ADB:Reich, Philipp Erasmus
[612] Vater, Johann Jakob Reich, das Amt eines Physicus und Leibmedicus in der gräflich Solms’schen Familie inne hatte. Nach beendigtem Schulbesuch wandte sich R. dem Buchhandel zu, den er bei Franz Varrentrapp in Frankfurt am Main erlernte, worauf er eine Geschäftsreise nach London unternahm und später die Stelle eines Geschäftsführers einer Buchhandlung in Stockholm bekleidete. Ueber seinen Aufenthalt in England und Schweden ist nichts bekannt. Wahrscheinlich hat ihn der im J. 1747 erfolgte Tod seines Vaters der Heimath wieder zugeführt, und infolge verwandtschaftlicher Beziehungen, welche Reich’s Lehrherren mit der Buchhändlerfamilie Weidmann verbanden, sowie auf besondere Empfehlung des Ersteren erhielt R. noch in demselben Jahre die Geschäftsführerstelle in der Weidmannschen Buchhandlung zu Leipzig, einer der hervorragendsten Handlungen jener Zeit. Das Geschäft hatte unter den Händen des königlich polnischen und kurfürstlich sächsischen Hof- u. Accisrath, Geh. Kämmerer M. G. Weidmann, der vier Jahre vor Reich’s Eintritt gestorben war, von dem seit der um das Jahr 1670 erfolgten Gründung genossenen Ruhm und Ansehen einen großen Theil eingebüßt, und Reich’s Aufgabe war es nun, noch dazu in der harten Zeit der schlesischen Kriege, dem zurückgekommenen Geschäfte den alten bewährten Ruf aufs neue zu erwerben. Ein rastloser Geist, energische Initiative in Verbindung mit einem eisernen Fleiß und seltener Bildung ermöglichten es ihm, in allen Zweigen des Buchhandels, als Sortimenter, Verleger und Commissionär eine solche Thätigkeit zu entfalten, daß die Handlung bald an die Spitze der angesehensten Firmen Deutschlands zu stehen kam. Aber nicht nur seine ersprießliche Wirksamkeit in dem Geschäft, das er dem drohenden Verfall entrissen hat, sondern vielmehr noch der von ihm ausgeübte wohlthätige Einfluß auf die Entwicklung des Gesammtbuchhandels haben ihm den Namen eines Reformators des deutschen Buchhandels, oder, wie er von anderer Seite genannt wird, eines „Fürsten der Leipziger Buchhändler“ eingetragen. Die Weidmannsche Buchhandlung in Leipzig war zwischen 1670 und 1688 (genau ist es nicht mehr festzustellen) von Georg Weidmann (geb. am 13. März 1658 zu Speyer, † am 18. August 1693) begründet und nach dessen Tode von seinem Sohne Georg Moritz Weidmann (geb. am 23. Januar 1686, † am 3. Mai 1743) und dessen Stiefvater Joh. Ludw. Gleditsch fortgeführt worden, der das Geschäft 1714 seinem Stiefsohne zum alleinigen Besitz überließ. Als nach Weidmann’s Tod, dessen Erben seine Wittwe, die auch einige Jahre nach ihm starb, und seine Tochter waren, R. in das Geschäft eintrat, fing der Buchhandel bereits an, sich in neuen Bahnen zu bewegen, indem an Stelle des Changeverkehrs mehr und mehr das Conditionsgeschäft trat. Frankfurts Blüthezeit als Mittelpunkt des litterarischen Verkehrs war im Erlöschen begriffen und an dessen Stelle schwang sich Leipzig, dessen Büchermessen schon längere Zeit neben denjenigen Frankfurts an Bedeutung gewonnen hatten, zum unumwunden anerkannten Stapelort des Büchermarktes empor. Reich’s erster Schritt war, die Filialgeschäfte der Weidmann’schen Buchhandlung in Warschau und Stockholm aufzuheben, um seine volle Thätigkeit einzig dem Leipziger Stammgeschäft widmen zu können. Einen außerordentlich glücklichen Griff that R., als er Peplier’s französische Grammatik erwarb und sich für dieselbe Privilegien auswirkte, sodaß dieselbe binnen kurzer Zeit in vielen Auflagen dem Geschäft ein nutzbringender Artikel wurde. Ein nicht minder bedeutsames Unternehmen war es