dieser, den er ausgewählt hatte, in seiner durchsichtig klaren und gleichzeitig unwiderstehlich vorwärtsdrängenden Kraft, genau die Richtung traf, die auch sein Herr zwar sicherlich nicht allein zu gehen vermocht hätte, aber von Grund seines Herzens billigte und wollte. Hier ergriff [631] und ermaß er Alles mit unbeschränktem Verständniß; hier war er einheitlich und sicher; hier leistete er selber mit vollem Bewußtsein das Große. Er eignete sich, von jenem Augenblicke an, wo die Politik mit ihren Schwankungen von ihm abfiel und der Krieg in sein Recht trat, jede Kühnheit seines großen Rathgebers zu; er lähmte und hemmte so gut wie nie; und er setzte seine eigene Persönlichkeit ganz für diese Kriegführung mit ihrer stolzen Initiative ein. Er bildete hier den Vereinigungspunkt für alle Kräfte und wahrte deren Einheit und Ordnung, er gab Moltke, durch seinen lebendigen Willen, erst die Möglichkeit zu freier Wirkung; er füllte den Platz des Obercommandirenden ganz aus, indem er, in vollständiger Kenntniß der Bedeutung, Alles dazu that, das Richtige zu bestätigen und zu vollstrecken. Jener „activen Zustimmung“ des Fürsten, die Bismarck für die Hauptentscheidungen der Politik unentbehrlich fand, war Moltke gewiß; ungleich schwerer noch als aus der politischen Geschichte dieser Jahre vermöchte man sich die Gestalt Wilhelms I. aus der Geschichte der zwei Kriege wegzudenken; seine Sachlichkeit und Thatkraft gehören da zu den ersten, positiven Bedingungen des Erfolgs. Und alles Beste, was sein preußisches Heer ererbt und aus den Kämpfen des Jahrhundertanfanges gelernt, was es sich in langer Friedenszeit denkend und übend erarbeitet hatte, alle hohen Ueberlieferungen Gneisenaus und Clausewitzens waren es, die in Wilhelms Persönlichkeit wirkten, ja in ihr sich verkörperten. Wie oft hatte er seinem Begleiter von 1814, seinem Lehrer Natzmer, herzlich und hingebend gedankt! Jetzt pflückte er die Früchte seiner frühen kriegerischen Erfahrungen und seines ganzen militärischen Lebens.

Er leitete, bis Ende Juni von Berlin her, im Verein mit Moltke, die Bewegungen in West und Süd; er freute sich der Siege seines Sohnes und dachte dabei mit leiser Wehmuth daran, wie lange er selber solchen Sonnenglanz entbehren gemußt. Er ging am 30. zum Heere ab, befahl unterwegs die Vereinigung seiner Armeen bei Königgrätz, nahm alsbald, in Böhmen eingetroffen, selbst das oberste Commando; er kam noch rechtzeitig, um für die Schlacht des 3. Juli die vorbereitenden Anordnungen zu treffen, und er hat dann in der Nacht vom 2. auf den 3. in Gitschin auf Moltkes Vortrag den Angriff für den folgenden Tag festgesetzt: er ist in der größten Schlacht des Jahrhunderts unmittelbar der oberste Führer und Sieger geworden. Und unmittelbar ist er am ganzen Verlaufe des Entscheidungstages betheiligt geblieben, immer seinen Truppen nahe, treibend, dankend, kaltblütig bis zu einer beinah allzu lässigen Verachtung der persönlichen Gefahr, nachher im Siege tief und fromm bewegt, voll herzlicher Trauer und demüthig hoher Freude. All seine schlichte, selbstverständliche Größe tritt überwältigend heraus, hier da der Heereskönig mit den Seinen Alles, die hellen wie die düsteren Stunden theilt und sein Herzschlag mit dem ihrigen so ganz zusammenklingt. Aber der Lauf ging weiter – selbst für einen Roon manchmal betäubend rasch, bis nah an die Thore Wiens; das Werk der Reorganisation und die Einheit der Führung bewährten sich bis zuletzt; aus schweren Seelennöthen, aus schmerzlicher Anfeindung stieg der 69jährige Herrscher auf die Höhen des strahlendsten Sieges empor. In der Heimath wurde die Anklage vom lauten Jubel des preußischen Stolzes übertönt; auch seine Nächsten, die Gemahlin und vollends der Sohn, waren zu ihm zurückgekehrt, überschwänglich sah er sein Ausharren und seine selbstüberwindende Tapferkeit belohnt.

Da trat noch einmal, in ganz veränderter Gestalt, die politische Sorge vor ihn hin. Längst hatten die kriegführenden Staaten mit Napoleon verhandelt, dessen Neutralität den Preußen eine wichtige Voraussetzung des Gelingens gebildet, dessen Begehren nach deutschem Gebiete mit steter Drohung [632] auf ihnen gelastet hatte. Unmittelbar nach Königgrätz rief Oesterreich, das schon im Juni in Paris dem Gegner den Rang abgelaufen hatte, die französische Vermittlung an und Napoleon griff, am 4. und 5. Juli, gebieterisch zu. Die Frage entstand, ob man den neuen Kampf mit Frankreich aufnehmen oder ob man die Vermittlung ertragen wolle und wie man es vermögen werde sie zu ertragen, vielleicht sie zu verwerthen.

Bismarck war in den Waffengang eingetreten, weil er Preußen von der alten, fesselnden und manchmal fast erdrückenden Nebenbuhlerschaft Oesterreichs befreien gewollt. Er hatte Preußens Obergewalt mindestens im Norden, womöglich doch wol immer über ganz Deutschland aufzurichten gewünscht; seinen alten Plänen gemäß, vom Augenblicke zugleich vorwärts gedrängt, hatte er zuletzt die Reform des Bundes im weitesten Sinne, die Errichtung des neuen kleindeutschen Bundesstaates, auf das preußische Banner geschrieben, das preußische Interesse und der Schwung des nationalen Gedankens sollten sich vermählen. Damals, am 10. Juni, hatte er Baiern noch eine große Stellung im Süden zugewiesen. Seitdem hatte Baiern den Krieg gegen Preußen geführt und ihn verloren; das Glück der Waffen, die europäischen Möglichkeiten konnten jetzt die preußischen Forderungen immerhin noch verwandeln, sie steigern oder auch herunterdrücken; aber an den Hauptinhalt seines Programms vom 10. Juni, soweit er ihn irgend zu verwirklichen vermöchte, an den deutschen Gedanken blieb Bismarcks Politik doch fürderhin äußerlich und innerlich gebunden. Im Augenblick freilich sah er den Süden tief feindselig; das eigentliche Lebensgebiet Preußens war der Norden; und jetzt griff Frankreich in die Entwicklung ein. Dem Minister wurde alsbald bestätigt, was er wol im Voraus wußte: Frankreich würde eine territoriale Vergrößerung Preußens im Norden eher zulassen als die Ausdehnung einer straffen Einheit über Nord und Süd, Annexionen eher als die kleindeutsche Bundesreform.

Der König seinerseits hatte sich zu dem radicalen Antrage vom 10. Juni so langsam entschlossen wie zum Kriege selbst. Seit er aber einmal im Kriege stand, wollte er ihn nur um stattlichen Gewinn führen: all die bösen Erinnerungen von 1814 und 1815, von dem „faulen Frieden“, in dem die Diplomatie das Werk des Degens verdorben hatte, müssen ihm aufgetaucht sein, und es war ja seine Art, das endlich Aufgenommene dann auch ohne Rest bis an das Ende durchzuführen. Es war ihm eine Forderung der politischen Pflicht und offenbar der Ehre selbst, den Sieg voll auszunutzen. Er stand, als er zwei Tage nach Königgrätz seine Wünsche niederschrieb, ganz auf dem Boden des Antrages vom 10. Juni: er wolle die preußische Bundesreform, oder wie er es nannte und empfand, die „Suprematie über ganz Deutschland“, an Erwerbungen außer Schleswig-Holstein nur etwa ein böhmisches Grenzstück, Ostfriesland, den Erbanspruch auf Braunschweig, dazu, außer den Kriegskosten, lediglich noch die persönliche Abdankung der Souveräne von Hannover, Kurhessen, Meiningen, Nassau zu Gunsten ihrer Thronfolger. Nennenswerthe neue Annexionen waren das nicht; daß Preußen nach solchen strebe, hatte der König ja auch jederzeit, zuletzt noch im März 1866, als Verläumdung zurückgewiesen. Da erfolgte die Einmischung Napoleons. Italien lehnte sie empört ab, Preußen nahm sie in höflichster Form an, hielt dabei zunächst an seinem Reformplan fest, aber die preußischen genau ebenso wie die italienischen Truppen rückten unaufgehalten weiter und weiter vor, alle die rücksichtslos angespannten Kriegsmittel, selbst die Verbindung mit den rebellischen Ungarn, zu der als dem Aeußersten sich König Wilhelm in diesem Kampfe verstanden hatte, blieben in Kraft. Napoleon mußte bald fürchten, wenn er nicht militärisch eingreifen wollte – und dazu war er weder recht Willens noch im Stande –, [633] vor Frankreich und Europa lächerlich zu werden. Ihm wurde vor seinem eigenen Vorgehen bange; er bat den preußischen Gesandten Grafen Goltz fast flehentlich, ihn aus dieser Lage zu befreien: er lieferte das vorschnell aufgenommene Spiel beinah ohne Vorbehalt an Preußen aus und nur die eine, freilich schwere Bedingung hielt er aufrecht, die Nichtaufnahme Süddeutschlands in Preußens neu zu begründenden Machtkreis. Ging Wilhelm auf diese Bedingung ein, so mochte er im übrigen dem französischen Kaiser die Forderungen vorschreiben, auf deren Grunde dieser den Frieden in Wien empfehlen wollte. Wir erfahren, daß die französische Intervention den König beunruhigt und angegriffen habe; er war im Laufe des Juli mehrmals körperlich leidend. In seiner Umgebung müssen sich sofort allerlei Gegensätze gezeigt haben; Bismarck und Roon haben in Briefen an ihre Gemahlinnen am 9. und 13. Juli ihr Herz ausgeschüttet: sie, die beiden Kämpfer, wollten die preußischen Ansprüche, soweit es nur anginge, ermäßigen, damit man eine größere Ausbreitung des Brandes vermiede. Die Ausdrücke namentlich Bismarcks verrathen, daß diese Meinung auf starken Widerstand stieß; er spricht von Leuten, die da glauben, die Welt erobert zu haben.

Die entscheidenden Hergänge sind uns fast nur aus den Angaben Sybels, aus seinen Mittheilungen zumal über der Schriftenwechsel Bismarcks mit Goltz bekannt. Daraus scheint sich das Folgende zu ergeben. Zuerst geht Bismarck selbständig auf die veränderte Lage ein; um dem Zusammenstoße mit Frankreich auszuweichen, wäre er bereit, sich auf Norddeutschland, einen Norddeutschen Bund, zu beschränken, dort aber die Autorität Preußens um so fester anzuziehen; er denkt auch an Abtretungen, am liebsten an volle Annexionen; darüber läßt er Napoleon sondiren. Der König muß diesen Plänen seines Ministers alsbald auch nahegetreten sein; er lebt sich in den Gedanken ein, die jetzt nicht zu erringende Suprematie über ganz Deutschland durch Annexionen zu ersetzen. Da jedoch bildet sich zwischen seinen Wünschen und denen Bismarcks wieder eine charakteristische Abweichung aus. Dem Könige mag nach seiner ganzen Vergangenheit der Verzicht auf die deutsche Einheit unter Preußen nicht gar so schwer gefallen sein; sicherlich bedeutete seinem Empfinden ein tüchtiger Landzuwachs von Hause aus mehr. Er hielt es jetzt für angemessen, von Oesterreich einige böhmische Stücke, von Sachsen die Kreise Leipzig und Bautzen, von Baiern Ansbach und Baireuth, von Hannover Ostfriesland und das Recht auf Braunschweig, von Hessen Verbindungsstrecken zwischen den preußischen Gebieten zu beanspruchen. Also im Ganzen vielerlei; und zwar einmal solche Länder, die früher preußisch gewesen waren; andererseits ist die Auswahl so, daß jeder der Hauptgegner betroffen wird; es ist eine Mischung von historisch-dynastischer Rücksicht und, man möchte sagen, von strafender Gerechtigkeit. Auch Oesterreich sollte etwas abtreten! Es geht aus Allem hervor, daß der König gerade diese Forderung für ein Gebot gewissermaßen der Selbstachtung des Siegers hielt. Seine militärische Umgebung, hören wir, wollte noch mehr; er wie sie, scheint es, forderten den Siegeseinzug in Wien: auch darin lag ein historisches Element, eine Erinnerung wieder an die Freiheitskriege. Bismarck hingegen wünschte Oesterreich nach Möglichkeit zu schonen; vergeblich bot er diesem damals, bei directer Verhandlung ohne Frankreich, die weitesten Vortheile an. Jedenfalls aber wollte er keine Annexion österreichischen Gebietes; dagegen in Norddeutschland, wo sein Herr nur einzelne Strecken und dazu den rein persönlichen Rücktritt feindlicher Fürsten forderte, gedachte er die gesammten Länder der wichtigsten Gegner zu nehmen: er redete von Sachsen, Hannover, Kurhessen, Oberhessen, Nassau. Das war also mehr und weniger als der Anspruch Wilhelms. Mehr im Princip, insofern hier die rücksichtslose Entsetzung [634] ganzer, legitimer Fürstengeschlechter in Betracht gezogen wurde, zu welcher der König nicht vorgeschritten war; mehr auch dem Werthe nach, insofern hier eine ganze, große, zusammenhängende Gebietsmasse preußisch werden, der preußische Staat erst zur vollen Einheit gestaltet, erst jetzt der alten Zerrissenheit, der „Magerkeit“ seines Leibes gründlich abgeholfen werden sollte; und was für ein gefährlicher Gegner sollte mit Hannover beseitigt werden! Weniger war es, insofern es sich ganz auf den Norden beschränkte und die süddeutschen Hauptgegner völlig unberührt ließ. Man könnte sagen, daß in Wilhelms Plane die persönlichen Gefühle, auf die ich hinwies, überwogen, dynastische, etwa auch legitimistische, und der Siegerstolz, in Bismarcks der sachliche preußische Staatsgedanke. Der reichere und gesundere Gewinn lag zweifellos in Bismarcks Vorschlage; aber soweit wir die Besprechungen der beiden Männer kennen oder erschließen, ergibt sich aus ihnen, daß der von Wilhelm gestellte Preis beiden als der schwerer zu erlangende und wol deshalb als der höhere, die Beschränkung auf das Maß Bismarcks als ein Heruntergehen erschien. Der Minister hat seinen Plan zuletzt durchgesetzt. Als Napoleon die Angabe der preußischen Bedingungen erbeten hatte und Goltz sie ihm vorschrieb (Austritt Oesterreichs, norddeutscher Bund, Unabhängigkeit des Südens), da ließ der König die Annexionen nachdrücklich in das Programm hineinsetzen; diejenigen Annexionen aber, welche Bismarck dann in Paris, wie es scheint auf seine eigene Hand, thatsächlich vorschlug, waren nur die bismarckischen: 3–4 Millionen norddeutscher Einwohner. Napoleon nahm sie auf und ließ sich bewegen, sie für die Friedensverhandlungen nicht bloß zuzulassen, sondern seinerseits zu empfehlen. Mit der verwegensten Sicherheit hatte der preußische Staatsmann den bedrängten Störenfried an der Seine in seinen eigenen Dienst hineingezwungen und nach allen Seiten hin völlig ausgenutzt. In den Verhandlungen, die auf Grund jener Bedingungen am 22. und 23. Juli zu Nikolsburg zwischen Oesterreich und Preußen stattfanden, ist eine kleine österreichische Abtretung in Schlesien allerdings doch noch erörtert worden, indessen nur ganz secundär, als Gegenleistung für eine Verringerung der Kriegskostensumme; weit mehr im Vordergrunde stand das Schicksal Sachsens, für dessen unverletzten Bestand die Kaiserlichen mit ehrenwerther Entschiedenheit eintraten. Ein Ergebniß, das seinen Herrn befriedigte, konnte Bismarck weder in dem Einen noch dem Andern erringen.

Wie sonderbar hatten die beiden ihre Rollen vertauscht! Bis in den Juni hatte der Staatsmann vorwärtsgedrängt, der Herrscher sich gesträubt; jetzt, im Siege, war es der Staatsmann, der Selbstbeschränkung predigte und sie nicht erwirken zu können schien; und der Zusammenstoß war kaum weniger scharf als während der Krise des April. König und Minister waren erkrankt und hoch erregt. Arbeit und Spannung haben, so schildert es Roon am 25. Juli den Seinen, „die maaßgebenden Nervensysteme dermaßen überreizt, daß es bald hie, bald da lichterloh zum Dachstübchen hinausbrennt, und jeder Wohlmeinende mit dem Löscheimer herzueilen muß“. Der König fürchtete, sich doch zu einem „faulen Frieden“ vermögen zu lassen; er leistete den hartnäckigsten Widerstand. Man erwog den Krieg mit Frankreich und stellte fest, daß es möglich sei ihn zu führen. Aber eine Kleinigkeit war er nicht, und war er nothwendig? Ueberdies warnte die Cholera; wir verfolgen in Roons Briefen, wie sie im Heere um sich griff; wir hören Bismarck von dem entscheidenden Eindruck erzählen, den das auf ihn selber gemacht habe. In der That sprachen alle sachlichen Gründe, und nicht nur seine taktische Ueberlegenheit, für den Minister. Was zwischen ihm und Wilhelm bis zuletzt strittig war, ist nicht ganz genau bekannt; in der Hauptsache muß es sich fortdauernd [635] um die sächsischen und österreichischen Abtretungen, um die Höhe der Kriegsentschädigung und etwa den Einzug in Wien gehandelt haben. Er konnte, außer auf die Kriegslage und auf die Seuche, auch auf die Bundesgenossenschaft Roons, auf die sich anmeldende, eigene Begehrlichkeit Frankreichs, auf das Heraufziehen russischer Einmischung hinweisen, auf die Fülle des schon jetzt Erkämpften, das man nicht wieder in Frage stellen dürfe. Er faßte das alles in einer monumentalen Denkschrift zusammen; er bot den jetzt werthvollsten und vornehmsten Beistand auf, den des Kronprinzen, der aus seinem nahen Hauptquartier zu ausgleichender und überredender Wirksamkeit immer wieder nach Nikolsburg herübereilen mußte und gern das Seine that, um Maß und Frieden zu befördern. Erst nach leidenschaftlichen Auftritten hat König Wilhelm sich zuletzt gefügt, mit dem Gefühle der Schmach und der Vergewaltigung, die ihm angethan sei, mit einer Art Verwahrung gegen den Minister und den Sohn, mit dem Appell an das Urtheil der Nachwelt, und noch später hat er in einem Erinnerungskalender dem 24. Juli 1866 die Worte hinzugeschrieben: „schwerer Entschluß, die Integrität Oesterreichs und Sachsens zu bewilligen“. Die sachliche Nothwendigkeit hatte indeß auch hier wieder gesiegt; wieder war erst aus dem heißen Ringen der persönlichen Kräfte das Ergebniß hervorgegangen, eines der bedeutsamsten von Wilhelms I. Herrscherzeit, diese ungeahnte Ausdehnung seines Staats; und wieder stand das Sträuben des Monarchen mit seinen großen Eigenschaften, die ihn soeben befähigt hatten, im Kriege selber Alles an Alles zu setzen, im innigen Zusammenhange. Aber auch dieses Mal überwand er sich ganz. Alsbald nach den erschöpfenden seelischen Kämpfen dieser Tage hatte er, wie Herzog Ernst bezeugt, seine Ruhe und Freundlichkeit wiedergewonnen, und als er am 28. Juli die Ratification der Friedensbedingungen vollzogen hatte – noch gerade im rechten Augenblick, ehe Europa gefährlicher eingriff –, da, so schreibt Roon, „sprang der Herr auf, umarmte und küßte dankend und weinend, mit viel beweglichen Worten zuerst Bismarck, dann mich und Moltke“. Zwei Monate darnach ließ er die drei beim Berliner Einzuge dicht vor sich einherreiten: die Tage von sagenhaftem Glanze brachen an, in denen der alte Herrscher und seine Paladine seinem Volke in Eines verschmolzen sind. Daß der Gewaltigste von ihnen ihm kein bequemer Diener gewesen war und daß jener im Kampf mit ihm Recht gehabt und Recht behalten hatte, das ihm nachzutragen war Wilhelm I. zu königlich gesinnt.

Der Sieg von Nikolsburg war nicht der einzige, den er damals über sich selber davontrug. Es war die Vollendung dieses glorreichen Sommers, daß auch der preußische Verfassungsconflict von König Wilhelm begraben wurde. Ganz ohne innere Kämpfe ist auch das nicht abgegangen. Daß jetzt, gegenüber einem neugewählten Abgeordnetenhause von sehr veränderter Zusammensetzung, nach all den Siegen des Heeres und der Politik, die Nachbewilligung der seit 1862 geschehenen Ausgaben erbeten, die Verfassung anerkannt und ein neues Verhältniß zwischen Regierung und Landtag hergestellt werden müßte, ist Wilhelm doch wol von vornherein sicher gewesen; er hatte ja das budgetlose Regiment stets nur als Nothbehelf betrachtet und die Versöhnung gewollt, sobald sie mit vollen Ehren möglich wäre. Die Mehrheit seiner Minister, den Präsidenten voran, war seit langem dieser Lösung günstig. Freilich, wer wollte leugnen, daß nach all den betäubenden Erfolgen der letzten Wochen die wirkliche Ausführung des Vorsatzes denn doch nicht so leicht war? Das Gesuch um Indemnität schien immer einen Anschein von Schuldbekenntniß in sich zu tragen und eine sittliche That war es ganz gewiß, wenn der Sieger von Königgrätz seinen bekehrten Unterthanen als Erster die Hand hinstreckte. Es ist nicht genau zu ersehen, worum sich jetzt im Staatsministerium der Widerspruch gedreht [636] hat, den, wie es scheint, doch ein stattlicher Theil seiner Mitglieder gegen den Entwurf der Thronrede, in der zweiten Julihälfte, erhob, ob nur um die rechtliche Form des an den Landtag zu richtenden Gesuches, oder ob doch um das Gesuch überhaupt; es mag wol so gewesen sein, daß die Bedenken der großen Mehrheit nur das Maß des Entgegenkommens, die Form betrafen. Jedenfalls hat Bismarck bei seinem Herrn den „tiefen Eindruck“ dieser Widerstände erst persönlich in mindestens zweimaliger Besprechung überwinden müssen; erst Anfang August stellte er, nach Randbemerkungen Wilhelms, den fraglichen Satz der Thronrede selber fest und gewann seine endgültige Einwilligung; daß er seiner Frau damals lebhaft über „die Freunde“ geklagt hat, die „fast alle Scheuklappen tragen und nur einen Fleck von der Welt sehen“, ist ein untrügliches Zeichen für die Schwierigkeit dieses letzten Kampfes. Die Thronrede wahrte das Recht der Verfassung wie das Nothrecht der Regierung und verkündete, unter dem Jubel der Hörer, es war zu Berlin am 5. August 1866, den inneren Frieden. Auch der äußere fand im August oder bald darnach seine Bestätigung. Oesterreich erkannte zu Prag die Neuordnung der deutschen Verhältnisse an: neben dem Nordbunde darf sich ein Südbund bilden, der international unabhängig neben jenem stehen soll. Aber schon zeigte sich, daß dieser besondere Südbund nicht zu Stande käme, und die Südstaaten, jeder für sich, schlossen mit dem Sieger, der sie bereits jetzt gegen Frankreich deckte, geheime Schutz- und Trutzbündnisse ab. Gleichzeitig kamen die grundlegenden Verträge für den neuen norddeutschen Bund zu Stande, Preußen vollzog seine Annexionen, ging an die innere Einfügung der neuen Lande; der Winter brachte die Aufstellung der norddeutschen Bundesverfassung zwischen den Regierungen, das Frühjahr, im constituirenden Reichstage, ihre Durchberathung und Annahme durch das Parlament; im Juli 1867 trat sie in Wirksamkeit. Der Boden war gewonnen und geebnet, auf dem sich König Wilhelms künftiges Leben bewegen sollte, die maßgebenden Thaten waren gethan, auch die größten, die noch nachfolgten, dienten nur der Fortführung des jetzt in seinem Wesen festgestellten Werks; das nächste Jahrzehnt blieb dieser Fortführung, diesem Abschlusse geweiht. Nur wenig eigentliche Ereignisse hat die Biographie Wilhelms von da ab noch genau in das Auge zu fassen; von den Ereignissen, den Thaten, wendet sie sich immer ausschließlicher der zweiten ihrer früher bestimmten Aufgaben zu, der Betrachtung des allgemeineren Verhältnisses zwischen dem Neugeschaffenen und der Persönlichkeit des Königs.



Von allem Alten freilich wich das Neue, das 1866 und 67 in Deutschland emporstieg, weit ab. Oesterreichs Ausschluß aus dem deutschen Staate hatte sich, allen Versuchen mittlerer Lösungen zum Trotze, die auch die handelnden Männer erwogen hatten, als unvermeidlich erwiesen. Die Gedanken von 1848 hatten sich aufgezwungen und zu einem großen Theile durchgesetzt, sie beherrschten die Gestaltung Norddeutschlands, sie waren jetzt endlich in unaufhaltsamer Bethätigung, sie mußten auch, so fühlte man überall, die noch halb draußenstehenden Südstaaten nachziehen. Mit Einer starken Regierung an seiner Spitze, mit Einem Reichstage, nach allgemeinem gleichem Stimmrecht gewählt, erhob sich der neue Bund über allen Sondergewalten. Wie konnte König Wilhelm dieser Verfassung und den Idealen, die sie erfüllte, gegenüberstehen? Er hätte aus freien Stücken soviel sicherlich nicht gegeben, weder an Einheit noch an Freiheit; nur durch die Rücksichten der äußeren Politik war er zu diesem Ergebnisse gedrängt worden. Das waren ja nun freilich sein Lebelang die für ihn entscheidenden Rücksichten gewesen und seinem stärksten Bedürfnisse, dem Triebe nach preußischer Machtentwicklung, entsprach die neue [637] Ordnung der Dinge ganz. Den Wegen, die er in der heimischen Verfassungspolitik seit 1860/2 genommen hatte, entsprach sie nicht. Aber auch in dieser Hinsicht konnte er sie ertragen. Die Ueberspannung von Einheit und Freiheit, die er dereinst an den Entwürfen der Paulskirche bekämpft hatte, fand er in dem Werke von 1867 nicht wieder; er fand, persönlich gesprochen, hier gerade diejenigen Elemente in ihrer vollen Kraft bestätigt, die er selber darstellte, für die er von jeher und vollends in den letzten Jahren gerungen hatte: dies neue Werk, das sein Kanzler und nicht er geschaffen hatte, war dennoch von Seiner historischen Wirkung tief durchtränkt. Die Vertreter des alten Rechtes im deutschen Staatsleben, die Dynastien, waren, soweit es anging, eingefügt und nicht einfach vernichtet worden; wenn sich Preußen 1866, wie es einst Leopold Gerlach befürchtete, wider die Fürsten auf die Völker berufen hatte, so wahrte es jetzt nach dem Siege das, was dem Könige immer theuer war, die Stellung der Fürsten, der Einzelstaaten, es bot ihren freien Willen für den Gesammtstaat auf. Vor allem aber, der neue Reichstag fand sich nicht dem Schattenkaiserthume gegenüber, an dem Prinz Wilhelm 1849 so bittere Kritik übte: die Bundesverfassung ruhte doch auf der Grundlage des Sieges der preußischen Monarchie über den preußischen Parlamentarismus. Der Streit um das Heer übertrug sich allerdings auch in den neuen Reichstag und blieb für die Zukunft der stete Gradmesser für die Macht der beiden Gewalten. Aber gleich der constituirende Reichstag sicherte die Armee unmittelbar für eine Reihe von Jahren, mittelbar für immer, der nächste führte die gesetzliche Annahme der Neuerungen von 1860 zu ihrem vollen Ende; und diese militärischen Klammern insbesondere schlossen das ganze Gebilde des Bundes in sich zusammen. Das preußische Heerwesen war anerkannt worden, es durchdrang und beherrschte das neue Deutschland, König Wilhelm durfte sich des Sieges „nach 8jährigen schweren Kämpfen“ redlich freuen: in dem anscheinend seiner Persönlichkeit so fremden Aufbau dieser Verfassung lebte sein Eigenstes und Bestes bestimmend fort.

Was der „Conflict“ geleistet hatte und bedeutete, trat erst jetzt allmählich zu Tage. Wir sahen in ihm das preußische Bürgerthum nach der staatlichen Vorherrschaft greifen, die in der Reaction der Adel geübt; dem Versuche warf sich die Krone entgegen. Die historische Betrachtung wird dem tragischen Charakter dieses Kampfes immer gerecht werden; wer dürfte verkennen, wie unklar auch den Besten von vornherein diese Lage sein durfte und beinahe wol sein mußte, wie sie die Gewissen ergriff, wie wenig dem Mitlebenden anfangs Recht und Unrecht deutlich sein konnte! Auf beiden Seiten stand das Recht und standen die lebendigen Kräfte; erst der Fortgang hatte gezeigt, wo das Uebergewicht an Recht und Kraft war, und erst der Ausgang vermochte die erbitterte Menge davon zu überzeugen, die Gewissen und die Bestrebungen zu klären und zu reinigen. Den Gewalten, die Wilhelms Leben von früh auf begleiteten, ist erst durch diesen Ausgang auf weit hinnaus ihr Platz bestimmt worden. Gesiegt hatte das Königthum. Sein Verbündeter war der Adel gewesen; in gewissem Sinne nahm dieser auch an den Erfolgen theil, denn die Durchführung der Heeresorganisation war ja zugleich ein Erfolg des aristokratisch-monarchischen Elementes, des preußischen Officierstandes, über die demokratischeren Ideale von 1808. Und auch die conservative Partei als solche errang durch 1866 eine stärkere Stellung. Dennoch gab sich die Krone jetzt nicht von neuem, wie sie es nach 1848 gethan hatte und nach 1858 hatte thun sollen, einer ihr verbündeten Partei, einer Classe anheim; vielmehr fügten sich die Dinge so, daß in dem großen Jahre, für das engere und für das weitere Vaterland, trotz der Niederlage im Conflict, neben dem preußischen [638] Staate und seinem Königthume gerade das deutsche Bürgerthum der zweite Sieger geworden ist. Seine Wünsche waren es, die durch die Bundesreform vollstreckt wurden, wirthschaftlich wie ideell war ja das Bürgerthum von jeher der eigentliche Träger der Einheit gewesen; sein Wohlstand war im vollen Zuge üppiger Entfaltung, sein Selbstgefühl freudig gesteigert: jetzt erst schnellte der Liberalismus überall zu seiner höchsten Höhe empor. Eine Regierung, die etwas schaffen wollte, mußte mit ihm zusammengehen. Er forderte und leitete die Gesetzgebung, welche die Einheit des neuen Staates erst vollends durchbilden sollte, in Recht und Einrichtungen; er bethätigte sich, mit der preußischen Krone im Verein, im Ausbau der Selbstverwaltung: hierin knüpften beide unmittelbar an die Gedanken der alten Reformzeit an, von deren militärischem Werke man, indem man es fortgeführt hatte, doch zugleich so weit abgewichen war. Der Liberalismus strebte zumal, alles noch Gebundene zu lösen, Duldung und Freiheit auszudehnen, soweit er könnte, Freiheit ganz besonders auf wirthschaftlichem Felde: Freiheit der Arbeit, der persönlichen Bewegung, des Gewerbes und Handels. Er förderte auch hier zugleich die Einheit des deutschen Lebens, erst diese Reihe von Gesetzen und Verträgen vollendete die Wirksamkeit des Zollvereins. Die Conservativen sträubten sich wol, aber noch lag die starke Reaction gegen diesen Strom der unbedingten Wirthschaftsfreiheit fernhinaus; noch hatte dieser Aufgaben genug zu erledigen, noch schwoll er weiter und befruchtete er ringsum; das deutsche Leben dehnte sich überall. Wol traten schon die Neubildungen zu Tage, welche die gewaltige Einwicklung des dritten Standes mit seiner Industrie und seinem Verkehre hervortrieb. Das anwachsende neue Proletariat erhob seine Stimme; der Bürgerstand selber begann sich schon deutlicher in zwei Gruppen zu theilen, das Steigen seiner reicheren Oberschicht, das Sinken des Kleinbürgerthumes zeichnete sich ab: bisher waren diese beiden Schichten gemeinsam emporgekommen und hatten ihre politischen Bestrebungen im ganzen gemeinsam verfolgt; die Niederlage im Conflict hatten sie gemeinsam erlitten und man darf ausdrücklich anmerken, daß diese Niederlage rein politischen Ursachen, nicht etwa jener beginnenden wirthschaftlichen Zersetzung entsprungen ist: vielmehr, der Conflict steigerte wol eher die Einheit des opponirenden Standes. Auch jetzt noch blieb die Wirkung des Standes völlig einheitlich; sie entfaltete sich, wie es zu geschehen pflegt, am siegreichsten und glänzendsten eben zu einer Zeit, wo sich die sie ablösenden oder doch einschränkenden Kräfte der Zukunft bereits sichtbar anmelden; sie beherrschte dies Jahrzehnt vollkommen, in ihrer auflösenden wie ihrer schaffenden Bethätigung. Gerade nun in der Wirthschaftspolitik bezeichnete die Allgewalt des Liberalismus nur den Gipfelpunkt einer Richtung, die ja bereits das altpreußische Beamtenthum Friedrich Wilhelms III. durchaus eingeschlagen hatte. Dieser Wirthschaftspolitik mochte sich Wilhelm I. um so leichter fügen können, obwol sie manchem in seinen Neigungen offenbar widersprach. Viel schwerer mußte es ihm sein, den allgemeinen politischen Inhalt des Liberalismus, der sich nun so unaufhaltsam in die Form der von ihm bestätigten neuen Verfassung ergoß, zu ertragen und sich mit diesem Parteileben, das er soeben noch bekämpft hatte und mit dem er jetzt zusammenarbeiten sollte, zu befreunden. Möglich wurde dem Könige das, weil gerade der Liberalismus von 1866 an nach außen hin, in Norddeutschland und auch im Süden, so unzweifelhaft mit Preußens Macht verbündet war; dann aber, weil der Liberalismus mit seiner Krone nunmehr die Verständigung suchte, nicht mehr darin aufging, sie zurückzudrängen oder zu beherrschen, sondern das Ergebniß des Conflictes im großen und ganzen seinerseits ausdrücklich annahm. Wenn man, vom Standpunkte der etwa 1885 erreichten Entwicklung aus, oft von [639] dem Erziehungsproceß gesprochen hat, den unser Bürgerthum durchmachen gemußt hat, ehe es sich in eine deutsche Art des Constitutionalismus hineingefunden hatte, so steht, neben den Männern des Wortes, den Dahlmann, Sybel, Gneist, Rochau, Baumgarten, Treitschke und so vielen sonst, neben dem größten „Zuchtmeister zur Freiheit“, seinem Kanzler, auch Wilhelms I. ehrwürdige Gestalt in der Reihe der Lehrer, und an deren Spitze. Die harte Lection des Conflictes und die gewaltige des Siegesjahres hatte gefruchtet. Es ist bekannt, wie unter diesen Eindrücken die deutschen Liberalen ihre Selbstkritik vollbrachten; wie jener Realismus, der seit den 30er und 40er Jahren immer wachsend das deutsche Leben ergriffen hatte, der, sich am wirthschaftlichen Leben nährend, längst das geistige, Litteratur und Wissenschaft, zu erobern trachtete, der Wilhelms Heeresreform geleitet hatte, nun auch, nach vielem Predigen und manchen Anläufen, den alten Geist der Ideologie aus der Parteipolitik wirklich zu vertreiben begann. Idealismus genug, und manche formalistische Einseitigkeit, blieb auch in Zukunft den gemäßigten Liberalen eigen; Macht erstrebte natürlich auch die nationalliberale Partei dieser neuen Zeit; aber dem nüchternen Wirklichkeitssinne des alten Königs stand dieses jüngere Geschlecht näher als das alte der ersten Jahrhunderthälfte, und besonders, die volle Stellung seiner Krone erkannte es forthin eben an. So ergab sich denn ein immerhin verändertes Verhältniß. Gewiß brachen auf beiden Seiten oft genug Reste alter Feindseligkeit und schroffere Ansprüche auf Unterwerfung des Andern hervor, und wenn Roon wol einmal meinte, die Frage „königliches oder parlamentarisches Regiment?“ sei nicht mehr brennend, so sah er die alten Flammen alsbald von neuem emporzüngeln. Und über den Gegensatz der Macht hinaus reichte der der Weltanschauung; an dem „Unglauben“ der Linken nahmen Roon und die Seinen und nahm sein königlicher Herr immer von neuem schmerzlichen Anstoß. Der König lebte doch so sehr im Alten, daß er nach seinem Siege pietätvoll das Verdienst an dem Errungenen seinem verstorbenen Bruder zuertheilen lassen wollte; sein ganzes Herz ging ihm in heller Rührung auf, wenn er – etwa bei freundlicher gegenseitiger Begrüßung mit seinem Neffen Alexander II. – seiner russischen Jugendbeziehungen dachte; und in der Neujahrsnacht 1867 schrieb er seinen Nachfolgern, in feierlich-ernstem Rückblicke auf den Conflict, das Mahnwort in die Seele, „nicht zu vergessen, daß Zeiten möglich waren wie die von 1861 bis 66!“ So blieb er innerlich conservativ; aber er vermochte es, von der scharfen Auseinandersetzung seiner Art nach wieder zur Mitte zurückkehrend, die liberale Welt ringsum, die er selber ja bereits beeinflußt hatte, hinzunehmen und mit ihr zu leben. Er gab nach, solange und soweit es die Zeit forderte, und hielt seine Besonderheit dennoch unberührt.

