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Artikel „Reiske, Johann Jacob“ von Richard Foerster in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 129–143, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Reiske,_Johann_Jacob&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 10:40 Uhr UTC)
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Reiske: Johann Jacob R., ausgezeichneter Philolog.

Geboren am 25. December 1716 in dem Städtchen Zörbig, welches damals zum Kreise Leipzig gehörte, Sohn eines Lohgerbers, erst in seiner Vaterstadt, dann in dem Dorfe Zöschen bei Merseburg von Christoph Meißner, von 1728–1732 auf dem Waisenhause in Halle unterrichtet, ließ er sich Ostern 1733 auf der Universität Leipzig als Studiosus der Theologie, obwol ohne Neigung für dieselbe, inscribiren, hörte aber keine Vorlesungen, sondern trieb für sich Hebräisch und besonders Arabisch. Als er was damals in letzterer Sprache gedruckt war, durchgelesen hatte, ging er, obwohl ohne alle Mittel, im Mai des Jahres 1738 nach Leiden, angezogen von dem Ruf, welchen Albert Schultens[WS 1] genoß, und besonders getrieben von der unbezwinglichen Begierde, die reiche Sammlung der arabischen Handschriften der dortigen Universitätsbibliothek kennen zu lernen. Indem er sich hier seinen Unterhalt theils durch Dienstleistungen als Amanuensis des reichen Professors d’Orville in Amsterdam, theils durch Correcturen und Privatunterricht verschaffte, hörte er zwar bei Schultens arabische und bei Hemsterhuys einige griechische Vorlesungen, beschäftigte sich aber auch hier vorzugsweise mit dem Abschreiben von Handschriften arabischer Dichter und Geschichtschreiber, sowie mit der Lectüre griechischer Schriftsteller und in der zweiten Hälfte seines achtjährigen Aufenthaltes auch mit dem Studium der Medicin, welche er, obwohl ebenfalls ohne rechte Neigung, auf den Rath von Schultens als Lebensberuf zu wählen gedachte. Er lernte jedoch nicht sich in Holland heimisch fühlen und verscherzte sich Aussichten auf eine gesicherte Existenz. Er verließ daher Leiden am 10. Juni 1746, nachdem er im Mai dieses Jahres auf die Dissertation „Miscellaneae aliquot observationes medicae ex Arabum monimentis“ (Lugduni Bat. 1746) 4°, mit Reiske’s Zusätzen wiederholt in „J. J. Reiske et J. E. Fabri opuscula medica ex monimentis Arabum et Ebraeorum iterum recensuit Gruner“, (Halae 1776) 8°, zum Doctor der Medicin promovirt worden war, und kehrte nach Leipzig zurück. Eine Aussicht, mit dem Engländer Dr. Askew eine Reise auf Entdeckung von Handschriften nach Italien und Constantinopel zu machen, zerschlug sich, und medicinische Praxis zu üben, konnte er sich nicht entschließen. Natura mihi, schreibt er an seinen Freund Bernard, ingenium ἐμπορικὸν καὶ χρηματιστικὸν negavit. Ideo friget apud me forum medicum et academicum (Mehler, Mnemosyne I, 345). – Er mußte daher auch jetzt wieder von Privatunterricht, Corrigiren, Recensiren, Uebersetzen (z. B. von Swammerdamm, Bibel der Natur, aus dem Holländischen, Leipzig 1752; Revision der deutschen Uebersetztung des ersten Theils von Arkenholz, Mémories concernant Christine, Reine de Suède) und Registermachen (z. B. [130] zur Geschichte der k. Akademie der schönen Wissenschaften zu Paris, aus dem Französischen, Eilfter Theil, Leipzig 1757) seinen Lebensunterhalt bestreiten, auch nachdem er im Anfang des J. 1748 zum außerordentlichen Professor der arabischen Sprache ernannt worden war und sein Amt am 21. Aug. d. J. mit dem Progamm „De Arabum Epocha vetustissima“ (Leipzig 1748, 4°) und einer „Oratio studium arabicae linguae commendans“ (nach seinem Tode von seiner Frau edirt in „Reiske coniecturae in Jobum et Proverbia Salomonis cum eiusdem oratione de studio arabicae linguae“, Leipzig 1779) angetreten hatte. Denn die nur mit Mühe durchgesetzte Besoldung betrug nicht mehr als 100 Thaler und wurde ihm obenein noch geschmälert, ja seit 1755 einbehalten und 1764 ganz entzogen. Und zu den Vorlesungen fanden sich nur wenige und noch weniger solche Hörer, wie er sie sich wünschte, welche etwas mehr als die Elemente des Arabischen lernen wollten. Seine Vorlesungen beschränkten sich daher auf einige gratis gehaltene Privatissima. Der Ertrag seiner wissenschaftlichen Werke aber reichte bei weitem nicht zur Deckung der Kosten, welche ihm der Druck und der Vertrieb derselben verursachten. Aus diesem Elend, welches sich noch durch die Schärfe seiner Recensionen von Werken angesehener Gelehrten steigerte und ihn in geradezu unwürdige Abhängigkeit von Ernesti brachte, wurde er im Alter von 42 Jahren durch die seitens des Rathes der Stadt Leipzig zum 1. Juli 1758 erfolgte Wahl zum Rector der Nicolaischule erlöst. „Es war ein Bret“, sagt er in seiner Lebensbeschreibung S. 77 „das mir Gott, im Schiffbruche meiner zeitlichen Wohlfahrt, zuwarf. Die Noth zwang mich, es zu ergreifen; sonst wäre ich umgekommen“. In dieser Stellung ist er bis zu seinem nach langen schweren Leiden am 14. August 1774 eingetretenen Tode verblieben.

R. hatte einen angeborenen Hang zur Schwermuth, welcher sich bisweilen sogar zu heftigen Anfällen steigerte, wie deren einen Böttiger (der Neue Teutsche Merkur 1798 Bd. III, S. 272) nach den Worten von Frau R. erzählt. Er war ferner einerseits von kindlicher Schüchternheit, Unbesonnenheit, Reizbarkeit, Heftigkeit, andrerseits besaß er unbeugsamen Trotz, dazu Derbheit und Ruhmbegierde in hohem Maße, hat sich aber allzeit als einen wahrheits- und freiheitsliebenden, freimüthigen, muthigen, selbstlosen, aufopferungsfreudigen Mann bewährt, trotzdem er mit einem schwachen und kränklichen Körper, mit Zurücksetzungen, mit der Ungunst offner und versteckter Gegner, wie Clodius, Schultens, Michaelis, P. Caspar Burmann, Klotz, Ernesti, Ruhnken und mit Widerwärtigkeiten aller Art zu kämpfen gehabt und den größten Theil seines Lebens in den dürftigsten Verhältnissen zugebracht hat. „So aber“, sagt er in der oben angeführten „Geschichte der königl. Akademie der schönen Wissenschaften zu Paris“, eilfter Theil, S. 160, „schlägt die Dürftigkeit, die treuliche Gefährtinn meines ganzen bisherigen Lebens, meinen guten Willen zu Boden“. Einen beträchtlichen Theil seiner ungeheuren Arbeitskraft hat er an seiner völlig unwürdige Beschäftigungen hingeben müssen. „Der Hunger zwang mich dazu“ (Lebensbeschr., S. 58). Auch manchen seiner Ausgaben sieht man es an, daß er sie nicht aus eigenstem Drange, sondern auf buchhändlerisches Verlangen unternommen hat. Weder für sein Fortkommen noch für seine wissenschaftlichen Pläne hat er die Unterstützung einflußreicher Gönner gefunden. Unpraktisch wie er war, gelang es ihm selten Verleger gerade für die Lieblinge seiner wissenschaftlichen Beschäftigung zu finden, noch seltner sie festzuhalten, so daß er für den Verlag eines großen Theiles seiner Werke selbst zu sorgen hatte. „Ich bin zum Märtyrer der arabischen Literatur geworden“, sagt er selbst (Lebensbeschr. S. 11) und noch mehr bezeugt ihm Herder (Ideen zur Geschichte der Menschheit, 4. Theil, S. 265 A., Tübingen 1807): „Unser R. ist ein Märtyrer seines arabisch-griechischen Eifers geworden, sanft ruhe seine Asche! In langer Zeit aber kommt uns seine verschmähete Gelehrsamkeit gewiß nicht wieder“. Dazu kamen in [131] den letzten 16 Jahren seines Lebens die Geschäfte des Rectorats der Nicolaischule. Wie er diese mit um so größerer Pflichttreue wahrnahm, je weniger es ihm hatte entgehen können, daß die Schule zur Zeit seines Amtsantrittes im Rückgange begriffen war, so hat er nach dem Zeugnisse vieler sein bestes gethan, um durch seinen Unterricht die ihm anvertraute Jugend nachhaltig zu fördern. R. war ferner Autodidakt. Endlich, er arbeitete fast immer in einem gewissen impetus, wie er selbst von seiner Arbeit am Plutarch sagt, Animadversion. ad graec. auct. t. II p. 124 (Lipsiae 1759): si mihi taedii patientior esset animus, et temporis iacturam aequius ferens, quod in operosis indagationibus singularium saepe locorum multas horas absumentibus, et in volutatione librorum multorum perit – darem procul dubio aliquid perfectius. Sed abhorret mihi animus ab omni aerumnosa perscrutatione; fugit vel speciem compilationis. Ja er konnte es nicht einmal über sich gewinnen, seine Bemerkungen vor dem Drucke einer Prüfung oder Sichtung zu unterwerfen, sondern gab alles so, wie er es gefunden hatte.

