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Artikel „Karl VI., römisch-deutscher Kaiser“ von Alfred Ritter von Arneth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 206–219, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Karl_VI.&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 02:57 Uhr UTC)
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Karl VI., römisch-deutscher Kaiser. Der 1. October 1685, an welchem Tage dem Kaiser Leopold I. von seiner dritten Gemalin Eleonore von Pfalz-Neuburg ein zweiter Sohn geboren wurde, fiel in eine für das Haus Habsburg und seine Stammlande gewiß ruhmvolle Zeit. Denn in einer Reihe von Niederlagen verloren die Türken, von Wiens Mauern zurückgetrieben, den größten Theil Ungarns, wo sie so lange Zeit hindurch den Meister gespielt hatten. Mit immer steigender Unruhe sah jedoch König Ludwig XIV. von Frankreich diese Fortschritte der kaiserlichen Waffen. Lebhaft empfand er die Besorgniß, daß nach vollständiger Ueberwindung der Türken die Reihe auch an ihn kommen und der Kaiser, auf seine siegreichen Heere gestützt, die Herausgabe des so vielfach an Deutschland begangenen Raubes verlangen könnte. Durch Erneuerung des Krieges am Rheine suchte Ludwig XIV. den Kaiser zwischen zwei Feuer zu bringen, ihm weitere Fortschritte gegen die Pforte unmöglich zu machen und nicht nur für sich selbst und für Frankreich neue Vortheile zu erringen, sondern auch die Macht des Hauses Oesterreich empfindlich zu schwächen, um ihrer in dem Kampfe, der sich voraussichtlich in nicht fernliegender Zeit um die Erbfolge in Spanien entzünden mußte, um so leichter Herr werden zu können. Denn diese Angelegenheit war es, welche schon seit Jahrzehnten die zunächst betheiligten Höfe Europa’s in höchster Spannung erhielt. Unter ihnen müssen außer dem von Madrid die von Versailles, München und Wien in erster Linie genannt werden. Auf die langdauernden, vielverschlungenen Verhandlungen, die während der letzten Decennien des 17. Jahrhunderts hierüber gepflogen wurden, kann hier selbstverständlich nicht einmal annähernd eingegangen werden. Solches ist auch um so weniger nöthig, als der österreichische Prinz, dessen zukünftiges Schicksal hiebei zunächst ins Spiel kam, selbst in den letzten Stadien jener Verhandlungen noch ein Knabe war, der an der Zustandebringung der Abmachungen, die entscheidend sein sollten für sein Los, auch nicht den geringsten Antheil nahm.

Mit Recht hatte Leopold I. nie daran gedacht, seinem ältesten Sohne Joseph außer der Nachfolge im römisch-deutschen Kaiserthume und im Besitze der österreichisch-ungarischen Länder auch noch den der spanischen Monarchie zuzuwenden, denn ganz abgesehen von der Schwierigkeit, ja der Unmöglichkeit, daß ein so unermeßliches Reich von einem Einzigen regiert werde, konnte man nicht zweifeln, daß die europäischen Mächte die Vereinigung einer so übergroßen Macht in einer und derselben Hand nie zugeben würden. Darum war man von Seite des Wiener Hofes und derjenigen, die in dieser Sache Hand in Hand mit ihm gingen, immer nur im Interesse des Erzherzogs Karl thätig. Ihn wollte man noch bei Lebzeiten Karls II. von Spanien nach Madrid senden, um durch seine persönliche [207] Anwesenheit nicht nur den König, sondern auch das spanische Volk für ihn zu gewinnen und es daran zu gewöhnen, in dem österreichischen Prinzen den zukünftigen Nachfolger auf dem Throne Spaniens zu sehen.

Dieser Plan ging jedoch nicht in Erfüllung. Karl II. starb mit Hinterlassung eines Testamentes, in welchem er den zweitgebornen Enkel Ludwigs XIV., Philipp von Anjou, zu seinem Erben erklärte. Der Letztere eilte nach Madrid und wurde, wenn auch in verschiedenen Theilen Spaniens, insbesondere in Catalonien lebhafte Sympathien für den deutschen Zweig des Hauses Habsburg und für die Nachfolge des Erzherzogs Karl auf dem spanischen Throne herrschten, doch in ganz Spanien widerstandslos als König anerkannt. Der Krieg brach aus und Philipp ging nach Italien, wo inzwischen Eugen von Savoyen den Kampf in einer für die österreichischen Waffen günstigen Weise begonnen hatte. Das deutsche Reich, mit Ausnahme der Kurfürsten von Baiern und von Köln, die Seemächte England und Holland, Portugal traten allmählich auf Oesterreichs Seite, während Frankreich außer Spanien und den zwei Kurfürsten aus dem wittelsbachischen Hause eigentlich Niemand für sich hatte, denn auch Victor Amadeus von Savoyen, der während der ersten Kriegsjahre für das Haus Bourbon stritt, verließ es wieder, weil er von Oesterreich für seine Unterstützung ausgiebiger bezahlt zu werden hoffte. Diese Alliirten aber, insbesondere die Seemächte und Portugal hielten es zur Erreichung der Hauptabsicht des Krieges für ganz unerläßlich, daß Erzherzog K. sich persönlich in Spanien einfinde, um auf dem Boden des Landes, um dessen Besitz es sich handelte, seinen Nebenbuhler zu bekämpfen.

Am 19. September 1703 verließ K., in Wien als König von Spanien ausgerufen und von den verbündeten Mächten als solcher anerkannt, seine Geburtsstadt. In Düsseldorf traf er mit Marlborough zusammen, und im Haag wurde er von dem Großpensionär Heinsius als König empfangen. Auf englischem Boden sowie in Lissabon, wo er am 4. März 1704 eintraf, geschah ein Gleiches.

