ADB:Sinzendorff, Philipp Ludwig Graf von
Joseph I. und Karl VI., die Stelle eines Obersthofkanzlers und nahm als solcher hervorragenden Antheil an den Geschicken Oesterreichs wie Europas in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.
Sinzendorff: Philipp Ludwig S., des heiligen Römischen Reichs Erbschatzmeister und Burggraf zu Rheineck, Graf von S. und Thanhausen, Freiherr zu Ernstbrunn, Oberst-Erbkampfrichter und Schildträger, wie auch Oberst-Erblandvorschneider in Ober- und Unterösterreich, bekleidete unter den beiden letzten männlichen Sprossen habsburgischen Stammes, den KaisernEr entstammte der Fridau-Neuburgschen Linie jenes alten Geschlechtes, [409] welches seine Ahnenreihe auf die welfische Grafenfamilie von Altorf zurückführen will. Urkundlich treten die Sinzendorff zum ersten Male in Oesterreich im J. 1289 auf, in einem Vertrage mit dem Benedictinerstifte Kremsmünster in Oberösterreich, in dessen Nähe sie jene Burg besaßen, von der sie ihren Namen führten. Heute ist es nur mehr ein kleiner Burgstall. Die Familie hatte sich durch Erwerbung verschiedener Güter im Kremsthale, sowie durch Verheirathung mit den angesehensten Geschlechtern des Traungaues bald einen ersten Platz nicht nur in ihrem engeren Heimathslande, sondern im Gesammtstaate zu erringen gewußt. Ausgezeichnet durch die Gunst der Kaiser Ferdinand III. und Leopold I., erreichten ihre Mitglieder die hervorragendsten Stellungen im Staate. Hatte doch das Vertrauen Kaiser Leopold’s den Grafen Georg Ludwig, den Vater unseres Philipp Ludwig, zur verantwortungsvollen Stellung eines Hofkammerpräsidenten berufen. So schlecht lohnte freilich dieser die Gnade seines Herrn, daß letzterer bei aller Güte seines Wesens dem Andrängen seiner Umgebung und seinem eigenen Gerechtigkeitssinne nicht länger widerstehen konnte und die Untersuchung wegen großartiger Unterschleife am Staatsschatze gegen seinen eigenen Finanzminister einleiten lassen mußte. Nur den Bitten seiner Frau Dorothea Elisabeth, einer geborenen Prinzessin von Holstein-Wisenburg gelang es, für den zu lebenslänglicher Gefangenschaft verurtheilten Gemahl eine Strafmilderung auf Verbannung und Internirung auf einem seiner Schlösser zu erwirken. Doch starb er noch in demselben Jahre 1680. Dieser Ehe entsproß denn Philipp Ludwig.
