ADB:Friedrich Wilhelm I. (König in Preußen)

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Artikel „Friedrich Wilhelm I., König in Preußen“ von y. in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7 (1878), S. 635–656, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Friedrich_Wilhelm_I._(K%C3%B6nig_in_Preu%C3%9Fen)&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 01:55 Uhr UTC)
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Friedrich Wilhelm I., König in Preußen. Von allen hohenzollerschen Fürsten ist keiner schwerer und länger verkannt worden. Der Geniusglanz, der die Regierung seines Nachfolgers verklärte, ließ die ihr unmittelbar voranliegende Epoche preußischen Staatslebens, die ganz der stillen innern Arbeit geweiht, kaum ein glänzendes, in die Augen fallendes Ereigniß aufzuweisen hat, in tiefen Schatten treten und entzog ihr die Aufmerksamkeit einer Reihe von Geschlechtern. Für ein literarisches Denkmal seines Wirkens, wie es sein Großvater durch einen Meister der Geschichtsschreibung sich setzen ließ, wie es sein Sohn sich selber errichtete, hatte F. W. nicht Sorge tragen wollen: statt dessen wetteiferten sein Andenken zu beflecken die Mißgunst der [636] Großen und das Schmähbedürfniß der Kleinen. So galt er in der Meinung der Menschen „als eine halb lächerliche, halb widerwärtige Figur, immerhin mit einigen subalternen Talenten daneben“. Der späten Nachwelt blieb es vorbehalten, dem Verdienste Friedrich Wilhelms gerecht zu werden, den Fürsten in ihm zu erkennen, der unter den Königen der preußischen Vergangenheit dem größten derselben, ob immer um eine weite Spanne zurückbleibend, am nächsten steht, den schöpferischen Geist in ihm zu bewundern, der der preußischen Armee ihre Schulung und ihren Corpsgeist, dem preußischen Beamtenthum seine Pflichttreue und seine Uneigennützigkeit, dem ganzen Volke seine Zucht und seinen Fleiß, der dem jungen preußischen Königsstaate jene Eigenschaften der Schärfe und der Straffheit, der Spannkraft und der Zähigkeit gegeben hat, welche sich uns bis heute mit dem Begriffe preußisch verbinden.

F. W. wurde am 15. August (n. St.) 1688 geboren, im Todesjahr seines großen Ahnen. Von den Eigenschaften seiner Eltern ist keine auf ihn übergegangen, weder der auf die glänzende Außenseite des Lebens gerichtete Sinn des Vaters, des ersten preußischen Königs, noch die geniale Ader der Mutter, der geistreichen Sophie Charlotte. Die Pflege seiner ersten Jahre ward dem jungen Kurprinzen von denselben Händen, denen er in der Folge die Obhut seines ältesten Sohnes anvertraut hat, von der Frau von Rocoulle; sein Gouverneur war der General Graf Dohna, und seit 1704 der Graf Finkenstein, „einer der seltenen Männer, vor deren Tugend die böse Nachrede zurückweicht, von stiller Arbeitsamkeit, ein guter Wirth und prächtiger Bauherr, christlich-fromm und vor Allem tapfer“. In Friedrich Wilhelms Jugendgeschichte begegnen wir keinen dramatischen Scenen wie in der des großen Kurfürsten, keinen erschütternden Kämpfen, wie in der des großen Friedrich. Nüchtern und prosaisch begann dieses Leben, wie es verlaufen sollte. Wirthschaftlichkeit und Vorliebe für den Soldatenstand sind früh hervortretende Züge in des Prinzen Charakter. Noch sind die Rechnungsbücher erhalten, die er in seiner Jugend mit strengem Sinn für Ordnung geführt hat, und eine Ueberlieferung geht, daß er zu Mittenwalde auf eigene Kosten ohne Wissen des Vaters sich ein Bataillon gehalten, das er einexercirt habe. Seine praktische Schule als Soldat durchlief er 1709 im Feldlager in den Niederlanden, dort „wo“, nach den Worten des von ihm bewunderten Marlborough, „große Männer sich bilden und die Fürsten soviel geschätzt werden als sie durch Tapferkeit und gute Führung verdienen.“ Frühzeitig fesselte den Prinzen Achtung und Liebe an den zwölf Jahre älteren Leopold von Anhalt; das Freundschaftsband zwischen beiden löste nur der Tod, und der Fürst übte stets hervorragenden Einfluß auf die Entschließungen und Maßnahmen Friedrich Wilhelms.

Ernst und aufrichtig war Friedrich Wilhelms Religiosität. Seit seinen Jünglingsjahren, so schreibt er später, habe er volles Vertrauen zu Gott gehegt; er weiß es, daß er mit Gott gut stehe. Als die Bedingung dieses Verhältnisses galt ihm ein sittlich reiner Lebenswandel. Alle Sinnenlust mied er; Comödien, sagte er, halte er für Sünde, auch „saufe er nicht, weil in Gottes Wort stehe, daß es Sünde sei; er habe aber doch oft Lust dazu, ob ers gleich nicht thue.“ Allzu wörtlich ist immerhin diese letzte Versicherung nicht zu nehmen. Auch seine Jagdvergnügungen – er war ein gewaltiger Nimrod – machten ihm bisweilen religiöse Scrupel, „wenn man recht in sein Gewissen gehe“, meinte er dann, „fühle mans doch wohl, daß es nicht recht sei, Gott fordere viel von uns.“

Am 26. November 1706 vermählte sich F. W. mit Sophie Dorothea, der Tochter des Kurfürsten von Hannover, nachmaligen Königs von England. Die Ehe war mit vierzehn Kindern gesegnet. Ein Muster ehelicher Treue in dem Jahrhunderte Augusts des Starken und Ludwigs XV., vermochte F. W. in die [637] reichgestaltete geistige Welt seiner feinsinnigen Gemahlin nicht hinüberzuschauen, so wenig wie Sophie Dorothea einen Einfluß auf die Charakterentwicklung ihres Mannes gewann. Er gehört zu den Naturen, die aus eigenster Anlage sich entwickelnd frühzeitig fertig sind und sich fertig fühlen, um dann keine umbildenden Eindrücke mehr aufzunehmen. Ein wie anderer ist nicht sein Sohn in seinen verschiedenen Lebensphasen, in der Zeit vor Küstrin und in den Rheinsberger Tagen, dann als der junge König vor und als der alte nach dem siebenjährigen Kriege: F. W. bleibt in allem Wesentlichen stets derselbe. Er wandelt nicht auf der Menschheit Höhen, sondern steigt hinab ins volle Menschenleben und mischt sich unter das gemeine Volk; in Purpur geboren, ward er wie ein anderer Mensch, wie ein märkischer Landjunker oder Potsdamer Bürgersmann. Sein Haushalt ist altväterisch, knapp und kahl; wenn er bei Tische nicht reichlich Gemüse zu sich genommen, meint er gar nicht gespeist zu haben, und sein Lieblingsgemüse sind „dicke Erbsen“. Seine Erholung sucht er nicht in ästhetischen Genüssen, nicht im Gedankenaustausch mit Schöngeistern und Gelehrten, sondern in jenem Tabackscollegium, beim Bierkruge, den derbe Wachtstubenwitze und die Schwänke einiger albernen Pedanten würzen. Gerade dieser Umstand, daß sein Privatleben, seine menschlichen Verhältnisse so alltägliche waren und so offen vor Aller Augen lagen, hat zu der Fülle von Anecdoten Anlaß gegeben, die sich an den Namen Friedrich Wilhelms knüpfen; Anecdoten, die das Lebensbild dieses Fürsten sehr farbenreich machen könnten, wüßte der Biograph anders, wieviel er von ihnen nacherzählen darf.

Schon als Kronprinz nahm F. W. vorübergehend, im J. 1711, gewissen Antheil an den Staatsgeschäften. Die Aenderungen, die er einleitete, waren scharf und rücksichtslos, sie widersprachen der Gewöhnung und den Empfindungen des Königs; der Prinz zog sich zurück. Er mied den Hof, denn sein leeres, verkommenes Treiben verursachte ihm Ekel, dem er oft, zum Schrecken der Höflinge, selbst zum Aergerniß der fremden Gesandten, in unverblümter Weise Ausdruck gab; es geschah, daß der englische Hof über die „Brutalität des Kronprinzen“ Beschwerde führte. Es hieß an den fremden Höfen, „daß er gewaltsam, eigenwillig, beschränkt sei, keine andere Bildung habe, als die der Kaserne, keine andern Formen des Umgangs kenne, als Commandiren und Ordrepariren.“

Am 25. Februar 1713 bestieg dieser Prinz den preußischen Thron. Er gedenke sein eigener Feldmarschall und sein eigener Finanzminister zu sein, war sein bündiges Regierungsprogramm. Die Mehrung des Heeres und die Mehrung der Finanzen, deren er für das Heer bedurfte, blieben die Hauptsorgen seiner Regententhätigkeit. Auch seinem Nachfolger hat er anempfohlen seine Finanzen allein zu verwalten und das Commando der Armee selbst und allein zu bestellen.

Er hat ausdrücklich gesagt, seine ganze Liebe gehöre den Soldaten. Und als man einst an einem Nachbarhofe die „große Armatur“ Preußens beargwöhnte, so befahl er seinem Gesandten zu antworten „daß Wir naturellement die Soldaten liebten und lieber an dieselben, als an Sachen, woraus andere Herren sich ein Plaisir machten, Geld verwenden wollten.“ Aber es war nicht blos die persönliche Liebhaberei, was ihn auf die Errichtung neuer Regimenter bedacht sein ließ. Je scheeler die Eifersucht seiner großen Nachbarn auf Preußen blickte, ein um so unabweisbareres Bedürfniß war für das kleine Land, wollte es seine Selbständigkeit behaupten, die höchste Anspannung der Wehrkraft und die stete Kriegsbereitschaft, die dann freilich in Wechselwirkung jene Eifersucht wieder steigerte. „Wir spüren je länger je mehr“, sagt F. W. nach vier Regierungsjahren, „was für mächtige Gegner wir haben, und daß die uns von Gott verliehenen und durch die neue Ordnung in unserm Land und besonders in unserm [638] Heer und Finanzen mehr und mehr anwachsende Macht und Vermögen ihnen ein rechter Stachel im Auge ist.“ Sehr richtig sagte er sich, daß die noch so hohen Kosten seiner Heeresverwaltung unendlich geringer seien als der Schaden, den Ein Einbruch fremder Heere über das unbewachte Land bringe – er hatte 1711 die Russen und die Polen durch die Marken ziehen sehen. Das preußische Heer, das 1713 38000 Mann zählte, war bis 1740 auf 83000 Mann gebracht, sodaß Preußen neben Rußland und Frankreich die dritte Militärmacht Europa’s geworden war. Für die Ergänzung der Cadres nahm F. W. seit 1733 das Cantonsystem an, welches den jungen Leuten der Städte und des platten Landes mit einiger Einschränkung die Dienstpflicht auferlegte. Die Hälfte der jährlichen Recrutirung wurde in der Folge aus den einheimischen Aushebungsbezirken, die andere Hälfte durch Werbungen außerhalb Preußens beschafft. Bekannt ist des Königs Passion für die „langen Kerle“, auf die seine Werber eine förmliche Jagd machten und die bald auch anderwärts in Mode kamen: Graf Rutowski’s gelbes Regiment in Dresden kam den Potsdamer Riesen fast gleich. Kurz vor seinem Tode gab F. W. seinem Nachfolger den Rath, das große Regiment aufzulösen, er werde statt dessen mit weniger Kosten zehn Bataillone halten können. Recht eigentlich eine Schöpfung Friedrich Wilhelms ist das preußische Officiercorps, aus welchem er alle zweifelhaften Elemente entfernte und in welchem er sich alle Ernennungen vorbehielt. Alljährlich ließ er sich Conduitenlisten über seine Officiere vorlegen. Die Uniform, die auch außerhalb des Dienstes nicht abgelegt werden durfte, galt bei Hofe mehr als das Galakleid, der König selbst trug nicht die spanische oder französische Hoftracht der andern Könige und Fürsten, sondern, seit 1725 unausgesetzt, den Rock der Armee. Die innere Durcharbeitung der preußischen Armee, welche sie vor allen andern Truppen Europa’s auszeichnete, war nur ermöglicht durch die eigenthümliche Formation des Officiercorps. Die tactische Ausbildung war bei der Reiterei nicht in dem Maße vollendet, wie bei dem Fußvolk, von dem Leopold von Dessau, des Königs treuester Beistand auf dem Exercierplatz, in einem seiner Briefe sagt: „Freunde und Feinde bewundern Ew. Majestät Infanterie; die Freunde sehen sie für ein Wunderwerk der Welt, die Feinde mit Zittern.“ Mochte ein Prinz Eugen über die preußische Drillerei, über die Soldatenspielerei des königlichen „Exerciermeisters“ spotten: spätere preußische Könige haben die Heere, an deren Spitze sie ihre Lorbeeren errangen, sich zuvor reorganisiren müssen, der Nachfolger Friedrich Wilhelms I. konnte die preußischen Regimenter ganz so wie er sie überkam auf die Wahlstatt, auf das Siegesfeld führen.

