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Artikel „Joseph I. von Habsburg-Oesterreich“ von Franz von Krones in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 14 (1881), S. 534–542, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Joseph_I.&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 12:00 Uhr UTC)
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Joseph I. von Habsburg-Oesterreich, Erstgeborner aus der dritten Ehe Kaiser Leopolds I. mit Eleon. Magd. Therese von Pfalz-Neuburg, geb. am 26. Juli 1678, deutscher König und Kaiser, † am 17. April 1711. – Als siebenjähriger Knabe, anmuthig, reich begabt und voll feuriger Beweglichkeit, erhielt der Thronerbe in der Person des Reichsfürsten Karl Dietrich Otto von Salm[WS 1], aus altem rheinländischen Geschlechte, seinen Ajo oder Obersthofmeister, von biederem, aber jähzornigem Wesen, an dem Weltgeistlichen Rummel und an dem Freiherrn Wagner v. Wagenfels seine Lehrer, an dem Sohne seines Ajo, Prinzen Ludwig Otto von Salm, einen nur wenig älteren Erziehungs- und Bildungsgenossen. Kaum zehn Jahre alt geworden, empfing J. den 9. December 1687 die Krönung als König Ungarns, das kürzlich erst förmlich Erbreich geworden war, und bald beschäftigten den Wiener Hof die einleitenden Schritte zur römisch-deutschen Königswahl des Kaisersohnes, welche den 23. Jänner 1690 stattfand. In der bezüglichen Wahlkapitulation erscheint in bemerkenswerther Weise auch des [535] Kaisers als böhmischen Königs gedacht, dessen Readmission zur Kur Oesterreichs Hof aus naheliegenden Gründen anstrebte. Die Krönung selbst fand drei Tage später statt. – Noch lagen 15 Jahre zwischen diesem feierlichen Ereigniß und dem Tode Kaiser Leopolds; eine genügend lange Frist, um dessen Thronfolger für seine Herrscheraufgabe heranreifen zu lassen. Im 14. Lebensjahre war er der deutschen, italienischen, spanischen, französischen, böhmischen, ungarischen und vor Allem auch der lateinischen Sprache kundig, in der er am häufigsten mit dem Vater correspondirte, da Leopold I., abgesehen von seinen gelehrten Neigungen, ihr am meisten befreundet war. Des welschen Idioms zeigte sich J. derart mächtig, daß er selbst dessen einzelne Mundarten sprechen konnte, doch beherrschte er auch die französische, seinem Vater grundverhaßte Sprache. Leopold I. war Freund und Gönner der Künste; dies übertrug sich auch auf J., unter dessen Lehrern der geniale Baumeister, Fischer v. Erlach, erscheint, allerdings in geringerem Maße. Das lebensfrohe, genußliebende Gemüth des feurigen Jünglings, den 1699 der venetianische Gesandte Ruzzini „mittlerer Größe, zart, gut proportionirt, kräftigen Körperbaues, rothblonden Haares, mit hoher Stirne, lebhaften, leuchtenden Augen, starker Nase, von weißer Hautfarbe mit hochgerötheten Wangen, ohne die große österreichische Lippe“ schildert, erscheint diesem unbefangenen Beobachter als rasch, thätig, jäher Erregung zuneigend, für Befehlen, Belehren und Strafen eingenommen, desgleichen für Waffenruhm und Feldherrnehre. Sein Verstand sei von durchdringender Schärfe, leicht fassend, sein Gedächtniß scharf; er beherrsche vier Sprachen (offenbar: deutsch, lateinisch, italienisch und französisch, vgl. ob.). Für Musik habe er nicht die gleiche Vorliebe wie sein Vater, doch jedenfalls ein gutes Ohr und Anlage. Um so leidenschaftlicher betreibe er die Jagd, das Reiten und trotze dabei jeder Witterung. Darin liegen schon Gegensätze zum schwächlichen, melancholisch passiven Wesen des ungemein strenglebigen Vaters, dessen nur allzu oft mißbrauchte Gutmüthigkeit J. ebensowenig als dessen allzugroße Hingebung an geistlichen Einfluß theilte. Eine nicht unverbürgte Erzählung läßt J. für seinen Lehrer Rummel bei dem Kaiser entschieden eintreten, als die vorwiegend jesuitische Hofgeistlichkeit auf Entfernung des unbequemen Rummel drang, und das Feld behaupten. Bald nach seiner Thronbesteigung