von ihm, im Jahre 1759 den Meßkatalog anzukaufen, der bis dahin von der damals erloschenen Große’schen Handlung heraus gegeben worden war. Der Frankfurter Katalog hatte bereits 10 Jahre vorher zu erscheinen aufgehört. Diese und andere für die Hebung des Geschäftes ungemein förderlichen Unternehmungen veranlaßten die Mamsell Weidmann, den thatkräftigen R. im Jahre [613] 1762 als Theilhaber in die Handlung aufzunehmen, infolge dessen sich die Firma nun in „Weidmann’s Erben und Reich“ änderte. R. benützte diese neue unabhängige Stellung nicht nur zur Anknüpfung mit den namhaftesten Gelehrten behufs Uebernahme ihrer Schriften, sondern er ergreift auch gleichzeitig die sich ihm durch den Verkehr mit den Autoren bietende Gelegenheit, gegen die immer mehr zunehmende Unsitte des Selbstverlages anzukämpfen und andererseits gegen den verderbend wuchernden Nachdruck energisch Front zu machen. Unter seinen reformatorischen Versuchen zu einer Organisation des Bücherhandels muß zuerst der von ihm im J. 1764 unternommene Schritt erwähnt werden: R. war es, der als Stimmführer derer auftrat, welche zur Fastenmesse 1764 den ferneren Besuch Frankfurts absagten, und dadurch Frankfurts Messen nach 250jährigem Bestehen zu Gunsten Leipzigs aufgehoben haben. Außerdem versuchte R. während des Siebenjährigen Krieges durch Aufbesserung des Zahlungsmodus helfend einzugreifen, stieß aber bei den Buchhändlern im Reiche auf eine wohlbegründete Opposition, da dieselbe nur für den Buchhandel Leipzigs vortheilhafter gewesen wäre, und daraufhin sah er sich veranlaßt, eine durchgehende Preiserhöhung der Bücher in Vorschlag zu bringen, eine Maßregel, der von einer Anzahl norddeutscher Buchhändler zugestimmt wurde, und die, durch die Vertheuerung aller Producte und Arbeitskräfte während der Kriegsnoth hervorgerufen, eine zeitlich berechtigte war. Aber bald zeigten sich die schlimmsten Folgen dieser unnatürlich hochgeschraubten Preise, an verschiedenen Orten begannen die Nachdrucker ihre Thätigkeit, hatten dieselben doch von vornherein die größte Aussicht auf reichlichen Gewinn, indem sie die Bücher zu angemessen billigen Preisen absetzen konnten. Auch jetzt war es wiederum R., der mit Erfolg dagegen vorging. Durch rastlose Bemühungen brachte es R. trotz der heftigen Opposition von vielen Seiten dahin, daß sich in der Ostermesse 1765 der erste Buchhändlerverein constituirte, zu dessen Vorsitzenden der Gründer R. in der ersten Versammlung am 10. Mai 1765 von den beigetretenen 56 Buchhändlern ernannt wurde. An der Spitze der Bestrebungen dieser Buchhandlungsgesellschaft stand die Selbsthülfe gegen die gefürchteten Nachdrucker; ein anderer Zweck derselben war, in den geschäftlichen Verkehr Ordnung und feste Regeln zu bringen, sowie der Schleuderei und Unregelmäßigkeit in den Rabattbedingungen eine Grenze zu setzen. R. scheint dieses Amt bis zu seinem Tode bekleidet zu haben. Die von ihm ergriffenen Maßregeln gegen die berüchtigtsten Nachdrucker, wie J. Thomas Edler v. Trattner in Wien, Bieler Heilmann, Schmieder, Fleischhauer, Göbhardt, Mizler u. A. waren allerdings nur theilweise von Erfolg, da dem energischen Vorgehen Reich’s die Unbeständigkeit seiner Collegen und die Schwerfälligkeit der kaiserlichen Rechtspflege, bedungen durch die verschiedensten Sondergesetze, mancherlei Hindernisse entgegensetzten. Unterdessen hatte bei den damaligen Schriftstellern die Idee immer mehr Platz gegriffen, ihre Werke auf eigene Rechnung drucken zu lassen und in Selbstverlag zu nehmen. Besonders der Dichter Wieland griff diesen Gedanken auf und verwirklichte