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Artikel „Ernesti, Johann August“ von Friedrich August Eckstein in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 6 (1877), S. 235–241, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Ernesti,_Johann_August&oldid=- (Version vom 12. Oktober 2024, 09:31 Uhr UTC)
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Ernesti: Johann August E., Philolog und Theolog, geb. am 4. Aug. 1707 in Tennstädt, einem thüringischen Städtchen, † in Leipzig am 11. Sept. 1781. Er war der fünfte Sohn von D. Joh. Christoph E., der kurfürstl. sächs. Inspector (Superintendent) in jenem Städtchen war; seine Mutter, eine geborne Hedenus, stammte aus Arnstadt. Den ersten Unterricht erhielt er durch Hauslehrer, dann besuchte er die Schule seiner Vaterstadt. Nach des Vaters Tode kam er am 6. Novbr. 1723 nach Schulpforte, wo der Rector Schreber und Freytag besonders günstigen Eindruck auf ihn ausübten. Der letztere förderte ihn namentlich im lateinischen Stil und unterstützte ihn mit seinem Rathe bei der Benutzung der Schulbibliothek. Als er die Schule verließ, konnte der Rector seinem Bruder außer andern Lobsprüchen schreiben: Ille vero plures libros cognovit, quam studiosorum quisquam, qui abitum ex academiis parat. Mit einem glänzenden Zeugnisse entlassen, bezog er 1726 die Universität Wittenberg. Dort wurde J. W. Berger sein Lehrer in den philologischen Disciplinen; unter den Theologen hörte er besonders Wernsdorf und Neumann, in der Philosophie den Wolffianer Schlosser, in der Mathematik Hase. Nach anderthalb Jahren begab er sich 1728 nach Leipzig, das der Schauplatz seines Ruhmes werden sollte. Zunächst kam es ihm darauf an die theologischen Studien fortzusetzen; er hörte zu diesem Behufe besonders Börner und Deyling, aber auch die mathematischen Vorlesungen Hausen’s und die philosophischen Gottsched’s hörte er fleißig. Seine Absicht war lediglich auf ein Predigtamt gerichtet, aber ein Zufall führte ihn in das Schulamt. Er hatte als Student eine Hauslehrerstelle bei dem Bürgermeister Stieglitz übernommen und dabei die Gunst dieses einflußreichen Mannes so sehr gewonnen, daß ihm derselbe 1731 (das Jahr zuvor war [236] er Magister geworden) das Conrectorat an der Thomasschule verschaffte und es auch durchsetzte, daß ihm nach Gesner’s Abgange 1734 das Rectorat dieser Schule übertragen wurde. Er war 27 Jahre alt, als er zu dieser ansehnlichen Stellung gelangte, die er 28 Jahre lang so ausfüllte, daß sein Gönner zu sagen pflegte, nicht er habe E. eine Wohlthat erwiesen, sondern von ihm empfangen, weil er seiner Empfehlung so viel Ehre gemacht habe. Die Anerkennung, welche er gefunden hatte, veranlaßte auch die Behörde, von der seit einigen Jahren getroffenen Ausschließung der Schulmänner von akademischen Lehrämtern abzugehen und ihm „wegen seiner uns angerühmten Gelehrsamkeit und bey der studirenden Jugend zeithero erwiesenen Fleißes 1742 eine außerordentliche Professur litterarum humaniorum zu verleihen, die er am 9. April mit der Rede „De humanitatis disciplina“ antrat. Nach Kapp’s Tode erhielt er am 28. Juni 1756 die ordentliche Professur der Beredsamkeit, wodurch er veranlaßt wurde einen Ruf nach Göttingen abzulehnen. Als ihm im März 1759 neben der bis 1770 bekleideten Professur der Beredsamkeit auch eine ordentliche Stelle in der theologischen Facultät verliehen wurde, widmete er sich ganz der Universität. Schon am 21. Octbr. 1756 war er Doctor der Theologie geworden. Da er sich einer dauerhaften und fast ununterbrochenen Gesundheit erfreute und dieselbe durch Ordnung und Mäßigkeit erhielt, blieb seine Kraft bis zu dem 70. Lebensjahre frisch; aber von da nahm dieselbe erst an den Füßen, dann in dem Gebrauche der Hände immer mehr ab und der wiederholte Besuch der Bäder von Karlsbad und Lauchstädt fruchtete wenig. Ein Schlaganfall machte seinem Leben, das er bis zu einem Alter von 75 Jahren gebracht hatte, ein Ende. Er war bei seinem Tode reich an Ehren: Senior und Professor primarius in der theologischen Facultät, Domherr in Meißen, der kurfürstlichen Stipendiaten Ephorus, Beisitzer des Consistoriums in Leipzig, Senior der Meißnischen Nation und des montägigen Prediger-Collegiums, Präses der Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften. Die Göttingische Societät hatte ihn zu ihrem Mitgliede ernannt. Aber auch zeitliche Güter hatte er zu sammeln gut verstanden, so daß er Besitzer der Rittergüter in Kahnsdorf und Bierstein werden und eine reiche Bibliothek zusammenbringen konnte.