machte J. den geliebten Lehrer von ehedem zum Bischofe von Wiener Neustadt (1706). Uebereinstimmend damit erscheint das, was Kaiser Joseph II. von seinem Großoheim erzählt haben soll. Derselbe habe als Kaiser seinen Beichtvater auf entschiedenes Verlangen des mißtrauisch gemachten Papstes zur Verantwortung nach Rom entlassen sollen, dem Nuntius aber zur Antwort gegeben, wenn dies geschähe, müßten ihm alle Jesuiten das Geleite geben. – Früh genug regte sich in J. das Gefühl seiner Stellung und Zukunft. Er verbat sich, da er schon zwei Kronen, die ungarische und deutsche, trage, die scharfen Verweise der Mutter, und der Kaiser wäre darauf mit der Bemerkung eingegangen, daß es künftighin genügen werde, dem jungen Könige seine Fehler nur anzuzeigen. – Und an solchen Fehlern, die in der überwallenden Empfindung, in der Sinnlichkeit Josephs I. wurzelten, gab es wol so manches zu rügen. Seit Februar 1699 mit Wilhelmine Amalie, Tochter Herzogs Joh. Friedrich von Braunschweig-Lüneburg (geb. 1673), vermählt, war und blieb J. für die Schönheit anderer Frauen nicht unempfänglich, die Gattin beherrschte weder Herz noch Willen des jüngeren Gemahls. Das erste und letzte Probestück im Kriege legte J. 1702 als Augenzeuge der langathmigen Belagerung von Landau ab, welche Markgraf Ludwig von Baden mit methodischer Umständlichkeit ins Werk gesetzt hatte. Nur ungern hatte der ängstliche Vater in den Wunsch des Sohnes gewilligt. J. ließ seine Gattin und den größten Theil seines fast 400 Personen zählenden Hofstaates in Heidelberg zurück und begab [536] sich dann vor die belagerte Veste, deren Befehlshaber, der Franzose Melac, von früher her bei den Pfälzern im schlimmsten Andenken, den Höfling in überschwänglichster Weise spielte. Nicht nur, daß er den Gegner im Lager beglückwünschen ließ, er erlaubte sich auch die Anfrage, wo der König sein Quartier habe, damit er gegen ihn die gebührende Reverenz und Schonung beobachten könne. J., den das Schicksal zu keinem Feldherrn bestimmt hatte, welchem es aber nicht an Muth gebrach – „wer sich fürchtet, mag wieder zurück gehen!“ lauteten seine Worte, als man ihm rieth, sich nicht zu sehr den feindlichen Kugeln auszusetzen – wies möglichst artig, aber bestimmt diese übertriebene Courtoisie zurück. Sein Benehmen im Lager war eben so rührig als leutselig; Großes vollbracht zu haben, als Landau nach einigen Wochen fiel und er nach Wien heimkehrte, mochte ihm, der doch mehr nur die Rolle des Zuschauers spielte, nicht beifallen. Seit dem Ausbruche des spanischen Successionskrieges, dem bald auch die Insurrection Franz Rakóczis II. an die Seite trat, war J. den Staatsgeschäften immer mehr beigezogen worden. Er war ein entschiedener Gegner der alten, dem Prinzen Eugen von Savoyen mehr geheim als offen entgegenarbeitenden Räthe des Vaters, und in der Krise des Juni 1703, welche Eugen an Stelle des Fürsten Mansfeld an die Spitze des Hofkriegsrathes brachte und den Abschied des Finanzministers Grafen Salaburg bewirkte, stand der Thronfolger an der Seite derer, die der energischen Kriegsführung in der Hand des Prinzen von Savoyen hold waren, wie Wratislaw, Salm und Kaunitz, welche beiden Letzteren im engeren Sinne den Kern der Partei Josephs im Staatsconseil bildeten. Vor Allem aber zeigte der Thronfolger die größte Entschiedenheit in der Wahrung seiner Ansprüche als deutscher Kaiser. Als nämlich sein jüngerer Bruder, Erzherzog Karl, über Josephs I. und Eugens Drängen, im Sinne der mit Oesterreich alliirten Westmächte, die Seereise als Prätendent der spanischen Krone antreten sollte, und der Lissaboner Vertrag vom 16. Mai 1703 die Wege nach Portugal ebnete, weigerte sich J. Angesichts der vor der Abreise des Bruders nothwendigen Abmachungen auf Mailand, den einen Kampfpreis, zu Gunsten der spanischen Kronrechte zu verzichten, indem er die Rechte des deutschen Kaiserthums auf diese Lehenprovinz