Bringt man dies alles in Anschlag, so wird man in gleichem Maße der Persönlichkeit Reiske’s hochachtungsvollste Sympathie wie seinen wissenschaftlichen Leistungen aufrichtigste Bewunderung zollen und Herder darin Recht geben, daß seine Zeit bei weitem nicht diesem Manne gerecht geworden ist, welcher mit gleichem Rechte vom ersten Arabisten unsrer Tage (Fleischer in der Dedication seines Hauptwerkes, des Reiske’s Andenken gewidmeten Beidhawii commentarii in Coranum vol. I. Leipzig 1846), wie vom ersten Forscher auf dem Gebiete der alten Geschichte und Litteratur, Theodor Mommsen[WS 2], (Hermes VI, 381) „der unvergleichliche“ genannt werden konnte. Denn in der That ist eine Beherrschung zweier Litteraturen, der arabischen und der griechischen, wie sie R. besaß, beispiellos. Er ist der erste Arabist und einer der ersten, wenn nicht der erste Gräcist des 18. Jahrhunderts.

Obwol R. als Student von dem Vertreter des Arabischen in Leipzig Professor Clodius, trotzdem er sein Famulus wurde, keinen Unterricht erlangen konnte (Lebensbeschr., S. 116), so fiel doch einer seiner ersten selbständigen Versuche, die im August 1736 gemachte Bearbeitung und Uebersetzung des Sendschreibens des Hermes Trismegistus an die menschliche Seele, so aus, daß der folgende Bearbeiter, der eben genannte Fleischer (Hermes Trismegistus an die menschliche Seele, Leipzig 1870, S. VIII) urtheilt: „R., zur Zeit seiner Uebersetzung erst 20 Jahre alt, im Arabischen Autodidakt und noch Anfänger, ist doch auch hier schon R.; und leidet seine Arbeit an manchen Mängeln, so möchte es doch jetzt kaum einen zwanzigjährigen Jüngling geben, der, von dem besten Unterricht und den reichsten Hülfsmitteln unterstützt, eine vollkommenere zu liefern im Stande wäre. Möge es mir gelungen sein, Reiskes Fehler zu vermeiden! Auf einen andern Vorzug mache ich keinen Anspruch“. Aber auch von Schultens hat R. nicht die Richtung seiner Studien im Arabischen empfangen; von dessen linguistischen Theorien fand er sich sogar abgestoßen und gerieth mit ihm in eine heftige Polemik. Noch weniger als zu linguistischen hat R. das Arabische, wie die meisten seiner Zeitgenossen, zu theologischen Zwecken, als Hülfsmittel der Exegese des alten Testamentes, getrieben, viemehr ist er an dasselbe als Philolog herangetreten und recht eigentlich der Begründer der arabischen Philologie geworden. „Wolle man dem Arabischen aufhelfen“, äußerte er schon in Leiden, „so müsse man es nicht als Theologe treiben; die Historie, Geographie, Mathematik, Physik und Medicin, daraus aufklären und bereichern“, und noch bestimmter in den „Gedanken wie man der arabischen Literatur aufhelfen könne und solle“, welche dem obenangeführten Register zum elften Theile der Geschichte der Akademie zu Paris angehängt sind, S. 190: „Ein jedes altes Buch, es sey in welcher Sprache es wolle, muß man so, wie einen alten griechischen oder lateinischen [132] Autorem, behandeln: Man muß seine Bemühungen mit demselben auf einen doppelten Zweck richten; erstlich den Text richtig zu liefern, dahin denn auch die Lesarten und Muthmaßungen wegen Verbesserung der Schreibefehler gehören: sodann das Dunkle im Vortrage aufzuklären“. Demgemäß war das Ziel seiner Beschäftigung mit dem Arabischen, die Werke seiner Litteratur in kritischem Texte darzubieten, zu erklären, zu beurtheilen und für die Geschichte zu verwerthen. Denn nach seiner ganzen Richtung – animus mihi semper ad historica studia gestiit, sagt er im Prologus zu Taraphae Moallakah p. IV – räumte er den historischen Werken den Vorrang vor den poetischen ein. So gab er eine große Menge Schriften zum ersten Male oder besser als bisher heraus, und übersetzte oder erläuterte dieselben. Die hauptsächlichsten sind: „Abi Mohammed el Kasim Bosrensis vulgo Haririi Consessus XXVI. Rakda seu variegatus dictus e cod. Ms. una cum scholiis arabice edidit et vertit“, Lipsiae 1737, 4°. – „Taraphae Moallakah cum scholiis Nahas e Mss. Leidensibus arabice edidit, vertit, illustravit“, Lugd. Bat. 1742, 4°. – „Abi’l Walidi Ibn Zeiduni Risalet seu epistolium arabice et latine cum notulis“, Lipsiae 1755, 4°. – „Proben der arabischen Dichtkunst in verliebten und traurigen Gedichten, aus dem Motanabbi, arabisch und deutsch, nebst Anmerkungen“, Leipzig 1765, 4°. – „Abilfedae annales Moslemici. Latinos ex arabicis fecit“, Lipsiae 1754, 4° (wiederholt 1778). Der arabische Text nebst vollständiger lateinischer Uebersetzung dieses Hauptwerkes wurde auf Veranlassung des dänischen Kammerherrn v. Suhm, welcher 1779 Reiske’s Handschriften von seiner Wittwe gekauft hatte, von Professor Adler 1789–94 in 5 Bänden 4° herausgegeben. – „Abilfedae opus geographicum ex arabico latinum fecit J. J. R.“, in „Magazin für die neue Historie und Geographie angelegt von Büsching, vierter Theil“, Hamburg 1770, S. 121 bis 298 und fünfter Theil (1771), S. 299–366. – „Animadversiones ad Abulfedam et prodidagmata ad Historiam et Geographiam Orientalem“, in „Abulfedae tabula Syriae ed. Jo. Bernh. Koehler, Leipzig 1766, S. 193 sq. – „Marai, des Sohns Josephs, von Jerusalem Geschichte der Regenten in Egypten, aus dem Arabischen übersetzt“, in dem eben angeführten Magazin von Büsching, fünfter Theil. S. 367–454. – „Thograis sogenanntes Lammisches Gedicht, aus dem Arabischen übersetzt, nebst einem kurzen Entwurf der arabischen Dichterey“, Friedrichstadt 1756, 4°. – „Sammlung einiger arabischen Sprüchwörter, die von Stecken oder Stäben hergenommen sind“, Leipzig 1758, 4°. – Viel beträchtlicher jedoch ist der Umfang der von ihm nur abgeschriebenen, nicht zum Druck gebrachten Werke. Siehe Lebensbeschr., S. 152 ff. Aber, wie bemerkt, er wußte auch dieses gewaltige Material für alle Zweige der Geschichte nutzbar zu machen. So wurde er der Gründer einer aus den Quellen geschöpften Geschichte der Araber vor Muhammed in den 1747 niedergeschriebenen „Primae lineae historiae regnorum arabicorum et rerum ab Arabibus medio inter Christum et Muhammedem tempore gestarum“, einer Arbeit, welche noch 100 Jahre später