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Artikel „Gleim, Johann Wilhelm Ludwig“ von Wilhelm Creizenach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 228–233, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gleim,_Ludwig&oldid=- (Version vom 23. November 2024, 08:02 Uhr UTC)
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Band 9 (1879), S. 228–233 (Quelle).
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Gleim: Johann Wilhelm Ludwig G. (manchmal werden ihm auch fälschlich die Namen Friedrich Wilhelm beigelegt) wurde am 2. April 1719 zu Ermsleben im Halberstädtischen als Sohn des Obereinnehmers Johann Lorenz G. geboren. In seinem zehnten Lebensjahre brachte ihn der Vater zu einem Pfarrer in der Nachbarschaft, der ihn in den Anfangsgründen der classischen Sprachen unterrichtete; später kam er in die Stadtschule zu Wernigerode. Während er dort den Gymnasialstudien oblag, starben beide Eltern im J. 1735 und ließen den Sohn in dürftigen Umständen zurück; doch fanden sich edle Menschenfreunde, die sich des hoffnungsreichen Knaben liebevoll annahmen, besonders der Geheimerath Reinhart in Wernigerode. Auch der Conrector, seit 1738 Rector der Stadtschule, Heinrich Karl Schütze, in dessen Hause G. wohnte, war ihm freundlich zugethan; mit wohlwollender Theilnahme begleitete er die ersten poetischen Versuche, die G. bei feierlichen Schulacten und ähnlichen Gelegenheiten zum Besten gab. Sie waren freilich noch ganz im Stil der poetischen Schulübungen [229] der damaligen Zeit gehalten, bekunden aber doch, nach der in Gleim’s Biographie mitgetheilten Probe zu urtheilen, eine ungewöhnliche Leichtigkeit im poetischen Ausdruck. Die gräflich Stolbergische Bibliothek wurde von dem Knaben fleißig benutzt; G. erregte schon damals die Aufmerksamkeit des regierenden Grafen Christian Ernst, der mit den Seinigen dem Dichter auch in der Folgezeit stets die zarteste Aufmerksamkeit erwies. 1739 bezog G. die Universität Halle, um sich juristischen Studien zu widmen; er hörte bei Heineccius, Böhmer und Johann Peter Ludewig, der ihn auch bei der Ordnung seiner Bibliothek beschäftigte. In ein vertrauteres Verhältniß kam er mit den Vertretern der Philosophie und der schönen Wissenschaften, Alexander Gottlieb Baumgarten und Georg Meier, die ihn an Jahren wenig überragten; sie wußten ihn im Sinne der schweizerischen Aesthetiker für die Fragen zu interessiren, die damals die deutschen Schöngeister bewegten. Gleiches Interesse für Poesie verband ihn auch mit einigen anderen Hallenser Studenten Uz, Götz und dem früh verstorbenen Rudnits; sie bildeten zusammen eines der ersten jener akademischen Freundschaftsbündnisse, die in der späteren Entwickelung unserer Litteratur eine so große Rolle spielten. Der leichte, behaglich heitere Ton, den schon früher Hagedorn in der Weise der französischen Liederdichter angeschlagen hatte, war den Jünglingen besonders sympathisch; von den alten wurde ihr Liebling Anacreon und ihre schwärmerische Zuneigung zu diesem Dichter, den sie durch Uebersetzungen und Nachbildungen den Deutschen lieb und werth zu machen suchten, hat ihnen den Namen der Anacreontiker eingetragen. G. selbst erzählt, daß für ihre Vorliebe für Dichtungen in Anacreons Manier der Umstand mit bestimmend gewesen sei, daß hier am leichtesten die durch die Schweizer vertretene Ansicht von der Entbehrlichkeit des Reimes durchgeführt werden konnte; doch stimmte der anacreontische Ton so sehr mit dem