Karls Ankunft in Lissabon beschleunigte wol die Eröffnung der Feindseligkeiten von Seite der Engländer und Portugiesen gegen die französisch-spanischen[WS 1] Truppen. Aber der Krieg wurde in jener Gegend mit ebenso wenig Nachdruck als Erfolg geführt, und bei Karls Jugend und Unerfahrenheit änderte auch seine persönliche Anwesenheit im Heerlager hieran nichts. Voll Mißmuth hierüber ergriff K., nach Lissabon zurückgekehrt, sehr gern die Gelegenheit, die sich ihm darbot, eine Unternehmung auf Barcelona zu versuchen, das zwar gleichfalls unter König Philipps Botmäßigkeit stand, dessen lebhafte Sympathien für die Sache des Hauses Oesterreich aber allbekannt waren. Es wird behauptet, K. selbst sei es gewesen, der die Generale, welche einen bewaffneten Angriff auf Barcelona für unausführbar ansahen, dazu vermocht habe, denselben gleichwol ins Werk zu setzen. Das Unternehmen gelang, und nach fünfwöchentlicher Belagerung Barcelona’s zog der junge König unter dem Zujauchzen der Bevölkerung in die Hauptstadt Cataloniens ein. Hier setzte er sich nun fest; durch das Versprechen, den Cataloniern die althergebrachten Rechte und Freiheiten ihrer Provinz, die Fueros unangetastet zu erhalten, gewann er sie vollends und sie blieben ihm von nun an mit einer Beständigkeit treu, welche die Anhänglichkeit der Castilianer an Philipp von Anjou noch verdunkelte. Zahlreiche Freicorps bildeten sich, welche Oesterreichs Banner durch Catalonien und Aragon trugen. Gerona, Tortosa, Lerida, Tarragona, Valencia und andere Städte öffneten Karls Truppen ihre Thore. Aber gerade diese Fortschritte spornten die Franzosen und Spanier zu verdoppelter Anstrengung an. Im April 1706 rückten sie vor Barcelona, diese Stadt zu belagern. Trotz der dringenden Vorstellungen seiner Umgebung [208] verließ K. die schwerbedrohte Stadt nicht. In und mit ihr ertrug er die äußerste Noth, die allmählich sich einstellte; durch seine Gegenwart und sein Beispiel feuerte er unablässig zum Widerstande an, und seine standhafte Ausdauer errang denn zuletzt auch den Sieg. Eine zahlreiche englische Flotte brachte den ersehnten Entsatz. Die britischen Landtruppen, die sie an Bord hatte, machten es möglich, die Offensive zu ergreifen, und gerade zwei Monate, nachdem die Franzosen und Spanier vor Barcelona erschienen waren, rückten die Engländer und Portugiesen, freilich nicht von Catalonien, sondern von Portugal kommend, in Madrid ein. Sich gleichfalls dorthin zu begeben, ging K. vorerst nach Saragossa, aber er verweilte daselbst zu lang, und durch die Niederlage, welche die Truppen seiner Verbündeten bei Almanza erlitten, trat neuerdings ein völliger Umschwung ein. Fast alle Städte, die bisher zu K. gehalten hatten, unter ihnen Saragossa und Valencia gingen verloren und K. sah seine Macht neuerdings auf Barcelona und das Fürstenthum Catalonien beschränkt. Aber er ließ darum doch den Muth nicht sinken, und die glanzvollen Siege, welche auf den anderen Schauplätzen des Krieges durch die Heere seines Bruders, des Kaisers Joseph I. und der ihm verbündeten Mächte erfochten worden waren, flößten ihm trotz der Unfälle in Spanien doch volle Zuversicht ein auf das schließliche Gelingen. Hiezu hielt er es jedoch für nöthig, daß endlich auch in Spanien der Krieg in einer ganz anderen Weise als bisher geführt, daß durch Hinübersendung einer beträchtlichen Anzahl kaiserlicher Truppen dem dortigen Heere ein fester und widerstandsfähiger Kern gegeben, daß endlich durch Einsetzung eines Oberfeldherrn eine einheitliche Leitung erzielt und den Streitigkeiten der Generale ein Ende gemacht werde. Lebhaft wünschte K. die Absendung Eugens nach Spanien, aber er war schließlich auch mit derjenigen des Feldmarschalls Grafen Guido Starhemberg zufrieden.

Daß seine Sache bisher auf spanischem Boden keine günstige Wendung genommen hatte, daran war K. selbst nicht ganz ohne Schuld. Standhafte Ausdauer war bisher fast die einzige, freilich nicht gering anzuschlagende Eigenschaft gewesen, die ihm in dem Kampfe um die von ihm so sehnsüchtig erstrebte Krone Spaniens zu Gute kam; sonst hatte er sich seiner überaus schwierigen Aufgabe nicht gewachsen gezeigt. So wenig als er vermocht hatte, den seiner Sache so verderblichen Zwiespalt zwischen seinen Generalen zu schlichten, so unbefriedigend waren auch die Zustände an der kleinen Hofhaltung zu Barcelona. Mit dem Fürsten Anton Florian von Liechtenstein, welcher ihm als erster Rathgeber beigegeben war, lebte K. im Unfrieden, wozu freilich Liechtenstein selbst, der seine Stellung in Barcelona unrichtig auffaßte und der Sache des Hauses Oesterreich in Spanien weit mehr schadete als nützte, das Meiste beitrug. Aber auch dem Herzoge von Moles, welchen Kaiser Joseph I. als Botschafter zu seinem Bruder sandte, gelang es nicht, dessen Vertrauen zu erwerben. Denn es war Karls schwache Seite, glauben zu machen, daß er allein regiere und von Niemand sich leiten lasse. Aus diesem Grunde war er gegen Männer, deren hohe Stellung ihnen ein gewisses Anrecht auf Einfluß verlieh, von Anfang an zurückhaltend und mißtrauisch. Waren sie ihm noch überdies förmlich als Rathgeber zugewiesen und suchten sie etwa ihre Ansichten mit Eifer zur Geltung zu bringen, so war es um ihren Einfluß auf ihn vollends geschehen. Um so größer war der, welchen untergeordnete Individuen, insbesondere Spanier und Neapolitaner auf ihn gewannen. Die mehr Gott als einem Menschen zu bezeigende Verehrung, sagt ein Zeitgenosse hierüber, mit welcher die Spanier ihrem Könige begegneten, den sie nur knieend zu begrüßen wagten, war ganz nach Karls Sinne und ließ ihn die minder unterwürfige Verkehrsweise seiner deutschen Umgebung fast wie einen Mangel an schuldiger Ehrfurcht empfinden. Nur Einer aus ihrer [209] Reihe, der junge Graf Michael Althan wetteiferte glücklich mit den Spaniern und Neapolitanern, wozu freilich der Eindruck, welchen seine schöne und geistvolle Gemalin Maria Anna aus dem Hause Pignatelli auf K. hervorbrachte, wohl am meisten beitrug. Die Beziehungen, in denen K. zu ihr stand, bildeten übrigens kein Hinderniß, daß gerade zu jener Zeit die Frage seiner Verheiratung ernstlich ins Auge gefaßt wurde. Der Vorliebe der Kaiserin Amalie und den Rathschlägen eines der hervorragendsten Männer, welche damals am Wiener Hofe lebten, des Grafen Johann Wenzel Wratislaw, dem K. unbedingt vertraute, mag es zugeschrieben werden, daß seine Wahl auf die Prinzessin Elisabeth von Braunschweig-Wolfenbüttel (Allg. d. Biogr. Bd. VI S. 11) fiel. Unwahrscheinlich ist es übrigens nicht, daß die Vergleichung der Bildnisse der verschiedenen für die Heirat in Vorschlag gebrachten Prinzessinnen entscheidend einwirkte auf Karls Entschluß, denn Elisabeths wunderbare Schönheit wird von denen, die ihrer damals ansichtig wurden, übereinstimmend in wahrhaft enthusiastischen Ausdrücken gepriesen. Ein verläßlicher Augenzeuge berichtet jedoch, daß K. sie niemals in ihrem vollen Glanze geschaut habe. Denn man hatte, nachdem Elisabeth zu Mataro auf spanischem Boden gelandet war, es versäumt, während der Nacht ihr Lager vor den an der Seeküste so ungemein zahlreichen Mücken ausreichend zu schützen. Von der langen Reise ermüdet, habe die junge Prinzessin fest geschlafen, sei aber bei ihrem Erwachen durch unzählige Beulen so verunstaltet gewesen, daß man sich, binnen wenig Stunden den Bräutigam erwartend, nicht anders als durch Anwendung einer sehr scharfen Säure zu helfen wußte. Dieselbe habe zwar die Geschwulst vertrieben, aber auch der früher so blendenden Reinheit und Glätte der Haut unwiederbringlich geschadet. Dennoch schrieb K. den Eltern seiner nunmehrigen Gemalin Briefe, in denen er seinem Entzücken über ihre „bewunderungswürdige“ Schönheit und ihre „übrigen, seltenen und vortrefflichen Qualitäten“ lebhaften Ausdruck verlieh. Auch seinem vertrauten Freunde Wratislaw gegenüber erklärte er, daß er „mit einer so vollkommenen Königin völlig vergnügt“ sei.