Die Verdienste des seltenen Mannes werden wir am besten nach seiner amtlichen Stellung als Schulmann und als akademischer Lehrer und nach der sehr umfangreichen schriftstellerischen Thätigkeit als Philolog und Theolog würdigen. Bei der Jugend, in welcher er sein Schulamt antrat, ist es nicht auffallend, daß ein Rector, wie Gesner, großen Einfluß auf ihn ausübte und daß er auch als Rector die Grundsätze seines Vorgängers befolgte und seine Einrichtungen beibehielt. Nur dem in dem Alumnate unter Bach blühenden Gesanginstitute war er nicht hold, weil er als Feind der Kirchenmusik eine Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Studien darin fand. Diesen Alumnen gestattete er nicht einmal aus einem Nebenzimmer dem Unterrichte zuzuhören, welchen er den Söhnen vornehmer und reicher Eltern besonders ertheilte. Er beschränkte sich als Lehrer auf die Prima, in welcher er 16 Lehrstunden gab. Der Schwerpunkt lag in den alten Sprachen, oder eigentlich nur im Lateinischen, denn das Griechische wurde trotz des Vorganges Gesner’s und trotz der immer mehr zugänglichen Hülfsmittel sehr vernachlässigt und den griechischen Schreibübungen hat er durch das wegwerfende Urtheil, welches er 1754 aussprach, überall sehr geschadet. Die Hauptsache war die Lectüre, aber nicht jene langsame, die bei einzelnen Capiteln wochenlang verweilt, sondern die cursorische, die z. B. ganze Reden oder ein ganzes Buch von Cicero’s Briefen etwa in Monatsfrist vollendete und dabei eine gute deutsche Uebersetzung und die Entwicklung der Gedanken, nicht Wörter und Phrasen („für das lateinische Maul“) ins Auge faßte. Denn die alten Schriftsteller [237] sind ihm eine unerschöpfliche Quelle für geistige Bildung; der würdige Inhalt und die schöne Form begründen ihren Werth. Am ausführlichsten hat er sich über seine Methode ausgesprochen 1737 in der Widmung des Cicero an Stieglitz und in der Vorrede zu Fischer’s Ovid („Opusc. var. arg.“ 359. 373), eben so in der „Narratio de Gesnero“ p. 330; die Summe seiner pädagogischen Erfahrungen haben wir in den sächsischen Schulordnungen, die E. auf Anordnung des Kirchenraths entworfen hatte und die von 1773–1847 in Geltung geblieben sind. Es liegt in dieser Organisation ein wesentlicher Fortschritt, weil sie zu den Ansichten eines Camerarius und Melanchthon zurückkehrt, natürlich mit Benutzung der wissenschaftlichen Ergebnisse der Neuzeit. Die Beachtung dieser Ordnungen hat sich nicht auf Sachsen beschränkt, sich aber hier länger als in andern Ländern erhalten. E. sicherte auch den Erfolg seiner Einrichtungen für einzelne Lehrfächer ganz besonders durch die „Initia doctrinae solidoris“ (1736–1783 sieben Auflagen); sie enthalten von mathematischen Wissenschaften nur Arithmetik und Geometrie fest geschlossen in Euklidischer Form, aber in weiser Beschränkung: die Philosophie gibt in fünf Abschnitten das ganze System im Anschlusse an Wolff, der in Leipzig an Gottsched einen Hauptvertreter gefunden hatte. Seit 1750 waren die „Initia rhetorica“ hinzugekommen, die lange Zeit das gefeiertste Lehrbuch auf Schulen und Universitäten abgegeben und selbst in Holland den alten Vossius verdrängt haben, wenn man auch dort dem Capitel de elegantia größere Ausführlichkeit wünschte. Genaueres habe ich in dem Art. E. in Schmid’s Encyklopädie Bd. II. 2. Ausg. gegeben.