eudämonistischen Grundzuge in Gleim’s Wesen überein, daß dieser ihn noch lange Zeit hindurch in seinen Dichtungen festhielt. Die erste Sammlung derartiger Gedichte, die von G. im Druck erschien, ist der „Versuch in scherzhaften Liedern“ (Erstes Buch, 1744). Im J. 1740 verließ G. Halle und nahm bei dem Obersten v. Schulz in Potsdam eine Hauslehrerstelle an, zugleich aber versah er die Stelle eines Secretärs beim Prinzen Wilhelm von Schwedt. Auch in Potsdam und Berlin hat er, dem der Verkehr mit gleichgesinnten Freunden ein Lebensbedürfniß war, im Lauf der vierziger Jahre einen ansehnlichen Kreis von jungen Gelehrten und Dichtern zusammengebracht; er wurde mit Kleist bekannt, dem er durch seine Gespräche wie durch seine Poesien auf dem Krankenbett Erheiterung verschaffte; ferner mit dem Conrector Pyra vom kölnischen Gymnasium, der auch aus dem Kreise Baumgarten’s und Meier’s hervorgegangen war und mit dem Dichter und Litteraten Lamprecht, welche aber beide schon 1744 starben. Später kamen noch Ramler und Spalding hinzu; auch Sulzer stand von Magdeburg aus mit den Berlinern in Verkehr. Den zweiten schlesischen Krieg (1744) machte G. im Gefolge des Prinzen Wilhelm mit; nachdem der Prinz gefallen war, kehrte er nach Berlin zurück, trat jedoch im folgenden Jahr als Stabssecretär in die Dienste des alten Dessauers, in welcher Stellung er es aber auch nur kurze Zeit aushielt. Zwei Jahre brachte er nun in Berlin zu, stets eine feste Stellung erhoffend, ohne sie finden zu können, bis er im J. 1747 durch Fürsprache eines Gönners, des Geh. Tribunalraths und Domherrn zu Halberstadt v. Berg zum substituirten Domsecretär in Halberstadt ernannt wurde; bald darauf, nach dem Tode seines Vorgängers, kam er in den vollen Besitz der Stelle. Von Gleim’s Dichtungen aus den Berliner Jahren ist zu erwähnen ein zweiter Theil des „Versuch in scherzhaften Liedern“ (1745) und das Schäferspiel „Der blöde Schäfer“ (1745), welches ein sehr beliebtes Bühnenstück war. Einen Einblick in das Treiben des Gleim’schen Kreises zu dieser [230] Zeit gewähren die „Freundschaftlichen Briefe“, die der bekannte Horaz-Uebersetzer Samuel Gotthold Lange im J. 1746 herausgab. Mit der Uebersiedelung nach Halberstadt beginnt eine neue Epoche in Gleim’s Leben. Er war nun in den Wirkungskreis eingerückt, in welchem er den Rest seines Lebens verbringen sollte; seine äußere Lebensstellung wurde eine sorgenfreie und reichliche, nachdem ihm ein Canonicat an dem Stift Walbeck verliehen worden war. Dabei ließ ihm sein Amt Zeit genug übrig, sich seiner Neigung zur Poesie hingeben zu können. Er blieb unvermählt; eine Nichte, Sophie Dorothea G., von den poetischen Freunden ihres Oheims als „Gleminde“ besungen, führte ihm den Haushalt, nachdem ihm im J. 1753 ein Heirathsplan gescheitert war, und so konnte er um so eher sein reichliches Einkommen in der edelsten Weise für die Unterstützung hülfsbedürftiger Talente verwerthen. Mit Dichtern und Gelehrten suchte er allenthalben freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen; nach Berlin wurde er immer von Zeit zu Zeit durch Stiftsangelegenheiten geführt, und auch mit den Leipzigern und Braunschweigern blieb er fortwährend in Verbindung. Freilich läßt sich nicht läugnen, daß sein Bestreben, mit aller Welt gut Freund zu sein, sich mitunter in unmännlicher Unentschiedenheit äußerte. Mit Lichtwer, der gleichfalls in Halberstadt lebte, gelang es ihm nicht, in ein vertrautes Verhältniß zu kommen. Aus