ADB:Eichhorn, Johann Gottfried

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Artikel „Eichhorn, Johann Gottfried“ von Carl Gustav Adolf Siegfried in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 5 (1877), S. 731–737, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Eichhorn,_Johann_Gottfried&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 10:17 Uhr UTC)
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Eichhorn: Johann Gottfried E., geb. am 16. October 1752 zu Dörrenzimmern in Fürstenthum Hohenlohe-Oehringen, wo sein Vater Prediger war, erhielt den ersten Unterricht auf der Stadtschule zu Weikersheim, wohin der Vater als Superintendent berufen worden war. Alsdann auf dem Gymnasium zu Heilbronn weiter vorgebildet, begann er von 1770–74 seine Universitätsstudien zu Göttingen, wo er J. D. Michaelis, Walch, Miller, Schlözer und Heyne hörte. Nachdem er kürzere Zeit eine Rectorstelle zu Ohrdruff im Herzogthum Gotha bekleidet hatte, ward er 1775 Professor der orientalischen Sprachen zu Jena. Schon in dieser Zeit verfaßte er eine ganze Reihe der verschiedenartigsten gelehrten Abhandlungen, welche sich auf morgenländische Sprachen und Litteraturen, auf Geschichte und Alterthümer des Orients bezogen und theils selbständig theils in den Fundgruben des Orients oder im Gothaischen Magazin u. s. w. erschienen. Hervorzuheben sind daraus die „Monumenta antiquissima historiae Arabum post Albertum Schultensium“ ed. 1775 und „Poeseos Asiaticae commentariorum libri VI.“ 1777. – Andere Titel s. b. Bertheau in Herzog’s Realencykl. III. 710. – Vgl. auch Joh. D. Michaelis, Orient. Biblioth. XII. Anh. S. 165 ff. Dieser Richtung der Studien folgt sein „Repertorium für biblische und morgenländische Litteratur.“ Leipzig 1777–1786 in 18 Bänden, welches Abhandlungen aus allen Gebieten der orientalischen Philologie, Bibelkritik sowie auch aus den Realfächern der morgenländischen Wissenschaft brachte und mannigfach anregend wirkte insofern es nicht blos den Fachgelehrten sondern auch anderweite Leser im Auge hatte. Von E. selbst befinden sich in dieser Sammlung die „Bemerkungen über den Text des Propheten Jeremias“ (I. 141 ff.), in welchen er das Verhältniß des masorethischen Textes zum alexandrinischen genauerer Prüfung unterzog; sodann eine Abhandlung über die Quellen, aus denen die verschiedenen Erzählungen von der Entstehung der alexandrinischen Uebersetzung geflossen sind (I. 266 ff.), in welcher er die Berichte des Aristeas, Josephus, Philo, Justinus Martyr und Epiphanius neben einander stellt und zu dem Resultat kommt, daß im Ganzen eine doppelte Quelle vorliege, eine palästinische, deren ersten Ausdruck Aristeas und eine alexandrinische, deren erste Fassung Philo biete (so wieder neuerdings Kurtz, Aristeae epistula, Bern 1872). Alsdann schrieb er darin einen Vorbericht zu der von de Rossi verfaßten Beschreibung der syrisch-hexaplarischen Handschrift zu Mailand (III. 187 ff.), einen Aufsatz über Mosis Nachrichten von der Noachischen Fluth, in welchem er eine genauere Quellenscheidung der Sintfluthsgeschichte durchzuführen versuchte (V. 185 ff.), über den Canon des A. T.’s (V. 217 ff.) über den Verfasser der hexaplarisch-syrischen Uebersetzung, als welchen er den Paul Bischof von Tela ermittelte, wobei er das Jahr 617 als den Zeitpunkt des völligen Abschlusses dieser Uebersetzung feststellte (VII. 220 ff.) (zur Sache vgl. de Wette-Schrader, Lehrb. der Einl. in das A. T. S. 116), endlich Nachträge zu Reiske’s Briefen über das arabische Münzwesen (XVII. 209 ff. XVIII. 