Kleinere Grenzstreitigkeiten hatte er von dieser Stellung aus nach beiden Seiten hin durchzufechten. Den Bevölkerungen kam er besonders da weit entgegen, wo es galt, die Sympathie seiner neuhinzugewonnenen Unterthanen für sein Preußen und seine Person zu erwerben; er verschaffte den Hessen, Hannoveranern, Frankfurtern Vertretung ihrer Wünsche und pecuniäre Vortheile, auch im Widerspruche mit seinen eifersüchtig grollenden altpreußischen Conservativen und mit seinen eigenen Ministern. Er erklärte diesen wie jenen – in seiner körperlich-geistigen Frische, seinem Selbstbewußtsein durch 1866 erhoben und verjüngt – mit scharfen Worten öffentlich, was sein persönlicher Wille bedeute; er sei gesonnen, ihn geltend zu machen und die Versehen Anderer auszugleichen. Schwerer indeß als diese gelegentliche Neigung zu populärem Nachgeben wog wol die dauerndere Abneigung gegen ein allzu liberales Regiment. Da stand ja nun sein Ministerpräsident schon auf der [640] Wacht und schlug oft genug den Ansturm Laskers oder gar Waldecks mit blutigen Hieben ab. Aber das System Bismarcks selber, der schon im Hinblick auf das Einheitswerk entschlossen die Hand der doch einmal unentbehrlichen Bundesgenossen ergriff, war dem Herrscher zu liberal. Der neue Finanzminister Camphausen hatte eine ihm bedenkliche politische Vergangenheit; Wilhelm sprach es Bismarck aus, daß er dergleichen strenger auffasse als der Kanzler. Freilich vollzog er die Ernennung trotzdem. Schließlich waren in diesen Jahren (1867–70) die sachlichen Gegensätze zwischen König und Kanzler nicht sehr groß; merkwürdig, daß die persönlichen gerade damals besonders scharf gewesen zu sein scheinen. Auch damals drang die Herzlichkeit hier und da auf beiden Seiten warm hindurch und die Größe seines Staatsmannes hat sich Wilhelm sicher nicht verhehlt. Dennoch meinte Bismarck, in seiner Gesundheit durch die Anstrengung der vergangenen Kampfeszeit, durch Unfall und schwere Krankheit hart bedrängt, überaus reizbar, oft und lange in seine Varziner Einsamkeit beurlaubt, über Vieles klagen zu müssen; achselzuckend wies ihn sein Jugendfreund Blanckenburg auf die Ehe hin, „die auch nicht ohne gegenseitige Duldung zu führen ist“. Es kränkte ihn, daß der Herrscher zu Gunsten Frankfurts einen schon bestätigten Ministerialbeschluß wieder umstieß; daß er, in seiner Abneigung, sich von Dienern, die ihm einmal bekannt und gewohnt geworden, zu trennen, zum Schaden des Dienstes auch Unfähige im Amte belasse und so die Arbeitslast der wirklich Leistungsfähigen unnöthig erhöhe; er beschwerte sich über unverantwortliche Einflüsse, über die Ungnade hochstehender (d. h. besonders der Damen) und die Abneigung einflußreicher Personen: halte da nicht sein König ganz zu ihm, so verliere er Muth und Lust. „Ich bin mit meinen Kräften wieder fertig, ich kann die Kämpfe gegen den König gemüthlich nicht aushalten“, klagte er 1869 zu Roon, der wieder und wieder half; dem Könige selber schüttete er gleichzeitig sein Herz in rückhaltloser, ja beinah schneidend scharfer Darlegung aus, die doch auch ein weicherer Klang von persönlicher Liebe und von wehmüthiger Müdigkeit durchzitterte, und erbat zum ersten Male seinen Abschied. Das Ergebniß war die Entlassung seines Gegners Usedom. Nicht lange darnach (April 1869) urtheilte der Fürst von Hohenzollern: „das Verhältniß zwischen König und Bismarck ist nicht gerade sehr glänzend, doch ist das Verbleiben Bismarcks im Amt eine eiserne Nothwendigkeit, deshalb wird es zu keiner Krise kommen“. Auch Roon stellte diese sachlich unbedingte Unentbehrlichkeit des Ministers fest, der sie selber einsehe und seine liberale Politik deshalb wol bereits ein wenig auf den Kronprinzen zuschneide; Bismarck schalt einmal, nicht diese Rücksicht bloß, auch der alte Herr selbst zwinge zu populärer Politik, seit er, nach 1866, den Kelch der Popularität getrunken habe. Im Grunde war der Liberale doch zweifellos er selbst; wieder war zu schrofferem Aufgeben alter Gewohnheit, zu rücksichtloserem Vorgehen nur er geneigt. Die Hauptsache zwischen ihnen aber war damals, nach allem, was man erschließen kann, der ungewollte Kampf der Persönlichkeiten selbst. Eine jede will sich selber durchsetzen; beide sind sie durch den Erfolg der letzten Jahre gehoben, und die Gegenwart wird nicht ganz durch überwältigende, sachliche Probleme ausgefüllt.

Ein Problem allerdings blieb zu lösen. Mochte der König die neue Verfassung und die liberale Politik hinnehmen: aber würde er über das Errungene hinaus zu neuen Kämpfen, zur Vollendung der deutschen Einheit weiterschreiten? Für den Nachlebenden liegen diese Jahre schon ganz im Lichtbereiche des Erfüllungskampfes von 1870; ihm mag es erscheinen, als wenn sich in ihnen die Sehnsucht von Nord und Süd unwiderstehlich zu einander [641] hindränge, als wenn die Einigung sich, wie ein Naturproceß beinahe, nothwendig vollziehe. Sind es doch die Zeiten, da es Frühling geworden war in Deutschland! Dem heutigen Geschlechte, das unter der Sorge neuer harter Lasten seufzt und sich mit einiger Wehmuth nach solchen Frühlingstagen sehnt, kann es tröstlich sein, sich zu vergegenwärtigen, daß auch jene großen Tage von schweren Stürmen und wechselndem Aprilwetter keineswegs frei gewesen sind: voll bitterer Zweifel und innerlicher Friedlosigkeit sind auch sie. Die Einheit erhoffte man und daß sie einmal kommen müßte, empfand man mit gutem Rechte als gewiß; die Dinge waren ja seit 1866 im Flusse. Aber wie sie käme und wie bald, das blieb noch schmerzlich dunkel. Bismarcks Art ist es gewesen, jedesmal den besonderen Kreis, in dem er gerade stand, ganz auszufüllen. Er war bisher mit ganzer Seele nur preußischer Minister gewesen; er war jetzt Kanzler des norddeutschen Bundes und vor allem dieses; ebendeshalb war er zugleich seines gesammtdeutschen Zieles sicher. Uebereilen wollte er den Anschluß des Südens nicht, ihn, sobald es anginge, durchzusetzen war er unzweifelhaft entschlossen. Was den König betrifft, so ist es klar, daß seine Persönlichkeit damals begann, durch ihr Dasein allein für das Reich zu wirken: der Glanz und die Ehrfurcht, die sie ausstrahlte, erhoben ihn für ganz Deutschland zu einer Macht; er wurde das natürliche Haupt für Alle. Was er seinestheils wollte, wage ich nicht so zuversichtlich zu bestimmen. Im November 1869 schrieb er, „durch badische Familiencorrespondenz gestachelt“, wie Bismarck an Roon mittheilt, seinem Kanzler Briefe, die doch nur auf die Aufnahme Badens in den Nordbund hinausgelaufen sein können. Wir wissen auch, daß er am 5. Juli 1866 die „Suprematie über ganz Deutschland“ gewollt hatte und in der Neujahrsaufzeichnung auf 1867 sprach er vom Heile „des engern und weiteren Vaterlandes“. Seinen widerspenstigen Conservativen zeigte er, daß er die Grenzen Altpreußens auch innerlich überschritt. Dabei blieb er aber im Wesen doch Preuße. Als Roon 1869 mit Bismarck die berühmte Auseinandersetzung über die „norddeutsche“ Flotte hatte, bei welcher der Kanzler dem alten Freunde, dem „Partikularisten“, den Fortschritt vom Preußen- zum Deutschthume so machtvoll entgegenhielt, da meinte Roon den König für seine Auffassung ins Feld führen zu können. Nach alledem werden Wilhelms Sympathien vermuthlich über den gegenwärtigen Zustand hinausgegangen sein, aber vielleicht nicht eben mit drängender Kraft, und eine rasche Lösung hat er wol noch weniger erstrebt als Bismarck: seiner Art entsprach es ja nicht, die großen Entscheidungen seinerseits zu suchen. Seinem Sohne, so hat er später geschrieben, glaubte er die Einigung vorbehalten. Indessen auch hier zwang die Entscheidung sich ihm auf, und zwar von der europäischen Politik aus.

Die Lage ist bekannt. Der Prager Friede hat die Südstaaten selbständig neben den Nordbund gestellt, ihnen einen eigenen Bund gestattet, der mit dem andern nur nationale, nicht internationale Verbindungen haben sollte; Preußen hat sich verpflichtet, diesen Südbund nicht zu hindern. Es war eine Frage des diplomatischen Rechtsstreites, ob, wenn der Südbund nicht gelang, die einzelnen Staaten sich nicht dennoch, alle und gleichzeitig, dem Norden einfügen dürften; der Wortlaut und die preußische Auffassung des Prager Friedens ließen das zu. Natürlich besagte die Rechtsfrage nicht viel; schwerer wog, im Innern, die Frage nach der Nützlichkeit dieses Beitrittes: waren die Verhältnisse des neuen Bundes schon consolidirt, die Gesinnungen der Süddeutschen schon reif genug, um den Zusammenschluß möglich zu machen? Wenn das, so trat, als Drittes, die äußere Machtfrage in den Vordergrund: [642] Oesterreich und bald auch Frankreich wollten diesen Zusammenschluß nicht dulden; würde man ihn erkämpfen wollen? Die Dinge gingen so, daß die noch einmal versuchte Einigung des Südens in sich 1867 endgültig scheiterte; daß die immer engere Anlehnung an den Norden den so Vereinzelten zum ganz unausweichlichen Bedürfniß wurde, wie auch der Norden aus Gründen der militärischen Kraft, der wirthschaftlichen Gemeinschaft und des nationalen Ideales gar nicht anders konnte, als jene an sich heranziehen; ihrem Abfalle nach Osten oder nach Westen durfte er sich selber ja gar nicht aussetzen. Daß die Annäherung wol vorwärts rückte, aber erst noch äußerst langsam, lehrten die Zollparlamente, und Bismarck zog daraus seine Folgerungen; freilich entwarf daneben Moltke mit den süddeutschen Officieren gemeinsam für den Nothfall die Pläne des Krieges gegen Frankreich. Sich durch das Ausland die Einheit nicht verbieten zu lassen, dazu erklärte die Leitung Norddeutschlands sich völlig entschlossen, und solch ein Verbot von außen, vollends von Frankreich her hinzunehmen, war sicherlich Niemandem weniger nach dem Sinne als König Wilhelm. Indessen, war er darum bereit, den Krieg mit Frankreich wirklich zu wagen oder gar zu erstreben?

Die schwierigsten Räthsel der Vorgeschichte des Krieges von 1870 braucht die Biographie Wilhelms I. nicht eigentlich zu lösen. Seine Haltung ist völlig klar, und auch grundsätzlich hat diese Entscheidung für seine Geschichte nicht die tiefe Bedeutung wie die von 1864–66. Aber die Hauptlinien wollen auch hier gezogen sein.

Den Franzosen erschien die Einigung Deutschlands, die Stärkung des Jahrhunderte lang beherrschten Nachbarn unerträglich. Napoleon wollte sie nur dann zulassen, wenn dem Ehrgeize seines Volkes durch die Annexion Belgiens Genüge geschähe. Man darf sich fragen, ob Graf Bismarck, wenn er allein zu beschließen gehabt hätte, diese Annexion bewilligt haben würde. Deutschen Boden abzutreten hat er niemals gedacht; aber für jenes Zugeständniß und eine darauf zu erbauende Allianz sprach mancherlei; der Gesandte in Paris empfahl beides auf das dringlichste. Unter König Wilhelm jedoch war die Möglichkeit solchen Zusammengehens, wenn sie für Bismarck überhaupt bestand, wol völlig ausgeschlossen. Der französische Antrag wurde hingehalten, dann abgelehnt. Die Erwerbung Luxemburgs durch Frankreich hätte Bismarck offenbar zugelassen; die Ereignisse fügten es aber, daß er selber dabei handelnd mitwirken sollte, und da zog er sich zurück; das Unternehmen Napoleons ging fehl. Als damals (Frühjahr 1867) die Enttäuschung der Franzosen, die sich betrogen meinten, den Krieg heraufzuführen drohte, sind im Gegensatze zu Moltke und der Mehrzahl der Generäle Bismarck und Roon für den Frieden gewesen, und Wilhelm war es erst recht. Was Bismarck schon damals und von da ab bis 1870 eigentlich gewünscht und gethan hat, wissen wir noch nicht. Es scheint, daß er den Krieg nicht gesucht hat: noch erhöhte jedes neue Friedensjahr die militärische Macht seines Staates ganz erheblich. Den Feind hat er doch zweifellos in Frankreich gesehen und gewiß darnach gehandelt; ob er an Napoleons Mißerfolgen eigenen Antheil hatte, darüber wage ich nicht einmal eine Vermuthung; daß er sich dieser Mißerfolge gefreut hat, wird man mindestens annehmen dürfen. Da Frankreich die Einheit hindern wollte, so sprach alle Wahrscheinlichkeit dafür, daß ein Krieg erforderlich würde; möglich blieb irgend eine Wendung, vielleicht Tod oder Sturz des Kaisers, die ihn überflüssig machen könnte; rechnen aber mußte Bismarck vor allem mit dem Kampfe. Auch sein Herr blickte mit bitterem Ernste auf die bedrohlichen Bewegungen Napoleons und wartete, was seine beiden kaiserlichen Gegner „zusammenbrauen“ würden. Denn neben den [643] Heeresreformversuchen Napoleons liefen (1867–9) seine Bestrebungen einher, sich mit Oesterreich und Italien eng gegen Norddeutschland zu verbünden, Versuche, die in Berlin nicht unentdeckt blieben und die zwar nicht zu fester Verständigung der drei Mächte, wol aber zu freundschaftlichen Annäherungen führten. Oesterreich, auf das es insbesondere ankam, war sicherlich von Herzen geneigt, in den Rachekrieg einzutreten, und hat sich keineswegs aus Friedensliebe zurückgehalten; seine innerliche und äußerliche Lage hinderte es zwar, sich irgendwie zu binden; daran jedoch, daß es im Falle eines günstigen Kriegsbeginnes den Franzosen zufallen würde, ließ es keinen Zweifel. Soweit, aber freilich auch nicht einen Zoll weiter, ging es noch in den letzten, an sich höchst feuergefährlichen Verhandlungen über einen gemeinsamen Feldzugsplan, die Erzherzog Albrecht Ende Winters 1870 in Paris anregte und Napoleon im Juni zu Wien durch seinen Vertrauten Lebrun[WS 38] wieder aufnehmen ließ. Eine „europäische Kriegsverschwörung“ kam also nicht zu Stande und sicher war Frankreich keines seiner Genossen, aber ohne Rückhalt war es nicht; es war eine Spannung von Gegnerschaften und Freundschaften, aus welcher der Krieg jederzeit hervorgehen konnte; die Entwürfe des kampflustigen Erzherzogs setzen ihn offenbar in das nächste, spätestens das übernächste Frühjahr. Wieviel Bismarck von diesen letzten Anschlägen erfahren oder geahnt hat, ist nicht bekannt. Norddeutschland gelangte im Mai 1870 mit seiner inneren Organisation zu einem vorläufigen Abschlusse; auch militärisch hatte es den Kampf nicht zu fürchten. Als er im Juli ausbrach, kam er dann doch aller Welt und selbst den Nächstbetheiligten überraschend.

Die Spanier suchen einen König, verfallen nach manchem Mißerfolge auf den Erbprinzen Leopold von Hohenzollern[WS 39], befragen ihn im Herbste 1869 und erhalten von ihm wie von seinem Vater, dem Fürsten Karl Anton, ein Nein. König Wilhelm ist Familienhaupt auch des Fürstenhauses, aber seine Stellung gibt ihm kein formales Recht, Leopolds Entschluß nach der einen oder andern Seite hin stärker zu beeinflussen; er hält diesen Rechtsstandpunkt rückhaltlos und ehrlich fest und trennt, wenn auch nicht in seinen Erwägungen – da ist es unmöglich – so doch in seinem Handeln das Familienhaupt ganz vom Staatsoberhaupte; er vermeidet überdies Gebot oder Verbot, ertheilt nur seinen Rath und gibt zuletzt nur dem vollendeten, freien Entschlusse des Andern die Bestätigung. Ihm tritt die Frage im Februar 1870 nahe, als die Spanier sie wiederholen. Er verhehlt den Verwandten nicht, daß ihm das Unternehmen bedenklich ist. Aber Bismarck, der nach Karl Antons Meldung „wieder an der Spitze der Geschäfte ist und sich wohl befindet“, widerspricht; er hält es politisch und wirthschaftlich für angenehm, im Rücken Frankreichs einen befreundeten Fürsten zu haben; er veranlaßt neue eingehendere Erörterungen und treibt die Hohenzollern mit der ganzen Wucht seines Willens vorwärts. – Was hat er damit bezweckt? Daß Frankreich die Candidatur nicht wünsche, hatte er längst aus Benedettis Munde gehört. Wollte er die Franzosen – vielleicht weil er wußte, wie bald sie selber doch losschlagen könnten und wie eifrig sie gegen Deutschland Helfer würben – zum Kriege, zum übereilten Angriff reizen? Ich habe hier diese Möglichkeiten nicht des genaueren durchzusprechen; deduciren läßt sich bei dem unvollkommenen Stande unseres Wissens und dem heiklen Charakter der Fragen hier noch Alles, und zwar das Entgegengesetzte mit ungefähr gleicher Sicherheit. Man kann bezweifeln, ob gerade diese dynastische Angelegenheit, bei der doch das in die Ferne hinausgreifende Preußen immer als eigentlicher Störenfried erscheinen mußte, in dessen Sinne einen besonders geschickten Kriegsgrund abgegeben hätte, und auch bezweifeln, daß Bismarck zu so raschem Kriege wirklich entschlossen war. Erwiesen [644] ist diese Absicht schlechterdings nicht; vielerlei spricht gegen sie. Daß er gegen Frankreich rücksichtslos gehandelt hat und rücksichtslos handeln wollte, scheint unleugbar; die französische Diplomatie hat mit der Wahl überrascht werden sollen. Hat er geglaubt, daß Napoleon, der überdies mit den Sigmaringern verwandt war, trotz seines Protestes vor der vollendeten Thatsache zurückweichen würde, und daß Deutschland alsdann den doppelten Vortheil eines diplomatischen Erfolges und einer dauernden Verbindung mit Spanien errungen haben werde? Auf gute Beziehungen zu Spanien hat der Kanzler ja auch in späteren Jahren, Alfons XII. gegenüber, entschiedenes Gewicht gelegt, sicherlich ohne für den Ernstfall die Zuverlässigkeit und Bedeutung dieser Beziehungen für Deutschland zu überschätzen. Wollte er jetzt diesen Gewinn ruhig einstreichen, der ja völlig legitim war, und den Franzosen damit, nach der Fülle ihrer Provocationen, zeigen, daß er ohne sie vorgehe, wie er wolle? Glaubte er, wenn dann doch – vielleicht wider die größere Wahrscheinlichkeit – die französische Erregung drohend überschäume, Mittel zu haben, um auch vor Süddeutschland und Europa das gute Recht seiner Handlungsweise zu erhärten, die Verantwortlichkeit Preußens hinter der Initiative Spaniens und der Unabhängigkeit des fürstlich hohenzollerischen Hauses verschwinden und den französischen Zorn gegenstandlos und herausfordernd erscheinen zu lassen? derart also, daß er den Krieg zwar nicht eigentlich bezweckt, vielleicht auch gar nicht erwartet, aber für den immerhin möglichen Fall seines Ausbruches ihn in gesicherter diplomatischer Stellung und überhaupt ohne Bedauern hingenommen hätte? Oder legte er das Gewicht darauf, dem längst erschütterten Throne Napoleons durch die Schlappe, die der Kaiser in Madrid erlitte und die er etwa doch nicht wagen würde mit den Waffen zu rächen, den letzten Stoß zu geben? Man hat wol gemeint, daß sich damit für Deutschland die Aussicht eröffnet haben würde, ungehindert von einem durch innerliche Bewegungen gelähmten Frankreich seine Einigung zu vollenden. Wie es sich nun auch verhalten oder welches unbekannte Moment noch hinter diesen Räthseln stehen möge: sicher ist, daß Bismarck in der spanischen Thronfrage mit voller Kraft gehandelt hat; und sicher ist, daß er in jeglichem Falle das Recht hatte, scharf vorzugehn. Daran – leider ist es ja noch immer nicht überflüssig, dieses Selbstverständliche zu wiederholen – ist doch kein Zweifel: der Angreifer war in dem Verhältniß Deutschlands und Frankreichs schlechterdings Frankreich. Deutschland hat Nichts von seinem Nachbarn gewollt und Nichts wider ihn beabsichtigt; es wollte seine Einheit, und konnte sich darin durch die noch so begreifliche Eifersucht des Andern nicht hemmen lassen. Der Kriegsgrund liegt einzig und allein in dem Willen Frankreichs, diese Einheit nicht zu gestatten. Die deutsche Politik hatte dem gegenüber Recht und Pflicht zu jeder Rücksichtslosigkeit. Wieweit, mit welcher Absicht sie solche diesmal geübt hat, steht, wie gesagt, noch dahin; ein hohes Spiel hat Bismarck gespielt. Der König hat dessen Gefährlichkeit wol nicht ganz ermessen, Alles zeigt, daß er sich, ganz aufrichtigerweise, durch die Hohenzollern vollkommen gedeckt fühlte. Er ließ diesen freie Hand, als sie, nach allerlei nicht geradezu officiellen, aber doch von Wilhelms entscheidenden Räthen getragenen Besprechungen zu Berlin, ihre Absage (Ende April) wiederholten: er selber war in diesen Besprechungen wol ein Stückchen aus seiner Reserve herausgetreten, hatte sich dem Einflusse seines Ministers nicht völlig entzogen, aber doch immer vermieden, die widerstrebenden Prinzen zu drängen; es spricht Alles dafür, daß auch diese zweite Absage ihm das Herz zuletzt nur erleichtert hat. Schon aber waren, während die preußische Regierung als solche sich formell nie mit der Sache befaßte, vertraute Abgesandte des Kanzlers in Spanien gewesen; sie brachten [645] „sehr zufriedenstellende Berichte“ zurück, die auch ihren Einfluß geübt haben mögen, obgleich wir hören, daß gerade der König sich ziemlich skeptisch gegen sie verhalten hat. Vor allem hatte Bismarck inzwischen den Fürsten Karl Anton ganz für seine Wünsche gewonnen. Und Ende Mai gerieth die Angelegenheit somit doch wieder in Fluß; schwerlich kann man die Vermuthung abweisen, daß Bismarck es war, der die Hohenzollern damals von neuem gemahnt und dieses Mal wirklich in Bewegung gebracht hat. Am 29. wurde Wilhelm durch seinen Sohn von diesen frischen Ueberlegungen in Kenntniß gesetzt; er „war betroffen, die abgethane Sache wieder angeregt zu sehn“, er besprach sich mit Bismarck, und als der Erbprinz ihm seine veränderte Absicht unmittelbar mittheilte, da hat, so scheint es, der König ihm seine Einwilligung ertheilt. Daraufhin wurde die Verhandlung wieder fester angezogen, der spanische Unterhändler, Salazar, kam noch einmal nach Deutschland, erhielt das Ja des Prinzen und dieser darauf, am 21. Juni, offenbar in einem zweiten königlichen Schreiben, die endgültige Zustimmung des Familienhauptes. Mit eigenem Handeln hatte Wilhelm sicherlich auch an diesem letzten Abschlusse nicht mitgewirkt, sein persönlicher Wille blieb immer unbetheiligt, und ebenso, das meinte er, auch seine Verantwortlichkeit als König. Daß die Candidatur bis zum Vollzuge der Wahl tief geheim bleiben sollte, wußte freilich auch er. Da bewirkte zunächst ein Mißverständniß eine weite Vertagung der Cortes: ein rascher Vollzug, der Gewinn einer vollendeten Thatsache wurde also unmöglich und der ursprüngliche Plan war damit gesprengt; dann fühlte sich Prim[WS 40], vielleicht infolge einer Unvorsichtigkeit Salazars, gedrungen, dem französischen Gesandten die Wahlabsicht zu enthüllen; alsbald erhob sich in Frankreich ein leidenschaftlicher Zorn. Begreiflich genug, denn man hatte die Franzosen überrumpeln wollen, und in jener Scheidung zwischen Familien- und Staatsangelegenheit wollten sie lediglich Lüge erblicken: nach ihren, ganz modernen, politischen Anschauungen konnten sie kaum anders empfinden. Darum bleibt es nicht minder wahr, daß die französische Regierung den Zwischenfall mit voller Absicht zum Kriegsfalle gesteigert, daß sie, daß wenigstens ihr auswärtiger Minister Gramont[WS 41] von Anfang an den Krieg gewollt und die spanische Candidatur freudig zu diesem Zwecke ausgenutzt hat. Auch Gramont handelte dabei nicht bloß als Einzelner: hinter ihm stand der augenblickliche Ingrimm und der alte Haß der Nation oder doch ihrer politisch entscheidenden Kreise. Er aber wurde das persönliche Organ der großen nationalen Gegensätze, und er trieb, in persönlicher Plumpheit, in einer Weise, an die Bismarck freilich nicht hatte denken können, die Dinge zu überraschend jähem Bruche. Hätte er ihn nicht gewollt, so hatte er andere Wege genug, die beinah sicher zum diplomatischen Siege führten, zum deutlichen Siege mittelbar auch über das mitbetheiligte Preußen. Er aber richtete die Spitze ganz unmittelbar gegen dieses allein; er schleuderte ihm gleich am 6. Juli die öffentliche Herausforderung in der Kammer entgegen; er wollte Preußen (Norddeutschland) und nur dieses zum Rückzuge und zur Entschuldigung zwingen. Der unberechenbare Gang der letzten Wochen hatte die Lage höchst unangenehm gewendet; sollte Norddeutschland die Schlappe, die Beleidigung hinnehmen? es war eine verschärfte Wiederholung des Mißerfolgs von 1867, diesmal bei Napoleons Gegnern.

Diese Lage hätte nun Bismarck vermuthlich beherrschen, einen Ausweg aus ihr finden können, der die Ehre seines Staates unverletzt erhielt; er hätte wol sofort die ersten groben Ausfälle Gramonts verwerthet, um Frankreich in das Unrecht zu setzen. Aber er war fern in seinem pommerischen Varzin; sein Herr saß, leidend, in Ems, von dem französischen Kriegslärm peinlich berührt, [646] seinerseits friedfertig, am allerwenigsten geneigt, aus dieser ihm von jeher unerquicklichen spanischen Sache, in der er über seine Empfindung hinaus mitgegangen oder doch nachgefolgt war, einen großen Krieg entstehen zu lassen. An dieses Unbehagen, das nicht eben Schuldbewußtsein war – denn dazu fand er keinerlei Anlaß und bei seinem Standpunkte der Nichtbetheiligung Preußens verharrte er ganz –, an dieses getheilte und unzufriedene Gefühl seines Königs mag Bismarck doch wol gedacht haben, wenn er ihn, wie wir hören, am 5. Juli telegraphisch gebeten hat, „sich eine möglichst kühle Auffassung der Lage zu wahren“. Nun aber thaten die Franzosen gerade den für den Frieden, aber auch für die norddeutsche Politik gefährlichsten Schritt: von der preußischen Regierung mit Achselzucken abgewiesen wandten sie sich an den Herrscher selbst, Benedetti erschien in Ems. Sein Auftrag ging dahin, den König aus der gedeckten Stellung des Familienhauptes herauszutreiben, von ihm als König den Widerruf der Candidatur zu erwirken, und so Frankreich die Genugthuung einer directen Niederlage des eigentlich gehaßten Gegners zu verschaffen; diese Niederlage, diese unzweideutige Demüthigung wollte Gramont, alles Andere reiche nicht aus. Die Gespräche, die in Ems vom 9.–13. Juli 1870 stattgefunden haben, die drängenden Befehle des französischen Ministers, deren Absicht überall ganz klar ist, verfolge ich hier nicht in das Einzelne hinein. Benedetti vollstreckte seinen Auftrag, Wilhelm hielt sich unbeirrt auf der ihm natürlichen Linie. Er wünscht den Verzicht der Hohenzollern innerlich von ganzer Seele, er macht ihnen deutlich genug, daß er ihn wünsche; er vermeidet dabei den Schein seiner positiven Mitwirkung durchaus: vor der Welt, vor Frankreich können lediglich die Sigmaringer handeln, er selber kann ihrem Entschlusse, dem Rücktritte genau ebenso wie früher der Annahme, nur seine nachträgliche Genehmigung hinzufügen. Kein Mahnen des französischen Botschafters bringt ihn von diesem Wege ab; mit voller Sicherheit erreicht er das Resultat, daß der Verzicht von Karl Anton ausgesprochen und in Paris früher als in Ems bekannt wird. Er selber setzt Benedetti im eigenen Namen erst dann davon in Kenntniß, als die formelle Anzeige des Vetters in seinen Händen ist. Dann allerdings geht er soweit, den Franzosen seine Billigung des Entschlusses direct und in aller Form zu erklären. Als er den Entscheid aus Sigmaringen erhalten hat, athmet er auf: „mir ist ein Stein vom Herzen!“ schreibt er am Abend des 12. seiner Gemahlin. Für ihn ist damit die Sache zur Zufriedenheit erledigt. Im Laufe der Verhandlung, unter dem Hetzen Gramonts und den drohenden Nachrichten aus Paris hatte auch er die Möglichkeit des Krieges ernst erwogen und von Roon Vorschläge über eine zeitige Sicherung der Rheinprovinz eingefordert (11. Juli); Roon hatte, im Einvernehmen mit den in Berlin anwesenden Würdenträgern, von allen verfrühten Theilmaßregeln abgerathen. Nunmehr aber war jene Gefahr ja vorüber. Gewiß, der Friede war jetzt hergestellt, und Preußen, so schien es dem Könige, hatte es vermocht, sich dabei im Hintergrunde zu halten. Seine Verhandlungen mit Benedetti wollte er dabei nicht rechnen: nur als „Gespräche“, die nichts bedeuten, ließ er sie gelten. Daß trotz dieser Formen der von ihm gebilligte Verzicht, nach Gramonts kriegerischer Kammerrede, ein offenbarer Rückzug Norddeutschlands war, verhehlte Wilhelm sich; er fand, daß erst die neuen Forderungen, die Gramont nunmehr erhob, „die Lage wieder sehr ernst“ gestalteten. Bismarck, der jetzt nach Berlin zurückeilte, war mit dem Verlaufe der Ereignisse bis zum 12. weniger zufrieden, in Berlin nahm man überhaupt die Dinge überaus schwer und schon am 12. erhielt die badische Regierung von dort aufregende Nachricht. Dem Kanzler vollends brannte die Beleidigung, die man nicht von [647] sich abgestoßen hatte, auf dem Herzen, ihm bedeutete die Passivität, die sein Herr wol einerseits und mit Glück der hohenzollerischen Entscheidung, ebenso aber auch dem französischen Angriffe gegenüber bewahrt hatte, eine bittere Niederlage. Da halfen, wie alle Welt weiß, jene neuen Forderungen des französischen Ministers der deutschen Politik aus einer Bedrängniß heraus, die, an sich selber peinlich, durch die gewissenhafte Nachgiebigkeit des Herrschers in der That beinahe unerträglich geworden war. Gramont genügte der sachliche Erfolg nicht, er bestand schlechterdings auf ganz offener Demüthigung oder Krieg; er ließ (12. Juli) durch Benedetti und Werther, die beiderseitigen Gesandten, das doppelte Verlangen an den König ergehn: ein für alle Zukunft bindendes Versprechen, daß Wilhelm die hohenzollerische Candidatur nie wieder zulassen werde; einen Entschuldigungsbrief des Königs, eine wahre Abbitte für das was bisher geschehen war, für die Verletzung Frankreichs und seines Kaisers. Am Morgen des 13. Juli spricht Benedetti die erste Forderung aus, Wilhelm weist sie unbedingt, zuletzt nicht ohne Schärfe ab, will aber dem Botschafter von der Nachricht aus Sigmaringen, die er officiell noch nicht erhalten hat, Kunde geben, sobald sie eintrifft. Als sie eingetroffen ist, beschließt er, auf den Vortrag Abekens, des ihm beigegebenen Beamten aus dem Auswärtigen Amte, und des Ministers des Innern, „mit Rücksicht auf obige Zumuthung“, Benedetti lediglich durch den Flügeladjutanten Fürsten Radziwill[WS 42] in Kenntniß zu setzen und ihn nicht persönlich mehr zu empfangen; Radziwill überbringt Benedetti zugleich die Erklärung, daß Wilhelm damit die Angelegenheit (d. h. die Besprechung dieser Frage) für abgeschlossen erachte; und als jener nach Gramonts Befehl dennoch um eine Audienz nachsucht, in der er das Versprechen für die Zukunft von neuem fordern wolle, wird ihm bedeutet, der König habe ihm in dieser Beziehung nichts Weiteres zu sagen. Noch einmal wiederholt Benedetti sein Gesuch, noch einmal erhält er das runde Nein: er wird, in Sachen jenes Versprechens, nicht wieder empfangen werden. Offenbar erst nach der Feststellung dieses Beschlusses, wenn auch während des Ablaufes der mehrmaligen Botengänge Radziwills, erfuhr der König aus Werthers Briefe, was man ihm außerdem noch ansann. Er war in heller Empörung; „es ist doch nothwendig, schrieb er Abeken, an Werther zu chiffriren, daß ich indignirt sei über die Gramont-Olliviersche Zumuthung und mir das Weitere vorbehalte“. Aber schon vorher, allein auf Benedettis Botschaft hin, hatte er sich zu öffentlicher Abwehr entschlossen. Er ließ Bismarck durch Abeken von dem Vorgang des Morgens und von jenem Beschlusse unterrichten, daß er Benedetti nur durch den Adjutanten die Nachricht zustellen, ihn selber aber nicht mehr empfangen wollte. Er gab dem Kanzler anheim, die „neue Forderung Benedettis und ihre Zurückweisung sogleich sowol unseren Gesandten als in der Presse mitzutheilen“.

