ADB:Zimmermann, Liborius
Eustas. Friedrich Schütze damals wohl bestellte Lateinschule seiner Vaterstadt, dann bis Anfangs 1721, von deren Rector Boysen wohlwollend gefördert, die Domschule in Halberstadt. Z. hat uns selbst mit größter Offenheit seinen jugendlichen Entwicklungsgang bis zum Besuch der Hochschule geschildert und dabei so ehrlich und schonungslos die geheimsten Falten seines Wesens ans Licht gezogen, daß man darnach bei oberflächlicher Betrachtung in ihm einen zu Eitelkeit, Neid und Sinnenreiz geneigten Jüngling voraussetzen würde, wenn wir ihn nicht aus den Zeugnissen seiner Lehrer und aus den Früchten seiner Arbeit als einen sehr fleißigen, hoffnungsvollen und ernst gerichteten jungen Mann kennen lernten. Da seine Eltern ihm in allem, was den ihnen unbekannten Unterrichtsgang betraf, unbedingtes Vertrauen schenkten, so kam er zur Zeit der Unreife in Gefahr, diese freie Selbstbestimmung zu seinem Schaden zu mißbrauchen und erkannte später Gottes besondere Bewahrung darin, daß er hierbei nicht zu Schaden kam. Während sein eiserner Fleiß schnell weiter half, zumal als derselbe sich auf die nöthigsten Studien richtete, erleichterte er bei seiner besonders schönen Stimme und Tüchtigkeit im Gesange den Eltern schon in Wernigerode als Chorsänger die Kosten des Unterrichts, noch mehr aber in Halberstadt, wo er eine Freistelle im Convict des Domcapitels erhielt und sich auch in seiner geliebten Tonkunst weiter ausbilden [284] konnte. Durch seinen außerordentlichen Fleiß hatte er mit 18 Jahren die für den Besuch der Hochschule hinreichenden Vorkenntnisse erlangt. Von Kind auf schwebte ihm als Ziel seiner Studien der geistliche Lehrstand vor, womit seine ernst gerichteten Eltern, zu denen er eine treue Kindesliebe nährte, sehr einverstanden waren. Obwol ihm nun aber vom Elternhause her die kirchliche Sitte anerzogen war, er auch demgemäß des Gebets selten vergaß und vom 14. Jahre an am Sacramentsgenuß theilnahm, so fehlte es ihm doch an lebendigem innern Drang und Verständnisse. Besonders war ihm das pietistische Halle so widerwärtig gemacht, daß er sich nicht entschließen konnte, diese näher gelegene Universität zu besuchen. Er begab sich also nach Jena, wohin ihn am 9. April 1721 sein Vater selbst geleitete. Er zog mit wernigerödischen Landsleuten zusammen und hörte zunächst einen philosophischen Cursus bei Walch und den ersten Theil der theologischen Moral des Franz Buddeus. Ein Colleg des letzteren ließ er sich auf den Rath seiner Freunde freigeben. Er trieb dann auch morgenländische Sprachen bei Joh. Reinhard Rus und hörte Philosophisches bei Hamberger. Aber von der größten Bedeutung für ihn blieb doch das Licht des damaligen theologischen Lehrkörpers, Dr. Buddeus. Es war nun aber noch etwas ganz besonderes, was er in Jena neben dem ordnungsmäßigen akademischen Lehrgange erfuhr. Ohne die Folgen zu ermessen, welche dies für ihren Freund haben werde, führten seine Landsleute ihn besonderen Vorträgen zu, welche damals einige junge Magister hielten. Es war nämlich eine tiefe Bewegung unter den Jenenser Studenten entstanden, indem ein Theil von ihnen zu den Wittenbergern, d. h. zu den sogenannten altkirchlich Orthodoxen, die andern zu den Hallensern oder Pietisten hielten. Diese