betonte und festhielt. Vor der lange hinausgeschobenen Abreise Erzherzogs Karl kam es den 12. September 1703 zu der wichtigen Hausordnung, die wir als Vorläuferin der pragmatischen Sanction bezeichnen dürfen. Unter dem Titel „Vertrag über die wechselseitige Erbfolge“ (pactum mutuae successionis) wurde zunächst der Vorzug der männlichen vor der weiblichen Succession sowol für die deutsch-habsburgischen Länder als auch für die Provinzen der spanischen Krone ausgesprochen; zweitens festgesetzt, daß im Falle Erzherzog Karl (als Prätendent der spanischen Krone Karl III.) ohne männliche Descendenz verstürbe, die spanische Gesammtmonarchie an Kaiser Leopold I., eventuell an J. und dessen legitimen Erben zu kommen hätte; drittens endlich der weiblichen Descendenz Josephs I. der naturgemäße Vorzug vor der seines jüngeren Bruders eingeräumt, – eine Satzung, die bekanntermaßen dann durch Karls (VI.) pragmatische Sanction umgekehrt wurde. – Von Interesse sind die Bemerkungen, welche sich in den Depeschen des englischen Botschafters Georges Stepney (März bis September 1704) über die damalige Stellung Josephs I. zu der ungarischen Frage, zur Rakoczischen Insurrection finden. Es gebe in Ungarn eine Partei, welche sofort die Erhebung des jüngeren Königs auf den Thron Ungarns unter neuen Bedingungen anstrebe, das ist gegen Aufhebung des 1687 Ungarn als Erbreich declarirenden Reichsgesetzes. Wol kam es nicht zur Verwirklichung dieses Parteiwunsches, aber unleugbar ist die Thatsache, daß die patriotische Mittelpartei Ungarns sich von dem Thronwechsel und der Gesinnung des Nachfolgers Leopolds I. das Beste versprach, allerdings auf Kosten des monarchischen Staatsgedankens. [537] Am 5. Mai 1705 schied Kaiser Leopold I. aus dem Leben und nun befand sich der 27jährige Erstgeborne an dem Platze, welchen ein halbes Jahrhundert der Vater eingenommen. Jedenfalls beseelten Ehrgeiz und Thatkraft den neuen Herrscher und ein rascherer Pulsschlag geht durch sein Handeln; die Staatsmaschine arbeitet schneller, aber die Erbschaft, welche J. antrat, zeigte tiefe innere, namentlich finanzielle Schäden, und die österreichische Politik begegnete auf ihren hergebrachten Geleisen mancher heftigen Gegenwirkung. Fassen wir zunächst die Staatsmänner Josephs I. ins Auge. Die Partei der „alten Minister“, Harrach, Mansfeld, Bucelini, war noch bei Lebzeiten Leopolds I. lahm gelegt, jetzt trat Fürst Salm obenan, dem Achtung und Pietät Josephs I. die Führung des Cabinets zugestanden. Unter den 34 Geheimräthen, auf welche Zahl sich die Summe von 164 solcher, einschließlich die eigentlichen 13 Conferenzräthe, aus der Schlußzeit Leopolds I. reducirt zeigt, behauptete den Posten des persönlichen Favoriten der Jugenfreund des neuen Herrschers, Leop. Math. Graf Lamberg, Neffe des Cardinals Lamberg[WS 2], kaiserlichen Principalcommissärs auf dem Regensburger Reichstage. Die alte Ministerpartei in ihren Resten: Harrach, Oettingen, Mansfeld, Lobkowitz, Martinitz, Dietrichstein und Waldstein – war von den neueren Kräften, Grafen Leop. Donat Trautson (1711 gefürstet), Grafen Philipp Ludwig v. Sinzendorf, Nachfolger des pensionirten Bucelini im Hofkanzleramte, dem Pfälzer und Convertiten (s. 1697) Joh. Fric. Sailern als Seele der juristischen Angelegenheiten der Hofkanzlei, von dem Hofkammerpräsisidenten Grafen Gundaker von Starhemberg und dem böhmischen Oberstburggrafen Johann Wenzel Grafen von Wratislaw weit überflügelt. Daß Prinz Eugen von Savoyen, der Hofkriegsrathspräsident und Feldherr das volle Vertrauen und die wärmste Achtung Josephs besaß, beweist, abgesehen von dem traditionellen Ausspruche Engens: Leopold I. sei ihm Vater, J. Bruder und Karl VI. Herr gewesen – die Thatsache, daß es seinen Gegnern: Mansfeld, Windischgrätz, Waldstein, Schönborn, Gundaker von Starhemberg und selbst einem Salm, der das Hofkriegsrathspräsidium dem Grafen Guido von