„Fast impertinent“ hatte er den Franzosen gefunden; die Unterhaltung war in höflichen Formen verlaufen, aber die sachliche Beleidigung spürte der König gleich; höchstens daß er ihre volle Schärfe, ihre Absichtlichkeit wol erst allmählich, erst nach Werthers Schreiben ganz ermaß. Bereits hatte er seine eigene Würde vollkommen gewahrt, die Demüthigung vollkommen abgewiesen, und seine wie der Nation Ehre, das sprach er aus, wollte er um jeden Preis vertheidigen. Die befohlene Veröffentlichung redete darin völlig klar. Allein genügte diese Abwehr dem Augenblicke noch? war sie Sühne genug? mußte diese Handhabe nicht benutzt werden, um endlich für die Insulten der letzten Woche und für diese neueste, schwerste die volle Genugthuung zu fordern? Die Franzosen waren jetzt in jedem Sinne die Angreifer geworden; durfte man den Hieb nur pariren, anstatt selber endlich nachzuschlagen? Es ist bekannt, [648] wie unbefriedigt Moltke und Roon am Abend des 13. von der Langmuth ihres Herrn, von seinem neuesten Befehle an Bismarck waren. Sie erfaßten seine Absicht, wie sie, trotz der Kürze und Schärfe von Abekens Depesche, in der That aus dem gesammten Zusammenhange unwidersprechlich hervorgeht, ganz richtig. Der König war verletzt und wollte eine deutliche Zurückweisung: so war seine Stimmung bereits seit dem Ansinnen Benedettis, so war sie bei dem Auftrage an Abeken. Der Brief Werthers steigerte sie dann; seitdem dachte er an eine Frage in Paris, und eine solche konnte natürlich die weitesten Folgen haben. Indeß einen jähen Abbruch, einen unwiderruflichen Bruch wollte er selbst da noch nicht vollziehen; noch als er am 14. Benedetti zum Abschiede höflich empfing, sprach er ihm von weiteren Verhandlungen mit dem Berliner Ministerium: damals war die Spannung der Lage gewachsen; am 13. vollends aber hatte er dem Botschafter außer der Sigmaringer Meldung ja seine eigene Zustimmung zu dieser ausdrücklich übermittelt. Selbst noch für den 14. scheint es zu gelten und für den Frühnachmittag des 13. gilt es sicher, daß König Wilhelm zum scharfen Angriffe überzugehn noch nicht gewillt war. Und als er am 14. früh Bismarcks Emser Depesche erhielt, da hat er sie demgemäß, nach Eulenburgs Zeugnisse, zwei Mal gelesen, sie dann betroffen jenem hingereicht, mit dem Ausrufe: „das ist der Krieg!“ Wiederum ist es bekannt, wie der Kanzler aus den Worten des Abekenschen Telegramms die neue Fassung zusammenpressend hergestellt hatte, eine Fassung, welche den Auftrag seines Fürsten nirgends verletzte, sich nach Buchstaben und Sinn völlig rechtfertigen ließ und Wilhelms eigentliche Absicht, die doch auch Bismarck wol ermaß, dennoch weit überschritt. „S. Maj. hat es darauf abgelehnt, den französischen Botschafter nochmals zu empfangen, und demselben durch den Adjutanten vom Dienst sagen lassen, daß S. Maj. dem Botschafter nichts weiter mitzutheilen habe.“ Das hieß, für jeden Leser, den endgültigen schroffen Abbruch der gesammten Verhandlung, nicht etwa nur derjenigen über das Zukunftsversprechen, nicht etwa nur der ganz persönlichen zwischen König und Botschafter, unzweideutig erklären. Es veränderte die Farbe der Emser Vorgänge ganz; kein Austausch von Nachrichten und Erklärungen, wie ihn Radziwill vermittelt hatte, war hier erwähnt; nur eine schneidend kurze und allgemeine Absage. Der König dieser Depesche that, was Bismarck und seine beiden Genossen an Wilhelms Stelle gethan haben würden; er ging aus der Abwehr sofort in den rückhaltlosen, in den unwiderruflichen Angriff über. Ob die Franzosen „die bittere Pille schlucken oder ihre Drohungen zur That machen wollten“, stand ja nun freilich bei ihnen; aber es war beinahe sicher, daß diese Depesche sie in den Krieg treiben mußte, und eben dies war deren Zweck. Sie war ein Schlag in Frankreichs Antlitz, und sie hat, in ihrer Fortwirkung, den Krieg erzwungen. Nach allem, was wir wissen, hat Napoleon ihn damals höchst widerwillig auf sich genommen: er hatte ihn längst tastend vorbereitet und wollte ihn, ob nun gern oder ungern, sicherlich führen, wenn die Stunde einmal günstig wäre; jetzt mußte er zugreifen, so sehr er sich sträubte, so unsicher er jetzt seiner Bundesgenossen und der eigenen Kräfte war. Bismarck nöthigte ihm diesen Augenblick auf und vollzog das nothwendig Gewordene zu einer Zeit, wo sein Vaterland stärker war als der Feind. Er hatte, so sahen wir, im höheren Sinne immer Recht gehabt, auch unter der Voraussetzung, daß er diesen Krieg von vornherein gewollt und angelegt haben sollte; in dieser Stunde aber hatte er unter allen Voraussetzungen Recht. Was er am 13. Juli that, war schlechthin unanfechtbares Gebot seiner staatsmännischen Pflicht. Man hat mit gutem Fug darauf hingewiesen, wie überaus glücklich in dieser großen Entscheidung der König und sein Kanzler [649] zusammengewirkt haben. Was der Erste versäumte, holte noch eben im richtigen Zeitpunkte der Zweite nach; behauptet hatte auch Wilhelm seinen Stand: er war dabei bis an die äußerste Grenze würdiger Nachgiebigkeit gegangen, nie über diese hinaus – da jetzt Bismarck die befreiende That vollbrachte, hatte er den hohen Vortheil, daß dank dem Verhalten seines Königs dieser selbst und nicht nur wie 1866 dieser, sondern sein ganzes Volk und die Welt Deutschland Recht geben und in Deutschland den maßlos Herausgeforderten, den zum Kampfe Gezwungenen erblicken mußten. Es war auf Wilhelms Seite ein halb passives Verdienst; aber es war doch sein ganzes Wesen, seine ehrwürdige Milde, seine reine und gerade Männlichkeit, die dabei zur Wirkung kamen. In seinem Bilde, als des Beleidigten und Hoheitsvollen, hat die Legende von Ems den Inhalt der Ereignisse und die großen nationalen Gegensätze verkörpert und dramatisirt: in ihr überfällt ja der rauflustige Franzose den friedfertigen Fürsten und jener wendet ihm schweigend den Rücken. Und so fügte es sich in Wahrheit, daß die persönlichen Eigenschaften des Herrschers den Hergängen den Charakter auch äußerlich wiedergaben, den diese im innerlicheren, historischen Sinne wirklich besaßen: den Charakter deutscher Nothwehr gegen einen frevelhaft in das Tiefste unseres Lebens hineingreifenden Feind.

Es ist nicht hier zu schildern, wodurch und wie sich nun der Krieg in Frankreich endgültig entzündete, wie ganz Deutschland aufflammte, der Süden sich dem Norden vereinte, wie gerade jetzt die Gestalt des greisen preußischen Königs der Nation zum Sammelzeichen und Wahrzeichen ward und all ihre stillen Kräfte ausströmte, wie die erschütternd großen Monate anbrachen, feierlich ernst und voll tiefen Jubels, deren Gedächtniß einem Jeden, in dessen Herz ein Strahl ihres Lichtes gefallen ist, unvergleichlich und unverlierbar bleibt. König Wilhelm trat in sie ein, ganz als er selbst, peinlich und beinah ängstlich gewissenhaft und bescheiden. Er war seit dem 13. und 14. Juli auf das Aeußerste gefaßt, aber dem letzten furchtbaren Entschlusse widerstrebte er auch dieses Mal solange es irgend ging; an die Unvermeidlichkeit des Krieges wollte er noch nicht glauben, das entscheidende Wort wollte Er nicht aussprechen. So nahm er, erhoben und doch mit innerlicher Zurückhaltung, jenen langen Triumphzug hin, den ihm (15. Juli) sein Volk auf der Fahrt bis in die Hauptstadt bereitete; in Brandenburg stiegen der Kronprinz, Bismarck, Roon und Moltke zu ihm in den Wagen, er entschied, trotz Bismarcks Vortrage, noch Nichts, setzte auf den folgenden Tag einen Kronrath an. Aber auf dem Potsdamer Bahnhof zu Berlin erwartete ihn am Abende die Nachricht des thatsächlichen Pariser Kriegsbeschlusses. Erst da gab er, nach kurzer Wechselrede, von der Bedeutung der französischen Maßregeln bald überzeugt, in herzlicher Bewegung, völlig nach. Sein Sohn, der auch in der spanischen Thronfolge von Anbeginn an wieder der Anwalt der Enthaltung und des Friedens gewesen war, war jetzt von der Nothwendigkeit des Kampfes durchdrungen; er war mit allem Feuer für die umfassende Mobilmachung, er verkündete sie der harrenden Menge. Die Würfel waren gefallen. Ein Kampf brach aus, der über alle Persönlichkeiten hinweg zugleich das große Ergebniß uralter, jetzt erneuerter Gegensätze war. Wilhelms I. Leben kehrte damit zu seinen Anfängen zurück: am Todestage seiner Mutter, an ihrem Grabe suchte er im Gebete den Segen der Vergangenheit. Am 31. Juli reiste er zum Heere ab: den Zeiten bitterschwerer und überschwänglich reicher Erfüllung entgegen.



[650] Die militärische Aufgabe war diesmal umfassender als 1866 und das Verdienst des Königs konnte sich sichtbarer entfalten. Daß das große Hauptquartier mit seinen beinah tausend Köpfen allzugroß und mit mancherlei störenden Gästen überlastet war, daran war er vielleicht nicht ganz unschuldig; unzweifelhaft aber hat dieses Hauptquartier in seinen eigentlich maßgebenden Gruppen von Anfang an bis zum Ende des Krieges die Seele aller deutschen Unternehmungen gebildet. Und hier ist Alles um die Person des Herrschers geschart.

Wir können ihn bereits leidlich genau durch die stürmischen vier Wochen von Mainz bis Sedan hin verfolgen, in seiner menschlichen Güte und Pflichttreue und in seinem Antheile an den entscheidenden Thaten. Er ist rastlos, frühauf, unermüdlich, in allen kleinen Unbequemlichkeiten nachsichtsvoll und geduldig. Er ist auch diesmal furchtlos in der Schlacht wie inmitten der feindlichen Bevölkerung und verschmäht es, sich ängstlich zu decken: er stehe in Gottes Schutz und müsse sich dem anheim geben. Er beobachtet und rühmt die Tapferkeit auch des Feindes mit ritterlicher Theilnahme; das Herz geht ihm auf bei den Erfolgen seines Sohnes, wenn er ermißt, was sie für dessen ganze Zukunft bedeuten; das eigentlich Beherrschende aber in seinen persönlichen Gefühlsäußerungen ist die Liebe zu seinen Truppen und die bittere Trauer. Mit der tiefsten Erschütterung hört er von den entsetzlichen Verlusten, sieht er sie auf den Schlachtfeldern, in den Lazaretten, bei der Begrüßung der Ueberlebenden mit eigenem Auge. Da spürt er am unmittelbarsten den Tod so Vieler, die er selber gekannt hat, und zählt Namen um Namen klagend auf; am Herzen aber liegen ihm Alle, auch die Fremderen, nach jedem schweren Tage drängt es ihn, durch die Regimenter hinzureiten, mit ihnen zu trauern, ihnen zu danken, seine ganze Seele in einfachen ergreifenden Worten und in quellenden Thränen zu ihnen sprechen zu lassen; und wieder schwillt ihre Liebe der seinigen brausend entgegen. Währenddessen sind sich die mächtigen Schläge in dichter Reihe gefolgt: eine Kette starker Thaten, in denen der selbständige Entschluß der einzelnen Führer über die Pläne der höchsten Leitung hinausgreift und sie verschiebt; kein weithinaus vorbedachtes und ausgerechnetes System natürlich, aber Alles dann immer wieder straff von obenher zusammengefaßt und ausgenutzt; auch die Fehler der Feinde thun ihr reichliches Theil hinzu; aber die letzte Herrschaft über die Ereignisse, soweit man sie nur beherrschen kann, behält doch die deutsche Oberführung, und stets von neuem ergreift sie das Größte und Höchste, drängt sie rastlos weiter. Der König ist an Allem betheiligt: am 15. August hat er die Rückwärtsbewegung Steinmetzens unwillig aufgehalten, am 17. die kühnste Verwerthung aller Theilerfolge der letzten Tage, die große Schlacht des 18., gutgeheißen, am 18. selber hat er, wie bei Königgrätz, die Entscheidungsschlacht commandirt. Es soll hier nicht der Versuch gemacht werden, über die dornigen vielumstrittenen Fragen ein Urtheil zu fällen, die sich gerade an die Hergänge auf dem rechten Flügel der Deutschen und auch an die Stellung und Einwirkung des großen Hauptquartiers während des 17. und 18. Augusts angeknüpft haben: ganz günstig ist diese Stellung wol kaum, glücklich ist sie jedenfalls nicht gewesen. Der König hat an diesem schweren Tage unmittelbarer als wol irgendwo sonst in den Gang des Kampfes eingegriffen; er hat den Angriff der Steinmetzischen Armee, seit das Gefecht einmal entbrannt war, angestachelt, Steinmetzens Verfahren im einzelnen streng getadelt; er hat, als die Panik losbrach, die Weichenden persönlich zu ordnen gesucht und in den Kampf zurückgetrieben, und man hat Sorge tragen müssen, ihn selber aus der Gefahr zu entfernen. Er hat dann gegen den Rath seines Generalstabschefs [651] das anrückende zweite Corps noch Abends in die Schlacht geworfen: auch Moltke erfuhr, daß sein Herr im Zuge des Handelns wol einmal über die Grenzen hinausging, die seine großen Rathgeber einhalten wollten; und es ist doch wol nichts daran zu verhüllen, daß die Ereignisse nicht Wilhelm, sondern Moltke Recht gegeben haben, auch wenn man noch so bereitwillig zugesteht, daß es in der That der energische Wille zu siegen, die zähe und rücksichtslose Angriffslust, und somit die beste Triebkraft dieses Krieges gewesen ist, die den Monarchen hier die Abmahnungen seines wahrlich nicht ängstlichen Feldherrn überhören ließ. Der Sieg des linken Flügels hat ja dann auch diesen Tag für König Wilhelm entschieden – im großen und ganzen zuletzt doch so, wie Moltke es angelegt hatte; der rechte, auf dem sie beide gestanden hatten, war wenigstens nicht geschlagen worden. Der König ganz persönlich hatte am 18., gegen Roons Stimme, für die einmal beschlossene Schlacht entschieden; am Abend entschied wieder er dafür, daß, wenn es nöthig sei, am 19. weitergestritten werden solle: er setzte heldenhaft Alles an Alles, und seiner Festigkeit durfte sich Moltke freuen. Und unablässig ging es wiederum weiter; Wilhelm erlebte den leuchtendsten seiner Siege bei Sedan. Hier hat er nicht selber einzugreifen gebraucht; er sah, von überschauender Höhe her, das große Drama sich vollziehen und die Eigenschaften, die er am 1. und 2. September entfaltet hat, waren die hellsten seiner königlichen Seele: wieder war es die vornehme Gerechtigkeit, die sich vor dem Todesmuthe der feindlichen Reiter neigt, die Würde und die menschliche Dankbarkeit und gläubige Bescheidenheit im Augenblicke des ungeahnten Triumphes über den Kaiser, das großherzige Feingefühl, das dem besiegten Gegner in der Seele wohl thut – in jenem Eindruck einer „wunderbaren Erhabenheit“, mit der sich vor des Kronprinzen Blicken die hehre Gestalt seines Vaters von Napoleons Erscheinung äußerlich abhob, dringt doch vor allem das Bewußtsein von der sittlichen Hoheit dieses Siegers durch. Und wie sicher und sachlich hat auch hier der König bei den Verhandlungen die strengen Ansprüche Moltkes und Bismarcks durch seinen Willen unterstützt; wie ergreifend die ausdauernde Güte, die den greisen Herrn in fünfstündigem Umritte am Nachmittage des 2. September, bis in die dunkle Regennacht hinein, zu all seinen Truppen hinführt, damit er ihnen wieder persönlich danke; wie groß am Tage der Nachfeier die öffentlichen Dankesworte an seine drei Helfer, den Schärfer und den Führer des Schwertes und den Staatsmann, der Preußens Politik so hoch gehoben habe! An demselben 3. September schon befahl er den Weitermarsch auf Paris.

Und wiederum blicken wir hier in das tägliche Treiben des großen Hauptquartiers zu Versailles, während der langen Wintermonate vom October bis zum Februar, tief hinein. Auch da bei Wilhelm selber die Fülle patriarchalisch warmer Züge: wie er sein Haus in der fremden Hofstadt aufgeschlagen hat uns sich von Louis Schneider aus den französischen Geschichtswerken vorlesen läßt, kriegerische und bürgerliche Kämpfe alter und neuer Zeit; wie er würdig und herzlich seine und seiner Diener Feste begeht, und wie er so gerne heiter ist und Moltkes schlagfertigen Gehülfen Verdy mit harmlosen Scherzen überfällt; wie er sich unbefangen durch Park und Straßen bewegt, dem anderes gewöhnten Volke auch hier in seinem ruhigen Muthe ein Gegenstand des Staunens. Dazwischen die Ausfälle der Belagerten, die den König unter die Waffen rufen; am 21. October verfolgt er von der Plattform des hohen Thurmes der Wasserleitung von Marly das Gefecht: ein majestätischer Standpunkt, gegenüber der stolze Mont Valerien, unten das Seinethal, in der Ferne die endlosen Häusermassen der großen Stadt. Auch in Versailles empfand ein aus Paris kommender Unterhändler wie Graf Hérisson, als er den [652] König und Kaiser inmitten seines glänzenden siegesfrohen Gefolges schreiten sah, die tiefen Gegensätze von Sieg und Niederlage zu epischer Mächtigkeit gesteigert.

Dem Könige war der wesentliche Inhalt seiner Versailler Monate ein ganz anderer. Der epische Zug unablässig fortschreitender Schlachten war für ihn vorüber; aber die Ruhe, die ihn äußerlich der Regel nach umgab, war erst recht trügerisch. Es war eine Zeit gespannter und sorgenvoller Arbeit und innerer Kämpfe. Erst hier in Versailles hat Wilhelm das Größte gethan, das dieses Kriegsjahr ihm zuwies. Im Vordergrunde standen ihm dabei zunächst die militärischen Aufgaben.

Sehr merkwürdig ist da seine Würdigung des Volkskrieges. Unmittelbar nach Sedan hat er der allgemeinen Hoffnungsfreudigkeit das Wort entgegengesetzt: „warten Sie nur ab, jetzt fängt der Krieg erst an“. Von da ab ist zwischen ihm und seinen hohen Officieren eine Abweichung, die oft genug in Wilhelms vertraulichen Gesprächen spürbar wird. Gewiß hat seine allgemeine Bedächtigkeit mitgesprochen, die den Tag nicht vor dem Abend loben wollte; indessen reicht der Gegensatz weiter. Die Erinnerungen an die bewaffneten Bauernscharen von 1814 tauchten in seiner Seele auf, er gedachte des „Massenaufgebotes“ der Revolutionskriege und nahm das französische Volk sehr ernst. „Es fehlt ihnen, äußerte er am 30. September, bisher nur an den richtigen Männern, die dergleichen zu organisiren verstehen. Unsere Herren wollen noch gar nicht recht daran glauben … Ich habe nur immer zur Vorsicht zu mahnen.“ Als dann die „richtigen Männer“ kamen und Leon Gambetta[WS 43] sein riesenhaftes Werk vollbrachte, hat Wilhelm ihm und seinen Gehülfen seine hohe Achtung und seinen lebhaften Antheil nicht versagt. Er ist da offenbar unbefangener als seine Generäle wie Roon und insbesondere Podbielski und selbst dem Urtheile Moltkes überlegen gewesen, der sich ja niemals dazu entschlossen hat, die Größe dieser Bewegung und dieser Männer ganz rückhaltlos zu erkennen. Daß zwischen dem geschulten deutschen Volksheere von 1870 und den Massen Gambettas nicht der Unterschied obwaltete wie zwischen den Heeren der alten Monarchien und der französischen Revolution, das liegt freilich auf der Hand; ein Hauch von der Einseitigkeit des Berufssoldaten ist dennoch über jenes ablehnende Urtheil der hohen preußischen Militärs ausgebreitet, und es ist bedeutsam, daß gerade er, der strenge Schöpfer der preußischen Organisation, der von der Erziehung des Soldaten so unendlich viel hielt, die Kraft der französischen nationalen Leidenschaft so vorurtheilslos ermaß. Mit seinem Könige stimmte, wie wir erfahren, dabei Bismarck überein. Man möchte fast meinen, daß Wilhelm seine bessere Erkenntniß hätte minder bescheiden zur Geltung bringen sollen. Was dank der Unterschätzung, die er beklagte, etwa versäumt worden ist, wage ich nicht zu entscheiden; auch Moltke hat bei Roon im December scharf auf „die Nothwendigkeit weiterer Truppenformationen in der Heimath“ gedrungen. Damals hatte der König bereits Anlaß gehabt festzustellen, wie sehr die Ereignisse seinen Warnungen Recht gegeben hätten. Die Loirekämpfe hat er mit gespannter Aufmerksamkeit handelnd begleitet; er selber schickte, aus eigenem Entschlusse, den Grafen Waldersee als Vertreter der Forderungen des Hauptquartiers zum Prinzen Friedrich Karl und schleunig, ohne den Generalstabschef gesprochen zu haben, mußte Waldersee auf seinen Posten eilen.

Gleichzeitig bewegte die Frage der Beschießung von Paris in Versailles die Leidenschaften, und in den Parteiungen, die sich darüber bildeten, treten natürliche, allgemeine Gegensätze der Personen und der Gruppen zu Tage. Unter diesem allgemeineren Gesichtspunkte muß der langwierige Streit auch [653] hier erwähnt werden. Aus Beweggründen und mit Modificationen rein militärischer Art, denen ich nicht nachgehe, widerstrebte der Generalstab – Moltke und die Seinen ebenso wie Blumenthal, dessen Ansicht der Kronprinz theilte – mindestens einem vorzeitigen Bombardement, im Grunde doch wol längere Zeit hindurch jedem Bombardement überhaupt; Maßnahmen dazu, die Anfang October schon beschlossen waren, wurden wieder rückgängig gemacht oder vertagt. Gefordert aber wurde jenes nicht nur von der öffentlichen Meinung daheim, sondern auch in Versailles von Roon, von Bismarck, vom Könige selbst; alle Briefe und Berichte sind dieses Zwistes voll. Roon fand in der Abneigung des Generalstabes Unthätigkeit und Verschleppung und sah, als man endlich im December, noch immer zögernd, auf seine Anträge und Angebote einging, in sich selber den Sieger über eine unbegründete Opposition; mit Moltke wechselte er Briefe, in denen ein Ton von Feindseligkeit unverkennbar ist. Moltke seinerseits hat die Anwesenheit des Kriegsministers im Großen Hauptquartiere stets mißbilligt. Die beiden Männer, und die Arbeitskreise die sie vertraten, stießen scharf aufeinander. Der Kriegsminister ertrug es schwer, während des Kampfes so ganz hinter den Generalstabschef zurücktreten zu sollen, dessen Maßnahmen ihm auch fachlich manchmal bedenklich waren. Mag er nun fachlich Recht oder Unrecht gehabt haben – nicht immer scheint er doch im Unrecht gewesen zu sein –, dieser Kampf der Ressorts lag, da sie beide in starken Männern verkörpert waren, allzu nahe. Im Generalsvortrage, den Moltke allmorgendlich zu halten pflegte und zu dem er selber, nach der Vorberathung mit seinen vertrauten Officieren, mit festem Programme kam, waren auch Andere, der Kronprinz, Roon, der Generalquartiermeister Podbielski und der Chef des Militärcabinets, zugegen; der König konnte sie befragen und that dies wol auch; die eigentlichen Operationen aber stellte er dabei, wie uns von Moltke versichert wird, lediglich in directer Auseinandersetzung mit Moltke fest. Freilich waren die Grenzen so haarscharf doch wol nicht zu ziehen. Es war unvermeidlich, daß Moltke, etwa indem er Nachschub aus Deutschland forderte, auf das kriegsministerielle Gebiet, und daß Roon, indem er als Kriegsminister, der für das Material im weitesten Sinne zu sorgen hat, etwa auf die Beschießung zu sprechen kam, auf das Gebiet der Operationen hinübergriff. Wir wissen, daß beide es gethan haben. Wie weit solche Auseinandersetzungen in jenem Hauptvortrage des Generals stattgefunden haben, wage ich nicht zu sagen, Roon schrieb ihm einmal, „er vermeide gern jede Controverse in S. Majestät Gegenwart“. Sicher ist, daß der König gerade in Sachen der Beschießung außer Moltke auch den Kronprinzen und Roon zu schriftlichen Gutachten aufgefordert, daß er ebendabei die Vorstände der Artillerie und des Ingenieurcorps persönlich befragt hat und daß überdies Roons eigener Vortrag diesem Gelegenheit bot, Alles zu sagen was er für nöthig hielt. Die Ansichten drangen also auf den Monarchen ein und von einer ausschließlichen Anhörung des Feldherrn darf man im ganzen nicht reden. Freilich war es dem Könige nicht eben behaglich, so im Kreuzfeuer der Meinungen zu stehn; Roons scharfes Drängen beantwortete er Anfang December mit Unfreundlichkeit und Ungeduld, und der feurige und selbstbewußte Mann, überdies durch quälende Krankheit gereizt, dachte viel an seinen künftigen Rücktritt. – Nicht minder offenkundig war die Abweichung Bismarcks. Auch er verlangte, des politischen Eindrucks in Europa halber, trotz Moltke schleunige Beschießung, auch er brachte seinen Anspruch in einem Immediatberichte, dem er Beweisstücke und immer neue Mahnungen folgen ließ, vor das Auge des Herrschers. Auch hier war der Gegensatz breiter und tiefer: militärische und bürgerliche Oberbehörde [654] machten einander den Raum streitig. Bismarck war der Meinung, daß Kriegführung doch nur ein Theil der Politik sei und daß die zweite der ersteren sogar in ihre Operationen, vor allem aber in die Verhandlungen hineinzureden habe. So wich man bereits bei der Capitulation von Metz, später bei der von Paris und bei den Friedensverhandlungen offenbar von einander ab. Die Officiere empfanden den Einfluß, den der Staatsmann in militärischen Dingen üben wolle, äußerst unangenehm: man hört da Worte von „militärischer Unwissenheit“ und „grünem Tisch“, man sieht Moltke unmittelbar beim Könige die schädliche Betonung „politischer Momente“ verurtheilen; und in Bismarcks Herrscherseele leuchtet der Stoßseufzer, den Busch[WS 44] von ihm vernahm, blitzartig hinein: „ja, wenn man allein beschließen und befehlen könnte!“ Er klagte, vom Generalstab absichtlich ohne Nachrichten gelassen zu werden; er schrieb seiner Schwester von dem „erobernden Eindringen der Soldateska in die Zivilgeschäfte“ und gab jenen den Vorwurf des Dilettantismus kräftig zurück. Daß der König seine Mahnungen zum Bombardement gar nicht mit ihm erörtere, empfand er (30. Nov.) als einen Mangel an Vertrauen. Roon und Bismarck schoben einen Theil der Schuld an dem Aufschube den Einreden der königlichen Frauen zu; von keiner von diesen, weder der Königin noch der Kronprinzessin, ist es zweifelhaft, daß sie gegen die vermeintliche Barbarei, die man forderte, ihre Stimme erhoben haben, und diese weiblichen Einflüsse weisen wol auch über den Canal hinweg, auf die Presse und die Königin Englands. Seiner Gemahlin hat Wilhelm den ganzen Feldzug hindurch mit warmherziger und ritterlicher Rücksicht geschrieben als ihr „treuester Freund“, Briefe voll offenen Vertrauens, manchmal wahre Selbstgespräche, in denen sein ganzes Wesen zu Worte kommt; aber von Anfang an war er sich der Kluft, die das staatliche Empfinden der weichherzigen Frau von seinem eigenen trennte, wol bewußt und so begrenzt die Auswahl augenscheinlich ist, in der uns die Briefe vorgelegt worden sind, der Ton einer starken Abwehr gegen die von ihr immer wieder vorgetragene Kritik, und eines starkbewußten preußischen Stolzes schallt uns sehr deutlich entgegen. Man darf annehmen, daß die beiden erlauchten Gatten auch über das Bombardement eingehend verhandelt haben und daß auch darin der König den Ansturm einer falschgewendeten Humanität der Hauptsache nach zurückgewiesen haben wird. Wie schon gesagt, auch der König stand auf der Seite der „Schießer“. Er hat sich zeitweilig vor dem hinhaltenden Widerspruche, vor der Skepsis seiner Generäle zurückgezogen, aber mit unbehaglichem Gefühle. Wir besitzen sein eigenhändiges Schreiben vom 28. November, das von Moltke und Roon mit erstaunlicher Schärfe, „des Entschiedensten“, „die allergrößte Beschleunigung des Angriffs“ und umgehenden Bericht fordert; sein Cabinetsrath Wilmowski[WS 45], dessen Feldbriefe aller persönlichen Parteinahme fremd sind, bezeugt, noch um Mitte December, genau ebenso wie die Uebrigen, daß Wilhelm verstimmt über den Aufschub klage, unausgesetzt treibe und ärgerlich werde, wenn man nur davon anfange. Man möchte gegenüber diesen Aeußerungen und gegenüber der Sicherheit, mit der später Roon und sein Anhang den Erfolg für sich angeführt haben, auch hier die Frage aufwerfen, ob der König ganz Recht gehabt hat, seinen Willen so lange zurückzudrängen. Ich wage eine kategorische Antwort darauf nicht zu geben. Das scheint auch mir sicher, daß der moralische Einfluß des Aufschubes auf Belagerer und Belagerte ungünstig gewesen ist und die Offensive, die dann in der endlich begonnenen Beschießung lag, moralisch heilsam gewirkt hat. Auf der andern Seite aber darf man ebensowol wiederholen, was Moltke über die Einheitlichkeit der dem Oberfeldherrn vorzulegenden Rathschläge und über die Einheitlichkeit von dessen Entschlüssen gesagt hat. „Möge auch das Angerathene nicht jedesmal das unbedingt [655] Beste sein, sofern nur folgerecht und beständig in derselben Richtung gehandelt wird, kann die Sache immer noch einer gedeihlichen Entwicklung zugeführt werden.“

Darin liegt offenbar das eigentlich Entscheidende. Dieser Einheitlichkeit zuliebe, die er bewußt und unbewußt immer erstrebte, überwand König Wilhelm auch ernsthafte Bedenken; sie war das Höchste, was er, nicht nur in die Operationen, sondern in das gesammte unübersehbar weite Getriebe der deutschen Kriegführung hineintragen konnte: er ganz allein. Es ist früher ausgesprochen worden, daß er im Kriege den lebendigen Vereinigungspunkt aller Kräfte bildete: was das bedeutete, zeigt jede neue Kunde zumal aus diesen Versailler Tagen; vor allem dafür ist die Frage des Bombardements so bezeichnend, eben weil sie die auseinanderstrebenden Kräfte in seiner Umgebung so deutlich enthüllt. Was ist das für eine falsche Pietät, die „die Reversseiten glänzender Zeiten“ der Welt, und zwar nicht nur der Mitwelt, verbergen will; diese vermeintliche Pietät ist ebenso unhistorisch und so vergänglich wie die tendenziöse Ausnutzung, die diesen Kampf der neben einander wirkenden Männer nur zur Verkleinerung des Einen oder des Andern zu verwerthen wüßte. In heftigen Reibungen arbeiten diese starken Kräfte, in deren ureigner Gewalt und voller Bethätigung die Möglichkeit des Erfolges begründet war, jede von ihnen auf das äußerste angespannt, voll leidenschaftlichen Dranges zur That, zur Selbstentfaltung; sie sind zu mächtig, um einander nicht hart zu stoßen. Ein Anblick, für den der zu sehen versteht reich an menschlich großem Reize; und überdies, wären sie schwächer gewesen, was hätten sie dann gewirkt? Aber freilich, über ihnen mußte ein Herrscher stehen, der dafür sorgte, daß dem streitenden Wetteifer nicht die Unordnung entspränge, daß in dem unvermeidlichen Ineinandergreifen und Uebergreifen der einzelnen Thätigkeiten doch Jeder zuletzt seinen Kreis behielte und in diesem unbehindert bliebe; und dieser Herrscher bedurfte, um jene Großen zusammenzuhalten, eigener persönlicher Wucht und sicherer königlicher Weisheit. Diese Aufgabe, auszugleichen, zu reguliren, eine höchste Entscheidung zu wahren, dieses leitende Bestreben seiner ganzen Herrscherzeit, zu dem ihn, wir sahen es, die Ueberzeugung von der Weihe seines Berufes und reinsten seiner Eigenschaften, gerechte und verständige Sachlichkeit und einfache, sich selbst überwindende Hoheit, befähigten: hier hat er sie am Sichtbarsten und Heilsamsten ausgefüllt; er hat es, über alle Schwierigkeiten und Aergernisse, über manchen wirklichen Anstoß hinweg doch erreicht, die Einheit der Leitung zu behaupten und mit dieser Einheit die nothwendige Freiheit jedes einzelnen unter den Mitwirkenden zu verbinden. So in Versailles selbst zwischen den drei Paladinen; so auf dem rein-militärischen Gebiete über ganz Frankreich hin.