den ersten Jahren von Gleim’s Halberstädter Aufenthalt ist vor allem die Verbindung mit Klopstock zu erwähnen, der im J. 1750 nebst Schmidt, dem Bruder seiner „Fanny“, einen großen Theil des Sommers bei G. verbrachte und noch lange Jahre nachher dem Freunde jene heiter belebten Tage in einer Ode ins Gedächtniß[WS 1] zurückrief. Im Winter 1754–55 lernte er in Berlin Lessing kennen, mit dem er von nun ab in freundschaftlicher Verbindung blieb; auch erhielt er damals durch einen zufälligen Anlaß die erste Anregung zur Fabeldichtung. Schon 1756 erschien das erste Buch seiner Fabeln, in denen er die Manier Gellert’s und Hagedorn’s nachahmt. Sie wurden sehr beifällig aufgenommen und die besseren darunter figuriren auch heute noch in vielen Kinder- und Schulbüchern. In demselben Jahr erschienen auch von ihm „Romanzen“, burleske Geschichten im Bänkelsängerton, durch welche noch manche andere Dichter veranlaßt wurden, sich in derselben Manier zu versuchen.

Die J. 1756 und 1757, die Anfangsjahre des siebenjährigen Krieges, bezeichnen den Höhepunkt von Gleim’s Dichterlaufbahn. In diesen Jahren schuf er, von der Heldengröße Friedrichs und von der Bedeutung der Sache, die Preußen verfocht, durchdrungen, die Grenadierlieder, die sich in ihrem ganzen Tone von allen seinen anderen Dichtungen von Grund aus unterscheiden. In kräftigen, eindringlichen Worten feiert G. die tapfern Kämpfer; er will es der Masse des Volks zum deutlichen Bewußtsein bringen, daß es sich hier um mehr als um einen bloßen Cabinetskrieg handelt. Nachdem zuerst Ramler fünf von diesen Liedern hatte drucken lassen, veranstaltete Lessing die Sammlung „Preußische Kriegeslieder in den Feldzügen 1756 und 1757 von einem Grenadier“ und schrieb dazu eine Vorrede, in welcher die Fiction aufrecht erhalten war, als ob diese Lieder von einem Mitstreiter gedichtet seien. Auch weiterhin verfolgte G. mit ganzer Seele den Verlauf des Krieges, der im J. 1758 bis in sein Halberstädter Stillleben vordrang. In diesen Zeiten mächtig gehobener Kriegsstimmung (1759) wurde er durch Lessing’s anonym erschienenen „Philotas“ angeregt, denselben Gegenstand in einer versificirten Tragödie zu behandeln. Er sandte seine Arbeit ahnungslos Lessing zu. Freilich war es ihm nicht ganz wohl dabei, als er nachträglich erfuhr, wer der Verfasser des bearbeiteten Stückes sei, doch nahm Lessing den versificirten „Philotas“ freundlich auf und gab ihn in den Druck (1760), wofür er auch mit einer Sendung Rheinwein belohnt wurde. Der Tod Kleist’s nach der Schlacht bei Kunnersdorf erfüllte G. für längere Zeit [231] mit wehmüthigem Schmerz. In den letzten Kriegsjahren jedoch trat bei G. die alte heitere Stimmung hervor und die Lust, sich im Verein mit gleichgesinnten Freunden das Leben durch Poesie zu verschönern, kehrte wieder. Im Sommer 1761 lernte er in Berlin die Karschin kennen, deren er sich in ihrer bedrängten Lage eifrig annahm. Sie besang in mehreren Liedern G. als ihren Thyrsis, doch wurden ihm die begeisterten Huldigungen auf die Dauer etwas unbequem und er sorgte rechtzeitig dafür, daß sich die Dichterin keine Hoffnung auf eine Verbindung fürs Leben machen konnte. In den nächsten Jahren ließ er auch seine Lieder wieder in der altgewohnten Weise ertönen, im J. 1764 erschienen unter andern sieben kleine Gedichte nach Anacreon’s Manier und Petrarchische Gedichte; bei den letzteren wurde übrigens schon bald nach ihrem Erscheinen in den Litteraturbriefen darauf aufmerksam