1 ff.). Anonym erschien in dieser Sammlung 1779 Eichhorn’s später mit breitem Commentar von Gabler 1790–93 herausgegebene „Urgeschichte“ IV. 131 ff.), eine Auslegung von Genesis c. 1–3. Die Erklärung der Schöpfungsgeschichte berührt sich in der Polemik gegen jede physikalische Deutung der Erzählung (S. 155 ff.) sowie gegen jede Auffassung derselben als buchstäbliche Geschichte und in der Betrachtung derselben als ein Dichtergemälde (S. 131 ff.) stark mit Herder’s ältester Urkunde des Menschengeschlechts 1774, so daß es einigermaßen auffällt, gar keiner Hinweisung auf diesen zu begegnen. Die Tendenz des Ganzen wird in der Empfehlung des Sabbats gefunden (S. 160 ff.), um des siebenten willen also sechs Schöpfungstage, in deren künstlerischer Gliederung er wiederum mit Herder vielfach zusammentrifft. – In der Geschichte der Menschenschöpfung und des Sündenfalls schwankt der Verfasser zwischen buchstäblicher [732] Fassung, die dann rationalisirend mundgerecht gemacht wird, und allegorisirender Deutung. So ist die Schlange eine wirkliche Schlange, aber „sprechen“ ist blos Einkleidung für „denken“. Der Baum der Erkenntniß war ein giftiger Baum, doch war das Gift langsam schleichend, da es dem Adam erst im 930. Jahre den Tod zuzog (S. 202). Es regte aber die sinnlichen Triebe Adams auf und bewirkte so die Fortpflanzung der Menschheit. Eben so ist es möglich, daß es noch Bäume so heilsamer Wirkung gibt, wie den Baum des Lebens (S. 201). Andererseits aber ist die „Stimme Gottes“ der Donner und seine Flüche sind Erwägungen, die in der Seele des Menschen entstanden (S. 228 ff.) u. dgl. m. Die Darstellung ist lebendig aber breit und sucht mehr geschmackvoll zu sein als daß sie es immer wirklich wäre (vgl. u. a. S. 152 „Morgenstrahl, wenn du wieder erscheinst zerreiß die Banden die dir gestern widerstanden sind und strahl mir auf den alten Ocean!“ – Wie anders verstand sich doch Herder auf das Zungenreden!). Ueber die reichliche Nachfolge welche E. auf diesem Wege fand s. Diestel, Gesch. des A. T.’s S. 647. – Eine Inhaltsangabe sämmtlicher Aufsätze des Repertoriums findet man bei Rosenmüller Hdb. f. d. Lit. d. bibl. Krit. I. 65–78. – Mit dem Abschluß dieser Zeitschrift trat auch eine Wendung in Eichhorn’s äußerem Leben ein, indem er 1788 als Professor nach Göttingen berufen ward. – Eine Fortsetzung dieser periodischen Arbeiten bildet die „Allgemeine Bibliothek der biblischen Litteratur“ 10 Bde. 1787–1803, denn obwol sie zunächst für die biblischen Studien bestimmt war, dehnte sie doch bald auf die übrigen Gebiete der morgenländischen Wissenschaft ihre Besprechungen aus; vgl. Vorrede zu Bd. I. S. IX. Bd. V. 4 S. 757 ff. Von E. erschienen darin die kritische Beleuchtung der Angriffe des Wolfenbüttler Fragmentisten (Bd. I.), die Arbeit über die 70 Jahrwochen in Daniel 9, 24–27 (Bd. III. 761 ff.), die Abhandlung zur Geschichte der allegorischen Interpretation der Bibel (Bd. V. 203 ff.), die metrische Uebersetzung des Hiob u. a. m. Einen Ueberblick der zahlreichen Gegenstände, welche in dieser Sammlung überhaupt berührt wurden, gewährt die Nachweisung in Eichhorn’s Einl. in das A. T. 4. A. Bd. 5. S. 305.