Aber freilich konnte auch Elisabeths Ankunft keine Aenderung in den so bedauerlichen Zuständen am Hofe von Barcelona hervorbringen. Obgleich ohne alle eigene Macht und lediglich auf den Beistand Anderer angewiesen, verstand es doch K., durch die ihn umgebenden schmeichlerischen Höflinge irregeleitet, nur wenig, seine Alliirten, von denen er doch ausschließlich abhing, in einer ihm günstigen Stimmung zu erhalten. Sogar seinem Bruder, dem Kaiser, und dem Wiener Hofe gegenüber war sein Verfahren durchaus kein verbindliches. Die Engländer erbitterte er durch die Weigerung, ihnen das durch ihre Truppen eroberte Minorca abzutreten, und obgleich ihm hiebei nicht ganz Unrecht gegeben werden darf, indem den Spaniern, deren Königskrone zu gewinnen er ja ausging, nichts verhaßter war als der Verlust eines spanischen Gebietstheiles an eine fremde Macht, so gereichten ihm doch die steten Mißhelligkeiten mit den Engländern nur zu empfindlichem Schaden. Und trotz der bedrängnißvollen Lage, in der er selbst sich befand, spannte K., auf die glorreichen Ergebnisse der Waffenthaten seiner Verbündeten auf den übrigen Kriegsschauplätzen sich stützend, sein Begehren immer höher. Nicht zufrieden mit dem Anerbieten Frankreichs, ihn als König der ganzen spanischen Monarchie anzuerkennen, verlangte er die Zurückstellung jener Theile der Cerdaña und Roussillons, welche im Pyrenäischen Frieden von Spanien an Frankreich abgetreten worden waren. Und als der Friedensschluß endlich an der unvernünftigen Forderung der Alliirten scheiterte, Ludwig XIV. solle, wenn Philipp in seinem Widerstande beharre, seine Streitkräfte mit denen der Verbündeten vereinigen, um seinen Enkel vom spanischen Throne zu stoßen, da herrschte hierüber nirgends größere Freude als an dem kleinen [210] Hofe von Barcelona. Gleichzeitig aber fanden Starhembergs angestrengte Bemühungen, der Kriegführung in Spanien eine bessere Wendung zu geben, an den Höflingen Karls wenn auch nicht offene, doch deshalb nicht minder gefährliche Gegner. Dringend verlangte Starhemberg, K. möge sich zum Heere begeben, und er empfing hierauf wirklich eine bejahende Antwort. Aber immer wußten die Günstlinge Karls, welche nicht mit Unrecht besorgten, derselbe könnte in solcher Weise ihrem Einflusse entzogen werden, die Ausführung dieses Vorsatzes wieder zu hintertreiben. Und schließlich stiegen auch die Geldverlegenheiten Karls immer höher und höher. Denn englischer Seits wurden alle Zuschüsse eingestellt, und auch in Wien hatte man zu solchen nur sehr wenig Lust, denn man beschuldigte K., daß er das, was man ihm zusende, nicht zur Bestreitung der Kriegsausgaben und zur Deckung der Staatsbedürfnisse verwende, sondern daß er es an seine unersättlichen Günstlinge verschenke. Aber zuletzt überwog bei dem Kaiser doch der Gedanke, daß nur das innigste Zusammenwirken mit seinem Bruder der Sache ihres Hauses förderlich sein könne. Er ließ daher nicht nur selbst ansehnliche Verstärkungen nach Catalonien abgehen, sondern er bestimmte auch die Seemächte zu ähnlichen Sendungen, insbesondere an Kriegsbedürfnissen und an Geld. Hiedurch sah sich endlich Starhemberg im Stande, den Feldzug des Jahres 1710 früher und mit reicheren Hülfsmitteln als bisher zu eröffnen. Ganz besonderen Werth aber legte er darauf, daß K. sich bei der Armee einfand. Bei Almenara lieferte Starhemberg dem Feinde ein glückliches Treffen, welches die unverzügliche Vorrückung nach Aragonien nach sich zog. Bei Saragossa wurden Philipps Truppen neuerdings und diesmal entscheidend geschlagen, und nun drangen die Engländer im Heere auf den Zug nach Madrid, während Starhemberg sich dagegen und für völlige Abschneidung aller Verbindungen Frankreichs mit Spanien aussprach. K. stimmte Starhemberg zu, und erst als er sich durch die Drohungen des englischen Generals Stanhope aufs Aeußerste gebracht sah, widersetzte er sich dem Zuge nach Madrid nicht länger. Aber er schrieb seiner Gemalin: „Wenn der Plan der Engländer gelingt, werden sie den Ruhm davon sich aneignen, und wenn er mißlingt, fällt alles Unglück auf mich allein.“ Auch nachdem man schon eine starke Wegstrecke in der Richtung auf Madrid zurückgelegt hatte, beharrte K. noch in seinem Widerwillen gegen die Ausführung dieses Projektes. Seine düstere Ahnung ging nur allzubald in Erfüllung. Am 28. September 1710 hielt er seinen feierlichen Einzug in Madrid, aber die Bevölkerung dieser Stadt, Karls Gegner zugethan, verschloß sich in ihre Häuser. Während K. unschlüssig in Madrid stand und sich vergebens bemühte die Castilier für sich zu gewinnen, wurde die hiedurch fruchtlos verlorene Zeit von den Franzosen und den Spaniern eifrigst benutzt. Ludwig XIV. sandte den Herzog von Vendome, um den Oberbefehl über das Heer Philipps, das sich von Tag zu Tag verstärkte, zu übernehmen. Bald nöthigte die Besorgniß, von Catalonien abgeschnitten zu werden, K. zum Rückzuge aus Madrid. Am 18. November verließ er unter schwacher Bedeckung sein Heer und eilte nach Barcelona. Starhemberg hoffte noch, sich in Toledo behaupten zu können, aber der Mangel, der in Folge der Abschneidung aller Zufuhr eintrat, vereitelte dieses Projekt und zwang ihn, sich der aragonischen Grenze zu nähern. Die Gefangennehmung Stanhope’s und seiner Engländer zu Brihuega fügte ihm einen höchst empfindlichen Verlust bei, und wenn auch Starhemberg am 10. December 1710 die heftigen Angriffe Vendome’s bei Villaviciosa mit unbeugsamer Standhaftigkeit abwies, so mußte er doch jetzt Castilien und bald darauf auch Aragon räumen. Am letzten December verließ er Saragossa und fünf Tage später traf er zu Balaguer ein, wo er seine Truppen in Cantonirungen verlegte. Als am 1. Februar 1711 auch Gerona sich den Franzosen ergab, da war die Macht Karls in Spanien wieder [211] in einen nicht viel größeren Umkreis eingeengt, als sie nach seiner ersten Festsetzung in Barcelona umfaßt hatte.

