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Artikel „Spener, Philipp Jacob“ von Paul Tschackert in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 35 (1893), S. 102–115, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Spener,_Philipp_Jakob&oldid=- (Version vom 28. März 2024, 15:29 Uhr UTC)
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Band 35 (1893), S. 102–115 (Quelle).
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Spener: Philipp Jacob S., Begründer des Pietismus, † 1705. Als durch den dreißigjährigen Krieg das sittliche und religiöse Leben in Deutschland verwüstet war, und die damalige lutherische Kirche ebensowenig wie die reformirte die Kraft besaß, neues Leben zu wecken, indem die anstaltlich organisirten Localkirchen sich nur mit der regelrechten Abhaltung des vorgeschriebenen öffentlichen Gottesdienstes und mit der Aufrechterhaltung der reinen Lehre begnügten: erhob sich durch Philipp Jacob S. innerhalb der lutherischen Kirche Deutschlands eine Geistesrichtung, welche unter Zurückstellung der organisirten Kirche und ihrer [103] reinen Lehre fromme Persönlichkeiten zu erwecken suchte. Diese Richtung ist bekannt als „Pietismus“, d. h. als diejenige Auffassung der christlichen Religion, wonach der Mensch als einzelner in einem privaten Verhältniß zu Gott und Christus gedacht wird und unter Gleichgültigkeit gegen die historisch erwachsene Kirche, gegen ihre Symbole und ihre Theologie, wie unter Verneinung der ihn umgebenden Welt und der weltlichen Wissenschaft diese seine asketische private Frömmigkeit zu seinem ganzen Lebenszwecke macht. Durch die damaligen Verhältnisse veranlaßt und aus ihnen durchaus begreiflich, mußte doch der Pietismus als völlig einseitige Form des Christenthums krankhaft werden und dem wissenschaftlich formulirten gesunden Menschenverstande der philosophischen und theologischen Aufklärung unterliegen. Zwar so lange der Urheber der pietistischen Richtung innerhalb des Lutherthums noch lebte, traten die krankhaften Erscheinungen und besonders die separatistischen Neigungen des Pietismus noch nicht offen hervor; umsomehr nach seinem Tode; doch hier beschäftigt uns nur das Lebenswerk Spener’s selbst.

S. wurde am 13. Januar 1635 zu Rappoltsweiler im Ober-Elsaß geboren, wo sein Vater Johann Philipp S., ein geborener Straßburger, Rath und Registrator des regierenden Grafen von Rappoltstein war. Das fromme Elternhaus, ferner Spener’s Pathin, die verwittwete fromme Gräfin Agathe von Rappoltstein, und der dortige ebenfalls tief religiöse Hofprediger Joachim Stoll, leiteten den gut veranlagten und religiös empfänglichen Knaben auf fromme Wege. Bis zu seinem fünfzehnten Jahre von Stoll vorgebildet, dann noch ein Jahr zu Colmar (wo Spener’s Großvater lebte) auf dem Gymnasium geschult, bezog der Jüngling 1651 die Universität Straßburg, wo ihn sein Oheim Rebhahn, Professor der Rechte, in sein Haus und an seinen Tisch nahm. Spener’s Sinn stand auf Theologie gerichtet. Um auf sie sich vorzubereiten, trieb er erst Philologie, Geschichte und Philosophie so eifrig, daß er schon 1653 in seinem achtzehnten Lebensjahre als Magister der Philosophie promovirte, nachdem er eine gegen Thomas Hobbes gerichtete Disputation de confirmatione naturae rationalis ad creatorem gehalten hatte. In der Theologie, welche er nunmehr seit 1654 als Fachstudium betrieb, gewann von da an der irenisch gesinnte und praktische Frömmigkeit pflegende Professor Konrad Dannhauer den wesentlichsten Einfluß auf ihn und bestimmte seine ganze spätere Geistesrichtung. Seit 1655 übte sich S. auch im Predigen, wie denn sein Sinn nicht sowol auf die Vermehrung wissenschaftlicher Kenntnisse, als vielmehr auf die Erhöhung lebendiger Frömmigkeit gerichtet war. Den Sonntag z. B. suchte er schon damals zu heiligen, nicht bloß durch Enthaltung von allen weltlichen Vergnügungen, sondern selbst von solchen theologischen Studien, die ihn zwar gelehrter, aber nicht frömmer gemacht haben würden. Um seine wissenschaftliche Bildung durch den Besuch anderer