Starhemberg zu verschaffen wünschte, nicht gelang, die Stellung Eugens zu erschüttern. Allerdings wußte J. am besten, wem er die glänzenden Kriegserfolge der Jahre 1706–1710 verdanke. – Der Hemmschuh einer ungetheilten Kraftentfaltung gegen die feindliche Bourbonenmacht und deren Verbündete war zunächst das aufständische Ungarn. Als Mitregent war J. entgegen dem Verschleppungsmodus der alten Kronräthe für die rasche Bewilligung allgemeiner Zugeständnisse eingetreten. Selbstherrscher geworden bot er der Insurrection die Hand zum Ausgleiche, und Rakoczi richtete den 8. Juli 1705 ein Schreiben an den neuen König, das von Friedensliebe und Ausgleichsverlangen überfloß. Im Schlepptau der französischen Politik und von der eigenen Partei der Intransigenten beherrscht, war Rakoczi jedoch nicht ernstlich gewillt seine Worte zu verwirklichen und J. hinwieder keineswegs entschlossen, das seit 1687 in Ungarn für sein Haus Errungene preiszugeben, die Krone und die Conföderation Ungarns als Paciscenten auf gleichem Fuße anzusehen. Selbst G. Stepney, der englische Botschafter und wärmste Freund des Ausgleiches mit Ungarn, bezeichnete die Forderungen der Conföderation als unannehmbar, wenngleich er dann wieder über die hartnäckige Unnachgiebigkeit des Wiener Hofes sich ausließ. So verwickelte sich die Sachlage in Ungarn immer mehr und im Sommer 1706 war man dem Bruche nahe, da die Tyrnauer Unterhandlungen zu keinem Ausgleiche geführt hatten, und das kaiserliche Manifest vom 15. August 1706 die Waffenstreckung als Vorbedingung der Amnestie aussprach. Der Bruch selbst wurde im Mai 1707 durch den Onoder Tag besiegelt, das Haus Oesterreich der Krone Ungarns für verlustig erklärt, und die Waffen mußten entscheiden, wer Recht behalte. Den Kämpfen [538] der Jahre 1705–1706 auf dem Boden Italiens, Spaniens und der Niederlande, welche mit dem Turiner Evacuationstractate (Frühjahr 1707) die Oberhand Josephs I. in Italien herbeiführten, gingen wichtige Vorgänge im deutschen Reiche zur Seite, welche mit der alten Rivalität Oesterreichs und Brandenburg-Preußens, andererseits mit der Aechtung der Kurfürsten von Baiern und Köln, der beiden wittelsbachischen Verbündeten Frankreichs und mit dem Bestreben Josephs I. zu Gunsten der festeren Stellung Habsburgs im Reiche und gegenüber dem römischen Stuhle zusammenhingen. Auch der nordische Krieg, das Auftreten Karls XII. im September 1706 im Elbe- und Oderlande, übt da seine störenden Einflüsse. Was zunächst Josephs I. Verhältniß zum Berliner Hofe betrifft, so zeigte sich kurz vor Leopolds I. Ableben eine starke Spannung. Man ärgerte sich in Wien, daß der kurbrandenburgische Gesandte allen Vorschlägen des Kaiserlichen Schwierigkeiten entgegenhäufe. J. kassirte den väterlichen Lehens- und Cessionsvertrag mit Friedrich I. über die Grafschaft Wittgenstein-Sayn, er verlangte in schroffer Weise die Räumung der seit 1702 von Preußen pfandweise besetzten kurkölnischen Festungen, mißbilligte das Verhalten der preußischen Truppen in Baiern, betonte als Kaiser die Contingentverpflichtung Brandenburgs und trat dem Begehren des Letzteren nach selbständiger Corpsführung im spanischen Erbfolgekriege entgegen. In einer von Frankreich 1706 colportirten „Denkschrift“ eines angeblichen Ministers Leopold I. von 1705 wurde dem Hause Deutschhabsburg die Aufrichtung eines doppelten Kaiserreiches, des österreichischen und spanischen zugemuthet, worauf dann der Kampf wider die „Ketzer im Reiche“ beginnen sollte. Das katholische Baiern müsse als Reichsmacht beseitigt werden, dann würde man bald im Reinen sein, da sich die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, diese „Theaterkönige“, durch ihre ehrgeizigen Pläne die Hände gebunden hätten. Friedrichs I. von Preußen Streben, König von Preußen und Holland zu werden, verwickle ihn in Kämpfe mit den Generalstaaten; wie immer auch die Entscheidung dieses Streites