Die Cassen zu füllen, aus denen eine für Ausdehnung und Einwohnerzahl des Landes unverhältnißmäßig große Armee unterhalten werden sollte, war der nächste Schritt eine Einschränkung der prunkvollen Hofhaltung. Die Gehalte der Hof- und Staatsbeamten wurden in umfassendstem Maßstabe herabgesetzt; eine ganze Reihe von Hofchargen ging ein; das Luxusinventar der königlichen Schlösser wurde zum guten Theil verkauft und versteigert. Von nachhaltigerem Einfluß auf die Staatsfinanzen war Friedrich Wilhelms Reform des ganzen Verwaltungsorganismus. Die damaligen Staatseinkünfte gliederten sich in die Kriegsgefälle, d. h. die Leistungen des Landes für die Heeresverwaltung, Accise, Contribution etc., und in die Erträge der Domänen; die Verwaltung jener lag in den einzelnen Landestheilen den Kriegscommissariaten ob, die dieser den Amtskammern, über den ersteren stand das Generalkriegscommissariat und über den Amtskammern das aus der geheimen Hofkammer hervorgegangene Generalfinanzdirectorium. Nach einer Reihe partieller Reformen gelangte der König zu der Ueberzeugung, daß es für eine geregelte Finanzverwaltung unzulässig sei, zwei von einander unabhängige Centralbehörden bestehen zu lassen. In der Abgeschiedenheit [639] seines Jagdschlosses Schönbeck entwarf der König im Herbst 1722 eigenhändig die Instruction für das neu zu errichtende Generaloberkriegesfinanz- und Domänendirectorium, kurz Generaldirectorium genannt, das in fünf Abtheilungen getheilt die ganze innere Verwaltung umfassen sollte. Am 19. Januar 1723 wurde die neue Behörde eingesetzt. Zu ihrer Controle diente die ihr eingefügte Oberkriegs- und Domänenrechenkammer, wie seit 1728 die frühere Generalrechenkammer hieß. 1739 bildeten die Domäneneinkünfte nahezu die Hälfte des gesammten, etwa 7 Millionen betragenden Staatseinkommens, und ihr Zuschuß zu den Ausgaben für die Militärverwaltung fast ein Drittel des ganzen Kriegsetats. – Als F. W. das Generaldirectorium errichtete, hatte er das Beamtenthum, dessen Tüchtigkeit der kunstvollen Maschine die Bewegung geben sollte, sich bereits erzogen. Unter der Regierung Friedrichs I. hatte sich der preußische Beamte der Folgsamkeit zu entwöhnen begonnen: schon 1717 nennt ein bewundernder Ausländer Preußen „die hohe Schule der Ordnung und Haushaltungskunst, wo Große und Kleine sich nach dem Exempel ihres Oberhauptes meistern lernen. Die Zucht macht Leute, und die preußische ist herrlich.“ Es war die militärische Zucht, durch die F. W. auch seine Civilbeamten sich bildete. „Wenn das Geringste unter meinen Dienern passirt“, verfügt er 1714, „so werde ich sie vor ein Kriegsgericht stellen, und nach den Kriegsartikeln werde ich über sie erkennen lassen. Ich habe Commando bei der Armee und soll nicht Commando haben bei den Blakisten (Dintenkleksern)?“ Den Minister oder Rath, der zu den Sitzungen des Generaldirectoriums – und sie begannen anfänglich im Sommer um 7, im Winter um 8 Uhr – eine Stunde zu spät erschien, traf als Strafe ein Gehaltabzug von 100 Dukaten. Von „Gemüthlichkeit“ war im preußischen Dienste fortan nicht mehr die Rede. Wie der König bei einem seiner Morgenausgänge den Potsdamer Postmeister, der die Fremden am Posthaus pochen ließ, mit dem Rohrstock aus dem Bette jagte, ist bekannt. Die Genauigkeit preußischer Rechnungsbeamten ist sprüchwörtlich geworden, aber erst F. W. hat sie zu erzielen gewußt. „Die Herren werden sagen, es wäre nicht möglich“, so beschließt er den Artikel vom Rechnungswesen in der Instruction für das Generaldirectorium, „aber sie sollen die Köpfe daran stecken, und befehlen Wir ihnen hiermit ernstlich, es sonder Räsonniren zu thun.“

Das gründlichste Mittel höhere Staatseinnahmen zu erzielen sah F. W. in der Anwendung rationeller volkswirthschaftlicher Grundsätze. Das geschah zu einer Zeit, wo in Frankreich Law’s Finanzspeculationen und die Mississippi-Actien, in England die Bubbles und die Südseecompagnie, wo die schmutzigsten und betrügerischsten Schwindelunternehmungen im Schwunge waren. Bei Friedrich Wilhelms Regierungsantritt waren die preußischen Domänen zum Theil noch in Erbpacht ausgethan. Schon als Kronprinz ausgesprochener Gegner des Erbpachtsystems, erklärte der neue König, gewaltsam genug, alle geschehenen Vererbpachtungen für aufgehoben und stellte die alte Zeitpacht, immer nur auf je 6 Jahre, wieder her. Doch näherte sich der König in der Praxis später wieder dem früheren System durch die Generalzeitpacht, die er seit 1726 in allen seinen Landen durchführte: in großen Complexen wurden die Domänen einer Anzahl cautionsfähiger Generalpächter übergeben, welche sie dann an kleine Bauern und Colonisten in Unterpacht gaben und die Cultur und Ertragsfähigkeit des von ihnen übernommenen Domaniallandes aus eigenem Interesse zu heben bemüht waren. Hochherzig war des Königs Edict vom 13. August 1713, das den Unterschied zwischen Domänen und königlichen Chatoullegütern aufhob und die letzteren zu Staatseigenthum machte. Eifrig war der König bestrebt die damals in ganz Deutschland schwer darniederliegende Industrie in seinen Staaten zu fördern. Die Manufacturen nannte er „ein recht Bergwerk“; „ein Land [640] ohne Manufactur ist ein menschlicher Körper sonder Leben, ergo ein todtes Land, das beständig pauvre und elendiglich ist und nicht zum Flor sein Tagelang gelangen kann.“ Der Wollenindustrie half er durch Verbote der Ausfuhr einheimischer Rohstoffe und der Einfuhr fremder Wollenwaaren; der schnell erstarkten erschloß er durch Handelsverträge mit Schweden und Rußland den auswärtigen Markt. Verödete Provinzen besetzte er mit Colonisten; den Mittelpunkt der Colonisation unter F. W. bildet die Salzburger Einwanderung wie unter seinem Großvater die der Réfugiés. Polnische Zuzüge nach dem entvölkerten Ostpreußen duldete er nicht, auch die Juden haßte er, weil er glaubte, daß sie die Colonisten zum Desertiren verleiteten. Die Einwanderer setzte er zum Theil als Erbzinsbauern an, auch dadurch dem Erbpachtsystem sich wieder nähernd. Für die Landesmelioration, für Bauten, Städtegründungen und Dörferanlagen scheute er keine Kosten; das glänzendste Resultat seiner innern Verwaltung war das sogenannte Retablissement Ostpreußens, für das er wol an 6 Millionen Thaler aufgewendet hat, also fast eine volle Jahreseinnahme seines Staates. Eine gewisse Aenderung in seinen Verwaltungsgrundsätzen, Ausnahmemaßregeln im gegebenen Falle vorbehalten, ließ er im Jahre 1727 eintreten. „Vors Erste“, heißt es in einer Verfügung vom 1. Mai d. J., bin ich das Bauen so müde, als wenn ich dasselbe mit Löffeln gefressen hätte; vors zweite auch das Domänenwesen zu verbessern desgleichen müde und überdrüssig, und habe ich in den dreizehn Jahr, da mein höchstseliger Vater todt ist, vor meinen ältesten Sohn genug verbessert.“ Alle Ersparnisse sollten in Zukunft zum Tresor eingezogen werden, aus dessen Beständen die Kosten eines Krieges bestritten werden mußten; sie beliefen sich, als F. W. starb, auf 8,700,000 Thaler, nicht gerechnet die Kassenbestände und die Gold- und Silbereinrichtungen, die als zum Schatz gehörend angesehen wurden.

Das überall in den Vordergrund tretende Bestreben des Königs, die Staatseinkünfte zu erhöhen, führte ihn nun auch zu einer vollständigen Umgestaltung des Verhältnisses der privilegirten Stände zum Staate, des Adels auf dem Land und des Patriciats in den Städten. In den Reichslanden des Königs waren die Besitzer der Lehnsgüter nach altem Recht von allen Lasten befreit und nur zum persönlichen Dienst in einer Heermiliz verbunden, die längst unbrauchbar geworden und außer Uebung gekommen war. F. W. verzichtete auf die Stellung des „Lehnpferdes“, sowie auf seine andern, nicht eben belangreichen lehnsherrlichen Rechte, und verlangte statt jedes Lehnpferdes eine jährliche Geldrate, deren Höhe er, nachdem er anfänglich 50 Thaler gefordert, auf 40 Thaler festsetzte (1717). Er rechnete darauf, mit den dadurch einkommenden Geldern die Kosten für zwei neue Regimenter decken zu können. Zögernd, mit großem Widerstreben gingen die Ritterschaften der einzelnen Länder und Kreise auf die Neuerung ein, eine nach der andern, zuletzt die magdeburgische, die den Reichshofrath in Wien um Schutz angerufen und sich von demselben das beipflichtende Mandat erwirkt hatte „daß die Lehnsveränderung der alten teutschen Verfassung und den von Ritter- und Landschaft so theuer erworbenen Rechten schnurstracks zuwider sei und zu des Adelsstandes ehestens folgender gänzlicher Austilgung dienen werde“ – In Ostpreußen und Litthauen, wo bisher sehr mannigfache Kriegsgefälle erhoben wurden, führte W. eine einheitliche Grundsteuer nach der Bonität der Güter ein, den Generalhufenschoß, nicht sowohl um eine wesentliche Erhöhung als um eine Sicherung der Einnahmen zu erzielen. Auch in Ostpreußen war große Erregung über den neuen Modus, der den Adel schlechter stelle als die Bauern, ihn ruinire. Selbst bei Hofe fehlte es nicht an Frondeurs; einer der Minister, Printzen, bat anläßlich der Allodification der Lehen um seinen Abschied, und General von Grumbkow meinte in einer Gesellschaft beim Minister von Kamecke über das Vorgehen gegen den Adel: der König [641] fange ein Ding an, das er nicht werde durchführen können. Der König führte es durch.

