ADB:Stolberg-Wernigerode, Christian Ernst Graf zu

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Artikel „Stolberg-Wernigerode, Christian Ernst, Graf zu“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 381–386, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stolberg-Wernigerode,_Christian_Ernst_Graf_zu&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 09:53 Uhr UTC)
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Stolberg-Wernigerode: Christian Ernst, regierender Graf zu St.-W., Sohn des Grafen Ludwig Christian und der Fürstin Christine, Tochter Herzog Gustav Adolf’s von Mecklenburg-Güstrow, geboren zu Gedern am Vogelsberg am 2./13. April 1691, † auf Schloß Wernigerode am 25. October 1771. Den entscheidendsten Einfluß auf seine Entwicklung übte die Mutter, eine geistig starke bedeutende Persönlichkeit (s. A. D. B. IV, 219 ff.). Eine treue Schülerin und Freundin Spener’s lehrte sie ihre Kinder, allein auf die Gnade Gottes in Christo zu bauen, aber auch ernstlich der Heiligkeit, als einem Stück der Seligkeit, nachzutrachten. Ganz nach der Mutter Herzen erkor Ch. E. sich in Sophie Charlotte, Tochter des Grafen Anton zu Leiningen-Westerburg und der Luise von Sayn-Wittgenstein, seine Lebensgefährtin. In der Stille und sehr einfach erzogen war auch sie eine eifrige Pietistin, ursprünglich nicht ohne etwas schwärmerische Beimischung, die sich aber in den Verhältnissen, in die sie einzog, bald verlor. Noch vor seinem vollendeten 21. Lebensjahre führte er die Siebzehnjährige heim, die ihm in überaus glücklicher 50jähriger Ehe zwölf Kinder schenkte, von denen jedoch nur ein Sohn und drei Töchter das zarte Kindheitsalter überschritten. Am 27. August 1710 segnete sein Vater das Zeitliche und schon am 9. November folgte ihm sein zu Ilsenburg Hof haltender Oheim Ernst. Durch letzteren Todesfall war die Grafschaft Wernigerode ihm heimgefallen, doch führte bis 1713 die Mutter für ihn die vormundschaftliche Regierung mit so fester Hand, daß sie dadurch dem Sohn vorarbeitete. Sobald aber das Regiment auf ihn übergegangen war, nahm er dasselbe mit bewundernswerther Energie in die Hand und verfolgte dabei unentwegt einen festen Plan. Sein erstes schweres Bemühen galt der Sicherung seiner staatsrechtlichen Stellung der Krone Preußen gegenüber. Infolge eines schon früher, aber besonders unter Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, als König von Preußen Friedrich I. hervortretenden Strebens nach Umwandlung des lehnsherrlichen Verhältnisses in eine eigentliche Staatsgewalt waren die Rechte der Grafen aufs äußerste gefährdet. Zwar hatte bereits Graf Ernst einen längeren schweren Kampf um diese Gerechtsame geführt und denselben zu einem gewissen Abschlusse gebracht. Aber als völlig erledigt konnte er nicht gelten und sowol die Fürstin Christine als Chr. E. hielten in verschiedenen Punkten, besonders hinsichtlich der Episcopalrechte, genauere Festsetzungen und Zusicherungen für nothwendig. Es ist bezeichnend für des Grafen Wesen, daß er, während die Fragen schwebten, mit Leib und Seele in diesen Kampf verschlungen, dann aber überaus glücklich war, als er am Ziel seines Ringens stand, trotzdem dabei höchstens von einem billigen Vergleich, nicht von der Erfüllung gerechter Hoffnungen die Rede sein konnte. Jener hauptsächlich von dem älteren Minister v. Cocceji herrührende Receß kam [382] am 19. Mai 1714 zu Anfang der Regierung König Friedrich Wilhelm’s I. zustande. Es verdient oft Bewunderung, wie Ch. E. gegenüber diesem sehr energischen, seine Machtvollkommenheit eifersüchtig behauptenden Monarchen seine Rechte durch kluges Entgegenkommen und doch Festhalten an der Hauptsache zu sichern und zu wahren verstand.