Ferdinand Wüstenfeld mit vollem Recht der Veröffentlichung für werth gehalten hat mit den Worten: „Keiner von denen, welche über die vormuhamedanische Geschichte der Araber geschrieben haben, wird R. den Vorrang streitig machen wollen; er ist überhaupt der erste, welcher eine solche Geschichte im Zusammenhange liefert. Er hat seine arabischen Schriftsteller, an die er sich genau hält, nicht blos übersetzt, sondern auch erläutert, ihre Schwierigkeiten und Widersprüche offen dargelegt, und durch glückliche Combinationen oftmals das Wahre zu ermitteln versucht“ (Reiskii primae lineae etc., Gottingae 1847, S. X). So sah er ferner auf Heyne’s Wunsch die „Geschichte Muhammeds, der Araber und der Chaliphen“ durch für die von diesem veranstaltete Bearbeitung des englischen Werks „Allgemeine Weltgeschichte, ausgefertigt von Wilhelm Guthrie, Johann Gray und andern, berichtigt von Heyne, sechsten Bandes erster Theil“, [133] Leipzig 1768 und schrieb Anmerkungen dazu, welche vieles berichtigten. In noch höherem Maße gilt dies von seinen Anmerkungen zu Herbelots Bibliothèque orientale, welche der jüngere Schultens bei der Neubearbeitung dieses Werks (à la Haye 1777–1782) bekannt gemacht hat. Sein Commentar zu Constantinus Porphyrogennetus de caerimoniis aulae Byzantinae, 2 voll. fol., Lipsiae 1751 und 1754 ist eine Fundgrube auch für arabische Antiquitäten. Dem Grenzgebiete der politischen und der Litteraturgeschichte gehört an die Schrift: „de principibus Muhammedanis qui aut ab eruditione aut ab amore literarum et literatorum claruerunt“, Lipsiae 1747, 4°, in welcher er sich besonders mit Abulfeda beschäftigt, der letzteren außer dem „Entwurf der arabischen Dichterey“ in „Thograis Lammisches Gedicht“ (s. oben), die Schulschrift „de Actamo, Philosopho Arabico“, Lipsiae 1759, 4°, der Chronologie die zum Antritt der Professur verfaßte Schrift „de Arabum Epocha vetustissima Sail ol Arem, id est ruptura catarrhactae Marebensis dicta“, Lipsiae 1748, 4°. Für die Chronologie verwerthete er auch die Münzen. Obwol er nur wenige Münzen, nämlich nur die des Dresdner Cabinets, selbst in den Händen gehabt hatte, sind doch die 14 Briefe, welche er 1755 (Lebensbeschr., S. 74) an den Vorsteher dieses Cabinets, Hofrath Richter[WS 3], über das arabische Münzwesen geschrieben hat, die erste Grundlegung einer arabischen Numismatik geworden, welche fast keine Seite des Gegenstandes unerörtert gelassen hat. R. war sich der Bedeutung dieser Arbeit recht wol bewußt, wie sein Brief an Murr vom 13. Juli 1767 (abgedruckt in dessen Journal zur Kunstgeschichte und zur allgemeinen Litteratur X, 265) beweist: „ohngefähr im Jahre 1756 oder 57 setzte ich eine Einleitung in die Wissenschaft des arabischen Münzwesens auf, die ich wohl wünschte ans Licht stellen zu können, ob mir gleich nicht unbekannt ist, wie unvollkommen ein solcher Versuch in einer Sache sey, wo man keine Vorgänger, und nur sehr wenig Hülfsmittel hat. Indessen könnte er doch wol zur Grundlage eines Gebäudes dienen, das ein andrer mit der Zeit ausbauen könnte“; gleichwohl ist sein Wunsch diese Arbeit zu veröffentlichen nicht in Erfüllung gegangen. Die Bibliothek des Gothaischen Münzcabinets erhielt eine Abschrift derselben, aber erst nach seinem Tode wurden diese Briefe aus seinem Nachlaß im Repertorium für biblische und morgenländische Literatur, Theil IX, 197 bis 268; X, 165–240; XI, 1–44 (Leipzig 1781 ff.) von Eichhorn veröffentlicht, welcher auch Anmerkungen und bibliographische Nachträge dazu gab, XVII, 209–284; XVIII, 1–78. in gewissem Sinne ist R. auch Begründer der arabischen Epigraphik geworden. Zu einer Sammlung und Bearbeitung aller kufischen Inschriften konnte er nur ermahnen im vierten jener Briefe (Repert. IX, 246), aber was ihm selbst an solchen Münz- und anderen Inschriften zu Gesicht kam, wußte er, auch wo die Züge theilweis erloschen waren, mit scharfem Blick ganz oder theilweis zu entziffern zum Staunen eines Carsten Niebuhr, welcher Abdrücke der aus Arabien mitgebrachten Inschriften an ihn gesandt hatte (Beschreibung von Arabien, S. XXV ff. und 96). Aber nicht nur dieser urtheilte über R. als Arabist ebend. S. XXXV: „Dieser Gelehrte hat es in der arabischen Sprache so weit gebracht, daß Deutschland hierin seines Gleichen vielleicht noch nicht gehabt hat“, sondern auch sein Gegner Joh. Dav. Michaelis (Neue Orient. und Exeget. Bibl. I, 155): „Wie es mir vorkommt, haben wir in Deutschland keinen im Arabischen gleich großen Mann gehabt, der die Sprache so völlig und geläufig verstanden hatte. – R. war ein Mann, in dessen Verlassenschaft von Kenntnissen sich vielleicht 10 Gelehrte theilen, und jeder von ihnen, wenn er nur Judicium und Geschmack hinzubrächte, ein großer Gelehrter seyn könnte“. Und dabei hatte R. nur einen kleinen Theil von dem, was er im Kopfe trug oder in Abschriften besaß, veröffentlichen oder andern zur Veröffentlichung überlassen können, wie Eichhorn für die Monumenta antiquissima historiae [134] Arabum, Gothae 1775 (nebst Reiskii animadversiones criticae in Hamzae historiam regni Joktanidarum, p. 205–215), Köhler für Abulfedae tabula Syriae, Rehkopf, Hirt, Scheid[WS 4] u. a. Ferner aber wirkte er auch auf das Studium des Arabischen in Deutschland durch seine Privatissima ein: außer dem genannten Köhler waren Rehkopf, Schnurrer, Schweighäuser, Blessig[WS 5] seine Schüler. Endlich war auf seine Anregung zurückzuführen, daß die Göttinger Gesellschaft der Wissenschaften die – noch heute gebrauchten – schönen arabischen Typen erhielt: eine Angelegenheit, welche ihn freilich mit seinem ehemaligen an Sinnesart verschiedenen Schulkameraden Michaelis entzweite.

In der zweiten Hälfte seiner Wirksamkeit in Leipzig trat die Beschäftigung mit dem Arabischen hinter der mit dem Griechischen zurück. Er selbst nennt seine „Lust zum Arabischen erkaltet“, in einem Briefe an Murr vom 27. April 1771 (Journal z. Kunstgeschichte X, 275) und sagt in seiner Lebensbeschr., S. 22: „meine meiste Lebenszeit habe ich mit Lesen griechischer Autoren zugebracht“.