Auf der Universität bezogen sich seine Vorlesungen, so lange er der philosophischen Facultät angehörte, auf die Erklärung griechischer (Demosthenes, Isokrates, Lykurg, Aristophanes) und lateinischer Schriftsteller (Virgil, Cicero, Sallust, Livius, Tacitus, Plinius); an die Rhetorik knüpfte er Vorlesungen über lateinischen Stil und Uebungen im Schreiben und Sprechen. Außerdem las er allgemeine Geschichte, römische Antiquitäten und seit der Errichtung der Malerakademie archaeologia litteraria, bei der er trotz des Vorganges von Christ nicht weiter kam, als daß man sich auf jene Kenntnisse nur in so weit einzulassen habe, als sie zum Verständnisse der Schriftsteller unentbehrlich sind. In der theologischen Facultät las er hauptsächlich Hermeneutik und Exegese des Neuen Testaments, außerdem Kirchengeschichte, symbolische Bücher und Dogmatik. Auf alle Vorträge war er sorgfältig vorbereitet, auch schränkte er sich nicht auf halbjährige Vorlesungen ein. Kürze und Deutlichkeit empfahlen dieselben; Lebendigkeit zeichneten sie nicht aus, wol aber gute Ordnung und Gründlichkeit. Daher ist es kein Wunder, daß sich der Student Goethe in seinen Erwartungen von ihm sehr getäuscht fand. Aus der großen Zahl seiner Schüler (es galt als Empfehlung ihn gehört zu haben) haben akademische Lehrämter mit Ehren bekleidet die Theologen J. A. Dathe, Teller, Tittmann, die Philologen Morus, Zeune, Heyne, Beck, die Juristen Bach und Hommel; unter den Schulmännern nenne ich nur J. T. Krebs, Lösner, Irmisch, Bauer, Scheller, Schmieder, von denen nur Scheller 1783 seinem großen Lehrer durch hämische Ausfälle mit Undank gelohnt hat. Bauer versuchte Formulae ac disciplinae Ernestianae indolem et conditionem veram adumbrare (1782) und die von Strodtmann besorgte deutsche Uebersetzung (1785) bietet einige Zusätze, aber das Buch ist mehr breit als klar und lichtvoll und bietet deshalb kein anschauliches Bild von der Wirksamkeit des akademischen Lehrers.

Seine zahlreichen Schriften (schon 1767 erschien ein besonderer Catalogus, der bei Bauer ergänzt ist) zeigen die Vielseitigkeit seines Wissens. Auf dem philologischen Gebiete ist die grammatisch-kritische Methode der Holländer maßgebend, in der er durch freundschaftlichen Verkehr mit den Hauptvertretern derselben [238] bestärkt wurde. Nur fehlte ihm zu der allseitigen Vollendung seiner Ausgaben alter Schriftsteller die rechte Ausdauer, was ihn auch hinderte, nach dem Wunsche der holländischen Freunde ausführliche Anmerkungen in schöner Darstellung zu geben. Bei den griechischen Schriftstellern hatte er zunächst die Bedürfnisse der Schulen und akademischen Vorlesungen im Auge, so bei Xenophons Memorabilien (1737. 1742. 1755. 1763. 1772), bei Aristophanis Nubes (1753), bei Isocratis Evagoras et Periclis έπιτάφιος (1756. 1767). Für Gelehrte war der Abdruck des Clarke’schen Homer (5 Bde. 1759–64) bestimmt, in dem er das notas aspergere begann. Für Kallimachos, dessen Gedichte er wiederholt in Programmen behandelt hatte, schafften die Holländer kritisches Material und lieferten selbst Beiträge, z. B. Ruhnken und auch Valckenaer. Die Ausgabe erschien 1761 in 2 Bänden und veranlaßte später durch Valckenaer’s hochmüthige und hämische Bemerkung (ad Callim. fr. p. 210) und Wyttenbach’s leichtfertige Beschuldigungen (Vita Ruhnken. p. 153) Tittmann in dem 1812 herausgegebenen Briefwechsel jene Angriffe siegreich zurückzuweisen, denn Wyttenbach’s leidenschaftliche Defensio Batavorum in den Miscell. doctr. l. III. p. 110–83 will nicht viel sagen. Der „Polybius cum notis variorum“ (3 Bde. 1763) wurde bald durch Schweighäuser’s Ausgabe verdrängt. Zum Schlusse mag auch die Ausgabe von „Hederici lexicon“ erwähnt werden (1754. 