ADB:Schweighauser, Johannes (Philologe)

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Artikel „Schweighäuser, Johannes“ von Georg Kaibel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 345–351, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schweighauser,_Johannes_(Philologe)&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 23:55 Uhr UTC)
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Band 33 (1891), S. 345–351 (Quelle).
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Schweighäuser: Johannes S. wurde am 26. Juni 1742 als vierzehntes und letztes Kind des Pfarrers und Canonicus bei St. Thomas, Johann Georg Schweighäuser, in Straßburg geboren. Er besuchte von seinem fünften Lebensjahre an das protestantische Gymnasium. Fleiß, Ausdauer und vielseitiges Interesse, die charakteristischen Eigenschaften, die den Erfolg seines ganzen späteren Lebens und Arbeitens bedingten, ermöglichten es ihm als frühreifer Knabe von 13 Jahren die Universität seiner Vaterstadt zu beziehen. Seine Absicht war Theologe zu werden, wie sein Vater, aber die engen Grenzen des Fachstudiums erweiterte er sich selbst in einem auch für die damalige Zeit nicht gewöhnlichen Maaße. Nicht nur theologische, philologische, philosophische, historische Vorlesungen besuchte er, mit regem Eifer widmete er sich auch der Anatomie, der Mathematik, Physik, Botanik, Chemie und überhaupt den Naturwissenschaften, für welche er in seinem Freunde und späteren Collegen Hermann einen anregenden Führer und Lehrer fand. Alle diese Beschäftigungen dienten seinem Lieblingsstudium, der Philosophie, und wie er diese mit seinem eigentlichen Pflichtstudium, der Theologie, zu verbinden wußte, zeigt seine 1767 erschienene Promotionsschrift: „Systema morale huius universi sive de extremo rerum omnium fine“. Diese Frucht eines zwölfjährigen akademischen Lernens zeugt von einer ausgedehnten Belesenheit in den Werken besonders der schottischen Moralphilosophen und von einem festen Glauben an das offenbarte göttliche Wort, das er als vollkommenstes Correctiv für die unzureichende menschliche Vernunft ansieht.

Aus Rücksicht auf seinen betagten Vater hatte S. bisher, abgesehen von kurzen Ausflügen nach Basel, Frankfurt und Mannheim, seine Vaterstadt nicht verlassen. Als aber kurz vor der Promotion sein Vater gestorben war, entschloß er sich zu einer größeren Reise. Im Frühjahr 1767 ging er zunächst nach Paris, wo ihn die Schätze der Kunst- und Naturaliensammlungen, vor allem aber die Persönlichkeit des Orientalisten Deguignes, dessen Vorlesungen er besuchte und der ihm persönlich Unterricht im Arabischen und Syrischen anbot, zehn Monate lang fesselte. Von jetzt an treten Schweighäuser’s orientalisch-philologische Interessen, die sich vorher wohl wesentlich auf das Hebräische beschränkt hatten, mehr und mehr in den Vordergrund. Sie waren auch die Veranlassung, die ihn seinen ursprünglichen Plan, von Paris nach London zu gehen, aufgeben ließ und ihn zunächst nach Göttingen führte, um sich dort bei Michaelis im Arabischen und Hebräischen zu vertiefen. Die wenigen Monate in Göttingen brachten ihn in mannigfach anregenden Verkehr mit berühmten Gelehrten ‚quibus abundat illa beatissima Musarum sedes‘, wie er selbst schreibt, unter denen aber der damals angesehenste Philologe Chr. Gottl. Heyne, dem er später (1806) mit dem Ausdruck höchster Bewunderung den zweiten Band seiner „Opuscula academica“ widmete, kaum eine kurze Erwähnung findet, ein deutliches Zeichen, wie fern S. damals noch den classisch-philologischen Studien stand. In Leipzig freilich, wohin er nach kurzem Besuch in Halle eilte, las er mit Reiske und seiner gelehrten [346] Frau griechische Tragiker, aber arabische und syrische Studien standen auch hier allen übrigen voran. Ueber Dresden ging es dann zu einem