War so ein staatsrechtlicher Boden gewonnen, so erschien als die dringendste weitere Aufgabe die Stärkung und Sicherung des Stammbesitzes durch eine der ferneren Landestheilung ein Ziel setzende Erstgeburtsordnung. Bereits im J. 1714 entwarf er eine solche, arbeitete dieselbe aber später durch und brachte sie am 21. März 1738 zum Abschluß. Der Gedanke dieser Ordnung ist auch in dem durchdachten ausführlichen Testament vom 4. Januar 1749 zu einer Zeit weiter durchgeführt, als bereits die Besitzungen seines im Jahre zuvor verstorbenen Bruders Heinrich August mit Wernigerode vereinigt waren. Innerhalb seines staats- und hausrechtlichen Besitzes, den er im J. 1727 auch territorial durch Erwerbung des seit langer Zeit vom Hause abgekommenen Stapelburg mehrte, waltete Ch. E. nun mit einer solchen Thatkraft, Consequenz und Leistungsfähigkeit bis in sein hohes Alter, daß die Fülle des Geschaffenen Bewunderung erregen muß. Indem er von vornherein statt Ilsenburgs das durch Größe und Lage dazu berufene Wernigerode wieder zum Sitz des Regiments und Hofhalts bestimmte, richtete er das verödete Schloß aus ökonomischen Gründen zwar einfach, aber mit einer alle seine baulichen Schöpfungen auszeichnenden Dauerbarkeit wohnlich ein. Dieselbe schlichte Gediegenheit kennzeichnet seine verschiedenen schon anderthalb Jahrhunderte überdauernden wirthschaftlichen Bauten. Ebenso stattete er sein Schloß durch Anlage von Thiergarten, Küchengarten und Lustgarten aus. Ein im letzteren geplantes prachtvolles und ausgedehntes Schloß im Barockstil gelangte wegen der unzulänglichen Mittel nicht zur Ausführung. Nur die Orangerie, welche als ein den Hauptbau rechts flankirendes Nebengebäude gedacht war, kam zu stande und gewährt, jetzt die fürstliche Bibliothek beherbergend, neben den noch erhaltenen Modellen und Entwürfen eine Vorstellung von der Großartigkeit der ursprünglichen Absicht. Von seinen Wegebauten sind die hervorzuheben, welche zu praktisch-wirthschaftlichen Zwecken das Brockengebiet zugänglich machten.

Entsprechend dem festen gediegenen äußeren Bau seines Hauses war auch die innere Ordnung seiner Verwaltung und Regierung in allen ihren Zweigen. Seine für die einzelnen Zweige der Hofverwaltung erlassenen durchdachten und von christlichem Geiste getragenen Ordnungen fanden das entschiedene Lob eines Friedr. Karl Moser, der mehrere davon zum Abdruck brachte. Bei den verschiedenen Zweigen seiner Verwaltung, dem Forstwesen, den Oekonomieen, im Hüttenwesen traf er höchst praktische Einrichtungen. Was im Forstwesen Männer wie Schubart, v. Langen und Hans Dietrich v. Zanthier, der Gründer der unter des Grafen Schutz blühenden sogenannten Ilsenburger Forstakademie, leisteten, hat in der Geschichte dieses Verwaltungszweiges einen dauernden Namen.

Die gesammte Verwaltung wurde 1746 in einem Kammercollegium vereinigt, welches er mit vortrefflichen Instructionen versah. Und wie er überall klare und feste Verhältnisse zu schaffen suchte, so that er dies auch schon am Schluß des Huldigungsjahrs 1714 dem Rathe zu Wernigerode gegenüber durch die Verordnung des sogenannten Gräfengedinges, eines Inbegriffs der vornehmsten Polizeigesetze.

Wenn ihm auch Braunschweig-Hannover die gebührende Belehnung mit Elbingerode versagte, so wußte er sich doch auch in ein gutes Verhältniß zu diesem zu schicken durch Herstellung eines befriedigenden Vergleichs der Belehnung mit Hohnstein wegen (Wern. 17. Mai 1733).