sich gestalten möge, jedenfalls werde er nicht in der Lage sein, die kaiserlichen Pläne im Reiche zu durchkreuzen. Man sieht, wie es sich darum handelte, den Reichsfürsten vor den „Gewaltplänen“ Habsburgs recht bange zu machen und in der That schien das Vorgehen Josephs I. 1706–1708 diesen „Warnungen“ Frankreichs einige Anhaltspunkte gewähren zu sollen. Daß er nach seinem Regierungsantritte die schon angefochtene Permanenz des Reichstages aufrecht hielt, Donauwörth und Landau zu Reichstädten wieder erhob, den Herzog von Marlborough als Fürsten von Mindelheim in den Kreis der Reichsstände zog, wog minder schwer. Auch die Aechtung der Kurfürsten von Baiern und Köln war bereits seit 1701 im Zuge und wurde den 27. November 1705 durch die Zustimmung der Kurfürsten sanctionirt. Aber die Schritte Josephs I. seit der vollzogenen Aechtung vom 29. April 1706 erregten das Mißtrauen in weiteren Kreisen. Die Aufnahme des Oheims und Verbündeten Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg in das Kurfürstencollegium, womit die Cession der seit 1623 bairisch gewordenen Oberpfalz und der Grafschaft Chamb verbunden war, also gewissermaßen die Erneuerung der Kurpfalz (23. Juni) begegnete der anfänglichen Einsprache Kurbrandenburgs und Kursachsens und hatte später die Belehnung des längst zum Kurfürsten erhobenen Welfenfürsten von Braunschweig-Hannover mit einem Erzamte (12. April 1710) im Gefolge. Noch mehr Staub wirbelte das Verfahren Josephs I. gegen Mantua auf. Herzog Karl von Mantua-Nevers wurde als treubrüchiger Lehensträger am 30. Juni 1708 geächtet. Als Prätendent trat der Herzog von Guastalla auf, mußte sich jedoch mit Sabionetta und Bozzola zufrieden geben, während die mailändischen Gebietstheile: Alessandria, Valenza und die Lomellina nebst dem mantuanischen Antheile von Montferrat dem Herzoge von Savoyen als Entlohnung seiner [539] Bundesgenossenschaft zugesprochen wurden, und das eigentliche mantuanische Gebiet vom Kaiser selbst sequestrirt und dem Grafen von Castelbanco als Reichsverweser zur Verwaltung überwiesen erschien. Die meiste Eifersucht erregte aber begreiflicherweise die Readmission der böhmischen Krone zum Kurcollegium (7. Septbr. 1708), derzufolge Graf Oct. Norbert Kinsky als ihr Vertreter den dritten Platz im kurfürstlichen Rathe einnahm, – und vornehmlich das Verfahren Josephs I. mit dem occupirten Baiern, dessen Besitz an sich dem Hause Oesterreich nicht gegönnt wurde. Nicht blos, daß das Innviertcl schon damals zu Oberösterreich geschlagen erscheint, das Hochstift Passau und die Reichsstadt Nürnberg in ihrem Gebiete vergrößert wurden, J. begabte überdies seine Würdenträger: Lamberg, Sinzendorf, Schönborn, Gund. v. Starhemberg, Graf Otto Ehrenreich von Traun und den kaiserlichen Statthalter in Baiern, Grafen von Löwenstein-Wertheim, mit bairischen Herrschaften als Fürsten des Reiches. Diese Stärkung der österreichischen Partei im Reiche machte böses Blut, und die tiefe Verstimmung des kurbrandenburgischen Hofes schien den besten Bundesgenossen an dem Grolle des von Frankreich und Rakoczi vielumworbenen Schwedenkönigs gegen den Wiener Hof zu finden. Jedenfalls hätte die Sachlage sehr ernst werden können, als 1706–1707 Karl XII. an der Elbe stand und seinem Unmuthe über die beleidigende Aeußerung des Grafen Zobor und über den Rückzug der russischen Hülfsvölker Friedrich Augusts von Sachsen-Polen durch Böhmen in dem Proteste gegen die Vergewaltigung seiner Glaubensgenossen in Schlesien Luft machte. Der preußische Minister Ilgen arbeitete an einer Liga Schwedens, Preußens und Hannovers, ja es kam den 16. August zum Vertrage zwischen Karl XII. und König Friedrich I. von Preußen, aber J. beeilte sich, im Einvernehmen mit Holland und England, dem Schwedenkönige jedwede Genugthuung zu leisten, und das Altranstädter Abkommen zwischen Schweden und dem Wiener Kaiserhofe vom 22. August 1707 brach