sechzehntägigen Aufenthalt nach Berlin, wo er an einer Sitzung der Akademie Theil nahm und, was ihm von allem das wichtigste war, Basedow’s Bekanntschaft machte. Nach kurzem Besuch in Barby, wohin ihn der des Arabischen kundige Herrenhutermissionar Pilder lockte, in Braunschweig und Wolfenbüttel eilte er nach Hamburg, wo er Lessing kennen lernte, um sich endlich nach London einzuschiffen. Die Seereise selbst, von der S. noch im späten Alter gern zu erzählen pflegte, dauerte bei widrigem Winde 16 Tage, aber der Aufenthalt in der englischen Hauptstadt entschädigte ihn für alle Reisebeschwerden. Das gewaltige Treiben der Riesenstadt, die anmuthige Umgegend, der Glanz der Hoffeste, die Parlamentssitzungen, das Britische Museum mit seinen Kunst- und Bücherschätzen, die ihm einer persönlichen Vergünstigung zufolge täglich offen standen, dann, wie er bezeichnend hervorhebt, die reich ausgestatteten Buchhändlerläden, nahmen sein ganzes Interesse in Anspruch. Bei einer Sitzung der Royal Society, in die er eingeführt wurde, machte er die Bekanntschaft der namhaftesten englischen Gelehrten. Anton Askew, der gelehrte Arzt, versah ihn mit Empfehlungsbriefen nach Oxford, wo er besonders mit dem Orientalisten White enge Freundschaft schloß: zum Dank dafür konnte S. das getrübte Freundschaftsverhältniß zwischen Askew und Reiske wieder herstellen, so daß sich Askew bereit finden ließ, den ihm vermachten Taylor’schen Apparat zu den attischen Rednern an Reiske abzutreten. Ende Sommer 1769 mußte S. die Heimreise antreten, und in Gesellschaft des Straßburger Arztes Röderer, den er in London getroffen hatte, eilte er über Holland nach Straßburg zurück: von da an hat er, abgesehen von einem kurzen und unfreiwilligen Aufenthalt in Lothringen, das Elsaß nicht mehr verlassen.

In Straßburg war inzwischen der philosophische Lehrstuhl erledigt und S. bewarb sich um denselben. Aber die Professur fiel einem andern zu, Philipp Müller, ihm selbst wurde nur die Adjunctur (Extraordinariat) übertragen, allerdings mit Zusicherung des Lehrstuhls bei nächster Vacanz. Zum Amtsantritt veröffentlichte er die Abhandlung „An clarior pleniorque homini data sit rerum corporearum quam propriae mentis cognitio“ (1770), die nach damaligem Brauch zugleich als Inauguraldisputation für einen jungen Straßburger, Joh. v. Zabern, diente. Eine Reihe anderer philosophischer Abhandlungen, zu ähnlichem Zwecke verfaßt, folgte in den nächsten Jahren, „De sensu morali“ (1773), „Sententiarum philosophicarum fasc. I, II, III“ (1774, 75, 77), „Theologia Socratis“ und „Mores Socratis“ (beide 1785), die sich wohl mehr durch eine klare gefällige Form als durch Eigenart oder Tiefe des Denkens auszeichnen. Seine philosophische Lehrthätigkeit erstreckte sich auf Logik, Metaphysik und Geschichte der Philosophie, daneben las er mit den jungen Leuten die Schriften der alten Philosophen, unterrichtete sie, seiner Neigung für die englische Philosophie entsprechend, in der englischen Sprache, und vernachlässigte daneben das Studium der orientalischen Sprachen nicht. Das war Arbeit genug, und da S., abgesehen von der mehr reproducirenden Schriftstellerei auf philosophischem Gebiete gar nicht productiv war (über Gegenstände der orientalischen Philologie hat er nie das geringste geschrieben), so war es auch ziemlich trockene Arbeit. Eine wesentliche Verschönerung erfuhr sein Leben, als er 1775 in Katharina Salome Häring, aus angesehenem Straßburger Hause, eine lebensfrohe, geistreiche, humorvolle, mit Poesie und schöner Litteratur wohl vertraute Lebensgefährtin fand. Sie machte das Schweighäuser’sche Haus zum Mittelpunkt heiterer und anspruchsloser Geselligkeit, nicht zum wenigsten auch für Ausländer, denen der Hausherr gern die in Deutschland, Frankreich und England genossene Gastfreundschaft in Straßburg vergalt.