Auch jetzt ließ K. gerade so wie in den früheren Unglücksfällen, von denen er betroffen worden war, den Muth nicht sinken, sondern er legte in unzweideutigster Weise die Absicht an den Tag, standhaft auszuharren und das Aeußerste aufzubieten, um das Geschehene wieder wettzumachen und auch auf spanischem Boden neuerdings die Oberhand zu gewinnen. Der Kaiser sagte ihm hiezu nachdrückliche Unterstützung zu und auch die Seemächte erklärten sich bereit, noch fortan auf der bisher verfolgten Bahn zu verharren. Da trat plötzlich ein Ereigniß ein, welches den Bemühungen Karls, sich zum Könige von Spanien zu machen, einen wahrhaft vernichtenden Schlag versetzte. Nach zehntägiger Krankheit starb am Morgen des 17. April 1711 Kaiser Joseph I. an den Blattern, und seine Mutter Eleonora übernahm bis zum Eintreffen einer näheren Bestimmung von Seite Karls, des nunmehrigen Erben aller Kronen des Hauses Habsburg, die Regentschaft. An ihn selbst aber erging die dringendste Aufforderung, Spanien unverzüglich zu verlassen, sich nach Wien zu begeben und von seinen Erbländern Besitz zu ergreifen.

Schon in früheren Jahren hatte K. die Möglichkeit, daß sein älterer Bruder Joseph sterben, und da derselbe nur zwei Töchter besaß, er selbst zur Nachfolge in dem Besitze der österreichischen Länder berufen werden könnte, ins Auge gefaßt und diesen Fall in seiner vertrauten Correspondenz mit Wratislaw eingehend besprochen. Es sei kein Zweifel, hatte K. damals, im December 1706 gemeint, daß wenn die Vereinigung der österreichischen und der spanischen Länder unter seinem Scepter, obwol eifrigst zu erstreben, doch durchaus nicht zu erreichen sei, er auf Spanien verzichten und neben den österreichischen Ländern den Besitz der italienischen Provinzen festhalten sollte. Seither hatten aber der lange Aufenthalt in Spanien, der unausgesetzte, so hartnäckig geführte Kampf um dessen Krone, der glänzende Erfolg, der, wenn auch nicht in Spanien, so doch auf den anderen Kriegsschauplätzen von Karls Alliirten errungen worden, seine lebhafte Sympathie endlich für das Land und dessen Bewohner ihn dem Gedanken immer mehr und mehr entfremdet, daß doch noch ein Fall eintreten könnte, in welchem er, freilich nur um einen noch höheren Preis zu erlangen, sich zu einer Verzichtleistung auf die spanische Krone entschließen müßte. Jede derartige Zumuthung wies K. vielmehr weit von sich ab und er zeigte sich fest entschlossen, kein Mittel unversucht zu lassen, um den ganzen Länderbesitz Karls V. unter seinem Scepter wieder zu vereinigen. „Es wäre nicht gut“, schrieb er in den letzten Tagen des Mai 1711 an Wratislaw, „nur an die Möglichkeit zu denken, daß Spanien von meinem Hause losgetrennt werden könnte.“ Aber er fügte doch auch einlenkend hinzu: „Sollte Gott es nachher so schicken, daß wir Spanien nicht zu behalten vermöchten, so wird dann an die weiteren Maßregeln zu denken sein.“ Und dem Gewichte der Gründe, welche seine persönliche Anwesenheit in Deutschland und Oesterreich verlangten, hat er sich schon von allem Anfange an nicht völlig verschlossen. Gleichwol bedurfte es noch sehr langer Zeit und unablässigen Drängens sowol von Wien aus als von Seite der Deutschen in seiner Umgebung, bis endlich K., seine Gemahlin Elisabeth als Regentin in Barcelona zurücklassend, am 27. September 1711 sich nach Italien einschiffte. Das Verbleiben der Königin sollte den Spaniern und insbesondere den Cataloniern ein unwiderleglicher Beweis sein, daß K. von nichts weiter entfernt sei als sie fallen zu lassen. Und hauptsächlich dachte er hiedurch die Seemächte von der Unwandelbarkeit seines Vorsatzes, festzuhalten an seinen Ansprüchen auf die Krone Spaniens, zu überzeugen und sie zu gleichem Vorgehen zu bewegen. Am 12. October, an demselben [212] Tage, an welchem K. in Frankfurt zum deutschen Kaiser gewählt wurde, stieg er zu Vado ans Land. Von Mailand aus that er neue Schritte, um England, wo gegen Ende des Jahres 1710 die Whigs von den Tories aus der Leitung der öffentlichen Geschäfte verdrängt worden waren, zu nachdrucksamer Fortführung des Krieges gegen Frankreich und Spanien zu vermögen. Aber noch ehe K. in diesem Sinne an die Königin Anna schrieb, waren schon, ohne daß er dies ahnte, die Friedenspräliminarien zwischen England und Frankreich abgeschlossen worden. Ueber den eigentlichen Gegenstand des Streites, die Nachfolge auf dem spanischen Throne war freilich eine bestimmte Abmachung darin nicht enthalten. Dennoch konnte man über die Stellung, welche England in dieser Beziehung einnehmen werde, kaum mehr einem Zweifel sich hingeben. Um jedoch gar kein Mittel unversucht zu lassen, daß es auch in letzter Stunde noch vermocht werde, eine für ihn günstigere Bahn einzuschlagen, sandte K. den Prinzen Eugen nach London. Er selbst begab sich zur Kaiserkrönung nach Frankfurt, wohin ihn die Kurfürsten unter Hinweisung auf Karl V. beriefen, der in gleicher Lage Aehnliches gethan habe und aus Spanien unmittelbar nach Aachen gegangen sei. Ueberhaupt wurde der glorreiche Name dieses Kaisers damals mehr als vielleicht seit einem Jahrhunderte wieder genannt. Hoffnungsvolle Gemüther glaubten an die Rückkehr der Ruhmeszeit des großen Habsburgers; Karls Ohr aber schmeichelte jede Berufung auf seinen erlauchten Vorfahr, denn er erblickte darin einen Beweis für die Durchführbarkeit seines sehnlichen Wunsches, die deutsche Kaiserkrone, die österreichischen Erblande und die spanische Monarchie gleichzeitig zu besitzen. Das Scheitern der Mission Eugens nach England brachte ihm die erste Enttäuschung, dennoch hielt K. fest an dem Gedanken der Fortsetzung des Krieges. Aber in Folge der mehr als zweideutigen Haltung des Herzogs von Ormond, der die englischen Truppen in den Niederlanden commandirte, und der schließlichen Trennung derselben von dem Hauptheere konnte kein entscheidender Schlag gegen den Feind mehr geführt werden, ja mancher schon errungene Erfolg ging wieder verloren. Und als dem Kaiser in Folge dessen auch von Holland her dasjenige Wort entgegenschallte, das ihm am schmerzlichsten zu vernehmen war, die Hinweisung auf die Nothwendigkeit, dem Gedanken der Erwerbung der spanischen Krone zu entsagen, da fanden endlich auch die Vorstellungen Wratislaws Eingang bei ihm. Allein aus Karls ganzer Umgebung wagte Wratislaw ihm zu Gemüthe zu führen, daß es Unrecht sei, seine Erbländer zu Grunde zu richten, um der Verwirklichung eines Lieblingsplanes nachzujagen, der unter so gänzlich veränderten Verhältnissen unmöglich geworden sei. Aber weiter als zu dem Entschlusse, Catalonien zu räumen, konnte K. auch jetzt nicht gebracht werden. Noch einmal versuchte er, und zwar ohne einen anderen Verbündeten als das damals nur wenig kriegstüchtige deutsche Reich, das Glück der Waffen, aber dasselbe war ihm nicht günstig, und so mußte sich denn auch K., nachdem seine Alliirten schon im vergangenen Jahre zu Utrecht Frieden geschlossen hatten, hiezu gleichfalls bequemen. In Rastadt kam derselbe am 7. März 1714 für den Kaiser, in dem schweizerischen Baden aber am 8. September für das deutsche Reich zu Stande. Die Niederlande, Mailand, Sardinien, Neapel und die Plätze an der Küste Toscana’s waren diejenigen Bestandtheile der spanischen Monarchie, die in den Besitz Karls gelangten. Vier Tage nach Abschluß des Friedens fiel auch Barcelona, zuletzt nur noch von den Catalanen heldenmüthig vertheidigt, vor der Uebermacht der Franzosen und Spanier. Furchtbar hausten die entmenschten Sieger in der eroberten Stadt und die Nachricht von ihrem grausamen Schicksale wurde von K. auf das Schmerzlichste empfunden. Damals soll er gesagt haben, bei seinem Tode werde man den Namen Barcelona in seinem Herzen eingegraben finden.