Auch als Gräcist ist R. seine eignen Wege gegangen, wenn er auch nicht so bahnbrechend geworden ist, wie als Arabist. In Leipzig wurden, als er studirte, gar keine griechischen Collegia gelesen (Lebensbeschr., S. 9), und so kannte er, als er nach Leiden kam, einen Pindar, Aeschylus, Sophokles und Euripides kaum dem Namen nach. Liebe zu griechischen Dichtern und damit zur griechischen Litteratur bekennt er (Animadversiones ad Sophoclem, Lipsiae 1753 praefatio) erst durch die Vorlesungen des auch in der classischen Litteratur heimischen Albert Schultens eingeflößt erhalten zu haben. Und so hat er sich zunächst vorzugsweis mit den Dichtern beschäftigt. Von Aeschylus freilich fühlte er sich abgestoßen, und an Pindar ist er erst in spätern Jahren herangegangen, zu Sophokles aber und zu Euripides fühlte er sich hingezogen. Letzterem verdankte er, wie er ebenda sagt, außer Regeln der Lebensweisheit zuerst eine gerechte und hohe Auffassung des Menschlichen. Und so sind denn seine ersten gräcistischen Arbeiten in Leipzig größtentheils der Textverbesserung dieser beiden Dichter, sowie des Aristophanes und der Anthologie gewidmet: „Animadversiones ad Sophoclem“, Lipsiae 1753; „Ad Euripidam et Aristophanem animadversiones“, Lipsiae 1754; „Anthologiae graecae a Constantino Cephala editae libri tres“, Lipsiae 1754. Diesen Schriften wird die sichere Verbesserung einer beträchtlichen, von nur wenigen Kritikern übertroffenen Zahl von Stellen (im Euripides gegen 100, am meisten in den Hiketiden, Jon, den Iphigenien, Herakliden, Hercules Furens, Elektra, Kyklops, Helena und im Rhesus, im Sophokles am meisten im Oedipus auf Kolonos) verdankt. Wenn gleichwohl die Zahl der Nieten größer war als die der Treffer, so ist folgendes zu beachten. Man darf R. durchaus nicht den Sinn für das Dichterische schlechthin absprechen. Hat er doch um 1748 selbst eine Tragödie Mankberni mit Chören in gereimten Versen gedichtet, zu welcher ihm die Geschichte des heldenmüthigen Sultans von Chorezm, Gelaleddin mit dem Beinamen Mankberni, den Stoff gegeben hatte, und zu derselben Zeit hat er sich auch mit Plänen für andre Tragödien getragen. Auch fehlte ihm nicht der Sinn für die dichterische Oekonomie, wie seine Besprechung der Tragedie di Euripide opera P. Carmeli, Patavii 1743 in den Acta Eruditorum 1748, 544 sq. beweist, in welcher er einige Verstöße der euripideischen Hekabe gegen die Vorschriften der aristotelischen Poetik erörtert. Aber es fehlte ihm die nur durch lange Beschäftigung zu erwerbende Vertrautheit mit der Eigenart der griechischen Tragiker, sowie auch der Sinn für die epigrammatischen Pointen der Gedichte der Anthologie, welche er überdies theilweis zum ersten Male aus der schlechten Leipziger Handschrift herauszugeben unternahm. Verhängnißvoller aber war der falsche Glaube, welchen er sich gebildet hatte, daß die griechischen Dichter dieselbe Silbe nach Belieben bald kurz, bald lang gemessen hätten und daß die Lehre von der Länge und Kürze gewisser [135] Silben erst von späten Grammatikern aufgestellt worden sei (Animadversiones ad Soph. p. 19), eine Schrift, welche er später (in einem Briefe an Ruhnken vom 28. April 1769 und Lebensbeschr., S. 69) selbst für einen unreifen Versuch, dessen er sich jetzt schäme, erklärt hat. Auch scheint R. selbst gefühlt zu haben, daß seine Stärke auf diesem Gebiete nicht liege. Wenigstens trat seine Beschäftigung mit den Dichtern zurück. Wenn er 1765 und 1766 noch den Theokrit mit Scholien, kritischem Apparat und Anmerkungen herausgab („Theocriti reliquiae“, Viennae et Lipsiae 1765 et 1766), so entsprang diese Arbeit nicht einem inneren Drange, sondern einem äußerlichen Anlaß; sie war, wie er selbst praef. p. V sie nennt, subitaria et deproperata opera, obwol sich auch hier unter der Masse hingeworfener Conjecturen einige sichere Verbesserungen befinden. Und nur bei Gelegenheit dieser Arbeit las er die Hymnen und Epigramme des Kallimachos, zu denen er in den Animadversiones ad auctores graecos V, 723–756 Conjecturen veröffentlichte. Was in seinen Adversarien für Bion, Moschos, Homer und Pindar enthalten ist, wissen wir noch nicht. Seit 1755 wandte er sich mehr und mehr der Lectüre der Prosaiker zu. Unter diesen aber interessirten ihn nicht die Grammatiker, wie sich dies auch zum Schaden seiner Ausgabe des Theokrit zeigte (vgl. praef. p. V und XXXIIII), auch nicht die Philosophen, wie er selbst am 13. Februar 1773 (Nr. 353 in Redlich’s[WS 6] Sammlung der Briefe an Lessing) schreibt: „Mir hat die Natur einen philosophischen Kopf versagt“, um so mehr aber die Geschichtsschreiber, Redner und Sophisten. In diesen fand sein Sinn für das Richtige, seine ἀγχίνοια und εὐστοχία, ein ihm besonders zusagendes Feld der Bethätigung. Denn seine Diorthose war, wie die von Bentley, Madvig und Cobet, eine wesentlich logische. So gab er schon 1747 in den Miscellanea Lipsiensia nova ed. Menckenius vol. V, 717–729 ein specimen emendationum in graecos auctores, 1750 spendete er Reimarus Conjecturen und Bemerkungen zu Dio Cassius, 1755 steuerte er Abresch Conjecturen zu seinen dilucidationes Thucydidiae (Lipsiae 1755) und in demselben Jahre zu der Erstlingsschrift seines Schülers Karl Christoph Förster (Locos quosdam Polybii a latinis interpretibus perperam translatos proponit F., Lipsiae 1755) p. 73–104 „animadversiones ad libellum Plutarchi de tarda numinis ira“. Aber das reiche Füllhorn seiner Lesefrüchte schüttete er erst in den fünf Bänden „Animadversiones ad graecos auctores“, Lipsiae 1757–1766 aus, welche er selbst für seine beste Schrift erklärt; „sie sind flos ingenii mei, wenn man anders meinem ingenio nicht omnem florem abspricht“ (Lebensbeschr., S. 70). Sie enthalten neben vielen unnöthigen oder verkehrten Vorschlägen eine große Zahl glänzender Verbesserungen zu Diodor, Theophrast’s Charakteren, Dio Chrysostomus, Dio Cassius, Lysias, Plutarch, Thukydides, Herodot, Aristides, Polybius, Libanius, Artemidor und Callimachus. In gleicher Weise gedachte er in fünf weiteren Bänden seine Adversarien zu Demosthenes, Dionys von Halikarnaß, Diogenes Laertius, Arrian, den Philostraten, Homer, Pindar, Xenophon, den Rednern, Maximus Tyrius, Aelian, Longin, M. Antoninus Philosophus, Simplicius, Polyaen, Julian, Themistius, Appian, Alciphron, Moschus und Bion, den Briefen des Libanius, Prokop, Lucian, Stobäus, Sextus Empiricus, Herodian, Harpokration u. a. (s. Leb. 173) herauszugeben. Doch mußte er diesen Plan wegen Mangels an Theilnahme aufgeben und so ist nur ein Theil dieser animadversiones bekannt geworden, nämlich zu den Autoren, welche er selbst oder nach seinem Tode seine Frau herausgegeben hat, nämlich zu den oratores graeci (Lipsiae 1770–1775), Dionys von Halikarnaß (Lipsiae 1774 bis 1777), Maximus Tyrius (Lipsiae 1774–1775) und Dio Chrysostomus (Lipsiae 1784, wiederholt 1798), während seine Verbesserungen nebst Lesarten des Leipziger Codex zu Porphyrius de abstinentia in der Ausgabe von Rhoer, Trajecti ad Rhenum 1767, zu Himerius in der von Wernsdorf, Gottingae 1790 [136] (vgl. praef. p. XXXII), zu Aelians Thiergeschichte in der von Jacobs vol. II p. 671–700, zu Pseudo-Longin de subl. in der von O. Jahn, zu Julians Briefen auszugsweis in den epistolographi graeci von Hercher (praef. p. XLV sq.) mitgetheilt sind. Während aber sein Verdienst um die Textverbesserung des Plutarch wesentlich auf diesen animadversiones beruht, die Ausgabe selbst aber, welche er 1774 unternahm, wenn auch durch die indices werthvoll, doch keinen wesentlichen Fortschritt repräsentirt, haben seine Ausgaben der oratores graeci, welche alle damals bekannten griechischen Redner mit Ausnahme des Isokrates – diesen sollte sein Schüler und Freund Morus bearbeiten – umfaßte sowie der Reden und Declamationen des Libanius (vol. I, Altenburg 1784 4°; vol. I–IV, Altenburg 1791 bis 1797 8°) nicht bloß durch Textverbesserungen und Indices, sondern auch durch Heranziehung von handschriftlichem Material, welches die Grundlagen der recensio erweiterte, die Kritik und das Verständniß dieser Schriftsteller wesentlich gefördert. In summa: viele der aufgezählten Schriftsteller, insbesondere die Redner, Dio Chrysostomus, Dionys von Halikarnaß, Aristides und Libanius verdanken keinem Menschen so viel als R., und die Zahl sichrer und schöner Emendationen, welche von ihm in griechischen Schriftstellern gemacht worden sind, wird von der keines andern Philologen übertroffen. Dabei ließ er sich die Mühe nicht verdrießen auch umfängliche, bisher ungedruckte Werke abzuschreiben, wie die Scholien zum Aristides, welche Dindorf aus seiner Abschrift herausgegeben hat, oder das Lexikon des Photius, dessen Herausgabe nachher Lorenz Ancher („Sendschreiben an Herrn E. G. Paulus, das ungedruckte griechische Glossarium des Photius betreffend“, 1789, vier Octavblätter) und Schow (specimen novae editionis Lexici Photiani ex apographo Reiskiano, Hafniae 1818) unternahmen.