1766. 1788), welche in den Schulen lange gebraucht ist. Bedeutender sind seine Verdienste um die römische Litteratur, obgleich dieselben nach dem jetzigen Maßstabe gemessen in seinen Ausgaben mehr Routine als strenge Methode zeigen. Mangel an wohlfeilen Texten bestimmte ihn zuerst 1737–39 Cicero’s Werke in 6 Bänden herauszugeben, aber er begnügte sich bei dem Texte von Gruter; auch die zweite Ausgabe (1757) blieb ohne wesentliche Verbesserungen. Für die dritte hatte er ein reiches kritisches Material, besonders aus alten, sehr überschätzten Drucken zusammengebracht, genauere Bekanntschaft mit dem Schriftsteller und einen sichern Takt in der Auffindung des Richtigen erworben. Sie erschien mit historischen Vorreden und kritischen Anmerkungen 1774–77 correct und auch typographisch gut ausgestattet, was von den beiden späteren Ausgaben nicht mehr gerühmt werden kann. Mit „Cicero hat man die Clavis Ciceroniana“ zu verbinden, die von 1789 bis 1831 sechsmal gedruckt ist; die Juristen haben dies Buch wegen der Behandlung der Gesetze und der Antiquitäten besonders geschätzt. Die rechte Sorgfalt wird vielfach vermißt. Die Holländer (Ruhnken ad Vell. I, 8 und Wyttenbach Biblioth. crit. I. 1–27, II. 1–19 u. III. 1–31) feierten ihn als Sospitator Ciceronis und die im Auslande erschienenen Ausgaben dieses Schriftstellers haben weit in unser Jahrhundert hinein an seinem Texte festgehalten. In Deutschland wurde der Glaube an seine Autorität schon durch Heusinger erschüttert. Garatoni wollte nichts von ihm wissen und jetzt bezeichnet man seine Arbeit nicht mehr als eine neue Textes-Recension, sondern höchstens als Recognition. Im Interesse dieser Studien besorgte er 1753 einen Abdruck von Corradi quaestura und machte dadurch diese historischen und kritischen Untersuchungen des italienischen Humanisten (1537) allgemeiner bekannt. Die Bearbeitung des Sueton erschien 1748 u. 49 mit einem hin und wieder verbesserten Texte, ziemlich knappen erklärenden und antiquarischen Excursen; 1775 wurde sie wiederholt. An die Bearbeitung des Tacitus, den er nicht gern hatte, ging er mit Zögern und erst 1752 erschien die Ausgabe (wiederholt 1772), für die er zwar auch die alten Ausgaben benutzt hatte und selbst Handschriften, aber befangen durch den Sprachgebrauch der classischen Zeit vieles für falsch und verderbt hielt, was bei genauerer Kenntniß des Schriftstellers sich als ganz gerechtfertigt erwiesen hat. Auf Drängen der Buchhändler schrieb er Vorreden zu der Fischer’schen Ausgabe des Ovid (1758), zu dem Abdruck des Gronov’schen Plautus (1760), zum [239] Lindner’schen Minucius Felix (1760 u. 1773), zu dem von Bruns entdeckten Fragmente des Livius (1773), zu Gesner’s Ausgabe der Scriptores rei rusticae (1774), wie er auch zu desselben Bearbeitung von Plinii epistolae (1739. 1770) Beiträge geliefert hatte. Aus gleicher Veranlassung sind die Vorreden zu dem Xenophon von Thieme (1763) und zu Weißmann’s Lexikon (1757) geschrieben; ebenso die Ausgabe des Horatius Tursellinus De particulis linguae lat. (1751. 1769). Bei der Ausgabe von Fabricii bibliotheca latina (1773. 74) gebührt ihm das Verdienst, das Ganze besser geordnet, zahlreiche Verbesserungen und Nachträge angebracht und die bibliographischen Angaben erweitert zu haben. Als Grundriß für die sogenannten archäologischen Vorlesungen gab er 1768 die „Archaeologia litteraria“ heraus (erweitert von Martini 1790).

