ADB:Pölitz, Karl Heinrich
Reinhard’s, des Theologen und gefeierten Kanzelredners, hin die Professur der Moral und Geschichte an der Ritterakademie, dem Cadetteninstitute, zu Dresden. 1803 ward er außerordentlicher Professor der Philosophie in Leipzig, 1804 ordentlicher Professor des Natur- und Völkerrechts in Wittenberg, [390] 1815 ordentlicher Professor der Geschichte und Statistik von Sachsen in Leipzig; seit 1820 bekleidete er daselbst die durch den Tod Arndt’s[WS 1] erledigte Professur der Staatswissenschaften und starb als beliebter akademischer Lehrer und im Besitze mehrfacher Titel und Würden am 27. Februar 1838. Schon von früher Jugend auf hatte er der Vervollständigung seiner Büchersammlung besondere Aufmerksamkeit zugewendet; gemäß testamentarischer Verfügung fiel diese der Leipziger Stadtbibliothek zu, hat jedoch dort eine selbständige Aufstellung einzunehmen und den Namen des Stifters zu führen. Der 1839 in Druck erschienene „Katalog der Poelitzischen Bibliothek“ weist 13360 Werke aus; hauptsächlich vertreten sind die von P. selbst mit Vorliebe litterarisch gepflegten oder lehramtlich behandelten Fächer: Philosophie und Theologie, deutsche Sprache, Geschichte, Geographie und deren Hülfswissenschaften, Staatswissenschaften. – Die litterarische Thätigkeit Poelitz’ war eine sehr umfassende und vielseitige. Der erwähnte Katalog der Poelitzischen Bibliothek zählt auf: 104 unter des Verfassers Namen und 43 anonym erschienene Bücher (zum Theil mehrbändig), dann 22 Abhandlungen und Aufsätze, 9 Schriften Anderer, deren Herausgabe P. besorgt hatte, endlich 6 Zeitschriften und Journale, von P. geleitet. Zum guten Theile Veranlassung zu dieser erstaunlichen Productivität war der Umstand, daß P. schon sehr frühzeitig, als er nämlich noch die Universität besuchte, durch Schriftstellerei Erwerb zu suchen genöthigt war (seine erste Schrift, betitelt: „Religionsvorträge für die Bedürfnisse unseres Zeitalters“ erschien anonym 1794); dazu kam ein eiserner Fleiß und die natürliche Anlage, gewonnene Eindrücke oder Einsichten sofort zu fixiren und zu verarbeiten. Im Anfange sind seine Schriften, entsprechend seiner Lebensstellung, überwiegend religiösen, philologischen oder philosophischen Inhalts, später treten die Geschichte und Staatswissenschaften mehr hervor; immer jedoch hatte P. im Auge, für weitere Kreise und nicht blos für ein engeres Fachpublicum zu schreiben, und fand bei diesem Streben Unterstützung durch einen gewandten, schon durch die Menge seiner litterarischen Arbeiten geschulten Stil, sowie durch eine fünfzigjährige Lehrthätigkeit, die zu Chemnitz mit dem Ertheilen von Privatunterricht begann, als er selbst noch im Knabenalter stand, und mit dem Wirken als akademischer Lehrer endete.