Keineswegs aber beschränkte sich Reiske’s Interesse für die griechischen Schriftsteller auf die Sorge für ihren Text. Er fühlte sich auch gedrungen, die Reden des Thukydides (Leipzig 1761) und, was noch mehr besagte, die des Demosthenes und Aeschines (Lemgo 1764–1769, 5 Bde.), letztere zum ersten Male, die des Demosthenes wenigstens größtentheils zum ersten Male, ins Deutsche zu übertragen. „Ich wollte“, sagt er in der Vorrede zum 3. Bande des Demosthenes, in welchem er sich gegen abfällige Kritiken vertheidigt, S. XLII, „meinen Lesern einen Demosthenes in die Hände geben, den sie ohne Anstoß, ohne beschwerliches Nachsinnen, gemächlich lesen und doch völlig verstehen könnten. – Meine Uebersetzung sollte daher gar oft eine Umschreibung sein, wenn ich nur dem Leser einen vollständigen Begrif von des Redners Gedanken beybringe“. Es kam ihm daher vor allem darauf an, sinngetreu zu übersetzen, und in dieser Beziehung befriedigt seine Uebersetzung alle Ansprüche, aber die Handhabung der deutschen Sprache, nicht am wenigsten der Wortgebrauch, ließ viel zu wünschen übrig. Besonders ließ er sich von der Annahme „Demosthenes sprach zum Pöbel und drum sprach er in einer ihm gemäßen Sprache“ (ebend. S. XXX) zur Wahl niedriger Ausdrücke verleiten, so daß er z. B. ὄλεθρoς Μακεδών, wie Demosthenes den Philippus nennt (Phil. III, 31), übersetzt: „Der macedonische Racker, aus dem Lande aller Schelmen und Spitzbuben“. So konnte es wol geschehen, daß man im ersten Augenblicke über diesen Mängeln der Uebersetzung ihre Vorzüge ganz übersah, wie auch Lessing zuerst am 28. Juli 1764 an Heyne schrieb: „Wie muß man einen R. nennen? Um des Himmels willen, was für einen Demosthenes giebt uns dieser Pedant! Ich will nicht hoffen, daß man es ihm in Göttingen für so genossen wird ausgehen lassen, den edelsten Redner in einen niederträchtigen Schwätzer, die Svada in eine Höckerfrau verwandelt zu haben“. (Dies ist nach E. v. Leutsch im Philologisch. Anzeiger XI, 138 der Wortlaut des Originals des Briefes, welcher in der Ausgabe von Lachmann-Maltzahn XII, 162 und Redlich Nr. 121 unvollständig veröffentlicht ist. Vgl. Redlich, Lessings Briefe. Nachträge und Berichtigungen S. 8) Später urtheilte auch er anders, wenn [137] er am 12. Februar 1769 an R. schrieb (Nr. 169 in Redlich’s Sammlung.): – „Unsern kleinen Schönschreibern wird sie (die Uebersetzung) freilich wohl nie gefallen; aber Leute, welche Wahrheit und Nachdruck schätzen, welche wissen, wie weit die alte populäre Beredsamkeit sich von dem süßen Tone, von den gelehrten Sprachschnirkeln eines neuen Kanzelredners entfernet, werden sie um wie Vieles nicht missen wollen; doch wem auch dieses nicht begreiflich zu machen, der muß sie doch wenigstens für den deutlichsten und sichersten Kommentar des Originals erkennen und zugestehen, daß sich ein Reichthum der deutschen Sprache darin zeiget, den so wenige unserer Schriftsteller in ihrer Gewalt haben“. Derselbe Brief enthält den Ausdruck der Empörung über den Hohn, mit welchem Klotz in der Deutschen Bibliothek der schönen Wissenschaften, Bd. II, Stück 8 (Halle 1768), S. 626–638 die Vollendung der Uebersetzung in einer Recension begrüßt hatte, für welche er später (in einem Briefe vom 29. Januar 1771, Lebensbeschr., S. 597) R. um Verzeihung bat, wie er auch in einem zweiten Briefe (ebend. S. 599) die Urheberschaft der ersten Recension, welche in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek (Berlin und Stettin 1765) I, 20–26 erschienen war und gegen welche R. sich in der oben erwähnten Vorrede zum 3. Bande vertheidigt hatte, feierlichst von sich ablehnt. – Noch weniger ist R. in seiner „Deutschen Uebersetzung der Reden aus dem Thukydides“, Leipzig 1761 die noch schwierigere Aufgabe gelungen, dem Stile des Thucydides und dem Geiste der deutschen Sprache in gleicher Weise gerecht zu werden. Ersteren hat er nicht erfaßt, wenn er (Vorr. 9 und 31) sagt: „Th. ist der Vater derer Witzlinge, die mit ihrem weibischen Spielwerke und Getändle, den Leser biß zum Bersten und zum Ersticken martern“ und: „Thukydidis Kürze bestet in kurz abgestutzten, und nach einer gewißen kurzen Elle verschnittenen Perioden, mit frostigen Wortspilen, ekelhaften Antitheten, greulichem Verwurfe der Worte, über alle Maßen harten, und unerhörten Wortfügungen“. Und wie berechtigt auch sein Tadel der Nachäffung des französischen Stils war (S. 26), so ist er selbst doch im Gebrauch längst völlig veralteter Redewendungen viel zu weit gegangen, vor allem aber ist er durch Mangel an Blick für das Ebenmaß des Satzbaues verhindert worden, sein Ziel zu erreichen, den Scharfsinn und Tiefsinn des Th. in wortreicher Form auch andern faßlich zu machen (S. 34). Allerdings war die Arbeit das Werk von nur 3 Monaten.

Aber auch als Gräcist hatte R. ausgeprägten Sinn für die Realien. Der bereits oben erwähnte Commentar zu Constantinus Porphyrogennetus ist in noch höherem Maße als für die arabischen, für die byzantinischen Alterthümer eine Quelle reichster Belehrung, und doch war der Verleger nicht zu bewegen ihn vollständig herauszugeben; erst Niebuhr hat das Fehlende nebst handschriftlichen Verbesserungen aus Reiske’s, jetzt in der königlichen Bibliothek zu Kopenhagen befindlichen Nachlasse in der Bonner Sammlung der scriptores historiae Byzantinae (Const. vol. II p. 479–903) herausgegeben. Aber auch in seinen Animadversiones, in den Noten seiner Ausgaben, den Indices, den beiden Gelegenheitsschriften „de Zenobio sophista Antiocheno“ und „de quibusdam e Libanio repetitis argumentis ad historiam ecclesiasticam christianam pertinentibus, inprimis de Optimo episcopo,“ Lipsiae 1759 findet sich eine Fülle von trefflichen Charakteristiken und Beobachtungen zur politischen und zur Literaturgeschichte. Auch seine noch ungedruckte prosopographia Libaniana ist ein Werk staunenswerther Ausdauer und Combinationsgabe. –

Mit den römischen Autoren hatte er sich weniger befaßt, am meisten noch mit Cicero, dessen Tusculanen er Leipzig 1759 herausgab. Er hatte wol die Verderbtheit der vulgata des Cicero-Textes erkannt, glaubte aber, der Handschriften entbehrend, in den alten Ausgaben Hülfe für die Verbesserung derselben finden zu sollen. Außerdem sind Bemerkungen und Conjekturen zu Vergils Georgica [138] durch Heyne und zu Tacitus’ Annalen und Historien durch ihn selbst in Boysens philologischer Bibliothek, drittes Stück, Quedlinburg und Leipzig 1766, S. 308–328 und viertes Stück (1768) S. 329–388 bekannt geworden. Letztere verdienen mehr Beachtung, als ihnen bisher zu Theil geworden ist. Es finden sich unter ihnen einige Verbesserungen, welche jüngere Herausgeber sich selbst zugeschrieben haben. Eine jugendliche Uebereilung, wenn auch nicht ganz ohne Treffer, war die Arbeit, welche er bei Gelegenheit der Verbesserung und Verböserung der zweiten Ausgabe P. Burmann’s 1743 dem Petron widmete. Das Latein, welches er selbst schrieb, ist kernig und naiv zugleich.

