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Artikel „Bertheau, Ernst“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 46 (1902), S. 441–443, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bertheau,_Ernst&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 16:00 Uhr UTC)
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Bertheau: Ernst B., alttestamentlicher Exeget, wurde am 23. November 1812 zu Hamburg geboren. Ueber die Herkunft seiner Familie, seinen Vater u. s. f. vgl. den Artikel Carl B.; der in diesem besprochene Carl B. ist Ernst’s älterer Bruder. Ernst besuchte zuerst eine Privatschule und sodann von Johannis 1825 an das Johanneum, von Ostern 1831 an das akademische Gymnasium seiner Vaterstadt. Wohl vorgebildet ging er Ostern 1832 zum Studium der Theologie und der orientalischen Sprachen nach Berlin, Michaelis 1833 ging er, namentlich um sich unter Heinrich Ewald’s (s. A. D. B. VI, 438) Leitung den orientalischen Wissenschaften zu widmen, nach Göttingen; doch vernachlässigte er das Studium der Theologie nicht; namentlich die Vorlesungen von Lücke (s. A. D. B. XIX, 357) und Gieseler (s. A. D. B. IX, 163) wurden ihm wichtig, und zu beiden, besonders zu dem ersteren, trat er auch in ein näheres, persönliches Verhältniß. Er ist von der Zeit an bis zu seinem Tode, beinahe 55 Jahre, in Göttingen geblieben und hat hier später mit Recht für einen echten Göttinger Gelehrten in seiner ganzen Art zu arbeiten und zu leben gegolten. Am 27. Februar 1836 promovirte er zum Doctor der Philosophie. Um diese Zeit suchte Julius Müller (s. A. D. B. XXII, 638), mit dem B. noch in Göttingen zusammen gewesen war, der dann aber einem Rufe nach Marburg gefolgt war, auch B. nach Marburg zu ziehen; er sollte dort „Stipendiatenmajor“ werden. Es scheint besonders Lücke’s Rath gewesen zu sein, was ihn veranlaßte, dieser Aufforderung nicht zu folgen, sondern sich in Göttingen weiter auf seine Habilitirung vorzubereiten. Von Michaelis 1836 war er hier Repetent bei der theologischen Facultät; als solcher hielt er schon Vorlesungen und predigte auch mitunter. Die im December 1837 erfolgte Amtsentsetzung der sieben Göttinger Professoren zog ihn um so mehr in Mitleidenschaft, als zu den Entlassenen außer seinem Lehrer Ewald auch die ihm befreundeten Professoren Dahlmann und Jakob Grimm gehörten, während unter andern sein väterlicher Freund Lücke den bekannten Protest nicht mit unterschrieben hatte und deshalb in Göttingen verblieb. B. lernte damals, daß ihre gewissenhafte Ueberzeugung von ihm hochverehrte Männer zu entgegengesetztem Verhalten führen konnte, eine Erfahrung, die sich ihm tief einprägte und seine Stellungnahme auch in theologischen und kirchlichen Streitigkeiten immer eine außerordentlich vorsichtige und maßvolle bleiben ließ, manchmal so sehr, daß seine Freunde sich in ihn nicht zu finden wußten; nur wo er wissenschaftliche oder sittliche Untüchtigkeit entdeckte, wurde sein Urtheil ein entschieden abweisendes. Um Michaelis 1839 habilitirte er sich als Docent für alttestamentliche Exegese und orientalische Sprachen bei der philosophischen Facultät. Als solcher ward er den Fachgenossen bekannt durch sein im J. 1840 veröffentlichtes Werk: „Die sieben Gruppen mosaischer Gesetze in den drei mittleren Büchern des Pentateuch“, auf welches im J. 1842 seine beiden Abhandlungen: „Zur Geschichte der Israeliten“ folgten; in der ersten dieser Abhandlungen legte er Untersuchungen über Gewichte, Münzen und Maaße der Hebräer vor, in der zweiten Forschungen über die Bewohner Palästinas. Schon diese Arbeiten zeigen die vorsichtige und gewissenhafte Art der Forschung, die auch seinen späteren Werken eigen ist; die feststehenden Resultate seiner Untersuchungen hebt er deutlich heraus, aber er hütet sich, auch naheliegende Vermuthungen für mehr auszugeben als sie sind. Am 7. Juli 1842 ward er zum außerordentlichen Professor ernannt; nach der damals in Göttingen bestehenden Sitte gehörte der alttestamentliche Exeget zur philosophischen Facultät. Im J. 1843 gab B. des Gregorius Barhebräus syrische Grammatik mit Uebersetzung und Commentar heraus; nachdem er dann aber sich durch Ferdinand Hitzig zur Mitarbeit an dem von Samuel Hirzel in Leipzig verlegten Kurzgefaßten exegetischen Handbuch zum Alten Testament hatte [442] bestimmen lassen, hat er nur noch mit der Erklärung des Alten Testamentes und deren Geschichte sich beschäftigende Arbeiten veröffentlicht, während er in seinen Vorlesungen