Universitäten zu erhöhen, begab er sich 1659 nach Basel, wo er den gelehrten Hebraisten Johann Buxtorf hörte; von dort ging er nach Genf und machte hier die Bekanntschaft des früheren katholischen Domherrn, jetzigen reformirten Predigers Johann v. Labadie. Der Einfluß Labadie’s, dessen Ideal die Herstellung eines apostolisch liebesinnigen Gemeinschaftslebens war, auf den für frommes Zusammenleben begeisterten Jüngling ist unleugbar; früher überschätzt, ist dieser Einfluß neuerdings unterschätzt worden. Zwar hat S. den begeisterten Asketen nur einmal in seinem Hause besucht; aber die Achtung vor Labadie hat er nie verleugnet, und das lebhafte Interesse für ihn bekundete er durch Uebersetzung seiner asketischen Schrift „von andächtigen Betrachtungen, wie solche christlich und gottselig angestellet und geübet werden sollen“, aus dem Französischen in das Deutsche (Frankfurt a. M. 1667 und später noch einmal in Berlin erschienen). Nach einem wechselnden Aufenthalte in Straßburg, Tübingen und wieder in Straßburg, [104] wurde er 1663, hauptsächlich auf Dannhauer’s Betreiben, dauernd an diese Stadt gefesselt, indem ihm eine Predigerstelle daselbst übertragen wurde. Da man ihn zugleich für Abhaltung von theologischen Vorlesungen in Aussicht nahm, folgte er 1664 dem Rathe seiner Freunde und promovirte als Doctor der Theologie an der dortigen Universität. Der Tag seiner Disputation wurde auch der Tag seiner Hochzeit; wenige Stunden vor dem Universitätsacte wurde er im Straßburger Münster mit Susanna Erhardt, der Tochter eines ehemaligen „Dreizehenders“ in Straßburg getraut. Nicht aus Neigung, sondern aus kindlichem Gehorsam gegen seine Mutter, die ihm hier Rath ertheilte, hatte er diese Ehe geschlossen; da aber beide Gatten sich aufrichtig achteten und einander ehrlich zu dienen beflissen waren, ist ihre Ehe eine durchaus glückliche geworden. In seiner eigenen Lebensbeschreibung (die sich bei seiner Leichenpredigt im Th. XIII der Leichenpredigten S. 191 und 192 befindet, excerpirt bei Hoßbach s. u. S. 95) berichtet S. selbst über seine Verheirathung, sein eheliches und Familienleben: für seine Heirath habe er „Gottes Güte so viel herzlichen Dank zu sagen, als er mir“, schreibt er, „eine solche Ehegattin bescheeret, die mich treulich liebet, mit Freundlichkeit begegnet und neben christlichem Gemüth und anderen Tugenden mit genugsamem Verstande der Haushaltung begabet, auch dazu wohl gezogen gewesen, also daß ich nicht nöthig hatte, mich der Haushaltungssorgen im geringsten anzunehmen, sondern durfte solche gesammte Last sammt der Kinderzucht, darin sich auch an Vorsichtigkeit und Ernst nichts mangeln ließ, auf sie und in diesem Letztern zugleich auf die Praeceptores ankommen lassen, so mir wol eine der vornehmsten Erleichterungen meines Lebens und Amts, dabei mir die sonst gewöhnliche Aufsicht der Haushaltung eine allzuschwere Last würde gewesen sein, worden ist. So zierte sie auch mein Amt mit einem solchen eingezogenen Wandel, daß dasselbe von ihr keinen Nachtheil hatte.“ Spener’s Ehe war mit elf Kindern (6 Söhnen und 5 Töchtern) gesegnet, von denen fünf vor dem Vater starben, die andern aber alle zu seiner Freude heranwuchsen und geachtete Lebensstellungen erhielten. Soviel von Spener’s häuslichen Verhältnissen; folgen wir ihm in seinem Berufe weiter, so finden wir ihn 1666 in Frankfurt am Main, wohin er (ohne sich beworben zu haben, weil dies seinem Grundsatze widersprochen haben würde) als Senior der dortigen Geistlichkeit berufen worden war. Im 31. Lebensjahre stand er so ohne sein Zuthun an einer leitenden Stelle in einer der ersten Reichsstädte Deutschlands, und volle zwanzig Jahre hat er diese Stelle, wohin von nah und fern die Blicke vieler Zeitgenossen sich richteten, innehaben dürfen. Hatte man ihn in jungen Jahren auf einen so hervorragenden Posten berufen, so mußte der Rath der Stadt Großes von ihm erwartet haben. Das hat er nun in der That geleistet, aber wol in anderer Weise als die Mehrzahl der Zeitgenossen von ihm erwartet haben mochte.