Die zusammenfassende Hauptleistung auf dem Gebiete der biblischen Wissenschaften war die „Einleitung in das A. T.“, Leipzig 1780–83. 3 Thle. 2. A. 1787. 3 Bde. 3. A. 1803. 3 Bde. 4. A. Göttingen 1823–24. 5 Bde. (dazu 2 Nachdrucke, s. Vorrede z. 4. A. Bd. I. S. XIII.). Es ist Eichhorn’s unbestrittenes Verdienst, für diese Disciplin zuerst den wissenschaftlichen Standpunkt errungen und in umfassenderem Sinne begründet zu haben. Denn mag er immerhin, wie Joh. Dav. Michaelis (Oriental. Biblioth. XVI. 180) durchblicken läßt, als Zuhörer des letzteren Manches von ihm haben, so ist jedenfalls Michaelis’ eigene Einleitung in die göttlichen Schriften des A. B. 1787 auf Pentateuch und Hiob beschränkt geblieben und dieser Gelehrte nicht zu einem zusammenfassenden wissenschaftlichen System vorgeschritten. E. dagegen hat auf die Methode wie auf die Form der Einleitungswissenschaft einen bis jetzt nachwirkenden Einfluß geübt, indem er einerseits die Grundsätze philologischer und historischer Kritik, deren Uebung er bei Heyne auf dem Gebiete der Alterthumswissenschaft kennen gelernt hatte, auf das A. T. übertrug, andererseits, die bisherige Critica sacra und Introductio in libros V. T. vereinigend, die moderne historisch-kritische Einleitung mit den beiden Haupttheilen der allgemeinen und speciellen Einleitung begründet. – Was zunächst den Weg betrifft, welchen E. in der Behandlung des A. T.’s einschlug, so hat es sich, wie auch sonst das Urtheil über denselben ausfallen möge, jedenfalls als vortheilhaft erwiesen, daß er die Einleitungswissenschaft – um es kurz zu sagen – verweltlichte. Er gab den bisher immer noch aus der Schule der altprotestantischen Orthodoxie her festgehaltenen kirchlichen [733] Gesichtspunkt auf, nach welchem das A. T. lediglich als eine Sammlung aus göttlicher Offenbarung stammender Bücher zur Begründung christlicher Lehre betrachtet wurde, und stellt der Forschung ihre eigentliche litterarische und kulturgeschichtliche Aufgabe. Es liegt uns, führte er aus, im A. T. eine Sammlung von Schriften aus dem uns so fremden Asien und aus so frühen Zeiten vor, welche durch „ihren Inhalt und ihren alten und originellen“ Geist unser höchstes Interesse in Anspruch nehmen. Wie wichtig ist es für uns, die Entwicklung der „vernünftigsten Religion des Alterthums“ verfolgen zu können, welch herrliche Blüthen echter Naturpoesie, welch merkwürdige Orakel, welch uralte Tempellieder von „feierlich devotem Tone“ begegnen uns hier. Und außerdem welch wichtige Quelle für die ältesten Sagen der Vorwelt und für alte Geschichte eröffnet sich uns! Da drängt sich uns zunächst die Frage auf: wie sind diese Bücher entstanden? – Wie bei allen alten Völkern so war auch bei den Hebräern am Heiligthum eine Nationalbibliothek, welche wie die Gesetzestafeln Mose’s so auch anderweite alte Urkunden bewahrte. Dies Alles ging nun bei der Zerstörung des ersten Tempels verloren und nach der Rückkehr aus der Verbannung stellte man so gut es ging aus „prophetischen Blumenlesen“ und historischen „Excerptenbüchern“, die sich in den Händen von „Privaten“ befanden, die heilige Büchersammlung wieder zusammen. Dieser gerettete Ueberrest wurde von den Juden seitdem mit großer Sorgfalt bewahrt und ist dadurch auf uns gekommen. – Auch mit der inneren Entstehung dieser Bücher ging es ganz natürlich zu, die „Beschaffenheit der hebräischen Geschichtsbücher zeigt, daß sie auf ganz menschliche Art wie die übrigen alten und neuen historischen Werke des Morgenlandes entstanden sind“; und auch die Ableitung der Prophetie von unmittelbarer Einsprache der Gottheit ist nur eine alterthümliche und kirchliche Vorstellung. – Alle diese Bücher mit