Wie hatte man die deutschen Kräfte zertheilen müssen, beim Einmarsche bereits, vollends dann während der Belagerung von Paris! Vier fürstliche Führer standen an der Spitze eigener Heere, zwei von ihnen nicht immer bequem zu leiten: der König hat sich nicht gescheut, ihnen im Augenblicke der Gefahr die Anwesenheit und den bestimmenden Rath seiner Vertreter, Waldersees und Stoschs, aufzuerlegen. Bitter schwer war Steinmetz, nicht ganz leicht wol auch Manteuffel zu behandeln; wir sehen, wie Moltke diesem einen Tadel vorsichtig in der Form eines königlichen Glückwunsches darreicht; daß Steinmetz sein Amt bald lassen mußte, ist bekannt. Und neben den Persönlichkeiten die unendliche Vielfältigkeit der Aufgaben, die Aufklärung widersprechender Berichte, die Vereinigung abweichender Unternehmungen, jene Nothwendigkeit, den letzten Beschluß und die letzte Verantwortung immer auf das große Hauptquartier zu nehmen, Einheit und Vielheit in Allem immer von neuem zu [656] versöhnen! Man darf sicherlich sagen, daß Moltke all dieser gesteigerten Schwierigkeiten nur Herr werden konnte, weil die klare Sachkenntniß und die gebietende Autorität dieses Königs an seiner Seite war. Erst was wir im französischen Kriege erfahren, füllt die allgemeineren Linien von Wilhelms Bilde als Feldherr, wie sie bei 1866 entworfen worden sind, mit greifbarem Leben aus. Die Größe jedes Wagnisses überschaute Wilhelm stets; er arbeitete über den Karten, maß und rechnete, und war genau unterrichtet, wenn der General seine Vorschläge brachte; er prüfte diese als Fachmann, mit jenem Spürsinn für das Unsichere und Bedenkliche, den er in Allem besaß; er wollte mehr als einmal erst überwunden sein, davon besitzen wir kräftige Beispiele; zuletzt aber entschied er sich immer für die That; und dann stand hinter dem fertigen Entschlusse seine ganze, ihrer Verantwortlichkeit bewußte Kraft, die sich, wie am 18. August, die Einreden auch Nahestehender ernstlich verbat. Er war, das bleibt die Summe, auch hier nicht Selbstschöpfer: das ist er eben doch nur, wenn irgendwo, in der Organisation seines Heeres gewesen; aber daß er hier unersetzlich war, das predigt der französische Krieg überall. Unersetzlich und genau an der Stelle, wohin er gehörte: hier im Lager, jeden Augenblick erreichbar, Alles sehend und Alles heilsam überragend.

Es waren freilich schwere Lasten, die sich so auf die Schultern des 73jährigen gelegt hatten; und wenn sie und mit ihnen die lange Entbehrung an Ruhe und täglicher Behaglichkeit den Fürsten manchmal unwirsch machten, so ist das wahrlich nicht zu verwundern. Das schlimmste aber kam von anderer Seite: die Sorgen der Politik.

Schon das Verhältniß zu den Neutralen, deren Einmischung sich im August ankündigte, nachher das Vorgehen der Russen im schwarzen Meere bereiteten ihm peinliche Stunden und insbesondere über England und seine Königin enthalten seine Briefe mehr als ein bitteres Wort. Aber diese Wolken zogen vorbei. Dringender waren die Verhandlungen mit den Besiegten selbst; mit wem konnte man da verhandeln? und welches sollte der Preis sein? er forderte bereits im August Elsaß und Deutsch-Lothringen unbedingt. Auch den Druck dieser Aufgabe trug vornehmlich Bismarck. Das, was dem König in den Siegeskranz dieses Winters die schärfsten Dornen flocht, waren die deutschen Verhältnisse; was uns an dem großen Jahre das Freudigste und Höchste erscheint, das bedeutete ihm die schwersten innerlichen Nöthe und die schmerzlichste Entsagung: die Begründung des Reichs.

Einen Anschluß des Südens an den norddeutschen Bund wollte der König jetzt wie alle Welt. Aber über Maß und Form gingen seine Absichten mit denen seiner nächsten Umgebung weit auseinander. Es sind die tiefsten Kräfte seines Wesens, die da widerstrebten; noch einmal wie vor 1866 enthüllen sich uns im Kampf der Persönlichkeiten die Gegensätze der Generationen und Ideale, in einem Kampfe, der innerlich weit bedeutsamer ist als jenes Ringen der drei Paladine in Versailles, aber gleich ihm von Grund aus begreiflich. Die Auseinandersetzung um Kaiser und Reich, die sich zwischen Wilhelm, dem Kronprinzen und Bismarck vollzog, besitzt die ganze allgemeine Größe des historisch Nothwendigen.

Der Kronprinz war jetzt ein 40jähriger Mann; in ihm gewannen die Gedanken und Gefühle seiner Altersgenossen Fleisch und Blut, die nationalen wie die liberalen, die Wünsche derer, die 1848 schon miterlebt, aber aus den Sturmjahren wesentlich nur die hellen Eindrücke bewahrt und diese dann unter der Reaction in heißer Sehnsucht durchgeglüht hatten. Seine liberalen Neigungen hatte der Einfluß seiner Gemahlin zu einer absoluten Weltanschauung gesteigert; sein Drang auf die Einheit wurde durch sein eigenstes Herrschergefühl, [657] durch einen starken Beisatz von dynastischem Stolze und von Lust an prächtiger Selbstdarstellung ganz persönlich gefärbt, ohne darum den idealistischen Grundzug zu verlieren. Es war seine Sache und die seiner Zeit, die er vertreten wollte. Daß er dabei die Abmahnungen nüchterner norddeutscher Politiker, die den verhängnißvollen Glanz der mittelalterlichen Kaiserkrone fürchteten, zur Seite schob, war sein gutes Recht; die deutsche Einheit bedurfte unzweifelhaft des Kaisernamens mit all seinem historisch-moralischen Inhalte, württembergische, bairische Officiere hatten ihn im Feuer der Kriegsbegeisterung bereits gefeiert, dem Süden ganz gewiß war er unentbehrlich. Das sahen auch die Verständigen unter den preußischen Conservativen, wie Moritz v. Blanckenburg[WS 46], seit dem September völlig ein. Friedrich Wilhelm ging über sie hinaus; er wollte den nationalen Willen vollstrecken, griff aus dem Programm der Paulskirche auch das Weitgehende auf; er forderte verantwortliche Reichsminister, ein Oberhaus, in das die Fürsten selber eintreten sollten, und wollte die Südstaaten, wenn sie nicht freiwillig kämen, zum Eintritt zwingen, und sei es mit starken Mitteln, zu einem Eintritte ohne hindernde Vorbehalte und Sonderrechte. Der neue Staat sollte ganz einheitlich und fest sein.

Der Standpunkt seines Vaters war in jedem Belange anders. Nach dem Siege von Sedan sprach er zu seinen Officieren – insbesondere auch bairische waren dabei – von dem Bande, das dieses Blut um Nord und Süd geschlungen haben müsse; die gutgesinnten unter den süddeutschen Unterhändlern in Versailles ehrte er und über den bairischen Widerstand urtheilte er weiterhin mit Bitterkeit. Natürlich, der Machtzuwachs und auch die Einheit waren ihm erwünscht, ein deutsches Empfinden hatte er stets gehabt, aber stets auf dem Grunde seines preußischen Empfindens; der Enthusiasmus des 48er Frühlings hatte ja nicht lange in ihm angehalten und hatte diesem nur eben zurückgedrängten preußischen Empfinden bald wieder den Platz geräumt: es je wieder zu beschränken, unterzuordnen, sein Preußen in Deutschland aufgehen zu lassen, war er jetzt, nach den Erfahrungen dieser 22 Jahre und als ein 70er, ganz und gar nicht geneigt. Da aber war ihm der Kaisername fast das Anstößigste von Allem: preußischer König war er, das war ihm der ehrwürdigste Titel in der Welt, ihn aufzugeben oder zurücktreten zu lassen ein überaus hartes Opfer. Wenn er es aber bringen müßte, so weigerte er sich unbedingt, es den Gedanken der Paulskirche darzubringen. Die Souveränität der Fürsten hatte er sogar im Mai 1848 vertheidigt, seitdem immer nur schärfer betont; nur von den Fürsten konnte er die Kaiserkrone, wenn es denn sein müßte, jemals entgegennehmen, nicht vom Parlamente allein oder zunächst, und die Fürsten zwingen wollte er nicht, so wenig die preußischen Bundespläne von 1849 an es gewollt hatten. Von dem scharfen Einheitsstreben seines Sohnes wich er weit ab. Er ließ die Gründe für das Kaiserthum, die ihm früh entgegentraten, nun wol auf sich wirken, im Innersten aber blieb sein Widerwille lebendig. Sein Sohn beobachtete ihn, keineswegs ohne Liebe und schuldige Achtung, aber doch mit ziemlich starker Kritik und mit einem offenbaren Bewußtsein von Ueberlegenheit. Darin ging er sicherlich fehl; auf welcher Seite hier die größere Natur und auch der hellere Wirklichkeitssinn war, daran ist wol kein Zweifel. Wie weit König Wilhelm in der deutschen Frage von sich aus gegangen wäre, weiß Niemand; in seinen Bedenken war ein großes Theil guten Rechtes; die bestehenden Kräfte in Deutschland wollte er berücksichtigen. Sein Sohn vertrat dieses Mal im ganzen ihm gegenüber das Bessere und das Nothwendige, aber mit gefährlichen Uebertreibungen, [658] die das Bestehende und Hemmende unterschätzten. In ihnen beiden aber überwog, antreibend oder zurückhaltend, im Sinne des alten Preußenthumes hier, des jungen deutschen Liberalismus dort, das Gefühl. Zwischen ihnen beiden stand Bismarck, von der gefühlsmäßigen Einseitigkeit beider frei, mit beiderlei Empfindungen vertraut, so gut deutsch wie gut preußisch, von der Nothwendigkeit der Einigung und des Kaiserthumes völlig durchdrungen, vor allem aber der Mann der ganzen Wirklichkeit und des staatsmännischen Handelns. Daß etwa erst der Kronprinz ihm den Gedanken des Kaiserthumes nahegebracht hätte, ist völlig ausgeschlossen. Es mochte ihm eine Bestärkung und eine Waffe sein, daß sich der zukünftige Herrscher so warm für den Kaiser einsetzte, und er hat seine Bundesgenossenschaft beim Könige verwerthet; das eigentlich Charakteristische aber an Friedrich Wilhelms Bestrebungen, den Zwang auf die Süddeutschen und die unitarischere Gestaltung des Reiches, Reichsminister und Staatenhaus, lehnte er mit aller Schärfe ab. Er wollte dem Thronfolger überhaupt keine selbständige politische Betheiligung einräumen, ließ sich von ihm eher in den Widerspruch treiben und wies ihn – denn an der Thatsächlichkeit ihrer schroffen Auseinandersetzung vom 16. November kann man doch schwerlich zweifeln – noch zu einer Zeit heftig zurück, wo er selber bereits, wie etwa Jollys, des badischen Ministers, Versailler Briefe zeigen, sehr nachdrücklich an Kaiser und Reich arbeitete. Der wirkliche Wegfinder und Wegbahner war eben er. Der Strom der Ideen, der die Zeit ringsum erfüllte und der auch den Kronprinzen mitriß, ging auch durch Bismarcks Seele; in ihr traf er mit den politischen Bedürfnissen und Möglichkeiten des Augenblicks zusammen; erst hier entstand wieder die schöpferische That. Sie führte über den Standpunkt Wilhelms hinaus und machte lange vor dem des Prinzen Halt. Sie rechnete mit den Kräften der Königreiche und verschmähte jeden unmittelbaren Zwang; sie schuf ein ungleichmäßiges Gebilde, das den lebendigen Verhältnissen entsprach, auch wo es hinter den eigenen Wünschen des Bildners nothgedrungen zurückblieb; sie suchte, wie schon 1867, nun auch im weiteren Reiche Altes und Neues zu vereinigen und zu versöhnen. Der Kronprinz und zumal der Großherzog von Baden, sowie Delbrück, Roon, Suckow, Jolly, Holnstein[WS 47] und so Viele noch an Fürsten, Staatsmännern, Abgeordneten und Publicisten, haben dabei glorreich geholfen, Manche mit schwerem Herzen wie der Altpreuße Roon; daß Bismarck Allen voranschritt, war doch wol Jedem von ihnen klar. Auch König Wilhelm muß bereits in und vor dem November den Kaiserplänen in irgendwelchem Maße zugestimmt haben; wie weit er es positiv und schon für die allernächste Zukunft gethan hat, wissen wir wol noch nicht. Sein Kanzler hat längst vor der mühseligen Entscheidung mit den Baiern (23. Nov.) Alles auf den Kaiser hin angelegt; in der Verhandlung mit den bairischen Ministern hat er zugleich die Kaiserfrage erörtert und im wesentlichen erledigt, und zwar ist er dabei allen Anzeichen nach selbständig vorgegangen. Als er dann mit ihnen abgeschlossen hatte, da ging ihm, trotz aller Klauseln des Vertrages, das Herz im Kreise der Seinen freudig über: „die deutsche Einheit ist gemacht und der Kaiser auch!“ Der Kronprinz wünschte später „zu dem kunstvoll gefertigten Chaos“ spöttisch Glück; Bismarck vertheidigte sein Werk im voraus und kühle Beurtheiler, die so scharf und so opferfreudig dachten und handelten wie Julius Jolly, pflichteten ihm bei. Er aber setzte, alsbald nach der Sicherung der Einheit, sein Werk fort und schritt jetzt geradeswegs auf die Kaiserkrone zu. Wieder hat dabei der König mitgewirkt; seinen älteren Vorsatz, die Fürsten alle nach Versailles zu laden, nahm er unmittelbar nach dem 23. November auf und entsendete Lynar mit eigenhändigen Briefen an die Könige. Eine so erlauchte Versammlung [659] aber mußte doch wol, fast unausweichlicher Weise, selbst wenn dieses Ziel etwa nicht ausdrücklich angegeben wurde, auf die Kaiserwahl hinauskommen. Wie stark überdies die Persönlichkeit, das bloße Dasein des greisen Siegers in diesen Tagen für das Kaiserthum stritt, liegt auf der Hand. Die Art, wie, und der Zeitpunkt, zu dem es dann errungen worden ist, sind indessen wieder durch Bismarck, und soweit wir sehen, ohne, ja gegen den Wunsch seines Herrn, bestimmt worden. Er war es, der den lange zurückhaltenden bairischen König vorwärtstrieb und ihm dann jenen Brief aufsetzte, den Ludwig II. sich zu eigen machte und allen deutschen Souveränen vorlegte, den Brief, der von Wilhelm die Annahme der deutschen Kaiserwürde forderte, weil erst sie den Fürsten die Vereinigung der Präsidialrechte in der Hand des preußischen Königs erträglich mache. Mit Anspannung aller Kräfte eilte Graf Holnstein, diesen Brief nach Versailles zu tragen; Wilhelm, mitten im Zuge der schweren Loirekämpfe, fand ihn „so unzeitig wie möglich“. Bismarcks Vertreter Delbrück legte das Schreiben dem norddeutschen Reichstage vor, zu seines Königs peinlicher Ueberraschung; gleichzeitig entschloß sich Weimar, wieder auf Bismarcks Anregung, Kaiser und Reich im Bundesrathe zu beantragen. Der Reichstag nahm wie den bairischen Vertrag so die Aenderung der Namen an, entsandte seine Deputation nach Versailles: König Wilhelm wollte die Kaiserkrone nicht aus diesen Händen nehmen; er wollte die Deputation nicht empfangen, ehe er nicht der einmüthigen Zustimmung der Fürsten durch Ludwig II. versichert wäre. Am 17. December traf diese Versicherung, noch nicht in amtlichen Formen freilich, ein, am 18. folgte der Empfang, durch die Vorkehrungen des Kronprinzen und die Wucht der Sache selber doch sehr viel feierlicher und endgültiger als es der König gedacht hatte. Er erwiderte auf Eduard Simsons[WS 48] ergreifende Rede mit der tiefsten Bewegung, stockend, von Thränen gehemmt; er sagte, wenn erst Alles ganz officiell geregelt sein werde, die Annahme der Kaiserkrone deutlich zu. Er sprach hernach zu seinen Generalen „über das Schwere des Moments“. Dann freilich drückte er Bismarck lange die Hand, und als er ihm zum Weihnachtstage das eiserne Kreuz erster Classe verlieh, schrieb er die Worte hinzu: „aus dankbarster Anerkennung des 18. December 1870“. Seinem Sohne erschien er nach jenem Empfange heiter und befriedigt: falsch wird auch dieser Eindruck nicht sein. In seiner Seele mischte sich noch das Widerstreben und die Anerkennung des Nothwendigen und vielleicht auch bereits ein Theil Freude über den Glanz dieses Erfolges; aber rein war seine Freude noch lange nicht. Da hatte es Friedrich Wilhelm besser; der ging in allen diesen Stunden der äußerlichen Entscheidung mit Bismarck zusammen, reichte ihm, als jener bairische Brief am 3. December gekommen war, mit bedeutungsvollem stillem Austausche die Hand, er bedankte sich am 18., in gehobener Stimmung, bei ihm und bei Roon „ausdrücklich für das Gewordene“, er entwarf in heller Ungeduld in den folgenden Wochen Proclamation, Insignien, und ersehnte den vollen Abschluß. Der alte König aber fuhr auf, als sich damals Schneider eine Anspielung auf den neuen Titel erlaubte, wollte am 1. Januar 1871, ehe von dem immer wieder zaudernden Baiern nicht die formelle Erklärung da sei, keine öffentliche Kundgebung dulden, obwol an diesem Tage die Reichsverfassung in Kraft trat. Als dann die bairische Sendung einlief, blieb es noch immer unmöglich auch das Ja der bairischen Kammern abzuwarten: auf den preußischen Krönungstag, den 18. Januar, wurde die Proclamation endlich angesetzt. Und auch jetzt noch verhehlte Wilhelm seinem Sohne nicht, wie schwer es ihm werde, wie sehr er wünsche, in seinem Titel den preußischen König doch noch vor den Kaiser zu stellen; als er am 17. Januar mit dem Kronprinzen, Bismarck [660] und Schleinitz als Minister des königlichen Hauses die letzte Berathung abhielt, drang all sein Widerwille noch einmal leidenschaftlich hervor. Man sprach vom Wortlaute des Titels und die Herren fügten sich ungern in Bismarcks Zugeständniß an die Baiern, die etwas magere Benennung als „deutscher Kaiser“ – dem Kanzler war diese Frage gleichgültig genug, der Kronprinz legte, folgerechter Weise, ein stärkeres Gewicht darauf, auch seinem Vater, so scheint es, wäre, wenn er einmal Kaiser heißen sollte, das vollere „Kaiser von Deutschland“ angenehmer gewesen. Man sprach von den Reichsfarben: Wilhelm konnte sie annehmen, „weil sie nicht (wie die 1848er) aus dem Straßenschmutz entstiegen seien“; von Heer und Flotte: wieder mochte er nur die zweite, niemals das erste „kaiserlich“ genannt sehn. Die neue Verfassung also war ihm, trotz ihrer 49er Anklänge, erträglich geworden, in sie hatte er sich seit Jahren eingelebt; unerträglich blieb ihm der Abschied vom preußischen Heeresstaate. Seine Erregung wallte über. „Ich kann Dir nicht sagen, berichtete er am 18. seiner Gemahlin, in welcher morosen Emotion ich in diesen letzten Tagen war, theils wegen der hohen Verantwortung, die ich nun zu übernehmen habe, theils und vor Allem über den Schmerz den preußischen Titel verdrängt zu sehen! In der Konferenz gestern war ich zuletzt so moros, daß ich drauf und dran war, zurückzutreten und Fritz Alles zu übertragen! Erst nachdem ich in inbrünstigem Gebeth mich an Gott gewendet habe, habe ich Fassung und Kraft gewonnen!“ Das ist die Weise, zu fühlen und zu reden, wie sie ihm im brieflichen Selbstgespräche aus dem Herzen floß; die klangvolleren Sätze, die sein Sohn nach jenem Gespräche aufzeichnete, sind darum nicht minder wilhelmisch, die Antwort, die er dem Kronprinzen gab, als dieser den gegenwärtigen Abschied von Altpreußen in den Zusammenhang der hohenzollerischen Geschichte mit ihrem großen Emporsteigen eingefügt hatte: „mein Sohn ist mit ganzer Seele bei dem neuen Stande der Dinge, während ich mir nicht ein Haar breit daraus mache und nur zu Preußen halte. Ich sage, er wie seine Nachkommen seien berufen, das gegenwärtig hergestellte Reich zur Wahrheit zu machen“.

Es war ein Abschied wie einst, da er vor einem Vierteljahrhundert dem Preußen des Absolutismus die Grabrede gehalten hatte. Da er jetzt, unter Schmerzen, den neuen Schritt vollzog, wünschte er auch hier wieder der Zukunft aufrichtig die volle Lebenskraft. „Der heute scheinbar leere Kaisertitel werde bald genug zur vollen Bedeutung gelangen“: diesem Worte seines badischen Schwiegersohnes stimmten seine Hoffnungen sicherlich zu. Daß Er diese Belebung der neuen Formen noch selber leisten würde, vermochte er nicht zu glauben, seine Nachfolger sollten es thun; ihm selber war todestraurig zu Sinne. Wir verstehen ihn doppelt gut, wenn wir aus seines getreuesten Dieners, des Kriegsministers, Munde eine ganz ähnliche Klage wie aus dem seinigen vernehmen. Ihr eigener Sieg schien die innere Welt dieser Sieger zu zertrümmern. Und sie überwanden sich beide, in die neue Welt überzutreten, die nicht die ihre sei. Das alte Preußen ging so mit herzerschütternden seelischen Kämpfen in das neue Deutschland ein. Wer dürfte diese innerlichen Siege, diese erneute schwere Selbstüberwindung, gering schätzen? es war wieder der Segen dieser zähen Treue, daß sie erwies, wie stark und sittlich lebensvoll das Alte war; weil es nicht leichthin sich selber darangab, eben darum blieb es in dem jetzt gegründeten, ehrlich von ihm ergriffenen neuen Reiche eine triebkräftige und leistungsfähige eigene Macht. Es behauptete sich, indem es sich einordnete, und wirkte fort. Niemals ist König Wilhelm ehrwürdiger gewesen, niemals hat sich sein ganzes historisches Wesen natürlicher entfaltet und seinen positiven, man darf trotz Allem gerade hier sagen: schöpferischen Kern deutlicher [661] bethätigt, als in diesen Monaten des scheinbar nutzlosen Widerstrebens und der Selbstbezwingung und Unterwerfung: nur dem oberflächlichen Blicke wird es als eine Niederlage veralteter Bildungen erscheinen.

Den Glanz, mit welchem am 18. Januar 1871 die Kaiserproclamation vollzogen worden ist, hatte sein Sohn, nicht er, angeordnet; seine Erzählungen des Herganges zeigen ihn selber auch auf diesem Höhepunkte ganz so wie er immer war und immer blieb: fromm, einfach, würdevoll; sie schildern im Uebrigen nicht den ideellen Gehalt der Feier, sondern deren militärische Einzelheiten. Was ihn im Spiegelsaale Ludwigs XIV. unwiderstehlich an sich zieht, das sind seine preußischen Fahnen; sie erblickt er, zu ihnen stellt er sich, sie stehn ihm zu Häupten, sie neigen sich vor ihm, als unter der brausenden Huldigung seiner Fürsten, seiner Krieger aus König Wilhelm der deutsche Kaiser geworden ist. –

Der Krieg ging zur Rüste, die letzten entscheidenden Siege erhellten dem Herrscher gerade die Umgebungstage der Proclamation, die Verhandlungen folgten nach, Bismarck führte sein Riesenwerk mit strahlender Ueberlegenheit zum Ziel. Wilhelm hielt sich, im Februar von schmerzhafter Krankheit gepackt, aufrecht bis an das Ende; er dachte am 27. an die Feuertaufe von Bar-sur-Aube: 56 Jahre lag sie zurück. Den Seinen hatte er gesagt, er bleibe ihnen ihr König, und die Bilder, die ihn im Krönungsornate, in mittelalterlichem Aufputz darstellten, wies er noch später ärgerlich zurück: er meine nicht auszusehen wie ein Baalspriester. Als Heereskönig zog er, zum dritten Male, in das besiegte Paris ein; seine großen Helfer hatte er beim Friedensabschlusse wieder dankbar umarmt und geküßt, wieder mußten die drei beim Siegesfeste in Berlin unmittelbar vor ihm her reiten. Seinem Empfinden, das wiederholte er, waren sie und sein Heer, wie er selber, Werkzeuge in Gottes Hand. Unverändert kehrte er heim, in eine verwandelte Welt.

6. 1871–1888.

Siebzehn Jahre standen dem Kaiser Wilhelm noch bevor, von seiner Regierungszeit die längere und nicht die ärmere Hälfte, reich an großer Entwicklung, die auch seinem Leben noch ein letztes Mal neue Kämpfe und wichtige Wandlungen zu bringen bestimmt war; dennoch für ihn Jahre des hohen Greisenalters, in denen seine handelnde Wirksamkeit allmählich immer geringer wurde und stets geringer war als in den vorhergegangenen Epochen; der historischen Kenntniß überdies bis jetzt in allen wichtigen Einzelheiten weniger aufgeschlossen als jene. Das Ganze dieser beiden letzten Jahrzehnte aber drängt sich der Anschauung eines Jeden schon heute in mächtigem und einheitlichem Bilde auf: Jeder mag es verschieden sehen und verschieden deuten, von sich abweisen kann es Niemand; und gerade die Gestalt und die Stellung des alten Kaisers wird weniger strittig sein als irgend ein anderes Hauptelement dieser Zeiten. –

Den Mitlebenden schon kam es zum Bewußtsein, wie die Jahreswoche von 1864 ab die Bahnen der älteren preußischen Geschichte schrittweise neu durchmessen und ihre Erbschaft eingezogen habe: der dänische Krieg diejenige des großen Kurfürsten, indem er an der Ostsee Preußen und Deutschland den langumkämpften festen Antheil sicherte und abschloß; der 66er Krieg mit seiner Lösung von Oesterreich die des großen Königs, der 70er in seiner Abrechnung mit Frankreich wie in seiner Vollstreckung des nationalen Ideales die Erbschaft von 1813. Nach Norden, Westen, Südosten hatte das neue Deutschland seine Grenzen erstritten und überall deckte seine bereite Macht die lange Vereinzelten und Schwachen, die es in sich zusammenfaßte. In sich selber aber gestaltete [662] es ein neues, ebenso gesteigertes wie erweitertes politisches Leben aus. Das Kunstwerk des neuen Reiches, einzigartig in jener Mischung des Bestehenden und des Werdenden, der Besonderheit und der Einheit, schwer oder gar nicht einzufangen in die Netze der herkömmlichen staatsrechtlichen Construction, unregelmäßig und unvollendet: es erwies doch jetzt, wie sehr es in Wahrheit das Ergebniß der lebendigen Kräfte und in sich selber organisch, lebensfähig und entwicklungsfähig war; seine Formen füllten sich mit frischer Wirklichkeit und wo die Linien des neuen Werkes nur erst angedeutet oder schwankend waren und erst die Bethätigung der inneren Kräfte das Wesen deutlich machen konnte, da wuchs die Wirklichkeit über die unsicheren Grenzen fröhlich hinaus. Es ist doch schließlich überraschend bald so geworden, daß wohl die Theorie, aber, in normalem Fortgange der Dinge, kaum die Praxis an dem Charakter des jungen Staates Zweifel offen läßt; daß über alle Unsicherheiten des Rechtes hinweg das Reich unzweideutig als eine, wie auch immer abgewandelte und ergänzte, Monarchie besteht, so aufgefaßt wird und so wirkt. Dahin hat das Schwergewicht der Dinge selber gedrängt; aber mit Händen greift man, wie überaus stark der Einfluß der leitenden Männer ihm nachgeholfen hat, wie er vermocht haben würde, zu hemmen und zu verderben, und wie er thatsächlich getrieben und geschaffen hat. Inmitten seiner Großen hat da Kaiser Wilhelm in immer steigendem Maße durch seine Persönlichkeit jenen Einfluß geübt, stetig und stark. Diese 17 Jahre haben die innerliche Fruchtbarkeit des langen Widerstrebens wirklich an den Tag gebracht, das Wilhelm dem Uebergange in das Reich entgegengesetzt hatte; mit ungebrochener charaktervoller Kraft fügten er und die Elemente, die er vertrat, sich jetzt in die neue Stelle; soviel Widerspruch es gefunden hat und findet, dieses Preußenthum hat doch dem Deutschen Reiche den Stempel aufgedrückt. Es wird reizvoll und weit über das Persönliche hinaus bezeichnend und bedeutsam sein, wenn man es dereinst an Kaiser Wilhelms vertrauten Aeußerungen verfolgen können wird, wie sich von da ab Preußenthum und Deutschthum in ihm selber mischten, vertrugen und vielleicht dann und wann noch immer stießen. In dem bisher Bekannten begegnet wol einmal ein Wort, das in die Tiefen seines eigensten Empfindens blicken läßt, wie der noch 1878 an Roon gerichtete Satz, die Wahl Berlins als des Congreßortes sei „sehr ehrenvoll für Deutschland und speciell Preußen“: was ihm zu allernächst am Herzen lag, kommt da in absichtlosem Ausdruck so deutlich zu Tage; und man wird erinnert, daß auch Roon in Wilhelm allezeit „seinen König“ sah, der Kaisername blieb dem alten Soldaten leer und fremd. Schwerlich war das bei seinem Herrn ebenso. Er hat sich doch wol in das Kaiserthum rasch und ganz hineingelebt und sich mit dem neuen, weiteren Inhalte durchdrungen, so sehr ihm sein Preußen die Grundlage blieb und so wenig er geneigt war, sein Recht nach der Seite der Einheit hin irgendwie zu überschreiten. Die Selbstverständlichkeit, mit der er jedesmal seine gegenwärtige Würde innegehabt und ausgefüllt hatte, übertrug sich bald auch auf diese höchste; war es nicht ganz natürlich, daß „der unbestreitbar erste Mann“ des deutschen Fürstenstandes „die Kaiserkrone trug“? Das war wirklich der Kaiser, wie Ehrfurcht und Glaube der Nation ihn träumen konnten. Mit der vollen Sicherheit, dem untrüglichen Takte, der schlichten Weisheit und Hoheit seines Wesens schritt er ihr jetzt voran; man vermöchte keine Persönlichkeit auszudenken, so geeignet wie die seine, um die oberste Spitze, die lebendige Darstellung der Einheit zu bilden, das Neugewordene ruhig gewähren und wachsen zu lassen, ohne störende Hast, im fraglosen Vertrauen Aller. Hier war ein fester Kern, ein unverrückbarer Mittelpunkt; mochte inzwischen das [663] streitende Leben der Parteien und die Macht des schöpferischen Staatsmannes im rastlosen Kampfe das Neue durch- und fortgestalten.