Poelitz: Karl Heinrich Ludwig P., ein überaus fruchtbarer Schriftsteller namentlich auf dem Gebiete der Geschichte, des öffentlichen Rechts und der Staatswissenschaften. Geboren am 17. August 1772 zu Ernstthal im Schönburgischen als Sohn des dortigen Predigers, genoß er schon durch seinen Vater eine sorgfältige Erziehung, welcher sich dann die weitere Ausbildung durch das Lyceum zu Chemnitz (1786–1791) anschloß. 1791 bezog P. die Universität in Leipzig und beschäftigte sich daselbst mit philosophischen, historischen und theologischen Studien; 1793 erlangte er die philosophische Magisterwürde. 1794 an der philosophischen Facultät in Leipzig habilitirt, erhielt er im folgenden Jahre auf die EmpfehlungUnter den zahlreichen Publicationen, welche sehr verschiedenartige Fächer betreffen, nehmen die Schriften kirchlich-moralischen Inhalts eine ansehnliche Stelle ein. Der Umgang mit Reinhard – für P. gleichzeitig Freund und Lehrer – war bei deren Abfassung von großem Einfluß und ferner unmittelbarer Anlaß zu mehreren Veröffentlichungen, darunter „Darstellung der philosophischen und theologischen Lehrsätze des Oberhofpredigers Dr. F. V. Reinhard“ (4 Bde., 1801 bis 1804), „Grundriß der Reinhardischen Dogmatik“ (1802 – ein Auszug aus dem vorstehenden größeren Werke), dann: „Dr. F. V. Reinhard, nach seinem Leben und Wirken dargestellt“ (2 Thle., 1813 und 1815); auch besorgte er die Herausgabe von Reinhard’s Opuscula academica (1808–1809). Deutsche Sprache, Litteratur und Verwandtes betreffen vornehmlich: „Versuch eines Systems des teutschen Styls“ (4 Bde., 1800 u. fg.), „Allg. teutsche Sprachkunde“ (1804), „Die Sprache der Teutschen, philosophisch und geschichtlich dargestellt“ (1820), „Das Gesammtgebiet der teutschen Sprache nach Prosa, Dichtkunst und Beredsamkeit theoretisch und praktisch dargestellt“ (4 Thle., 1825) – P. versuchte hier nicht ohne Originalität die Ableitung von drei Hauptgattungen des Stils, der Sprache der Prosa, der Dichtkunst und der Beredsamkeit, aus den drei geistigen Vermögen, dem Vorstellungs-, Gefühls- und Bestrebungsvermögen. – Unter den geschichtlichen Werken sind etwa hervorzuheben: Die „Weltgeschichte“ (3 Bde., 1. Aufl. 1806, 6. Aufl. in 4 Bdn. 1830, bei seinem Tode in über 12000 Exemplaren verbreitet), [391] „Kleine Weltgeschichte“ (1. Aufl. 1808, 7. Aufl. 1834), „Geschichte der souveränen Staaten des Rheinbundes“ (2 Bde., 1811 u. 1812) und dazu gehörig als Ergänzung die Geschichte des österreichischen Kaiserstaates und der preußischen Monarchie (als die ersten zwei Abtheilungen eines „Handbuches der souveränen Staaten des teutschen Bundes“ (1817 u. 1818), „Die Staatensysteme Europas und Amerikas seit dem Jahre 1783, geschichtlich-politisch dargestellt“ (3 Thle., 1826), „Die Regierung Friedrich Augusts, Königs von Sachsen“ (2 Bde., 1830 – von der Kritik als gewissenhaft gearbeitetes Quellenwerk gelobtes Buch); außerdem liegt noch eine Reihe von Unterrichtsbehelfen und anderes vor. – Die Philosophie und Pädagogik betreffen namentlich: die „Erziehungswissenschaft“ (2 Bde., 1806), „Encyklopädie der gesammten philosophischen Wissenschaften im Geiste des Systems einer neutralen Philosophie“ (2 Bde., 1807, 1808). – Die Staatswissenschaften werden in folgenden Schriften behandelt: Die „Staatslehre“ (2 Bde., 1808), „Die Staatswissenschaften im Lichte unserer Zeit“ (5 Thle., 1. Thl.: Natur- und Völkerrecht, Staats- und Staatenrecht, Staatskunst, 2. Theil: Volkswirthschaft, Staatswirthschaft und Finanzwissenschaft, Polizeiwissenschaft, 3. Theil: Geschichte des europäischen u. amerikanischen Staatensystems aus dem Standpunkte der Politik, 4. Theil: Staatenkunde und positives Staatsrecht, 5. Theil: Praktisches Völkerrecht, Diplomatie, Staatspraxis, 1823 fg., 2. Aufl. 1827, 1828 – das