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Artikel „Seydlitz, Johann August“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 102–103, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Seydlitz,_Johann_August&oldid=- (Version vom 11. November 2024, 11:55 Uhr UTC)
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Seydlitz: Johann August S., evangelischer Theologe, geboren am 8. Februar 1704 zu Crimmitschau, † am 22. Januar 1751 zu Kopenhagen. Von seiner Jugenderziehung und von dem Geiste des elterlichen Hauses haben wir zwar keine unmittelbare Nachricht, doch ist für beides wohl ein bedeutsames Zeugniß, daß der Sohn des Rectors Johann Caspar S. zu Crimmitschau im 17. Lebensjahre sich 1721 an den anerkannt tüchtigen, dem Pietismus zugewandten Professor Johann Franz Buddeus in Jena wandte, der ihn in sein Haus aufnahm und seine Studien mit besonderer Sorgfalt leitete. In diesem Hause wohnten mit ihm auch die jüngeren Docenten Rambach und Hildebrand, der erstere Bibelausleger, der letztere Orientalist und biblischer Repetent, deren Freundschaft und Unterricht für seine Entwicklung sehr förderlich waren. Fünf Jahre lang hatte S. in Jena den Studien eifrig obgelegen, als er 1726, erst 22 Jahre alt, von dem Obristen Bielsky als Hausprediger berufen, nach Esthland ging. Vorher begab er sich aber noch auf kurze Zeit nach Leipzig und Halle, wo er A. H. Francke und dessen Mitarbeiter kennen lernte, und machte dann eine Reise durch Niedersachsen, um die persönliche Bekanntschaft der tüchtigsten Geistlichen und Theologen dieser Gegenden zu machen. In den Ostseeprovinzen blieb S. mehrere Jahre und war in der Lage, die reichliche Muße, die ihm sein Amt ließ, gewissenhaft auf die ihm besonders am Herzen liegende Bibelforschung zu verwenden, wobei ihm der Verkehr mit dem Consistorialrath Mickwitz und dem Oberprediger Vierorth in Reval von großem Nutzen war. Im J. 1729 berief Graf Christian Ernst zu Stolberg-Wernigerode den 25jährigen zum Erzieher seines einzigen Sohnes, des Erbgrafen Heinrich Ernst, zugleich von dessen drei Jahre älterer Schwester Luise Christiane, und übertrug ihm auch die Aufsicht über die gräfliche Bibliothek. Daß S. aus so großer Entfernung nach Wernigerode berufen wurde, erklärt sich daraus, daß hier seit Juli und October 1728 zwei treue Anhänger von Buddeus, dessen Schüler Samuel Lau und sein jüngerer Amtsgenosse Liborius Zimmermann, als des Grafen geistliche Hauptrathgeber im Amte standen. Besonders dem letzteren war S. innig befreundet und nennt sich Zeugen seines Kampfes „beim Eintritt in die erste Buße“! Die mit treuer Seelsorge verbundene Unterweisung des Erbgrafen war bei dessen großem Vertrauen und Liebe zu dem Lehrer eine sehr dankbare und gesegnete. Bei Zimmermann’s Weggang und Lau’s Beförderung zum Hofprediger rückte S. Mitte 1731 in die Stelle eines Hofdiaconus ein, behielt daneben aber sein Verhältniß zum Erbgrafen und zur Bibliothek. Zwar ging Michaelis 1732 der junge Graf Heinrich Ernst mit Graf Christian Günther, dem Vater des Stolbergischen Dichterpaares, nach Halle zur Universität, S. blieb aber auch hinfort sein treuer Berather. In seinem öffentlichen Amte verband S. mit der Predigt fleißige und treue besondere Seelsorge. Die einfachen und klaren, stets die Hauptfragen des Christenthums in’s Auge fassenden Predigten behandeln die ganze Ordnung des Heils in Christo, ohne alles gelehrte Beiwerk. Ueberzeugter Vertreter des Pietismus vermied S. doch dessen gefährliche Abwege. Wir sehen dies besonders aus den Antworten, die er im J. 1731 auf ein paar Kernfragen dieser Glaubensrichtung ertheilte. Als damals nämlich Graf Christian Ernst von einer Reihe von Theologen, z. B. Lib. Zimmermann und J. J. Rambach, sich Erklärungen darüber erbat, ob man die Zeit der Bekehrung genau angeben könne und ob man im Bußkampf den höchsten Grad der Traurigkeit empfinden müsse, beantwortete er die letztere Frage entschieden mit Nein, denn Gott habe nach seiner Weisheit einem jeden Menschen das Maß der Traurigkeit bestimmt, daß ihm heilsam sei. Bei dem einen trete dieser Bußschmerz plötzlich ein, bei dem andern