gemacht, mit wie wenig Recht sie diesen Namen führten. Um dieselbe Zeit dichtete er „Gespräche mit der deutschen Muse“ (Berlin 1764), in denen er Friedrichs des Großen Vernachlässigung der deutschen Poesie beklagt. Ein Ereigniß, das dem Dichter damals vielen Kummer bereitete, war sein Zerwürfniß mit Ramler, welcher G. auf den Tadel einer seiner Oden in heftigem und gereiztem Tone erwiedert hatte. Ueberhaupt war der Verkehr Gleim’s mit seinen Altersgenossen nicht mehr so rege wie früher; sie, die in ernster Arbeit, stets sich höhere Ziele steckend, weiter vorwärts schritten, konnten sich nicht mehr so lebhaft für das Treiben ihres Freundes interessiren, der, um sich sein sorgloses Leben zu erheitern, in der alten Manier behaglich weiter dichtete. G. suchte sich seine Freunde mehr unter der jüngeren Generation, die des Helfers und Trösters bedürftiger war und zu dem guten „Vater Gleim“, der an ihren Dichtungen so innigen Antheil nahm und doch auch wieder jeden in seiner Weise gewähren ließ, respectvoll emporblickte. Von allen diesen Freundschaftsbündnissen Gleim’s mit jüngeren Männern machte keines so viel von sich reden, wie das mit Johann Georg Jacobi, den er 1766 im Bade Lauchstädt kennen lernte und alsbald zu sich nach Halberstadt zu ziehen suchte. Es gelang ihm in der That, Jacobi im J. 1769 eine Stiftspräbende zu verschaffen; bis zu dieser Zeit entschädigten sich die getrennten Freunde durch einen überschwänglich zärtlichen Briefwechsel, den sie sogar auch im Druck erscheinen ließen; doch wurden beide damals schon wegen ihres süßlichen Wesens von allen getadelt, die sich einen gesunden Sinn bewahrt hatten. In den folgenden Jahren kamen noch mehrere junge Dichter nach Halberstadt, 1771 Johann Benjamin Michaelis, den G. aus den dürftigsten Umständen gerettet hatte, dann Jähns, ein Verwandter Gleim’s; auch Klamer Schmidt, ein geborener Halberstädter, sowie zwei weniger bekannte Männer, Sangerhausen und Benzler gehörten diesem Kreise an. 1772 kam noch Heinse hinzu, den G. trotz seiner liederlichen Poesien in seinen Schutz nahm und ihm eine Hauslehrerstelle in Halberstadt verschaffte. So konnte nun G. nach Herzenslust in Freundschaft und Poesie schwelgen; seine Dichtungen aus diesen Jahren sind ungemein zahlreich, doch zeigen sie, daß er durch das Lob seiner Umgebung allzu nachsichtig gegen sich selbst geworden war; neben manchen anmuthigen und gefälligen Stücken ist auch vieles allzurasch hingeworfen und von unbedeutendem Inhalt. Erwähnung verdienen die „Sinngedichte“ (1769 als Manuscript gedruckt) und die „Lieder für das Volk“ (1772), mit denen er unter den unteren Classen Heiterkeit und Lebensfreude verbreiten wollte. Doch ist es ihm vollständig mißlungen, den Volkston zu treffen; von der Technik des Volksliedes hat er keine Ahnung; seine Lieder sind matt und prosaisch und überall merkt man durch, wie sich der Verfasser vergeblich abmüht, zum Volke „herabzusteigen“. 1773 veröffentlichte er „Gedichte nach den Minnesingern“, nachdem er schon vorher, 1769, einige Gedichte Walthers bearbeitet hatte. Ferner entstand damals [232] „Halladat oder das rothe Buch“ (gedruckt 1774), ein Werk, in welchem er, durch die Koranstudien seines Freundes Boysen angeregt, in orientalisch-parabolischer Art Welt- und Lebensweisheit vorträgt; doch läßt in diesem Werke der anspruchsvolle Ton die Dürftigkeit des Inhalts nur um so unliebsamer hervortreten. Auch seine Freunde hielt G. zu reger poetischer Production