Es waren die gleichen Gewalten, wie seit 1867 und früher, die dabei hervortraten, und sie zogen zunächst in den gleichen Bahnen, zu den gleichen inneren Zielen weiter. Unwiderstehlich drang vor allem Anderen noch immer das Bürgerthum vorwärts. Die großen Zeiten des Nationalliberalismus brachen an; unter den Conservativen mußten die Entschiedenen vor den Gemäßigteren zurückweichen, wie unter den Liberalen die Fortschrittler; nur die neue katholische Partei stieg bereits ganz geschlossen und immer mächtiger empor. Mehr noch als vorher stand jetzt, da soeben die Begründung des Reiches die nationalen und liberalen Wünsche zum glänzendsten Siege geführt hatte, die innere Politik unter deren Zeichen. Dabei wiederholten sich nun im größeren Maßstabe alle die Bestrebungen und Gegensätze des norddeutschen Reichstages. Wieder griff die leitende Partei, zumal unter dem scharfen Antriebe ihres linken, Laskerschen Flügels, nach einer festen Macht neben, womöglich doch auch über der Krone. Der Militäretat wurde, nach einer ersten dreijährigen Bewilligung, 1874 wieder zum Gegenstande des Streites. Der Kaiser beklagte sich bitter, daß man trotz aller Erfahrungen und Leistungen des letzten Jahrzehntes von Neuem, sei es gegen seine Mehrforderungen, sei es gegen seine Krongewalt über die Armee, anging. Er wollte durch das Aeternat den Grundbestand des Heeres für immer dem Machtkampfe der Parteien entziehen; „mit schwerem Herzen“ fügte er sich dann in den Vermittlungsvorschlag des Septennates. „Die Frage“, schrieb er Roon, „hatte sich so zugespitzt, daß (bei Ablehnung des Septennates) die Alternative stand: Conflict oder Herabminderung der Kopfzahl. Da zog ich die erste (erhöhte) Ziffer vor … Aber freilich in unseren Tagen sind 7 Jahre fast ½ Jahrhundert! So haben wir für 7 Jahre die Armée-Organisation intakt“. Er tröstete sich auch damit, daß späterhin das Wachstum der Bevölkerung die Heeresziffer doch stetig weiter steigern müsse; er erkannte 1875 an: „Der Reichstag ist im Allgemeinen généreux für die Armée gewesen und hat, was ich anerkennen muß, Piétäts-Gefühle, wenn es ihm auch schwer wurde, gezeigt“. Und während der vergangenen Krise hatte sich im Volke selber eine lebhafte Bewegung für das Heer erhoben; der Abstand gegen die 60er Jahre war in der That groß genug und der Herrscher durfte sich, wenn er auch den Gegensatz lebhaft und dauernd spürte, doch befriedigt fühlen. Im übrigen sah er die Gesetzgebung eifrig und glücklich am Ausbau des Reiches; allmählich wurden die Reichsämter durchgebildet; die Einheit des Maaßes, Gewichtes, Geldes, die Einheit der Gerichtsverfassung und des Verfahrens, des Rechtes selber wurde angelegt und Vieles vollendet. In Preußen wurde die Selbstverwaltung weitergefördert, im Kreise und in der Provinz, und zugleich in der evangelischen Kirche. Die Freihandelspolitik der 60er Jahre setzte sich in den 70ern fort, der wirthschaftlich-sociale Proceß lief weiter, durch die moralischen und finanziellen Nachwirkungen des Siegesjahres, durch die großen Verhältnisse und den gewaltigen Schwung des neuen Reiches bis zum Uebermaße beschleunigt und gesteigert, vorläufig durch Nichts geregelt oder gehemmt. Schon traten die Sünden des Gründungsschwindels, die Katastrophen von 1873 zu Tage; schon sonderten sich jetzt im Bürgerthume selbst immer sichtbarer die Schichten; schon organisirte sich jetzt immer breiter und immer drohender unter dem siegreichen Mittelstande das Erzeugniß der Entwicklung des letzten Menschenalters, das Arbeiterthum. Es verkündete, als eigne Partei, seine drängenden Ansprüche; es bewehrte sich mit den Lehren des Socialismus, in denen die Nöthe und Bedürfnisse des neuen Standes sich mit den alten, durch den revolutionären Liberalismus [664] in das neunzehnte Jahrhundert hinübergeleiteten Gedanken des achtzehnten zu einer neuen und machtvollen Einheit vermählt hatten. Eine geistige Bewegung kam ihm von oben her entgegen, zeichnete dem Staat veränderte Bahnen socialer Reformen vor; allmählich klangen Umkehr heischend die Mahnungen der Religiösen, bald auch mit eignen materiellen Beschwerden die Forderungen der Landwirthe hinein; unter den Herrschenden verbreitete sich ein Gefühl von Mißbehagen, von beginnendem Zweifel; aber noch blieb man in der alten liberalen Bahn einer ungefesselten wirthschaftlichen Freiheit.

Und liberal war insbesondere dasjenige politische Unternehmen, das in den Jahren nach 1871 den Vordergrund ausfüllte: der Kampf mit der katholischen Kirche. Woher er stammte und weshalb er ausbrach, das ist im Großen und Sachlichen ebenso klar, wie es im Einzelnen und Persönlichen noch zweifelhaft oder doch umstritten ist. In dem uralten Gegensatze des modernen Staates zur Weltkirche war der Staat Jahrhunderte hindurch der vordringende Theil gewesen; seit der französischen Revolution, die beide Gewalten gleichermaßen auf tiefere und breitere, demokratischere Grundlagen stellte und die innere Kraft beider so unendlich erhöhte, war es die Kirche. Die staatlichen Ansprüche, die der Absolutismus mit seinen Juristen ausgebildet und vertreten hatte, gingen seitdem in die Erbschaft und Pflege namentlich der Liberalen über, aber auch die Regierenden, woher sie selber immer kommen mochten, konnten jene Ansprüche nicht unvertheidigt lassen; der Zug der Nationalität kam den Einen wie den Anderen dabei zu Hülfe. Aber von ihrem internationalen Boden aus trat ihnen die Weltkirche, jetzt sie als die Angreiferin, als die Erobernde, entgegen, mit ihrem verstärkten Heerbanne, alle Mittel des neuen Jahrhunderts ausnützend, immer weiter und höher dringend: zwei Mächte, ihrem tiefsten Wesen nach, selbst da wo zu ihrer grundsätzlichen Abweichung nicht noch die confessionelle hinzutrat, einander fremd und bis zu einem gewissen Grade einander nothwendig feind, über ihr gegenseitiges Verhältniß und mindestens die Grenzen ihrer Machtkreise ein für alle Male auf den Kampf und die Verhandlung angewiesen. Als jetzt im gleichen Jahre hier das Deutsche Reich, national und zudem protestantisch, der Sieger über die dem Papstthume dienstbaren und auch von ultramontanen Kräften zum Kriege getriebenen katholischen Kaiserreiche, der natürliche Beschützer des schicksalsverwandten italienischen Einheitsstaates, sich erhoben hatte, dort das vatikanische Concil die internationale Kirche vollends absolutistisch geschlossen hatte, da stießen die beiden Gewalten, jetzt alle beide in stolzem Aufstiege, beinahe von selber zusammen. Nicht daß sie es thaten, war das Auffallende; man darf fragen, ob sie und wie sie es vermeiden konnten? Erst die Erfahrungen eines langen Streites haben sie gelehrt, sich, soweit sie es können, zu verständigen. Wer nun den ersten Schuß gethan hat, braucht hier nicht erörtert zu werden; in jedem Falle hatte der Staat Anlaß genug, sich für den Herausgeforderten zu halten. Bismarck nahm den Kampf auf, von dem er meinte, daß dieser ihn erst, in Preußen und im Reich, zum Herrn im eignen Hause machen würde; und alle weitgehenden Hoffnungen und Bestrebungen, die liberalen, nationalen, protestantischen, schlossen sich ihm leidenschaftlich an. Daß man dabei die elementare Macht des Katholicismus in Glauben und Kirche unterschätzt hat und im Angriffe zu weit vorgegangen ist, das verkündet heute alle Welt; ein sicher begründetes Urtheil über die Nothwendigkeiten und Verantwortlichkeiten wird man schwerlich bereits fällen können. Gewiß hat an dem Irrthume auch Bismarck seinen Theil gehabt; wie weit dieser geht, wage ich nicht zu entscheiden. Das erkennen wir bereits, daß ihm, wol fast von Anfang an, in diesem Kriege, in den seine Kämpfernatur sich inzwischen immer wieder feurig stürzte und dem er im Ganzen nicht zu entgehen vermochte, doch nie recht [665] wohl gewesen ist. Er stritt um die reale Macht, die Macht seines Reiches und – denn das war ganz untrennbar davon – um seine eigne Macht; um die Sicherung seines Werkes gegen die katholischen, particularistischen, nationalen Feinde, die es von innen und außen her zugleich bedrohten; auch um die Herstellung einer festeren Selbständigkeit des weltlichen Staates, des schlechtgedeckten preußischen zumal, gegen die wachsenden Ansprüche des Papsttums. Er mußte dabei die Bundesgenossenschaft der Liberalen, der Juristen, suchen, die aber mit ganz anders principiellen Bestrebungen als er in den Streit eintraten. Sie dehnten die Staatshoheit weiter, als er wol jemals auf die Dauer gewollt hat; weder ihre juristische Logik noch ihre einseitig zugespitzte weltliche Anschauung, ja Kirchenfeindschaft theilte er; Vieles, was sie im Grundsatz und für immer aufrichteten, war ihm nur Kampfmittel, ein Kampfgesetz, das er nach Möglichkeit behaupten, aber auch unbedenklich wieder opfern würde, wenn es seine Schuldigkeit gethan hätte oder nicht mehr haltbar wäre, und das er von dem weit engeren, eigentlich organischen Bestande einer immer unentbehrlichen Kirchengesetzgebung scharf unterschied. Die Wandlungen, die er selber dabei etwa durchgemacht hat, muß man noch feststellen; seinen Vertrauten klagte er schon ziemlich frühe über den Radicalismus seines Ministers Falk[WS 49]; aber der gemeinsame Krieg band sie noch zusammen. Dessen Getöse überströmte vorerst alles Andere; von beiden Seiten zog man in heller Leidenschaft in ihn hinein und wollte die Unumschränktheit der eigenen Forderungen noch nicht ermäßigen; den Conservativen überall wurde vor den Verbündeten der Regierung, vor den Folgen des „Culturkampfes“ für das innere Leben, für die Parteimacht, den Glauben, auch für die evangelische Kirche angst.

Und mit dem Culturkampfe verknüpfte sich die auswärtige Politik. Wol ließ sich diese nach 1871 vorwiegend conservativ an, die drei Kaisermächte schlossen sich 1872 vor aller Welt zusammen. Aber Bismarck traute den österreichischen Freunden noch nicht und hielt eine feindselige, polnisch-katholische Wendung bei ihnen für möglich. In Frankreich vollends wandte er sein Wohlwollen und, so weit er sie leisten konnte, seine Unterstützung der Republik zu, wie sie Thiers begründet hatte; der Triumph der Monarchisten schien ihm, weil er das Land stärken, bündnißfähiger machen, zu dem Versuche einer ruhmvollen kriegerischen Bethätigung zwingen könnte, und auch weil er Frankreich ganz auf die katholische Seite hinüberführen würde, gefährlich. Der Botschafter in Paris, Graf Harry Arnim, trat im Gegentheile für die monarchischen Parteien ein, trug, in persönlicher Opposition gegen den Kanzler, seine Auffassung dem Kaiser dringend und oftmals vor; er hatte dabei die Kaiserin Augusta mit ihren starken und deutlich genug ausgedrückten katholischen Sympathien, die wie der Kirche so auch Frankreich zu gute kamen, und überdies wol die legitimistische Stimmung hoher conservativer Kreise in Berlin, am Hofe, für sich. Die Conservativen hatten seit 1867 über Bismarck zu klagen; nach der Begründung des Reiches sahen sie sich immer weiter zurückgeschoben, ihre Gegner immer unbedingter an der Seite der Regierung; Verwaltungsreform, Kirchenstreit, Wirthschaftspolitik: Alles erbitterte sie und aller Groll wandte sich gegen Bismarck.

Wie stand nun Kaiser Wilhelm zu diesem ganzen, in sich zusammenhängenden, so vorwiegend liberalen Regierungssystem?

Roon hat von 1871 ab so manche charakteristische und ergreifende Klage über die „neue Aera freiheitlicher Entwicklung“ ausgestoßen, über das Verdorren der patriarchalischen conservativen Staatsidee, in der er wurzele, über die „Verdeutschung à tout prix“, durch die Bismarck, „der verwegene Steuermann“, ihm sein altes preußisches Programm unbrauchbar gemacht habe. [666] Roons Gesinnung giebt einen Maßstab für diejenige seines Herrn. Auch Wilhelms Empfinden blieb conservativ wie bisher, das ist uns aus seinem etwas widerwilligen Lobe des Reichstags entgegengeklungen und ergiebt sich aus Allem sonst; noch als man 1878 aus der liberalen Periode hinauslenkte, urtheilte er über diese Periode, beinah seltsam, wie ein Zuschauer, der sie eigentlich nicht selber mitgemacht hätte: „Der Fürst und Eulenburg bereuen ihren Anflug von Liberalität und sehen wie schwer es ist, den kleinen Finger wieder zurückzuziehen! ich selbst habe es ja seiner Zeit empfunden!“ Er hatte es in der That nicht nöthig, sich, wie nach 1859, aus dieser neuen Aera nochmals innerlich zu lösen. Sein Vertrauensmann war, soweit unsere Kenntniß heute reicht, in den 70er Jahren von Herzenswegen eben Roon; der stand seiner ganzen Empfindungsweise, persönlich und politisch, offenbar erheblich näher als Bismarcks unberechenbare Genialität; Alles, was den König und seinen Kriegsminister zu Versailles etwa getrennt hatte, fiel nach dem Friedensschlusse fort, Roon schüttete er seine innersten Gedanken aus. Und doch ging er, als der Höchstverantwortliche, der nun einmal regieren mußte, über den Standpunkt seines seelenverwandten Freundes auch hier hinaus: wie er rückhaltsloser deutsch wurde als Roon, so schloß er sich auch der inneren Wendung immerhin vollkommener an. Um der oben aufgestellten Reihe der politischen Aufgaben hier nochmals nachzufolgen: der Kaiser schaffte nach seiner Art, prüfend und dann unterstützend, an den Organisationsarbeiten im Reiche mit; er eignete sich die Selbstverwaltungsvorlagen, die ewig neue Erbschaft Steins, ganz an und bewilligte, wenngleich nicht ohne Unbehagen, sogar den Pairsschub[WS 50], um sie im Herrenhause durchzusetzen; er drängte die Bedenken, die wol auch ihm wie Roon gegen die auflösende, „nihilistische“ Wirkung der einseitig freiheitlichen Gesetzgebung kamen, offenbar lange zurück. Und was den Culturkampf betrifft, so ist doch wohl der Kaiser freier und entschiedener als die meisten der ihm nahestehenden Conservativen in ihn hineingegangen. Allerdings auch Roon hat den Kampf als Ganzes gebilligt und selbst Edwin Manteuffel hat betheuert, er kämpfe ihn mit. Bei Wilhelm war das protestantische und staatliche Bewußtsein von jeher stark, „Religionskriege“ hatte er früher zwar ausdrücklich abgelehnt, aber die Kirchenpolitik seines Bruders nicht minder. Er muß doch auch hinter seinen beiden europäischen Kriegen, die gewiß nicht eigentlich confessionellen Ursachen entsprungen waren, jene unleugbare Einwirkung confessioneller Feindseligkeit gespürt haben: gern möchte man Näheres darüber erfahren. Und jetzt war er mit seinem Herrschergefühle zweifellos betheiligt. Jener Brief an Pius IX. vom September 1873, der den Versuch des Papstes, den Monarchen von seiner Regierung zu trennen, und zumal Pius’ Anspruch auf Oberherrlichkeit über einen jeden Christen so entschieden zurückweist, jener Dank an Lord Russell[WS 51] vom Februar 1874, der die innere Gemeinschaft mit England in so großem Sinne, in so weiter historischer Auffassung ausdrückt, sie sind beide vielleicht nicht von Kaiser Wilhelm aufgesetzt, aber sie sind viel zu persönlich gefaßt, als daß sie seiner eigensten Meinung fremd sein könnten; und 1878 hat er nicht nur in dem officiellen Glückwunschschreiben an Leo XIII. die Gehorsamspflicht seiner katholischen Unterthanen betont, sondern auch in vertrautem Briefe an Roon es als „die Abhülfe“, auf die es ankomme, bezeichnet, „daß die Bischöfe und durch sie die Geistlichen sich dem Gesetze unterwerfen“. Schwer geworden ist ihm, nach seiner Art, die Entlassung Mühlers und schwer wurde ihm die Zustimmung zu denjenigen Vorlagen, die auch die evangelische Kirche und, wie er meinte, die allgemeine Stellung der Religion berührten, wie das Schulaufsichts- und vor Allem das Ehegesetz. Er hat dem Freunde 1874 von den schlimmen Tagen erzählt, die ihm die Civilehe bereitet [667] habe: aber auch Fürst Bismarck hatte sich dafür entschieden, „obgleich ich trotz meiner Hinfälligkeit noch 2mal dagegen schrieb und auf die facultative Ehe hinwies – vergeblich!“ Dergleichen Empfindungen mochten ihn dann auch den allgemeineren Einwänden, die sich mit der Dauer des Culturkampfes überallher einstellten, zugänglicher machen. – In der auswärtigen Politik war ihm die Erneuerung der alten ostmächtlichen Allianz eine Herzensfreude; den französischen inneren Verhältnissen gegenüber ist es ihm offenbar nicht leicht geworden, den harten Realismus Bismarcks gewähren zu lassen, Arnims conservative Vorschläge und der Einfluß der Gemahlin, ihre demonstrative Begünstigung des vom Kanzler befehdeten, monarchistisch-klerikalen französischen Botschafters Gontaut-Biron[WS 52], den er selber gern leiden mochte, blieben auch auf ihn nicht ohne Wirkung; aber zuletzt siegte Bismarck auch da.

In dem Verhältniß zu Bismarck sammelten sich jetzt wie stets für den Kaiser alle wichtigen Entscheidungen politischer und persönlicher Art. Noch vermögen wir die Krisen, die dieses Verhältniß von 1871–77 durchgemacht hat, nicht ganz zu erläutern. Wir sehen wol, daß der Reichskanzler ernstlich leidend war, die Briefe seiner Freunde wie seiner selbst, die Warnungen der Aerzte bezeugen das; er flüchtete sich immer länger auf seine Landsitze und ertrug es dann mit Ungeduld, die Staatsgeschäfte, die er nicht entbehren konnte und von denen er doch nicht hören wollte, nicht unmittelbar beeinflussen zu können. Auch daß die Gegnerschaft der Conservativen, die immer mächtiger emporschwoll, die Gegnerschaft der Hofparteien und der königlichen Familie ihn tief erregte und seine Schritte überaus erschwerte, ist offenbar; in den zornigsten Anklagen hat er damals die „Fahnenflucht“ seiner alten Parteigenossen im Kampfe gegen Rom verdammt; und wie oft hat er später erzählt, daß die Feinde im Palais ihm mehr Noth gemacht hätten als alle draußen in der Welt. Aber auch des Königs selber hat er sich, seinen vertraulichen Gefühlsergüssen zufolge, lange nicht ganz sicher gefühlt. Im Juli 1871 fand ihn Roon „voll heiligen Eifers des Dienstes, ganz ‚kurbrandenburgischer Vasall‘, voll Hingebung und Verehrung“. Im Februar 1872 aber schrieb der Fürst an Eulenburg, in einer erregten Auseinandersetzung, die bitteren Worte: „wir brauchen vier Ministerpräsidenten: für S. Majestät, wo ich fühle, daß mein Einfluß schwindet, für die Kollegen (denen er nur als Bittsteller und Mahner nahen könne), für das Parlament und für die auswärtigen Geschäfte“. Und Roon schüttete er im December darauf sein Herz aus: „ich bin nachgerade in Ungnade bei allen Gliedern des kgl. Hauses, und das Vertrauen des Königs zu mir ist im Abnehmen. Jeder Intrigant findet sein Ohr“; es sei unwürdig, mit einem leichtfertigen Egoisten wie Harry Arnim beim Könige um Einfluß und Amtsbefugniß streiten zu sollen. – Es ist schwierig, zu bestimmen, wie weit diese Klagen beim Worte zu nehmen, wie ernst diese Mißstände wirklich gewesen sein mögen, und vor Allem, wie der König seinerseits das Verhältniß gefühlt und gewollt hat. Er läßt sich einmal (im Januar 1872) von Roon über den Ministercandidaten Falk Auskunft geben, Bismarcks Empfehlung hat ihm nicht genügt. Er wahrte also seine Selbständigkeit nach wie vor. Auch das innerliche, wenn auch noch so stille Widerstreben seines Herrn gegen die gegenwärtige Richtung überhaupt, und das laute gegen manche Einzelmaßnahmen mag der Reichskanzler stetig gespürt und sich an diesem Gefühle manchmal auch gegen den Kaiser selbst verbittert haben. All diese Verstimmung, durch jene körperlich-nervösen Schmerzen gesteigert, mag einen steten verborgenen Zufluß aus Bismarcks eigenster innerlicher Unbefriedigung erhalten haben. Denn auch er war im Grunde seiner Seele mit dem herrschenden Wesen nicht einverstanden, weder auf kirchlichem – wir sahen [668] es – noch auch auf wirthschaftlichem Felde; er empfand den Trieb, davon loszukommen, und besaß bislang weder die Kraft und Zeit noch die volle Entschlußreife zu einer großen Schwenkung; er fühlte sich nicht ganz in den richtigen, großen Aufgaben, die er eigentlich brauchte, und begann sich, inmitten so vieler Kämpfe und Erfolge, wie er einmal gesagt hat, „zu langweilen“. Das war wol wirklich der geheime Stachel, der ihm die äußerlichen Nöthe dieser Jahre innerlich erst so verletzend machte. Denn daß das Ringen mit seinem Herrscher im Grunde so stark gewesen wäre, wie vor oder selbst nach 1866, möchte ich nicht glauben; im Persönlichen, im gegenseitigen Empfinden der zwei Männer sind, wenn der Eindruck nicht trügt, die Mißverständnisse dieser Jahre milder gewesen als die früheren; und sachlich haben sie doch wohl, trotz aller Krisen, nie eigentlich bis an eine wahrhaft ernste Gefahr von Bismarcks Rücktritte herangeführt. Ueber alle Abweichungen und Aergernisse hinweg blieben Kaiser und Kanzler einander nöthig und doch eigentlich wol einander auch lieb. Gerade im Jahre 1872, in dem das Befinden Bismarcks besonders schlecht und sein Mißvergnügen besonders lebhaft war, hat er „die herzliche Anhänglichkeit für Ew. Majestät Person“ in wundervollen Worten, wie sie die Weihe des heiligen Abends ihm eingab, als dasjenige Gefühl bezeichnet, „welches in letzter Instanz allein die Diener ihrem Monarchen in rücksichtsloser Hingebung nachzieht. Meine Arbeitskraft entspricht nicht mehr meinem Willen, aber der Wille wird bis zum letztem Athem Ew. Majestät gehören“. Und er rühmte es damals (1. August) als eine besonders glückliche Fügung, von Gott zum Dienste eines Herrn berufen zu sein, „dem ich freudig und mit Liebe diene, weil die angestammte Treue des Unterthanen unter Ew. Majestät Führung niemals zu befürchten hat, mit einem warmen Gefühl für die Ehre und das Wohl des Vaterlandes in Widerstreit zu gerathen.“ Den stolzen Freimuth dieses Lobes, das zwischen Fürst und Land so aufrichtig unterscheidet und das vielleicht nicht Jeder ebensogut vertragen haben würde, nahm König Wilhelm in seiner großen Weise auf; er wünschte im April 1873 seinem Minister Gesundheit, „damit Sie Ihre hohen Eigenschaften noch lange zum Wohle des Vaterlandes bethätigen können“, und unterschrieb den Brief herzlich: Ihr treu ergebener Wilhelm. Auch in Roon wird die Kritik an Bismarcks Verfahren stets von der Freude an dem Gewaltigen und von dem Gefühle seiner Unentbehrlichkeit übertönt. Er bestritt ihm (1875) das Recht, sich zurückzuziehen: er muß weiterkämpfen, mag er wollen oder nicht: „man nascht nicht ungestraft von dem Baume der Unsterblichkeit“. „Hat Prometheus das Feuer geraubt, so muß er sich nun auch die Fesseln und den Geier gefallen lassen.“ In diesen mächtigen Bildern spiegelt sich ein wenig von dem Bewußtsein jener Tragik, die den historischen Helden verurtheilt, an den Folgen seiner eigenen Großthat zu verbluten. Bismarck hat sie dieses Mal überwunden: er hatte erst die eine Hälfte seines Werkes gethan. Gerade damals regten sich in ihm schon deutlicher die Entschlüsse zu einem neuen Beginn.

Es ist somit in mehr als einem Sinne doch das Positive, das trotz aller Schwierigkeiten auch während der Jahre bis 1877 in den Beziehungen Wilhelms und Bismarcks überwog oder immer wieder durchbrach. Den Thatsachen darf ich nur rasch nachgehen. Im December 1872, da Roon, durch den Pairsschub und durch die Art und den Umfang, wie seine Collegen ihn durchgesetzt hatten, erzürnt, dem Könige seinen Rücktritt ankündigte, schlug dieser ihn rundweg ab; er brauche seinen Kriegsminister noch, einmal des Heeres wegen, und dann in der gesammten innern Politik als „Gegenhalt“ gegen die Liberalen im Cabinett. Da fand man denn einen überraschenden [669] Ausweg, der für den Augenblick die Wünsche der drei führenden Männer befriedigte: Bismarck zog sich auf die Thätigkeit als Reichskanzler zurück, Roon, der ihn längst im preußischen Staatsministerium vertreten hatte, ward dessen Präsident. So blieb es bis zum November 1873; inzwischen aber drängte Roon, der übergroßen Last nicht mehr gewachsen, der herrschenden Richtung, die er doch nicht zu ändern vermochte, abhold, von neuem auf seine Entlassung, und Bismarck, der während dieses Jahres auch in preußischen Dingen doch immer befragt worden war, trat wieder statt seiner ein. Roon blieb auch im Ruhestande, nach herzlichem und ungetrübtem Abschiede von seinem Herrn, nicht nur dessen Freund: er stellte sich noch manches Mal, fast wie einst im Jahre 1861, neben ihn als der Mahner, der Wilhelms eigene stille Wünsche vor ihm aussprach und sie so verstärkte. Er selber hat sich in melancholischem Scherze dem alten Fuhrmann verglichen, der nicht mehr fährt, sich aber noch gelegentlich mit dem Peitschenknallen erlustigt; für den König war sein Werth nicht gering. Bismarck aber erreichte im Februar 1874 die Abberufung des widerspänstigen Arnim und in den Jahren darnach seine Anklage und seine Verurtheilung. Er erschien Roon im December 74 vollkommen auf der Höhe seiner Stellung, mit Wilhelm ganz einig. Dennoch brach im Februar 1875 eine neue, langdauernde Krise aus, die wol mit dem Culturkampfe irgendwie zusammenhing; das Abschiedsgesuch, das der Kanzler im Februar entwarf und im Mai eingab, führte dieses Mal lediglich Gesundheitsgründe an; der Kaiser beantwortete es „tief erschüttert“, schließlich lief die Sache in Urlaub und Vertretung aus; das Schreiben, das diese gewährte, ist unterzeichnet: Ihr treu ergebener Freund. Im Spätherbste hat dann Bismarcks alter Freund Blanckenburg, nach einem Besuche in Varzin, zum ersten Male den Sturz der „Liberal-Bürokraten“ geweissagt; trotzdem gewann erst im Jahre 1876 die Feindseligkeit der Conservativen gegen den schon innerlich im Umschwunge begriffenen Staatsmann die höchste Höhe und die verletzendste Form. Das letzte seiner ernsthafteren Rücktrittsgesuche stammt aus dem April 1877. Persönliche Reibungen waren auch ihm vorausgegangen und die Erläuterungen der bismarckischen Presse deuteten sehr durchsichtig auf den Kreis der Kaiserin hin, in dem sich alles Gift zu sammeln pflege; aber der Hauptgrund war dieses Mal ganz positiver Art. Bismarck wollte die Wirthschaftspolitik jetzt wirklich in neue Bahnen lenken, seine Abschiedsforderung mußte ihm zeigen, ob er die Widerstände überwinden könnte, und das Niemals, das der Kaiser ihr sofort entgegensetzte, war zugleich der Entscheid über den Inhalt der Zukunft. Wilhelm war sich hierüber, mindestens im Grundsatze, durchaus klar, auch er wollte wichtige Aenderungen und klagte zu Roon, wie bitter es ihn getroffen habe, daß gerade „in solcher Zeit der Haupthelfer ihn verlassen gewollt“. Bismarck trat jenen langen, beinahe einjährigen, von folgenreicher stiller Arbeit ausgefüllten Urlaub an, in dem er die Gedanken und die Kräfte zum neuen Werke erst völlig gerüstet hat.

In der That, die Wendung, die sich jetzt, nach vielseitiger, aber wirrer Vorbereitung, im Leben des Zeitalters durchsetzen wollte und die auch für Wilhelms Leben noch tiefbedeutsam wurde, sie hat sich, ehe sie die politische Wirklichkeit ergriff, zuerst in der Seele des großen Staatsmannes, der die Zeit verkörperte, persönlich vollzogen. Auf allen Gebieten sah er die liberale Epoche dem Ende entgegenreifen; alle neuen Nothwendigkeiten faßte er in diesem Jahre der Ueberlegung zu einem einheitlichen, großen, ganz von seiner Persönlichkeit durchdrungenen Systeme zusammen. Da war der Culturkampf, der sich länger und länger dehnte; durfte er im Mittelpunkte des politischen Lebens bleiben? Schien er nicht störend und, inmitten der allgemeinen Zuchtlosigkeit, auch [670] religiös verwüstend zu wirken? Die Abneigung, ihn fortzuführen, wuchs; sogar der Kronprinz, der ihn einst lebhaft befördert hatte, wünschte ihn doch, so war der Eindruck eines nahestehenden Beobachters, nicht selber erben zu müssen. Auch Bismarck hatte ihn niemals verewigen wollen. Jetzt mußten, vor allem, die Kräfte für andere Aufgaben frei werden. Würden sich die Liberalen diesen Aufgaben zuwenden oder müßte man die Hüfle anderswo, auch beim Centrum, suchen? Die socialistische Gefahr stieg alljährlich und rief nach Maßregeln der Abwehr und der Reform. Die Freigabe aller Kräfte, die das nationale Leben so beflügelt und erweitert hatte, zeigte jetzt überall, im wirthschaftlichen, socialen, geistig-politischen Leben, zugleich die Fülle ihrer Nachtheile: nur das städtische Bürgerthum, und auch von diesem nur ein Theil, trug den Nutzen davon. Große Zweige der Industrie riefen nach dem Schutzzoll; die Landwirthschaft, ehedem freihändlerisch, wandte sich um die Mitte der 70er Jahre der gleichen Forderung zu. Die Gewalt des modernen Verkehrs, durch die neuen Transportmittel erst ins Grenzenlose gesteigert, führte bereits weit über die nationalen Gestaltungen hinaus; der volle Welthandel zog ein, und das Getreide erst aus den östlichen Nachbarländern, dann aus den überseeischen Gebieten, überströmte den deutschen Ackerbau. Wie sollte Deutschland in diesen neuen Fluthen seinen Bestand bewahren? sollte es seine nationale Production ertränken lassen? welche Folgerungen, in Abwehr und Betheiligung, konnte es aus dem großen Wandel der Verhältnisse ziehen? Bismarck empfand diesen Wandel, den Preissturz, die Gefährdung des Standes, dem er selbst angehörte und dessen Werth auch für den deutschen Staat er mit Händen griff, unmittelbar genug. Die Klagen und Angriffe auf das herrschende System kamen ihm von rechts und links, von den Fabrikarbeitern wie von den Gutsbesitzern und Fabrikanten; er selber war durch keinerlei Theorien gebunden, seine alten Neigungen und Ueberlieferungen wiesen ihn hier am allerwenigsten auf die liberale Seite. Es ist bekannt, wofür er sich entschied: die Zoll- und Steuerpolitik herumzuwerfen, der Industrie und Landwirthschaft den Schutz zu gewähren, der mindestens der Ueberschwemmung erst einmal die Wege versperren könnte; und daß er mit den umfassendsten wirthschaftspolitischen Absichten, in deren Hintergrunde sich ihm die sociale Reformarbeit erhob, die staatspolitische Absicht verband, durch die Verstärkung des gemeinsamen Zollgürtels die Einheit selber gewaltig zu befestigen, und insbesondere durch die Zölle und Verbrauchssteuern sein Werk, das Reich, finanziell erst selbständig zu machen, ihm eigene hohe Einkünfte, womöglich überdies einen eigenen reichen Besitz zu erobern. Das würde, so hatte er vor Jahren gesagt, ein neuer Lebensinhalt für ihn werden. Schon für den Mitlebenden ist es ein unvergleichlicher Anblick, wie sich von 1874, 75 ab die Anschauungen Bismarcks in stetiger Arbeit klären, ausweiten, festigen, wie sich der werdende Inhalt der Zeit in ihm sammelt und durchgährt, wie dann, um- und neugeschaffen, Gedanke und Wille mächtig von ihm in die Welt zurückströmen; ein Anblick, der immer noch größer werden muß, je schärfer die ungeheure Bedeutung des Umschwunges dieser Jahre sich allmählich abzeichnen wird; der um so packender und lehrreicher werden muß, je deutlicher und je feiner die Einwirkung der anderen, persönlichen und sachlichen Einflüsse, und die maßgebende Fortentwicklung in Bismarck selber an den Tag kommen werden. Schon 1876 trat Rud. Delbrück aus seiner leitenden Stelle im Reiche zurück, aber noch blieb vor allem Camphausen der Neuerung im Wege; noch aus seiner Varziner Zurückgezogenheit im August 1877 fand es der Kanzler nöthig, seinem Herrn unmittelbar und in ausdrücklichen Worten die Klage zu wiederholen, die er vorher im Reichstage und in der Presse angedeutet hatte: die Collegen, [671] die Geheimräthe, die Juristen hindern die nothwendige praktische Reform, Bismarck bleibt ohne Beistand und muß sich verzehren. „Die auswärtigen Geschäfte sind nicht die aufreibenden“. Aber erst im März 1878 gelang ihm die Umgestaltung des Ministeriums, und erst 1879 und 80 konnte er sie vollenden: erst von diesen Zeiten ab hat er, wonach er so lange gestrebt hatte, ein ganz einheitliches, von seinem Willen ganz erfülltes Ministerium besessen. Er hatte zuvor den ernsten Versuch gemacht, die maßvolleren nationalliberalen Verbündeten in die neuen Bahnen herüberzuleiten und ihnen dafür die gewichtigste Mitwirkung zu gewähren; aber die Verhandlungen mit Bennigsen[WS 53], in jenem Varziner Ruhejahre, waren gescheitert. Die wirthschaftlichen Wünsche Bismarcks gingen Bennigsen zu weit, und zudem erwachte bei seinen Genossen die alte Neigung zum parlamentarischen Regimente oder doch Mitregimente; die Partei wollte dem Kanzler ein entschiedener liberales Ministerium aufzwingen: weder dieser noch gar der Kaiser dachten daran, solche Bedingungen zu erfüllen, und der Kampf um die Reformen, der nun alsbald losbrechen mußte, war zugleich noch einmal ein Kampf um die Macht.