In seinen amtlichen Stellungen war er zu zahlreichen Gelegenheitsschriften verpflichtet; von 1738–58 hatte er jährlich ein Schulprogramm zu schreiben. Als Professor der Eloquenz verfaßte er viele „Memoriae“und „Elogia“ nicht blos seiner Collegen, sondern auch anderer angesehener Männer und Frauen der Stadt, die ihm sehr gut bezahlt wurden; bei festlichen Gelegenheiten lag es ihm ob, die lateinischen Reden zu halten und auch in der theologischen Facultät mußte er oft den Programmatarius machen. Manche derselben haben sogar zweite Auflagen erlebt und sind in das Deutsche übersetzt, besonders die Memorien in sehr holperiger Form durch den Küster Rothe (1792). Die Sammlungen dieser kleinen Schriften waren daher sehr willkommen: „Opuscula oratoria, orationes, prolusiones et elogia“ (1762, 67) und dazu noch 1791 ein „Novum volumen“, in dem aber wenigstens sechs Memorien und die auf regierende Herren sich beziehenden Reden fehlen; „Opuscula philologica critica“ (1764 u. 76), in denen namentlich Schulprogramme und die auf neutestamentliche Kritik sich beziehenden Abhandlungen vereinigt sind (andere sind in die Excurse zu Sueton und Kallimachos übergegangen oder auch abgekürzt in die Clavis): „Opuscula theologica“ (1773 u. 92), in denen dogmatische und kirchengeschichtliche Abhandlungen überwiegen, endlich „Opuscula varii argumenti“, 1794 von Stange gesammelt. Unter seinen Denkschriften ist die „Narratio de J. M. Gesnero“ (1762) die vollendetste, obgleich sie alle correct, fließend und mit großer Klarheit geschrieben sind, nur zuweilen mit zu großer Ausführlichkeit. Die Masse solcher Arbeiten nöthigte in der Regel zur Eile und verhinderte die Feile. Auch zu den Abhandlungen der Göttinger Societät hat er zwei antiquarische Beiträge geliefert. Zu Gedichten hat er sich selten bereit finden lassen.

Von der Philosophie ist E. zur Philologie übergegangen, die er in dem Sinne der Polyhistorie auffaßte; beide Wissenschaften haben auf seine theologische Thätigkeit eingewirkt, jene in Bezug auf eine rationellere Behandlung, diese besonders in den Grundsätzen über die Erklärung der biblischen Schriften. Das Studium der Kirchenväter hat er zu keiner Zeit verabsäumt. Schon unter seinen Schulprogrammen bezogen sich viele auf die Exegese des N. T. (gesammelt in Opusc. phil. p. 172–375) und in den Acta eruditorum gab er 1730–60 Recensionen theologischer Schriften. Die Grundsätze, welche bei der Auslegung der alten Schriftsteller angewandt wurden, sollten auch bei der Erklärung der biblischen Schriften gelten: das grammatische Verfahren, welches schon Grotius vor ihm und Einzelne in dem Reformationszeitalter angewendet hatten, brachte er wieder zur Geltung und trat damit der willkürlichen und phantastischen Erklärungsweise der Mystiker und Allegoristen ebenso entschieden entgegen als denen, welche sich durch die Kirchenlehre oder das eigene Gefühl leiten ließen. Dazu schrieb er die „Institutio interpretis novi testamenti“ (1761 und in demselben Jahre noch einmal in Leyden, 1765, 75 u. 92 von Ammon: parvus, sed incomparabilis libellus, qui solus suffecisset ad memoriam ipsius aeternitati [240] consecrandam). An Ernesti’s Namen knüpft die Geschichte den Uebergang zu freieren Grundsätzen für die Auslegung der Schrift. Wenn er die Hermeneutik als die Wissenschaft von der Auffindung und Entwicklung des Sinnes erklärt und darnach die grammatische Interpretation nach ihren Hülfsmitteln in der richtigen Auffassung der neutestamentlichen Gräcität und in der Beurtheilung in dem Gebrauche des hermeneutischen Apparats darlegt, alles in gedrungener Kürze und schöner Darstellung, so blieb darin eine Einseitigkeit, weil man die religiösen Wahrheiten der Schrift auch geistig auffassen und den Sinn derselben aus sich selbst zu verstehen suchen muß. Selbst die geschichtliche Seite der Erklärung hat er wenig beachtet, die philosophische verschmäht und von der höheren Kritik keine Vorstellung, obschon durch