beiden Kreise sammelten sich um junge Magister, die theils in einem öffentlichen Lehrsaale, theils in ihren Wohnungen die Hörer um sich sammelten. Zu diesen letzteren wurde auch Z. geführt. Inwieweit seine Landsleute von dem, was sie hier sahen und hörten, berührt wurden, wissen wir nicht, umsomehr, daß er selbst leiblich und geistig aufs mächtigste davon ergriffen wurde. Bis dahin nur mit dem herkömmlichen mehr oder weniger unbewußten kirchlichen Wesen vertraut, hörte und sah er hier etwas ganz anderes und daß jenes kraftlose Wesen kein rechtes evangelisches Christenthum sei, daß vielmehr zum Eindringen ins Reich Gottes und der Gnade eine neue Geburt erforderlich sei, die nicht durch bloßen Kirchenbesuch, Abendmahlsgenuß und äußerlich ehrbaren Wandel, sondern durch ernste, tiefe und anhaltende Reue und Buße in unerschütterlichem Glauben durch Gottes Gnade zu Stande komme. Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen, und mit der ganzen Kraft seiner Natur zollte er dem, was er als recht erkannt hatte, seinen Beifall. Aber da er vorläufig nur seinen bisherigen Lebensweg als verfehlt erkannte, sich für verloren hielt und zu dem Trost des versöhnten Gewissens noch nicht durchdringen konnte, gerieth er in tiefe Schwermuth, enthielt sich zeitweise der Speise und des Tranks und war sowol körperlich als auch geistig aufs stärkste angegriffen, bis er endlich, wie es scheint durch Vermittlung des ein Jahr älteren J. Siegm. Ulitsch, den er bald nachher als seinen innigsten Freund und Herzensbruder bezeichnet, zur Gewißheit seines Heils- und Gnadenstandes durchdrang. Er empfand nun eine so maienfrische Seelenfreude, daß es ihm fühlbar vom Scheitel bis zur Sohle drang, eine Freude, die sein sangesfroher Mund auch in manchem geistlichen Liede ausströmte. Noch einmal verließ ihn diese Freude und es begannen erneute Seelenkämpfe, die um so ängstlicher waren, als er glaubte, seine frühere Freude sei Täuschung gewesen und ruhe nicht auf festem Boden. Schon wollte er halb verzweifelnd sich der reformirten Vorherbestimmungslehre zuwenden, besann sich aber und gewann endlich seine vorherige Freudigkeit zurück, die ihn hinfort auch trotz mancher [285] körperlichen Schwachheit nicht wieder verließ. Freunde, die später in Wernigerode mit ihm zusammen wirkten, waren „Zeugen dieser Noth, beim Eintritt in die erste Buße, wo er bis in den Tod rang und Gott, der ihn in seine Tiefen einhüllte, gekrümmt zu Fuße lag“. Als er die Kämpfe siegreich überwunden hatte und Friede in sein Herz eingekehrt war, hatte er lange an körperlicher Schwachheit zu tragen. Noch im Frühjahr 1725 krankt er daran, so daß er die Hoffnung aufgibt, den ihm so werthen akademischen Lehrberuf ergreifen zu können und sich entschließt, noch ein Jahr nach Halle zu gehn – das ihm nun nicht mehr widerwärtig war – und dann eine Informatorstelle zu suchen. Als er das seinem harzischen Landsmann und Studiengenossen A. G. Spangenberg, dem späteren Bischof der Brüdergemeinde, offenbarte, sprach dieser ihm theilnehmend Muth zu, trug die Sache auch sofort dem Professor Buddeus vor, in dessen Hause Z. wohnte. Und nun war es dieser verehrte Lehrer, der ihn zu beruhigen und zu bestimmen wußte, sich alsbald auf die Erwerbung der Magisterwürde