Noch schärfer einschneidend als die Neuerungen im Lehenswesen waren, obgleich sie weniger Geräusch verursachten, Friedrich Wilhelms Reformen auf dem Gebiete der städtischen Verwaltung. Auch sie wurden zunächst unter dem finanziellen Gesichtspunkte in Angriff genommen. Schlechte Haushaltung und Ueberschuldung der Städte waren fast überall der Punkt, der die Veranlassung zum Einschreiten der Staatsverwaltung gab.

Lange Zeit hat man es nicht anders gewußt, als daß im 18. Jahrhundert durch die brutale Generalisirungs- und Reglementirungssucht der landesherrlichen Gewalt das städtische Leben als solches in Preußen vollständig ertödtet gewesen, daß die Städteordnung von 1808 ohne jede Vermittelung und Vorbereitung aufgetreten sei. Erst die neueste Forschung hat festgestellt, „daß die Reformen, welche F. W. I. in den Städten durchführte, das Mittelalter abschließen und eine neue Epoche des städtischen Lebens eröffnen, daß sie an die Stelle vereinzelter, sich widersprechender Privilegien mehr und mehr gleichmäßige Grundsätze, an die Stelle oligarchischer Corruption eine integre geordnete Verwaltung setzten, daß sie sogar theilweise die Vertretung der Bürgerschaft durch Verordnete wieder ins Leben riefen und entsprechend ordneten.“ Es waren Reformen, „die auf dem Boden des in Alles sich einmischenden Staates erwachsen, von einzelnen gewaltthätigen Mißbräuchen nicht frei, später unter Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm III. in den Händen einer stagnirend gewordenen Büreaukratie nicht weiter entwickelt und theilweise wieder verdorben wurden, die aber doch für ihre Zeit von unendlichem Segen waren und den nothwendigen Uebergang von den verrotteten Zuständen des späteren Mittelalters zu den landrechtlichen Bestimmungen über Städteverwaltung und zu der Städteordnung von 1808 bilden.“ Tastend und versuchsweise waren schon seine Vorgänger an diese Reformen gegangen. F. W. I. hat sie systematisch und consequent durchgeführt. Nicht als ob die Umbildung eine große gesetzgeberische Maßregel gewesen wäre; sie vollzog sich im Stillen, langsam, durch einzelne Befehle, durch Reglements für die einzelnen Städte, kaum daß einige wenige dieser Verordnungen genereller Natur sind, wie über das städtische Bauwesen von 1715, wie die Patente über die Verpachtung der Kämmereigüter von 1716 und über die Communalsteuern von 1728. In den westlichen Provinzen des Staates, in deren Städten die Accise als Staatssteuer bisher unbekannt gewesen war, wurde dieser indirecte Steuermodus gleich in den ersten Regierungsjahren Friedrich Wilhelms überall eingeführt. Vielleicht die segensreichste Seite der neuen städtischen Verwaltung war die Purification der Magistrate, die der Gevatterwirthschaft ein Ende machte.

Das Gewaltsame, was seine Reformen hatten, kümmerte den König wenig. Die Rechte Einzelner galten ihm nicht mehr als berechtigt, sobald sie ihn in seiner Fürsorge für das Interesse des Staates und für das gemeine Beste hemmten. Diesen Sinn hat jenes Marginal auf die erwähnte Vorstellung der ostpreußischen Herren, daß die neue Grundsteuer das ganze Land ruiniren werde: „Corios, tout le pays sera ruiné. Nihil kredo, aber das kredo, daß der Junker ihr Autorität Niposwollam (das polnische liberum veto) wird ruinirt werden“, und denselben Sinn hat das noch berühmtere, einige Monate ältere Wort: „die Hubencommission soll ihren Fortgang haben. Ich komme zu meinem Zweck und stabilire die Souveränität und setze die Krone fest wie einen rocher von bronze.“ In Theorien sich zu ergehen, warum das so sein müsse, lag ihm fern; es verstand sich ihm ohne weiteres, „nach Gottes Ordnung“. Herr zu sein, unumschränkter, allerorten eingreifender Selbstherrscher, hielt er nicht blos für ein Recht, sondern für eine Pflicht, mit der er vor Gott verantwortlich sei.

[642] Man hat an der preußischen Städtereform treffend ihren Gegensatz zu analogen Bestrebungen in Frankreich hervorgehoben, die bald nur noch den Zweck hatten, alle städtischen Mittel unbedingt für eine glänzende auswärtige Politik nutzbar zu machen, während F. W. als Hauptziele seiner städtischen Politik zwar auch staatliche verfolgte, zugleich aber auch als selbständig gleichberechtigten Zweck stets den im Auge behielt, eine integre Städteverwaltung herzustellen. Das zeichnet eben seine Regententhätigkeit überhaupt aus, daß alle seine Maßnahmen, obgleich zunächst durch jenen großen leitenden Grundgedanken die Wehrkraft des Landes zu erhöhen dictirt, doch nicht bloß Mittel zum Zweck, sondern daß sie ebenso sich selbst Zweck waren. Darum blieb denn der König nicht bei dem stehen, was die materielle Lage, die Ertragsfähigkeit seines Landes zu verbessern geeignet war. Dem Geist der Ordnung und des Ordnens in welchem er lebte und webte, war es wie eine innere Nöthigung, weiter und weiter in alle Sphären des öffentlichen und privaten Lebens einzudringen und sie zu erfüllen, überall, oft genug schonungslos, verletzend, roh, auch fehlgreifend, zu Ordnung und Unterordnung zu zwingen und zu gewöhnen. So entstand, um nur einiges hervorzuheben, auf dem Gebiete der Schule durch die Verordnung vom 23. October 1717 der preußische Schulzwang, der um dem „höchst deplorablen Zustand des Landvolks in Ansehung alles Wissens und Thuns“ Abhülfe zu schaffen alle Eltern bei nachdrücklicher Strafe anhielt, ihre Kinder im Winter täglich und im Sommer zur Zeit der Feldarbeiten wenigstens ein oder zweimal wöchentlich zur Schule zu schicken. In den königlichen Amtsdörfern wurden die Schulen vom Fiscus mit Grund und Boden dotirt, und als Mons Pietatis stiftete der König einen Schulfonds von 50,000 Thalern. Sehr gefördert wurden seine Bemühungen durch die evangelischen Geistlichen aus der Hallischen Schule, die in den von F. W. „aus Liebe und Dankbarkeit“ warm unterstützten Franckischen Stiftungen das Ertheilen des Unterrichts als ein Werk des praktischen Christenthums auffassen und üben gelernt hatten und deshalb vom Könige mit der Schulaufsicht betraut werden konnten. Der eifrigste Schulinspector war F. W. selbst, der persönlich in der Dorfschule erschien und mit der Methode des Elementarunterrichts so vertraut war, daß er einst an der Hoftafel auseinandersetzen konnte, wie die Kinder nach neuer Erfindung das Lesen ohne Buchstabiren lernten, wobei er „mit vielem Lachen“ zeigte „wie sie es macheten“. 1736 hatte man es selbst in dem arg verwahrlosten Ostpreußen erreicht „daß seit zwei Jahren Niemand mehr von jungen Leuten ohne vorgängigen nöthigen Unterricht im Christenthum und Lesen confirmirt worden.“ Die höheren Wissenschaften und die Künste freilich empfanden die Einmischung des Königs fast nur störend, obgleich er in späteren Jahren manches Vorurtheil in dieser Beziehung fallen ließ und den Philosophen Wolf, den er als Irrlehrer aus Halle verjagt hatte, unter vortheilhaften Bedingungen zur Rückkehr einlud; in einer Verordnung von 1739 empfiehlt er den angehenden Theologen das Studium „der Philosophie und einer vernünftigen Logik, als zum Exempel des Professor Wolf.“ In kirchlichen Dingen drang F. W. auf Duldsamkeit und ahndete den Mißbrauch der Kanzel zu Controversen und politischer Agitation. „Ich bin gut reformirt“, schreibt er in einer Instruction für seinen Nachfolger von 1722, „glaube aber, daß ein Lutheraner eben so gut selig werden kann, und der Unterschied nur von den Predigerzänkereien herkomme.“ Sehr viel Werth legte er auf Katechisationen, durch welche die christlichen Lehren einem Jeden verständlich, ein Gemeingut des Volkes werden sollten. Seine katholischen Unterthanen ließ er auch kirchlich unbehindert, eine Anschauung, zu der sich das freie Holland, das parlamentarische England nicht zu erheben vermochten. Nur die Jesuiten wollte er nicht in seinen Landen sehen. Sehr am Herzen lag dem [643] König die Rechtspflege; schon 1713 machte er Versuche zur Schaffung eines preußischen Rechtes, die aber einstweilen nur zu vereinzelten localen Verbesserungen führten: „ich habe alles angewandt“, sagt er 1722, „daß die Justiz gut und kurz gefaßt sein solle, aber leider habe ich nicht reussirt“. Erst Ende 1737, als der große Samuel von Cocceji an die Spitze der Justizverwaltung trat, wurde der Plan wieder aufgenommen, auf Grund des römischen Rechts, soweit es mit den modernen nationalen Zuständen in Einklang zu bringen wäre, ein „beständiges und ewiges Landrecht“ zu schaffen; das Werk wurde begonnen, das unter der folgenden Regierung in dem Corpus juris Fridericianum einen ersten Abschluß erhielt. Das Strafrecht übte der König strenge und blutig, nicht selten in Hitze und Uebereilung; Vergehen gegen das Eigenthum strafte er unverhältnißmäßig hart. Sehr drückend wurden auch die strengen Polizeiverordnungen empfunden, die beispielsweise auf das Einschlagen öffentlicher Laternen Staupenschläge, Landesverweisung und Brandmarkung setzten. Wahrhaft landesväterlich dagegen war F. W. in seiner Sorge für die Verhältnisse der kleinen Leute. Leuchtete er durch seine Schulgesetzgebung in die Nacht ihrer Verdummung und geistigen Verödung, so war er auch ihr materielles Loos zu bessern bemüht. Die Bauern auf seinen Domänen befreite er von der Hörigkeit; er habe in Erwägung gezogen, sagt sein Mandat vom 22. März 1719, was es für eine edle Sache sei, wenn die Unterthanen statt der Leibeigenschaft sich der Freiheit rühmen. Den Gutsbauern der Edelleute wurde wenigstens einigermaßen geholfen; ein Edict von 1739 verbot, sie ohne rechtlichen Grund vom Gut zu jagen, nachdem schon das Jahr zuvor ein „Prügelmandat“ erschienen war gegen „das barbarische Wesen die Unterthanen gottloser Weise mit Prügeln oder Peitschen wie das Vieh anzutreiben.“ In den Jahren der Theuerung, so wieder noch 1740 kurz vor seinem Tode, ließ dieser sonst so karge König seine Magazine öffnen, um den Hungernden billiges Brod zu spenden.

