ADB:Schröckh, Johann Matthias

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Artikel „Schröckh, Johann Matthias“ von Gustav Frank in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 32 (1891), S. 498–501, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schr%C3%B6ckh,_Johann_Matthias&oldid=- (Version vom 9. Dezember 2024, 01:20 Uhr UTC)
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Schröckh: Johann Matthias S., Professor der Geschichte zu Wittenberg, ist geboren am 26. Juli 1733 in Wien und, weil den Protestanten das Exercitium religionis nicht gestattet war, nach katholischem Ritus im Stephansdome getauft. Sein Vater Johann Wolfgang S., k. k. Niederlagsverwandter (d. h. dem Verbande Wiener Kaufleute angehörig, welche das Recht hatten, große Niederlagen oder Waarenlager zu halten) und noch mehr seine Mutter, Euphrosina, Tochter des lutherischen Seniors Matthias Bel in Preßburg, flößten ihm frühzeitig ihren Eifer für Religion und Gottseligkeit ein und damit den heißen Trieb, dereinst Prediger unter seinen (auch in Ungarn, wo sie doch freien Gottesdienst hatten, bedrängten) Glaubensgenossen zu werden. Dem ungenügenden Unterricht durch Hauslehrer sollte das lutherische Lyceum in Preßburg abhelfen. Nach dem (1749 erfolgten) Tode seines Großvaters Bel, dessen historisch-geographisches Werk über Ungarn ihm die erste Neigung zur Geschichte brachte, ward er der Lehranstalt in Klosterbergen übergeben, wo er zuerst einen tüchtigen und methodischen Unterricht kennen lernte. Im J. 1751 bezog er die Universität Göttingen um Christian Kortholt’s (früheren dänischen Legationspredigers in Wien und seinem Vater befreundet) willen, der aber kurz vor seiner Ankunft starb. Von den akademischen Lehrern elektrisirten ihn Mosheim, dem er die Liebe zur Kirchengeschichte, und Michaelis, dem er die Liebe zu den morgenländischen Sprachen verdankte. Obwol er in Göttingen an den Predigtübungen mit Vergnügen theilnahm, so bewirkte doch seine geringe Neigung zum Katechisiren und die Ueberlegung, er werde auch andere pflichtmäßige Geschäfte des geistlichen Amtes nicht so neigungsvoll und froh, wie es sich gebührt, ausüben können, daß er die akademische Laufbahn zu wählen beschloß. Zu Michaelis 1754 berief ihn seiner Mutter Bruder Karl Andreas Bel (s. A. D. B. II, 303), Professor der Dichtkunst und Universitätsbibliothekar in Leipzig, zum Mitarbeiter an den „Acta eruditorum“ und den „Leipziger gelehrten Zeitungen“. In Leipzig ließ er sich durch die Vorlesungen und Schriften von J. F. Christ [499] (s. A. D. B. IV, 140) und Ernesti, zu welchem er in der Folge in ein Verhältniß der Freundschaft trat, in das classische Alterthum einführen. Nachdem er 1755 Magister geworden und im folgenden Jahre pro venia docendi disputirt hatte, begann er selbst Vorlesungen über Kirchengeschichte, morgenländische Sprachen, Geschichte der Theologie und Gelehrtengeschichte, wurde auf Betrieb seines Oheims Custos an der Universitätsbibliothek und 1762 außerordentlicher Professor der Philosophie. Obwol Zweifel setzend in sein Talent, fand er sich doch bald, von Buchhändlern animirt und als Erwerbsquelle, in die Schriftstellerei hinein, zunächst durch Herausgabe von Wochenschriften und Uebersetzungen. Sein erstes eigenes größeres Werk waren seine „Lebensbeschreibungen berühmter Gelehrten“ (1764; 2. Aufl. 1790), denen die „Allgemeine Biographie“ (7 The. 1767–1789) folgte. Da nach zehnjähriger Lehrthätigkeit in Leipzig die Aussicht auf eine besoldete Professur sich ihm noch nicht aufthun wollte, war er froh, 1767 die Professur der Dichtkunst in Wittenberg zu erhalten, die ihn alljährlich zur Abfassung von vier lateinischen Festgedichten verpflichtete. Aber 1775 bekam er nach Johann Daniel Ritter’s Tod die ihm homogenere Professur der Geschichte und las nun außer der Kirchen- und