[213] Dieses an und für sich gewiß berechtigte, ja edle Gefühl dankbarer Erinnerung des Kaisers an das, was ein Theil der Spanier, insbesondere die Catalanen für ihn geleistet, zog jedoch in seinem Einflusse auf die Handlungsweise Karls ungemein nachtheilige Folgen nach sich. Eine der wichtigsten bestand darin, daß man schon bei dem Friedensschlusse es versäumte, auf dem Austausche der bisher spanischen Niederlande gegen Baiern zu bestehen, wodurch das Uebergewicht Oesterreichs in Deutschland und dasjenige des deutschen Elementes in Oesterreich dauernd sichergestellt worden wäre. Aber die Spanier in der Umgebung des Kaisers drangen in ihn, sein Augenmerk auf nichts so sehr als darauf zu richten, möglichst viele Provinzen, welche vormals unter spanischem Scepter gestanden waren, nun unter dem seinen zu vereinigen. Denn hieraus mußten, da der Kaiser diese Provinzen in der vormaligen spanischen Weise fortzuregieren gedachte, viele und gut dotirte Stellen ihnen anheimfallen. Brachten sie doch K. dahin, eine neue, aus zahlreichen Mitgliedern bestehende Behörde einzusetzen, die den Namen des spanischen Rathes erhielt, bei der das Spanische als Geschäftssprache eingeführt und der alles dem Hause Oesterreich verbliebene, vormals spanische Besitzthum in Italien untergeordnet wurde. Diese Maßregel war um so verkehrter, als jene Länder, insbesondere Mailand und Neapel sich hauptsächlich aus dem Grunde mit so großem Eifer dem deutschen Zweige des Hauses Oesterreich zugewendet hatten, um der ihnen verhaßten spanischen Regierung los zu werden. Jetzt sollten sie neuerdings unter eine solche, nur mit dem nichtsbedeutenden Unterschiede gestellt werden, daß dieselbe zu Wien und nicht zu Madrid ihren Sitz hatte. Man war daher in den italienischen Provinzen hierüber nicht weniger verstimmt, als die deutsch-österreichischen Länder sich durch die auffallende Bevorzugung der Spanier am Wiener Hofe verletzt fühlten. Dieselbe ging um so weiter, als K. ganz ungerechter Weise gerade den Deutschen das zur Last legte, was er als das Unglück seines Lebens betrachtete, den Verlust der spanischen Krone. Statt sich die unermeßlichen Opfer ins Gedächtniß zurückzurufen, welche die österreichischen Erbländer gebracht hatten, um ihm die Krone Spaniens zu erkämpfen, fand er, daß zur Erreichung dieses Zieles noch zu wenig geschehen sei. Viel ausgiebiger hätte man ihn mit Geld und mit Truppen unterstützen sollen, auf daß er noch bei Lebzeiten seines Bruders den spanischen Thron hätte besteigen können; dann wären ihm nach Josephs Tode doch auch die Kaiserkrone und die österreichischen Erbländer zugefallen. Für das Scheitern dieses Lieblingswunsches war es K. auch kein Ersatz, daß ihm, als ihn im J. 1716 seine Parteinahme für Venedig gegen die Pforte mit der Letzteren in Krieg verwickelte, bei Peterwardein ein glänzender Sieg errungen und in Folge dessen Temeswar erobert wurde. Im nächsten Jahre aber schlug Eugen von Savoyen, welchem K. diese Waffenthaten verdankte, die Türken bei Belgrad aufs Haupt und nahm diese Festung, die so lange Zeit hindurch als die Hauptstütze der osmanischen Herrschaft im südöstlichen Europa gegolten hatte. Durch den am 20. Juli 1718 zu Passarowitz abgeschlossenen Frieden gelangten Temeswar mit dem Banate und Belgrad mit dem nördlichen Theile Serbiens, wie es factisch bereits geschehen war, auch völkerrechtlich in Karls Besitz. Und gleichzeitig kam ein Handelsvertrag mit der Türkei zu Stande, welcher Oesterreich sehr große Vortheile darbot.

Die Versuchung liegt nahe, über Karls Charakter ein härteres Urtheil zu fällen als derselbe wirklich verdient, wenn man sieht, wie Eugen trotz seiner Großthaten für Oesterreich von der spanischen Partei am Wiener Hofe und deren Genossen zum Gegenstande einer Intrigue gemacht werden konnte, die auf nichts Geringeres als den Sturz des Prinzen abzielte. K. war schwach genug, den Verleumdungen, die man wider Eugen vorbrachte, sein Ohr nicht völlig zu verschließen und zu gestatten, daß man ihm über die verbrecherischen Plane, die [214] man dem Prinzen andichtete, noch ferner berichte. Eugens unerschrockenem Auftreten gelang es jedoch, das so fein gesponnene Netz zu zerreißen, und K. zeigte sich eifrig bemüht, dem Prinzen die ihm gebührende Genugthuung zu Theil werden zu lassen. Ueber die Unlauterkeit der Beweggründe, durch welche seine Günstlinge zum Mißbrauche ihres Einflusses auf ihn angetrieben wurden, vermochte man ihm freilich niemals die Augen völlig zu öffnen. In den Verhandlungen, die in den Jahren 1718 und 1719 wegen Aufgebung der Ansprüche Karls auf die spanische Krone und über die Vertauschung Sardiniens gegen Sicilien stattfanden, sowie in den Vorkehrungen, welche nothwendig wurden, um sich der letzteren Insel durch die Gewalt der Waffen zu bemächtigen, spielten die Spanier am Wiener Hofe eine sehr hervorragende Rolle. In geringerem Grade machte ihr Einfluß bei den Maßregeln sich fühlbar, welche von Seite des Kaisers nach dem Scheitern des Planes, die Krone Spaniens zu erwerben, mit gleicher Ausschließlichkeit ergriffen wurden, um die Nachfolge in dem Besitze der österreichischen Länder zu ordnen. Eigenthümlich ist es, daß er den ersten und wichtigsten Schritt hiezu in einem Augenblicke that, in welchem ihm aus fast siebenjähriger Ehe noch keine Kinder geboren waren, und daß er schon zu einer Zeit, in der er weder Söhne noch Töchter besaß, eifrig darauf ausging, den letzteren vor denen seines Bruders Joseph und vor seinen eigenen Schwestern das Nachfolgerecht in der Herrschaft über die österreichischen Länder zu sichern.