Wenn die ganze Verwaltung Friedrich Wilhelms darauf abzielte, durch die Aufstellung einer zahlreichen Kriegsmacht seinem Staate eine achtunggebietende Stellung in Europa zu sichern, so stehen die Erfolge seiner auswärtigen Politik damit nicht ganz im Verhältnisse. Ihre Anfänge waren vielversprechend. Der Utrechter Friede (11. April 1713) brachte dem König die Anerkennung seiner preußischen Krone durch Frankreich und Spanien, und als Landerwerb den größeren Theil des Herzogthums Geldern, der ihn für seinen Erbantheil an den in Frankreich gelegenen Gütern der Familie Oranien entschädigen sollte. Wichtiger war, daß durch den Frieden die bisher in Italien und Brabant als Auxiliartruppen beschäftigten preußischen Regimenter in die Marken zurückkehrten und zur Wahrnehmung näher liegender Interessen verwendbar wurden. Die deutschen Lande des Königs von Schweden waren bis auf die festen Plätze von den Truppen der nordischen Verbündeten besetzt, die eben im Begriffe waren, ohne Hinzuziehung von Preußen die baltische Frage zu regeln. Es galt für Preußen, die schwedische Herrschaft in Pommern nicht von einer russischen, polnischen oder dänischen ablösen zu lassen. Mit Geschick und Nachdruck wußte F. W. seine Stellung zu nehmen. Ende September 1713 capitulirte Stettin an die Russen; aber einen Eingriff in die Interessensphäre Preußens scheuend fand sich der Zar zu einem Vertrag bereit, der die eroberte Festung gegen Erstattung der Belagerungskosten einer neutralen Besatzung preußischer und gottorpischer Bataillone einräumte und das schwedische Pommern bis zur Peene unter preußisches Sequester stellte. Für den Fall, daß der Vertrag einen schwedischen Angriff gegen Preußen zur Folge haben sollte, wurde Preußen der Schutz der nordischen Verbündeten und völlige Schadloshaltung versprochen. Mit Recht ist dieser Schwedter Vertrag vom 6. Octbr. [644] 1713, an dem F. W. persönlich mitwirkte, einer der wichtigsten genannt worden, die die Krone Preußen geschlossen; er enthielt die Anerkennung der Thatsache, daß das Gleichgewicht der baltischen Welt auf Preußen gravitirte.

Der schwedische Angriff auf Preußen blieb nicht aus. Aus der Türkei nach Stralsund heimgekehrt, verweigerte Karl XII. dem preußischen Sequester seine Anerkennung und verleugnete die Vollmacht, kraft deren sein Generalgouverneur von Vellingk schon im Juni 1713 in ein Abkommen von der Art wie das Schwedter eingewilligt hatte, und andererseits übernahm Karl keine Verbindlichkeit zur Erstattung der von Preußen gezahlten Kosten der Belagerung von Stettin. Er vertrieb die preußischen Sequestertruppen aus Wolgast und aus Usedom; Friedrich Wilhelms Antwort war die Ausweisung des schwedischen Gesandten aus Berlin (26. April 1715); am 28. April ging der König ins Feldlager ab. Die Erfolge des Feldzuges von 1715 waren dem Ernst und der Energie der preußischen Heeresleitung zu danken, wodurch die lässigen Dänen und Sachsen, mit denen F. W. Einzelverträge abgeschlossen hatte, mit fortgerissen wurden. 30000 Russen, die gegen Stralsund bestimmt gewesen waren, blieben an der Weichsel stehen, der König von England erklärte zwar als Kurfürst von Hannover den Krieg gegen Schweden, betheiligte sich aber nicht an den Operationen. Der Uebergang nach Usedom (31. Juli), der Sturm auf die Peenemünder Schanze (22. August), die Eroberung von Rügen (15. November), die Kämpfe in den Trancheen vor Stralsund, die Bewältigung dieser Festung (22. Decbr.), die von dem gefürchteten schwedischen Kriegshelden vertheidigt uneinnehmbar schien, waren glänzende Beweise der preußischen Tapferkeit. Mit dem Falle von Stralsund war an Stelle eines überseeischen Staates das deutsche Preußen die Macht geworden, die politisch und militärisch in Norddeutschland den Ausschlag gab.

Die Verbündeten hatten Preußen das vorpommersche Gebiet bis zur Peene als Kampfpreis versprochen. Die Aufgabe der preußischen Politik blieb, beim dereinstigen Frieden die allseitige Anerkennung seiner Erwerbung zu erhalten. Es galt vorzubeugen, daß nicht wie einst 1679 zu St. Germain en Laye die Frucht der brandenburgischen Siege verloren gehe. Naturgemäß mußte F. W. die Basis seiner Politik in dem Einvernehmen mit den beiden Großmächten innerhalb der nordischen Allianz suchen. Während des ganzen nächsten Jahrzehnts waren Rußland und England die Staaten, die Preußen am nächsten standen. Nicht als ob die preußische Freundschaft mit der einen wie mit der andern Macht keine Keime der Zwietracht in sich getragen hätte. Die Unthätigkeit Rußlands während des pommerschen Feldzuges von 1715 war unzweideutig genug. Nachdem das Ringen mit Karl XII. seine minder mächtigen Bundesgenossen erschöpft, schien der Zar jetzt das Wort der Entscheidung sprechen zu können. Die Einladung zu einer Zusammenkunft in Wismar erfolgte an F. W. und an den König von Dänemark in so formloser Art, daß die preußischen Minister ihrem Könige riethen sie abzulehnen, da der Zar „ihm gleichsam vorschreibe, nach Wismar zu ihm sich zu begeben“; preußische Truppen wurden von russischen aus ihren Quartieren gedrängt „als wenn sie Feinde wären“. „Ich werde nicht zur Entrevue gehen“, schrieb der König seinen Ministern zurück (14. Mai 1716), „der Zar soll mir glänzende Genugthuung geben, oder ich ziehe gleich meine Armee zusammen die in gutem Stande ist, dann kann der Tanz angehen wie im vorigen Jahre; der Zar mag nur wissen, daß er es mit keinem König von Polen zu thun hat, aber mit einem Preußen, der ihm den Kopf mit dem Kolben laufen wird.“ Der Zar lenkte ein, die Unregelmäßigkeiten seiner Soldaten wurden untersucht, statt Wismar brachte er jetzt Stettin als Ort für eine Besprechung in Vorschlag; am 15. Juni langte [645] er dort an um den König zu treffen; erst nach zwei Tagen kam dieser. Man verständigte sich dann, aber der wiederholt ausgesprochene Wunsch Peters, daß preußische Truppen an einer Expedition nach Schoonen theilnehmen sollten, blieb unerfüllt; selbst die versprochenen preußischen Transportschiffe wurden demnächst nicht den Russen, sondern den Dänen zur Verfügung gestellt. „Es wird dem Zaren sehr schmerzlich sein, auch darin noch einen Refus zu bekommen“, sagte der Vicekanzler Schaphirow.

Legte Rußland sich nur Mäßigung auf, begnügte es sich, statt auch das deutsche Küstenland umspannen zu wollen, mit den Ostgestaden des baltischen Meeres, so kreuzten seine Interessen die Preußens nicht. Schwieriger war das Verhältniß Preußens zu England. Für die Beziehungen zwischen beiden Staaten wurde es geradezu verhängnißvoll, daß seit 1715 Hannover mit dem Inselreiche unter einem Scepter stand und daß seitdem die Haltung der britischen Könige durch ihr hannöversches Hausinteresse bestimmt wurde. Nachdem sie im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts, nach langer Zersplitterung in Linien und Territorien, ihre Kräfte gesammelt hatte, strebte jetzt die welfische Politik, mit dem Ansehn Englands hinter sich, nach der von Schweden eingebüßten führenden Stellung in Norddeutschland, um in diesem Streben in einen scharfen Gegensatz zu dem Hause Hohenzollern zu treten.

Es entsprach den damit gegebenen Verhältnissen, wenn bei einem Conflict zwischen Rußland und England Preußen, einstweilen noch beiden verbündet, mehr nach der russischen Seite neigte. Der Conflict war da, seitdem russische Truppen in Mecklenburg standen. Herzog Karl Leopold von Schwerin war seit 1716 des Zaren Schwiegersohn[1]; seine Ritterschaft, mit der er in beständiger Fehde lebte, hatte ihren Rückhalt in Hannover, wo die Gelegenheit in dem Ostseelande festen Fuß zu fassen, mit Begierde ergriffen wurde. Der locale Gegensatz zwischen der welfischen und moskowitischen Politik erhielt bald seinen großen europäischen Hintergrund. Im April 1718 waren die Grundzüge eines Bündnisses – der nachmals sogenannten Quadrupelallianz – zwischen England, Frankreich und dem Kaiser festgestellt, das sich zum Ziele setzte, das zu Utrecht und Rastadt begonnene Friedenswerk zu vollenden, den noch unter den Waffen befindlichen Mächten, im Norden waren es Rußland und Schweden, im Süden Spanien, einen Vergleich aufzuzwingen. Nicht gewillt, sich von der großen Coalition „den Fuß auf die Gurgel setzen zu lassen“, trat F. in diesem Conflict auf die Seite Rußlands; am 28. Mai 1718 schloß er mit dem Zaren, mit dem er sich zu Havelberg persönlich besprochen hatte, ein neues, engeres Bündniß zu dem Zweck, die von den mecklenburgischen Ständen geforderte Execution gegen den Herzog von Schwerin zu verhindern. Die Clausel, daß man die Truppen erst zusammenziehen werde „sobald man von wirklichem Vorrücken eines kaiserlichen Heeres nach Böhmen und Schlesien Kunde erhielt“, gab dem Abkommen einen rein defensiven Charakter, sehr gegen den Wunsch des Zaren, der Preußen gern zu einem Angriffskrieg vermocht hätte. In dieser Zeit der Krisis war es, daß in Berlin jener Abenteurer erschien, der den König durch Enthüllungen über ein gegen sein Leben gerichtetes Complott der Höfe von Wien und Dresden beunruhigte. Kléement’s[WS 1] Angaben von einem Attentat gegen die Person des Königs erwiesen sich als Betrug; aber wenig später, am 5. Jan. 1719, unterzeichneten die Bevollmächtigten des Kaisers, Hannovers, Sachsens zu Wien eine Allianz, die ein Attentat gegen des Königs Staat bedeutete. „Ich fange dem Kléement mehr zu glauben an als mein Tage“, sagte F. W., als es ihm gelang, hinter die Coulissen zu sehen. Um die Execution in Mecklenburg, die den Höfen von Hannover und Braunschweig übertragen wurde, durchzusetzen, sollte im Falle eines russisch-preußischen Widerstandes Preußen von den Verbündeten mit ganzer Macht angefallen [646] werden. Der leitende Gedanke war ein schon vor einiger Zeit von Hannover aus angeregter Plan „Preußen in großartigem Maßstabe zu plündern“; so urtheilte einer der englischen Minister angesichts dieses Vertrags, welchen die hannöverschen Rathgeber hinter dem Rücken ihrer englischen Collegen abgeschlossen hatten. Die letzteren waren nicht gemeint, auf die hannöverschen Velleitäten einzugehen; zudem wurden die Unterzeichner der Wiener Allianz bald selber kleinlaut, da der Beitritt der Republik Polen, auf den man gerechnet hatte, ausblieb. Ein englischer Bevollmächtigter, Lord Whitworth, brachte Vermittlungsvorschläge nach Berlin. So wenig er der doppelten Politik Georgs I. traute, schlug F. W. die dargebotene Hand nicht aus; konnten doch, wenn die Wiener Verbündeten sich auf Preußen stürzten, Monate vergehen, ehe russische Hülfe herankam. In dem Vertrage, den er am 14. August 1719 sehr gegen seine persönliche Neigung unterzeichnete, erhielt er von neuem Georgs Garantie für Vorpommern bis zur Peene; der Zusatzbestimmung, daß der Friede mit Schweden nicht ohne Hinzuziehung des Zaren festgestellt werden sollte, konnte er keine Aufnahme in den Vertrag verschaffen. Unter englischer Vermittlung schloß dann F. W. am 1. Febr. 1720 den Frieden zu Stockholm, in welchem ihm Schweden gegen eine Zahlung von zwei Millionen Thalern das seit 1713 in preußischem Sequester befindliche pommersche Gebiet südlich der Peene abtrat.