ihn, indem er 1781 die „Buchhandlung der Gelehrten“ und die „Dessauer Verlagskasse“ begründete. Schon früher im J. 1773 hatte Klopstock den Versuch gemacht, die Schriftsteller und Gelehrten von den Buchhändlern zu emancipiren, und damals ein Buch „Die Gelehrten-Republik“ herausgegeben, in dem er seine Pläne über den Selbstverlag entwickelte. R. widerlegte die darin vertretenen Ansichten in zwei ohne seinen Namen erschienenen Schriften: „Zufällige Gedanken eines Buchhändlers über Herrn Klopstock’s Anzeige einer gelehrten Republik“ (o. O. 1773) und „Der Bücher-Verlag in allen Absichten genauer bestimmt. An den Herrn Verfasser (J. A. H. Reimarus) des Bücherverlags in Betrachtung der Schriftsteller, der Buchhändler und des Publicums erwogen“ (o. O. 1773). [614] Auch die Veröffentlichungen des Leiters der „Buchhandlung der Gelehrten“, Karl Christoph Reiche, gaben R. Veranlassung, seine Bedenken gegen dieses Institut im Ostermeß-Katalog 1781 auszusprechen. Wie Klopstock’s Unternehmen nach einem allerdings glänzenden Geschäft bald gescheitert ist, so änderte auch Wieland seine Ansichten, nachdem er mit der „Dessauer Verlagskasse“ schlimme Erfahrungen gemacht, und sich aufs neue mit R. zu einem geschäftlichen Verkehr verbunden hatte. Inmitten dieser Bewegung der Schriftsteller, die Schranken des Bücherverlages zu umgehen, verstand es R., mit den bedeutendsten Autoren seiner Zeit Verbindungen anzuknüpfen und dieselben an seine Handlung zu fesseln. Männer, wie Goethe, Lavater, Zollikofer, Ramler, Sulzer, Heyne, Zimmermann, Gellert, Ernesti, Weiße, Müller von Schaffhausen, Oeser u. A. waren nicht nur Autoren der Firma, sondern beinahe sämmtlich auch persönlich mit R. auf das innigste befreundet. R., der sich in seinem 58. Lebensjahre mit einer Berlinerin verheirathet hatte, pflegte häufig größere Reisen zu unternehmen, und versäumte dabei nie, die ihm bekannten Dichter und Gelehrten aufzusuchen. In welchem Ansehen er bei diesen gestanden, beweisen die Worte, welche Wieland schrieb, als am 3. December 1787 R. der Tod ereilt, und damit ein verdienstvolles, erfolgreiches Leben des „ersten Buchhändlers der Nation“ geendet hatte. Nach Reich’s Tode ging die Handlung vertragsgemäß wieder in den alleinigen Besitz der Tochter M. G. Weidmann’s über, und nahm die seitdem unveränderte Firma „Weidmannsche Buchhandlung“ wieder an. Am 9. Januar 1822 kaufte Georg Andreas Reimer (geb. am 27. August 1776 zu Greifswald, † am 26. April 1842) das Geschäft, welches später sein ältester Sohn Karl August Reimer (geb. am 26. October 1801, † am 29. Juli 1858) in Gemeinschaft mit Salomon Hirzel (geb. am 13. Febr. 1804, † am 8. Febr. 1877) seit 1830 fortführte. Am 1. Januar 1853 trennten sich die beiden, und Reimer verlegte am 1. October die Weidmannsche Buchhandlung nach Berlin, wo dieselbe vom Jahre 1865 an im Besitz von Hans Reimer († am 21. September 1887 zu Oberndorf im Allgäu) und jetzt in den Händen der Erben Reimer’s als Verlagsbuchhandlung einen hohen Ruf genießt.
Reich: Philipp Erasmus R., berühmter Buchhändler in Leipzig. Er wurde zu Laubach in der Wetterau am 1. December 1717 geboren, woselbst sein- Buchner, Aus dem Verkehr einer deutschen Buchhandlung mit ihren Schriftstellern. – Buchner, Aus den Papieren der Weidmannschen Buchhandlung. – Buchner, Wieland und die Weidmannsche Buchhandlung. – Lorck, Druckkunst und Buchhandel in Leipzig, S. 22. – Buchhändler-Akademie II, S. 353 bis 362. – Publicationen des Börsenvereins der deutschen Buchhändler II, S. 187. – Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels II, S. 73–98.