Am 19. April 1713 wurde die pragmatische Sanction, dieses so berühmt gewordene Grundgesetz des Hauses Oesterreich, vom Kaiser den vornehmsten Würdenträgern seines Reiches zuerst bekannt gemacht. Es bestimmte, daß alle österreichischen Länder stets ungetheilt vereinigt bleiben, daß sie zunächst auf die männlichen Nachkommen des regierenden Kaisers, in deren Ermanglung aber auf dessen Töchter, und erst wenn auch keine solchen vorhanden wären, auf die Töchter des Kaisers Joseph I. und deren männliche und weibliche Nachkommenschaft, jederzeit nach dem Rechte der Erstgeburt vererbt werden sollten. Gerade drei Jahre nach Erlassung der pragmatischen Sanction, am 13. April 1716 wurde dem Kaiser ein Sohn geboren. Aber nach wenigen Monaten starb er, und da K. nur noch Töchter erhielt, so trat der Conflict der pragmatischen Sanction mit der Erbfolgeordnung seines Vaters Leopold ein, nach welcher bei dem Aussterben des Mannesstammes des habsburgischen Hauses zuerst dessen eigene, dann die Töchter seines älteren Sohnes Joseph und dann erst diejenigen Karls nachzufolgen hatten. Die Berechtigung des Letzteren, diese Anordnung zu ändern, ist wol nicht zu bestreiten, und obgleich er bis an sein Lebensende die Hoffnung nicht vollständig aufgab, es könne ihm noch ein Sohn geboren werden, so arbeitete er doch mit rastlosem Eifer daran, für den Fall, daß dies nicht geschehen sollte, seiner ältesten Tochter die unbestrittene Erbfolge in allen österreichischen Ländern zu sichern. Ohne Zweifel erzielte er hiedurch auch eine seinen Absichten ersprießliche Wirkung. Denn durch einen Zeitraum von fast dreißig Jahren gewöhnten sich seine Erbländer daran, dasjenige Gesetz, welches sie feierlich anerkannt hatten und das ihnen fortwährend als Grundlage ihres öffentlichen Rechtszustandes hingestellt wurde, auch als solche zu betrachten. Und ebenso blieben auch den fremden Mächten gegenüber die zahlreichen, freilich nicht selten allzu kostspieligen Opfer, welche der Kaiser darbrachte, um von ihnen die Anerkennung der pragmatischen Sanction zu erlangen, nicht ganz ohne günstigen Erfolg. Mit weit größerem Nachdrucke hätten nach Karls Tode die fremden Kronprätendenten aufzutreten vermocht, wenn sie nicht Jedermann als wortbrüchig erschienen wären, und wenn sie selbst mehr, als es wirklich der Fall war, an ihre eigene Berechtigung zu glauben vermocht hätten.

[215] Aber nicht nur das, was ihm selbst und seinem Hause, auch das, was seinen Ländern zu Gute kommen sollte, faßte K. ins Auge und trachtete es zu fördern. So wie in den zu Passarowitz abgeschlossenen Verträgen die Vorbedingungen zu ausgiebiger Belebung eines gewinnbringenden Handels mit der Türkei geschaffen wurden, so ergriff K. zahlreiche andere Maßregeln zur Erreichung des gleichen Zieles. In Triest, das er selbst besuchte, und in Fiume wurden Schiffe gebaut und sonstige Vorkehrungen in Menge getroffen, den Handel dieser Seeplätze mehr und mehr zu entwickeln. So wie hier nach der Levante, so sollten von den niederländischen Städten aus neue Handelsverbindungen nach Ost- und Westindien angeknüpft werden; zu diesem Zwecke wurde in Ostende eine eigene Compagnie gegründet und vom Kaiser in jeder Weise angelegentlich unterstützt. Die Errichtung von Fabriken und die Förderung alles dessen, was Wohlstand zu schaffen und zu verbreiten versprach, begünstigte K. mit freigebiger Hand. Selbst gründlich unterrichtet, kannte er den engen Zusammenhang der geistigen und der materiellen Interessen eines Volkes. Die Bildung des Letzteren zu heben, ließ er in jeder Weise sich angelegen sein. Und wohl wissend, daß derselben nichts so sehr im Wege steht als klerikaler Obscurantismus, begünstigte ihn K. in gar keiner Weise. In den wieder auftauchenden Streitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten im deutschen Reiche verfuhr er mit Klugheit und Mäßigung. Auch in seinen eigenen Ländern, insbesondere in Ungarn zeigte er sich von jeglicher Bedrückung Andersgläubiger entfernt. So wie es schon im J. 1712 in Ungarn geschehen war, ließ er sich 1723 in Böhmen krönen. Durch vier Monate blieb er in diesem Lande und bemühte sich, dessen Bedürfnisse kennen zu lernen und sie zu befriedigen.

Von weniger günstigem Erfolge als diese Thätigkeit für das Wohl seiner Länder waren Karls Bestrebungen begleitet, insofern sie deren Stellung nach Außen hin betrafen. Jahrelang schleppte in Cambray der Congreß fruchtlos sich hin, der zusammengetreten war, um die verschiedenen Streitpunkte zwischen den europäischen Mächten zu schlichten. Da man mit den dortigen Verhandlungen nicht ans Ziel kam, wurden solche, und zwar zwischen dem Kaiser und Spanien allein angeknüpft. Für letzteres erschien im November 1724 der Freiherr v. Ripperda in Wien, und nun begann jene merkwürdige Negociation, in welcher noch einmal die Macht der deutschen und der spanischen Partei am Wiener Hofe sich maß. Man kann wol sagen, daß Alles, was gut österreichisch dachte, auf Seite der ersteren stand, Alles aber, was in kriechender Unterwürfigkeit der unseligen Vorliebe des Kaisers für spanisches Wesen schmeichelte oder andere selbstsüchtige Zwecke verfolgte, zu der letzteren hielt. Sie war es denn auch wirklich, welche für einige Zeit wenigstens die Oberhand erlangte, und zum ersten Male sehen wir die Frage der Verheiratung der Töchter des Kaisers sowie die pragmatische Sanction in den Kreis der Verhandlungen mit den fremden Mächten gezogen, in welchem sie von nun an den vordersten Platz einnahm. Jeden Augenblick wiederholte Ripperda, daß es seinem Hofe um nichts so sehr als um die Hand der Erzherzogin Maria Theresia für den Infanten Don Carlos zu thun sei. Aber er ließ sich, um desto sicherer an dieses Hauptziel seiner Bemühungen zu gelangen, doch herbei, einstweilen zum Abschlusse der schon in Verhandlung befindlichen drei Tractate zu schreiten. Am 30. April und am 1. Mai 1725 kamen sie zu Stande. Durch den ersten Vertrag garantirte der König von Spanien in feierlicher Weise die Aufrechthaltung der pragmatischen Sanction. Außerdem sollten die von beiden Monarchen ihren Unterthanen verliehenen Würden fortan in Kraft bleiben, eine Bestimmung, an welcher den spanischen Günstlingen des Kaisers sehr viel gelegen war, denn hiedurch wurde ja ihre ihm abgeschmeichelte Erhebung zu Granden von Spanien bestätigt. [216] Der zweite Tractat war ein Schutz- und Trutzbündniß, der dritte endlich ein Handelsvertrag. Nicht so sehr diesen Tractaten als dem vierten Vertrage, der zwischen dem Kaiser und Spanien am 29. August 1725 abgeschlossen wurde, lag eine gegenseitige Unaufrichtigkeit zu Grunde, und er trug daher den Keim des Zerfalles schon in sich. Die wichtigste Abmachung bestand darin, daß jeder der beiden Infanten aus der zweiten Ehe des Königs eine der drei Töchter des Kaisers, die damals am Leben waren, zur Gemalin erhalte. K. hoffte noch immer darauf, daß ihm ein Sohn geboren und dieser der alleinige Erbe seines gesammten Länderbesitzes sein werde, und da seine jüngste Tochter erst zwei Jahre zählte, konnte diese Hoffnung durchaus keine unbegründete genannt werden. Und auch für den Fall ihrer Nichterfüllung blieb ihm noch immer die freie Verfügung mit der Hand seiner ältesten Tochter, denn den Verpflichtungen, die er durch den Tractat einging, hätte er auch durch die Vermälung seiner beiden jüngeren Töchter mit den zwei spanischen Infanten vollständig genügt. Aber die Königin Elisabeth von Spanien, welche die Seele dieser Verhandlungen war, sah die Sache ganz anders an. Ihr war es um die Erwerbung der österreichischen Länder für ihre Söhne oder wenigstens für einen derselben zu thun. Und in Wien erhoben sich sogar Stimmen, welche andeuteten, daß die Königin zur Verwirklichung dieses Planes vielleicht sogar vor einem Verbrechen nicht zurückscheuen würde. Wenn ihr Sohn Carlos sich mit der Hand der zweitgebornen Erzherzogin begnügen müßte, so liege hierin eine nicht gering anzuschlagende Gefährdung des Lebens oder wenigstens der Gesundheit der ältesten Tochter des Kaisers.