[383] Bei allem Fleiß und erfolgreichem Schaffen lag doch der Schwerpunkt von Ch. Ernst’s Wirken auf dem kirchlichen Gebiet. Ein wahrer praktischer Pietist ohne jeden Anflug von schwärmerischem oder sectirerischem Wesen suchte er nur christlich-evangelisches Leben innerhalb seines Bereiches zu wecken und zu pflegen und hielt so fest an den Einrichtungen und dem Bekenntniß der evangelisch-lutherischen Kirche, daß er sich durchaus von dem ihm anfangs sehr werthen Zinzendorf schied, als dieser solche Nüchternheit nicht bewahrte. In der Grafschaft setzte er das von Superintendent Neuß begonnene Werk fort, veranstaltete 1721 eine Kirchenvisitation und entwarf 1723 eine Kirchenordnung, die elf Jahre später theilweise eingeführt wurde. Zur Hebung des christlichen Lebens und Verständnisses in seinem ganzen Lande berief er aus Halle sog. Katecheten, junge, gläubige Theologen, die durch Predigt und Katechismusunterricht der Unwissenheit in geistlichen Dingen steuern und die beobachteten Schäden heilen sollten. Außerdem errichtete er vier neue Predigerstellen, alles mit bedeutenden Geldopfern. Besonders seit dem J. 1727 wurde durch Joh. Libor. Zimmermann und dessen Freunde Lau und Seydlitz zunächst bei der Hofgemeinde, bei der der Graf sie angestellt hatte, ein frisches Glaubensleben geweckt. Ein in kleinen Anfängen bestehendes Waisenhaus wurde erweitert und 1737 in ein umfangreiches (nunmehriges fürstl. Kammer-)Gebäude übergeführt, im J. 1753 auch noch ein Seminar errichtet, worin ein paar junge Theologen unterhalten wurden, die durch Unterricht und Predigt an der Jugend arbeiten sollten. Für die geistliche Erbauung und Belehrung bei Hofe dienten nicht nur fast tägliche regelmäßige Gottesdienste, sondern – der kirchlichen Jubelfeiern nicht zu gedenken – mehrmals im Jahr sog. Festconferenzen auf dem Schlosse im Sinn der collegia pietatis. Von kirchlichen Bauten ist der vom 21. April 1756 bis März 1762 mit großer Hingebung ausgeführte vollständige Neubau der im J. 1751 durch Feuer zerstörten U. L. Frauenkirche zu erwähnen, ein zwar nicht schönes aber stattliches, geräumiges und dauerhaftes Baudenkmal.

Die gelehrte Schule in Wernigerode erfreute sich unter ihren Vorstehern Eustas. Friedr. Sch. (1715–1738) und Heinrich Karl Schütze (bis 1781) einer lebhaften Blüthe und eines zahlreichen auswärtigen Besuchs und erhielt 1743 eine neue zweckmäßige Einrichtung. Die gräfliche Bibliothek war, als Ch. E. sich ihrer seit 1721 eifrig anzunehmen begann, zwar bereits eine anderthalbhundertjährige Stiftung, aber seit fast vier Menschenaltern war sehr wenig für sie geschehen. Er vereinigte ihre Bestände wieder auf dem Schlosse, brachte sie in musterhafte Ordnung, mehrte sie bis zu einem Umfange von etwa 35,000 Bänden und begründete in ihr die Hauptsammlungen der Bibeltexte und Hymnologie. Und obwol er zuerst eigene Bibliothekare anstellte, so war die Thätigkeit, die er persönlich bei der Verzeichnung und Mehrung dieses litterarischen Schatzes, den er im J. 1746 der öffentlichen Benutzung übergab, entfaltete, eine so überaus umfangreiche, daß sie bei seiner umfassenden Wirksamkeit als Regent und außerhalb seines Landes geradezu Staunen erregt.

Hatten schon seine wissenschaftlichen Bestrebungen, beispielsweise seine umfangreichen Forschungen nach den Verfassern von Kirchenliedern, eine über die Grenzen seines Landes hinausreichende Wirkung, so war dies in mehr praktischer Weise bei der Unterstützung der Fall, die er der deutsch-dänischen Heidenmission gewährte. Es war eine Sache von nicht geringer Bedeutung, daß zu einer Zeit, als ein so wichtiges Werk sich noch keiner anderweitigen kirchenregimentlichen Unterstützung erfreute, Wernigerode es war, wo mindestens seit 1731 eine ganze Reihe evangelischer Missionare geprüft, ordinirt und auf ihr Arbeitsfeld, meist nach Ostindien, entsandt wurde. Ein gleiches war aber auch bei den Predigern für die evangelischen Deutschen in Nordamerika und England der Fall. Und [384] als im J. 1735/36 evangelische Salzburger übers Meer fuhren, um in Südcarolina Colonieen zu gründen, wurden für dieselben ebenfalls in Wernigerode die Prediger Bolz und Gronau ordinirt.