bis zuletzt auch die orientalischen Sprachen, außer dem Hebräischen und Chaldäischen namentlich das Syrische und Arabische, behandelte. Für das exegetische Handbuch lieferte er vier Bände; im J. 1845 erschienen die Bücher Richter und Ruth (2. Aufl. 1883), 1847 die Sprüche Salomo’s (in demselben Bande erschien die Erklärung des Prediger Salomo von Hitzig), 1854 die Bücher der Chronik (2. Aufl. 1873) und 1861 die Bücher Esra, Nehemia und Esther. Außer diesen Erklärungen biblischer Bücher hat B. nur noch einige Abhandlungen in Zeitschriften drucken lassen und eine Reihe von Artikeln für die Herzog’sche protestantische Realencyklopädie (1. und 2. Aufl.) und für das Schenkel’sche Bibellexikon geliefert. Unter den Abhandlungen sind besonders zu nennen die über „die der Beschreibung der Lage des Paradieses (im 1. Buch Mose 2, 10–14) zu Grunde liegenden geographischen Anschauungen“, welche im J. 1847 in den Göttinger Studien und sodann (1848) auch in besonderem Abdruck erschien; ferner seine Arbeit über „die alttestamentliche Weissagung von Israels Reichsherrlichkeit in seinem Lande“, welche in den Jahrbüchern für deutsche Theologie 1859 und 1860 erschien. Mehrfache Berufungen an andere Universitäten lehnte er ab; als im J. 1843 ein Ruf in die theologische Facultät in Marburg an ihn ergangen war, ward er am 5. December 1843 in Göttingen zum Ordinarius in der philosophischen Facultät ernannt. Daß er, obschon seine Vorlesungen und seine ganze Thätigkeit als Docent, namentlich später auch sein alttestamentliches Seminar, hauptsächlich für Theologen bestimmt waren, selbst Mitglied der philosophischen Facultät war und blieb, wurde für ihn persönlich dadurch ausgeglichen, daß er mit den Professoren der Theologie in herzlichster Freundschaft und in wesentlicher Uebereinstimmung in den grundlegenden theologischen und kirchlichen Ueberzeugungen verkehrte, wie ihn denn auch die Göttinger theol. Facultät am 10. März 1861 honoris causa zum Doctor der Theologie ernannte. Auf sein eignes wissenschaftliches Arbeiten wirkte in den letzten Jahrzehnten seines Lebens neben traurigen Erlebnissen in seiner Familie (Tod seiner ersten Frau 1851, Tod der beiden ältesten Kinder 1866 und 1870) der Umstand hemmend ein, daß er immer mehr mit äußeren Geschäften belastet wurde, zu denen ihn sowohl das Vertrauen der Bürger Göttingens als das seiner Collegen heranzog; namentlich wurde er auch von der theologischen Facultät gern als ihr Vertreter in solchen Angelegenheiten verwandt. Mochte B. auch zu diesen Sachen ein besonderes Geschick haben, wie er es ohne Zweifel in seinem klaren Blick und praktischen Sinn und nicht zum mindesten in seiner außerordentlichen Gewissenhaftigkeit hatte, er bedauerte doch später selbst, daß er dadurch, daß er diesen Dingen viel Zeit und Kraft zuzuwenden genöthigt war, an der Vollendung mancher wissenschaftlichen Arbeit behindert worden sei. Doch litten seine Vorlesungen nicht darunter. Unter ihnen hat die historisch-kritische Einleitung in das Alte Testament ihm immer besondere Freude gemacht; ihr wandte er immer wieder neuen Fleiß zu und sie galt wohl mit Recht für sein bestes Colleg. Vom Jahre 1870 an war er mit an den Arbeiten für die Revision der Luther’schen Bibelübersetzung betheiligt; er war in die Commission für das Alte Testament berufen. An den Commissionssitzungen, die in den Oster- und Michaelisferien in Halle stattzufinden pflegten, nahm er regelmäßig theil; wie vielen anderen ist es auch ihm dabei so gegangen, daß er beim Fortgang der Arbeit immer mehr die Vortrefflichkeit der Arbeit Luther’s bewundern lernte. Den Abschluß der Arbeit hat er nicht mehr erlebt. Am 27. Februar 1886 feierte er unter großer Betheiligung sein 50jähriges Doctorjubiläum. Er starb am 17. Mai 1888 nach kurzer Krankheit an einer Lungenentzündung im [443] 76. Jahre. – B. war zweimal verheirathet gewesen; zuerst heirathete er im J. 1844 Lücke’s zweite Tochter Agnes; nach deren im September 1851 erfolgtem Tode heirathete er im J. 1855 eine Cousine seiner ersten Frau, Clara, Tochter des bekannten Juristen Etatsrath Burchardi in Kiel, die noch in Göttingen lebt. Aus seiner ersten Ehe hatte er fünf, aus seiner zweiten acht Kinder, von welchen ihn elf überlebten.

Lexikon der Hamburgischen Schriftsteller I, 239 ff. – Deutsche Encyklopädie II, 509. – Theologische Realencyklopädie, 3. Aufl., 2. Band, S. 645–648. – Meyer u. Tesdorpf, Hamburgische Wappen u. Genealogien. Hamburg 1890, S. 34 u. 37.