Jedoch gingen Reiske’s Interessen auch nicht in der Beschäftigung mit der klassischen und arabischen Litteratur auf; der Geschichte der von ihm geleiteten Nicolaischule ist gewidmet seine Gratulationsschrift „de rebus ad scholam civicam quae Lipsiae ad D. Nicolai est pertinentibus“, Lipsiae 1759, und von wie wunderbarer Vielseitigkeit er war, zeigen die Recensionen und Aufsätze, welche er über Werke der verschiedensten Gebiete in Zeitschriften, wie den Acta Eruditorum, den zuverlässigen Nachrichten von dem gegenwärtigen Zustande der Wissenschaften, der Britischen Bibliothek, dem Hamburgischen Magazin, den Schriften der Gesellschaft der freien Künste zu Leipzig, dem Neuesten aus der anmuthigen Gelehrsamkeit u. a. geschrieben hat. Sie sind Lebensbeschr., S. 53, 73 ff. theilweis zusammengestellt. Ein vollständiges Verzeichniß seiner Schriften und Aufsätze gibt es noch nicht und läßt sich an dieser Stelle nicht geben. Die Grundlage eines solchen bietet das im einzelnen ungenaue Verzeichniß in der vita von Morus, um einiges bereichert in der Ausgabe von Frotscher, S. 72 sq., benützt in der Lebensbeschreibung, S. 178 ff., wo auch die hinterlassenen Arbeiten aufgezählt sind. Die Recensionen seiner Werke sind beigefügt in Saxii Onomasticon Literarium pars VI, Trajecti ad Rh. 1788, S. 541. Am vollständigsten ist das Verzeichniß bei Meusel, Lexikon der von 1759–1800 verstorbenen teutschen Schriftsteller Bd. XI, S. 192 ff.

Leider ist Lessing’s Plan, das Leben seines Freundes R., welcher ihm den 3. Band der Oratores graeci gewidmet hat, ausführlich in drei Bänden (vgl. den Brief von Frau R. an J. G. Schneider vom 5. März 1777 bei Danzel-Guhrauer, Lessing II, 2. Beilagen S. 38) darzustellen, infolge anderer Arbeiten unausgeführt geblieben. Er wollte, wie er am 4. Mai 1776 an Heyne schreibt (Nr. 396 bei Redlich), dem Werke „ein genaues Verzeichniß eines jeden von ihm hinterlassenen Papieres, das sich nur einigermaßen der Mühe lohnt, beifügen“. Allein schon 1778 hatte er die ihm von der Wittwe übersandten Papiere dieser zurückgeschickt, wie diese an Murr am 15. Juli 1778 schreibt (Journal zur Kunstgeschichte X, 276 ff.). R. hat sein Leben selbst zweimal geschrieben: einmal nach seiner Wahl zum Rector der Nikolaischule für das Album derselben am 20. Juni 1758 nur ganz kurz in lateinischer Sprache (gedruckt bei Frotscher, Eloquentium virorum narrationes, I, Lips. 1826, p. 275–284), das zweite Mal auf wiederholtes Drängen seiner Freunde in deutscher Sprache ausführlich mit ergreifenden Selbstbetrachtungen Ende 1769 (1. Januar 1770 vollendet, mit einem Nachtrag vom 2. Februar 1770, vgl. Lebensbeschr. S. 95 und 129). Diese Selbstbiographie wollte Lessing zur Grundlage seiner Arbeit machen; da er zur Ausführung derselben nicht kam, wurde sie von Reiske’s Wittwe beendet und Leipzig 1783 herausgegeben („D. Johann Jacob Reiskens von ihm selbst aufgesetzte Lebensbeschreibung“). R. hatte aber auch seine Selbstbiographie seinem Schüler Johann Georg Eck, nachmals Professor der Moral, Politik und Poesie in Leipzig, mitgetheilt und dieser benütze dieselbe, größtentheils geradezu paraphrasirend, für seine noch bei Reiske’s Lebzeiten von Harles, de vitis philologorum, vol. IV, p. 191–214, Bremae 1772 gedruckte (bei Frotscher a. a. O. S. 1–26 wiederholte) vita J. J. Reiskii. An diese vita Eccii schließt sich an, gibt aber auch aus eigner Kenntniß geschöpfte Mittheilungen und eine selbständige Charakteristik Gruner, Joannis Jacobi Reiske et [139] Joannis Ernesti Fabri opuscula medica ex monimentis Arabum et Ebraeorum, Halae 1776, praef. p. XI–XXV. Dort ist auch der Sectionsbefund des Arztes Dr. Pohle mitgetheilt (p. XVIII). Ebenso hat die von seinem Freunde und Schüler Morus geschrieben vita Reiskii, Lipsiae 1777, wiederholt im Classical Journal XXIV (1821), p. 135–151, bei Frotscher a. a. O. p. 27–77 und bei Friedemann, Vitae hominum eruditissimorum, Brunsvigae 1825, vol. II, p. 1 bis 32), in der Darstellung der äußeren Lebensverhältnisse die vita Eccii benützt, ist aber ebenfalls mit Kenntniß der Person und mit Urtheil geschrieben. Dies letztere gilt auch von der Anzeige dieser Vita in der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, Bd. 30 (Berlin und Stettin 1777), S. 569–585, welche mit Cl. unterzeichnet und nach einem handschriftlichen Vermerk Christian Wolterstorff’s in meinem Exemplar des Morus von Reiske’s Schüler, dem Professor Johann Bernhard Köhler gemacht ist. Eine Anzeige der Selbstbiographie, welche sein eignes Verhalten gegen R. rechtfertigen sollte, schrieb Joh. Dav. Michaelis in der Neuen orientalischen und exegetischen Bibliothek I (Göttingen 1786), S. 131 bis 160. Darauf erließ Frau R. eine geharnischte Erklärung gegen ihn unter dem Titel: „An das Publicum“ in der Allgemeinen Literaturzeitung, Jena 1786, 3. Bd. vor Nr. 156, S. 1–4. Gegen diese Erklärung ist gerichtet der Aufsatz „Michaelis und Reiske“, welcher von Schlözer nach dem Todes des ersteren verfaßt (24. December 1791) und in der Zeitschrift „Deutschland“, zweiter Band, fünftes Stück, Berlin 1796, S. 163–228 abgedruckt, aus Briefen von R. an Michaelis und Heyne den Nachweis unternimmt, daß in der Fehde zwischen R. und Michaelis Gedächtnißfehler auf beiden Seiten, Unerfahrenheit und Heftigkeit auf Seiten von R., Zerstreutheit, aber auch Härte auf Seiten von M. sind, ohne jedoch den unverantwortlichen Vertrauensbruch, dessen M. sich R. gegenüber schuldig gemacht hat, gebührend hervorzuheben. Der Standpunkt, von welchem der holländische Philolog Ev. Wassenbergh in Het Gedrag der Hollandsche Geleerden omtrent Joh. Jac. Reiske gerechtvaardiged (Separatabdruck aus Tydeman en van Kampen, Mnemosyne, VIII stuk, pag. 297–351, Dortrecht 1820) eine Anklageschrift gegen R. veröffentlicht hat, ist ein durchaus beschränkter und um so ungerechterer, als R. seiner Liebe und Dankbarkeit für Holland wie für d’Orville und Schultens sowol in der Dedication von Abilfedae annales Moslemici und in der Praefatio zum Theokrit, als auch in der Selbstbiographie (S. 21 u. 33) ergreifenden Ausdruck gegeben und nichts weniger als seine Fehler beschönigt hat. Wie wenig Wassenbergh Reisken auch nur zu verstehen vermochte, zeigt, daß er (S. 52) die Worte, mit welchen R. in der Vorrede zur Anthologia graeca über sich als Herausgeber der Anthologie im Verhältniß zu d’Orville redet, als Verspottung eines Todten auffaßte. Um so wohlthuender ist das Urtheil von Cobet, Mnemosyne N. S. vol. II, p. 402. Einen Aufsatz „Duval en Reiske“, enthalten in Mengelingen von de Groningen Studenten, Groningen 1816, welchen Gräße, Literärgeschichte III, 2, 1941 citirt, habe ich nirgends finden können. Ich selbst behalte eine eingehendere Darstellung der Person und der Lebensarbeit von R. einer andern Stelle vor. Briefe an ihn sind in großer Zahl, von ihm bisher nur wenige in der Lebensbeschreibung S. 183–816, in dem „Gelehrten Briefwechsel zwischen D. Johann Jacob Reiske, Conrad Arnold Schmid und Gotthold Ephraim Lessing“, 2. Theil, Berlin 1789, wie in den Lessing-Ausgaben von Lachmann und von Redlich, in dem „Literarischen Briefwechsel von Joh. David Michalis, herausgegeb. von Buhle“, 1. Theil, Leipzig 1794, S. 44–72 und 2. Theil, Leipzig 1795, S. 488, von Mehler in der Mnemosyne I, 66–68 und 330–354 (an Bernhard) und von Bergmann, Supplementa adnotationis ad elogium Ti. Hemsterhusii, Lugd. Bat. 1874, p. 61 veröffentlicht worden. R. selbst hat die Concepte seiner Briefe nicht aufbewahrt (Leb. S. 108). Auch sich malen zu lassen hat er abgelehnt: „nil perdet“, schreibt er an Bernhard, der ihn um sein Bild gebeten hatte, „orbis literatus, si mea imagine [140] careat, si saltem pro viribus meam bene merendi de literis voluntatem editis libris demonstravero. Erunt hi mihi pro imagine“ (Mnemosyne I, 350). Und so gibt es nur einen Stich von ihm, 1770 von der J. D. Philippin geb. Sysangin gemacht, welcher auch den ersten Band der Oratores graeci (1770), sowie den sechsten Band des Plutarch (1777) und die vita des Morus ziert.

