ADB:Walch, Christian Wilhelm Franz

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Artikel „Walch, Christian Wilhelm Franz“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 646–650, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Walch,_Christian_Wilhelm_Franz&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 09:45 Uhr UTC)
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Walch: Christian Wilhelm Franz W., lutherischer Theologe, † 1784. Walch’s Name glänzt in der Göttinger Gelehrtengeschichte als Vertreter des Zweiges der kirchlichen Litteraturgeschichte. Der Zeit nach zwischen Mosheim und Jakob Planck, auch geistig zwischen ihnen stehend, nicht geistreich wie Mosheim, aber unter dem Eindruck dieses hohen Lehrers, nicht aufgeklärt oder gar rationalistisch gestimmt wie Planck, aber doch nicht eigentlich der Orthodoxie ergeben, pflegte er die historische Seite der Theologie hauptsächlich im litteraturgeschichtlichen Interesse ohne mit der Kirchenlehre zu brechen; nach dem Streite zwischen Orthodoxie und Pietismus von beiden beeinflußt, vertrat er einen erweichten Dogmatismus und zugleich ein warmes Herzenschristenthum, in beiden der Sohn seines Vaters Johann Georg W. und der Enkel des Buddeus. – Christian Wilh. Franz W. wurde zu Jena als zweiter Sohn des dortigen Theologen Johann Georg W. (s. S. 650) und dessen Gattin Charlotte Katharina, der einzigen Tochter des berühmten Jenenser Theologen Buddeus, am 25. Decbr. 1726 geboren. In der dortigen theologischen Atmosphäre, welche zwischen Orthodoxie und Pietismus die Mitte hielt, unter der Leitung seines Vaters herangewachsen, [647] wurde er 1745 an der Universität daselbst Magister und hielt zunächst bis 1747 Vorlesungen exegetischen, philosophischen und historischen Inhalts. Nach der damaligen Sitte war es rathsam, durch größere gelehrte Reisen sich den Blick zu erweitern und persönliche Bekanntschaften mit den verschiedensten Gelehrten anzuknüpfen. Das wurde ihm jetzt zu Theil; er reiste mit seinem älteren Bruder Johann Ernst Immanuel durch Deutschland, Holland, Frankreich, die Schweiz und Italien und knüpfte verschiedene gelehrte Beziehungen an. Nach seiner Rückkehr erhielt er 1750 eine außerordentliche Professur der Philosophie in seiner Vaterstadt und schon 1753 einen Ruf als ordentlicher Professor in die philosophische Facultät der Universität Göttingen. Diesem folgte er und hat von da an sein ganzes Leben an der Georgia Augusta zugebracht. Hier wurde er 1754 zum außerordentlichen Professor der Theologie ernannt und in demselben Jahre daselbst auch zum Dr. theol. bei der dortigen Facultät promovirt. (Seine Inauguraldissertation handelte „de oboedientia Christi activa“.) Drei Jahre darauf trat W. als ordentliches Mitglied in dieselbe ein. Er eröffnete sein Amt mit einer Rede „de veterum Christianorum virtute a pietatis magistris cautius commendanda“. In diesem seinen Berufe entfaltete er in dieser Stellung zunächst eine rege Lehrthätigkeit; er las Dogmatik, Moral, Polemik, symbolische Theologie, natürliche Theologie als systematische Disciplinen, dazu die ganze Kirchengeschichte, christliche Alterthümer, kirchliche Litteraturgeschichte, Exegese und Kirchenrecht, veranstaltete Examinatorien, Disputationen und las, „was außer der Ordnung von den genannten Vorlesungen begehrt“ wurde. Diese Collegia hielt er meist nach eigenen gedruckten Compendien. Dazu verfaßte er eine große Anzahl akademischer Gelegenheitsschriften, betheiligte sich fleißig an