vorzubereiten. Buddeus erkannte offenbar tiefblickend die Bedeutung, welche die Persönlichkeit dieses Schülers, der so außerordentliche geistliche Kämpfe durchgemacht hatte, als akademischer Lehrer haben müsse und ließ ihm alle Förderung angedeihen. In Z. aber entfaltete sich ein Dankgefühl innigster Art, dem er bei verschiedenen Gelegenheiten kräftigen Ausdruck geliehen hat. Noch im J. 1725 wurde der Magistergrad erworben. Z. schrieb eine umfangreiche Dissertation „De mundi existentis imperfectione“, die in bescheidener Weise Leibnizens Theodicee zu Gunsten der christlichen Moral einer Kritik unterzog. Er hielt dann Vorlesungen über alle Theile der Weltweisheit, dabei keine Formeln und todtes Wissen aufhäufend sondern die Philosophie nach ihrer ethischen Bedeutung in den Vordergrund stellend. Der Zulauf der studirenden Jugend zu seinen Vorlesungen war ein außerordentlicher. Als Magister durfte er öffentlich nur Philosophie vortragen. Da aber bei aller Liebe zur Weltweisheit Kern und Stern seines Strebens die Gottesgelahrtheit und der lebendige Glaube war, so richtete er besondere Erbauungsstunden und häusliche geistliche Vorträge ein, wobei er sich aufs liebevollste der einzelnen Studenten annahm, sie auch wol im Leiblichen unterstützte, wenn ihm Mittel zuflossen. Die Ausbreitung und der Erfolg seines Wirkens war nach dem Urtheil Siegm. Jak. Baumgarten’s in der kurzen ihm vergönnten Zeit seines Jenensischen Wirkens ein derartiger, daß er darin mehr Frucht schaffte als mancher ordentliche Professor sein ganzes Leben lang. Besonderes Aufsehen erregte eine öffentliche Disputation, die er 1728 von der Sittlichkeit der menschlichen Handlungen ankündigte. Da sie ausgesprochenermaßen gegen die damals in Jena herrschende mathematisch-mechanische Philosophie Christian Wolff’s gerichtet war, so erschien ein roher Haufe von Studenten und brüllte mit unaufhörlichem vivat Wolff, pereat Zimmermann die Andersdenkenden nieder. Gewiß mit gutem Recht hat letzterer sich moralisch als Sieger in diesem Streite angesehen. Mittlerweile hatte er aber erfahren müssen, daß auf die Dauer sein geschwächter Körper einer so aufreibenden ununterbrochenen Thätigkeit nicht gewachsen sei. Schon im April bis Anfangs Mai 1727 muß er in Wernigerode eine durchaus nothwendige Erholung suchen. Als er nun während dieser kurzen Wochen ein paar Mal auf Schloß Wernigerode predigte, machte er hier einen so gewaltigen Eindruck auf den Grafen Christian Ernst und dessen Gemahlin Sophie Charlotte, daß der Graf ihn dringend zum Hofcaplan und zum Erzieher seines einzigen Sohnes Heinrich Ernst begehrte und ihm eine Bestallung ausstellte. Aber der großen Aufgabe sich bewußt, die er in Jena noch zu lösen habe, fühlte Z. sich gedrungen, diesen Ruf abzulehnen, so gern er auch sonst seinem Landesherrn zu willfahren geneigt war. Und Buddeus, der am besten wußte, was Z. gerade [286] unter den obwaltenden Verhältnissen für Jena war, unterstützte seinen Schützling durch ein Schreiben an den Grafen, worin Zimmermann’s gesegnete bedeutsame Wirksamkeit nachdrücklich hervorgehoben war. Es ist höchst charakteristisch sowol für die Auffassungen des Grafen, als für die Bedeutung, die er der Persönlichkeit Zimmermann’s beimaß, daß er dem Buddeus einestheils zu