Des Grafen Verhältniß zur deutsch-dänischen Mission steht im Zusammenhange mit der zwischen ihm und König Christian VI. von Dänemark bestehenden nahen Verwandtschaft: beider Mütter waren Schwestern. Die Verwandtschaft bot aber wieder den Anlaß zu einer innigen Freundschaft zwischen beiden Vettern. Der jüngere König schenkte seinem erfahrenen älteren Freunde ein so unbegrenztes Vertrauen, daß er seinem Rathe in kirchlichen, wirthschaftlichen, selbst politischen Dingen fast überall folgte. Um jenem außerordentlichen Einflusse des Grafen einen gewissen amtlichen Charakter zu verleihen, gab der König seinem deutschen Vetter im J. 1735 eine dänische Rathsstellung, die der Graf bis 1741 bekleidete, doch nur der Form wegen. Persönlich sehen wir ihn 1733 und 1737 nach Kopenhagen unterwegs, aber nur bis Altona gelangen. Längeren Aufenthalt nahm er in Dänemark nur 1735 und 1739. Nur mit kurzem Wort können wir hier des gräflichen Einflusses in Dänemark gedenken, wobei voraufzuschicken ist, daß Ch. E. für sich selbst allen materiellen Gewinn und Ehren zurückwies, beispielsweise auch den Elefantenorden, hierbei allerdings bestimmt durch vorsichtige Rücksichtnahme auf seinen preußischen Oberlehnsherrn. In kirchlicher Beziehung war sein Einfluß durchaus entscheidend. Nicht nur, daß Prediger wie Seydlitz, Giese, Kettwig, Schulmänner wie Eustas. Friedr. Sch. und Gottfr. Schütze von Wernigerode nach Dänemark gingen: die Einführung des Pietismus daselbst wurde durch des Grafen Verhältniß zum Könige bestimmt. Und wie er denselben von seinen Episcopalrechten kräftigen Gebrauch machen lehrte, so hielt er ihn auch von Zinzendorf zurück. In wirthschaftlicher Beziehung steht voran des Grafen Einfluß auf das dänisch-norwegische Forst- und Bergwerkswesen, besonders durch Vermittlung ausgezeichneter Forstbeamten, wie der Gebrüder v. Langen, und Leiter des Bergwerks, wie des Berghauptmanns Schubert und noch 1770 Heltzen. Auch der merkwürdige pietistische Leibarzt Dr. Carl kam durch den Grafen nach Kopenhagen. In anderer Weise übte er Einfluß durch die Einführung deutscher Vettern in Stellungen am dänischen Hofe und im Heere. Dadurch kamen auch die Eltern des Stolbergischen Dichterpaares nach Dänemark.

Vielleicht am merkwürdigsten ist das unbedingte Vertrauen, welches der König den Rathschlägen Ch. Ernst’s in politischen Dingen schenkte. In den russisch-polnischen Angelegenheiten hielt ihn der Graf von einem Bündnisse mit Frankreich zurück, wozu der König persönlich geneigt war. Für den Grafen aber war wieder das kirchliche Interesse bestimmend, das dem Bündnisse mit einer katholischen Macht wie Frankreich widerstrebte. Niemals ist der deutsche Einfluß in Dänemark ein so unbedingter und großer gewesen, wie zur Zeit König Christian’s VI. und seines deutschen Freundes und Rathgebers. Und selbst das Urtheil eines patriotischen dänischen Schriftstellers geht dahin, daß dieser Einfluß ein segensreicher war. Dieselbe Verwandtschaft, welche Dänemark den Einflüssen des Grafen öffnete, gab auch den Anlaß zur Verpflanzung einer Colonie des Wernigerödischen Pietismus nach Mecklenburg: des Dänenkönigs und des Grafen Tante, die Herzogin Augusta von Mecklenburg-Güstrow, war mit ihrem Neffen am Harz in so engem Vertrauen verbunden, wie ihr königlicher Neffe. Daher ließ sie sich für ihr Witthum Dargun nebst den dazu gehörenden Gemeinden pietistische Geistliche aus Wernigerode kommen. Durch die Eifersucht der inländischen Geistlichen führte dies zu einem widerwärtigen Streite.