Er war als jüngstes seiner Geschwister am 26. December 1671 geboren und frühzeitig zum geistlichen Stande bestimmt. Schon hatte er eine Domherrnstelle zu Cöln erlangt, als sein einziger Bruder im Felde starb. Dies veranlaßte ihn, die geistliche Laufbahn mit der militärischen zu vertauschen und seinem Stiefvater, dem Feldmarschall Grafen Bussy-Rabutin in den Krieg zu folgen. Der Kaiser hatte aber an dem gebildeten liebenswürdigen Jünglinge Gefallen gefunden, machte ihn 1694 zum Kämmerer und verwandte ihn bald zu verschiedenen diplomatischen Missionen. Der junge Graf führte dieselben mit solchem Geschick durch, daß ihm bereits im Jahre 1695 ein Sitz im Reichshofrathscollegium verliehen wurde. Und wahrlich, als wollte der Kaiser den Sohn entschädigen, daß er den Vater hatte strafen müssen, bevorzugte er ihn derart, daß er den kaum 28jährigen zum Gesandten am Versailler Hofe ernannte. Schon 1696 hatte sich S. mit der Gräfin Rosina Katharina von Waldstein vermählt, mit der er in 37jähriger glücklicher Ehe lebte, aus der ihm vier Kinder entsprossen. Nach dem Ausbruche des spanischen Erbfolgekrieges von Paris abberufen, ward er noch im Jahre 1701 zum wirklichen Geheimen Rathe ernannt und fand nun in den verschiedensten Geschäften Verwendung. Mit König Joseph an der Belagerung von Landau theilnehmend, wurde er nach Einnahme der Festung nach Lüttich als kaiserlicher Commissär entsandt, um daselbst, nach Absetzung des der Felonie beschuldigten Regenten, des Kurfürsten von Cöln, die neue Regierung einzuführen. Wieder sehen wir S. im J. 1704 beim Könige Joseph im Lager vor Landau und bald darnach schließt er zu Illesheim den Evacuationsvertrag wegen Baiern mit den Gesandten der Kurfürstin. Der Tod Kaiser Leopold’s trifft S. neuerdings in Wien. Der neue Herrscher überträgt die Gunst seines Vaters auch auf ihn. Nicht allein, daß er ihn als Geheimen Rath bestätigt, erhebt er ihn zum Hofkanzler und als solcher wie später als Obersthofkanzler steht S. durch fast vier Decennien an der Spitze der auswärtigen Geschäfte der Monarchie. 1706 gelingt es S. im Haag bei den Unterhandlungen mit Marlborough und den Holländern mit Erfolg die Friedensvorschläge Frankreichs und Baierns zu vereiteln. Als 1709 Frankreich fast zu Tode gehetzt sich bei der [410] Haager Präliminarberathung zu den weitgehendsten Zugeständnissen erbötig zeigt, ist es S., der nebst Prinz Eugen jene harten Bedingungen dictirt, welche einen König Ludwig XIV. zwingen sollen, seinen eigenen Neffen aus Spanien zu vertreiben. Als die französische Krone hierauf nicht eingeht, aber doch in Gertruydenburg mit den Holländern weiter verhandelt, findet sich S. auch hier, wenngleich als ungebetener, so doch geschickter Vermittler ein. Kaiser Joseph, seinem großmüthigen Herzen folgend, belohnt gar bald die Verdienste des Grafen durch Schenkung der ausgedehnten Herrschaften Hals und Schärding in Baiern. Der plötzliche Tod des Herrschers überrascht den Kanzler im Haag, wo er wegen neuerlicher Unterhandlungen weilt. Von hier eilt er nach Frankfurt, um die Kurfürsten bei der Kaiserwahl für seinen neuen Herren günstig zu stimmen. Ueber Wien geht er dem jugendlichen Kaiser nach Mailand entgegen, wird von demselben in seinen Diensten vollbestätigt, begleitet den Monarchen zur Kaiserkrönung