den Arbeiten der Göttinger Societät der Wissenschaften, welche ihn 1766 in ihre philologisch-historische Classe aufnahm, half eifrig in der Verwaltung der Universität (seit 1760 als Curator „aerariorum piorum“) und in der Leitung des theologischen Repetentencollegiums (seit 1765 als Director desselben) und wo sonst für akademische Zwecke Mitarbeit nöthig war. Bei dieser seiner emsigen Berufsthätigkeit hatte W. erst spät Zeit gefunden, sich zu verheirathen; seine Gattin wurde im Jahre 1763 Eleonore Friderike, Tochter des hildesheimischen Consistorialrathes und Generalsuperintendenten Crome. 1766 wurde W. Primarius der theologischen Facultät und erhielt 1772 den Titel eines großbritannischen Consistorialrathes. Er starb am 10. März 1784 plötzlich am Schlagfluß. Der Tod riß ihn aus voller Thätigkeit, als er erst ein Alter von 57 Jahren erreicht hatte. War er früher ein sehr gern gehörter Docent gewesen, so hatten seine Vorlesungen mit seinen vorrückenden Jahren und bei der wachsenden Concurrenz im Lehrkörper der Universität viel Anziehungskraft eingebüßt. Es „kamen junge rüstige Männer ihm zur Seite; die Meinungen und der Geschmack änderten sich; der Reiz der Neuheit kam dazu. So geschah es, daß er in einigen Collegien den Beifall fast ganz und in allen viel davon verlor“. („Dem Andenken u. s. w.“ s. unten.) In einem warm gehaltenen Nachrufe („Dem Andenken“ u. s. w., s. unten) schildert die Göttinger theologische Facultät, was ihr der Verstorbene als Mensch, als Amtsgehülfe und Freund war. Sie rühmt die Festigkeit seines nach bestimmten Grundsätzen gebildeten Charakters, sein „gutes Herz“, seine ruhige Gemüthsart, die Offenheit seines Wesens, seine Dienstfertigkeit und Gefälligkeit, seine „ganz unvergleichliche Gottergebenheit und Duldsamkeit“. Die wissenschaftliche Bedeutung Walch’s liegt auf dem Gebiete der historischen Theologie, aber auch hier mehr auf dem Specialgebiete der Litteraturgeschichte. Denn die Ideen, welchen er bei seinen Studien und Darstellungen hier folgte, gingen nicht gerade tief, konnten wenigstens keine [648] tiefgehende Auffassung und Darstellung des Entwicklungsganges des Christenthums hervorbringen; darin stand W. eben zusehr unter dem Einfluß der damals üblichen, seit Wolf cultivirten „natürlichen Theologie“, welche ihren Hauptzweck im Nachweise des Daseins eines Gottes hatte. So steht auch bei W. schließlich die Kirchengeschichte im Dienste einer darauf hinauslaufenden Apologie des Glaubens an Gott und an seine planvolle Leitung der Kirche und der Welt. Die Geschichte beweist das gute Recht des Vorsehungsglaubens; sie wird also zum Gegenstück einer religiös aufgefaßten Physik. Zu einer Durchdringung des geschichtlichen Quellenstoffes nach den in diesem Stoffe selbst erkennbaren wirkenden Ideen hat sich W. nicht erhoben; er sieht schließlich doch in der Historie „nur zufällige Veränderungen zufälliger Dinge“. Danach würde die historische Berichterstattung ihre Hauptaufgabe in der möglichst genauen Protocollirung der in den Quellen vorliegenden Nachrichten über die zufälligen geschichtlichen Vorgänge zu erblicken haben. Darin ist auch in der That der Werth der Walch’schen Geschichtsarbeit noch heute zu erblicken. Zwar hat nun auch W. das Bedürfniß gehabt, die historischen Personen und Vorgänge nicht als abrupte, sondern als in bestimmten Zusammenhängen auftretende Erscheinungen aufzufassen und so eine „pragmatische“ Geschichtsdarstellung zu bieten; aber die von ihm angenommenen Zusammenhänge sind