Der Zar, dem es freilich erwünscht gewesen wäre, hätte Preußen ihm gegen den Angriff von ganz Europa den Rücken gedeckt, damit er inzwischen das ohnmächtige Schweden völlig niederwerfen könne – Peter I. war über die Verständigung zwischen Preußen und England anfänglich „über die Maßen ombragiret“; er erklärte, daß er den einseitigen Abschluß für einen Bruch aller zwischen ihm und Preußen bestehenden Verträge ansehe. Bald aber begann er die Politik Friedrich Wilhelms ruhiger zu beurtheilen. Noch immer hatte ihm Preußens Haltung einen großen Dienst erwiesen. Indem Preußen trotz seiner exponirten Stellung sich zu der großen Allianz, die sonst überall in Europa dominirte, doch nur in ein sehr loses und bedingtes Verhältniß begab und sich seine Beziehungen zu Rußland vorbehielt, wurde der geplanten Action gegen Rußland ein Hemmschuh angelegt; die ihm zugedachte Demüthigung unter den Willen Europa’s blieb dem Zaren erspart. Der Friede zu Nystadt (10. Septbr. 1721) sanctionirte ihm den Besitz der Ostseeländer zwischen Düna und Ladogasee.

Die Schwierigkeiten der Stellung Preußens zwischen England und Rußland erneuten sich in den Wirren der Jahre 1725 und 1726. Im Jahre 1725 erhielt das System, dem die große Coalition von 1718 ihre Entstehung verdankte, einen Riß durch die Verbindung der bisher verfeindeten Höfe von Wien und Madrid. Die Instruction, mit der Spanien seinen Unterhändler versehen hatte, lautete auf eine defensive und offensive Allianz gegen Türken und Protestanten. Man nahm eine Vermählung der Erbtochter Kaiser Karls VI. mit dem Infanten Don Carlos, einem der jüngeren Söhne des spanischen Königs in Aussicht, wodurch jene enge Verbindung der österreichischen mit der spanischen Monarchie angebahnt wurde, die man als eine Verschiebung des europäischen Gleichgewichts anzusehen gewöhnt war. Am unmittelbarsten aber berührten Englands Interesse die Vortheile und Vorrechte, die Spanien dem österreichischen Handel gewährte, sowie des Kaisers Versprechen, seine guten Dienste anzuwenden, um England zur Herausgabe von Gibraltar und Minorca an Spanien zu bewegen. Der Allianz zwischen dem Kaiser und Spanien zur Seite stand eine andere, die sich mit jener, ohne zunächst unmittelbare Fühlung zu haben, doch in ihrer antienglischen Tendenz berührte; im Februar 1724 hatten Rußland und Schweden die Stockholmer Allianz geschlossen, behufs Wiedereinsetzung des mit den Fürstenhäusern beider [647] Staaten verwandten Herzoges von Gottorp in seine ihm von Dänemark entrissenen schleswigschen Lande, die dem jetzigen Besitzer von England garantirt waren.

Preußens Interesse war durch die Wiener Allianz von 1725, abgesehen von dem Druck, dessen sich die Reichsstände, zumal die protestantischen seitens eines mit Spanien verbündeten Kaisers zu gewärtigen hatten, in einem seiner empfindlichsten Punkte geschädigt: ein geheimer Artikel garantirte die Erbfolge in den Herzogthümern Jülich und Berg nach dem Aussterben des Hauses Pfalz-Neuburg dem Erbprinzen von Pfalzsulzbach.

Die jülichbergische Erbfolgefrage beginnt für Preußen jetzt eine brennende zu werden; sie wird an Stelle der pommerschen Frage, die F. W. in seinen ersten Jahren beschäftigt hatte, das Hauptobject der preußischen Politik. Nach dem vom Kaiser bestätigten clevischen Erbvergleich zwischen Brandenburg und Pfalzneuburg von 1666 mußten nach dem Aussterben der männlichen Linie des neuburgischen Hauses die Herzogthümer Jülich und Berg, ein Areal von etwa 150 QMeilen, den Descendenten des großen Kurfürsten zufallen. Karl Philipp von Neuburg war, als er 1716 die beiden Herzogthümer und die pfälzischen Kurlande erbte, ein Sechziger, der nur Töchter hatte, während seine beiden Brüder, die einzigen noch lebenden Prinzen aus dem Hause Neuburg, dem geistlichen Stande angehörten. Um der Ablösung der niederrheinischen Herzogthümer von den Kurlanden und ihrem Anheimfall an Preußen vorzubeugen, gab Karl Philipp dem Vertrage von 1666 eine Auslegung, nach der auch seine weibliche Descendenz zur Nachfolge in Jülich und Berg berufen sein sollte und vermählte 1717 seine älteste Tochter mit dem Erbprinzen von Pfalzsulzbach, dem präsumptiven Erben der Kur. In Berlin war man weit davon entfernt, der pfälzischen Auffassung der Rechtsfrage sich anzuschließen.

England hatte schon 1690 die hohenzollersche Erbfolge in den rheinischen Herzogthümern garantirt und die Garantie in dem Charlottenburger Vertrage von 1723 erneuert. Bei der Gefahr, die von Spanien und Oesterreich drohte, näherte sich auch Frankreich dem Berliner Hofe und erklärte für den gegebenen Fall sein Einverständniß mit der Erwerbung von Jülich und Berg durch Preußen. Auf dieser Grundlage wurde am 3. September 1725 zu Hannover ein Vertrag unterzeichnet, in welchem sich die drei Kronen auf fünfzehn Jahre zu gegenseitiger Vertheidigung verbanden, um ein Gegengewicht gegen die Wiener Allianz auszuüben. Ein Separatartikel überwies die jülichbergsche Frage einem Schiedsgericht unparteiischer Mächte mit der Maßgabe, daß die Anwendung von Gewalt gegen eine preußische Besitzergreifung in den Herzogthümem unter allen Umständen ausgeschlossen bleiben sollte. Aber der Vertrag führte bald zu einem Zerwürfniß zwischen den Signatarmächten. Die preußischen Minister, vor allem der alte Rüdiger v. Ilgen, der schon seit 1679 hervorragenden Antheil an der auswärtigen Politik des Staates nahm, hielten es für eine Uebereilung, daß der König sich Angesichts eines heraufziehenden europäischen Unwetters die Hände gebunden. Und wie wenig entsprach nun die Haltung der neuen Verbündeten der Voraussetzung, unter der F. W. sich ihnen angeschlossen. Um Holland zum Beitritt zu gewinnen, setzten sie gerade den Punkt der Allianz hintenan, der Preußens Interesse betraf; war doch auf Hollands Anerkennung der preußischen Erbfolge in Jülich und Berg nie zu rechnen, da sich die Generalstaaten durch ein Wachsen der preußischen Macht an ihren Grenzen gefährdet glaubten. F. W. begann von französischen Schelmenstücken, von englischen Betrügereien zu reden. Wenn nach den Gedanken seiner Verbündeten das defensive Bündniß nur die Maske für ein offensives war, in das sie Preußen unvermerkt mit hineinziehen wollten, so sagte [648] der König: „Wie ein Blinder gehe ich nicht hinein, ich muß den pot aux roses wissen und nicht ihr galopin sein.“ Für neue Verpflichtungen forderte er einen neuen Vertrag. „Der von Ilgen soll declariren“, schreibt er am 17. Novbr., „daß ich nicht als Helfer mit agiren werde, sondern in allem mit dirigiren will, so wie Frankreich und England, und kein Beiläufer sein; darüber sollen sie expliciren und mir sagen, was für ein dédommagement sie mir geben wollen in währendem Kriege und hernach.“ Das größte Bedenken aber, welches die Allianz für Preußen hatte, lag wieder in seiner geographischen Exponirtheit. Kam der europäische Krieg zum Ausbruch, so galt der erste Anprall der Gegenpartei Preußen, während seine Alliirten sich noch in Muße rüsteten. Denn noch war Preußen schlagfertig; die Prahlerei, daß England zwar nur 10,000 Mann auf den Beinen habe, aber 100,000 Mann in der Tasche, beruhigte den König ebensowenig wie die Verheißung des englischen Gesandten, falls der Kaiser Preußen belästige, werde die englische Flotte Neapel bombardiren. „Soll Krieg sein“, sagte F. W., „so müssen sie andre Vorbereitungen machen, als bis jetzt zu sehen. Dies kommt mir vor wie die schlechten Kaufleute, die fangen Kaufhändel an ohne sich selbsten zu examiniren und rechte Disposition voraus zu machen. Also sein sie.“ Die nächste Gefahr drohte ihm augenblicklich von Rußland, denn im April 1726 trat der Wiener Hof, der Hauptgegner der hannöversehen Verbündeten, jener Stockholmer Allianz zwischen Rußland und Schweden bei, von der die Rede war. An der Düna waren 60,000 Russen zusammengezogen.

Am 8. Februar 1725 war der große Zar gestorben, dessen Person eine Bürgschaft für das Einvernehmen zwischen Preußen und Rußland war und dessen gewaltige Natur F. W. aufrichtig bewundert hatte; auf die Frage seines Gesandten in Petersburg, wie er trauern solle, verfügte der König: „So tief als wenn Ich todt wäre.“ Ein russischer Diplomat hat nachmals in Berlin von einem schriftslichen Vermächtniß Peters des Großen gesprochen, das seinen Nachfolgern die Pflege der Beziehungen zu Preußen zur Pflicht mache. „Durch das Anwachsen der russischen Macht ist das gute Verständniß von beiden Seiten nothwendig und unumgänglich“, berichtet der preußische Gesandte ein Jahr nach des Zaren Tode aus Petersburg, „und wird auf solchen Fuß hier consideriret, zumal da Ew. Maj. durch Dero kluge Verfassung ein mächtiger und formidabler Nachbar geworden ist.“ Suchte F. W. den Zusammenstoß zu vermeiden, so konnte es auf russischer Seite am Entgegenkommen nicht fehlen. Ausdrücklich hatte er sich wie 1719 so auch in dem hannöverschen Tractate seine Beziehungen zu Rußland vorbehalten. Im August 1726 hatte man sich über einen Vertrag geeinigt, in welchem Preußen sich zur Neutralität in der zwischen Rußland und England offenen schleswigschen Frage verpflichtete, während die Kaiserin Katharina in einer Zusatzdeclaration versprach, die hannöverschen Lande nicht angreifen zu wollen.

Der Abschluß bedeutete mehr als die Erneuerung der alten Freundschaft mit Rußland. Er bahnte den Weg zu einer Verständigung zwischen Preußen und dem Wiener Hofe, Rußlands Verbündeten, zu demjenigen Systeme, an welchem F. W. in dieser neuen, zweiten Epoche seiner auswärtigen Politik festhielt.