Hauptwerk auf staatswissenschaftlichem Gebiet), „Grundriß für encyklopädische Vorträge über die gesammten Staatswissenschaften“ (1825 – eine Art Auszug aus dem vorhergenannten großen Werke), „Das constitutionelle Leben nach seinen Formen und Bedingungen dargestellt“ (1831), „Staatswissenschaftliche Vorlesungen für gebildete Leser in constitutionellen Staaten“ (3 Bde, 1831–1833), „Andeutungen über den staatsrechtlichen und politischen Charakter des Grundgesetzes für das Herzogthum Sachsen-Altenburg vom 29. April 1831“ (1831), „Votum über den Entwurf der revidirten Landschaftsordnung des Herzogthums Braunschweig“ (1831), „Beleuchtung des am 15. Novbr. 1831 erschienenen Entwurfs eines Staatsgrundgesetzes für das Königreich Hannover“ (1831), „Die europäischen Verfassungen seit dem Jahre 1789 bis auf die neueste Zeit“ (4 Bde., 1. Aufl. 1817–1825, 2. Aufl. 1832 – mit geschichtlichen Einleitungen und Bemerkungen über deren Charakter). – Endlich gab P. heraus die „Vermischten Schriften aus den Kreisen der Geschichte, der Staatskunst und Litteratur überhaupt“ (2 Bde., 1831) und redigirte die Monatsschrift „Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst“, seit 1837 „Jahrbücher der Geschichte und Politik“ genannt, ferner die „Kritische Uebersicht der neuesten Litteratur in dem gesammten Gebiete der Staatswissenschaften“ (2 Bde., 1835). – Was seine staatswissenschaftlichen Leistungen anbetrifft, so hatte sich P. mannigfacher Erfolge und weitgehender Anerkennung zu erfreuen; seine Autorität ist aber gegenwärtig als geschwunden zu betrachten. Die Sammlung der europäischen Verfassungsurkunden, ein verdienstliches Unternehmen für seine Zeit, ist heute natürlich als gänzlich veraltet anzusehen. Seine dogmatischen Schriften entsprachen zwar den Bedürfnissen und dem Geschmack ihrer Zeit, sie trafen zusammen mit gewissen Regungen im öffentlichen Leben, mit einem wachsenden Interesse an staatlichen Dingen auch in weiteren Kreisen und mancherlei gute Seiten der Poelitz’schen Schriften – z. B. eine gewisse freimüthige Kritik veralteter Institutionen und Regierungsmaximen, ein warmer Sinn für Verfassungswesen –, aber auch schlimme Eigenschaften – eine oberflächliche Behandlung wissenschaftlicher Probleme, welche jede Vertiefung ausschloß, ein doctrinärer und seichter Liberalismus – wirkten günstig auf die Aufnahme und Verbreitung derselben ein; so kam es auch, daß z. B. das fünfbändige encyklopädische Werk rasch eine neue Auflage erforderte. Auf die Länge der Zeit konnte jedoch dieses Werk, geschrieben [392] ohne Systematik und schöpferische Kraft, ja voll von Flachheiten und Irrthümern, nicht genügen, und P. ist heute für die Litteraturgeschichte von Belang nicht etwa infolge dauerhafter Anregung oder Bereicherung der Wissenschaft, sondern vielmehr als charakteristisches Symptom jener Zeit, welcher er gefiel und in der er als angesehener, gern gelesener Schriftsteller gelten konnte.
- Die Autobiographie, abgedruckt im Katalog der Poelitzischen Bibliothek (Leipzig 1839). – Die Lebensbeschreibung von Hasse in den Jahrbüchern für Geschichte und Politik, Jahrgang 1838. – Ferner Neuer Nekrolog der Deutschen, Jahrgang XVI (1840) S. 241–277. – Die biographischen Notizen in Meyer’s Conversationslexikon und in Holtzendorff’s Rechtslexikon (III, 1, S. 66 der 3. Aufl.) – Ueber Poelitz’s Stellung in der Litteratur s. namentlich Mohl, Geschichte der Litteratur der Staatswissenschaften, insbesondere I, S. 141 fg., (vgl. übrigens das Register), dann Roscher, Geschichte der Nationalökonomik in Deutschland (1874, S. 841–843) und Kaltenborn, Kritik des Völkerrechts (1847, S. 137 fg.)
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Gottfried August Arndt (1748–1819), Historiker, Ethnologe und Staatswissenschaftler.