selbst wieder nur vereinzelte, zufällige, von Fall zu Fall reichende; nirgends sieht er treibende Kräfte, von welchen ganze Perioden beeinflußt sein könnten. Erinnert man sich dabei, daß Mosheim schon längst den genialen Blick bewiesen hatte, die geschichtlichen Vorgänge von Epochen abzuleiten und sie so geistig im Zusammenhange zu schauen, so bedeutet der Pragmatismus Walch’s eher einen Rückschritt als einen Fortschritt. Mit Recht hat schon W. Möller (s. unten) auf den naiven Eingang der Ketzergeschichte Walch’s hingewiesen, welcher geradezu wie ein Programm uns in die innerste Anschauung Walch’s vom Wesen der Kirchengeschichte blicken läßt. „Wenn diejenigen“, schreibt W. da (Bd. I, S. 3), „welche sich zur Religion Jesu Christi bekannt haben, nie von ihren beiden Haupttheilen, der Wahrheit und der Liebe, abgewichen wären, so würden wir der Mühe überhoben sein können, den größten Theil der Bücher, welche die Geschichte der christlichen Religion vortragen, mit Erzählungen von Ketzereien, Spaltungen und Streitigkeiten anzufüllen. Allein, da es der ewigen Weisheit unseres preiswürdigen Erlösers gefallen, wie die Verfolgungen und Unterdrückungen seiner Bekenner von außen, also eine Menge von Zwietracht und Uneinigkeit von innen zuzulassen, so ist nunmehr die Kenntniß der dadurch entstandenen Begebenheiten ein unentbehrlicher Theil der Kirchengeschichte“. Ein wenig verlockender Grund, sich dem Studium der Kirchengeschichte zu widmen; wenn W. sie in dieser Stimmung auch auf dem Katheder behandelt hat, so erklärt sich, weshalb schließlich die Zuhörer diesem Betrieb der Wissenschaft den Rücken kehrten, weil sie dem bloßen geschichtlichen Ballast kein persönliches Interesse abzugewinnen wußten. Dennoch bleiben viele seiner Schriften noch heute werthvoll und zwar nicht bloß wegen der protokollarisch treuen Berichterstattung, deren er sich, ohne zu ermüden, befleißigte, nicht bloß wegen der umfassenden Vorführung des Quellenmaterials und der Erläuterungsschriften mit Erörterung der kleinsten Umstände, wobei man, wie Schröckh sagt, die Genauigkeit nicht höher treiben kann, als er es gethan hat, sondern das Werthvolle liegt in der Umspannung gewisser Gebiete, welche er nach seinen Grundsätzen allseitig beleuchtet hat; Ketzergeschichte, Papstgeschichte, Conciliengeschichte sind solche von ihm abgegrenzte, aber innerhalb dieser Grenzen allseitig bearbeitete Gebiete, durch deren Darstellung er sich ein gewiß noch lange geltendes Verdienst erworben hat. Diese und viele ähnliche gelehrte Arbeiten Walch’s sind als Materialiensammlungen alle noch brauchbar, [649] weiter aber wol auch nicht. Dadurch zeichnet sich W. auch vor seinem unendlich viel schreibenden Halleschen Collegen Semler aus; weil dieser sich nie zusammen fassen konnte, werden seine Schriften heute kaum citirt, geschweige denn gelesen, während Walch’s Schriften für uns immer noch lehrreich sind. Walch’s Editionen „Monumenta medii aevi“ haben sogar bleibenden Werth. – Als W. in der theologischen Facultät zu Göttingen in Blüthe stand, geschah es, daß die hannoversche Staatsregierung den Gedanken hatte, den jungen Herder, welcher damals noch in Bückeburg thätig war, als Professor der Theologie nach Göttingen zu berufen. Die Facultät wurde um ihr Gutachten ersucht; sie antwortete ablehnend, da ihr die Ideen Herder’s noch zu unklar vorkamen. Aus der Berufung Herder’s nach Göttingen wurde so nichts. Der Unterschied zwischen einem W. und einem Herder ist allerdings groß genug.