an. Bekannt ist, daß im Winter 1773–74 täglich unter den Dichtern eine Büchse circulirte, in welche jeder ein Gedicht, und sei es auch nur zwei Zeilen lang, hineinwerfen mußte. Der Inhalt wurde dann bei einer wöchentlichen Zusammenkunft verlesen. Mit den auswärtigen Freunden und Mitstrebenden wurde ein reger Verkehr unterhalten, besonderes Gefallen fand aber G. an Johannes v. Müller, den er im J. 1771 kennen lernte. G. knüpfte große Hoffnungen an das Zusammenwirken so vieler schöner Geister und trug sich sogar auch mit dem Gedanken, eine Art von Akademie in Halberstadt zu gründen. Doch dauerte die Vereinigung nicht lange. Schon 1772 wurden Michaelis und Jähns durch den Tod dahin gerafft und 1774 verließen auch Jacobi und Heinse Halberstadt, um in Düsseldorf die Zeitschrift „Iris“ zu begründen. Rührend sind die sehnsuchtsvollen und herzlichen Briefe, die G. den Freunden nachsandte. Somit war der Halberstädter Dichterverein aufgelöst. Zwar hatte G. immer noch in Halberstadt Freunde und Bekannte, mit denen er sich über litterarische Dinge besprechen konnte, auch unterhielt er mit den abwesenden Freunden einen lebhaften brieflichen Verkehr, der mitunter die Form der poetischen Epistel annahm; doch hörte er auf, der Mittelpunkt und Vertreter eines bestimmten Kreises von Dichtern zu sein. Seinem lebhaften Interesse an den Erscheinungen der zeitgenössischen Litteratur, seiner werkthätigen Theilnahme für aufstrebende Talente that dies keinen Eintrag; auch brachten ihm die jüngeren Dichter noch weiterhin Ehrfurcht und Liebe entgegen. Sein gastliches „Hüttchen“, das er selbst in einer Reihe von Liedern besungen hat (gedruckt 1794), wurde fleißig besucht und zu den alten Freunden viele neue gewonnen: Bürger, Göckingk, Tiedge, Seume. Falk, Voß, Herder, den G. im J. 1775 persönlich kennen lernte, nachdem er schon längst durch die liebevolle Besprechung seiner Dichtungen in den Fragmenten für ihn eingenommen war; in den letzten Jahren seines Lebens auch noch Jean Paul. 1783 erhielt er den Besuch Goethe’s, der ihm jedoch damals nicht näher trat. Den Ereignissen des preußischen Vaterlandes blieb noch weiterhin sein Interesse zugewendet; 1778 beim Beginn des bairischen Erbfolgekrieges ließ er wieder ein paar Grenadierlieder in die Welt hinausgehen. 1785 hatte er die Freude, Friedrich dem Großen bei einem Aufenthalt in Berlin persönlich vorgestellt zu werden. Die letzte Zeit seines langen Lebens brachte freilich viele Ereignisse, die ihm nicht zusagten. Die Kantische Philosophie wollte ihm, der ganz in den Anschauungen der Popularphilosophen lebte, nicht recht in den Kopf: die Ereignisse in Frankreich waren seinen altpreußischen Anschauungen zuwider und es brachte ihm dies manchen Disput mit jüngeren Freunden ein, die der Revolution begeistert entgegenjubelten. Bei alledem stand er, als der älteste unter den deutschen Dichtern in hohem Ansehen; die Gutmüthigkeit und Weichheit, die sich in früherer Zeit oft in unmännlicher Schwäche geäußert hatte, zeigte sich im Alter mehr in einer heiteren und ruhigen Milde und auch die breite Redseligkeit ließ man sich bei dem würdigen Greise gern gefallen. Von gekrönten Häuptern, wie von gelehrten Gesellschaften wurde er wiederholt ehrenvoll ausgezeichnet. Die Xenien freilich verschonten auch ihn nicht; sie erhoben gegen den „alten Peleus“ den unzarten Vorwurf, ihm mangle

– – – die spannende Kraft und die Schnelle
Die einst des Grenadiers herrliche Saiten belebt.