Sein Verhältniß zu dem Kaiser war bisher das gespannteste gewesen. Der Gegensatz zwischen beiden Fürsten wurzelte tiefer als in der Individualität ihrer Personen. Mit scharfem Accent betonte F. W. seine im westfälischen Frieden erworbene Souveränität, und mit Eifer und Eifersucht suchte der Kaiser die Competenz seiner Lehnsoberhoheit zu erweitern. „Wollen Sie wissen, was der Kaiser will?“ schreibt der König einmal an seinen Gesandten in Wien, [649] den Grafen Metternich. „Er will uns alle unterdrücken und sich souverän machen. Das will er.“ F. W. setzte seine Ehre darein „daß ich der einzige Fürst des Reichs bin, der dem Kaiser nicht rampant ist, und daß werde ich mein Tag nicht sein, durch Jesum Christum, Amen!“ Dazu kam in Berlin die Erinnerung an erlittene Unbilden, die Erinnerung an die alten Rechte auf Schlesien, die 1686 an Leopold I. verloren waren. Noch bei der Wahl Karls VI. zum Kaiser hatte man den Wiener Hof an sein Unrecht gemahnt. Eine Denkschrift Ilgen’s aus dem Beginn der Regierung Friedrich Wilhelms I. handelt „von den gefährlichen Absichten des Hauses Oesterreich gegen das Haus Brandenburg“; auch in der zwanglosen Unterhaltung, wenn der König und sein Minister, etwa am Kaminfeuer stehend, die Zukunft des Hauses mit einander besprachen, wußte Ilgen die Rede auf Schlesien zu lenken. Zu den alten Mißhelligkeiten kamen neue. Eine vitale Verletzung des preußischen Interesses war es, daß der Kaiser die erwähnte Execution gegen den Herzog von Mecklenburg mit Umgehung des König-Herzogs von Magdeburg als geschäftsführenden Directors im niedersächsischen Kreise beliebigen Kreisständen übertrug, Preußens welfischen Rivalen, die so der Erfüllung ihres Wunsches näher rückten, „das weiße Roß an der Ostsee grasen zu lassen.“ Das Vorgehen des Kaisers zu Gunsten der renitenten Magdeburger Ritterschaft, die Cassation landesherrlicher Anordnungen, die Entscheidung in ungehörter Sache war gegen den Wortlaut des westfälischen Friedens und der kaiserlichen Wahlcapitulation. Form und Inhalt der Reichshofrathsdecrete in den gegen Preußen schwebenden Processen ließen sichtlich die Absicht merken zu verletzen. Ein Erlaß des Königs an seinen Vertreter in Wien vom J. 1724 beklagt sich darüber „daß man am kaiserlichen Hofe alle verdrießlichen Affairen wider Uns zusammensucht; und sind wir sehr surpreniret, daß man uns darin gleichsam mit Fleiß ärger als vorhin chicaniret.“

Seit der Kaiserhof sich durch die hannöverische Allianz bedroht sah, war er eifrig bemüht, Preußen von derselben ab und zu sich herüber zu ziehen. Graf Seckendorf war es, der die schwere Aufgabe übernahm, „nach seiner bekannten Manier und der guten Geschicklichkeit, womit er mit dem Könige umzugehen wisse“, wie Prinz Eugen an ihn schreibt. Er galt viel bei F. W., als Militär, als strenger Protestant, als der Mann, den er für den Vertreter, den alleinigen Vertreter der protestantischen Auffassung der deutschen Politik, für den Gegner der spanischen, absolutistischen Tendenzen des Kaisers hielt. Nach einem vorläufigen Abkommen zu Wusterhausen (12. Octbr. 1726) schloß F. W. mit dem Kaiser am 23. Decbr. 1728 das sogenannte ewige Bündniß von Berlin. Preußen übernahm die Garantie der pragmatischen Sanction Karls VI. und verzichtete auf seine Rechte auf Jülich, der Kaiser garantirte ihm dagegen die Erbfolge in Berg; daneben erhielt F. W. einige Zugeständnisse in Reichsangelegenheiten, vor allem sollte die welfische Execution in Mecklenburg ein Ende haben.

F. W. hatte seine Politik der freien Hand mit diesem Vertrage aufgegeben. Aber er schloß ihn, was beachtet werden muß, „nicht weil er in reichsfürstlicher Ergebenheit das preußische Staatsinteresse hintansetzte, noch im blinden Vertrauen auf die Freundschaft des Wiener Hofes und von dessen geschicktem Vertreter geblendet und bethört. Er schloß ihn in der Ueberzeugung, daß dem österreichischen Interesse keine Verbindung ersprießlicher sei als die mit Preußen, in dem Vertrauen, daß die österreichische Politik ihr Interesse verstehen und danach handeln werde.“ Das Verhältniß zu England gestaltete sich von jetzt ab immer schroffer. Mit seinem Schwager Georg II., der 1726 den englischen Thron bestieg, hatte F. W. die Anfangs zwischen den beiden Höfen bestehenden Beziehungen unterhalten; bald aber stellten sich persönliche Mißhelligkeiten schärfster [650] Natur ein, die u. A. in den verächtlichen Beinamen Ausdruck erhielten, welche beide Fürsten sich gegenseitig beilegten. Die preußische Allianz stieg für den Wiener Hof im Werthe, als 1729 dessen Verbündeter von 1725, Spanien, zu Sevilla sich an England und Frankreich anschloß, aber ihr Werth sank, als im März 1731 England sich mit dem Kaiser verglich. Im Jan. 1732 wurde durch Friedrich Wilhelms Bemühungen die Reichsgarantie der pragmatischen Sanction erzielt, unter Protest Baierns, Sachsens und der Pfalz. Damit war der wesentlichste Dienst, den er dem Kaiser leisten konnte, geleistet. Im August des Jahres sahen sich beide Fürsten zu Prag. „Die Zusammenkunft in Prag wurde das Grab der Freundschaft mit dem Kaiser“, schrieb nachmals ein Minister Friedrich Wilhelms.

Mit dürren Worten wurde ihm dort erklärt, daß er sich mit einem Theile des ihm 1728 garantirten Herzogthums Berg, ohne die Hauptstadt Düsseldorf, begnügen müsse. Prinz Eugen sagte in einer Gesellschaft zu den preußischen Ministern: „Was kann der Kaiser für Sicherheit in des Königs von Preußen Truppen allzusammen haben. Gebt mir diesen Mann und Robinson – der Prinz legte die Hände auf die Schultern der Vertreter Hollands und Englands – und wir wollen die ganze Welt defiiren.“ Das nächste Jahr brachte neue Enttäuschungen für F. W. Am 31. Jan. 1732 starb August II. von Polen und Sachsen. Preußen hatte seit der Herstellung des Einvernehmens mit dem Kaiser auch mit dem benachbarten Dresdner Hofe freundschaftliche Beziehungen angeknüpft, die durch intimen persönlichen Verkehr von Hof zu Hof – Patron und Compatron pflegten sich die beiden Fürsten zu nennen – gepflegt wurden. Immerhin mußte F. W. wünschen, daß bei Erledigung des Thrones die wiederholte Wahl eines Kurfürsten von Sachsen ausgeschlossen bleibe; die Vereinigung Sachsens mit Polen widersprach dem preußischen Interesse. Die Vertreter der Höfe von Wien und Petersburg hatten ihm vor dem Tode August II. vertragsmäßige Sicherheit nach dieser Richtung hin proponirt, dann aber wurden die Unterschriften für die bereits vereinbarten Stipulationen verweigert. Der Sohn des verstorbenen Königs wurde der Candidat der Kaiserhöfe für die polnische Königswahl, weil er sich bereit fand, Karls VI. pragmatische Sanction zu garantiren. Die Wahlstimmen zersplitterten sich auf August III. und auf Stanislaus Lescinsky, den einstigen Clienten Karls XII., nunmehrigen Schwiegervater Ludwigs XV. Frankreich erklärte zu seinen Gunsten dem wiener Hofe den Krieg, in Berlin bot es für die Unterstützung des Stanislaus einen Theil von Westpreußen. Trotz allem was geschehen, glaubte F. W. die Verpflichtung seines Vertrags mit dem Kaiser erfüllen zu müssen. Er erbot sich mit seiner ganzen Macht in den Krieg einzutreten; in Wien wollte man nur das vertragsmäßige Hülfscorps von 10000 Mann. Es folgten die beiden schlaffen Feldzüge von 1734 und 1735, an dem ersten nahm der König in Person Theil. Dann überraschte der wiener Hof seinen Bundesgenossen und die Welt durch seinen Friedensschluß mit Frankreich (3. October 1735). Die alten Gegner seit der Zeit Karls V. und Franz I. hatten sich die Hand gereicht und blieben Verbündete.

Die neue Freundschaft zu ehren opferte der Kaiser völlig die Interessen des alten Verbündeten. Wollte Karl VI. Frankreichs Garantie für die Integrität der österreichischen Erblande erlangen, so mußten die von Frankreich begünstigten Wittelsbacher entschädigt werden, die beim Aussterben der Habsburger das größte Recht auf diese Lande zu haben glaubten. Wie aber konnte man sie besser entschädigen, als wenn man ihnen in ihrer pfalzsulzbachischen Linie die Herzogthümer Jülich und Berg zuwandte. Auch der Papst erhob Einspruch in Wien gegen die Ueberlassung der Herzogthümer an das protestantische Preußen. Am 10. Februar 1738 wurden in Berlin auf die Initiative des Kaisers und Frankreichs von vier Großmächten [651] identische Noten übergeben: der Kaiser, Frankreich, England und Holland forderten von F. W., die jülich-bergsche Frage ihrer Entscheidung zu überlassen. Die Antwort Friedrich Wilhelms war eine würdige und entschiedene Ablehnung. Die Großmächte wußten sich über die gegen Preußen zu ergreifenden Maßregeln nicht zu einigen, doch unterzeichneten am 13. Januar 1739 die Bevollmächtigten des Kaisers und Frankreichs zu Versailles einen Vertrag, der für den Todesfall des Kurfürsten von der Pfalz den provisionellen Besitz von Jülich und Berg dem Pfalzgrafen von Sulzbach sicherte.

Von dem Kaiser verlassen, mit England seit lange verfeindet, auch Rußland entfremdet seit dem polnischen Thronstreit, war F. W. am Ende seiner Tage genöthigt sich den Franzosen zu nähern, gegen die er Zeit seines Lebens die größte Abneigung gehabt hatte. Bescheiden genug war der Gewinn, den man ihm versprach: in dem Vertrag vom 5. April 1739 garantirte ihm Frankreich einen Theil von Berg ohne Düsseldorf. Wie man in Versailles dieses Abkommen mit den kurz zuvor gegen den Kaiser übernommenen Verpflichtungen vereinbarte, muß dahingestellt bleiben.