dem Maßstabe der Profanschriftsteller gemessen tragen das Gepräge der Echtheit, insofern nämlich alle äußeren und inneren Umstände mit dem Zeitalter übereinstimmen, in welches sie sich hineinversetzen. Dadurch ist aber nicht ausgeschlossen, daß sie im Laufe der Zeit Veränderungen und Zusätze von größerem oder geringerem Umfange erfahren haben. Hier greift nun die Thätigkeit der Kritik ein, sie hat zu ermitteln, welche Theile einer Schrift die echten und ursprünglichen waren, welche dagegen hinzugesetzt wurden, in welcher Weise eine spätere Redaction verschiedenartige Bestandtheile verschmolzen hat, wie viel Ueberarbeiter ein Buch gefunden hat, wie dasselbe allmählich seinen gegenwärtigen Umfang erlangt hat. Das ist das Geschäft der bei den Profanschriftstellern längst geübten höheren Kritik. Wer dies „dem biblischen Litterator verargt“, der muß „an Seelenkräften so äußerst schwach sein, daß er die großen Folgen einer unterlassenen Prüfung dieser Art und das unüberwindliche Heer von Zweifeln nicht übersieht, das sich nur durch die vorgeschlagene Behandlungsart aus seinen Verschanzungen treiben läßt“. Für die so geartete Untersuchung, welche blos nach Quellenschriften des israelitischen Alterthums fragt, ist nun der herkömmliche Begriff „Canon“ in gewissem Sinne unerheblich, weil sie sich von dieser Umgrenzung des Gebietes nicht abhängig machen kann, in gewissem Sinne ist aber diese Bezeichnung störend, weil ihr im Laufe der Zeiten ein so verschiedener Sinn beigelegt ist. Fassen wir dagegen den Canon im historischen Sinne, so ist er die Sammlung altheiliger Nationalschriften im Gegensätze zu späteren schriftstellerischen Leistungen, die in den Apokryphen vorliegen. Dieser Canon ward bald „nach der neuen Gründung des hebräischen Staates“ festgesetzt und hat sich unverändert bis auf Christus erhalten. So ist er auch auf uns gekommen. Auf ihn nach seinem ganzen Umfange hat sich die oben bezeichnete sachliche Kritik zu erstrecken. Doch nicht blos diese, ihr muß die sprachliche Kritik zur Seite gehen, welche, eindringend in die Entwicklung der hebräischen Schrift von ihren ersten [734] Anfängen und in die Geschichte der Veränderungen, welch dieselbe erlitten bis zu ihrer Vocalisirung, sich zunächst einen deutlichen Begriff verschafft von der Schreibweise und Gestalt der ältesten Handschriften und von den Fehlern die bereits in denselben waren, welche sodann die späteren Handschriften, ihre Lesarten und Fehler, die Uebersetzungen und ihr Verhältniß zum Grundtexte sowie die Geschichte der Bibelausgaben durchforscht, um so ausgerüstet an die Feststellung und Erklärung des richtigen Bibeltextes gehen zu können. Aber freilich ist das Resultat dieser großen kritischen Wanderung, daß „unser kritischer Apparat da bis zum Ueberfluß reich ist, wo wir sein nicht bedürfen, und anderwärts arm und ohne Mittel, wo wir seine Hülfe am meisten nöthig hätten“ (I. 384), denn aus Kennicott’s und de Rossi’s Untersuchungen geht hervor, daß alle Handschriften im Grunde denselben Text bringen, welcher der Masora zu Grunde liegt (Allg. Bibl. II. 502. Einl. I. 380 ff. II. 705 ff.), außerdem führen auch die Uebersetzungen im Wesentlichen auf denselben Text zurück (Praefat. ad Koecheri N. bibl. hebr.). Zwar gibt es mehrere Stellen, welche aus unsern masorethischen Handschriften mit Zustimmung der alten Uebersetzungen verbessert werden können – aber wir wissen leider auch, daß alle Hülfe der Handschriften und alten Uebersetzungen im Grunde doch nur Kleinigkeiten betrifft, daß die alten Uebersetzer und Masorethen wenig Hülfe für die verdorbensten Stellen des A. T. hatten … Kurz, die Hoffnung muß man aufgeben, daß der hebräische Text selbst bei einem möglichst vollständigen kritischen Apparat zu seiner völligen ursprünglichen Reinigkeit wiedergelangen werde (II. 706. 