und wird am 9. Januar 1712 von ihm zum Ritter des goldenen Vließes ernannt. Die Utrechter Friedensverhandlungen finden in S. einen warmen Verfechter der Interessen Oesterreichs, Hand in Hand mit Prinz Eugen sucht er die Verbündeten zur Fortsetzung des Krieges zu bewegen. Umsonst. Unverrichteter Sache mußte S. vier Tage nach dem Friedensschlusse am 15. April 1713 Utrecht verlassen. Er kehrt nach Wien zurück, wo er dann seinen ständigen Sitz als Geheimer Conferenzminister einnimmt und dort nicht allein die auswärtigen, sondern auch die inländischen Geschäfte in seiner Kanzlei vereinigt. Das vertrags- und alliancenreiche dritte Decennium des vergangenen Jahrhunderts gibt dem Kanzler reiche Gelegenheit zu geschäftigem Wirken. Am Congresse von Soissons, welcher dem erregten Europa den langersehnten Frieden und den Federn der Diplomaten Ruhe bringen soll, eröffnet S. im Namen seines Kaisers am 14. Juni 1728 die Versammlung mit der Begrüßung des französischen ersten Ministers, des Cardinals Fleury, auf dessen Freundschaft er von hier an so viel baute und die sich jetzt und später in den wichtigsten Momenten als bloßes Trugbild erweisen sollte. Sinzendorff’s Bemühungen blieben hier, wie am Hofe zu Versailles, wohin er sich darnach begab, erfolglos und unbefriedigt kehrte der Graf heim. Den Verhandlungen mit den ungarischen Protestanten im J. 1734 ward er als einziger Laie zugezogen, und die wichtige Frage der Verheirathung der ältesten Erzherzogin findet in ihm einen eifrigen, wenngleich höchst eigennützigen Förderer zu Gunsten des lothringischen Hauses, indem er mit den Abgesandten desselben geradezu um die pecuniären Vortheile feilschte, gegen die er seine guten Dienste dem Hofe von Nancy zur Verfügung stellte. Nach dem Kriege um die polnische Thronfolge fiel es dem Hofkanzler zu, jene langathmigen Verhandlungen mit den Unterhändlern des allerchristlichsten Königs zu führen, die in den Präliminarartikeln der Executionsconvention vom 11. April 1736 und in dem zu Wien erst am 28. Juni 1740 publicirten Vertrage ihren endlichen Abschluß fanden. Die Mißerfolge der kaiserlichen Feldherren im türkischen Kriege Ende der dreißiger Jahre, zwingen S., dem Kaiser zu baldigem Friedensschlusse zu rathen und den Bestrebungen des Wiener Cabinetes gelingt es für die Ungunst der Verhältnisse noch immer erträgliche Bedingungen zu stipuliren. Hatte S. die Glanzzeit der Monarchie unter Karl VI. erlebt, so sollten ihm am Abende seines Lebens auch die schweren Momente nicht erspart bleiben, welche die Kaisertochter bei Uebernahme des Erbes ihres Vaters erwarteten. Der Hofkanzler mußte seine geschäftskundige Hand der jugendlichen Monarchin leihen bei den Schlangenwindungen, welche die Verhandlungen mit den Gesandten Preußens einschlugen, unter Sinzendorff’s Augen durchforschten am 3. November 1740 der bairische Gesandte Graf Perusa und seine Collegen jene Testamente und Codicille Kaiser Ferdinand I., auf deren Grundlage man Maria Theresia, dem [411] Rechte und den Verträgen zum Hohn, aus ihren Erblanden vertreiben wollte. Seine letzte Kraft setzte S. in dem aufregungsreichen ersten Kriegsjahre der neuen Regierung ein, als ihn der Tod den Reihen der Berather der jungen Königin entriß. Er erlag dem innerlichen Brande am 8. Februar 1742.