Fragen wir nach den Gründen für die Mißerfolge der auswärtigen Politik Friedrich Wilhelms, so liegen sie zum Theil in seiner natürlichen Anlage. Eine diplomatische Verwickelung nennt er eine Teufelsgeschichte, die ihn von nützlicheren Sachen abziehe. Bei den Verhandlungen war er oft zu mißtrauisch, öfter zu leichtgläubig, zu ungeduldig und zu wenig zurückhaltend; bei denen mit Seckendorff kamen die preußischen Minister wol in die sehr peinliche Lage, sich von dem fremden Diplomaten sagen lassen zu müssen, was ihres Königs eigentliche Meinung sei, weil der König mit dem Gesandten dieselbe Frage, welche die Minister diplomatisch mit ihm verhandelten, zwanglos besprach. Und was dem 18. Jahrhundert als politisches Meisterstück galt, Verpflichtungen zu übernehmen in der Absicht, sie nicht zu erfüllen, Verträge einzugehen, um sie zu brechen – ihm galt solche diplomatische „Windschlägerei“ als moralische Verworfenheit. Voll Seelenangst sagt er einmal: „Ich werde Gott bitten, wenn ich eine Rolle spielen muß, die sonderbar ist, aber ich spiele sie ungern, denn es ist nicht für einen honneten Mann“. Auch da, wo es gegolten hätte, mit dem Schwerte sich Achtung zu verschaffen, scheute er vor der Verantwortung zurück; seinem Nachfolger empfiehlt er in der erwähnten Instruktion von 1722, „zu seiner eigenen Beruhigung“ den Frieden so lange als möglich zu bewahren. Oft genug war er einen Schritt zurückgewichen, aber eines Tags war doch der Augenblick gekommen, wo das Maß voll und der König entschlossen war, Alles an Alles zu setzen. „Besser mit Ehre nichts haben, als sich wohl zu befinden in Unehre“, schrieb er angesichts jener identischen Noten der Großmächte; „dazu bin ich zu alt, mich auf meine funfzig Jahre zum Hundsfott machen zu lassen“. Preußens Genius wollte, daß der Kampf gegen Europa noch zwanzig Jahre vertagt blieb, bis ein Stärkerer als F. W. ihn aufnehmen konnte. Das Herzeleid, das zumal das Verhalten des wiener Hofes dem alternden König zufügte, war unsäglich. „Wenn man den König nicht wegen Berg befriedigen will“, hatte Seckendorff vor Unterzeichnung des Vertrages von 1728 seinem Hofe vorgestellt, „so wäre nach meinem Dafürhalten besser gewesen, man hätte sich nie mit dem Könige in diese Negociation eingelassen; es würde des Königs Haß, Zorn und Rache unausbleiblich sein, weil er in dem festen Gedanken stehen würde, man habe ihn absichtlich verspottet und ihn nur die Freundschaft Englands und Frankreichs verlieren machen wollen“. Was Seckendorff vorausgesehen, trat ein. Am 17. April 1732, noch vor der Zusammenkunft in Prag, ließ den König ein Gespräch mit Seckendorff – es war im Dorfe Priort im Osthavellande – über die Absichten der österreichischen Staatskunst klar sehen. „Mein lieber Sohn“, sagte er später zu dem Kronprinzen, „ich [652] sage dir, daß ich meinen Tod zu Priort geholt habe, und ich bitte dich um Alles in der Welt, traue denen Leuten nicht, die auch noch so viele Versprechungen machen. An dem Tag da kam ein Mann zu mir, das war als wenn man mir einen Dolch im Leibe umgewandt hätte“. Am 22. Dec. 1734 schrieb er an Seckendorff: „Ich für meine Person habe alle Veneration für den Kaiser, aber nach meinem Tode wird das Haus Brandenburg den Kaiser und sein Haus abandonniren und eine andere Partei nehmen, weil das Haus Brandenburg so lädirt, also daß Preußen wie ein Papagei im Käfig sieht; das muß das Haus Brandenburg auswetzen“. In solch schneidendem Weh war es auch, daß der König, auf seinen Sohn weisend, dem gepreßten Herzen durch das ahnungsvolle Wort Luft machte: „Da steht einer, der mich rächen soll“. Noch auf dem Sterbebette sprach er zu dem Sohne von der „invariablen Maxime“ der österreichischen Politik, Preußen niederzuhalten.

Das Verhältniß Friedrich Wilhelms I. zu diesem seinem Sohn ist die Episode aus seinem Leben, die am häufigsten erzählt worden, wie sie die bewegteste und psychologisch anziehendste ist. Es liegt eine eigenthümliche Tragik darin, wenn dieser König, der krasseste, unumschränkteste Selbstherrscher, der in die weitesten Kreise, befehlerisch, keinen Widerspruch duldend, mit seiner rauhen Hand sich eindrängte, wenn dieser Mann im engsten Kreise, in seinen persönlichen Verhältnissen als Hausherr und Vater, der Schranken seiner Allgewalt inne werden mußte, an dem eignen Sohne erfahren mußte, daß es dem Menschen nicht gegeben sei, den andern nach seinem Bilde zu schaffen. Was hatte er nicht versucht, der genialen Anlage in dem Sohne, die er nicht verstand oder nicht anerkennen wollte, eine andere Richtung zu geben; wie wurmte es ihn, daß der Sohn „nichts nach des Vaters Willen thue, als mit Force gezwungen“. Allerdings hatte des Vaters Bestreben einen Grad von Berechtigung. Die Verirrungen und Ausschweifungen des leidenschaftlichen und leichtsinnigen jungen Prinzen waren mit Nichten so unschuldig, so entschuldbar; was wurde dieser Prinz auf einem Throne, wenn sein schweifender Geist nicht zur Stetigkeit, sein heißes Blut nicht zur Abkühlung kam? Auch ein minder strenger Vater möchte sich zu ernstem Eingreifen veranlaßt gesehen haben. Verhängnißvoll aber wurde, daß F. W., seiner selbst nicht hinreichend Herr, von seinem ungestümen Naturell fortgerissen – er nennt sich selbst einen Cholericus – durch eine wenig pädagogische Behandlungsweise das verdarb, was er bessern sollte, und es zu einer allmählichen, normalen Klärung und Abgährung des schäumenden Jugendübermuthes nicht kommen ließ. Die traurige Verwickelung trieb einer gewaltsamen Lösung zu. Je öfter der König schalt und schlug, um so mehr entfremdete sich ihm der Kronprinz, zumal wenn er an der Mutter, an der älteren Schwester einen Rückhalt fand. „Ich habe Euch aufs Allerrüdeste und Härteste tractiret“, sagte der König nach der Katastrophe, „in Hoffnung, Ihr würdet in Euch gehn und Eure Conduite ändern, mir Eure Fauten offenbaren und um Vergebung bitten, aber Alles umsonst, und Ihr seid immer verstockter geworden“. Das empörende Wort, daß er nach einer körperlichen Mißhandlung an den 18jährigen richtete: „Wenn sein Vater ihn so behandelt, würde er sich erschossen haben“ – bestärkte den Verirrten in einem bereits gefaßten Vorsatz. Am Morgen des 4. August 1730 versuchte er zu entfliehen und wurde festgehalten. „Beklagen Sie einen unglücklichen Vater“ schließt die Weisung des Königs an die Oberhofmeisterin, der Königin von dem Vorgefallenen in schonender Weise Kenntniß zu geben. In einem Staate, der ganz auf Disciplin und Pflichttreue gegründet war, hatte der dem Throne am nächsten Stehende ein Beispiel der Pflichtvergessenheit und Desertion gegeben, hatte Offiziere der Armee verführt, diesem Beispiele zu folgen. Auch ihr politischer Hintergrund fehlte der Familientragödie nicht. Man kennt zur Genüge jenes Auftreten des Ritter [653] Hotham am berliner Hofe, der im Auftrage des Königs von Großbrittannien für eine Doppelheirath der preußischen und englischen Königskinder warb und intriguirte. Jetzt ergaben sich die Spuren von der zweideutigen Rolle, welche die englische Diplomatie bei dem Fluchtversuch gespielt hatte; auch der französische Hof schien nicht ganz unbetheiligt zu sein. Durften sich im hohenzollerschen Hause die Vorgänge von 1686, die Durchsteckereien des Erbprinzen mit fremden Diplomaten wiederholen? Der König stellte die militärische Seite des Vergehens in den Vordergrund. Der Prinz wurde vor ein Kriegsgericht gestellt. Schwere Seelenkämpfe bewegten den Vater. In schlaflosen Nächten ließ er sich von Berlin nach Wusterhausen fahren und jagte wieder heim, ohne Ruhe zu finden. Ob er den furchtbaren Entschluß hätte fassen können, den Sohn mit dem Tode zu bestrafen, ist nicht zu entscheiden. „Ein einigermaßen haltbarer Beweis für die angebliche Absicht ist nirgends beigebracht worden“. Das Kriegsgericht erklärt sich für incompetent. Drei Tage lag das Gutachten bei dem Könige. Mit eigener Hand hat er sich an einem dieser Tage die Schriftstelle aus der Geschichte König Davids notirt: „Wenn Du mir tausend Silberlinge in die Hand gewogen hättest, so wollt’ ich dennoch meine Hand nicht an des Königs Sohn gelegt haben. Denn der König gebot und sprach: Hütet Euch, daß nicht Jemand dem Knaben Absalom Leide thue“. Am 1. November entschied er, daß „Gnade vor Recht“ ergehen sollte.

Die Katastrophe, gleich erschütternd für den Vater wie für den Sohn, sie wirkte mildernd auf den einen, läuternd auf den andern. Zwar blieb ein Stachel in des Kronprinzen Seele, den das Leben an der Seite einer ihm wider seinen Willen zugeführten Gattin nicht abzustumpfen geeignet war. Aber er lernte des Vaters Wesen verstehen, in dem Maße als er des Vaters Wirken, seine großartigen Schöpfungen verstehen und bewundern lernte. Als er 1739 nach Ostpreußen kam, sah er mit Staunen und Stolz, was dort sein Vater geschaffen: der König, schreibt er von Insterburg aus an Voltaire, habe bei Beginn seiner Regierung dort 12–15 entvölkerte Städte, 4–500 wüste Dörfer, ein verkommenes Land gefunden, nun sei das Land bestellt, sei reicher und fruchtbarer als irgend eine Gegend Deutschlands: „und das Alles dankt man allein dem Könige; er hat es nicht nur befohlen, sondern hat selbst der Ausführung vorgestanden, hat Alles entworfen und vollzogen, keine Anstrengung, keine Mühe und Sorgfalt, keine noch so großen Summen gespart, um einer halben Million denkender Wesen ein menschliches Dasein und Glück zu schaffen, das sie allein ihm verdanken“. – Und der Vater an seinem Theile ließ es an aufrichtigem Bestreben, seine Abneigung gegen die nun einmal nicht zu nivellirende Eigenart des Sohnes niederzukämpfen, nicht fehlen. Der innerste Kern von Gutherzigkeit, Weichheit und Vaterliebe kam immer mehr in ihm zum Durchbruch. Als er im Herbst 1734 auf der Heimkehr aus dem Feldzuge an der Wassersucht schwer erkrankt den Tod erwartete, hatte er den Trost, den Prinzen in wahrer Trauer an seinem Krankenbette zu sehen. „Der Prinz hat sich die Augen ganz aus dem Kopfe herausgeweint“, schreibt Seckendorff, „der König nennt ihn immer Fritzchen“. „Ich kann mich nicht genug über den König freuen“, schreibt Friedrich selbst bei einer andern Gelegenheit, „er ist so, wie ich mich immer gesehnt habe, daß er gegen mich sein möge“. Freilich zog sich auch am Abendhimmel dieses rauhen Lebens noch manches Gewölk des Mißtrauens und der Mißverständnisse in Haus und Familie zusammen. Von Natur reizbar und losbrausend, verbittert durch die Niederlagen seiner auswärtigen Politik, schwer gebeugt durch schmerzhaftes körperliches Leiden – er lebte seit 1734 nur durch die Kunst der Aerzte – gequält durch stete Todesgedanken, die für den kaum Fünfzigjährigen etwas unendlich Peinigendes und Verdüsterndes hatten, [654] war F. W. auch jetzt noch ein Familienvater, der viel Nachsicht, viel Duldung brauchte. Sie verbringe ihre Tage in fortwährender Unruhe, sagte einst seine Gemahlin; gern gab sie zu, daß ihre Verwandte, die Kaiserin, an glänzenden Eigenschaften des Geistes und Herzens sie übertreffe, aber für die Kaiserin sei es auch viel leichter ihre Gaben zu entfalten, der lache die Welt, nicht ihr. Manch hartes, liebloses Wort, das über die Lippen des leidenden Königs kam, das dann von Geberdenspähern und Geschichtenträgern, von ränkesüchtigen und schadenfrohen Diplomaten, von gekauften und wohldienerischen Schranzen und Lakaien mit Begierde aufgegriffen und mit Genugthuung colportirt wurde, ist gewiß auch nach Belieben entstellt und übertrieben worden; manches Wort aber und mancher Vorgang ist gut beglaubigt. Zwei Monate vor seinem Tode konnte F. W. sein Tabackscollegium noch einmal versammeln: unerwartet trat auch der Kronprinz herein, der von Rheinsberg kam; als die Versammelten, gegen das strenge Gesetz der Tabagie, vor der „aufgehenden Sonne“ sich zu ehrerbietigem Gruß erhoben, ließ der König seinen Rollstuhl aus dem Zimmer schieben und sandte den Befehl zurück, daß die Gesellschaft ein Ende habe. Aber seine versöhnte Grundstimmung, den in schwersten Zweifeln gewonnenen Glauben an den tiefen sittlichen Fonds seines Nachfolgers, die Zuversicht, daß in dessen Händen sein Lebenswerk wohl aufgehoben sein werde, das konnten dem Sterbenden solch dunkle Augenblicke nicht rauben.