Gelehrtengeschichte sächsische Geschichte, deutsche Reichshistorie, europäische Staatengeschichte und Diplomatik. In Wittenberg hat S. ein zurückgezogenes, äußerst fleißiges Gelehrtenleben geführt. Außer den von ihm herausgegebenen weltgeschichtlichen Schriften (wie z. B. die 4. Aufl. von „Offerhausii Compendium historiae universalis“ 1778 und seines Amtsvorgängers Ritter „Aelteste Meißnische Geschichte“ 1780) verfaßte er ein „Lehrbuch der allgemeinen Weltgeschichte zum Gebrauch beim ersten Unterricht der Jugend“ (1774, 6. Auflage von Pölitz 1816), eine Neubearbeitung von Hilmar Curas’ Einleitung zur Universalgeschichte, sodann, veranlaßt von Weiße dem Kinderfreund, eine „Allgemeine Weltgeschichte für Kinder“ (4 Thle. 1779–1784), endlich den 8., 10., 11. und 13. Theil von Guthrie’s und Gray’s Allgemeiner Weltgeschichte (1770 bis 1774), behandelnd die Geschichte von Italien, Frankreich, den Niederlanden und England. Aber Schröckh’s Ruhm und bleibendes Verdienst liegt auf dem Gebiete der Kirchengeschichte. Nachdem er bereits in Leipzig den vierten Theil der 1735 von J. G. Heinsius begonnenen „Unpartheyischen Kirchenhistorie alten und neuen Testaments“, die Jahre 1751–1765 umfassend (Jena 1766), hinzugefügt hatte, schrieb er sein weitverbreitetes Compendium „Historia religionis et ecclesiae christianae“ (Berol. 1777, 7. Aufl. 1828, besorgt von Ph. Marheineke), welches ins Deutsche (1792 von seinem Bruder Sam. Jak. S.) und ins Schwedische (1791 von S. Oedmann) übersetzt, commentirt (1792 von J. G. F. Papst) und für katholische Theologen (1788 von G. Lumper) adaptirt wurde. Dasselbe ward unter Kaiser Josef II. auf den erbländischen Universitäten als Lehrbuch eingeführt (1786), und zwar mit der Weisung, daß der Lehrer der Kirchengeschichte „die in dem Schröckhischen Werke vorkommenden von der katholischen Lehre abweichenden Sätze durch überzeugende Beweise zu widerlegen habe“. Als man dem Kaiser wegen der Einführung dieser protestantischen Kirchengeschichte an katholischen Lehranstalten Vorstellungen machte, setzte er einen Preis von 100 Dukaten „für denjenigen Katholiken aus, der eine bessere und wahrhaftere Kirchengeschichte schreiben wird“. Den Preis erhielt Dannenmayr (s. A. D. B. IV, 745), dessen Institutiones historiae ecclesiasticae N. T. mit Hofdecret vom 24. August 1788 eingeführt wurden, „und Schröckh’s Lehrbuch ist nicht mehr zu gebrauchen“. Nachmals wurde dasselbe officiell rehabilitirt für die evangelisch-theologische Facultät in Wien. Wenn aber dieses Compendium längst außer Gebrauch gekommen ist, so kann das nicht behauptet werden von seiner großen „Christlichen Kirchengeschichte“ in 45 Bänden [500] (1768–1812; die ersten dreizehn Theile in 2. Auflage 1772–1802; die zehn letzten Theile unter dem Titel: „Christliche Kirchengeschichte seit der Reformation“, davon die beiden letzten Theile hinzugefügt von Tzschirner), zu deren Inangriffnahme ihn wie eigene Neigung, so die Aufmunterung des Herrn v. Hagedorn in Dresden (s. A. D. B. X, 325) bestimmte. Diese Kirchengeschichte, ursprünglich nach einem beschränkteren Plane angelegt, aber vom vierten Jahrhundert an sich erweiternd, hat zuerst die Centurieneintheilung verlassen und an deren Stelle größere, durch epochale Ereignisse bestimmte Perioden gesetzt. Der Charakter ihrer Entstehungszeit zeigt sich in der Betonung des Nutzens der Kirchengeschichte – selbst in dem kleinen Compendium werden drei Paragraphen verbraucht, darzuthun, wie nützlich die Kirchengeschichte christianis omnibus, viris item doctis omnis generis, maxime autem theologis sei – und darin, daß das Subjective in der Form des Biographischen überwiegend hervortritt. Unbestechliche Unparteilichkeit, weise Ueberlegung; ausgebreitete Kenntniß der Quellen und Hülfsmittel, bedachtsame Prüfung der Berichte und