1777 starb der Vertreter der griechischen und der orientalischen Sprachen [347] an der Universität, Joh. Friedr. Scherer. Gegen seine Erwartung und, wie es scheint, nicht ganz nach seinen Wünschen wurde S., der immer noch auf den philosophischen Lehrstuhl rechnete, sein Nachfolger. Es wird berichtet, er habe noch in späteren Jahren öfters beklagt, daß er sich von Amtswegen der Philologie habe widmen müssen; er glaubte, er hätte auf dem Gebiet der Philosophie mehr leisten können. Dies Gefühl, da es ihn auch zu einer Zeit nicht verließ, wo sein philologischer Ruhm fest begründet schien, mag wohl als Zeugniß dafür gelten, daß er die Mängel seiner philologischen Arbeiten allezeit selbst empfunden hat. Man muß aber doch bei S. schon damals ausreichende Fähigkeit für das neue Amt vorausgesetzt haben, und offenbar legte man bei seiner Wahl das Schwergewicht auf den einen Theil der Doppelprofessur, auf die orientalischen Sprachen, in denen S. schon als Adjunct Unterricht ertheilt hatte. Seine Antrittsrede benutzte er zu dem Nachweise, daß das Studium der Sprachen von dem der Philosophie nicht allzuweit entfernt liege, und bahnte sich so den Uebergang zur neuen Thätigkeit, die von jetzt an sein langes und arbeitsreiches Leben ausfüllen sollte. Völlig erstorben aber sind in ihm die philosophischen Neigungen niemals: nicht nur daß er im Jahre 1780 eine Sammlung philosophischer Betrachtungen in einer für die Jugend verständlichen Fassung unter dem Titel „Teutsches Lesebuch für die Jugend, zum Gebrauch des Straßburgischen Gymnasiums“ herausgab, auch bei der Auswahl der Schriftsteller, deren Bearbeitung er in der Folgezeit übernahm, hat er sich mehrfach durch jene Neigungen bestimmen lassen. Polybios, Epiktet, Seneca erhielten ihn in der gewünschten Verbindung mit der Philosophie, vorzüglich mit der stoischen. Einen förderlichen Einfluß übte damals ein hervorragender Landsmann auf S. aus, der französische Kriegscommissar Brunck. Brunck war durch einen zufälligen Aufenthalt im Hause eines Gießener Professors auf das Studium der griechischen Dichter geführt worden, denen er in der Folgezeit seinen überaus feinen Sprachsinn freilich mit einer durch keine kritische Zucht gebändigten Kühnheit zu gute kommen ließ. Er hatte S. bei seiner Rückkehr aus England mit großer Freundlichkeit aufgenommen, und das gute Verhältniß der beiden Männer dauerte fort, bis Brunck, durch die Greuel der Revolution vergrämt, sich von allen philologischen Studien lossagte, seine Bücher verkaufte und S., der gerade damals bei der Herausgabe des Athenaeus stark auf seine Beihilfe rechnete, ersuchte, ihn mit Athenaeus und allen übrigen griechischen Schriftstellern zu verschonen. Deutlich spricht sich Brunck’s Einfluß in zwei kleinen Ausgaben, die S. besorgte, aus: „Sophoclis Electra et Euripidis Andromache“ und „Sophoclis Oedipus Tyrannus et Euripidis Orestes“ (beide 1779); es sind nur Texte, die S. bei seinen Vorlesungen zu Grunde legen wollte, mit kurzen kritischen Noten, die sich auf Brunck’s Apparat gründen. Später hat S. sich niemals wieder litterarisch mit griechischen Dichtern befaßt; er selbst hat ehrlich bekannt, daß ihm dieser Kreis der Litteratur verschlossen geblieben sei, und es mag sein, daß Mangel an metrischen Kenntnissen, den er beklagt, das erste und entscheidende Hinderniß für ihn war.