Schriften Walch’s. Wir notiren zunächst sein Hauptwerk. Als das wichtigste mag voran genannt werden: „Entwurf einer vollständigen Historie der Ketzereyen, Spaltungen und Religionsstreitigkeiten bis auf die Zeiten der Reformation“ (1. Theil, Leipz. 1762 bis 11. Theil. Dieser mit Vorrede von Spittler, ebd. 1785. Es reicht bis ins 9. Jahrhundert, ist also unvollendet geblieben); „Geschichte der evangelisch-lutherischen Religion, als ein Beweis, daß sie die wahre sey“ (Jena 1753); „Entwurf einer vollständigen Historie der römischen Päpste“ (Gött. 1756, 2. Aufl. 1758, englisch: London 1759); „Gedanken von der Geschichte der Glaubenslehren“ (ebd. 1756, 2. Aufl. 1764); „Monumenta medii aevi, ex bibliotheca regia Hannoverana“ (Vol. I, Fasc. I, Gott. 1757, Fasc. II, ib. 1758; Fasc. III, ib. 1759; Fasc. IV, ib. 1760; Vol. II, Fasc. I, ib. 1761; Fasc. II, ib. 1764. Eine reiche Edition zur Kirchengeschichte des Mittelalters); „Entwurf einer vollständigen Historie der Kirchenversammlungen“ (Leipz. 1759); „Grundsätze der natürlichen Gottesgelahrtheit“ (ebd. 1760, 2. Aufl. 1779); „Grundsätze der Kirchengeschichte des Neuen Testaments“ (ebd. 1761, 2. Aufl. 1773, 3. Aufl. v. Schulz, Gießen 1792); „Breviarium theologiae symbolicae ecclesiae Lutheranae“ (Gött. 1765; ed. II emendata et aucta 1781); „Bibliotheca symbolica vetus ex monimentis quinque priorum saeculorum maxime selecta et observationibus historicis et criticis illustrata“ (Lemgov. 1770); „Kritische Nachricht von den Quellen der Kirchenhistorie“ (Leipz. 1770, 2. Aufl. Gött. 1773); „Neueste Religionsgeschichte“ (9 Theile Lemgo 1771–1783, Forts. in 2 Theilen von Planck ebd. 1787–1793, holländisch v. Cordes); „Kritische Untersuchung vom Gebrauch der heiligen Schrift unter den alten Christen in den ersten vier Jahrhunderten“ (Leipz. 1779, worin er gegenüber Semler und Lessing Stellung nahm, allerdings ohne in den Principienstreit tief einzudringen). – Außer diesen an erster Stelle zu nennenden Schriften Walch’s werden noch folgende gelehrte Leistungen desselben Erwähnung finden müssen: „Antiquitates pallii philosophici veterum Christianorum“ (Jenae 1745); „Wahrhaftige Geschichte der seligen Frau Catharina von Bora, D. Martin Luther’s Ehegattin“ (Halle 1751, 2. Aufl. 1752, 2. Theil 1754); „Historia patriarcharum Judaeorum, quorum in libris iuris Judaeorum fit mentio“ (Jenae 1752); „Historia Adoptianorum“ (Gott. 1755); „Historia protopaschitarum“ (Gott. 1760); „Nachricht von dem königlichen theologischen Repetentencollegio zu Göttingen“ (ebd. 1765); „Grundsätze der Kirchengeschichte des achtzehnten Jahrhunderts“ (Gött. 1774); „Breviarium theologiae dogmaticae“ (ib. 1775); „Lebensbeschreibung D. Joh. Georg Walch’s“ (Jena 1777). – Das sind nur die Titel der wichtigsten größeren Publicationen; eine reiche Gelehrtenarbeit hat W. außerdem in zahlreichen gelehrten Programmen, Dissertationen, Reden und Recensionen niedergelegt; dieselben erstrecken sich über das gesammte Gebiet der Theologie; am häufigsten hat er sich aber auch hierbei [650] mit kirchengeschichtlichen oder exegetisch-archäologischen Themata beschäftigt. Die Titel aller derselben finden sich bei Meusel und Döring (s. unten). Das Bildniß Walch’s ist zu sehen vor seiner Schrift „Grundsätze der natürlichen Gottesgelahrtheit“ (Gött. 1760).

Zu vgl. C. A. Heumann (Prof. der Theol. in Göttingen), Programma de haeretico Paulino in epistola ad Tit. 1, 10, womit H. zur Doctorpromotion Walch's einlud; in demselben befindet sich eine Notiz über das Leben und die Schriften Walch’s (bis 1754). — Joh. N. Pütter, Versuch einer akademischen Gelehrtengeschichte von der Georg-August-Universität zu Göttingen, Thl. I, S. 121 ff. (1765); Thl. II, S. 28 ff. — Dazu zwei Nachrufe, einer von C. G. Heyne in der Göttinger Societät der Wissenschaften verlesen: Elogium Ven. Walchii recitatum in consessu societatis die XXVII Martii 1784 a C. G. Heyne (Gött. Univ.-Bibl.); der andere: Dem Andenken ihres unvergeßlichen Freundes, des … D. Walch, von der theologischen Facultät daselbst, im März des Jahres 1784. Göttg. 1784. — Meusel, Lexicon der … teutschen Schriftsteller XVI (1815) S. 345 ff. — H. Döring, Die gelehrten Theologen Deutschlands IV (1835) S. 615 ff. — Gustav Frank, Geschichte der prot. Theologie III (1875) S. 83. — W. Möller's Artikel in Herzog's Realencyklopädie XVI (1885) 2. Aufl. sub voce „Walch, Christian W. Fr.“