Ernestine Christine R., die geistreiche und gelehrte Frau von Johann Jacob R. Geboren am 2. April 1735 zu Kemberg, Tochter des Propsten und Superintendenten Dr. August Müller daselbst, das jüngste von zehn Geschwistern, von ihrer Mutter und ihrem ältesten Bruder, dem nachmaligen Nachfolger ihres Vaters, unterrichtet, nach dem Todes des Vaters (27. September 1749) für ihre, ihrer Mutter und eines Schwestersohnes Erhaltung vornehmlich auf den Ertrag von weiblichen Arbeiten angewiesen, reichte sie am 23. Juli 1764 dem fast 20 Jahre älteren, bis dahin misogynen Rector der Nicolaischule in Leipzig, R., welchen sie 1755 bei einem Besuch daselbst kennen gelernt hatte, ihre Hand. Nachdem sie von diesem Griechisch und Lateinisch gelernt hatte, half sie ihm bei der Drucklegung seiner Werke und bei der Vergleichung von Handschriften. Als der Druck auf Subscription unternommenen großen Ausgabe der griechischen Redner beginnen sollte, aber nur 20 Thaler praenumerando eingegangen waren, ruhte sie nicht, bis ihr Mann sich entschloß, ihr Geschmeide zu versetzen. Ebenso war sie die treueste Pflegerin während seiner langen schweren Krankheit. Nach seinem Tode (14. August 1774) schlug sie viele Bewerbungen aus, da sie von einer tiefen Neigung für Lessing erfaßt war. Ihr Mann war nämlich seit 1769 wegen seiner Ausgabe des Demosthenes und wegen der gemeinsamen Gegnerschaft von Klotz und Lessing in Briefwechsel getreten, und da dieser bald zu einem freundschaftlichen Verhältniß geführt hatte, war er mit seiner Frau im August 1771 einer Einladung Lessing’s, welcher seinem Briefe auch ein Compliment für ihre Theilnahme an Reiske’s oratores graeci eingeflochten hatte (17. December 1770, N. 219 bei Redlich: „Erlauben Sie, daß ich noch meine Empfehlung an dero Frau Gemahlin hinzufügen darf, der wir bei so mühsamen Werken so viel zu danken haben. Die Aufgabe ist gelöset, ob ein Gelehrter heirathen soll, wenn es viele solche Personen ihres Geschlechts gibt“) nach Wolfenbüttel gefolgt, um die dortigen Handschriften anzusehen. Ja auch diese Reise war besonders auf ihren Betrieb zur Ausführung gekommen, wie ihr Mann an Lessing den 17. Juli 1771 (N. 261) schreibt: „Sie hauptsächlich ist an dieser Reise schuld. Sie freuet sich darauf, wie ein Kind auf den heiligen Christ. Sie hat mich bei dem Entschlusse dazu erhalten.“ Dadurch war auch sie in Correspondenz mit Lessing getreten, zunächst „wegen der deutschen Uebersetzung des Xenophon Ephesius“ und sie war von leidenschaftlichem Verlangen entbrannt, für ihn eine Abschrift des Aesop aus einer Augsburger Handschrift (jetzt Cod. Monac. gr. 525, nicht zu verwechseln mit der Cobet’schen Abschrift der vita des Aesop, welche sie später ebenfalls für Lessing copirte; vgl. Reiske’s Brief an Lessing vom 13. Februar 1773 bei Redlich N. 353 und Westermann, vita Aesopi, p. 1) zu machen. Und als sie nach langen Bemühungen der Handschrift habhaft und Lessing der Abschrift theilhaftig geworden war, hatte dieser in der Abhandlung über Romulus und Rimicius (Zur Gesch. und Lit. I, 1773; IX, 57 Lachm.) ihre Arbeit über Gebühr mit den Worten gelobt: „Diese Abschrift ist von der Madame Reiske, die sich damit um die griechische Literatur unendlich verdienter wird gemacht haben, als eine Madame Dacier mit allen ihren französischen Uebersetzungen, wenn man künftig einmal den Aesop einzig so lesen wird, wie man ihn ohne ihr Zuthun vielleicht noch lange nicht, vielleicht auch wohl nie gelesen hätte“. Der wackere R., welcher schon vorher, am 12. December 1772 (Nr. 341 Redlich) ihm gemeldet hatte: „Meine Frau denkt oft an Sie und betrachtet Ihr Portrait von Bause, ob es Ihnen gleich wenig ähnlich sieht“, schrieb nun [141] zwar weiter (am 13. Februar 1773, N. 353): „Ihnen ins Ohr gesagt, liebster Lessing, Sie stehen bei meiner Frau sehr wohl angeschrieben. Sie bekennet es Ihnen ja selber, daß sie Sie liebet. Was wollen Sie mehr? Ich werde darüber nicht eifersüchtig. Hier hat es allemal nichts zu bedeuten“, aber tadelte doch auch jenes übertriebene öffentliche Lob mit den Worten: „Aber, liebster Freund, ums Himmels willen, wie konnten Sie so über die Schnure hauen! War das nicht eine wissentliche, vorsätzliche Sünde? Wird nicht Jedermann Ihr Compliment parteilich und übertrieben schelten? Wie konnte der unstreitig und anerkanntermaßen große Dienst, den die Dacier ihrer Nation durch ihre Ubersetzungen erwiesen hat, unter eine solche Kleinigkeit, deren ganzer Werth auf die Mühe des Abschreibens hinausläuft, mit Billigkeit und Rechte erniedriget werden? Meine Frau hat freilich, wie leicht zu denken ist, wider Ihre Flatterien nichts einzuwenden, ich aber dagegen desto mehr. Ich habe Ursache, darüber zu zürnen und auf Sie zu schmählen. Denn Sie verderben und verführen mir meine Frau.“ Und nach ihres Mannes Tode (14. August 1774), welcher ihr Anlaß wurde, öfter an Lessing zu schreiben, da dieser das Leben jenes ausführlich zu schreiben beabsichtigte, gab sie sich dieser Neigung ganz hin, wie ihr Brief an J. G. Schneider vom 15. October 1775 bei Danzel-Guhrauer, Lessing II, 2 Beil. S. 38 beweist: „Viele gutherzige Männer bieten mir ihre Hand und ihr Herz an. Allein nur der Eine ist es, den ich lieben kann, und den ich noch in den letzten Augenblicken meines Daseins lieben werde“, so daß nicht nur Boie schon am 10. April 1775 an Merck schreiben konnte: „Wissen Sie, daß Lessing vermuthlich sich mit Reiskens Wittwe verheirathen und in Hagedorns Stelle nach Dresden kommen wird?“ (Redlich, Briefe an Lessing, S. 803, A. 4), sondern auch Eva König selbst in einem Briefe vom 5. November 1775 (A. Schöne[WS 7], Briefwechsel zwischen Lessing und seiner Frau, S. 396) an Lessing auf diese Heirathsgerüchte anspielen konnte: „In Parenthese muß ich Sie doch auch fragen: ob die Neuigkeit wahr ist, die ihr ihre Tochter dieser Tagen aus Leipzig schrieb? Die allgemeine Sage dorten sey: Ein gewisser Mann, den Sie leicht errathen werden – heyrathete die Wittib von P. R.