ADB:Ramler, Karl Wilhelm
Schinmeyerschen Waisenhaus zu Stettin (1736–1738), auf der Latina (1738 bis 1742) und der Universität zu Halle a. S. (1742–1744) erhielt er seine Bildung. Von den theologischen Studien sich abwendend, nach einem befriedigenderen Lebensberuf suchend, finden wir ihn seit Anfang 1745 in Berlin, zuerst als Mediciner, dann als Juristen, beides nur dem Namen nach. 1746 wurde er Hauslehrer in Lähme, 1747 (Gouverneur de la jeunesse bei einem Herrn von Rosée in Berlin, 1748 maître de la philosophie am Corps des Cadets mit dem Titel Professor. Diese Stellung, die ihm viel freie Zeit ließ, aber die ersten 15 Jahre auch nur 12 Thaler monatlich, später 400 Thaler, seit 1787 800 Thaler jährlich brachte, versah er 42 Jahre lang. Daneben las er während des ersten Jahrzehnts noch Privatcollegien über die Wolff’sche Philosophie und über Aesthetik. Er sollte nach des Königs Bestimmung die Kadetten mit Philosophie aufklären, ging aber in der Erkenntniß der Nutzlosigkeit dieser Bemühung bald zu den schönen Wissenschaften über, auch diese freilich meist Ohren lehrend, „die nicht hören“. Doch verdankten mehrere preußische Officiere, unter denen Karl v. Knebel der namhafteste ist, ihm ihre künstlerischen Neigungen. – Sogleich in den ersten Monaten seines Berliner Aufenthalts war R. mit dem sechs [214] Jahre älteren Gleim bekannt geworden; derselbe wurde ihm nicht nur bei der Erlangung seiner Brotstellen, sondern auch zur Erkenntniß seines litterarischen Lebensberufes mehrfach behilflich, führte ihn in die persönlichen und brieflichen Beziehungen des preußischen Dichterbundes ein und beauftragte ihn, die Correctur von Kleist’s Landlust (später Frühling) zu übernehmen. R. erweiterte und veränderte das Gedicht, fand jedoch mit seiner Umarbeitung weder ein Ende noch des Verfassers Beifall. Gleim siedelte schon 1747 nach Halberstadt über, blieb aber durch Briefe und Besuche noch über ein Jahrzehnt freundschaftlich mit R. verbunden. Mehr und mehr hatten diesen inzwischen die Berliner Kreise, Mendelssohn, Nicolai u. a., in Beschlag genommen. Er befindet sich 1749 nebst Schultheß, Sulzer, Sucro, Langemack (s. d. Art.), Hempel, Krause und Bergius unter den ersten Mitgliedern des vom Hofprediger Sack beeinflußten Donnerstagsklubs, giebt mit Sulzer 1750 „Critische Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit“ als Zeitschrift, mit Krause 1753 „Oden mit Melodien“ heraus und dichtet 1754 im Auftrage der Prinzessin Amalia die von Graun dann componirte Cantate „Tod Jesu“. In eben diesem Jahre beginnt seine Freundschaft mit Lessing. Beide ließen 1759 eine Auswahl aus Logau erscheinen, in der R. den Text nebst den metrischen und stilistischen Verbesserungen. Lessing die Anmerkungen besorgte, aus denen ersterer dann wieder mit Erlaubniß des Freundes die starken Seitenhiebe auf lebende Schriftsteller strich. Ramler’s eigene Dichtung, welche sich von Anfang an vorwiegend der Ode zugewandt hatte, erreichte in den letzten Jahren des siebenjährigen Krieges ihren Höhepunkt. Er feierte die Kämpfe und Tugenden des Königs, den er zuerst bei seiner Rückkehr „den einzigen Monarchen“ nannte, ohne daß der Besungene von ihm mehr Notiz genommen hätte als von andern deutschen Dichtern. – Die litterargeschichtliche Bedeutung Ramler’s besteht in dem Ansehen, welches seine Zeitgenossen seinem kritischen Urtheil beilegten. Aus der Kritik erwuchs, was er selber dichtete: daher die Aengstlichkeit, Langsamkeit, Unselbständigkeit; der Schwerpunkt seiner Oden liegt in der bewußten Nachbildung Horazischer Gedanken und Formen; umfängliche Anmerkungen müssen die mythologischen und andere Schwierigkeiten erklären. Seiner kritischen Erinnerungen bediente sich Lessing bei seiner Minna, den Vermischten Schriften und dem Nathan und nahm seine Veränderungen des Ausdrucks meist unbesehen an. Nach seinem kritischen Bedünken ohne individualisirende Schonung corrigirte er – und dies wurde mit den Jahren seine bedenklichste, heftig befehdete Eigenthümlichkeit – die Dichtungen vieler Anderer, und gab sie so, mit und ohne deren Erlaubniß und Namen, heraus, L. H. von Nicolay, J. N. Götz, M. E. Kuh, Lichtwer u. s. w. Götz und Kuh besitzen wir infolge dessen nur in Ramler’scher Verkleidung. Die Grundsätze seiner Kritik entnahm er zum größten Theil aus Batteux, von dem er 1754 u. ff. eine deutsche Bearbeitung herausgab, die das öffentliche Urtheil in Sachen der Dichtkunst auf lange bestimmte. Auch er sieht daher die Antike nur in römischer Beleuchtung und durch französische Brille. Gleichwol kann ihm ein Verständniß für die „körperlichen Eigenschaften“ classischer Gedichte nicht abgesprochen werden. – Nach dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelm’s II. (1786) wurde er Mitglied der Akademie und neben Engel Mitdirector der königl. Schauspiele. 1790 gab er seine Professur, 1796 die Theaterleitung auf. Die Steifheit und Pedanterie seines Wesens hatte mit den Jahren sich nur gesteigert. Verheirathet war er nie. Durch Testament vom 24. Februar 1795 setzte er seine Nichte Minchen, die Tochter seines zuerst in Groß-Jestin bei Kolberg, dann in Werneuchen das Pfarramt verwaltenden Bruders, welche selbst an den Prediger Ritter in Groß-Jestin verheirathet war, zur Universalerbin ein. Er starb in den Armen seines Landsmanns, des Kriegsraths Wackenroder. Von seinem an die genannte Nichte [215] gefallenen Nachlaß sind erst unlängst wieder über 1000 Nummern Briefe u. s. w. aufgefunden worden.
Ramler: Karl Wilhelm R., der „deutsche Horaz“, geboren zu Kolberg am 25. Februar 1725, † zu Berlin am 11. April 1798. Sein aus dem Anspachischen eingewanderter Vater war nach mancherlei Irrfahrten Accisecontrolleur in Kolberg und Gatte einer jungen Witwe Elisabeth Fiddechow, geb. Stieg, geworden. Zu dem Sohn erster Ehe kamen in zweiter noch drei, der erste von diesen Karl Wilhelm. Auf der heimischen Stadtschule, auf dem- v. Göcking, Ramler’s Leben (in Ramler’s Poetische Werke II, 347 ff.). – Heinsius, Versuch einer biogr. Skizze Ramler’s. Berl. 1798. – Jördens, Berlinischer Musenalmanach für 1791, S. 161 ff. – Ders., Lexikon d. D. IV, 262 ff. – Schlichtegroll, Nekrolog f. 1798, Bd. I. – Petrich, Pommersche Lebens- und Landesbilder I, 193–236, vgl. 417 u. IIb. 339. – C. Schüddekopf. K. W. Ramler bis zu seiner Verbindung mit Lessing (In.-Diss. Wolfenbüttel 1886; mit Benutzung des entdeckten Ramler’schen Nachlasses).