Betrachten wir dieses lange ereignißreiche Leben, so muß es eigenthümlich berühren, daß die Thätigkeit eines Mannes, der in für die Monarchie wie für Europa so bewegten Zeitläuften durch mehr als ein Menschenalter an der Spitze der wichtigsten Geschäfte der habsburgischen Lande stand, daß der Genosse eines Cardinal Fleury, so wenig Erinnerung bei der Nachwelt zurückließ, daß diese Zeit so wenig den Stempel seiner Persönlichkeit trug und dies eben in einer Epoche, wo die Geschichte der einzelnen Staaten nur zu sehr die Geschichte ihrer Minister war. S. war eben keine große Individualität und kein Charakter. Dank seiner Geburt und der Gnade seines Herrn rasch zu den wichtigsten Staatsämtern emporgestiegen, konnten seine Fähigkeiten dem raschen Fluge seiner Carriere nicht folgen. Im Beginne seiner Thätigkeit unter dem Einfluß des energischen Kaisers Joseph und des siegreichen Feldherrn Prinz Eugen stehend, erwies er sich als geschickter Unterhändler und biegsamer Hilfsarbeiter. Als ihm aber unter Karl VI. die Aufgabe zugefallen wäre, als leitender Staatsmann die wahren Interessen des Hauses und seiner Erbländer gegenüber dem überwuchernden Einflusse der spanischen Partei und sonstiger Günstlinge am Hofe thatkräftig zu vertreten, auf die Gefahr hin, die momentane Ungnade seines Herrn sich zuzuziehen, war er zu schwach zu widerstehen und bog in die Seitengasse der Meinungsänderung ein, um die Gunst des Herrschers und sich in der Stellung eines Ministers zu erhalten. Er schmeichelte dem Kaiser und seinen Träumen von maritimer Großmachtstellung und von da bis zum Abschluß der naturwidrigen Alliance mit Spanien ließ er sich halb treiben von der Angst um die Gnade seines Herrn, halb zog er ihn selbst mit sich fort, verlockt durch fremdes Gold. Das innere Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit, wie das Bewußtsein, der Bestechung nicht unzugänglich zu sein, benahmen eben S. die Fähigkeit mit jener Energie aufzutreten, die dem klaren, edlen Wollen eigen ist. So war auch seine Rede weitschweifend, bestrebt durch viele Worte die mangelnden Gedanken zu ersetzen, wie denn auch der Kaiser sein Auftreten in der Conferenz gegenüber dem lakonisch kurzen Prinz Eugen so einfach mit den Worten charakterisirt „Sinzendorff schwazt vill“. Es soll gewiß nicht geleugnet werden, daß die Künste und Wissenschaften in S., dem Beispiele seines Monarchen folgend, einen warmen Förderer fanden. Auf keinem Congresse erschien er ohne einige Gelehrte und Künstler Oesterreichs. Brachte er doch zu Soissons die für Oesterreichs Geschichtsforschung so heilbringende freundschaftliche Verbindung zwischen der Congregation von St. Maur und St. Blasien und den berühmten beiden Benedictinern Petz[WS 1] des Klosters Melk zustande und fand die Idee der Akademie zu Wien an ihm einen fördernden Anhänger. Doch die sonstigen, weniger hohen Passionen des genußsüchtigen Lebemannes ließen S. mit dem Ertrage seiner Güter, mit seinem hohen Gehalte von 45 000 Fl. kein Auskommen finden und er verfiel, dem väterlichen Beispiele folgend, jenem Dämon der Hab- und Genußsucht, vor dem sich die höchststehenden am meisten verwahren müssen. Karl VI. blieben die Fehler seines Ministers nicht verborgen, er schenkte ihm daher nie uneingeschränktes Vertrauen und oft wurden gerade die wichtigsten diplomatischen Verhandlungen, wie jene mit Preußen, mit Rußland, mit Spanien, hinter dem Rücken des Ministers geführt. Daß sich S. dennoch in seiner Stellung zu erhalten wußte, dankte er seinem liebenswürdigen, einnehmenden Wesen, dem allzugütigen Sinne eines Herrschers, der nur mit Widerwillen Aenderungen in seiner Umgebung sah und nicht zum mindesten seiner durch die langen Jahre erworbenen Geschäftsroutine, in der er die Tüchtigkeit [412] seiner Untergebenen wol auszunützen wußte, ohne daß er mit besonderer Klugheit je eine Persönlichkeit hervorgezogen oder neben sich hätte aufkommen lassen, in der ihm ein geschäftskundiger Nachfolger hätte erwachsen können. Erst die unheildrohenden Zustände beim Regierungsantritte Maria Theresia’s gaben dem Greise jenen Feuereifer rastloser, aufopfernder Thätigkeit, deren er während seines übrigen Lebens so sehr ermangelte, so daß dennoch sein Tod als schwerer Verlust in der Bedrängniß der Zeit von der jugendlichen Monarchin empfunden wurde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Bernhard Pez und sein Bruder Hieronymus.