zeigen suchte, wie er und die Seinen eines Mannes wie Z. bedürften, wie dieser auch dem Rufe seines Landesherrn zu folgen schuldig sei, anderntheils aber, wie die Erziehung eines Erbgrafen, der dereinst Land und Leute zu regieren und an größeren Höfen zu verkehren habe, von größerer Bedeutung sei, als die Einwirkung auf 200 bis 300 Studenten. Es gehörte die unerschütterliche Ueberzeugung von seinem akademischen Berufe dazu, daß Z. den dringlichen und innigen Bemühungen des edlen Grafen gegenüber fest blieb. So nahm er denn seine Thätigkeit in Jena wieder auf. Aber wieder muß er die Unzulänglichkeit seiner Körperkräfte erkennen und im Juni des nächsten Jahres abermals in seiner Vaterstadt Erholung suchen. Doch auch in seinem leidenden Zustande kann er seines hohen Berufs nicht vergessen: zu schwach, die Kanzel zu besteigen, redet er sitzend in einer Erbauungsstunde auf dem Schlosse anderthalbe Stunde von der Glückseligkeit der Kinder Gottes, wieder seine Hörer fesselnd, am meisten die Gräfin, der diese Andacht nur eine Viertelstunde zu dauern schien. Bei Zimmermann’s körperlichem Zustande konnte sich jetzt weder dieser selbst noch sein verehrter Gönner Buddeus der Einsicht verschließen, daß eine Fortsetzung seiner Thätigkeit in Jena nicht mehr möglich sei. So folgte er denn jetzt dem Rufe des Grafen, und zwar, da mittlerweile im Juli der Hofprediger Hahn mit Tode abgegangen war, als Hofprediger und Consistorialrath. Mit einer geistig gewaltigen Predigt über das apostolische Wort: ‚So sind wir nun Botschafter an Christi Statt‘ trat er am 10. October sein Amt an. Die Wirkung seines Worts und seiner geweihten Persönlichkeit war eine solche, daß die kurze Zeit seiner Wirksamkeit in Wernigerode als der hellste Frühlingstag des dortigen Pietismus bezeichnet werden muß. Schon zehn Tage nach seiner Antrittspredigt hat er seinem Freunde J. P. S. Winkler mit freudiger Bewegung ein Bild von dem hochwogenden geistlichen Leben gezeichnet, das nicht nur dem inneren sondern auch dem äußeren Auge spürbar in die Erscheinung trat und welches, wie hinzugesetzt werden darf, zwar nicht immer in dieser Gestalt sich erhielt, aber niemals einen Rückschlag erfuhr. Obwol er nun seiner nicht schonte sondern seines gesegneten Amtes mit Hingebung wartete, so wirkte doch die liebevolle Rücksicht, die man auf ihn nahm, die öfter ihm gegönnte Erholung auf Reisen, die freilich auch wieder zu Predigt- und Missionsreisen wurden, so vortheilhaft auf sein leibliches Befinden, daß es ihm nach 23/4 Jahren möglich schien, wieder an einer Universität zu wirken. Schon hatte er ein paar Rufe an andere Universitäten mit Rücksicht auf sein dankbares und gesegnetes Amt ausgeschlagen, als ein neuer an ihn herantrat, als Nachfolger des nach Gießen berufenen Rambach die Professur für praktische Theologie an der durch mehrfache Fälle hart betroffenen Universität Halle zu übernehmen. Wie nahe es auch dem Grafen ging, dem dringenden Ansuchen seines Oberlehnsherrn vermochte er nicht zu widerstehen und König Friedrich Wilhelm I. kam seinen Wünschen insoweit entgegen, daß Z. das Amt eines gräflichen Consistorialraths behalten und so oft es wünschenswerth erschien zur Erledigung der ihm in dieser Eigenschaft obliegenden Geschäfte nach