Es fehlt viel daran, daß wir den Antheil des Kaisers an diesem Umschwunge bereits genau bestimmen, auf dem eben angedeuteten Hintergrunde seine Bewegungen – auf die es hier ja vornehmlich ankäme – im Einzelnen klarer zeichnen könnten. Was wir wissen, läßt den Schluß zu, daß er es auch dieses Mal nicht ganz leicht über sich gewonnen hat, einen endgültigen Wechsel insbesondere der Persönlichkeiten vorzunehmen; daß sachlich dieses Mal von Anfang an seine Neigungen und schließlich auch sein Beistand durchaus auf der Seite Bismarcks gewesen sind; daß indessen die Pläne im vollsten Sinne dem Kanzler zugehört haben: jener hat sie in ihrer Allseitigkeit entworfen, sie bei seinem Herrn eingeführt, ihn nach manchen Anläufen völlig für sie gewonnen, und hat sie durchgeführt; Wilhelms Interesse begleitet sie alle, aber es kommt, soviel wir sehen, von Einer ganz bestimmten Seite her, es geht von der Empfindung aus und ist vornehmlich gerichtet auf Autorität. Ich weiß nichts Authentisches davon zu sagen, wer in dieser zweiten Hälfte der 70er Jahre, neben und jetzt vielleicht auch über Roon, besonders nahe auf den Kaiser eingewirkt haben kann, ob und wieweit Manteuffel dies gethan hat, wieweit der sicherlich nicht unerhebliche Einfluß der Kaiserin reichte. Gewiß ist, daß Roon seine Stimme immer von neuem erhob und daß die Antworten seines kaiserlichen Herrn und Freundes, Briefe, die kurz und lebhaft auf die verschiedenen Gebiete der Politik eingehn, dessen innerste Anschauungen wiedergeben. Roon treibt ihn vorwärts „gegen die von einer doctrinären Gesetzgebung großgezogene Hydra der unsere ganze Civilisation bedrohenden Partei der Verwilderung“, er mahnt zur vorbauenden That (Ende 1875). „Alle Ihre Betrachtungen, schreibt Wilhelm (April 1877) sind auch die meinigen und an meinem Bestreben, den Uebeln der Zeit nach allen Richtungen zu begegnen, soll es wahrhaftig nicht fehlen.“ Was er dann künftig am ausdrücklichsten und mit dem persönlichsten Eifer erörterte, das waren die Verhältnisse seiner evangelischen Kirche und ihres Glaubens. Die Synodalverfassung hatte er, wenngleich mit einigem Bedenken, bewilligt; die Abweichung aber vom Dogma griff ihm an das Herz. Daß das Apostolicum von Dienern der Kirche befehdet würde, war ihm unerträglich; in dieser Beziehung war er vor Jahren mit seiner Warnung und seinem Willen hervorgetreten und jetzt, 1877, that er es in voller Schärfe und Oeffentlichkeit von neuem; in erregten Worten sprach er zu Roon davon. Gottesleugnung und Socialdemokratie sah er (März 1878) Hand in Hand gehen; ihm schauderte, daß er das dulden sollte. Wo da den Ausweg finden? „Auf den Himmel muß man trauen, nur er fügt das Ende!“ In dieser [672] Stimmung trafen ihn die Attentate vom 11. Mai und 2. Juni 1878. Der wahnwitzigste Fanatismus erhob gegen das ehrwürdige Haupt des 81jährigen die Waffe. Nach dem mißlungenen Versuche Hödels[WS 54] schrieb Wilhelm seinem greisen Freunde zugleich von der Wunde, die seinem Herzen geschlagen sei, und von seinem Entschlusse, der Zuchtlosigkeit der Presse und der Versammlungen, socialistischer wie antireligiöser, nun endlich entgegenzutreten. Dann folgte der Schuß Nobilings[WS 55]; „mit zahllosen Wunden am Kopf, Gesicht, Hals, beiden Armen und Rücken bedeckt und vor Bluth fast unkenntlich gemacht, sterbend, wie ich zuerst glaubte“: so fand Langenbeck den Kaiser, ohne Puls, ohne Bewußtsein; seine ersten Worte der Auftrag, seinen Sohn zu rufen, damit er die Geschäfte übernähme; seine nächste Frage die nach dem Schicksal seiner mitbetroffenen Bedienten. Aus freiem Entschlusse ordnete er jene Stellvertretung an – eine Stellvertretung, nicht, wie es der Kronprinz wünschte, eine Regentschaft; er bedang sich aus, daß er der Herr bleibe. Es geschah das Wunderbare, daß die schwere Erschütterung sein Leben, nachdem die ersten qualvollen Zeiten und die Monate der Erholung vorbeigegangen waren, eher erfrischt als gebrochen zu haben schien. Und er sah den tiefen, unermeßlichen Eindruck in seinem Volke; er erlebte nach der Auflösung des Reichstages günstige Neuwahlen, die Annahme des Socialistengesetzes und den Beginn einer neuen positiven Gesetzgebung; daß die Repression ihr vorangehen müsse, aber nicht allein bleiben dürfe, stand ihm wie Bismarck fest. Als er nach Berlin zurückkehrte, betonte er vor allem Andern die Nothwendigkeit religiöser Belebung. Es war ihm selbstverständlich, daß er, sobald er es vermochte, die Zügel wieder ergriff: gewiß, dies Leben durfte, wie Roon es aussprach, nicht in fluchwürdigen Attentaten sein politisches Ende finden und ein preußischer König konnte sich seinem Amte nicht entziehen, am wenigsten nach solcher Gefahr. Er machte sich Roons Wunsch zu eigen, daß sein vergossenes Blut für sein Land zum Segensquelle werden möchte: „wenn wir zum Bessern steuern, will ich gern geblutet haben. Aber nun nuß noch der gelockerte Boden der Kirche befestigt werden!“ Er lebte in der Neujahrsnacht noch einmal den Schmerz durch, „daß preußische Landeskinder solche That vollbrachten“, und richtete sich auf an dem Danke für alle Liebe, die er doch wieder überraschend reich erfahren, für die Gnade Gottes, die sich von neuem so sichtbar bethätigt habe; die Schickung wies ihn an sein Gewissen, „mich zu prüfen, ehe ich vor dem Richterstuhle des Allmächtigen erscheinen soll“, sie bestärkte ihn in dem Glauben, „daß Er mich ausrüstete, seinen Willen hier auf Erden zu vollführen“. Demüthig und freudig blickte er in die ihm neu geschenkte Zukunft hinaus.

Bismarck hatte er bereits im November zu den beiden „weltgeschichtlichen“ Leistungen dieses Sommers, Berliner Congreß und Socialistengesetz, seinen Glückwunsch und Dank gesagt. Nun folgte im neuen Jahre, dicht nach der goldenen Hochzeit des Kaiserpaares, dicht vor der Einführung der einheitlichen Gerichtsverfassung, der Sieg in der Zollreform: für Kaiser Wilhelm nach den Prüfungen der letzten Vergangenheit eine Kette froher Tage. Er hat seine Genugthuung und hat sein Urtheil über das Verdienst an dem entscheidenden Erfolge damals (20. Juli 1879), seinem Minister gegenüber, in einfache, warme Worte voll leisen Humors gefaßt: „Sie unternahmen es, in ein Wespen-Nest zu stechen, wobei ich Ihnen aus Ueberzeugung beitrat, wenn auch mit Bangigkeit, ob der erste Wurf gelingen würde. Ein ähnlicher Umschwung der öffentlichen Meinung ist wohl selten in so kurzer Zeit errungen worden und man siehet, Sie trafen, nach ungeheurer Arbeit und Anstrengung den Nagel auf den Kopf, wenn derselbe auch Etwas beim Einschlagen brökelte [673] … Das Vaterland wird Sie dafür segnen – wenn auch nicht die Opposition!“ In der That, die Bahn war gebrochen. –

1879 ist, für die Zeit und für den Kaiser, in jeglicher Hinsicht zu einem Epochenjahre geworden. Auch die auswärtige Politik kam an einen Wendepunkt. Es braucht hier nicht der heute noch allzu unsichere Versuch gemacht zu werden, ihr durch die Schwankungen der 70er Jahre hindurch erzählend oder ausdeutend zu folgen; die großen Richtungen der Ereignisse sowie die allgemeinen Kräfte, welche – in Frankreich, Deutschland, Oesterreich, Rußland – hinter diesen standen, sind wol ungefähr erkennbar; die innere Verknüpfung und der genauere Verlauf der Hergänge wie der Antheil der einzelnen Gruppen und Personen an ihnen liegt noch so gut wie ganz im Dunkel. Man glaubt zu wissen, daß gegenüber den Rüstungen und der zweifellosen Feindseligkeit Frankreichs eine deutsche Militärpartei, der auch Moltke zugehörte, 1875 zum „rechtzeitigen Angriffe“ getrieben und eine Kriegsgefahr ziemlich nahe herangeführt habe. Fürst Bismarck hat die Anschuldigung, als habe die deutsche Staatsleitung selber an diesen Plänen einen ernstlichen Antheil genommen, damals und stets, auch in schriftlicher Aussprache mit Kaiser Wilhelm, entschieden zurückgewiesen und die Urheberschaft des Kriegslärms wie der friedengebietenden russischen Intervention der Aengstlichkeit der französischen Diplomaten und der selbstgefälligen Gehässigkeit Fürst Gortschakoffs[WS 56], seines alten Gegners, zugeschrieben. Wie sich diese Räthsel nun auch dereinst aufklären mögen: daß der Kaiser durchaus friedfertig dachte und dies zu nachdrücklicher Geltung gebracht hat, wird von Niemandem bezweifelt. Er blieb auch weiterhin in all seinen Neigungen russisch. Schwerlich hat doch auch Bismarck in den folgenden Jahren, in denen der orientalische Krieg sich vorbereitete und ausbrach, feindselig gegen Rußland gewirkt. Sein Herr sprach seine Sympathie während des Krieges sowol zu ihm als zu Roon unverhohlen aus; ein Antwortschreiben des Kanzlers (11. August 1877) scheint mit leiser Hand, aber nicht ganz absichtslos, auch die Grenzen zu bezeichnen, bis zu denen heran Deutschlands Freundschaft für den Zaren sich nur bethätigen dürfe; innerhalb dieser Grenzen aber will auch er dem Zaren behülflich sein, will ihm freie Hand wahren, ihm eine wohlwollende Neutralität halten, ja seine berechtigten Wünsche positiv unterstützen. Kaiser und Kanzler hoben dabei die Fortdauer des Dreikaiserbundes ausdrücklich hervor. Es ist doch wol unfraglich, daß Bismarck in diesen Zeiten Alles für den Bestand des gesammteuropäischen, d. h. des deutschen Friedens gethan hat; und nicht minder, daß die Russen eine Klage gegen ihn nur aus seiner Verweigerung des unbedingten Anschlusses an Rußland, nicht aber aus irgendwelchen Handlungen Bismarcks wider Rußland ableiten konnten. Er arbeitete für das Gleichgewicht der Mächte, für die Unabhängigkeit seines Landes; sein Monarch stimmte in all diesen Zielen wol restlos mit ihm überein. Gewisse Anzeichen weisen darauf hin, daß Rußland das neue Reich zu einer starken Angriffspolitik mit sich fortreißen gewollt hat. Ob das wahr ist, ist heute unentscheidbar, ob Wilhelm von solchen Plänen erfahren hat, nicht minder; sicherlich hätte er sie ebenso abgelehnt wie sein Kanzler. Denn auch Wilhelm und vollends er, der von jeher die Verantwortung kriegerischer Entschlüsse so überaus schwer genommen hatte, war „saturirt“: jetzt zumal, da die unbedingte Nothwendigkeit eines Weitergreifens selbst von einem kriegslustigen Minister kaum hätte erwiesen werden können; diese Gesinnung seines Fürsten muß auch in Bismarcks Rechnungen einen der festen und gewichtigen Factoren gebildet haben, der um so schwerer gewogen haben mag, je älter der Kaiser und je älter sie [674] beide wurden. Im übrigen würde es eine müssige Speculation sein, heute der Zusammensetzung und der Berechtigung der Beweggründe nachspüren oder gar über sie aburtheilen zu wollen, welche Bismarck damals den russischen Mahnungen und Lockungen gegenüber zum engen Anschlusse an Oesterreich getrieben haben. Er hat ja später öffentlich erklärt, das Verschwinden dieses Staates von der Landkarte würde Deutschlands Stellung zwischen Frankreich und Rußland allzusehr gefährden; sein Vertreter Lothar Bucher hat schon im Mai 1877 einem ungarischen Politiker sehr nachdrücklich und bedeutungsvoll die Versicherung ertheilt, solange Bismarck und seine Tradition bestünden, werde Deutschland nie auf den Zerfall Oesterreich-Ungarns ausgehn; Bucher wies bereits auf die Rathsamkeit eines „engeren, festeren Verhältnisses, einer gegenseitigen Besitzgarantie“ hin. Genug, nachdem man auf dem Berliner Congreß den Weltkrieg verhindert hatte, nahte das enttäuschte und dem für undankbar erachteten deutschen Freunde besonders bitter grollende Rußland 1879 mit neuen und scharfen Forderungen. Nach den Erzählungen Fürst Bismarcks richtete der Zar über die Haltung Deutschlands in bosnischen Fragen heftige briefliche Beschwerde an seinen kaiserlichen Oheim; der stellte sie dem Reichskanzler zu und wich auch dann noch nicht zurück, als Alexander bis zu Drohungen vorging. Bismarck aber that den Schritt, den die Entwicklung der letzten Jahre vorbereitet hatte: er verhandelte mit Andrassy[WS 57] und legte mit ihm, zu Gastein, Ende August 1879, die ersten Grundlagen des deutsch-österreichischen Bundes. Sein Kaiser versuchte, da die Dinge sich so scharf zuspitzten, nun doch, über die zwei feindseligen Kanzler hinweg und wie es scheint ohne und gegen den Wunsch des seinigen, die persönliche Verständigung von Fürst zu Fürst: vor allem den Krieg wollte er wol vermeiden; er sandte erst als seinen Boten den Feldmarschall Manteuffel nach Warschau, er suchte dann selber den Zaren am 3. September zu Alexandrowo, auf russischem Boden, auf: er setzte Alles für den Ausgleich ein. Das mochte die Spannung des Augenblicks beschwören, den Gegensatz der Mächte löste es nicht. Schon hatte Bismarck in Gastein den italienischen Ministerpräsidenten empfangen; bald erfuhr er, daß Rußland bei Frankreich, wenn auch vergeblich, um Beistand geworben habe; am 21. September war er selber in Wien und bald war der Entwurf des Schutzbündnisses aufgesetzt. Er hatte auf dem Siegesfelde von Königgrätz die internationale Wiederannäherung Oesterreichs an das neue Deutschland als Aufgabe bezeichnet; der Prinz von Preußen hatte einst, in den Tagen der Union, ganz ebenso von Nebeneinanderstellung und Bündniß der beiden, von Besitzgarantie gegenüber einem Angriffe Dritter gesprochen und war seit Jahren des guten Verhältnisses zur Hofburg froh gewesen. Jetzt, da sich das Bündniß, allem Anschein nach mit ausschließender, ja feindseliger Wirkung, gegen Rußland kehren sollte, widerstrebte er heftig: es ist der letzte Kampf zwischen Kaiser und Kanzler, in einer großen Lebensfrage, von dem wir wissen. Bismarck schickte den Vicepräsidenten des Ministeriums, den Grafen von Stolberg-Wernigerode, als Fürsprecher seines Plans nach Baden-Baden zu seinem Herrn. Er entwickelte in einer Denkschrift, wie das Reich nichts wider Rußland zu wünschen und zu thun habe, aber doch nicht von ihm abhängig werden dürfe; wie man gezwungen worden sei, sich zu decken; wie das neue Einverständniß der beiden alten Bundesgenossen jetzt so wenig wie zwischen 1815 und 1866 der Feindschaft gegen Rußland dienen solle: im Gegentheil, durch Oesterreich gestützt, „im Besitze dieser Bürgschaft“, wird Deutschland nach wie vor seine freundschaftlichen Beziehungen zu dem mächtigen östlichen Nachbarn pflegen können. Jedes Wort an diesem Programm war aufrichtig gemeint und war berechtigt: Fürst Bismarck hat späterhin, in vollem Einverständniß [675] mit dem alten Kaiser, den Spalt zwischen Berlin und Petersburg wieder zu überbrücken gestrebt und das österreichische Bündniß war ihm ein Mittel, um zwischen beiden Kaiserreichen seine selbständige und sichere Stellung wiederzugewinnen und zu verstärken, Deutschland so nach allen Seiten hin die Freiheit zu wahren. Auch Wilhelm I. hat, obwol er Jahre lang, insbesondere in den Anfängen Alexanders III., mit Mißtrauen und Mißbilligung auf die Strömungen am Petersburger Hofe sah, Alles gethan, um die Beziehungen zu verbessern, sich der allmählichen Lichtung des „russischen Chaos“ gefreut und sich zweifellos des Erfolges von 1884, der Festigung jener Zwischenstellung seines Reiches, des „Rückversicherungsvertrages“ mit Rußland, doppelt gefreut. Er war hier im Grunde mit Bismarck völlig einig; nur der erste Schritt auf der neuen Bahn wurde ihm überaus schwer, eben weil er noch fürchtete, sie führe zum Kampfe mit Rußland. All seine lebenslangen Neigungen, alle Gewohnheiten und Gefühle der letzten 16 Jahre, alle persönliche verwandtschaftliche Liebe zu Alexander II., müssen damals in ihm aufgewallt sein; Bismarck hat ein Jahr darauf dem Grafen von Stolberg für den hohen Dienst ausdrücklich gedankt, den er im October 1879 zu Baden dem Lande geleistet habe. Der Kaiser wurde überzeugt und gab nach; er hat während jener Wochen mit ganzer Seele in diesen ernsten Entscheidungen gelebt: auf einer Wagenfahrt jenes Herbstes legte der 82jährige einem seiner fürstlichen Verbündeten in dreiviertelstündigem Vortrage den Wandel und Stand der Angelegenheiten zusammenhängend dar. Einen absoluten Werth werden er und Bismarck, auch abgesehen von der Rücksicht auf Rußland, dem neuen Verhältnisse nicht zugemessen haben; wie jeder von ihnen künftighin der inneren Entwicklung Oesterreichs, die durch diesen schirmenden Vertrag ja wol stark und schwerlich im deutschen Sinne günstig beeinflußt worden ist, im Herzen gegenüberstand, weiß ich nicht. Louis Schneider hat 1871 die Worte seines Monarchen aufgezeichnet: „ich habe es dem Kaiser Franz Josef in Ischl (Sommer 1871) wohl gesagt, er möge seine deutschen Unterthanen gut behandeln, weil sie immer die treuesten gewesen sind, und er hatte es mir auch versprochen; aber kaum acht Tage nachher brach der Konflikt (in Böhmen) aus“. Man mag über diese Seite der Dinge urtheilen, wie man will, und erst die Zukunft wird dereinst durch das rückstrahlende Licht ihrer Entwicklungen die Bedeutung des 1879er Bundes nach Werth und Unwerth, nach den innern und äußern Folgen, allseitig aufhellen; sie erst wird zeigen, welche Dauer er besitzt: das aber scheint gewiß, daß er 1879 in jedem Belange unvermeidlich war, und fest steht, daß er seitdem bis heute für das europäische Dasein unseres Reiches die bleibende Grundlage gebildet hat. Es war eine Grundlage des Friedens und so auch des inneren Wohlstandes, dessen Pflege Bismarck damals ja soeben mit allem Eifer aufgenommen hatte; in beiderlei Hinsicht konnte Wilhelm sie freudig festhalten. Zwischen Frankreich und Rußland, dem zweiten sich nach Möglichkeit nähernd, aber vor allem auf sich selber angewiesen, nie unbedroht, aber stets in gesicherter Kraft, so stand Deutschland, standen die beiden und bald die drei Verbündeten im mittleren Europa da: Deutschland ihr eigentlicher Halt und Kern. Auch hierin also war Kaiser Wilhelms Leben in seine letzte, einheitliche Phase getreten.

Es ist wie ein Symbol, daß ihm am Eingange dieses großen Wendejahres der Abschied von dem Freunde stand, der Wilhelms bereits historische, frühere Vergangenheit am schärfsten vertrat und der in den vorangehenden unzufriedenen Zeiten mit ihm zusammen geklagt und gehofft hatte, der Abschied von Albrecht von Roon. Der todesmatte Mann kam im Februar 1879 nach Berlin, um seinen von den Folgen des Nobilingschen Schusses eben geheilten König noch [676] einmal zu begrüßen, der empfing ihn herzlich, umarmte und küßte ihn; als ihn dann eine Lungenentzündung auf das letzte Krankenlager warf, blickte er vom Bette seines Gasthofzimmers her gerade auf Wilhelms Fenster. Am 23. Februar, beinahe 76jährig, starb er: zwei Tage zuvor besuchte ihn der Kaiser. Die Wittwe hat es geschildert, wie er sich in den tiefen Lehnstuhl neben dem Bette setzt, so daß die Köpfe der beiden alten Herren dicht zusammen sind: „der König hielt die Rechte des Kranken in seiner Linken, die Rechte hing noch in der schmalen schwarzen Binde“, und sie sprachen leise und bewegt mit einander. „Dann stand der geliebte Herr noch am Bett, hielt die eine Hand, und die andere aus der Binde nehmend, streckte er die Finger nach oben: ‚dort sehen wir uns wieder‘. Drehte sich langsam um, sah noch einmal zurück und rief: ‚grüßen Sie die alten Kriegskameraden! Sie finden Viele!‘ Im andern Zimmer hielt er sich das Tuch vor die nassen Augen und schluchzte“.

Zwei Jahre zuvor hatte Roon sehnsüchtig nach den neuen Bahnen ausgeschaut, die Bismarck einschlagen wolle. „Ob ich dies noch erleben werde, Gott weiß es, aber ruhiger sterben würde ich, wenn es geschähe.“ Nun war es geschehn. Welch eine eigenthümliche Größe aber waltet in Kaiser Wilhelms langem Dasein! Kurz vor seinem 81. Geburtstage schrieb er, an eine Aeußerung des Andern anknüpfend, dem um sechs Jahre jüngeren Feldmarschall: „glauben Sie nicht, daß Ihre Zeit verblaßt vor der Gegenwart …“ Kurz nach Roons Eintritt in den Ruhestand wies er, selber leidend, dessen „verführerische Anspielung“, die auch ihn zur Erholung in den Süden locken wollte, heiter ab: „wie kann ich darauf hören, wo wir in der Kammer der Reichstags-Schlacht entgegen gehen!“ Er blieb im Dienst; die früheren Tage nennt er in einfacher Selbstverständlichkeit „Ihre Zeit“; er, der soviel Aeltere, mußte weiter und weiter ziehn. Nach jenem ergreifend großen Lebewohl an den treuesten seiner Diener schritt er, von der Hand seines Genius, den Roon einst neben ihn gestellt hatte, geleitet, in den neuen Abschnitt weiten und lebenschaffenden Wirkens hinüber.



Der Anstoß von 1879 ergriff alle Gebiete des staatlichen und socialen Daseins. Die wirthschaftliche Politik wurde fortgesetzt und unablässig ausgedehnt. Die sociale ging von dem Zwange, mit dem sie die Revolution niederhalten wollte und der bis 1890 nicht aufgehoben wurde, zu den Leistungen positiver Abhülfe weiter; von 1880 ab meldeten sich die Entwürfe an, 1881 faßte die kaiserliche Botschaft vom 17. November sie in erhabenen Zügen einheitlich zusammen, begründete sie auf das sittlich-religiöse und nationale Pflichtbewußtsein der Monarchie, rief Alle zur Mitarbeit auf; am 14. April 1883 wiederholte eine neue Botschaft die Mahnung. In großer Reihe folgten einander dann von 1883 bis 1889 die Gesetze: die Krankenversicherung, die Unfallversicherung, die Alters- und Invaliditätsversicherung. Roon hatte noch 1878 von Bismarcks neuer Politik nur diplomatische Klugheit erwartet; wie riesenhaft ergriff sie nun die Aufgaben und die Welt! Auch das neue Programm, die wegweisenden Erlasse hat Wilhelm 1882 zu seinem Kanzler als „allein Ihr Werk großer Voraussicht“ bezeichnet; er wußte, woran er dachte, als er ihm zum 1. April 1881 Gesundheit und Ausdauer wünschte, „damit Sie mir und dem Vaterlande erhalten bleiben zur Aus- und Durchführung noch so vieler und großer Pläne, die Ihr Genius Ihrer schöpferischen Kraft eingiebt“. Wie der Zollreform so schloß er sich der Socialreform mit freudiger Seele und vollster Hingabe an. Sie sagte seinem christlichen und seinem patriarchalisch-preußischen Gefühle zu; schon in den Zeiten, da Gedanken dieser Art nicht im Vordergrunde standen, als junger Prinz, als Prinz [677] von Preußen, als König während des Conflictes, hatte er gelegentlich die socialen Pflichten seiner Krone warm betont. Jetzt war es bedeutsam, daß er das ganze Gewicht seiner Würde und seines persönlichen Ansehens für die Reform einsetzte; in beiden Botschaften ließ er darauf hindeuten, daß es sich für ihn um einen Lebensabschluß nach langem Tagewerke handle: „Die dazu erforderliche Zeit ist eine lange für die Empfindungen, mit welchen Wir in Unserm Lebensalter auf die Größe der Aufgaben blicken, welche zu lösen sind“; er wolle darauf dringen, „so lange Gott Uns Frist giebt zu wirken“.

Alle politischen Verhältnisse im engeren Sinne, alle Parteibeziehungen waren durch die Wendung zu jenen Aufgaben umgestaltet worden. Die große Mehrheit der Liberalen warf sich zunächst entweder der Gesammtheit oder dem überwiegenden Theile der neuen Bestrebungen in den Weg, man mußte mit den Conservativen, mit dem Centrum zusammengehen. Der Culturkampf mußte beendet werden: dahin drängte jetzt wirklich, außer all den Bedenken und Rücksichten, die früher aufgeführt worden sind, die taktische Nothwendigkeit. Es ist anzunehmen, daß Wilhelm dem Friedensschlusse, den man nunmehr suchte, dem Rückzuge, den man da nicht vermeiden konnte, ganz zugestimmt hat. Der Abbruch der Maigesetze begann. Wie mag sich das Herrscherbewußtsein und das protestantische Gefühl des Kaisers mit der schweren innerlichen Gefahr abgefunden haben, die in dieser allmählichen Abbröckelung, in diesem Handel um Zugeständnisse zwischen Curie und Centrum und Regierung, in dieser doch zum guten Theile diplomatischen und opportunistischen Anfassung so zarter und grundsätzlich so tief reichender Angelegenheiten, für den Staat und für den Protestantismus zweifellos begründet lag? Er mag sich mit dem gebieterischen Bedürfnisse der neuen Lage und ihrer doch auch tiefinnerlichen Forderungen, mit dem unläugbaren Zwange, die Schritte, die man zu weit vorgegangen war, nun auch wieder zurückzuthun, mit den Ansprüchen des religiösen Lebens bei seinen katholischen Unterthanen beruhigt haben. Daß man zurück mußte, wird kein Unbefangener bestreiten; wie man den Rückzug besser hätte ausführen sollen, das zu bestimmen ist lange nicht so leicht wie der Tadel des wirklich eingeschlagenen Verfahrens; in dem, was Bismarck – einmal von den unleugbaren innerlichen Schädigungen abgesehen – auf dem neuen Wege errungen hat, durfte Wilhelm wol auch eine Reihe nicht unbedeutender Erfolge erkennen. Gleich 1878, nach Leos XIII. Regierungsantritte, haben sich König und Papst ausgesprochen, und das Schlußwort war: ein principielle Einigung sei zwischen den beiden Gewalten ausgeschlossen, ein thatsächliches Verträgniß zu suchen sein man bereit. Halb in Verhandlungen, halb, und zwar zur größeren Hälfte, in selbständiger gesetzlicher Regelung hat dann der Staat den Uebergang in die anderen Positionen vollzogen; die Zugeständnisse, die er gewann, die Stücke seiner Kirchengesetzgebung, die er aufrecht erhielt, waren doch unendlich werthvoller, als der verbitterte Theil der öffentlichen Meinung in begreiflicher, aber auf die Dauer selbstmörderischer Schwarzseherei hat zugeben wollen. Es ist vollständig wahr: die kirchenpolitische Rüstung Preußens ist nach 1887 sehr viel stärker geblieben als sie vor 1872 war. Dem Kanzler und dem Kaiser aber wird vor allem am Herzen gelegen haben, daß die katholische Partei am wirthschaftlich-socialen Werke mitschuf und daß sie – zum größten Theile und gerade in ihren ersten Führern ganz sicherlich wider Willen! – hundertfältig zur Stärkung der Einheitsmittel und der Wirkungskraft des Reiches mithelfen mußte, dessen Gründung sie einst auf den Kampfplatz gerufen hatte. Das Reich erfüllte sich in der That seit 1879, durch das Fortwirken der früheren und den Hinzutritt der neugebildeten Organe und Aufgaben, mit steigendem eigenem Leben, ohne daß das Sonderleben der Glieder und der [678] Landschaften schädlich beeinträchtigt ward; erst jetzt vermochte es die Hansestädte in seinen Zollverband hineinzuziehen. Die monarchische Gewalt, um die sich, im Reich und auch in den Staaten, die innere Arbeit und zugleich der Einheitsgedanke jetzt so vornehmlich schloß, wuchs hoch empor. Inneres und Aueßeres kamen einander dabei zu Hülfe: auch die europäische Lage that das Ihre, die Nation, trotz aller Opposition und allen ungeklärten Streites, in den entscheidenden Stunden um den kaiserlichen Thron zu sammeln, 1880 bewilligte der Reichstag unter Erhöhung der Mannschaftszahl das zweite Septennat. Es war ein stetiger, wenn auch noch so mühseliger Aufstieg des monarchischen Princips und der Gedanken von 1879. Wohl ergaben die Wahlen von 1881 noch einmal einen schweren Rückschlag: das Zollgesetz, die Kirchenpolitik, die in ihrer vollständigen Neuheit verblüffenden staatssocialistischen Pläne hatten gereizt und verwirrt, ein großer Theil des Mittelstandes fand zu den mächtigen Entwürfen des Kanzlers noch keine eigene Stellung. Die Folge war der hitzige Kampf des zornmüthigen Ministers mit diesem Reichstage, die schroffe Erklärung vom 4. Januar 1882 über Königsrecht und Beamtenpflicht, und im Sommer des Jahres fiel das Tabaksmonopol. Aber zugleich setzten die Gedanken der Socialreform sich allgemach durch, sie verloren ihr Ungeheuerliches, sie warben Jahr um Jahr, die Nationalliberalen kehrten sich ihnen zu, die Wahlen veränderten die Farbe, ein starker Zug positiver Begeisterung brach durch. Schon dem Reichstage von 1884 war Bismarck, trotz einer gegnerischen Mehrheit, thatsächlich überlegen, er war im Vordringen, ihm huldigte zum 70. Geburtstage der Jubel von Millionen. „Es erwärmt Mir das Herz“, so konnte ihm sein Herrscher in dem wunderschönen Glückwunschbriefe vom 1. April 1885 schreiben, „daß solche Gesinnungen sich in so großer Verbreitung kund thun; denn es ziert die Nation in der Gegenwart, und es stärkt die Hoffnung auf ihre Zukunft, wenn sie ihre Erkenntniß für das Wahre und Große zeigt und wenn sie ihre hochverdienten Männer feiert und ehrt!“. Dazu in der Welt eine ruhmreiche und machtvolle Politik, die Trägerin, jetzt ganz gewiß, des allgemeinen Friedens: der Dreibund im Januar 1883 geschlossen, das Verhältniß zu Rußland gebessert, Kaiser Wilhelm das unbestrittene Haupt des europäischen Fürstenstandes, der sich um ihn schart, bei seinen Festen oder in den Herbstmanövern seiner Truppen.