707). – So weit die allgemeinen Grundsätze, deren Darlegung auf dem soliden Fundamente einer gründlichen Gelehrsamkeit vollzogen wird. Die Anwendung derselben bringt der specielle mit Bd. 3 beginnende Theil, doch so, daß die Untersuchung im Ganzen in einem sehr conservativen Sinne geführt wird. Gleich im Anfange der Untersuchungen Bd. III, S. 14 werden diejenigen, welche ohne ganz entscheidende Gründe der Ueberlieferung mißtrauen, „verächtliche Raisonneurs, Zweifler ins Gelage“ gescholten. Und so gilt ihm Moses als Verfasser des Pentateuchs, den er aus alten schriftlichen Nachrichten zusammenstellte mit Hinzufügung zeitgeschichtlicher Aufsätze, Tagebücher und Protokolle. Dabei wird eine Quellenscheidung namentlich nach den elohistischen und jahvistischen Bestandtheilen versucht, in denen E. die Entdeckung Astruc’s (1753) zuerst in besonnener Weise (im (Gegensatze zu Ilgen’s Urkunden des Jerusalemer Tempelarchivs 1798) wissenschaftlich verwerthete. - Vom Buche Josua muß „Manches zur Zeit der Ereignisse sogleich an Ort und Stelle niedergeschrieben worden sein“. Doch finden sich neben diesen gleichzeitigen Quellen auch späte, die bis in die Zeit der Theilung des Reichs, vielleicht bis auf Ahab hinabführen. Die ersten 16 Capitel des Buchs der Richter sind schon vor Davids Zeit geschrieben. Dazu fügte ein späterer Ordner einen Anhang. Die Bücher Samuels beruhen auf alten Quellen, welche schon unter den ersten hebräischen Regierungen angelegt worden sind. Die sagenhaften Bestandtheile, wie sie z. B. in dem Leben Samuels hervortreten, können den offenbar geschichtlichen Charakter der anderweiten Erzählung nicht erschüttern. Die Königsbücher beweisen ihre Zuverlässigkeit durch die ungeschminkte Wahrhaftigkeit, mit der sie auch die nachtheiligen Züge berichten; die enormen Zahlen, die in denselben hie und da vorkommen, sind wahrscheinlich alte Textverderbnisse. Das Buch Hiob ist aus Mose’s Zeitalter, Prolog und Epilog sind wesentliche Theile des Ganzen. – Sogar messianische Psalmen finden sich vielleicht in Ps. 72 u. 110. – Daneben finden sich natürlich auch Beispiele einschneidender Kritik, so wie billig beim 2. Theile des Jesajah, bei den Psalmüberschriften, dem Koheleth, der Spruchsammlung u. a. – Die Darstellung in diesem Werke ist durch ihre Klarheit und Lebendigkeit ansprechend, indessen doch wol nicht durchweg von dem [735] Vorwurf des Rhetorischen und Ueberladenen, sowie auch eines gewissen affectirten „guten Geschmacks“ freizusprechen (vgl. Stellen wie Bd. IV. S. 286). Bei der allgemeinen Beurtheilung des Buchs ist vor allen Dingen daran festzuhalten, daß es beanspruchen darf zunächst mit dem Maßstabe seiner Zeit gemessen zu werden. Was jetzt nach allseitig erweiterten und vertieften Studien über die Fragen der alttestamentlichen Kritik und über das Wesen der israelitischen Religion und Litteratur geurtheilt wird, kann man bei E. nicht zu finden verlangen. Vielmehr ist zu verwundern, wie sehr sein Werk alle ähnlichen Erscheinungen der Zeit hinter sich läßt, und da es das erste seiner Art war, so darf es nicht befremden, wenn der rasche Aufbau des Ganzen sich nicht in allen Theilen haltbar erweist. Aber freilich kann uns dies andererseits nicht abhalten, diejenigen Mängel zu bezeichnen, welche im Verhältniß zur Sache selbst hervortreten. Auch sie liegen zum Theil in der Zeit, welche mit flachen Begriffen zu operiren gewöhnt war. So war es sicherlich im hohen Grade ungenügend, den Monotheismus lediglich als ein Stück höherer Aufklärung zu betrachten, welches Mose vergeblich in die Köpfe der Israeliten hineinzutreiben versuchte (I. 11), und gewiß war es grundfalsch, die Theokratie als eine Art Aufklärungsanstalt anzusehen, welche von einem gelehrten Priesterorden von zudem etwas zweifelhafter Gelehrsamkeit geleitet wurde (I. 6. 