seine Weise die Bibel schon sehr in den Kreis der bloßen Sprachgelehrsamkeit gezogen war. Michaelis und Semler, der ihm persönlich sehr befreundet war, erkennen sein Verdienst gern an, obschon sie weit über ihn hinausgingen; die Holländer sind am längsten seinen Fußstapfen gefolgt. J. A. Voorst, Oratio de J. A. E. optimo post Hugonem Grotium duce et magistro interpretum Novi Foederis (L. B. 1804) geht zu weit, weil Grotius gründlichere Kenntnisse der orientalischen Sprachen besaß, E. kaum eine leidliche des Hebräischen. Von seinen exegetischen Vorlesungen haben wir eine Vorstellung aus den von Dindorf 1795 herausgegebenen „Lectiones academicae in epistolam ad Hebraeos“, deren Druck wol hätte unterbleiben können. Einige theologische Dissertationen beziehen sich auf den litterarischen Theil der Kirchengeschichte (Josephus, Salvianus) und auf Liturgisches, wie der „Anti Muratorius“ (1755), der in Rom sogar verboten wurde. Dogmatische Compendien liebte er nicht (er nannte sie Studenten-Katechismen), las aber Dogmatik über Neumann’s Aphorismen und behandelte auch manche hierher gehörige Fragen in Programmen, obgleich ihm die systematische Theologie fern lag. Einige derselben, wie die „Vindiciae arbitrii divini in religione constituenda“ (1756 u. 62), „Brevis repetitio et adsertio sententiae Lutheranae de praesentia corporis et sanguinis Jesu Christi in coena sacra“ (1765) sind auch in das Deutsche übersetzt, zumal er in der letzteren die lutherische Abendmahlslehre vertheidigt hatte. Wie viel er von theologischen Schriften gelesen hat, ergibt sich aus der Neuen theologischen Bibliothek (1760–69 in 10 Bden.) und aus der Neuesten theologischen Bibliothek (1773–79 in 4 Bden.), deren größten Theil er allein geschrieben hat. Welchen Werth diese Zeitschrift in einer Zeit gehabt hat, in der noch kein ähnliches Journal bestand, kann man daraus abnehmen, daß E. Anmerkungen über die Bücher des N. T. daraus ausgezogen und 1786 in einem besondern Bande zusammengedruckt hat. Als Professor der Theologie hatte er auch in der Universitätskirche zu predigen; die Ausarbeitung der Predigten in deutscher Sprache machte ihm viel Mühe, aber er gefiel nicht, weil ihm Popularität und Wärme abging und die Sprache zu sehr mit Latinismen durchwebt war, denn sie waren lateinisch gedacht und deutsch geschrieben. Das zeigen auch die gedruckten Predigten, zuerst 1758 drei, dann die „Christlichen Predigten zur Verherrlichung Gottes und Jesu Christi und zur Beförderung des inneren Christenthums“ (1. Thl. 1768, der auch in das Holländische übersetzt ist, 2. Bd. 1770, einen dritten und vierten gab nach seinem Tode der Neffe heraus). Da ihn Freiheit und Milde des Urtheils von den streitsüchtigen Theologen der früheren Zeit unterscheiden, er aber gegenüber dem starken Anhange, dessen sich sein College Crusius erfreute, es weislich unterließ zu brechen mit der Ueberlieferung in dem Lehrbegriff, so ist es nicht zu verwundern, daß ihm Einige den Vorwurf machten, er sei zu orthodox gewesen, Andere aber annahmen, daß es mit seiner Rechtgläubigkeit nicht besonders stehe. Viele heterodoxe Theologen behaupteten, er sei einig mit ihnen. Er verwarf die gewöhnliche Ansicht vom Canon, ohne zu sagen, welche Bücher er dazu [241] rechne; mit dem ausgedehnten Begriffe der Inspiration war er nicht einverstanden, aber die Eingebung der Worte ließ er sich nicht streitig machen. Er war orthodox in der Lehre von der Versöhnung und stellvertretenden Genugthuung Christi, auch von der Trinität und der Christologie. Er war ein entschiedener Gegner alles Unglaubens und Aberglaubens, blieb aber rechtgläubig und scheute Neologismen; er wollte ein biblischer Theolog sein. Auf diese Streitfrage beziehen sich die Schriften von W. A. Teller, Ernesti’s Verdienste um die Theologie und Religion (1783), Semler’s Zusätze zu dieser Schrift (1783) und einem Ungenannten: Noch ein paar Worte über D. E., hauptsächlich über seine Orthodoxie (1782).