Wernigerode reisen durfte. Und er hat neben fleißigem Briefwechsel von dieser Erlaubniß reichlich Gebrauch gemacht. Von seinen Briefen sind wol die merkwürdigsten die, welche er an die erweckte geistlich tief gegründete Gräfin Sophie Charlotte zu Stolberg-Wernigerode richtete. Trotzdem seine Kräfte sich in Wernigerode bedeutend gehoben hatten, war er [287] schon nach der zweiten Vorlesung nahezu zusammengebrochen. Um so bewundernswerther ist das, was er in Halle leistete. Er las, obwol nur für praktische Theologie berufen, auch über Dogmatik, Polemik und christliche Sittenlehre. Daneben richtete er auch besondere Erbauungs- und Glaubensstunden ein, die er Sonntag Nachmittags von 5–6 Uhr in seinem Hause hielt. Diese waren bei den Studenten so beliebt, daß sie sich untereinander zusammenthaten und ihn wol vorher daran erinnerten. Besonders wirksam waren auch seine Predigten. Da die Räume für die seine Vorträge Suchenden nicht ausreichten, so baute er einen größeren Hörsaal. Eine besonders nachhaltige Wirkung übte er auf seine Hausgemeinde, deren Mehrung ihm deshalb am Herzen lag. Eine gute Zahl von Zöglingen, worunter besonders der Erbgraf Heinrich Ernst zu Stolberg-Wernigerode zu nennen ist, nahm er bei sich auf. Schon dadurch sah er sich genöthigt, einen eigenen Hausstand zu gründen, was durch die bereits am 29. Mai 1731 erfolgte Vermählung mit der ihm gleichgesinnten Tochter des gräflich Promnitz’schen Hof- und Oberpredigers Martin Lange zu Christianstadt in der Lausitz, Dor. Luise (er nannte sie gern sein Wiesel) geschah. Beglückt über sein gesegnetes Wirken ruft er wol einmal aus: „Hallelujah, in Halle ist gut sein – aber noch besser der Seele, wo der Herr wohnt“ (3. Februar 1732 an Sophie Charlotte). Ueber sein Wirken schreibt er: „Ich kann täglich wohl sechs Stunden studieren, außer dem Lesen und Reden“. Es kann aber nicht wunder nehmen, daß ein so schwaches Gefäß, wie Zimmermann’s Körper war, nur für kurze Zeit solche Arbeit leisten konnte. Nach etwa zwölftägigem Krankenlager schied er am 2. April 1734 an einem hitzigen Fieber dahin, nachdem er bis ans Ende auf seine Umgebung, besonders seine Hausgemeinde, seelsorgerisch gewirkt hatte. Die Umstände und die Aeußerungen seiner letzten Stunden wurden fleißig aufgezeichnet. Wenige Tage vor seiner Auflösung hatte er bei großen Halsbeschwerden einen siegreich endenden geistlichen Kampf zu bestehen, da der Widersacher ihm den Trost der Rechtfertigung rauben wollte. Allgemeine Trauer herrschte unter der Studentenschaft, als die Todesnachricht sich verbreitete. J. Siegm. Baumgarten und Professor Aug. Gotth. Francke hielten die akademische Ehrenfeier und Leichenrede; in Wernigerode wurden Trauerandachten durch Sam. Lau und Aug. Seydlitz veranstaltet.
Zimmermann: Johann Liborius Z., evangelischer Theologe, geboren am 11. November 1702 zu Wernigerode, † in Halle am 2. April 1734. Als Sohn eines Weißbäckers Heinrich Z. und seiner aus Lennep im Bergischen stammenden Frau Anna Barbara Hölterhoff in bescheidenen Verhältnissen geboren, war er anfangs zum Handwerker bestimmt. Während er aber von Kind auf in praktischen Dingen ein auffallendes Ungeschick bekundete, wurden in ihm von Einsichtigen früh die Spuren besonderer geistiger Begabung entdeckt, so