9 ff.). Es konnte gewiß nicht genügen, die Propheten als Weise der Vorwelt zu bezeichnen, die sich durch Verstand und Menschenkenntniß über die Wildheit der Zeitgenossen erhoben (IV. 18 ff.), oder als das anzusehen was heute aufgeklärte und rechtschaffene Lehrer der Religion sind; so, daß ihre Visionen und Träume durch die erhitzte Einbildungskraft des Morgenländers entschuldigt werden mit der hinzugefügten Versicherung, daß sie ehrliche Männer gewesen seien. Auch zieht sich durch das ganze Buch ein Schwanken über gewisse Hauptfragen. Die hebräische Litteratur wird wegen ihres Werthes und ihrer Originalität angepriesen, dabei aber bleibt es zweifelhaft, ob die Nation jemals an Geist und Bildung über das Kindesalter hinausgelangte. „Die Sprache blieb in gewissem Betracht ungebildet, die historische Kunst mangelhaft, die Philosophie bestand wie bei Kindern und Kindernationen in bloßen Erfahrungssätzen, Sittensprüchen und Räthseln, zur Cultur der Wissenschaften schritt auch der gelehrte (!) Orden nicht fort“ (I. 6 ff.). Israel war bestimmt zum „allgemeinen Weltlehrer in Sachen der Religion“ (Allgem. Bibl. I. 532), befand sich aber in der schlimmen Lage eines Lehrers der selbst nichts weiß, denn die „reine Gottesidee war für das Volk viel zu geistig“. – Die israelitische Religion beruht auf Offenbarung d. h. also auf göttlicher Mittheilung (Allgem. Bibl. VI. 57), aber bei näherem Zusehen producirt sich Israel seine Religion selbst, wenngleich in etwas mangelhafter Weise (vgl. Diestel, Gesch. des A. T.’s S. 673). – Hinsichtlich der gesammten Form, welche E. der Einleitungswissenschaft gab, ist in neuerer Zeit zuerst von Hupfeld, Begr. und Methode der sogen. bibl. Einl. 1844 (vgl. bes. S. 11. 39 ff. 79) Widerspruch erhoben worden, von welchem eine schärfere Abgrenzung ihres Gebiets als nur die Geschichte der heiligen Schrift A. T. umfassend und eine andere Anordnung ihrer Theile als Geschichte der Entstehung, Erhaltung, Verbreitung und Auslegung der Bücher des A. T.’s gefordert wird (s. hierüber Bleek, Einl. in das A. T. S. 1–4). Doch sehen wir thatsächlich trotz alle dem die Einleitung zumeist noch in der Eichhorn’schen Rüstung stecken. – Eine Fortsetzung dieser Arbeiten bildete die „Einleitung in die apokryphischen Bücher des A. T.’s“ 1795 (kritische Schriften 4 Bd.). Eine etwas farblose Charakteristik des Buches findet man bei Meyer, Gesch. der Schrifterkl. V. 649–652. – Außerdem gehören noch dem Gebiete des A. T.’s an die hebräischen Propheten 3 Bde. 1816–19 und die lexikalischen Arbeiten Eichhorn’s. – In diesen erwarb er sich zuerst ein kritisches Verdienst durch die tüchtige Recension der Arbeiten Hezel’s (s. d. Art.), [736] welche in der Allgem. Biblioth. V. 646–676 erschien und der Sprachverwirrung steuerte, die Hezel anzurichten im Begriff stand. Sodann aber gab er eine sehr brauchbare neue Bearbeitung des Lexicon manuale hebr. et chald. von Simonis (ed. III. 1793) heraus, in welcher namentlich die Arbeiten von J. D. Michaelis und der holländischen Schule benutzt sowie auch manche phraseologischen Bemerkungen nachgetragen waren. –