der Gefahr die Spitze ab. – Am ernstlichsten schien sich jedoch das Zerwürfniß zwischen dem Kaiser und dem Papste Clemens XI. gestalten zu sollen. Jedenfalls hatte der Wiener Hof längst Grund genug den römischen Stuhl für franzosenfreundlich zu halten. Schon im Juli 1705 rief J. seinen Botschafter, Grafen Lamberg, von Rom ab und dieser ließ eine Art von Ultimatum in den Händen der Curie zurück, worin 27 Beschwerdepunkte verzeichnet waren. Auch der Nuntius räumte nun bald Wien und der Kaiser rechtfertigte diesen Schritt in einem Schreiben an Clemens XI. Dieser schien sich einem besseren modus vivendi Oesterreich gegenüber bequemen zu wollen und lehnte die Aufforderung Ludwigs XIV., an die Spitze einer italienischen Liga zu treten. ab. Aber alsbald entbrannte über die Ausübung des sogenannten Rechtes der „ersten Bitte“ bei geistlichen Pfründenbesetzungen durch den Kaiser in den Domstiften Hildesheim und Halberstadt der Streit weit ernstlicher (März 1706). Denn als der Kölner Nuntius und dann der Papst selbst dagegen protestirte, trat J. „nach dem Beispiele seiner Vorfahren und nach den Rechten und Gewohnheiten des Reiches“ dafür ganz ernstlich ein. Da nun seinerseits Clemens XI. die Anerkennung des kaiserlichen Bruders als König Spaniens verweigert, den Cantonirungsvertrag des Prinzen Eugen von Savoyen mit dem Herzoge von Parma-Piacenza für ungültig erklärt, ferner, – schon durch die kaiserliche Annexion Neapels (1707) zu Gunsten seines Bruders, andererseits durch die Forderung beider, neapolitanische Kirchenpfründen nur an Einheimische zu verleihen gereizt und von Frankreich aufgestachelt, – den 27. Juli 1707 als „Oberlehensherr“ von Parma-Piacenza eine Banndrohung wider alle Bedränger ausgesprochen hatte, versuchte er endlich in zwei Schreiben dem Kaiser seine Pflichten als Sohn der Kirche sehr ernstlich zu Gemüthe zu führen. In dem zweiten, schärferen Breve findet sich die starke Auslassung: „Höre auf, Sohn! [540] und wende Dein gläubiges Gemüth wieder zur Ehrfurcht gegen die Kirche! Alsdann wollen auch Wir das erlittene Unrecht vergessen und Dich als unseren erstgebornen Sohn lieben. Solltest Du aber in so unbescheidenen Gesinnungen beharren, so wollen auch Wir die Gnade eines Vaters ablegen und Dich als einen aufrührerischen Sohn mit dem Kirchenbanne, ja selbst mit den Waffen, wenn es nöthig sein sollte, bestrafen. Dabei werden wir keine Furcht zeigen, es möge gehen, wie es wolle. Wir vertheidigen die Sache Christi und die Kirche. Christus selbst wird Kraft verleihen, damit Wir siegen, – und wenn Du Dich nicht schämst, die Kirche und Gott selbst zu befehden und von der alten österreichischen Frömmigkeit abzuweichen, – so wird eben dieser Gott, der Reiche ertheilt, auch Reiche zu Grunde richten.“ – J. ließ sich durch diese Sprache, welche den römischen Stuhl in einem starken Anachronismus befangen zeigt, nicht einschüchtern. Den 26. Juni 1708 erschien die ausführliche Widerlegung der päpstlichen Enunciation oder „Nullitätsdeclaration“, worin auch, um den Ausfall des Papstes in gleicher Münze heimzuzahlen, auf die „dem Hause Oesterreich angeborene Güte und noch andere Rücksichten gegen die Kirche“ hingewiesen wird, die den Kaiser „von heftigeren Gemüthsbewegungen“ abhielten. In dem entfesselten Federkriege ließ auch ein Muratori seinen Tractat „von den Rechten des deutschen Reichs auf den Kirchenstaat“ vom Stapel laufen. Holland bot alles auf, um den ausbrechenden Streit diplomatisch zu beschwichtigen, – aber der Papst geberdete sich ungemein kriegerisch und schien zum offenen Kampfe bereit zu sein. Unter dem Eindruck der förmlichen Besetzung des alten Reichslehens Commachio im Ferraresischen durch die kaiserlichen Truppen unter General Bonneval (Mai 1708), der auf den dortigen Festungsbau die Worte: Josepho imperatori, antiqua jura Italiae repetenti! setzen ließ, – und jener kaiserlichen Declaration