Dem, was man schöne Litteratur nach dem Vorgange der Franzosen zu nennen pflegte, war er nicht gewogen. Wenn er auch in der Schule die Muttersprache besonders beim Uebersetzen aus den alten Sprachen geübt wissen wollte und in der Schulordnung sogar eine Lectüre der „Nationalschriftsteller“ verordnete, so verabscheute er doch die modernen Romane und dramatischen Dichtungen, weil er daraus eine Vernachlässigung der alten Litteratur voraussah.

E. war seit seinem 37. Lebensjahre mit Rahel Friederike Amalie Dathe verheirathet, die ihm eine Tochter gebar, aber bald nach der Entbindung starb. An dieser Tochter Sophie Friederike fand er später eine kräftige Vorsteherin seines Hauses; sie sprach Latein und verstand Griechisch. Sie wurde zwar wegen des Reichthums ihres Vaters viel umworben, blieb aber unverheirathet und überlebte den Vater nur um fünf Monate. Reiche Legate wurden von ihr ausgesetzt, um das Gedächtniß des Vaters in seiner Vaterstadt, an der Thomasschule und an der Leipziger Universität alljährlich zu erneuern. Erbe des großen Vermögens wurde nun der Neffe J. Chr. Ernesti, der auch 1782 das Leben seiner Tante geschrieben hat.

Bei angestrengtem Fleiße und treuem Gedächtniß hatte E. große Gelehrsamkeit erworben, die er auch stets gegenwärtig hatte, ohne auf Anlegung von Collectaneen Bedacht zu nehmen. Er war in seinem Urtheil nüchtern, Scharfsinn wird ihm Niemand absprechen. Sein Verdienst um eine bessere Behandlung der alten Sprachen in den Gymnasien und über die bessere Einrichtung derselben ist unzweifelhaft. Als akademischer Lehrer hat er eine Schule gestiftet, zu der viele angesehene Lehrer gehören. Aber nicht diese, sondern die Theologen (Semler) haben ihn als praeceptor Germaniae gefeiert, weil sie an seinen Namen eine neue Epoche in der Auslegung der Schrift knüpfen; eher hätten die Philologen ein Recht seinen Namen denen eines Melanchthon und Camerarius an die Seite zu stellen. – In seinem Wesen war er ernst und verschlossen, manche nannten ihn kalt und theilnahmlos; sein Neffe rühmt seine Liebenswürdigkeit und seinen Scherz. Für seine Anverwandten hatte er treulich gesorgt, auch in der Empfehlung seiner Schüler war er unermüdlich. Anderen gegenüber scheint er von engherziger Selbstsucht nicht frei gewesen sein (Reiske’s Lebensbeschreibung S. 67. 732). Sein Bild ist öfter gemalt von A. Graff (zwei sind in Leipzig), gestochen von Bause und in weniger guten Nachstichen vor mehreren seiner Schriften. – Aus dem Verkaufe seiner Bibliothek ergab sich die Summe von 7731 Thlrn. 6 Pf. mit Ausschluß der Collectio Ciceroniana, welche für die Stadtbibliothek in Leipzig erworben wurde.

A. W. Ernesti, Memoria J. A. E., Lipsiae 1781 Fol., abgedruckt in dem Novum volumen opusc. orat. p. 255–72. hinter Bauer’s Formula ac disciplina und in Frotscher’s Narrationes I. p. 81–129 und ins Deutsche übersetzt von Küttner 1782. Heyne in der Comment. scient. societ. Gotting. Vol. IV. und anderes in meinem Aufsatze in der Allgem. Encykl. Bd. XXXVII. S. 250–57.