Die Anregung zu seiner ersten größeren philologischen Arbeit kam ihm von England. Der um Euripides hochverdiente englische Arzt Samuel Musgrave bat Brunck um die Vergleichung einer Augsburger Appianhandschrift, und Brunck betraute S. mit dieser Arbeit, der dieselbe voll Eifer übernahm und bald am Schriftsteller selbst Geschmack fand. Als Musgrave kurz darauf starb, hielt S. es für seine Pflicht, sich des verwaisten Schriftstellers anzunehmen, von dem es keinen brauchbaren Text gab. Es ist sein unbestreitbares Verdienst, daß er, von allen Seiten willig unterstützt, eine Fülle ungenützter Handschriften verglich oder vergleichen ließ und, was mehr ist, das reiche Material kritisch sichtete und den Werth der einzelnen Handschriften sorglich abschätzte. Daß er bei diesem schwierigen [348] Geschäft nicht überall das richtige traf, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Die Ausgabe selbst, mit Anmerkungen und lateinischer Uebersetzung ausgestattet, erschien in 3 Bänden bei Weidmann’s Erben und Reich (1785). Ihr voraus gingen zwei größere Abhandlungen „De impressis ac manuscriptis Appiani codicibus“ und „Exercitationes in Appiani Historias“ (beide 1781). Die Ausgabe brachte ihrem Verfasser außer wohlverdienter Anerkennung in der wissenschaftlichen Welt die Freundschaft des Verlegers ein. Reich, „der erste Buchhändler der Nation“, wie ihn Wieland nannte, schrieb ihm (Sept. 1785) die folgenden Worte: „Mit einem Manne, wie Sie sind, setzt der Rechtschaffene seinen Weg gern fort, unbekümmert ob die Reise mit Gewinn oder Verlust geendet werden möchte. Das Vergnügen Ihres Umgangs und das Gefühl Ihrer Freundschaft hält ihn schadlos“. Reich starb schon 1787, aber sowohl der Polybios wie der Epiktet, zwei spätere von S. besorgte Ausgaben, wurden noch von der Weidmann’schen Buchhandlung verlegt.

Wahrscheinlich durch eine Bemerkung Heyne’s angeregt, der in einer Recension der Appianausgabe eine ähnliche Bearbeitung des Polybios wünschte, wandte sich S. alsbald dem Polybios zu, dessen Text gleichfalls sehr im Argen lag. Auch hier hat er einen bedeutenden Schritt über seine Vorgänger hinaus gethan, indem er seiner Textkritik eine feste handschriftliche Grundlage verschaffte. Daß er den vollen Werth der Vaticanischen Handschrift nicht erkannte, ist um so eher zu entschuldigen, als die von ihm benützte Collation Spalletti’s durchaus ungenügend war. Die Polybiosausgabe, gleichfalls mit Uebersetzung und Commentar, zudem mit einem sehr brauchbaren Lexikon ausgestattet, erschien in 9 Bänden 1789–1795. Die Schnelligkeit, mit der S. diese mühsame Arbeit bewältigt hat, ist um so erstaunlicher, als gerade damals die französische Revolution die Straßburger und nicht zum wenigsten S. und seine Freunde in Aufregung versetzte. Er selbst und mehr noch seine leicht erregbare Frau begrüßte die Freiheitsbewegung, wie fast alle besseren Elemente des Landes thaten, mit großer Freude, er war aber auch geneigt, die wohlthätigen Neuerungen mit Wort und That, soviel er konnte, zu fördern. Während er seinen ältesten Sohn Gottfried veranlaßte 1791 in die Reihen der Krieger einzutreten, ließ er selbst sich in den Gemeinderath wählen und waltete seines Amtes mit freudigem Eifer. Die Größe seiner Begeisterung mag man aus der brieflich erhaltenen, etwas kindlichen Entschuldigung ersehen, daß er seinen Polybios nicht in Frankreich, sondern „im Lande der Sklaven“ habe drucken lassen. Als aber die Anarchisten unter Führung des fanatischen Priesters Eulogius Schneider ans Ruder kamen, da kühlte sich die Begeisterung der vernünftigen Leute ab und sie zogen sich zurück. S. wurde dem Jakobinerclub verdächtig, und nur der klugen Fürsprache seiner Frau verdankte er es, daß die drohende Gefängnißstrafe in Verbannung verwandelt wurde. Er zog sich mit seiner ganzen Familie nach dem lothringischen Städtchen Baccarat zurück und setzte dort seine Polybiosarbeiten fort. Aber seine nächtliche Arbeitslampe erregte den Verdacht eines Patrioten, und S. wäre als Verschwörer ins Gefängniß gewandert, wäre nicht gerade zur rechten Zeit ein Dankschreiben des Pariser Wohlfahrtsausschusses, dem er die ersten Polybiosbände zugeschickt hatte, an ihn eingetroffen. Da wagte sich niemand mehr an ihn. S. kam 1794 nach Straßburg zurück, aber die unruhigen Zeiten wirkten länger nach. Die Collegen kehrten erst allmählich aus Kerker und Verbannung zurück, die Zahl der Studenten, die