Zeugnisse, weitumschauender Ueberblick, verständige Toleranz, gesetzter Ernst und kaltes Blut sind die Vorzüge, welche schon alte Recensenten an dem Verfasser entdeckt haben. Seine Unparteilichkeit zeigt sich in dem Bestreben, die rechte Mitte zu finden (er will die Anzahl der Märtyrer weder mit Dodwell zu klein, noch mit andern zu groß machen), und in Zurückhaltung des Urtheils. So läßt er es unentschieden, ob Augustin oder Pelagius, beide wegen ihrer guten Absicht schätzbar, der geschicktere Schriftausleger und bewährtere Kenner des Menschen ist. Ein ideenreiches, geniales Geschichtswerk ist seine Kirchengeschichte nicht, wol aber ein verläßliches Repertorium. S. war ein historischer, kein speculativer Kopf, ihm war mehr an den Facten, als an den Gedanken gelegen. Er hielt es mit dem sprachgelehrten Ernesti gegen den logikalisch-apokalyptischen Crusius (siehe A. D. B. IV, 630); er hat die kritische Philosophie, besonders wo sie der Geschichte sich nähern wollte, verspottet, ohne sie zu verstehen. Ihm war des Welträthsels Lösung gegeben in der geschichtlich fundamentirten Offenbarung. Dem 35. Theile seiner Kirchengeschichte hat er einen „Historischen Begriff der Religion Jesu“, aus den Evangelien und Briefen musivisch zusammengestellt, vorausgeschickt. Während die Altgläubigen über diesen kurzen Entwurf der christlichen Lehre, gleichsam Schröckh’s Glaubensbekenntniß, hocherfreut waren, als über einen heilsamen Balsam für die Wunden, geschlagen von denjenigen, die es gewagt haben, unter dem Schilde der neuen Aufklärung die eigenthümlichen Lehren des Christenthums auf die Seite zu schaffen, gaben die Neologen zwar zu, daß der würdige S. den historischen Begriff der Religion Jesu, wie er im N. T. vorliegt, richtig aufgefaßt und dargestellt habe, aber die Zeitform vom Wesentlichen und Unwandelbaren der Lehre zu scheiden, habe er verabsäumt; Weissagungen, Wunder, Genugthuung, Auferstehung etc. mögen in den ersten Zeiten des Christenthums als unveräußerliche Theile der Religion Jesu betrachtet und festgehalten worden sein, im Lichte der sich fühlenden Vernunft zerfließen diese nur für gewisse Perioden bestimmten Zeitgebilde in Nichts. Wie S. zur herrschenden Theologie seiner Zeit stand, erhellt aus seinen Worten (1795): „Wenn eine so ausgeartete Religion, als die christliche im Mittelalter war, so wohlthätige und dauerhafte Wirkungen, auch durch sehr unvollkommene Begriffe von ihren eigenthümlichen Lehren, hervorbringen konnte, so müßte sie in einem Jahrhundert, da man glaubet, daß sie mehr als jemals gereiniget, vereinfacht und verfeinert sei, die herrlichsten erzeugen, wenn ihr allgemein anerkannter sittlicher Werth nicht unmerklich in ein Gewebe von unendlichen Speculationen aufgelöset wäre.“

Rufe nach Frankfurt a. O. und Riga hatte S. abgelehnt. Die im Jahre 1780 erledigte Professur der Geschichte in Leipzig zu erhalten, mißglückte. Eine [501] Berufung in seine österreichische Heimath, den protestantischen Studiosis Theologiae den Unterricht im eigenen Lande zu verschaffen, kam im Staatsrathe nur vorübergehend zur Sprache. Er mußte in seinem „Erdäpfellande“ verbleiben. Er starb an den Folgen eines Sturzes von der Bücherleiter am 2. Aug. 1808.

Außer seiner Selbstbiographie in J. R. G. Beyer’s Allgem. Magazin für Prediger Bd. V, St. 2, S. 209 sind zu nennen: K. H. L. Pölitz, Schröckh’s Nekrolog. Witt. 1808. – C. L. Nitzsch, Schröckh’s Studienweise und Maximen. Weimar 1809. – Tzschirner, Ueber Schröckh’s Leben, Charakter und Schriften. Leipzig 1812 und vor dem 10. Band der Schröckhischen Kirchengeschichte seit der Reformation. – G. H. Klippel und Wagenmann in Herzog’s R.-E., 2. Aufl., XIII, 698. – C. v. Wurzbach, Biogr. Lexikon des Kaiserthums Oesterreich XXXI, 309, woselbst auch Alles, was in Oesterreich über S. geschrieben worden, verzeichnet ist.