Auch bei des Grafen Einfluß auf England-Hannover ist seine kirchliche Tendenz, das Streben nach möglichst enger Verbindung der evangelischen Mächte [385] des Nordens und seine Rücksicht auf Preußen und Dänemark maßgebend. Helfer und Handhabe war ihm hierbei sein treuer frommer Freund Freiherr v. Münchhausen, als Leiter der hannöverschen Angelegenheiten. Von Wichtigkeit ist des Grafen erfolgreiches Bemühen um die Erhaltung des Friedens zwischen Hannover-England und Dänemark bei den sich kreuzenden Ansprüchen beider Mächte auf das Amt Steinhorst in Holstein im J. 1739. Am meisten Entsagung, Mühe und Rücksichten erforderte des Grafen Thätigkeit zu gunsten seines königlichen preußischen Oberlehnsherrn. Wie er deshalb die Annahme des dänischen Elefantenordens ablehnte, so that er 1742 ein gleiches bei der auch für ihn und seine Linie ausgesprochenen Verleihung der Reichsfürsten-Würde, die deshalb in ihrer Ausführung auf Gedern beschränkt blieb. Dem Könige Friedrich Wilhelm I. erwies er alle möglichen Aufmerksamkeiten, die stets dankbar erwidert wurden. Besonders ist hierbei die Besorgung großer Leute für das Heer des Königs hervorzuheben. Es wurden dadurch zuweilen wichtige Zwecke erreicht, wie die Herstellung freundlicher Verhältnisse zu Ständen des Reichs oder zur Krone Dänemark. Auch versah er den König fleißig mit Nachrichten aus Dänemark, Mecklenburg und Wernigerode und machte ihn auf neue, besonders militärische Einrichtungen und Erfindungen aufmerksam. Seinerseits war der König seinem aufrichtig geschätzten Vasallen sehr gewogen und erklärte wol, daß er auf des Grafen Vorstellungen allemal so weit als möglich reflectire. Mancher hat sich mit Erfolg des gräflichen Fürworts beim Könige bedient. Erwähnt zu werden verdient, daß der Graf, selbst ein großer Freund der Baukunst, die Schloß- und sonstigen Bau-Entwürfe des prachtliebenden Königs Christian VI. an Friedrich Wilhelm I. und die des letzteren an den ersteren übermittelte. Viel weiter reichte des Grafen Einfluß beim Könige in kirchlichen und Schulfragen, in denen letzterer längere Zeit des Grafen Rath einholte und befolgte; so bei dem Streit über die Wolff’sche Philosophie, beim Urtheil über bestimmte kirchliche Persönlichkeiten, besonders hinsichtlich reformirter Geistlicher, welche die allgemeine Gnade in Christo predigten. Bei dogmatisch-philosophischen Fragen bediente er sich des Rathes seines Hofpredigers Lau.

Wol mußte, als auf Preußens König dessen ganz anders gearteter Sohn Friedrich II. folgte, des Grafen persönlicher Einfluß in kirchlich-wissenschaftlichen und politischen Dingen ein Ende finden. Dagegen war sonst das Verhältniß des Königs, der schon als Kronprinz sammt seiner Gemahlin mit demselben in Briefwechsel gestanden hatte, zu dem letzteren das großer Werthschätzung, und der Graf ließ es an eifrigen Diensten, auch inbetreff geeigneter schöner Rekruten, nicht fehlen. Und wenn zwischen dem großen Kriegsfürsten und dem nur den Werken des Friedens sich widmenden Grafen ein unleugbarer Gegensatz bestand, so erkannte er doch sehr wol die hohe Bedeutung der Siege seines königlichen Herrn für die Erleichterung der evangelischen Glaubensgenossen gegenüber den römisch-katholischen Mächten. Ch. E. wetteiferte aber auch mit seinen Zeitgenossen in der Verehrung der Feldherrngröße seines Königs. Jahr für Jahr sammelte er sehr sorgfältig die Denkwürdigkeiten des siebenjährigen Krieges und in 25 Glückwunschschreiben bei Siegen und Friedensschlüssen feierte er Friedrich’s Erfolge, gewiß theils aus kluger Berechnung, aber der Ton dieser Schreiben, die im Greisenalter zuweilen noch jugendliches Entzücken bekundenden Worte beweisen, daß es doch von Herzen kam. Des Königs gnädiger und verbindlicher Dank erfolgte meist umgehend vom Feldlager aus. Uebrigens bewies der Graf in diesen Kriegen, die ihm 1757 auch eine französische Invasion brachten, sein Geschick in zuvorkommendem Verhandeln mit Freund und Feind so gut, daß die Lasten des Kriegs in der Grafschaft auf ein verhältnißmäßig geringes Maaß [386] herabgemindert wurden und der dankbare Magistrat von Wernigerode sich im J. 1758 gedrungen fühlte, seinem Herrn 4504 Thlr. als Beitrag zu den Kriegskosten zurückzuzahlen.