Bei weitem das Bedeutendste war der innerliche Wandel aller Anschauungen und Kräfte. Auf der Seite des Kaisers standen nun wieder die conservativen Gewalten, die Kirche, der ostdeutsche Adel. Dieser, dem das durch seine Waffen mitgeschaffene, weite Reich mit seiner immer wachsenden Industrie, seiner Verschiebung des wirthschaftlichen Schwerpunktes alle Lebensbedingungen so hart und so verhängnißvoll veränderte, trat jetzt wieder mitarbeitend in den Vordergrund des Staatswesens und erhielt seinen entschädigenden Antheil an der Macht; ihm suchte ja die Wirthschaftspolitik vornehmlich zu Hülfe zu kommen. Nicht ihm allein; die Monarchie gab sich auch jetzt keinem einzelnen Stande ausschließlich hin, sie hielt sich über allen: indem die bürgerlichen Erwerbsgruppen und Schichten sich nun auch im Parteileben ausdrücklich von einander trennten, fügte sich zumal das Gewerbe den Regierungsparteien ein, ein Bruch mit dem Bürgerthum überhaupt fand keineswegs statt. Aber freilich, dessen überwiegendes Vorrecht hörte auf, und conservativ wurde der Grundzug der Epoche. Conservativ im Gegensatze zu dem bisherigen Liberalismus: dabei aber bedeutete die Richtung, die man jetzt einschlug, in sich etwas Neues. Sie räumte mit der Staatsauffassung auf, die seit einem Jahrhundert emporgestiegen war oder geherrscht hatte, der einseitig liberalen; sie wies dem Staate und der Gesellschaft erweiterte Pflichten und Rechte zu, ungeheure Aufgaben [679] voll sittlichen Schwunges, eine Machtfülle, von der die letzten Generationen nichts wissen gewollt. Sie deutete, aus neuen Verhältnissen heraus, über die lange Lebenszeit des greisen Kaisers hinweg, in die alte Monarchie, in den vorrevolutionären, den mercantilistischen Staat und seine Ideale hinüber; man lernte jetzt |Friedrich II. und Colbert[WS 58] wieder begreifen. Der große Führer auf diesem Wege war Bismarck: nicht nur insofern er die unerhörte staatsmännische Kunst besaß, die Opfer, die er den Besitzenden auferlegte, ihnen annehmbar zu machen und seine Politik zum praktischen Erfolge zu leiten, sondern zumal insofern er, natürlich nach seiner Art und in deren Schranken, aber als der Erste von Allen, die Reformgedanken in die handelnde Politik großen Stiles überhaupt einführte, sie der öffentlichen Meinung, den öffentlichen Gewalten aufzwang, deren innerliche Umbildung erkämpfte, und, wie es Dahlmann von der Regierung eines anderen Wilhelm und einer anderen Aufgabe gesagt hatte, die größte aller Staatsfragen der Zeit mit ihrer scharfen Ecke mächtig in den Welttheil hineinrückte. Er hatte die lange vorbereitete Einheit durchgeführt und war noch immer ihr leitender Vertreter; er ergriff jetzt die keimenden und unsicheren Gedanken einer neuen Epoche und gab ihnen die erste Wirklichkeit, die erste lebendige Gestalt. Rings um ihn entfaltete sich ein neues Deutschland und eine neue Welt. Die Generation von 1840 hatte ihr Werk vollbracht; die Vorherrschaft des älteren Bürgerthums, des Verfassungsidealismus, der Reichsgestaltung ging mit 1879 zu Ende; die Gegenwart drängte wirthschaftlich, social, mit materieller Wucht, im Inneren wie im Aeußeren über die Formen hinaus. Ihrer inneren Arbeit wies Bismarck die Bahnen und fesselte sie an sich. Indem man da die neue Staatsansicht durchfocht, den neuen realen Aufgaben dienen wollte, gab man sich jener Strömung des Realismus, deren Anwachsen wir begleitet haben, mit Wärme, ja mit eigenster Begeisterung, die sich bewußt war Hohes zu erstreben, hin; und man wandte sich, nach menschlicher Art, wol allzu weit von den Gütern der letzten Vergangenheit ab, schätzte ihre freiheitlichen Ideale, ihre Formen allzu gering, dachte einen Theil des Unvergänglichen, das sie sich erstritten hatte, leichthin zu opfern: auch gegen solche Uebertreibung hat sich später, als nicht mehr Wilhelm I. und Bismarck an der Spitze standen, ein Rückschlag wiederum eingestellt. Auch die äußeren Forderungen jener Bewegung hat Bismarck zum einen, weitesten Theile alsbald ergriffen. Das neue Deutschland war ganz von selber in den Weltverkehr, in den Weltwettbewerb eingetreten, es richtete jetzt die Blicke, nach Ausdehnung auch seiner Macht, seines Besitzes verlangend, allmählich nach außenhin. Den ersten Regungen oder Träumen von einem Weiterdringen in Europa selbst ist Bismarck wol ganz fremd geblieben; die Bestrebungen aber, welche Deutschland einen Antheil an der großen Welt, an afrikanischen Gebieten insbesondere, sichern wollten, nahm er auf. Er führte das Reich, wie dabei unvermeidlich war, in die politischen Gegensätze, die den Erdball umspannen, hinein; er gab ihm Sitz und Stimme in dem europäischen Ausschusse für das Schicksalsland Aegypten; er trat seit 1879 den colonialen Wünschen langsam näher, unter seinem wuchtigen Schutze, ja seinem Antriebe, gewann Deutschland die ersten Colonien. Auch diese Wege schritt Kaiser Wilhelm freudig mit; wie groß das Maß seiner Mitwirkung gewesen sein mag, wissen wir nicht; bekannt ist sein Wort, daß er jetzt erst dem großen Kurfürsten auf der langen Brücke wieder gerade ins Antlitz schauen könne. Auch in dieser überseeischen Politik, in der Dehnung und Wahrung des deutschen Welthandels, in der Begründung der deutschen Flotte schloß sich Alles an Namen und Gestalt des ersten Kaisers an, und ihm war es die Weiterführung der unfertig gebliebenen Ansätze seiner zwei großen Ahnen. Noch er selber hielt die Manöver seiner jungen Seemacht ab, er ließ es sich [680] nicht nehmen, als 90jähirger eigenhändig den Grundstein des Nordostseecanals zu weihen, des Unternehmens, das die Arbeit von 1864 erst vollendete und das er als seinen Gedanken für sich in Anspruch nahm.

So ließ er sich durch den Schwung der neuen Aufgaben, den Schwung der nationalen Idee, die mit ihnen unlösbar verknüpft war, bis an sein Ende hinan immer vorwärtstragen; er lebte in der neuen Zeit und blieb ihr Haupt. Gewiß, es war Vieles in ihr, das seinem Wesen eigentlich fremd und zuwider war. Nicht nur, daß die einmal im Gange befindlichen wirthschaftlichen und socialen Processe in Land und Stadt, einer noch unabsehbaren Zukunft entgegen, doch immer weiterliefen. Auch die unmittelbare Gegenwart bereits wogte breiter, flüssiger, mächtiger als das alte Preußen, mächtiger auch als das bürgerliche Deutschland der Jahrhundertmitte dahin; sie war voll starker demokratischer Elemente; die Reformgedanken selbst, die seit 1879 hervordrangen, hatten das Bestreben, noch weiter zu gehen und radicaler zu werden; das jüngere Deutschland der Epoche nach 1890 bereitete sich in dem Jahrzehnt vorher überall schon vor, auch unter denen, die damals unter Kaiser Wilhelms Banner fochten. Ueberdies, die Arbeitermassen zu beruhigen und zu bekehren gelang ihm nicht; wenn er es aussprach, daß er die materielle Lage des vierten Standes zu heben hoffe, so ist dieser Wunsch ihm nicht unerfüllt geblieben, der andere, daß jener Stand sich mit nationalem Empfinden und Gottesfurcht durchdringe (1884/85), blieb unerfüllt. In ihrer Weltanschauung und ihrem beherrschenden Triebe nach Selbstbestimmung verstanden sich diese gährenden Massen mit Kaiser und Kanzler nicht, und Wilhelm mußte sich auf die Bescheidung zurückziehen, die seine Botschaft von 1881 athmet: nach bestem Wissen seine Pflicht zu thun ohne Rücksicht auf den unmittelbaren Erfolg. Das aber bleibt darum doch völlig wahr: die Führung hat in Deutschland, die letzten 10 Jahre Wilhelms I. hindurch, in jedem Sinne die Monarchie, als die Kraft der Herrschaft, der Einigung, der Sicherung und der fortschreitenden Arbeit, die ihre Kreise mit ehrwürdiger Treue und schöpferischer Stärke lebendig ausfüllt; sie leistet im Sinne ihrer Tage, in den Grenzen ihrer Möglichkeit jenes Höchste, das der große preußische Geschichtschreiber an dem aufsteigenden französischen Königthume, der „Seele“ seines Staates, der die Nation zusammenfassenden, ihr Gleichgewicht erhaltenden, sie durch die Stürme hinsteuernden Macht, gepriesen hat: sie bringt die allgemeinen Bestrebungen, die den Menschen noch dunkel vorschweben, zum Bewußtsein, leitet sie in bestimmte Wege. „Die Geister zu führen, das heißt wahrhaft König sein.“ Freilich, nur ein großer Mensch vermag dem höchsten Amte solchen Inhalt zu verleihen und zu erhalten: den Kaiser selber hörten wir das, in rückhaltloser Dankbarkeit gegen seinen Minister, laut genug anerkennen. Aber hinter dem unvergleichlichen einen Manne steht doch, und mit ihm zusammen siegt, seinen Sieg ermöglicht erst die ganze Vergangenheit dieser Monarchie und die ganze Erbschaft dieser Menschenalter: die alten monarchischen Kräfte und Gesinnungen, die Leiden, Thaten, Erfolge von 1860 zumal und von 1866 und 1870, das ganze alte Preußen mit seiner Tüchtigkeit und seiner Autorität, seinem Schatze an sittlicher Energie und an fester Einheit seines Heeres, seines Staates, seines in Leistung und Stellung nun von neuem erhöhten und gestärkten Beamtenthums. Deutlicher und maßgebender als je zuvor bethätigt sich eben damals, unter all den neuartigen Antrieben, dieses alte Preußen im deutschen Dasein der neuen Zeit. Dieses alte Preußen aber war Kaiser Wilhelm.

Wenden wir, hier, da der eigenste Grundzug seines Wesens wieder so bedeutsam in die Welt hinauswirkt, zum letzten Male den Blick auf die menschliche Persönlichkeit selbst.

[681] Die 30 Jahre des Herrscherthums seit 1857 haben sie wenig verwandelt. In einer Fülle farbiger Einzelheiten steht das Dasein Wilhelms während seiner Kaiserzeit vor unserm Auge. Geblieben war ihm die helle Freundlichkeit zu Allen, die ihm nahe traten; die strenge Einfachheit des täglichen Lebens, der Kleidung, der Lagerstatt; zugleich die Freude an der Welt, die noch der 90er rüstig durchreiste. In Berlin lief sein Tag unter Arbeit, Mahlzeiten, Ausfahrten ganz regelmäßig dahin; des Abends ging er gern in Schauspiel oder Oper und nahm darnach an der feinen geistigen Geselligkeit in den Zimmern seiner Gemahlin theil. Auch die große Repräsentation fuhr er fort zu üben, in königlicher Pracht und Würde, hier wie stets wo er aus der Stille heraustrat, voll untrüglichen Taktes, gütig und ritterlich; treu ist ihm auch die Freude an Frauenanmuth und -schönheit geblieben. Allsommerlich zog er in sein geliebtes Babelsberg hinüber, das er geschaffen hatte und bis in das Kleinste hinein kannte; und weiter in die Bäder, Ems, Gastein, Baden-Baden; in Koblenz traf er für ein Weilchen mit der Kaiserin zusammen. Die Arbeit folgte ihm überall hin, wenn er auch gern noch in Berlin das Wesentliche erledigte und sich dann harmlos freute, einmal einen Tag „frei“ zu bekommen. Die letzten Jahrzehnte hindurch hielt er seine treuen Gehülfen, Albedyll und Wilmowski, an der Spitze des Militär- und des Civilcabinetts fest: überall trachtete er ja, an den Stellen, mit denen er persönliche Berührungen hatte, die Alten, ihm Bekannten zu belassen; er betrauerte den Rücktritt Delbrücks und nahm am Ergehen all seiner hohen Diener, eines Maybach[WS 59] etwa, einen innigen Antheil. Auch als Kaiser zeigte er in seiner täglichen Haltung immer in erster Reihe den Offizier. Die Uniform legte er „im Dienste“ niemals ab, auch nicht am Schreibtisch und im Kreise der vertrautesten Räthe; wenn sich der Gutsherr von Babelsberg einmal die Bequemlichkeit einer andern Tracht erlaubte, so ließ er sich doch nie bewegen, in dieser Tracht irgend eines der Amtsgeschäfte zu vollziehn. Großes und Kleines an ihm war aus einem Gusse. Er blickte mit den Augen des Kriegsherrn in die Welt: als er 1877 das neue Gebäude der Reichsbank einweihte, wandten sich die Worte seiner Ansprache ganz von selber auf den Werth der volkswirthschaftlichen Blüthe für die Armee. Er hat seine Truppen noch aufgesucht, als ihm die Anstrengung der Besichtigungen längst widerrathen wurde; das wäre kein König von Preußen mehr, der nicht mehr zu seinen Soldaten gehen könnte. Er hat seinen ältesten Enkel in feierlichem Ernste in den „Dienst“ eingeführt; und wenn er jetzt eine Darstellung seines Lebens, wie die von Meding, die vor allem eine Chronik seiner äußerlichen Erlebnisse und seiner militärischen Fahrten, etwa eine erweiterte und populärere Fortsetzung von L. Schneiders älterer Biographie ist, gleich jener vor dem Drucke durchsah, so billigte er ihre Art völlig und ergänzte sie getreulich im Einzelnen: er fügte wol hier und da einen Zug hinzu, der sein Herrscherbewußtsein widerspiegelt – z. B. ein Wort über die Bedeutsamkeit jener Erklärung seiner königlichen Vollgewalt vom 4. Januar 1882; insbesondere aber hielt er darauf, daß alles Aeußerliche correct und etwa die Liste fürstlicher Theilnehmer an seinem Regierungsjubiläum vollzählig sei. Und er legte – Fürst Bismarck wußte es und handelte danach – auf die Aeußerlichkeit herkömmlicher Ehrerweisungen auch bei seinen hohen Dienern Gewicht. Als bei einer Hochzeit die Minister den Fackeltanz ausführen mußten, unterschied er genau, wer es mit feierlichem, wer mit unlustigem Gesicht gethan habe, und zog seine Schlüsse daraus: es gab für ihn auch in diesen Dingen, wie in den eigentlich soldatischen, bei aller Nachsicht doch im Grunde „nichts Kleines“. Vor allem indessen nicht in der eigenen Pflichterfüllung. [682] Mit der peinlichsten Gewissenhaftigkeit nahm er sie auf sich; er trennte die leeren Blätter eines einlaufenden Schreibens ab und legte sie sparsam zurück; aber er prüfte auch mit ängstlicher Sorge jedes Todesurtheil, das er bestätigen sollte. Er entschied immer mit klarem gesundem Sinne, sachlich und gerecht, oft auch im Alltäglichsten völlig selbständig, derart, daß er niemals von seinem Rathe abhängig werden konnte. Er setzte Erklärungen oder Reden, hinter denen man die Feder seiner Gehülfen ahnen möchte, eigenhändig auf und corrigirte sie in allen Einzelheiten durch, wie den Entwurf der Rede, mit der er 1883 das Niederwalddenkmal weihte; es ist bezeichnend, daß diese ganz persönliche Kundgebung mit der Wiedergabe von Worten Friedrich Wilhelms III. schließt. Er selber brachte seinem Cabinettsrath, als dieser 1887 den 70. Geburtstag feierte – „einen Tag, der mir vorkommt, als wollten Sie mich einzuholen versuchen!“ –, in einem Briefe von rührender Güte seinen Dank dar und nannte Wilmowskis Mitarbeit eine der vielen Gnaden-Erweisungen Gottes; er scherzte über sein Festgeschenk, zwei griffelhaltende Musen: „die eine schreibt, was Sie leisten, die andere unterschreibt nur, was Sie belieben!!“: er durfte das sagen, weil Alle wußten, daß es nicht so war. Er hat noch in hohen Jahren die Mühe nicht gescheut, sich zum Anhalt für seine Entscheidungen über die Justizgesetze einen Cursus über Encyklopädie der Rechtswissenschaft vortragen zu lassen: er wollte doch ein Verständniß für die strittigen Dinge, einen Begriff von dem erwerben, was er unterzeichnen werde. Er hat dann die Entwürfe, die man ihm vorlegte, eigenhändig durchgearbeitet; man fand nach seinem Tode „zahlreiche engbeschriebene Bogen“ mit Auszügen daraus. Er ließ sich von Werner Siemens eingehend über Wesen und Leistungen der Elektricität, von den Theilnehmern an jenen Abendunterhaltungen seiner Gemahlin über allerlei Fragen der Wissenschaften, der Künste belehren, von einem Helmholtz, Curtius, Grimm[WS 60]. Er verlangte da stets nach genauer Anschauung: „bitte, wiederholen Sie es noch einmal, ich möchte es gern behalten“, und schloß dann wohl – er selber ein liebenswürdig lebendiger Erzähler – das Zusammensein mit herzlichem Danke: „ich habe wieder etwas gelernt“. Gelernt hat er so bis über die Grenzen des menschlichen Alters hinaus. Auch das machte er sich zu eigen, was ihm ursprünglich am fernsten lag und was er auch später niemals beanspruchte zu beherrschen: die Kunst; und gerade ihr gegenüber trat die Gesundheit, die untrügliche Echtheit seines Wesens besonders charakteristisch hervor. Er wollte kein Kenner sein; er that das Seine für eine umfassende Bereicherung der Museen, für die Aufrichtung einer Fülle von Denkmälern, von Monumentalbauten, indem er mit ganz persönlichem Eintreten für die Mittel sorgte, die Lässigen trieb, den Streit der Ressorts oder der Personen abschnitt. Er brachte bei Bauplänen die Sicherheit seines praktischen Blickes zur Geltung, von den historischen Gemälden im Zeughause forderte er genaue Treue: er überwachte die Richtigkeit der dargestellten Hergänge, der Trachten, die Auswahl der Porträtfiguren. Er bethätigte dabei seine Pietät gegen seine Vorgänger wie gegen seine Mitkämpfer, und seine Bescheidenheit – die eigene Gestalt, den eigenen Namen drängte er überall zurück und ließ statt des Königs das Vaterland in die Weihinschrift setzen; er bethätigte zugleich seinen Sinn für das Einfache und Monumentale, ein natürliches Stilgefühl, das sich der Vermischung „von antikem Costüm und nackten Figuren mit der modernen Kriegertracht“ verbat. Ein Denkmal vor allem hat auch er sich errichtet, welches das persönlichste Wesen des Stifters und den Grundton seiner Epoche nicht minder sprechend auf die Nachwelt bringen wird als es die charakteristischen Kunstschöpfungen eines Friedrich Wilhelms IV. oder Ludwigs von Baiern II. thun: [683] an der „Ruhmeshalle“ seines Heeres hat er von 1876 bis 1888 unablässig in eigenster Arbeit, anregend, befehlend, verbessernd mitgeschaffen. Der Künstler hatte die Ruhmeshalle mit ihren Kriegsgemälden und Büsten von der Waffensammlung des Zeughauses durch feste Wände trennen wollen: der Kaiser strich diese und ersetzte sie durch aufschließbare Gitter. „Das Volk in Waffen sollte nicht von den Fürsten- und Feldherrnsälen geschieden sein.“ Eine Ruhmeshalle, so faßte er, die Vorlage ändernd, den Ausdruck, sollte es sein „für die Preußische Nation, aus der die Armee hervorgeht.“ Ganz gewiß, in diesen Räumen voll starker preußischer Erinnerungen, in der wuchtigen Schwere ihrer Architektur, ihrer großen Geselschapschen Fresken, werden er und seine Zeit immerdar angeschaut werden, wie sonst nur etwa noch in den Bildern Adolf Menzels[WS 61] und Franz Lenbachs[WS 62]. Die Zukunft erst wird den Zusammenhang der geistigen Schöpfungen des Wilhelmischen Deutschlands mit den beherrschenden Zügen und Männern seines staatlich-nationalen Lebens ganz erkennen und sicherlich wird sich ihr, weit mehr als bereits uns, die Gesammtheit der Epoche um die hohen Gestalten ihrer Führer ordnen.

Was Kaiser Wilhelm in seinem letzten Jahrzehnte seinem Lande bedeutete, das empfindet man bereits heutzutage mit größerer Klarheit als damals selbst. Die Zuversicht, die uns damals erfüllte, wurzelte noch mehr als wir es wußten, in seiner Person: deren Wegfall hat es erwiesen. Fehlen freilich ließ man es an Dankbarkeit und an Liebe schon gegen den Lebenden nicht. Sie strömte dem greisen Herrscher in unübersehbaren Fluthen zu; er empfand es alle Tage, wenn beim Vorüberziehen der Wache der Jubel der Huldigungen an seinem Schlosse dahin rauschte und die Tausende einen Blick „der treuen Augen aus den altersgrauen, verwitterten Zügen“ zu lebenslangem Gedächtnisse zu ergreifen trachteten. Ihm selber war der Gruß vom Eckfenster hinunter wie eine Pflicht, der er sich gar nicht entziehen dürfe; er sprach wol von den Zeiten, wo Niemand daran gedacht habe, so nach ihm zu schauen, und wie es dann langsam gekommen und immer gewachsen sei; er sprach von der Londoner Verbannung, die so weit hinter ihm lag, von den tröstenden Worten, mit denen ihn damals die Königin Victoria auf die Zukunft verwiesen hatte, und fügte mit mildem Lächeln hinzu: „es hat nur etwas lange gedauert!“ Jetzt ging der Strom der innerlichsten Treue zwischen seinem Herzen und dem der Nation herüber und hinüber. Was er und sein Minister dem Fühlen gerade der Besten waren, das hat nach Wilhelms Tode Rudolf v. Ihering im Sinne Vieler classisch ausgedrückt. Er gedenkt des allgemeinen Niederganges der Monarchien um die Mitte des Jahrhunderts. „Nie hätte ich damals geglaubt, daß ich noch einmal die tiefste Verehrung und innigste Liebe für ein gekröntes Haupt empfinden und der begeistertste Anhänger der Monarchie werden würde. Diesen Umschwung, den gewaltigsten meines ganzes Lebens, verdanke ich Kaiser Wilhelm. Seine historische Bedeutung reicht so in meinen Augen über das, was er Deutschland geworden ist, weit hinaus.“ Der Kaiser erntete die Früchte, die er in Mühen gepflanzt, erst jetzt in ihrem ganzen Reichthum, an Macht wie an Liebe; das ganz Persönliche an ihm entfaltete erst jetzt, da die Kräfte des Greises langsam sanken, seine volle Wirkung über die Nation. Wie warb er, wenn ihn einmal die Herbstmanöver in ein ehedem lange widerstrebendes Bundesland führten, durch sein Erscheinen unwiderstehlich für das Reich! Mit einem Vertrauen, das etwas Selbstverständliches hatte, nahmen die Deutschen die glückliche Stetigkeit, die sichere Weltstellung, den nationalen Glanz hin, deren Träger er war. Niemand überschätzte ihn wol, Jeder schätzte ihn und fühlte sich ihm nahe. Die deutsche Arbeit, der deutsche Wohlstand hatten weiten Boden und sichern Schutz gefunden, daheim und in der [684] Welt; sie erhoben sich in den 80er Jahren zu stolzen Erfolgen. Der Wolken standen freilich genug am Himmel; aber zwischen den wegbahnenden, harten Kämpfen der früheren, der rastlosen Unsicherheit der nachfolgenden Epoche erscheinen auch diese letzten Jahre Wilhelms I. wie dereinst die stillen Zeiten nach dem Freiheitskriege, in ihrem Gleichgewichte, ihrer ruhigen Kraft und reichen Fülle dem rückschauenden Blicke als Tage des Glücks: trotz aller Verschiedenheiten halkyonische Tage auch sie.

Glücklich ist Wilhelm selber wol damals gewesen. Er empfand nicht nur, wie der Lohn seiner Saaten reifte; er konnte, vornehmlich, von Herzen billigen, was jetzt geschah, der Druck der liberalen Aera war seinem Bewußtsein und seinem Gewissen abgenommen. In freudiger Einheit klang sein hohes Alter mit seiner frühen Manneszeit zusammen; er sah sein eigenstes Wesen in dieser Gegenwart wieder siegreich vorwalten. Und auch seine Kirche war wieder in den Wegen, die er für sie ersehnt hatte. Auf dem geistlichen Boden ist wol die einzige stärkere Verschiebung seiner Gesinnungen vor sich gegangen: sein Glaube mochte sich nicht eigentlich verwandelt haben, aber schärfer, ja schroffer kirchlich war er geworden. Bigott wurde der Kaiser nicht; gehalten und harmonisch blieb sein Leben bis zuletzt. Am schönsten harmonisch in dem Verhältnisse, das nun so lange schon das wichtigste seines Daseins war: zu Bismarck.

Seit 1877 hat Bismarck nie wieder ernstlich um seine Entlassung nachgesucht. Er hat im August 78, nach den Attentaten, seinem Herrn versprochen, ihm den Dienst gegen dessen Willen nicht zu versagen, hat in den Mordversuchen „ein neues Band der Pflicht“ für sich anerkannt. Es ist erzählt worden, wie fest die innere Wendung dann Kaiser und Kanzler zusammenfügte und wie im Herbste 79 der Abschluß mit Oesterreich den letzten harten Conflict zwischen ihnen zur Ruhe brachte. Seitdem ist Bismarcks Stellung anscheinend ganz unerschüttert geblieben. Der Kaiser übt, wo wir einmal beobachten können, auch künftighin seine Aufsicht. Bismarck und Moltke sind gelegentlich nicht ganz einig, der Zweite fordert (1881–2) zur Deckung der Ostgrenze eine Mitwirkung des auswärtigen Amtes, die Bismarck verweigert; wieder zeigt es sich da, daß die verschiedenen Oberbehörden getrennte Kreise behielten und die oberste Einheit doch eben immer nur im Kaiser selber ruhte. Im übrigen aber muß Bismarck in diesem Jahrzehnt die Politik doch wol fast selbständig geleitet haben. Ernste Meinungsverschiedenheiten lagen unseres Wissens nirgend vor und der 80jährige Kaiser gab seinem vielbewährten großen Minister freien Raum. In ihre persönlichen Beziehungen gestatten uns gerade diese Jahre einen tieferen Einblick. Sie sind reich an zartsinnigen Aufmerksamkeiten und warmen Dankesworten des Monarchen. Neben den klangvollen öffentlichen Kundgebungen stehen vertrauliche Briefe, die auch dieses und jenes aus Wilhelms Erlebnissen berichten, von Familienereignissen, Jagd, Politik; wie glücklich blickt 1882 der Urgroßvater auf die Reihe der drei Nachfolger, die er – „ein mächtiger Gedanke!“ – lebend vor sich sieht. Da finden sich dann so weitgehende Aussprüche wie die früher angeführten von Bismarcks schöpferischem Genius, von seiner Urheberschaft an den großen neuen Entwürfen; nach der Feier auf dem Niederwald denkt Wilhelm des Kanzlers als des „Herbeiführers der mächtigen Ereignisse“, die man dort festlich begangen hat, und als „ihres Leiters zum grandiosen Frieden“. Als er ihm 1883 ein Osterei (einen Orden) bescheert, fügt er hinzu, daß es „den Adler trägt, den Sie neu geschaffen haben!“ An Bismarcks Geburtstage rühmt er die Weisheit und Gnade des Allmächtigen, die „Sie der Welt und – mir schenkte!!“ Insbesondere aber tritt in Bismarcks Schreiben an ihn eine neue Färbung hervor. Eigentliche [685] Herzenstöne sind auch früher schon manchmal von ihm angeschlagen worden: sie scheinen seit 1880 stärker zu werden. Der Kanzler spricht 1881 von Wilhelms „väterlicher“ Leitung, er beklagt vier Jahre später die Todesfälle, die den Herrn getroffen haben: wir Ueberlebende müssen uns mühen, „die leer gewordenen Stellen derer auszufüllen, die Ew. Majestät Herzen nahe standen“. Da ist der Verehrung – der Verehrung nicht bloß des Dieners, auch des Jüngeren – ein Klang von Liebe, beinahe von Freundschaft unbefangen beigemischt. Immer mehr aber, das ist das bemerkenswertheste, stellt Bismarck sich, ohne jemals die Ehrerbietung der Form und auch des Gefühles zu verletzen, recht eigentlich neben seinen Fürsten. Er redet vor ihm von seinen eigenen Fehlern die er sehr wol kenne: aber dabei verkleinert er sich nie, er schmeichelt nie, er hält sich stolz und gerade. Er weist über den irdischen Herrn hinweg auf den ewigen hin; und er nennt es (1883) den „Vorzug, den Gottes Segen Ew. Majestät vor anderen Monarchen, die Großes ausgeführt haben, gegeben hat, daß Allerhöchstdero Diener mit Dankbarkeit gegen Ew. Majestät auf ihre Dienstleistungen zurückblicken. Die Treue des Herrschers erzeugt und erhält die Treue seiner Diener“. Bei so freier Aufrichtigkeit, die den Preisenden und den Gepriesenen sittlich ehrt, ist es dann doppelt inhaltsvoll, was Bismarck diesem Satze vorausschickt: „Ew. Majestät Zufriedenheit mit mir hat für mich höhern Werth als der Beifall aller Andern“. Und fast noch weiter ist Fürst Bismarck gegangen. Mit mächtigem einfachem Selbstgefühle hat er dem Kaiser für die „Unwandelbarkeit“ seines Vertrauens durch mehr als 20 Jahre, für „die Gnade und das Vertrauen“ gedankt, die „mir stets ohne Wandel zur Seite gestanden haben“. Er vergleicht sich (1884), nur halb scherzend, dem Centauren des Bildwerkes, das Wilhelm ihm geschenkt hat: der trägt ein riesiges Horn auf den Schultern und ein Weib hängt sich ihm mit ganzer Last in die Barthaare. „So macht es mit mir, während ich mit Ew. Majestät und des Landes Dienst alle Hände voll zu thun habe, die Opposition, auf die Gefahr hin, mich im Tragen der Geschäftslast zu stören …“. Im September 1887, zum 25. Jahrestage seiner Ministerschaft, hat Bismarck den letzten und in all seiner Verehrung stolzesten dieser Huldigungs- und Dankesbriefe geschrieben: an den Monarchen, der ihn solange „in bewegten Zeiten, wo nicht alles gelingt, mit unwandelbar gleich bleibender Gnade und Vertrauen gegen alle Feindschaften und Intriguen gehalten und gedeckt“ hat. In solchen Briefen spricht die Größe zur Größe, man möchte sagen: der Souverän zum Souverän. Der große Minister zieht sich nicht in ängstlicher Bescheidenheit, die ihm unwahrhaftig sein würde, hinter seinen Herrn zurück, er denkt nicht daran, seinen eigenen Antheil dem Herrscher zuzuschreiben; man spürt, er erblickt, wie es die Größten immer thun, in der Sache seines Staates und seines Herrschers seine Sache und jener ist ihm sein Helfer – wie er selber der des Königs ist. Daß er sich, mit erhobenem Haupte, vor dem Angesichte des Monarchen so geben darf, ohne daß er fürchten dürfte, die vornehme Seele des greisen Herrn zu verletzen, das ist ein Bild von so hoher und absichtsloser Menschengröße, daß dieser friedlich-herzliche Einklang ihrer letzten Jahre genau so stolz und so mächtig wirkt wie einst der harte Kampf ihrer Anfangszeiten. Wie sie selbst, so ist auch ihr Empfinden zu einander bis an das Ende immer im Aufsteigen geblieben und hat die Reste stiller Abneigung in Wilhelms Herzen wol völlig besiegt. Sie haben sich beide innerlich behauptet, der Kanzler sein schöpferisches Werk vollbracht, der Kaiser in diesem Werk zuletzt sich selber wiedergefunden. Ein warmer Abendglanz, der beide Gestalten umfängt, hat allen Widerstreit, jede harte Farbe, jede scharfe Linie gelöst und versöhnt, ebenbürtig [686] und untrennbar gehen sie miteinander in das Gefühl der Mitlebenden, in das Gedächtniß der Geschichte ein. –

Nach der Mitte der 80er Jahre erst erreichte die letzte Epoche Kaiser Wilhelms ihren Gipfel. Das ganze System nationaler Politik, innerer und äußerer, war einheitlich durchgebildet und arbeitete unter Einer großen Anregung fort. Damals nahm, in diesem doppelten Zusammenhange, Preußen den Kampf gegen die Ueberwucherung seiner Ostlande durch das Polenthum kräftiger auf; die Verständigung mit der Curie kam zu ungefährem Abschlusse; Deutschland war stark genug, um den Conflict mit Spanien über die Carolineninseln durch würdige Nachgiebigkeit beizulegen. Da brachten gerade die auswärtigen Verhältnisse der Regierung des Neunzigers die letzte scharfe Gefahr und den letzten Sieg. Während der Zusammenstoß mit Frankreich unter Boulanger[WS 63] drohte, entfesselte die Militärvorlage im December 1886 noch einmal den Streit mit der Reichstagsmehrheit. Alle übrigen innerlichen Gegensätze schlossen sich an diesen einen, drängenden an, und als die Auflösung des Reichstags die Neuwahlen vom Februar 1887 heraufführte, schlugen in dem leidenschaftlich erregten Wahlkampfe an Bismarcks Seite alle die Kräfte, die er seit 10 Jahren geweckt, erzogen und gleitet hatte, in heller Begeisterung die Schlacht: das Ergebniß war der Triumph seiner Politik; es war die glänzende Höhe der seit 1881 unablässig emporgewachsenen Bewegung. Das dritte Septennat wurde angenommen, die Wehrverfassung immer weiter gewaltig ausgebaut, noch immer ganz auf den Grundlagen der 1860er Reorganisation. Die unmittelbare Kriegsgefahr trat zurück, kleinere Reibungen mit Frankreich wurden überwunden, Boulanger im Mai 1887 gestürzt; die große Rede Bismarcks vom 6. Februar 1888 zeichnet in majestätischen Zügen die andauernde Spannung der europäischen Lage, die Nothwendigkeit und die innere Sicherheit des Friedensbündnisses wie einer steten Bereitschaft der deutschen Kräfte. Mit unerhörter Einhelligkeit machte der Reichstag sich die Forderungen des neuesten Wehrgesetzes, die der Kanzler verfochten hatte, zu eigen. Kaiser Wilhelm war vollbereit gewesen, den Krieg, wenn es sein müßte, zu bestehen; er war froh, da das Gewitter sich verzog; er blickte jetzt in tiefer Befriedigung auf die Beschlüsse seines Parlaments. Ihm reihte sich in diesen Jahren Gedenkfeier an Gedenkfeier, die 25jährige seines Königthumes im Januar 1886, die 80jährige seiner Zugehörigkeit zum Heere im Januar 1887, im folgenden März der 90. Geburtstag: Feste, die der herzliche Antheil der Nation verklärte und die den Fürstenstand Europas, des Reiches wie seiner Nachbarn, noch einmal um ihn vereinigten; 85 von dessen Mitgliedern waren an jenem Geburtstage in Berlin. Mit überströmender Freude sagte der Kaiser, in Erlassen an Bismarck, seinem Volke den innigsten Dank; er äußerte wol, die schönste Festgabe seien ihm der neue Reichstag und dessen Abstimmungen gewesen, er redete freundlich und hoffnungsvoll zu den huldigenden Studenten, deren eifrige Liebe ihm eine Bürgschaft für die Zukunft erschien. Nach seinem Militärjubiläum richtete er die Ansprache für die Armee an seinen Sohn: ergreifende Worte im großen Stil, an denen jede Silbe wahr und in denen seine ganze Seele und sein ganzes Leben enthalten ist, Worte des Rückblickes auf all das, was er und was sein Heer seit den dunkeln Tagen von Memel gemeinsam erfahren haben; wahrlich, Großes hat Gott an ihm gethan! Und was sich auch in acht langen Jahrzehnten verwandelt habe, „innerlich in den Herzen und dem Empfinden der Armee gibt es keine Veränderungen!“ Das Band der Ehre, der Pflicht, der todesmuthigen Treue umschlingt jetzt alle deutschen Stämme. Welch Zeugniß ungebrochenen soldatischen Sinnes in den Ruhmesthaten der letzten Kriege! Welch Glück für den Kaiser, heute so sprechen zu dürfen, „über diese 80 Jahre sagen zu dürfen, [687] daß wir sicherlich, voll und ganz, fest zu einander gehört haben, Ich mit Meinem ganzen Herzen und Denken, die Armee mit vollster Treue, Hingebung und Pflichterfüllung, für welche Mein Dank und Meine Anerkennung die lebendigste Empfindung Meines Herzens bis zu Meinem letzten Athemzuge bleiben wird“.