vielfach in den Krieg gezogen waren, hatte sich erheblich vermindert, die neuen Steuern, das schlechte Papiergeld, die gestörte Verwaltung des Universitätsvermögens und damit verbunden das Ausbleiben der Gehaltszahlungen, dies alles brachte einen fühlbaren Nothstand hervor und konnte wohl die Arbeitsfreudigkeit hemmen. Erst als Ende 1795 die Centralschulen geschaffen wurden, kam auch S. wieder zur [349] Ruhe, indem er an der Straßburger Schule eine Professur übernahm und gleichzeitig in der Classe für Kunst und Litteratur Mitglied des ebenfalls neugeschaffenen Nationalinstituts wurde. In diesen schweren Zeiten erwachten die alten philosophischen Neigungen in besonderer Stärke. Die Handbücher der stoischen Trivialethik, die Selbstbetrachtungen des kaiserlichen Philosophen Marc Anton sowohl wie das Compendium des einstigen Sklaven Epiktet, haben wie in alter Zeit so besonders im vorigen Jahrhundert viele Liebhaber gefunden, manchem sind sie in der Noth des Lebens zur Tröstung gediehen und sie erfreuten sich demnach einer weiten Verbreitung. Nicht so bekannt waren die Diatriben des Epiktet geworden, und S. gedachte ein gutes Werk zu thun, wenn er den ganzen Nachlaß dieses Stoikers einer gründlichen Bearbeitung unterzog und zugleich seiner freiheitsdurstigen Zeit einen Schriftsteller näherrückte, mit dessen Ideen sie vielfach sympathisirte. Die Specialausgabe des Compendiums, zugleich mit dem „Gemälde“ des Kebes, erschien 1798 in dreifacher Gestalt, zweimal in kleinerem, einmal in größerem Format und in gelehrterem Gewande, die Gesammtausgabe mit Uebersetzung, Anmerkungen, antiken Commentaren und Paraphrasen in den Jahren 1799, 1800 in 5 Bänden. Der Text lehnt sich, wiewohl S. auch hier neue Handschriften benützt hat, wesentlich an die englische Ausgabe von Upton an, und bedarf heute dringend einer neuen Bearbeitung.

Noch während er mit Epiktet beschäftigt war, ging S. nicht ohne Zagen auf das Anerbieten ein, für die Sammlung der Zweibrücker Schriftstellerausgaben den Athenaeus zu bearbeiten. Der encyclopädische Charakter der „Deipnosophisten“ flößte ihm Furcht ein, da er den meisten, besonders den naturwissenschaftlichen Gegenständen des Buches zu fern stehe und mit der Behandlung der reichlich citirten Dichter wenig vertraut sei. Aber trotzdem die doppelte Hoffnung auf Brunck’s und seines Freundes Hermann Hilfe versagte (der letztere starb gerade beim Beginn der Arbeit), ging er ungesäumt an’s Werk. Seine Umschau nach handschriftlicher Ueberlieferung war diesmal von besonders gutem Erfolge belohnt, da sein Sohn Gottfried die einzige Handschrift, auf welcher die Textgestaltung beruhen mußte, in Paris auffand und er selbst den ausschließlichen Werth derselben erkannte. Das ganze Werk erschien vierzehnbändig 1801–1807, und ist wohl das stattlichste Zeugniß für den Fleiß sowohl wie für die eines Stoikers würdige Ataraxie des Verfassers. Denn es ist in schwerer Zeit entstanden. Ein neues Unterrichtsgesetz beseitigte 1802 die eben errichteten Centralschulen und ersetzte sie durch Lyceen, von deren auch sonst dürftig bemessenem Lehrplan der griechische Unterricht ausgeschlossen war. Daß dafür die protestantische Universität in Form eines theologischen Seminars wieder hergestellt wurde und S. die griechische Professur erhielt, war bei den noch immer ungeordneten Vermögensverhältnissen dieser Stiftung kein Ersatz für die einträgliche Stelle an der Centralschule. Mit Hilfe einer kleinen Regierungspension und vieler Privatstunden schlug sich S. mühsam durch, bis er 1806 an des verstorbenen Oberlin Stelle zum Bibliothekar ernannt wurde, ein Amt, das er erst im 73. Lebensjahr seinem Sohne abtrat. Eine durchaus sorgenfreie Existenz aber fand er erst 1808 wieder, als durch kaiserliches Decret das Seminar zu einer mit allen vier Facultäten ausgestatteten Universität umgeformt wurde, an der S. nicht nur die griechische Professur, sondern auch das Decanat der philosophischen Facultät bekleidete: beide Aemter legte er erst im Jahre 1823 nieder. Kaum aber begannen die äußeren Verhältnisse sich zu regeln, da wurde sein Muth durch häusliches Unglück auf eine noch härtere Probe gestellt; 1807 starb seine schon längere Zeit kränkelnde Frau, die Sonne des Hauses, und 1809 wurde sein zweiter Sohn Karl, der die militärische Laufbahn eingeschlagen hatte, in der Schlacht bei Eßlingen verwundet und starb bald darauf zu Wien im Krankenhause.