“ Endlich, da sie erkannte, daß Lessing’s Herz nicht mehr frei war, kämpfte sie ihre Neigung nieder. In einem Briefe vom 16. Februar 1777, auf welchen Lessing am 27. März antwortete (Nr. 427 Redlich), durfte er „einen Strahl von Hoffnung“ finden, „sie nun bald recht ruhig und zufrieden zu wissen“. Da ihr Neffe gestorben war, nahm sie einen jungen sächsischen Edelmann, den nachmaligen braunschweigischen Drosten Christoph Moritz von Egidy aus dem Hause Ottersitz, an Sohnes statt an, zog mit ihm 1780 nach Dresden, das Jahr darauf nach Bornum bei Braunschweig, 1792 nach Braunschweig selbst, sodann nach St. Campen bei Braunschweig und kehrte zuletzt nach ihrer Vaterstadt Kemberg zurück, wo sie am 27. Juli 1798 starb. Wie sie ihren Mann bei der Ausarbeitung und Drucklegung seiner Werke aufopferungsvoll unterstützt hatte, so sorgte sie auch nach seinem Tode zunächst für die Vollendung der von ihm begonnenen Ausgaben der oratores graeci, des Plutarch, Dionys von Halikarnaß, Maximus Tyrius, sodann für die von ihm vorbereitete Herausgabe des Dio Chrysostomus und des Libanius, endlich auch für die Herausgabe der coniecturae in Jobum et Proverbia Salomonis cum oratione de studio arabicae linguae, Lipsiae 1779. Aufgaben, welchen freilich ihre Kräfte nicht ganz gewachsen waren. Daneben veröffentlichte sie auch Proben eigner gelehrter Beschäftigung mit griechischen Schriftstellern: so „eine Rede des Libanius, zum erstenmale aus einer Handschrift der Churfl. Bibliothek zu München abgedruckt“, Leipzig 1775. Es ist die Declamation im 4. Bde. der Gesammtausgabe S. 771 sq., deren Urheberschaft zwischen Libanius und Choricius streitig ist. Besonders aber gab sie Uebersetzungen heraus, so „Der Jäger“ von Dio Chrysostomus im Hannöverschen [142] Magazin Jahrg. 1776, Stück 76 und 77, Sp. 1201–1226, über welche ihr Lessing in dem obenerwähnten Briefe vom 27. März 1777 schrieb: „Ich habe Ihre Uebersetzung von der Rede, die mir immer so wohl gefallen hat, in dem Hannöverschen Magazin mit vielem Vergnügen gelesen“. Die Uebersetzung dieser sowie zwölf anderer Reden des Dion und des Romans des Eustathius, „Liebesgeschichte des Ismenias und der Ismene“ gab sie unter dem Titel „Hellas“, Erster Band, Mitau 1778 heraus. Eine zweite Sammlung, unter dem Titel „Zur Moral, aus dem Griechischen übersetzt“, Leipzig 1782, wiederholt als „Hellas“, Zweiter Band, Leipzig 1791, enthielt Uebersetzungen von drei Dialogen des Lucian (die Bilder; von den Bildern; Toxaris), fünf Declamationen des Libanius, ausgewählten Briefen desselben, des Prodikus Erzählung von Herkules aus dem Xenophon, des größeren Briefes des Hippokrates an den Damagetus, des Epiktetus Handbuch und Lebensregeln, des Gemäldes von Cebes aus Theben, Xenophons von Ephesus Geschichte der Anthia und des Abrokomes („eine freye und abgekürzte Uebersetzung“). Was „Für Teutsche Schönen, aus dem Griechischen übersetzt“, Leipzig 1786 enthält, weiß ich nicht, da ich dasselbe bisher nirgends zu Gesicht bekommen habe, sondern es nur aus bibliographischen Anführungen, welche auf „das gelehrte Teutschland“, angefangen von Hamberger, fortgesetzt von Meusel, Bd. 6 (5. Aufl.), Lemgo 1798, S. 297 zurückzugehen scheinen, kenne. Diese Uebersetzungen sind leicht und fließend und fanden viel Beifall. Vgl. Degen, Litteratur der Uebersetzungen I, 194, 216, 286; II, 591, 630. Außerdem gab sie ihres Mannes Selbstbiographie, Leipzig 1783, heraus, erließ die gegen Michaelis’ Anzeige derselben gerichtete Erklärung „An das Publicum“ (Allgem. Literaturzeitung, Jena 1786, 3. Bd. vor Nr. 156, S. 1–4) und verfaßte in das von Moriz herausgegebene „Γνῶθι σαυτόν oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde, Dritten Bandes Drittes Stück“ (1785) drei Aufsätze: „Heilung des Wahnwitzes durch Erweckung neuer Ideen, in zwei Beispielen“ (S. 27–33); „Einfluß äußerer Umstände auf die Krankheiten der Seele“ (S. 33–36); „Parallel zu der Selbstbeobachtung des Hr. O. C. R. Spalding im 2ten Stück des ersten Bandes“ (S. 36–38); „Moralität eines Taubstummen“ S. 39–42). So erfreute sie sich nicht nur als treue Genossin ihres Mannes, sondern auch wegen ihrer Gelehrsamkeit und ihres mit Herzensgüte gepaarten Verstandes großen Ansehens in der gelehrten Welt. Villoison, Anecd. Gr. II, p. 11 nennt sie: illa vere ἀντιάνειρα, et nunquam satis ob eruditionem caeterasque alias animi et ingenii in pulchro corpore habitantis dotes laudanda. Der Professor der Medicin Gruner in Jena dedicirte ihr Joannis Jacobi Reiske et Jo. Ern. Fabri opusculae medica ex monimentis Arabum et Ebraeorum, Halae 1776 mit den Worten: Feminae lectissimae Ernest. Christ. Reiske ingenio et doctrina pollenti omni virtutum genere insigni corporis dotibus conspicuae hinc in ornamentum et decus sexus sui natae und R. selbst ließ 1770 ihr Brustbild im Stich der J. D. Philippin geb. Sysangin vor die Praefatio des ersten Bandes der oratores graeci setzen. Einen Schattenriß von ihr enthält die „Gallerie edler deutscher Frauenzimmer mit getroffenen Schattenrissen“, Bd. 2, Heft 3 (Dessau und Leipzig 1786) nebst Lebensnachrichten S. 89–120. Letztere sind mir nicht zugänglich gewesen. Das Porträt, welches sie Lessing geschickt hatte und nach seinem Tode in einem Briefe an Langer, seinen Nachfolger in Wolfenbüttel, am 20. September 1786 zurückforderte („Es ist unter anderen Portraiten an einer Rose am Kopfe und einer Art von dunkelgelben Kleidung kentbar“. O. v. Heinemann, Zur Erinnerung an Lessing, S. 179), ist, wie ihre Briefschaften, verschollen. Aus vertrauter Kenntniß, falls nicht aus der erwähnten „Gallerie“, geschöpfte Nachrichten über ihr Leben und ihr Aeußeres enthält der Artikel von Hirsching, Historisch-litter. Handbuch, fortges. von Ernesti, Bd. IX, 2 (Leipzig 1807) S. 48 ff., welcher von Baur, [143] Interessante Lebensgemälde der denkwürdigsten Personen des 18. Jahrhunderts, 6. Thl. (Leipzig 1807), S. 374–388 benützt ist.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Albert Schultens (1686–1750), Professor der orientalischen Sprachen und der hebräischen Altertümer in Leiden.
  2. Theodor Mommsen (1817–1903), Historiker und Altertumswissenschaftler.
  3. Siegmund Ernst Richter.
  4. Jacob Scheid.
  5. Johann Lorenz Blessig.
  6. Carl Christian Redlich.
  7. Alfred Schöne.