Es war ihm Alles gelungen. Vor zehn Jahren hatte ihm Roon gewünscht, „nie die Beschwerden und die demüthige Resignation persönlich kennen zu lernen, die mit einem siechen Alter unvermeidlich verbunden sind“. Die Kräfte ebbten wol und an Leiden fehlte es nicht, allein der Wunsch Roons hat sich erfüllt. Auch einsam wurde Kaiser Wilhelm nicht. Viele aus seinem Kreise verließen ihn, E. Manteuffel, Vogel v. Falckenstein, Karl Anton von Hohenzollern, Prinz Friedrich Karl in dem einen Jahre 1885. Die Nächsten aber blieben: die Kaiserin, die dem Greise wol näher stand und unentbehrlicher geworden war als jemals ehedem dem Manne; die Genossen seines täglichen Lebens am Hofe und im Arbeitszimmer; die Großen, Moltke, unverwüstlich gleich seinem Herrn, und zumal Bismarck. Der Eine leitete, von Graf Waldersee gestützt, die militärischen Dinge in gleichem, festen Gange weiter, der Andere ermöglichte dem Herrscher, fortzuregieren, ohne daß er sich mit neuen Menschen einleben und die alsdann unausweichlichen neuen Schwierigkeiten und Entscheidungen noch durchkämpfen mußte. Da brach auch über Wilhelm das Unglück herein: wie anderen großen Fürsten erschütterte ihm der Tod, der ihn und seine Liebsten nicht zu kennen geschienen hatte, noch kurz vor seinem eigenen Ende das Haus bis in den Grund. Er hatte, als preußischer Herrscher und als ganzer Monarch, die Zügel der höchsten Macht stets in der eigenen Hand gehalten, sie niemals dauernd in die seines Sohnes zu legen, ihm auch nicht einen wichtigen Antheil an den Geschäften einzuräumen vermocht. Zwischen dem gütigen, aber gestrengen Vater und seinem Kronprinzen blieb der Unterschied der Generationen, der Anschauungen aufrecht; sie standen in bewußtem Gegensatze, aber doch wol in warmer Liebe neben einander. Niemand weiß, welcher Art die Regierung Kaiser Friedrichs das Werk seines Vorgängers fortgeführt und ergänzt, ob sie es wirklich gewandelt haben würde; das ist Allen bekannt, wie sich ihm nach trüben und bitteren Jahren erzwungener Thatlosigkeit sein tragisches Geschick erfüllte. Sein Vater hatte eben die Schwelle des zehnten Jahrzehntes überschritten, als der Kronprinz erkrankte; hülflos mußte Wilhelm das Wachsthum des Leidens, das Ringen um den Hinsterbenden mitansehn. Er selber mochte die politische Zukunft durch den Enkel, der sich ihm rückhaltlos angeschlossen hatte, in seinem Sinne gesichert glauben. Aber der Untergang des Sohnes griff ihm furchtbar an das Herz. Wie tieftraurig sah er in jenem Winter aus seinem Eckfenster auf die Volksmengen nieder, die ihn mittrauernd grüßten! Auch sein Leben zehrte sich auf. Im Februar traf ihn der jähe Tod seines jüngeren badischen Enkels. In den ersten Märztagen warf ihn selber die Krankheit nieder. Noch von seinem Lager aus mühte er sich, seine Pflichten zu erfüllen, zuletzt überwand ihn die Mattigkeit. Als Fürst Bismarck am 8. März zum letzten Male mit ihm redete, sprach noch der Sterbende von seiner Freude über die Einmüthigkeit jener neuesten Bewilligungen des Reichstages für das deutsche Heer; am Morgen des 9. März 1888 entschlief er, kurz vor der Vollendung seines 91. Jahres. In einer Todtenfeier sondergleichen, voll Weihe und Größe, unter der ernsten Theilnahme aller Nationen, hat ihn sein Volk zu Grabe geleitet: zur Ruhestätte seiner Eltern, im Mausoleum zu Charlottenburg. –

Die alte Zeit ist mit ihm geschieden; zwei Jahre nach seinem Tode trat sein großer Genosse in den Schatten zurück, und jenes neue Geschlecht, dessen Spuren schon die späteren Tage Kaiser Wilhelms gezeigt, hat lebhaft vordringend [688] neue Bahnen suchen wollen. Daß es sie noch nicht gefunden hat, ist allzu klar. Und überall wirkt die Epoche Bismarcks und Wilhelms I. in den gegenwärtigen Tag hinein; ihre Aufgaben sind noch nicht erfüllt, ihre Werke sind unser bestes Besitzthum. Sie hat unendliche Schätze hinterlassen, einen mühelosen Gewinn für die Erben, aber freilich schwer zu bewahren, in ihrer Dauer und ihrer Macht an die weiterbildende Arbeit, an die Persönlichkeiten der Nachfolger gebunden – Schätze der Liebe, der Empfindung und der Gesinnung, einer Gesinnung von Stetigkeit und Maß; Werke, die heute noch alles Leben überragend beherrschen: die Einheit, das Reich, das Heer, die Monarchie. Wo sind die Gewalten, fähig diese Monarchie zu ersetzen? Unwandelbar kann sie so wenig sein wie irgend eine andere Gestaltung, und wie hat sie sich die Menschenalter dieses Jahrhunderts hindurch gewandelt, bis sie unter jenen ihren beiden Neubegründern, erstarkend und immer wachsend, das ganze Dasein der Nation umschloß! Unentbehrlich aber ist sie heute wie jemals zuvor. Was uns bevorsteht und wie die Stellung des Wilhelmischen Zeitalters im weitesten Zusammenhange der deutschen Geschichte – der äußerlich und innerlich nationalen, der staatlichen, der gesellschaftlichen, der geistigen – sich einst bestimmen, was an ihm dauernd, was vorübergehend erscheinen wird: darüber sich in Ahnungen oder Schlüssen zu ergehen liegt nicht im Amte des Historikers; genug, wenn er sich müht, jenes an die bekannte Reihe der Entwicklung anzuschließen und diese Entwicklung in ihm selbst weiter zu verfolgen. Den Kaiser Wilhelm derart zu begreifen ist hier versucht worden. Und Eines wenigstens wird man da auch voraussagen können. Von Friedrich dem Großen hat der Kaiser 1886 gerühmt: „Alles, was wir Großes und Gutes heute in unserem Lande bewundern, ist auf dem Fundament aufgebaut, das er gelegt hat“. An das Werk von 1807, das für seine Auffassung mit der Gestalt seines Vaters verwuchs, hat er im Handeln und in seinen Gedanken immer wieder angeknüpft. Beide zusammen, so verschieden sie sind, die alte Monarchie und die Reform, das darf man rückblickend sagen, haben, sich streitend und ineinandergreifend, seine eigne Geschichte erfüllt: das Alte in ihr wie in seiner Persönlichkeit immer durch das Neue befehdet, zurückgeschoben, ergänzt, und selber in jenes hineinreichend, sich wiederum durchsetzend, an jedem Ergebnisse seinerseits betheiligt. Solches natürliche Weiterwirken der historischen Gewalten darf auch die Zukunft, wie immer sie werden mag, für sich erwarten: sicherlich wird ihr Wilhelms I. Name einen guten Theil dieser historischen Gewalten vornehmlich bezeichnen und wird er ihr zugleich den leuchtenden Segen großer Vergangenheit bezeichnen, den Segen, der in den Stunden des Ernstes und der Nöthe wieder lebendig wird, haltend, erhebend, mit aller sittlichen Macht des Stolzes, des Vertrauens, der Hoffnung, der innerlichen Einkehr, erweckend wie Siegesgeschmetter, vorwärts zwingend wie das vorausgetragene Banner. So hatte es ja auch wiederum das Erbe des großen Königs im Jammer von Tilsit und im Sturme der Befreiungskriege gethan, so deren Gedächtniß in den trüben und hellen Tagen von der deutschen Revolution bis an die Schlachten von 1870. Wie könnte Wilhelms Zeit für solche Wirkung verloren sein? Mit jeglicher großen Vergangenheit, das wissen auch wir bereits, nimmt sie es reichlich auf. Und Kaiser Wilhelm selber füllt in ihr seinen Platz – nicht Wilhelm der Große, soviel Großes wahrlich an ihm ist; aber von der schlichten Echtheit seines Wesens fällt alles Fremde, alles Gesteigerte, das ihn erst schmücken soll, haltlos ab; die dämonisch hohe Größe, die seinen Tagen nicht mangelt, hat ihren Ausdruck nicht in ihm. Wohl aber jene einfältig edlen Kräfte, die sein Leben begleiteten, die er in sich und um sich immer von Neuem zum Durchbruch und [689] zum Siege geführt hat, die ihn zum lebenden Symbole der besten Güter seines Volkes gemacht haben, die Kräfte, vermöge deren er sammelte, ordnete und zusammenhielt, Kräfte der Einheit und der Zucht, der Weisheit und der Treue. Sie hat der vornehmste seiner Grabredner in Worten, unmittelbar und einfach groß wie der Verstorbene, mahnend als dessen unzerstörbares Erbtheil aufgezählt, als er am Todestage selbst, in seinen Tiefen erschüttert, dem Reichstage die Trauernachricht brachte: den Heldenmuth, das nationale Ehrgefühl, die Hingebung, die Arbeitsamkeit, die Pflichttreue im Dienste des Vaterlandes und die Liebe zum Vaterlande; sie nannte Fürst Bismarck in seinem dahingeschiedenen Herrn verkörpert.


Quellen und Bearbeitungen.

Allgemeines. Eine Geschichte hat die litterarische Behandlung von Wilhelms I. Leben bisher nicht gehabt. Die Biographien sind seit den 60er und 70er Jahren häufiger und immer wärmer geworden; auch das thatsächliche Wissen ist allmählich gestiegen; eine wirkliche Entwicklung aber, nach Forschung, Auffassung, Verständniß, Urtheil, dürfte die Reihe der populären Lebensbeschreibungen, soweit ich Kenntniß davon genommen habe, nicht darstellen. Ich nenne von ihnen nur die zwei, die er selber durchgesehen und vervollständigt hat: Louis Schneider, Der Prinz von Preußen (Der Soldatenfreund 24, 6, Dec. 1856, Berlin bei Hayn; später: König Wilhelm, 2. Aufl. 1861, Soldatenfreund 28 Extraheft); dazu gleich: Aus dem Leben Kaiser Wilhelms 1849–73, 3 Bde. 1888; und Aus meinem Leben. Und Oskar Meding[WS 64], 85 Jahre in Glaube, Kampf und Sieg 1882, zuletzt: 91 Jahre 1889, nebst den vorgedruckten Aenderungen des Kaisers. – Späteres: W. Oncken[WS 65], Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm, 2 Bde. 1890–92. Unser Heldenkaiser 1897 (Festschrift zum 100j. Geburtstage; ihr Werth liegt in einigen Briefen W.s und einigen Einzelzügen aus der Erinnerung von Zeitgenossen, die O. mittheilt). Sonstige allgem. Jubiläumslitteratur: H. v. Petersdorff, Der erste Hohenzollernkaiser (von mir noch benutzt, während die ersten Theile meiner Darstellung schon im Druck waren); E. Berner[WS 66], Wilhelm der Große (im Erscheinen, nicht benutzt); v. Goßler[WS 67], W. der Große in seinen Beziehungen zur Kunst (Rede nebst Beilagen). Dazu Reden und Aufsätze; von denen, die mir bekannt geworden sind, nenne ich: 1888 E. Curtius, Gedächtnißrede (Berl. Univ.), H. v. Treitschke, Zwei Kaiser; ders. 1895: Zum Gedächtniß des großen Krieges. 1889 die Charakteristik in Heinrich von Sybels zweitem Bande (Die Begründung des Deutschen Reiches durch W. I., 7 Bde. 1889–94). 1897 M. Lenz[WS 68] (Berl. Akad., S. B. 17; 25. März), G. Schmoller[WS 69] (Tägl. Rundschau, 23. März), B. Erdmannsdörffer[WS 70] (Heidelb.), H. Delbrück[WS 71] (preuß. Jahrb. April Bd. 88; dazu seine werthvollen früheren Aufsätze in den preuß. Jahrb., besonders 1888, 89, 90), O. Lorenz[WS 72] (D. Rundschau, März: Heroisierung!).

Briefe und Acten. Militärische Schriften weiland Kaiser W.s d. Großen Maj., hrsg. v. königl. prß. Kriegsministerium, 2 Bde. (1821–47; 1848–1865) 1897 (hier erst v. 1857 ab benutzt; vgl. aber Sybels inhaltreichen Aufsatz: Die pr. Heeresreform v. 1860, Beil. z. Allg. Ztg. 1891, 21.–23. Dec.; ein Neudruck steht in Sybels nachgelassenen Kleineren Schriften zu erwarten). Briefe: vor Allem die an Oldwig von Natzmer (bis 1861): G. E. v. Natzmer, Aus dem Leben des Generals O. v. N., I. 1876; ders., Unter den Hohenzollern, Denkwürdigkeiten aus dem Leben des G. O. v. N., 4 Bde., 1887–89; ders., Kaiser W. I., die Prinzeß Elise Radziwill und die Kaiserin Augusta, 1890. Eine sehr vorläufige Zusammenstellung: Politische Correspondenz [690] Kaiser W.s I., 1890 (darin auch die berühmtesten Erlasse und die Neujahrsbetrachtungen). – Die großen Actensammlungen zur Zeitgeschichte, das Staatsarchiv etc.; Mancherlei in der Deutschen Revue; Mancherlei in Erinnerungen von Zeitgenossen (Varnhagen!) verstreut; nur das Wichtigste unten; die Bismarck-Publicationen; H. Kohl[WS 73], Bismarck-Jahrbuch, seit 1894. –

Einzelne Zeiträume.

1797–1815. Außer den zwei Biographien und der bekannten Litteratur besonders über K. Luise: Ranke, Fr. Wilh. IV., WW. 51, Vaihinger, K. L. als Erzieherin, 1894. Wilhelm über den König und York bei Pertz, Gneisenau III 732 ff., Vorsicht! 1813 ff.: Natzmer, Oncken.

1815–40. Im Ganzen: Natzmer, Mil. Schriften, H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im 19. Jh., II–IV, 1882–89. Fr. Meinecke[WS 74], Boyen u. Roon, Hist. Ztschr. 77, 1896. Daneben noch zum militärischen Leben: v. Ollech, Reyher IV, 1879: zum persönlichen: Gräfin Elise Bernstorff. Aus ihren Aufzeichnungen, 2 Bde. 1896; zur Politik: Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold v. Gerlachs, 2 Bde. 1891–2, I, Ringhoffer, ein Dezennium preußischer Orientpolitik, 1897.

1840–48. Treitschke V, nebst Beilagen. Ranke, Fr. Wilh. IV. Natzmer, Mil. Schriften, vgl. Nippold[WS 75] Boyen III Vorwort, Sybel, Heeresreform, Gerlach I, Nippold, C. J. v. Bunsen, 3 Bde. 1868–71, II; Martin[WS 76], Life of the Prince Consort. 1874 ff.

1848–49. Sybel, Begründung I; ders., aus den Berliner Märztagen, H. Z. 63, 1889; Perthes, pr. Jhb. 63, 1889; Natzmer, Gerlach; von hier ab: Denkwürdigkeiten a. d. Leben des G.-F.-M. Kriegsmin. Grafen v. Roon, 2 Bde. (ich habe die 3. Auflage 1892 benutzt und sie besonders aus dem Bismarck-Jahrbuch ergänzt); Schneiders beide Memoirenwerke. – Bunsen II. Springer, Dahlmann II. – Mil. Schriften; dazu die Broschüren: (v. Griesheim), Krit. Bemerkungen über d. Entwurf d. Wehrausschusses d. Reichs-Versammlung …, Berlin Okt. 1848; (ders.), die deutsche Centralgewalt und die pr. Armee, geschr. 23. 7. 48, Berlin; Gegenschriften; und Arnim-Boytzenburg, d. d. C.-G. u. Preußen, Aug. 1848. – Biedermann, Mein Leben I, 30 Jahre I (Volksausg. 1896), Beseler, Erlebtes und Erstrebtes.

1849–51. Mil. Schr. und Schneider; Denkschrift vom 19. Mai 1850, Sybel H. Z. 70, 1893, Gerlach I, Bunsen III, Ernst II. von Coburg-Gotha, Aus meinem Leben, 3 Bde. 1887–89, I, Natzmer, Sybel Begründung I.

1851–57. Roon Bunsen Natzmer, Gerlach I. II, Briefwechsel Gerlachs mit Bismarck, 1893, Bismarcks Briefe an G., hg. v. Kohl, 1896, Poschinger[WS 77], Pr. im Bundestag, 4 Bde., 1882–85, und die Ergänzungen im B.-Jahrb.; Sybel, Begründung II; Ernst II., II; Aus dem polit. Briefw. des deutschen Kaisers m. d. Prinz-Gemahl v. England 1854–61, 1881 (aus Martin); aus dem Leben Theodor von Bernhardis, bisher 6 Bde., 1893 ff., II. – Mil. Schr., und Sybel Heeresreform.

1857–58. Sybel Begr. II, Bernhardi III, Gerlach II, G.-Bismarck.

1859–62. Auswärtiges und Deutsches: Sybel II; Ernst II., III; Bernhardi III. IV; vgl. V, 4 ff.; Bismarck-Jahrb. III; Suckow, D. Revue 1897; Bailleu[WS 78], Der Prinzregent und die Reform der deutschen Kriegsverfassung, H. Z. 78, 1897; Baden-Baden: Haym[WS 79], das Leben Max Dunckers 1891; Oncken, Zeitalter I; Ranke WW. 53; Denkschrift von 1861: Bismarck-Jahrb. III.

1858–62. Inneres. Prß. Militärreform: Mil. Schr., Roon, Sybel II und Aufsatz, Schneider, Gerlach, Bernhardi; zu Roon Meinecke; zu den ersten Anfängen vgl. z. B. Petersdorff, Thielmann, 1894, a. E. – Verfassungsfrage: [691] insbes. Roon, Bernhardi, Haym, Baumgarten, hist. u. pol. Aufs. u. Reden 1894, Ernst, Schneider I; das Gespräch mit Max von Baiern: Oncken I, Heldenk., Sybel II. – 1862: Roon II und Bismarck-Jahrb. III; Bernhardi IV; Hegel[WS 80], Erinnerungen aus m. Leben, 1891. – W. u. Bismarck: Busch B.-J. II, Ernst II, das babelsb. Gespräch abgedruckt bei Oncken II 752. Vielerlei Stoff stets bei Blum[WS 81], F. Bism. u. s. Zeit, 6 Bde. 1894–95. Vgl. auch Kohl, Bismarckbriefe 1836–72, 1897.

1862–71, im Ganzen, abgesehen von den Sammelwerken, Kriegsgeschichten, allg. Darstellungen, Sybel II–VII; Roon II, Briefw. zwischen Roon u. Perthes 1864–67, 1896, Bism.-Jahrb. (Briefe Roons, Manteuffels u. A.), Moltke, Ges. Schriften u. Denkwürd., 7 Bde. 1891–92, ders., Milit. Korrespondenz 1864–71, 3 Bde. 1892 ff.; Schneider.

1862–64. Conflict: Schneider, Bernhardi IV–VI, Haym, M. Philippson[WS 82] Friedrich III, 1893 (nur noch nachträglich eingesehn), Ernst III, Mil. Schr.; Fürstentag: Sybel II, Ernst u. A.; Schleswig-Holstein: Sybel III, Jansen-Samwer, S.-H.s Befreiung, 1897, Henrici, Lebenserinner., 1897, Bernhardi u. s. w.; Bismarcks Wort, Jansen 495: „der erste Schüler,“ Lenz 12.

1864–66. Neben Sybel Friedjung[WS 83], Der Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland 1859–66, I, 1897, Lettow-Vorbeck[WS 84], Gesch. d. Kriegs v. 1866 in Deutschland, I, 1869; W. u. Bismarck 1866: auch Benedetti, ma mission en Prusse 1871, La Marmora[WS 85], Etwas mehr Licht, Uebers. 1873, v. Unruh, Erinnerungen, 1895; vgl. Delbrück, Sybel u. A.

1866. Die französ. Verhandlungen: Sybel V; minder wichtig Benedetti sowie Rothan[WS 86], la politique française en 1866. Indemnität: Sybel, Roon; Bismarckbriefe.

1866–70. Inneres: Roon, B.-Jahrb. I. III. IV, Aus d. Leben Karls v. Rumänien[WS 87], 3 Bde. 1894–97 I; Ursprung d. franz. Kriegs: Sybel VI. VII, 1894, ders., Neue Mitt. u. Erläuterungen 1895, Rößler, Pr. Jhb. Jan. 1895, Delbrück ebd. Dez. 1892, Febr. Okt. 1895, Brandenburg, Beil. z. Allg. Ztg. 11. 12. Febr. 1895, v. Petersdorff, Forsch. z. brand.-pr. Gesch. IX 1896; Luxemburg: u. A. Schneider; span. Frage und Ems: Karl v. Rumänien II, B.-Jhb. IV, Benedetti, Gramont[WS 88], la France et la Prusse avant la guerre 1872, Lebrun, souvenirs militaires 1895, Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten, 2 Bde. 1887 II, u. A., W.s Briefe bei Oncken, Heldenkaiser; Mobilmachung: W. bei Oncken, Roon II, Tagebuch des Kronprinzen 1870–71 in der D. Rundschau, Okt. 1888, Bismarcks Immediatbericht darüber vom 23. Sept. 1888 (Reichsanzeiger).

1870/1. Militärisches Leben: König W. auf s. Kriegszuge in Frankreich 1870. Von Mainz bis Sedan. (Kriegsgesch. Einzelschriften hg. v. gr. Generalstabe XIX 1897), Moltke, Schriften III und Anhang, Briefe, und Mil. Korr. III, Roon II und Anhang, Hönig[WS 89], 24 Stunden Moltkescher Strategie (Gravelotte), 1891, ders., d. Volkskrieg a. d. Loire im Herbst 1870, 4 Bde., besonders I, v. Verdy du Vernois[WS 90], Im gr. Hauptquartier 1870/1, 1896, Graf Frankenberg, Kriegstagebücher, 1896, v. Wilmowski, Feldbriefe 1870/1, 1894, Schneider II. III, M. Busch, Graf Bismarck u. s. Leute währ. d. Kriegs m. Frankr., 2 Bde., 1878, Tageb. d. Kronpr., Briefe Wilhelms vornehmlich bei Oncken; Beschießung: dieselben Quellen, dazu Hönig III. – Die Reichsgründung: dieselben z. gr. Th., dazu G. Freytag, D. Kronprinz u. d. dtsch. Kaiserkrone, 1889, Baumgarten und Jolly, Staatsminister Jolly, 1897, Philippson. Zur Proclamation noch Toeche-Mittler[WS 91], Die Kaiserprocl. in Versailles, 1896.

[692] 1871–88. Briefw. mit Bismarck, B.-J. I und bes. IV, Rücktrittsakten u. A. ebenda; dazu Bismarcks Reden, Gespräche, Briefe, volkswirthschaftliche Schriftstücke u. s. w.

1871–79. Vor Allem Roon II, dazu B.-J. I. III. Die drei Kriege u. Anderes bei Treitschke, Zwei Kaiser. Culturkampf: neben vielem Anderen Graue, B.-J. I. II. Die Flug- u. Proceßschriften in Sachen Arnims; vgl. Broglie[WS 92], La mission de M. de Gontaut-Biron à Berlin, 1896, Manteuffel B.-J. IV. Zu den ausw. Krisen: u. A. Gontaut, B.-J. I. IV, die große Rede Bismarcks 6. 2. 1888 bei Kohl, Reden XII, Blum V 285 ff.; Briefw. Bism.-Andrassy. Die Attentate: Roon II (vgl. Philippson); Roons Tod ebd. Anhang.

1879–88. Ranke, Frz. Gesch.: WW. VIII 53, 92. Persönliche Züge: Oncken Heldenk., Sybel II, Curtius, Goßler, Wilmowski, Meding, Delbrück, Henrici u. A.; vgl. Treitschke; Treusch v. Buttlar[WS 93], Berl. N. Nachr. März 1897. Ihering: Zukunft 1893, IV 340. Ueber Friedrich II.: Goßler 26. Bismarcks Worte: Kohl XII 481.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 623. Z. 2 v. u. l.: 1865. [Bd. 45, S. 676]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Superintendent; Siehe Wikipedia: Delbrück, Johann Friedrich Gottlieb (1768–1830)
  2. Prinz von Preußen; Siehe Wikipedia: Karl von Preußen (1801–1883)
  3. Prinz von Preußen, preußischer General; Siehe Wikipedia: Friedrich Wilhelm Ludwig (1794–1863)
  4. Siehe Wikipedia: Charlotte von Preußen (1798–1860)
  5. Zar von Russland; Siehe Wikipedia: Nikolaus I. (1796–1855)
  6. Russischer Zar; Siehe Wikipedia: Alexander I. (1777–1825)
  7. Adlige Revolutionäre, die im Dezember 1825 den Eid auf den neuen Zaren verweigerten
  8. Siehe Wikipedia: Whig; liberale Partei in England
  9. Kronprinz von Frankreich; Siehe Wikipedia: Ferdinand Philippe d’Orléans (1810–1842)
  10. Herzogin von Orléans; Siehe Wikipedia: Helene Luise Elisabeth von Mecklenburg (1814–1858)
  11. Großherzogin von Baden; Siehe Wikipedia: Luise Marie Elisabeth von Preußen (1838–1923)
  12. Französischer Staatsmann und Historiker; Siehe Wikipedia: Thiers, Louis Adolphe (1797–1877)
  13. König von Frankreich; Siehe Wikipedia: Ludwig XIX. (1773–1850)
  14. Königin von England; Siehe Wikipedia: Victoria I. (1819–1901)
  15. Herzog von Sachsen, britischer Prinzgemahl; Siehe Wikipedia: Albert von Sachsen-Coburg-Gotha (1819–1861)
  16. Lorenz Brentano (1813-1891), Jurist und badischer, nach 1849 US-amerikanischer Politiker; vgl. den Artikel in der Wikipedia.
  17. Deutscher Publizist und Historiker; Siehe Wikipedia: Biedermann, Karl (1812–1901)
  18. Polnischer Revolutionär; Siehe Wikipedia: Mieroslawski, Ludwig v. (1814–1878)
  19. Vorlage: „wir“
  20. Kaiser von Österreich-Ungarn; Siehe Wikipedia: Franz Joseph I. (1830–1916)
  21. Angesehenes Bankierhaus in Frankfurt a. M., welches 1853 unter der Leitung Philipp Heinrich Moritz Alexander Bethmanns stand
  22. Französischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Polignac, Jules Armand Marie Fürst v. (1780–1847); Er versuchte als Ministerpräsident vorrevolutionäre Zustände zu restaurieren, woraufhin es 1830 zur Julirevolution kam, die mit dem Sturz des französischen Königs Karl X. (1757–1836) endete
  23. Kaiser von Frankreich; Siehe Wikipedia: Napoleon III. (1808–1873)
  24. Deutscher Diplomat; Siehe Wikipedia: Harry (Heinrich), Graf von Arnim (1824–1881)
  25. Italienischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Cavour, Graf Camillo Benso di (1810–1861)
  26. Preußischer Staatsminister; Siehe Wikipedia: Schleinitz, Alexander Graf von (1807–1885); Bruder von Wilhelm Freiherr v. Schleinitz
  27. Preußischer Staatsminister; Siehe Wikipedia: Ludwig von Massow (1794–1859)
  28. Siehe Wikipedia: Becker, Oskar (1839–1868)
  29. Badischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Roggenbach, Franz Freiherr v. (1825–1907)
  30. Clausewitz, Carl von (1807–1866), nicht zu verwechseln mit dem Militärtheoretiker Carl von Clausewitz (1780–1831)
  31. König von England; Siehe Wikipedia: Karl I. (1600–1649)
  32. Preußischer Politiker; Siehe Wikipedia: Hohenlohe-Ingelfingen, Adolf Prinz von (1797–1873)
  33. Preußischer General; Siehe Wikipedia: Blumenthal, Leonhard Graf v. (1810–1900)
  34. König von Frankreich; Siehe Wikipedia: Ludwig XIII. (1601–1643)
  35. Französischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Herzog von Richelieu, Armand Jean Duplessis (1585–1642)
  36. Italienischer General und Staatsmann; Siehe Wikipedia: Govone, Giuseppe (1825–1872)
  37. Französischer Diplomat; Siehe Wikipedia: Benedetti, Vincent (1817–1900)
  38. Französischer General; Siehe Wikipedia: Lebrun, Bartholomäus Joseph (1809–1889)
  39. Preußischer Offizier; Siehe Wikipedia: Fürst von Hohenzollern, Leopold Stephan Karl Anton Gustav Eduard Tassilo (1835–1905)
  40. Spanischer General; Siehe Wikipedia: Prim, Juan (1814–1870)
  41. Französischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Herzog von Gramont, Antoine Alfred Agénor (1819–1880)
  42. Radziwill, Anton Fürst von (1833–1904), preußischer General
  43. Französischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Gambetta, Léon Michael (1838–1882)
  44. Busch, Moritz (1821–1899), deutscher Publizist
  45. Wilmowski, Karl von (1817–1893), preußischer Kabinettschef
  46. Deutscher Politiker; Siehe Wikipedia: Blanckenburg, Moritz Karl Henning von (1815–1888)
  47. Holnstein, Max Karl Theodor Graf von (1835–1895), königlich-bayerischer Oberstallmeister
  48. Deutscher Rechtsgelehrter und Politiker; Siehe Wikipedia: Simson, Eduard (1810–1899)
  49. Preußischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Falk, Adalbert (1827–1900)
  50. Massenweise Ernennung gefügiger Pairs (mit politischen Vorrechten ausgestatte Mitglieder des hohen Adels)
  51. Englischer Politiker; Siehe englische Wikipedia: Russell, Sir Charles (1832–1900)
  52. Gontaut-Biron, Anne Armand Elie de (1817–1890)
  53. Deutscher Staatsmann; Siehe Wikipedia: Bennigsen, Rudolf (1824–1902)
  54. Deutscher Attentäter und Klempnergeselle; Siehe Wikipedia: Hödel, Max (1857–1878)
  55. „sozialistischer Agitator“; Siehe Wikipedia: Nobiling, Karl Eduard (1848–1878)
  56. Russischer Politiker; Siehe Wikipedia: Gortschakow, Alexander Michailowitsch Fürst (1798–1883)
  57. Österreichisch-ungarischer Politiker; Siehe Wikipedia: Andrássy, Gyula (1823–1890)
  58. Französischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Colbert, Jean-Baptiste (1619–1683)
  59. Preußischer Minister; Siehe Wikipedia: Maybach, Albert (1822–1904)
  60. Deutscher Schriftsteller; Siehe Wikipedia: Grimm, Hermann (1828–1901)
  61. Deutscher Maler; Siehe Wikipedia: Menzel, Adolf (1815–1905)
  62. Deutscher Maler; Siehe Wikipedia: Lenbach, Franz (1836–1904)
  63. Französischer General und Politiker; Siehe Wikipedia: Boulanger, Georges (1837–1891)
  64. Meding, Johann Ferdinand Martin Oskar (1829–1903), deutscher Schriftsteller; siehe den Wikipedia-Artikel
  65. Deutscher Geschichtsforscher; Siehe Wikipedia: Oncken, Wilhelm (1838–1905)
  66. Berner, Ernst (1853–1905), deutscher Geschichtsforscher
  67. Preußischer Staatsmann; Siehe Wikipedia: Goßler, Gustav von (1838–1902)
  68. Lenz, Max (1850–1932), deutscher Geschichtsforscher; siehe Wikipedia.
  69. Deutscher Nationalökonom; Siehe Wikipedia: Schmoller, Gustav (1838–1917)
  70. Deutscher Historiker; Siehe Wikipedia: Erdmannsdörffer, Bernhard (1833–1901)
  71. Deutscher Historiker, Politiker; Siehe Wikipedia: Delbrück, Hans Gottlieb Leopold (1848–1929)
  72. Lorenz, Ottokar (1832–1904), deutscher Historiker
  73. Kohl, Horst (1855–1917), deutscher Historiker
  74. Deutscher Geschichtsforscher; Siehe Wikipedia: Meinecke, Friedrich (1862–1954)
  75. Protestantischer Theologe; Siehe Wikipedia: Nippold, Friedrich (1838–1918)
  76. Englischer Schriftsteller; Siehe englische Wikipedia: Martin, Sir Theodore (1816–1909)
  77. Deutscher Schriftsteller; Siehe Wikipedia: Poschinger, Heinrich (1845–1911)
  78. Bailleu, Paul (1853–1922), Direktor der preußischen Staatsarchive, Historiker
  79. Deutscher Philosoph und Geschichtsschreiber; Siehe Wikipedia: Haym, Rudolf (1821–1901)
  80. Hegel, Immanuel (1814–1891), preußischer Beamter
  81. Deutscher Rechtsanwalt, Historiker und Politiker; Siehe Wikipedia: Blum, Hans (1841–1910)
  82. Deutscher Historiker; Siehe Wikipedia: Philippson, Martin Emanuel (1846–1916)
  83. Historiker und politischer Schriftsteller; Siehe Wikipedia: Friedjung, Heinrich (1851–1920)
  84. Lettow-Vorbeck, Oskar v. (1839–1904), deutscher Kriegshistoriker
  85. Italienischer General und Staatsmann; Siehe Wikipedia: La Marmora, Alfonso Ferrero Cavaliere del (1804–1878)
  86. Rothan, Gustave (1822–1890), französischer Diplomat
  87. König von Rumänien; Siehe Wikipedia: Karl I. (Rumänien) (1839–1914)
  88. Französischer Außenminister; Siehe Wikipedia Herzog von Gramont, Antoine Alfred Agénor (1819–1880)
  89. Hoenig, Fritz (1848–1902), deutscher Militärschriftsteller
  90. Preußischer General und Kriegsminister; Siehe Wikipedia: Verdy du Vernois, Julius (1832–1910)
  91. Toeche-Mittler, Theodor (1837–1919), deutscher Verleger
  92. Französischer Historiker und Staatsmann; Siehe Wikipedia: Herzog von Broglie, Jaques Victor Albert (1821–1901)
  93. Freiherr Treusch von Buttlar-Brandenfels, Walther (1865–1954), preußischer Generalmajor