Mitten in seinem 81. Lebensjahre stand der Graf, der bei häufigen Krankheitsanstößen, die ihn schon in früheren Jahren trafen, doch stets eine solche Kraft des Geistes bewahrte, daß er dabei seine Aufgaben meist ohne wesentliche Störung verfolgen konnte, als der Tod ihn antrat. Obwol er seine Auflösung ganz nahe wußte, hatte er doch klaren Geistes mit ernstem Gedenken an sein und seiner Nachkommen Seelenheil noch damit begonnen, zu einem Erbauungsbuche die angezogenen Bibelstellen auszuschreiben, womit er nicht ganz zu Ende kam. Seinem Willen gemäß, der auch hier ganz mit dem seiner Mutter übereinkam, war das Begräbniß sehr einfach, aber geziert durch ein überaus reiches Gefolge, nicht nur von Angehörigen und Dienern, sondern auch von Unterthanen aus allen Kreisen sowie von Fremden. Obwol verschiedene seiner Vorfahren, wie ein Botho der Glückselige und dessen Sohn Ludwig, an Fleiß und Leistungsfähigkeit mit ihm wetteifern, so war es doch keinem vergönnt, trotz ausgedehnter allgemeiner Thätigkeit, so viel, so nachdrücklich, endlich auch so lange für seines Hauses und Landes Wohl und für allgemeinere Dinge zu schaffen, wie ihm. Die Geschichte, deren Pflege er sich selbst sehr angelegen sein ließ, hat die Pflicht, seiner im engeren heimathlichen, aber auch in weiterem vaterländischen und kirchlichen Kreise ehrend zu gedenken.

An dem vollen Bilde des Grafen würde aber doch etwas fehlen, wenn wir abgesehen von seinem Wirken als Regent wie als Freund und Berather von Königen oder für allgemeine kirchliche und wissenschaftliche Dinge nicht der von ihm in überaus reichem Maaße geübten Privatwohlthätigkeit gedächten. Der echt christlich humane Zug seines Wesens war ein so herrschender, daß er aus jedem der uns von ihm bekannten Bilder unverkennbar hervorleuchtet. Wenn Hülfe und Förderung suchende Personen aus verschiedenen Kreisen sich an ihn wandten, so schien es ihm ein inneres Bedürfniß, ihnen mit Rath und That zu helfen und der überaus reiche und wohlgeordnete Briefwechsel ist voll von köstlichen Beispielen dieser hohen christlichen und menschlichen Tugend. Als Ende Juni 1751 eine große Feuersbrunst einen großen Theil von Wernigerode, zwei Jahre später eine andere das Städtchen Elbingerode verzehrte, da schufen beide Heimsuchungen für ihn Gelegenheiten zur reichsten Entfaltung eines solchen Wohlthuns. Im ersteren Falle wurden fast drei Wochen lang die Abgebrannten der 190 Feuerstellen auf dem Schlosse mit Fleisch, Brot und Bier versorgt und er that auch sonst was nur in seinen Kräften stand, um den schwer geschädigten wieder aufzuhelfen.

Porträts des Grafen aus verschiedenen Lebensaltern finden sich besonders auf Schloß Wernigerode. Auch ist sein Bild auf dem großen Schwarzkunstblatt von Joh. Jac. Haidt zu dem Denkmahl der Treue Gottes (Leichenpredigt auf die Gräfin Marie Elisabeth zu Stolberg-Wernigerode), Halle 1741, Nr. 6 zu erwähnen.

Auszug aus einer größeren, nach handschriftl. u. gedruckten Quellen gearbeiteten Biographie u. einer die Jahre 1770-1772 u. den Grafen im allgemeinen behandelnden Arbeit (Wern. 1871, 434 S., 4°). Von Drucksachen kommen zunächst in Betracht: E. W. Förstemann, Graf Christian Ernst zu Stolb.-Wern. (Wern. 1868, sehr schätzbar, grundsätzlich mit Rücksicht auf die Umstände nur mit Hülfe bibliothekarischer Quellen). – L. Renner, Lebensbilder aus der Pietistenzeit (Abschnitt über Sam. Lau, Bremen u. Leipz. 1886). – H. L. Møller, Kong Kristian den sjette og grev Kristian Ernst af Stolberg-Wernigerode. København 1889.