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Artikel „Gabler, Joh. Philipp“ von Georg Eduard Steitz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 294–296, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gabler,_Johann_Philipp&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 06:45 Uhr UTC)
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Gabler: Joh. Philipp G., Theologe, wurde 4. Juni 1753 zu Frankfurt a/M. geboren, der Sohn eines Juristen, der früher Amtmann in der Nachbarschaft, damals die Stelle eines Actuars im Consistorium bekleidete. Der Vater ließ ihn durch Privatlehrer gründlich vorbereiten und übergab ihn im 10. Jahre dem Gymnasium, dessen Rector Purmann einen durchgreifenden Einfluß auf den Jüngling gewann und dessen Unterricht der Vater noch durch gemeinsame Lectüre der alten Classiker unterstützte. Als Primaner repetirte G. mit seinen Mitschülern die Lehrstunde und hielt ihnen Vorträge über Logik, welche damals mit philosophischer und theologischer Propädeutik schon in den Kreis des Gymnasialunterrichts gezogen war. Auch predigte er bereits, was damals die Sitte gestattete, er selbst aber später mißbilligte. Im Herbste 1772 bezog er zum Studium der Theologie die Universität Jena. Er hörte Philosophie, allgemeine, europäische und deutsche Geschichte, Mathematik, Physik, Kosmologie, lateinischen Stil, römische und griechische Alterthümer, Archäologie neben den theologischen Vorlesungen. Der Uebergang von dem Leibnitz-Wolfischen System zur eklektischen Popularphilosophie verflocht ihn in eine skeptische Richtung, die seinen Entschluß, sich der Theologie zu widmen, erschütterte, erst die Vorlesungen Griesbach’s befreiten ihn von der Ungewißheit und führten ihn wieder in die verlassene [295] Bahn zurück. Mit erhöhtem Interesse studirte er nun alle Fächer der Theologie, hebräische Archäologie, arabische und syrische Sprache (unter Eichhorn), übte sich im Predigen und hielt Nichttheologen Privatvorträge über Kirchengeschichte und Naturrecht. Nach sechsjährigem Studium und der Erwerbung des Magistergrades kehrte er 1778 nach seiner Vaterstadt zurück, legte das theologische Examen vor dem Ministerium ab, bei welchem seine Gelehrsamkeit ebenso große Bewunderung als die Freisinnigkeit seiner Ansichten Bedenken erregte, und predigte häufig. Auch lieferte er Beiträge in die Frankfurter gelehrte Zeitung. Nach anderthalb Jahren (1780) wurde er Repetent in Göttingen, wo er die Bibliothek fleißig benutzte und durch Heyne ihm ungeahnte Blicke in das classische Alterthum und seine Behandlung aufgingen. 1783 wurde ihm Gelegenheit diesen Ertrag zu verwerthen, da er als Professor der Philosophie und Prorector an das Archigymnasium zu Dortmund mit dem Auftrage berufen wurde, diese Anstalt auf die Höhe der Zeitbildung zu erheben. 1785 erging an ihn der Ruf als dritter Professor der Theologie und Stadtdiaconus zu Altorf. Auf der Durchreise durch die Vaterstadt ließ er sich vom Senior Dr. Mosche ordiniren. 1787 promovirte er als Doctor der Theologie, der letzte, dem dieser Grad an der Hochschule zu Altorf zu Theil wurde, 1793 rückte er in die erledigte Stelle eines zweiten Professors und in das Archidiaconat ein. 1804 wurde er an Paulus’ Statt als zweiter Professor der Theologie nach Jena berufen und 1812 wurde er nach seines Landsmannes und Lehrers Griesbach’s Tod Primarius seiner Facultät. 1804 erhielt er das Prädicat Kirchenrath, 1817 ward er zum Director des theologischen Seminars, in demselben Jahre zum geheimen Consistorialrath ernannt, in seinen letzten Lebensjahren noch mit dem Orden des weißen Falken decorirt. G. war ein Mann von eisernem Fleiße, er arbeitete täglich bis Mitternacht, doch sind die Früchte davon in erster Linie seinen Vorlesungen zu Gute gekommen, die er mit gewissenhaftester Sorgfalt ausarbeitete und die sich über alle Fächer der Theologie erstreckten. Aus seiner litterarischen Thätigkeit ist nur ein größeres Werk hervorgegangen: er hat seines Altersgenossen und Lehrers Eichhorn Urgeschichte aufs neue 1790–93 mit Einleitung und Anmerkungen in drei Bänden herausgegeben. Um so thätigere Mitwirkung hat er den theologischen Zeitschriften, insbesondere dem von ihm selbst herausgegebenen „Neuesten theologischen Journal“ gewidmet, von welchem 18 Bände 1798–1811 erschienen