allmählich. Was den Zeitpunkt der Bekehrung betreffe, so sei diese, möge sie nun nach neutestamentlichem Ausdruck als eine innere Umwandlung des Sinnes, [103] oder nach alttestamentlichem als eine Heim- und Hinkehr zu Gott gefaßt werden, ein wirkliches und spürbares Ereigniß im Leben eines Menschen, das sich also auch zeitlich bestimmen lasse, nur müsse man nicht von Tagen und Stunden, sondern von einer Zeit und Periode der Bekehrung reden, denn diese geschehe nicht durch einen einmaligen plötzlichen Act, sondern durch wiederholte innere Thatsachen und Bewegungen. S. erfreute sich in Wernigerode des ganzen Vertrauens der ihm mit anvertrauten Gemeinde, besonders der Herrschaft, mit deren Beförderung er auch im J. 1735 mit dem Hoffräulein Christiane Charlotte v. Reinforth vermählt wurde. Aber bei der treuen Hingabe Graf Christian Ernst’s als Rath seines Neffen, des Königs Christian VI. von Dänemark, sah sich dieser doch veranlaßt, S. dem letzteren, zunächst als Stiftsprediger in Walloe, einer Stiftung der frommen Königin Sophie Magdalene, zu überlassen. Dies geschah im Frühjahr 1738, und zu Anfang des nächsten Jahres beförderte der König S. zum außerordentlichen Professor der Theologie und zu seinem Hofprediger, ein Amt, das er bis an sein Lebensende versah„ In seiner einflußreichen Stellung war S. eins der tüchtigsten Organe, welche bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts deutsches Geistesleben in den dänisch-norwegischen Landen verbreiteten und das Band der Gemeinsamkeit zwischen Deutschland und Skandinavien pflegten. Auch Graf Christian Ernst bediente sich seiner beim Verkehr mit dem Hofe. Als außerordentlicher Professor hielt S. keine Vorlesungen, aber er betheiligte sich bei der Büchercensur, bei der Bibelübersetzung und bei theologischen Bescheiden und Gutachten. In einem der letzteren erklärt er sich für den Taufzwang bei Kindern solcher Eltern, die sich thatsächlich und öffentlich von der evangelischen Kirche losgesagt und keiner anderen kirchlichen Gemeinschaft zugewandt haben. Solche Kinder seien vom Staate zu erziehen. Dagegen will er gegen Separatisten, die es aus geängstetem und zweifelndem Gewissen seien, alle mögliche Geduld und Sanftmuth bewiesen haben. Nur gegen offenbar boshafte, gottlos lebende Abtrünnige könne strenger vorgegangen werden. Die stattliche Reihe im Druck erschienener Predigten wurde stets auf besonderes Ansuchen von Freunden oder seiner Herrschaft veröffentlicht, denn litterarischen Ruhm suchte S. nicht darin. Alle diese Predigten wurden in deutscher Sprache gehalten, die von allen Gebildeten im Reiche verstanden wurde. Besonders wichtige übertrug man auch zur Belehrung und Erbauung weiterer Kreise in’s Dänische. Wie S. es in der zum 3. Advent 1741 zu Christiansburg gehaltenen Predigt selbst erklärt, ist Stern und Kern in allen die Hinweisung des Menschen zu dem gekommenen Weltheiland. Da seine zahlreichen Freunde eine umfassende Sammlung von Seydlitz’ Predigten wünschten, so begann er eine solche unter dem Titel „Evangelische Zeugnisse“ in seiner letzten Lebenszeit. In der Vorrede zu der bald nach seinem Ableben im J. 1751 erschienenen „Anderen Fortsetzung“ dieser Zeugnisse ist der Einfluß und die segensreiche Wirkung dieser Seydlitz’schen Predigten in Dänemark mit höchster Anerkennung hervorgehoben. Sein ganzes häusliches Leben und die Kindererziehung waren nach zuverlässigen Zeugnissen musterhaft. Von den Söhnen gelangte besonders der eine zu einer tieferen philosophischen Ausbildung und zu einer angesehenen Stellung in Dänemark. Nachdem seine erste Gemahlin am 4. October 1741 gestorben war, trat er am 7. August 1742 mit dem Fräulein Luise Gottliebe v. Kottwitz aus Vetschau in der Niederlausitz in eine zweite Ehe. Seine Beziehungen mit seiner deutschen Geburtsheimath, insbesondere auch mit Wernigerode, blieben bis an sein Ende lebhafte und waren erfolgreich für christliche Liebeswerke, auch für die Sache der Heidenmission.

Nach Seydlitz’ Schriften, den Acten des Fürstl. Archivs zu Wernigerode, sowie nach dänischen Schr., besonders Zwergius, det sjaellandske Cleresi S. 843.