[350] Zwei Jahre nach dem Athenaeus erschien die von derselben Zweibrücker Gesellschaft veranstaltete Ausgabe der philosophischen Briefe Senecas (2 Bde. 1809), deren Text S. durch Ausnützung der nun zu Grunde gegangenen Straßburger Handschrift von vielen Fehlern und Interpolationen reinigte. Seneca ist der einzige lateinische Schriftsteller, dem er seine nützliche Thätigkeit zugewendet hat. Bereits im folgenden Jahre aber lockte den 68jährigen Greis eine neue und nicht die leichteste Aufgabe, die Bearbeitung des Herodot, die er 1816 auch glücklich in 6 Bänden zu Ende führte und acht Jahre später durch ein Lexicon Herodoteum, seine letzte Arbeit, erweiterte. Die einigermaßen abfällige Kritik, die Schweighäuser’s Herodot erfuhr, war nicht ganz unberechtigt. Mag das Alter des Verfassers die Güte der Arbeit mit beeinträchtigt haben, die Hauptschuld trug doch die Wahl des Schriftstellers selbst, bei dem die Fehler der Schweighäuser’schen Arbeitsweise nothwendig in helleres Licht treten mußten. Sein erstes Bestreben war überall, was sich in damaliger Zeit keineswegs von selbst verstand, eine kritische Grundlage für den Text herzustellen, und dafür fehlten ihm beim Herodot die Mittel, die erst viel später ausreichend beschafft werden konnten. So wahr es nun aber ist, daß S. überall bemüht war einen wirklichen Text zu schaffen und mit der Gewohnheit einen Vulgattext auf den andern zu pfropfen gründlich gebrochen hat, so ist es doch auch wahr, daß er selbst den als richtig erkannten Weg nicht consequent verfolgte, sondern sich durch die Autorität seiner Vorgänger, älterer Ausgaben und werthloser Handschriften imponiren ließ. Diese Unsicherheit hängt mit einem anderen Mangel zusammen. S. war ein gut belesener und recht gelehrter Mann, ihm fehlte aber alles feinere Gefühl für Sprach- und Stilunterschiede. Er konnte wohl eine zur Discussion stehende Lesart durch genügende Parallelstellen belegen oder widerlegen, aber die innere sprachliche Nothwendigkeit dieser oder jener Schreibung ging ihm nicht auf. Prosasprache und Dichtersprache hat er oft in verwunderlicher Weise mit einander vermengt, wie ihm bei allem Wissen doch die Vertrautheit mit der Entwicklung der Sprache und der Litteraturgeschichte abging. Sein Urtheil über Appian, den er für einen ebenso tiefen wie anmuthigen Schriftsteller hielt, kann das allein beweisen. So kommt es, daß seine in ganz gutem Latein, aber unendlich breit geschriebenen Anmerkungen oft nach vielen Umwegen im Sande verlaufen und den Anfänger mehr verwirren als belehren. Wo es sich um Schriftsteller der späteren Zeit handelt, bei denen eine leicht zu durchschauende Manier an die Stelle individuell ausgeprägter Sprache tritt, wird sich dieser Mangel an Sprachgefühl nicht so fühlbar machen, er wird sich auch durch mechanische Observation ersetzen lassen, aber bei Herodot, dem eigenartigsten aller griechischen Prosaiker, verfangen diese Mittelchen nicht. Schweighäuser’s Griechisch reichte für Herodot nicht aus. Nur der Vorwurf, er habe dem Herodot ein allzu buntes Dialektgewand umgehängt, muß als unberechtigt abgelehnt werden. Die neueren Herodottexte sehen allerdings anders aus, aber im Grunde um kein Haarbreit besser. Uebrigens hat S. auf die beiden Recensionen, die die Jenaer Litteraturzeitung (1817 n. 161 ff.) und die Göttinger Gelehrten Anzeigen (1818 n. 176) brachten, zwar geantwortet, aber die Antwort nicht drucken lassen, sondern auf der Bibliothek hinterlegt, wo sie bei der Belagerung mit andren wichtigeren Dingen verbrannt ist.