befahl der Papst die Aufhissung einer Fahne mit der Aufschrift: Domine defende causam tuam! – und der Zusammenstoß zeigte sich so als unvermeidlich. Als jedoch im Herbste die kaiserlichen Kriegsvölker des Generalgouverneurs von Neapel die Grenze des Kirchenstaates überschritten und die spottweise Papagalli genannten Schlüsselsoldaten des Papstes überall zurückwichen, der kaiserliche Gesandte Marquis von Priè die Erklärung abgab, Daun habe den Auftrag im Falle eines Nichtausgleiches bis zum 15. Jänner 1709 in Rom selbst einzurücken, da sank dem sich isolirt fühlenden Papste der Muth; er lenkt ein und die, allerdings verklausulirte, Anerkennung des Habsburgers Karl als spanischen Königs (26. Juni 1709) durch Clemens XI., ferner dessen Bulle gegen die geistlichen Anhänger der Insurrection Rakoczi’s (17. August), andererseits das Entgegenkommen des Kaisers ermöglichten einen allerdings sehr unentschiedenen Ausgleich zwischen den beiden streitenden Gewalten, von denen die Curie eine offenkundige Niederlage in der öffentlichen Meinung erlitten hatte. Während das J. 1709 den Höhepunkt der Erfolge Josephs I. im Kampfe gegen Frankreich bezeichnet und auch in Ungarn den Niedergang der Insurrection Rakoczi’s ankündigt, – erscheint es zugleich als ein Wendepunkt, denn das Jahr darauf wird trotz der Eroberungen der Alliirten in Französisch-Flandern der Umschwung im englischen Ministerium, dessen Friedenspolitik und die kriegsmüde Stimmung Hollands deutlich erkennbar; andererseits zeigt sich auf dem spanischen Kriegsschauplatze die harte und ehrenvolle Waffenarbeit eines Guido Starhemberg, Angesichts der bourbonenfreundlichen Stimmung des Landes und der ungenügenden Kriegsmittel unfruchtbar. Rußlands Czar, Peter der Große, spielt eine zweideutige Rolle, und das Haager Concert, von J. (März 1710) mit Holland und England gegen die weitaussehenden Pläne Rußlands und Sachsen-Polens eingeleitet, hatte die Aufgabe, diese beiden durch das Verhängniß Karls XII. bei Pultawa (10. Juli 1709) doppelt selbstbewußt gemachten Potenzen in ihrem [541] Umsichgreifen zu hemmen. Unter den deutschen Reichsständen aber gaben die ständige Wahlkapitulation und die Visitation des schon durch Jahre geschlossenen Reichskammergerichtes in Wetzlar den Anstoß zu langathmigen Händeln, in welche J. als Kaiser hineingezogen wurde, die mit der Streitsache des Bischofs und Kapitels von Münster, mit der hessischen Ganerbschaft zusammenhingen und den Streit zwischen Kurköln und Preußen im Gefolge hatten. J. wollte mit Friedrich I., dessen Gesandter Bartholdi in Wien die Aeußerung fallen ließ, sein Herr[WS 3] werde einen neuen Machtzuwachs Oesterreichs nicht zugeben, es wäre nur billig, daß eines Tages die deutsche Kaiserkrone auf ein protestantisches Kaiserhaus überginge, – auf besseren Fuß kommen, denn, abgesehen von Allem, war schon die Möglichkeit einer raschen Abberufung der preußischen Hülfsvölker aus Italien Angesichts der zerfahrenden Allianz Hollands und Englands mit Oesterreich sehr bedenklich. Die Reise des Prinzen Eugen von Savoyen nach den Niederlanden über Berlin (9. April 1710) hatte somit eine hervorragend diplomatische Bedeutung und führte auch ein besseres Einvernehmen mit dem Berliner Hofe herbei. Die von Palffy unternommene Pacification Ungarns sollte in ihrem Abschlusse J. nimmer erleben. Noch stand er in der besten Fülle der Jahre, kaum 33 alt geworden. Sein Lieblingsgedanke, wenn Oesterreich den Kampf mit Ehren und Vortheil beendet habe, seinen weitschichtigen Länderbestand zu bereisen und überall Abhülfe zu schaffen, sollte sich ebensowenig verwirklichen als der Wunsch nach einem männlichen Thronerben. Auch seiner Prachtliebe war es nicht vergönnt, einen großartigeren Residenzbau in Wien aufzuführen. Dagegen beschleunigte er die Verwirklichung der schon von Leopold I. begründeten Wiener Akademie der Künste noch im Todesjahre des Vaters (1705). Nicht blind für die großen Gebrechen der übernommenen Finanzwirthschaft, kam er der ehrenwerthen Thätigkeit des Hofkammerpräsidenten Gundaker v. Starhemberg fördernd entgegen, und im J. 1706 trat das älteste Kreditinstitut Oesterreichs, die bereits 1703 begründete Wiener Stadtbank als staatliches Institut in ihre eigentliche Wirksamkeit. Bei allen Temperamentsfehlern, kostspieligen Neigungen und Aeußerungen starken Selbstgefühls, das der Ernst reiferer Jahre noch besser geklärt haben würde, gebrach es J. nie an warmer, herzlicher Empfindung, an Zartsinn und Dankgefühl. Als ihn, den blühenden Mann, das damals gefürchtetste Uebel, die Blatternpest, befiel, weigerte er sich standhaft den Prinzen Eugen von Savoyen, die Stütze Oesterreichs, zu empfangen. Was gleich zu Beginne Graf Wratislaw gefürchtet, der Tod des Kaisers, trat bald ein; den Tag nach Eugens Abreise (17. April 1711) knickte er das Leben eines bedeutend angelegten Herrschers und gab dem weiteren Gange der Ereignisse die entscheidende Wendung. Zwei Töchter Josephs I., Maria Josepha und Maria Amalia Josepha, waren bestimmt, durch Heirath in die Häuser Kursachsen und Kurbaiern einzutreten, welches letztere noch geächtet war, aber in dem zähen Widerstande des Baiernvolkes gegen die österreichische Occupation eine Bürgschaft seiner Rehabilitirung erblicken durfte. Die sechs Jahre der Herrschaft Josephs I. sind die geräuschvollsten, aber auch erhebendsten Kriegsjahre Oesterreichs in einem halb Europa umspannenden Kriege, aus welchem als Neubesitz: Mailand, Neapel, Sardinien und die spanischen Niederlande dem Hause Deutsch-Habsburg durch den späteren Frieden erwuchsen.

J. J. Schmauß, Curieuses Büchercabinet, hrsg. u. d. Pseudon. „Anton Paullini“, Halle 1711. – Leben u. Thaten Josephs I. röm. Kaisers, sammt der unter Sr. Majestät glorwürdigsten Regierung vorgefallenen Reichshistorie (Leipz. 1712, 8°), verf. v. damal. Archivsecretär in Eisenach, Joh. Ehrenfried Zschackwitz. – (E. G. Rinck), Josephs des Sieghaften, römischen Kaisers Leben u. Thaten in 2 Thln. abgefaßt u. mit Bildn. geziert (Köln u. Leipz. [542] 1712, 8°). – Vgl. auch die Monogr. v. Langen (1712) u. J. Moser, Vers. e. Staatshistorie unter der Regier. Kaiser Josephs I. (1738). – F. Wagner, Historia Josephi I. Caes. Aug. Felicis, cum app. a. a. pacem Badensem (Viennae 1745, fol.). – J. Chr. Herchenhahn, Gesch. d. Regier. K. Josephs I. mit einem Gemälde von dem verschiedenen Interesse der vornehmsten europ. Staaten bei dem Anfange des 18. Jahrhunderts, I. Bd. 1786, II. 1789 (Leipzig, 8°, reicht nur bis 1709). – J. W. Schroeckh[WS 4], Allg. Biogr., 6. Thl. (Berlin 1787), S. 251–382. (Alle diese älteren Werke, unter denen Wagner und Schroeckh am brauchbarsten bleiben, sind vielseitig antiquirt.) – Vehse, Oesterreich, 6. Bd. – Von neuerem Quellenmaterial sind die venet. Relationen a) für das Vorleben Josephs I. im 27. Bande der Fontes rer. austr., hrsg. v. Fiedler und b) für seine Regierungszeit im 22. Bande derselben, hrsg. v. Arneth, hervorzuheben, dessen Werk über Eugen v. Savoyen das jetzige Hauptwerk auch für die Gesch. K. Josephs I. bleibt; daneben v. Noordens, Gesch. des 18. Jahrh., 1. 2. Bd. (Vgl. s. Aufsatz in d. Preuß. Jahrb. 28, 354 ff., 641 ff.) – Zu vergleichen ist auch die Litteratur über die Rakoczische Insurrection und die anderweitigen Verhältnisse in Krones, Handb. d. Gesch. Oesterr., 4. Bd. Oesterr. Gesch. f. B. X. 1. A. v. A. Mayer (Wien 1880). Sehr viel Stoff auch in Bezug auf politische Geschichte bietet die vom Wiener Kriegsarchive ausgehende Bearbeitung der Feldzüge des Prinzen Eugen. I. S. 2–6. Bd.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. siehe den Artikel in der Wikipedia: Karl Theodor Otto zu Salm
  2. Johann Philipp Kardinal Graf von Lamberg (1651-1712), Bischof von Passau, Kardinal.
  3. Vorlage: Heer
  4. gemeint ist Johann Matthias Schroeckh.