Auf so schwankende Grundlagen gebaut, konnten die Verträge Karls mit Spanien nicht lange Zeit hindurch aufrecht erhalten werden. Als Elisabeth sich im Laufe der nächstfolgenden Jahre immer tiefer mit der Ueberzeugung durchdrang, es werde ihr nicht gelingen, die Hand der ältesten Tochter des Kaisers für Don Carlos zu erlangen, warf sie sich plötzlich nach der entgegengesetzten Seite, und Spanien schloß am 9. November 1729 mit England und Frankreich den Tractat von Sevilla, der den österreichischen Unterthanen alle ihnen durch die Wiener Verträge zugewendeten Begünstigungen entzog und den Kaiser zu völliger Aufhebung der Ostendischen Compagnie nöthigen sollte.

Mit Recht war K. über diesen Vertragsbruch erbittert, und er konnte sich außerdem die Gefahr nicht verhehlen, in die er sich durch die feindselige Haltung der mächtigsten Staaten Europa’s versetzt sah. Nur Preußen, welches jedoch damals noch wenig mitzählte, und Rußland, dessen Hilfe schon wegen seiner großen Entfernung nicht sehr hoch anzuschlagen war, hielten zu ihm. Dennoch blieb K. standhaft, die umfassendsten Rüstungen unternahm er, und binnen kurzem befand sich ein starkes kaiserliches Heer kampfbereit in Italien. Aber es kam nicht zu offener Feindseligkeit, und zudem dauerte das gute Einvernehmen zwischen Karls Gegnern nicht lang. Die wachsende Mißhelligkeit zwischen ihnen bewog zuerst England, sich dem Kaiserhofe wieder zu nähern. Am 16. März 1731 schloß es mit ihm den zweiten Wiener Vertrag ab, in welchem K. sich zu gänzlicher Aufhebung der Ostendischen Handelsgesellschaft anheischig machte. England gewährleistete dagegen die pragmatische Sanction unter der Bedingung, daß die Erzherzogin, welche zur Erbfolge in den österreichischen Staaten berufen würde, weder einem Prinzen aus dem Hause Bourbon, noch einem solchen vermält werde, dessen Macht das europäische Gleichgewicht gefährden könnte. So tief war der Eindruck, den der Abschluß dieses Vertrages, dem binnen kürzester Frist auch Holland beitrat, in Europa hervorbrachte, daß sogar Spanien, nachdem es noch einmal und neuerdings fruchtlos den Versuch gemacht hatte, eine der beiden noch am Leben befindlichen Erzherzoginnen – die jüngste, Amalie, war am [217] 19. April 1730 gestorben – für Don Carlos als Gemalin zu erhalten, schließlich diesem Projecte entsagte und sich dem Wiener Vertrage ebenfalls anschloß.

So hatte denn K. seinen sehnsüchtigen Wunsch großentheils erreicht und die pragmatische Sanction war von allen hervorragenderen Mächten Europa’s mit Ausnahme Frankreichs gewährleistet worden. Da trat ein Ereigniß ein, welches den Kaiser wieder um die Frucht all’ der unermeßlichen Anstrengungen zu bringen drohte, die er zur Erreichung jenes Zweckes gemacht hatte. Am 1. Februar 1733 starb August II., König von Polen, Kurfürst von Sachsen, und es entspann sich um die Nachfolge auf dem polnischen Throne ein erbitterter Streit, in welchem K. nach einigem Schwanken für Friedrich August, Kurfürsten von Sachsen, Frankreich aber für Stanislaus Leßczynski, Schwiegervater König Ludwigs XV. Partei nahm. Der Krieg, der hierüber ausbrach, wurde von Seite Oesterreichs nicht glücklich geführt. Für so hoffnungslos hielten am Schlusse des Jahres 1734 gerade die Generale des Kaisers die militärische Lage desselben, daß sie es waren, welche am nachdrücklichsten dazu riethen, auch mit Darbringung sehr beträchtlicher Opfer Frieden zu schließen. In der Abtretung Neapels und Siciliens an Don Carlos hätten sie bestanden, aber K. war dieser Gedanke so verhaßt und er wurde in seiner Abneigung hiegegen von seinen spanischen Günstlingen so sehr bestärkt, daß er es vorzog, noch einmal das Glück der Waffen zu versuchen. Aber während des nächsten Feldzuges geschah nicht das Geringste, wodurch ihm Anspruch auf günstigere Friedensbedingungen zu Theil geworden wäre; er mußte sich vielmehr denjenigen fügen, welche seine Gegner ihm auferlegten. Am 3. October 1735 wurden zu Wien die Präliminarien unterzeichnet, in denen jetzt auch Frankreich die pragmatische Sanction garantirte und erklärte, keiner vom Kaiser beabsichtigten Vermälung seiner Töchter widerstreben zu wollen. Von der bei Oesterreich verbleibenden Lombardei gelangten die Districte von Novara und Vigevano an den König von Sardinien. Neapel und Sicilien fielen an Don Carlos, wofür dem Kaiser in den Herzogthümern Parma und Piacenza ein sehr ungenügender Ersatz zu Theil wurde.