Von ihrem Lehrer S. haben viele seiner Schüler mit Anerkennung oder Begeisterung gesprochen. Daneben fehlt freilich nicht das Urtheil Ludwig Spach’s, der ihn wohl noch selbst gehört hatte, daß S. seine Hörer weniger in den Geist der Schriftsteller, die er erklärte, einzuführen versucht habe, als in ein Labyrinth subtiler grammatischer Fragen. Immerhin aber gehörte S. zu den hervorragendsten Lehrern der damaligen Straßburger Hochschule, und an äußeren Zeichen der Werthschätzung hat es ihm nicht gefehlt. Die Abgeschiedenheit seines Daseins, die Gewöhnung an die engen Kreise seiner Vaterstadt, die Anhänglichkeit an seine [351] Heimath (er war in erster Linie deutscher Elsässer, erst in zweiter Linie Franzose) hat ihn gewiß vor vielen Enttäuschungen bewahrt und ihm ohne Zweifel mehr Arbeitsmuße gewährt als manchem andern im Strom der Welt beschieden war, aber ebenso wenig scheint es zweifelhaft, daß seine natürlichen Gaben ganz andere Früchte getragen hätten, wenn er außerhalb der Mauern Straßburgs eine anregendere und gründlichere Schule durchgemacht hätte. Aber zu seiner Ehre sei es gesagt: die Bewunderung der engen Freundeskreise hat ihn nie zu allzugroßem Selbstvertrauen oder zur Eitelkeit verführt. Er war eine milde und freundliche Natur, glücklich im Zusammenleben mit seiner Familie, seinen Schülern und seiner Arbeit. Gewohnt seine wissenschaftliche Ansicht mehr in behaglicher Breite als in kurz prägnantem Urtheil auszusprechen, vermied er die Schärfe des Ausdrucks auch bei Beurtheilung fremder Ansichten. Seiner Polemik war alle starre Rechthaberei fremd, und wenn er auch in der Hitze der Jugend sich nicht scheute, selbst gegen Scaliger, der ihm seinen Appian verunglimpft hatte, in voller Rüstung zu Feld zu ziehen, so war doch der Angriff bei aller Heftigkeit durchaus ritterlich. Später hat er, soviel ich weiß, nur einen einzigen Gelehrten, den ebenso eitlen wie unfähigen Villebrun, bei mehreren Gelegenheiten scharf abgefertigt.

Im Jahre 1815 legte er sein Amt als Bibliothekar nieder, 1823 das Decanat und die Professur. Aber auch nachdem er den Vorlesungen entsagt hatte, freute es ihn, gelegentlich reifere Gelehrte bei abendlichen Zusammenkünften in die Geheimnisse der griechischen Sprache einzuführen. Eine kurze Brustkrankheit, die ihn zu Anfang des Jahres 1830 befiel, machte seinem achtundachtzigjährigen Leben ein Ende, ein Jahr nachdem sein Lieblingssohn Gottfried nach langem Siechthum gestorben war. S. starb am 19. Januar 1830.

Joh. Georg Dahler, Memoriae Joh. Schweighaeuseri sacrum. Argentor. 1830 (die Hauptquelle aller späteren Lebensskizzen, der erste Theil nach einer kurzen Autobiographie Schweighäuser’s in seinem Antrittsprogramm vom J. 1770). – Böttiger, Zeitgenossen II (1830). – Zeitgenossen III (1831), von einem persönlichen Freunde, der manche Einzelheit der Dahler’schen Erzählung hinzufügt. – Cuvier, Éloge historique de M. Jean Schw. Strasbourg 1830. – Stiévenart, Eloge hist. de M. Jean Schw. Strasbourg 1830. – L. Spach, les deux Schw. Strasbourg 1868. – Viel neues briefliches Material gibt Rabany, Les Schweighaeuser. Paris 1884.