daß die treumeinenden Eltern sich entschlossen, ihn mit allen möglichen Opfern einer gelehrten Laufbahn zu widmen. So besuchte er denn bis 1719 die unter der Leitung des RectorsDa Zimmermann’s Wirksamkeit vor allen Dingen eine unmittelbar persönlich-praktische war, so ist um so mehr zu bewundern, was der sein Leben nur bis auf 31 Jahre und 7 Monate Bringende dabei litterarisch geleistet hat. Abgesehen von den erwähnten lateinischen Abhandlungen veröffentlichte er von philosophischen Schriften eine „Natürliche Erkenntniß Gottes, der Welt und des Menschen“ (Jena 1729, Vorrede, 800 S. Text und Register); einen „Kurtzen Abris einer vollständigen Vernunft-Lehre“ (Jena 1730). Außerdem bewahrt die Fürstliche Bibliothek zu Wernigerode von ihm sechs handschriftliche Bände philosophischen Inhalts: 1. Nexus totius philosophiae; 2. Meditationes in Ethicam et Jus Naturae; 3. Discursus in logicam; 4. einen als Metaphysica bezeichneten Band, mit der Metaphysik beginnend und mit Uebersichten über die verschiedenen Theile der Philosophie in Tabellenform; 5. Philosophiae singularumque illius partium prolegomena; 6. Ethica in Tabellenform, alle trotz der lateinischen Titel deutsch abgefaßt. Es sind Nach- oder Reinschriften von Studenten. – Trotz vielleicht nicht ganz so großen Umfangs sind von Zimmermann’s Schriften die weit wichtigeren seine Predigten und erbaulichen Abhandlungen. Schon 1731 ging man in Halle damit um, die bis dahin vorliegenden Predigten zu sammeln, doch blieb dieser Plan unausgeführt. Nach Zimmermann’s Tode gewann der Erbgraf Heinrich Ernst zu Stolberg-Wernigerode den Joh. Siegm. Ulitsch für eine Herausgabe der Zimmermann’schen Schriften und Briefe [288] nebst vorauszusendendem Lebenslauf. Daß auch diese lange verfolgte Absicht ebenfalls nicht zum Ziel gelangte, ist wol am meisten deshalb zu bedauern, weil Ulitsch abgesehen von den ihm aus Wernigerode zur Verfügung gestellten Hülfsmitteln schon eine ansehnliche Sammlung von Briefen beisammen hatte. Es kann hier auf Zimmermann’s bedeutende und gehaltvolle Predigten nicht näher eingegangen werden. Die packende Gewalt innigster Ueberzeugung und der dadurch bedingte Schwung der Rede wirken darin zusammen. Er selbst sagt wol einmal von einer in Halle gehaltenen sogen. „Singstunde“, daß ihm darin Gott den Geist mit Glaubensflügeln aufspannte. Selbstersonnene mystische Gedanken brachte er seiner Gemeinde nie zu Gehör. Um seine Ansicht von dem Zustande der Seele nach dem Tode befragt antwortete er: von den vielerlei Meinungen der verwirrenden Gelehrten wolle er nichts wissen; er halte sich einfach an das Wort des Herrn und der Apostel. Und wenn es nahe zu liegen schien, daß der Mann, der selbst so erschütternde Bußkämpfe erlebt hatte, diese Anderen zur Nacheiferung werde empfohlen haben, so war eher das Gegentheil der Fall, er warnt vor dem Vorwitz, solche hohen Anfechtungen zu suchen, da es ganz in Gottes Hand stehe, in welcher Weise er die Einzelnen führen wolle. Auch will er nicht, daß man sich die Abscheulichkeit der Sünde ausmale und dabei verweile; man solle auch böse Gedanken, die sich versuchlich regen in der Kraft des Glaubens in Ruhe wieder ausziehen lassen und sich Christo gläubig überlassen. Seine Studenten ermahnte er, Christum