Wenn etwas den Schmerz des Kaisers über diesen ungünstigen Friedensschluß zu mildern vermochte, so bestand es darin, daß er nun endlich die Frage der Vermälung seiner Tochter Maria Theresia in einer Weise ordnen konnte, die seinen eigenen Wünschen und wol in noch höherem Maße denen seiner Gemalin und der Hauptbetheiligten entsprach. Am 12. Februar 1736 fand die Trauung der Erzherzogin mit Franz von Lothringen statt, und als derselbe sich drei Monate später nach langem Zögern und schwerem Kampfe mit sich selbst endlich zu der im Friedensvertrage gleichfalls festgesetzten Vertauschung seines Stammlandes gegen Toscana entschloß, versicherte ihn K. seines ernstlichen Willens, daß beide Häuser, Habsburg und Lothringen, künftighin nur mehr ein einziges Haus bilden sollten, sowie seiner festen Absicht, die Hand seiner zweitgebornen Tochter Marianne keinem anderen Bewerber als dem Prinzen Karl, des Herzogs jüngerem Bruder zu Theil werden zu lassen.

Der flüchtige Sonnenblick, welchen die Vermälung seiner Tochter Maria Theresia auf die Lebenstage des Kaisers warf, erlosch jedoch bald wieder. Schon binnen Kurzem brach zwischen Rußland und der Türkei ein Krieg aus, und K. glaubte sich in Folge seines Bündnisses mit der ersteren Macht zur Hülfeleistung verpflichtet. Ja er ging darüber noch hinaus und trat, von der Erwartung verlockt, die soeben erlittenen Verluste nach einer anderen Seite hin wieder wettmachen zu können, mit einem ganzen Heere in den Kampf. Aber seine zuversichtliche Hoffnung auf einen baldigen und günstigen Ausgang des Krieges sollte gar bitter enttäuscht werden. Die Einnahme von Nisch, mit welcher der erste Feldzug eröffnet wurde, schien auch das einzige glückliche Ereigniß desselben zu bleiben. [218] Von nun an reichte ein Unglücksfall, ein Mißgriff der kaiserlichen Generale dem anderen die Hand. Noch schlechter ging es in den zwei folgenden Jahren. Das für uneinnehmbar gehaltene Orsowa ergab sich den Türken; am 23. Juli 1739 aber schlugen sie die kaiserliche Armee bei Krotzka und belagerten Belgrad. Trotz der Widerstandsfähigkeit dieses Platzes schloß Feldmarschall Graf Neipperg am 1. September einen übereilten Frieden, durch welchen mit Ausnahme von Temeswar Alles, was durch den Passarowitzer Vertrag gewonnen worden war, an die Pforte zurückfiel. Zu ihrer Sicherstellung räumte Neipperg den Janitscharen ein Thor von Belgrad ein und machte es dem Kaiser dadurch unmöglich, dem Friedenstractate die Ratification zu verweigern. Mit tiefstem Schmerze mußte K. sich in das Unvermeidliche fügen. „Dies Jahr nimmt“, schrieb er am 30. September 1739 seinem vertrauten Rathgeber Bartenstein, „viele Jahre meines Lebens weg, an welchen jedoch nur wenig gelegen ist. Gottes Wille geschehe! Er gebe mir die Kraft es zu ertragen, damit ich dadurch meine großen Sünden abbüße, und wo ich gefehlt, es mir zur Besserung und Warnung dienen lasse.“

Diese und ähnliche Worte, wie sie in den zahlreichen Aufzeichnungen des Kaisers häufig vorkommen, weisen darauf hin, daß er trotz seines steifen und abgemessenen Benehmens und der überaus hohen Meinung, die er von seiner Würde hegte, doch ein frommer, innerlich demuthsvoller Mensch war. Auch das Mißgeschick, welches er darin erblickten mußte, daß, so lang er lebte, Marie Theresia drei Töchter nacheinander und nicht den so sehnlichst erwarteten Thronerben gebar, verursachte ihm unendlichen Kummer. Durch den am 6. Juni 1740 ganz plötzlich erfolgten Tod seiner ältesten Enkelin, die er ungemein liebte, wurde K. noch tiefer gebeugt, ohne daß er viel darüber gesprochen oder es unterlassen hätte, seinen früheren Gewohnheiten nachzugehen. So verlebte er den Frühling des Jahres 1740 wieder in Laxenburg, den Hochsommer in seinem bevorzugten Lustschlosse Favorita, und in den ersten Tagen des October begab er sich nach Halbthurn, um sich dort mit seinem Lieblingsvergnügen, der Jagd, zu ergötzen. An einer Erkältung, die er sich hierbei zuzog, erkrankt, kehrte er früher, als er es beabsichtigt hatte, nach Wien zurück. Ein heftiges, sich oftmals wiederholendes Erbrechen, das ihn während der Reise befiel, erfüllte seine Umgebung mit einer Besorgniß, die nur zu bald gerechtfertigt wurde. Mit immer größerer Gewalt kehrte das Erbrechen zurück. Nachdem er seine letztwilligen Verfügungen getroffen und von seiner Umgebung den rührendsten Abschied genommen hatte, starb K. am 20. October 1740; er war erst vor wenig Tagen in sein 56. Lebensjahr getreten. Man hatte ein solches Ereigniß nicht erwartet, da er stets eine kräftige Gesundheit besessen hatte, und, wie seine Zeitgenossen behaupten, seine letzte Krankheit auch seine erste gewesen war. Der preußische Gesandte Borcke traf wol das Richtige, indem er von K. sagte: „Er hat all die Schmerzen seiner letzten Lebensjahre in sich selbst hinabgeschlungen, ohne sich jemals zu beklagen; sie aber brachen ihm das Herz.“

Eine eigenthümliche Mischung sich widerstreitender Elemente macht sich in Karls Charakter bemerkbar. Während sein ernstes und zurückhaltendes Wesen ihm den Anschein von Hochmuth verlieh, legte er in näherem Verkehre und insbesondere gegen seine eigentliche Umgebung eine wahrhaft gewinnende Vertraulichkeit an den Tag, wie denn überhaupt Milde und Wohlwollen gegen Andere ein Hauptzug seines Charakters waren. Er besaß eine nicht gewöhnliche geistige Bildung und liebte die Wissenschaften und die Künste mehr als die meisten seiner Vorgänger. Wien verdankt ihm eine Reihe der schönsten Gebäude, und die kaiserliche Hofbibliothek nicht nur die prachtvollen Räumlichkeiten, in denen sie noch heut zu Tage untergebracht ist, sondern auch höchst ansehnliche Bereicherungen ihrer Schätze. Aber so wenig ihm auch ein verständiges Urtheil, [219] ja selbst ein gewisser Scharfsinn abzusprechen sind, so wenig kann man bestreiten, daß ihm jener Sinn für das Große, jener weit ausschauende Blick versagt war, dessen er in seiner Stellung so dringend bedurft hätte. Im Einzelnen unschlüssig und nur schwer zu einer Entscheidung zu bewegen, hielt er an derselben, wenn er sie einmal gefaßt hatte, mit zähester Ausdauer fest. Zur Ehre gereicht ihm, daß er in einer Zeit, in der es als Thorheit galt, gegebene Versprechungen zu erfüllen, denselben unerschütterlich treu blieb. Aber es war ein verhängnißvoller Fehler, der ihm zu empfindlichstem Nachtheile gereichte, daß er trotz täglicher Erfahrung des Gegentheils ein Gleiches auch bei Anderen voraussetzte. Durch schwerwiegende Opfer erkaufte er Zusagen von ihnen, die sie bei der ersten Gelegenheit brachen. Hiedurch aber gab er selbst nicht wenig Veranlassung zu der Bedrängniß, in welche nach seinem Tode seine Nachfolgerin in dem Besitze der österreichischen Länder gerieth.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: französich-spanischen