Ende April 1740 hatte er sich aus der Residenz nach seiner geliebten Soldatenstadt überführen lassen: „leb wohl Berlin“, rief er, als man ihn in den Wagen hob, „in Potsdam will ich sterben“. Am 26. Mai sandte die Königin ihrem Sohne eine Stafette nach Rheinsberg, daß er eilen müsse, wenn er den König noch lebend treffen wolle. In der Frühe des nächsten Tages traf der Kronprinz in Potsdam ein, in der Nähe des Schlosses sah er eine große Menschenmenge, in ihrer Mitte den Vater auf seinem Stuhle in der warmen Morgensonne, er gab Anordnungen für den Bau eines Diensthauses; wie er den Sohn kommen sah, streckte er ihm die offenen Arme entgegen, der Prinz sank knieend an seine Brust, weinend hielten sich Vater und Sohn umarmt. Tags darauf fand der König Kraft mit seinem Thronfolger eingehend die Lage des Staates zu besprechen. „Gott thut mir große Gnade, daß er mir einen so braven Sohn gegeben hat“, sagte er dann zu den Generalen und Ministern. Der Kronprinz küßte seine Hand und benetzte sie mit Thränen; „O Gott“, rief der König, indem er ihn umschlang, „ich sterbe zufrieden, da ich einen so würdigen Sohn und Nachfolger hinterlasse.“ Am 30. Mai übergab er ihm die Regierung, „Staat, Land und Leute, die volle Souveränität“. Tags darauf, Nachmittags 3 Uhr verschied er. „Er starb“, sagt sein Sohn, „mit der Festigkeit eines Philosophen und der Ruhe eines Christen. Er bewahrte eine bewunderungswürdige Geistesgegenwart bis zum letzten Lebenshauche, als Staatsmann seine Geschäfte ordnend, die Fortschritte seiner Krankheit verfolgend wie ein Arzt, und über den Tod triumphirend als ein Held.“

In harter Vergeltung ist F. W. nach seinem Tode für das, was er als Mensch und als Familienvater gefehlt hat, dadurch heimgesucht worden, daß seine eigene Tochter es war, die geistvolle Wilhelmine von Baireuth, die durch die boshaften Lästerungen ihrer Memoiren das Andenken des Vaters mehr verunglimpft hat, als der ganze Chor seiner sonstigen Tadler und Verläumder. Aber sie verunglimpfte dadurch mehr sich als den Vater: ihr königlicher Bruder ehrte wie den Vater so sich, durch das schöne Wort in seinen brandenburgischen Denkwürdigkeiten: Er schweige von den häuslichen Kümmernissen Friedrich Wilhelms, man müsse Nachsicht haben mit den Fehlern der Kinder mit Rücksicht auf die Tugenden eines solchen Vaters.

[655] Friedrich der Große, vor jedem andern berufen, den Werth der Leistungen und Schöpfungen seines Vaters, die er zu erproben hatte, und ihre Bedeutung für den preußischen Staat zu bemessen, sagt in seinem Urtheil über das Wirken Friedrich Wilhelms, daß nie ein Mensch mit größerem Sinn für das Einzelne geboren sei, daß F. W. bis zum Kleinsten herabgestiegen sei, um Alles zu einem einheitlichen und vollendeten Ganzen zusammenzufassen. Friedrich erkennt es rückhaltslos an, daß dem arbeitsvollen Leben dieses Fürsten und seiner weisen Regierung das Haus Preußen die Größe verdanke, die es in der Folge erlangt. Die weltgeschichtliche Bedeutung dieser Regierung, ihren Zusammenhang mit der großen Bewegung, die das 18. Jahrhundert erfüllt, ihren Einfluß auf dieselbe hat erst eine außerhalb dieser Bewegung stehende, auf sie zurückblickende und sie übersehende Generation, hat erst die Geschichtsschreibung unserer Tage zu erkennen und klar zu stellen vermocht. Das 18. Jahrhundert schließt ab mit dem völligen Niedergange, mit der Besiegung der ständisch-aristokratischen Potenzen, aber es beginnt mit einer Erhebung, mit einem zuversichtlichen Anlaufe derselben. „In dem Maße wie die Monarchie unumschränkter und die Unumschränktheit unvernünftiger wird, versucht die alte Libertät mit ihren ständischen Formen und Privilegien neue Befugnisse zu gewinnen. Diesem alten Unwesen der Libertät, das seit Cromwell und der Fronde, seit der Lex Regia in Dänemark und der Souveränität in Preußen, in der Ebbe gewesen, bietet jetzt England mit seiner ‚glorreichen Revolution‘ und seiner ‚glücklichen Constitution‘ neuen Ruhm und neues Vorbild“. In Frankreich mit der Regentschaft und in Schweden mit dem Tode Karls XII., in Kurland, in Mecklenburg und andern deutschen Territorien, überall setzt eine feudale Reaction ein. Inmitten dieses anschwellenden Meeres, das die Monarchie zu überfluthen droht, begründet F. W. I. seine Souveränetät wie einen Rocher de bronze. „Noch waren in der romanisch-germanischen Welt die Kräfte eines Landes wol nie so zusammengenommen worden. Kaiser Friedrich II., an den man denken könnte, verfolgte doch bei seiner Verwaltung von Neapel ein diesem Lande fremdes Ziel. Unter Ludwig XIV. stellte sich nicht selten Louvois den Absichten Colberts entgegen. In Preußen durchdrangen einander Mittel und Zweck, und in allen Zweigen herrschte nur Ein das ganze umfassender Verstand.“ Der Widerhall, den der Schmerzensschrei der Magdeburger Ritterschaft, als F. W. ihren Trotz beugte, ringsum beim Adel fand, beweist, wie die ständischen Gewalten allerorten sich solidarisch fühlten, als wie revolutionär das Vorgehen des preußischen Königs empfunden wurde. Sonst freilich ahnte, als seine Reformen in Preußen begannen, noch Niemand, „was das Neue bedeute, das in ihnen Gestalt zu gewinnen suchte, noch weniger, daß sich darin Entwicklungen ankündigten, die fortan nicht aufhören sollten, die Welt zu bewegen und nöthigen Falls zu erschüttern, um sie neu zu gestalten“. Wurde doch jetzt der Grund gelegt zu den Einrichtungen, die nach Friedrich Wilhelms Tode bei der helleren, glänzenden Beleuchtung, die seines Nachfolgers Thatenruhm auf das bisher unbeachtet gebliebene Preußen fallen ließ, die Bewunderung und die Nacheiferung Europa’s erregten und von denen die Aufklärungsphilosophie sich einen guten Theil ihrer Theorien ableitete, ohne daß sie selbst nach Theorien geschaffen worden wären; denn F. W. schuf sie, so sind seine Worte, „nach denen Principiis, die wir durch die Experienz und nicht aus Büchern gelernet haben“. In der That eine eigene Laune des Schicksals, daß es einen Mann zum ersten Träger einer neuen Bewegung sich erkor, der seiner individuellen Natur nach gegen alle neue Art als solche mißtrauisch, ihr abhold war, der selber am allerwenigsten in genialer Voraussicht dessen handelte, was im Dunkel der Zukunft lag, der ganz in den praktischen Aufgaben des Augenblicks aufging. Er ist der Vorläufer des aufgeklärten Despotismus, und seine Aeußerung „Zur Arbeit sind die Regenten geboren“, ist [656] kaum minder bezeichnend als das bekanntere, denselben Gedanken ausdrückende Wort seines großen Sohnes; aber es wäre ihm nicht beigekommen, sich als Bahnbrecher einer neuen Regierungsweise, einer neuen Idee auch zu betrachten und zu fühlen. –

„Die Decoration des Gebäudes wird eine andere sein, aber die Fundamente, die Mauern bleiben unversehrt“ – so schrieb der Kronprinz Friedrich in den Tagen vor des Vaters Tode. Noch kein preußischer König hat an dem ehernen Fels gerüttelt, auf den F. W. I. seinen Staat gegründet.

[D. Faßmann], Leben und Thaten Friedrich Wilhelms, Königs von Preußen, 2 Thle., Hamburg und Bresl. 1735, 17–41, beherrschte die Tradition für einige Jahrzehnte. Die 1741 in Holland erschienenen Biographien des Königs von Mauvillon und Martinière gehen im wesentlichen auf Faßmann zurück. Die schlechtere Seite der Ueberlieferung repräsentiren: C. L. de Pöllnitz, Mémoires pour servir à l’histoire des quatres derniers souverains de la maison de Brandebourg, 2 Thle., Berlin 1791 und die Mémoires de la margrave de Baireuth (zuerst 1810). Von einer anderen Seite wurde der Forschung Material zugetragen durch das Journal secret du Baron C. L. de Seckendorff, Tübingen 1811 und den: Versuch einer Lebensbeschreibung des Grafen F. H. v. Seckendorff, 4 Bde. (1792–94), sowie durch die Mittheilungen aus dem Seckendorff’schen Archiv bei Förster, Friedrich Wilhelm I., 3 Bde., Potsdam 1834, 35. Die sorgsamste Bearbeitung des genannten gedruckten Quellenstoffes: Stenzel, Gesch. des preuß. Staats, Bd. III, Hamburg 1841. Die richtigere Auffassung Friedrich Wilhelms I. brach sich durch in den Werken von L. v. Ranke, Neun Bücher preußischer Geschichte, Berlin 1847, 48 (jetzt als Zwölf Bücher in den Sämmtlichen Werken, Bd. XXV–XXIX); und J. G. Droysen, Geschichte der preuß. Politik, Abth. IV, Bd. II–IV (Bd. IV enthält Quellenuntersuchungen und Actenbeilagen). Von neueren Publicationen über einzelne Verhältnisse kommen vorzugsweise in Betracht: M. Beheim-Schwarzbach, Hohenzollersche Colonisationen, Leipzig 1874, S. 155–261; J. G. Droysen, Die Wiener Allianz von 1719 (jetzt in des Verfassers Abhh. zur neueren Gesch., Leipzig 1876); S. Isaacsohn, Das Erbpachtsystem in der preuß. Domänenverwaltung, Zeitschr. für preuß. Gesch. XI; G. Kramer, Neue Beiträge zur Gesch. A. H. Francke’s, Halle 1875, S. 131–186; Br. Reuter, Friedrich Wilhelm und das Generaldirectorium, Zeitschr. für preuß. Geschichte XII; G. Schmoller, Das Städtewesen unter Friedrich Wilhelm I., ebend. VIII, X, XI, XII und: Die Verwaltung Ostpreußens unter Friedrich Wilhelm I., Historische Zeitschr. XXX. – Die Briefe Friedrich Wilhelms an Leopold von Dessau hat A. v. Witzleben in der Zeitschr. für preuß. Gesch. VIII, IX herausgegeben.
y.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. Friedrich Wilhelm I., K. i. Pr. VII 645 Z. 24 v. o. l.: Gemahl der Nichte des Zaren (statt des Zaren Schwiegersohn). [Bd. 56, S. 396]


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Michael v. Klement (Kléement), aus Ungarn, Abenteurer (1689–1720)