Seine Einleitungsstudien dehnte E. in weiterer Fortsetzung auch auf das N. T. aus. Es erschien die „Einl. in das N. T.“ 3 Bde. 1804–27 (Krit. Schriften Bd. 5–7), 2. A. in 5 Bden. 1820–27. In derselben ist vorzugsweise die merkwürdige jetzt verlassene Hypothese Eichhorn’s vom Urevangelium, welche er zuerst in der Allgem. Bibl. V, 759 ff. vorgetragen hatte, mit vieler Kunst weiter ausgeführt und begründet worden. Nach derselben ging aus einem aramäischen Urevangelium eine griechische Uebersetzung hervor, aus welcher das allen drei synoptischen Evangelisten Gemeinsame stammte; die Verschiedenheiten der Evangelisten erklären sich aus verschiedenartigen Ueberarbeitungen des Urevangeliums, welche jedem derselben vorlagen. Er kommt dadurch zu einer zwölffachen Evangelienformation, deren Genealogie man bei Guerike, Historisch-krit. Einl. in das N. T. 1843 S. 223 ff. findet, außerdem vgl. Meyer a. a. O. V. 669 ff. –

Als Ausleger versuchte sich E. in zeitgeschichtlichen Erklärungen neutestamentlicher Abschnitte. So über 1. Cor. 12–14 in der Allgem. Bibl. II. 5 S. 757 über AG. II, 1–13, ebenda Bd. III. 2 S. 225, über die Engelerscheinungen der AG. Bd. III. 2 S. 381. Sein „Commentarius in Apocalypsin“ 1791 versuchte mit Benutzung der Wetstein’schen Materialien in den Visionen des Buchs eine dramatische Dichtung aus den Vorbildern des Ezechiel, Sacharja und anderen Propheten zu erweisen. Das Verdienst dieser sonst ganz unhaltbaren Hypothese liegt in der tieferen Würdigung des poetischen Gehalts der Apokalypse, welcher E. Bahn brach (vgl. die ausführliche Analyse und Kritik in Lücke, Versuch einer vollst. Einl. in die Offenb. Joh. 1832 S. 163–169).

Indessen Eichhorn’s außerordentliche Productivität beschränkte sich nicht auf die biblischen Wissenschaften. Wie er als Universitätslehrer außer den orientalischen Sprachen und sämmtlichen biblischen Fächern auch die ganze Weltgeschichte und die Geschichte der Litteratur in Vorlesungen behandelte, so ließ er auch über diese Gegenstände sich immer erneuende litterarische Fluthen ausströmen in Büchern, welche durch Fülle des Stoffs in geschmackvoller Darstellung Anklang fanden. So schrieb er eine „Geschichte der französischen Revolution“, 2 Bde. 1797, „Allgemeine Geschichte der Cultur und Litteratur des neueren Europa“: Litterärgeschichte I. Thl. 1799, II. Thl. 1814; „Weltgeschichte“, 5 Bde. 1801 bis 14; „Geschichte der drei letzten Jahrhunderte“, 6 Thle. 1803–4; besondere Abdrücke: „Das 19. Jahrhundert“, 1817; „Geschichte der Litteratur von ihrem Anfange bis auf die neuesten Zeiten“, 5 Bde. (da sie in Abtheilungen zerfallen, werden es in Wirklichkeit 11 Bände); „Urgeschichte des erlauchten Hauses der Welfen“, 1817. – Zu alle dem kommen nun noch zahlreiche Vorlesungen in der Göttingischen Societät der Wissenschaften, Recensionen für die Göttinger gelehrten Anzeigen, so daß man über diesen Fleiß und diese Arbeitskraft staunen muß. Seine feste Gesundheit wankte zuerst 1825 infolge einer Lungenentzündung, welche ihn befiel. Er brachte daher sowol den Gedenktag seines 50jährigen Doctorjubiläums als den 26. Febr. 1826, an welchem sein 50jähriges Dienstjubiläum gefeiert ward, im Kreise der Seinen zu. Schon durch Krankheit erschöpft hielt er doch noch seine Vorlesungen, bis ihn am 14. Juni 1827 ein Fieber auf das Lager warf. Sanft und gefaßt ging er dem Tode entgegen, der ihn am 25. Juni 1827 dahinnahm. Sein Ruhm war weit verbreitet, auch äußere Ehren fehlten ihm nicht (vgl. Döring in Ersch u. Gruber, Encyklopädie [737] I, 32, S. 22, wo alle Titel und Orden aufgezählt sind). Sein Sohn Karl Friedrich war bei seinem Tode bereits Staatsrechtslehrer in Göttingen. – Die Quellen für die biographischen Nachrichten über E. findet man bei Döring a. a. O. S. 23 Not. 16 und bei Bertheau a. a. O. S. 713.

Eichhorn’s Bedeutung in der Geschichte der biblischen Wissenschaft ist in großen Zügen von Ewald, Jahrbb. der bibl. Wissensch. Bd. I. 1849. S. 29–31 gewürdigt worden.