[233] G. antwortete mit einer Sammlung kleinerer epigrammatischer Gedichte „Kraft und Schnelle des alten Peleus“ (1798), die zwar keinen hohen poetischen Werth hat, aber doch in ihrem ruhigen und würdigen Ton von den meisten anderen Erwiderungen auf die Xenien vortheilhaft absticht. In die heftigste Erregung gerieth er, der alte Rationalist, bei der Nachricht vom Uebertritt Stolberg’s zur römischen Kirche; er spricht sich darüber in mehreren Briefen mit leidenschaftlichem Eifer aus. In den „Zeitgedichten“, die er seit 1792 in mehreren kleinen Sammlungen veröffentlichte, verlieh er seinen Ansichten über den Lauf der Welt poetischen Ausdruck. Im J. 1797 bei Gelegenheit seines Dienstjubiläums legte er seine Stelle nieder und behielt sich blos noch die Verwaltung der Beneficien für die Studenten vor. Seine Lebenskräfte nahmen mehr und mehr ab; in den letzten Jahren war er des Augenlichtes beraubt. Er starb alt und lebenssatt am 18. Februar 1803. In seinem Garten, mitten unter Denkmälern, die er der Erinnerung an seine Freunde gewidmet hatte, ward er bestattet. Goethe besuchte im J. 1805 Gleim’s Grab; er schildert uns in den Annalen, wie er die im Dichterhause aufbewahrten Reliquien, den mit Bildern von Gleim’s Freunden gezierten Freundschaftstempel betrachtete und sich von der Nichte Gleim’s von den alten Zeiten erzählen ließ. Sein Vermögen hat G. zu wohlthätigen Zwecken verschiedener Art bestimmt. Noch jetzt wallfahren viele zu den Reliquien, die aus seiner Zeit in Halberstadt aufbewahrt sind.

Das Hauptwerk über G. ist die ausführliche Biographie: Johann Wilhelm Ludewig Gleim’s Leben aus seinen Briefen und Schriften (Halberstadt 1811), verfaßt von seinem Neffen Wilhelm Körte (s. d. Art.). Derselbe hat auch eine Gesammtausgabe von Gleim’s Werken veranstaltet (J. W. L. Gleim’s sämmtliche Werke, Halberstadt 1811–13) und mehreres aus seiner überaus reichhaltigen Correspondenz publicirt. Sonst sind aus Gleim’s Briefsammlung besonders die Briefe „deutscher Gelehrter aus Gleim’s Nachlaß“ (Bd. I. II. Zürich 1804) und Lessing’s Briefwechsel mit Gleim (Berlin 1795 u. 1816) von litterar-historischem Interesse. Von neueren Publicationen, die auf Gleim’s Nachlaß beruhen, sind vor allem zu erwähnen: „Friedrich der Große und die deutsche Litteratur“ von Pröhle (2. Aufl. Berlin 1878) und „Lessing, Wieland, Heinse“ von demselben (Berlin 1877). Eine meisterhafte, in wenig Worte zusammengefaßte Charakteristik Gleim’s gibt Goethe im 10. Buch von „Dichtung von Wahrheit“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Gedächniß