sind und zu welchem er die meisten Beiträge geliefert hat. Die darin niedergelegten Abhandlungen, sowie seine Programme exegetischen, biblisch-historischen, kirchenhistorischen und kirchenrechtlichen Inhalts, sind zum Theil bahnbrechend gewesen. Besonderes Verdienst hat er sich um die biblische Theologie erworben, die er als historische Disciplin strenge von der Dogmatik schied, und um die Hermeneutik, in der er die Grundsätze der grammatischen, historischen und philosophischen Methode entwickelte und zur Geltung brachte. Als Dogmatiker sah er die Schrift und die Vernunft als zusammengehörige Erkenntnißquellen einer und derselben göttlichen Offenbarung an, deren Inhalt und Ziel das sittlich gute und selige Leben ist. In Christus ist ihm diese Offenbarung und dieses Leben zur geschichtlichen Erscheinung geworden, das Christenthum ist ihm die vollendete Geschichte und die vollendete Vernunft. Was in den Aussprüchen Jesu mit der Vernunft zu streiten scheint, wird durch die Annahme einer weisen und liebreichen Accomodation beseitigt. Dem Hange seiner Zeit zur natürlichen Erklärung der Thatsachen hat er seinen Zoll reichlich entrichtet, doch sah er in der Außerordentlichkeit und Menge dieser natürlichen, obgleich mit orientalischer Phantasie erzählten Begebenheiten wiederum einen zureichenden Beweis für die providentielle Leitung, die über Jesu waltete. G. war Rationalist in dem streng historischen Sinne dieser Bezeichnung. Mit Nachdruck hat er [296] neben dem Pietismus, den er als Buchstabenglauben charakterisirte, die Träumerei des „groben Mysticismus“ bekämpft, dessen Wesen er als einseitige, vernunft-verachtende Gefühlsschwärmerei, als Vermengung der Religion und der Poesie bestimmte, von dessen Ueberschätzung des Mittelalters er römisch-katholische Tendenzen und Sympathien befürchtete, als dessen Beförderer er die romantische Schule und das Schelling’sche Identitätssystem, sowie die Jesuiten betrachtete, wobei es ihm begegnete, daß er die secreta monita et praecepta für authentische Ordensschriften gehalten hat. Bei aller Nüchternheit, die sich in seiner theologischen Richtung nicht verkennen läßt, war er ein hochachtbarer Charakter. Er kannte kein theologisches Interesse, das nicht in dem religiösen wurzelte und gipfelte, von den Theologen forderte er neben einer vielseitigen wissenschaftlichen Bildung fromme Gesinnung und tiefen, das ganze Leben in Amt, Haus und Umgang durchdringenden sittlichen Ernst, wie er in seinem Leben das alles selbst mustergültig darstellt. Unbedingt wahrhaftig und redlich, wohlthätig bis zur Aufopferung, unermüdlich gefällig, den Studirenden liebreich zugänglich und mit Rath und That förderlich, hat er sich leicht die Herzen gewonnen und einflußreich gewirkt. 1822 wurde er zum fünften Male zum Protector in Jena gewählt; die Schwierigkeiten, die ihm unter den damaligen Verhältnissen das Amt verbitterten, und die Kränkungen, die ihn dabei trafen, haben nach der Andeutung seiner Söhne seine Gesundheit erschüttert, dazu traf ihn in dem Tode seiner Tochter ein empfindlicher Schlag. In der trüben Stimmung, die ihn seitdem beherrschte, konnte er nur noch die Herausgabe der „Opuscula academica“ seines verewigten Freundes Griesbach (1825) vollenden. Um Weihnacht desselben Jahres träumte ihm, zwei Engel verkündigten ihm die Nähe seines Todes. Auf seine Frage, ob er nicht noch seine Vorlesungen über Dogmatik zu Ende führen dürfe, gestanden sie ihm ihre Unwissenheit in diesem Punkte. Am 16. Febr. 1826 gedachte er Abends noch der heimgegangenen Freunde Henke, Griesbach, Heyne, Keil, Vater u. A., aus deren Kreise nur noch J. G. Eichhorn am Leben war. Folgenden Tags schloß er am Vormittag um 10 Uhr seine Vorlesung über Dogmatik mit den Worten: „Wir leben hier im Glauben, dort im Schauen“. Eben hatte er ermüdet sein Studierzimmer betreten und noch seinen Namen unter eine Anweisung zur Unterstützung eines Armen geschrieben – da sank er entseelt zwischen seinem Lehnsessel und seinem Schreibtische nieder.

Vgl. Will’s Nürnberger Gelehrtenlex. V, 583. Schröter, Erinnerungen an Gabler. Der neue Nekrolog der Deutschen, 1826 (Lebensskizze von Henneberg) und vor allem Gabler’s kurze Selbstbiographie, vollendet von seinen Söhnen (abgedruckt in der Vorrede zum II. Band seiner kleineren Schriften).