zu predigen, sonst könnten sie keinen Segen schaffen. Seine Predigten wurden eifrig nach- und abgeschrieben und gingen in Halle und auswärts, wenigstens in Wernigerode, wo ihrer eine größere Zahl handschriftlich oder im Auszuge erhalten ist, von Hand zu Hand. Nur auf einen einzigen seiner geistlichen Vorträge müssen wir um seiner besonderen Bedeutung willen etwas näher eingehen. Es ist die aus einer Erbauungsstunde in der wernigerödischen Hofgemeinde hervorgegangene und an das Richter’sche Lied: ,Es ist nicht schwer, ein Christ zu sein‘ angelehnte Betrachtung: „Die überschwengliche Erkenntniß Jesu Christi, als ein richtiger, leichter und seliger Weg zu einer wahren und lebendigen Kraft im Christenthum zu gelangen“. Das kleine Buch ist nun weit über anderthalb Jahrhundert ein Kleinod evangelischer Christen lutherischen und reformirten Bekenntnisses nicht nur in Deutschland, sondern auch bei andern Culturvölkern geworden, in deren Sprache es übertragen ist. Von der Reihe deutscher Ausgaben ist die neueste uns bekannt gewordene die von Ledderhose im J. 1891 veranstaltete. Für fremdsprachige Gelehrte erschien die Schrift, von J. H. G(rischow) übersetzt als Commentatio de eminentia cognitionis Jesu Christi (Halle 1749). Dann wurde der fromme und gelehrte James Hervey, Hauptbegründer der Christenthumsgeselischaft († 1758), der Z. sehr hochhielt, darauf aufmerksam und regte seinen Freund, den Theologen und Dichter Moyse Browne zur Uebersetzung ins Englische an. Diese erschien 1772 in London als The Excellency of the Knowledge of Jesus Christ. Gleiche Vorliebe für die Schrift hegte der holländische Geistliche und Ehrenprofessor J. J. Le Sage ten Broek in Rotterdam, auf dessen Veranlassung M. van Werkhoven dieselbe zehn Jahre später holländisch wiedergab als De uitnemendheid der kennisse van Jesus Christus (Amsterdam 1782), wozu Le Sage eine sehr rühmende Vorrede schrieb. Unabhängig davon gab im Jahre 1892 Prof. J. P. G. Westhof Zimmermann’s Abhandlung nochmals in neuer Uebertragung mit Einleitung heraus (De uitnemendheid der kennis van Christus Jezus). Noch haben wir von Z. sechzehn Lieder und Dichtungen erhalten. Acht geistliche Lieder erschienen seit 1735 in einer Reihe von Ausgaben des wernigerödischen Gesangbuchs, vier weitere in der Neuen Sammlung geistlicher Lieder (Wernigerode 1752), eines: „Ist doch der Fehler (urspr. des Falles) gar kein [289] Ende“ seit 1749 und bis auf unsere Zeit in den Stimmen aus Zion. Zu zweien seiner Lieder wurden besondere Weisen gedichtet (Jetzt ist mein Geist beschwert und Vollkommenheit ist unseres Geistes Ziel).
- Von älteren selbständigen Schriften über Zimmermann sind zu nennen: Siegm. Jak. Baumgarten’s Programma funebre in obitum J. Lib. Zimmermanni. Halae 1734, 4°, als Memoria Zimmermanni wieder gedruckt in Baumgarten’s Opuscula fascic. I. Halle 1740 und Sam. Lau, Wernigerödisches Denkmahl, darin das Gedächtniß … Joh. Libor. Zimmermanns … zum Segen und Exempel vorbehalten wird. Wernigerode (1734), 44 S. Fol. nebst Anlagen. – Eine umfangreiche Arbeit mit Benutzung des Archivs und der anderen Fürstlichen Sammlungen zu Wernigerode in Jahrg. 31 (1898) der Zeitschrift des Harzvereins für Gesch. u. Alterth.-Kunde S. 121–226 u. Zusätze in Jahrg. 32 S. 346–49.