Am 20. Juli 1666 war S. in Frankfurt eingezogen. Bei seiner auf die Erhöhung der Frömmigkeit gerichteten Art schwebte ihm in der damaligen allgemeinen Verrohung der Sitten als Ziel seines Wirkens die Weckung persönlichen, in heiliger Liebe thätigen Glaubens vor, eines Glaubens also, der sich nicht in falsche Sicherheit wiege, sondern sich in Werken der Liebe darstellen müsse. Zu diesem Zwecke gestaltete er zunächst seine Predigten höchst einfach und verständlich, um das göttliche Wort ohne den Ballast der damaligen Schultheologie auf die Hörer wirken zu lassen, und nicht ohne Absicht hielt er am 1. August 1666 seine erste Predigt vor seiner Gemeinde über die Worte Röm. 1 16. „ich schäme mich des Evangelii von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“ Im Anschluß an Johann Arndt predigt er da vom göttlichen Worte: „hindern wir’s selbst nicht, so fehlet’s nicht; das Wort wirket das Seinige. Es ist kräftig und lebendig an sich selbst; [105] soll es aber dir nützen, so muß es auch, wie der selige theure Mann Arndt oft zu reden pflegte, in dir lebendig werden, gleich als ein Korn … in gutem Acker gleichsam wieder lebendig wird, das in untauglichem Acker erstirbt und alsdann todt bleibet.“ Diese Predigt ist der Typus aller seiner folgenden Predigten und dadurch ein Denkstein in der Geschichte der Predigt innerhalb der lutherischen Kirche überhaupt geworden, obgleich S. selbst die Wissenschaft der Homiletik weder gehört noch studirt hatte (Hoßbach S. 106); er wurde der Begründer einer „neuen freien, durch keine dogmatischen Satzungen eingeengten, glaubensvollen Verkündigung des göttlichen Wortes. Mit peinlicher Gewissenhaftigkeit arbeitete er seine Predigten aus, pflegte darauf jede, ehe er sie hielt, dreimal durchzulesen und sie dann auf der Kanzel frei vorzutragen. Der rein biblische Charakter seiner Predigten trat noch durch eine andere von ihm getroffene Einrichtung hervor. Gemäß der in Frankfurt geltenden lutherischen Kirchenordnung hatte er regelmäßig über die evangelischen Perikopen zu predigen. Da durch diese Ordnung nicht bloß er selbst als Prediger sich beengt fühlte, sondern auch die Gemeinde nicht mit dem vollen Inhalte des göttlichen Wortes bekannt gemacht wurde, so kam er auf den Ausweg, jeder eigentlichen Predigt ein Exordium vorauszuschicken, in welchem er bald Stück für Stück ganze biblische Bücher im Zusammenhange den Hörern erklärte; und da er es in der eigentlichen Predigt selbst stets auf erbauliche Erklärung des Textes absah, so mußten seine regelmäßigen Zuhörer dadurch tief in die heilige Schrift eingeführt werden. (Einen im J. 1677 so gehaltenen Jahrgang von Predigten gab er unter dem Titel „Des thätigen Christenthums Nothwendigkeit und Möglichkeit“ 1678 im Druck heraus.) Ein zweites Mittel, den Zustand seiner Gemeinde zu heben, wurden seine katechetischen Bemühungen. Wol waren öffentliche Katechismusübungen längst in Frankfurt üblich; aber sie pflegten schlecht besucht zu werden und blieben deshalb wirkungslos. S. erfüllte sie mit neuem Leben und gab, da sie sich in Frankfurt vorzüglich bewährten, auf den Wunsch christlicher Freunde den gesammten Inhalt seiner Katechismusvorträge 1677 unter dem Titel „Einfältige Erklärung der christlichen Lehre nach der Ordnung des kleinen Katechismus Lutheri“ in die Oeffentlichkeit, ein Werk, das als katechetisches Lehrbuch die ausgezeichnetste Aufnahme in Deutschland fand und noch gegenwärtig verbreitet wird. Im Zusammenhange mit diesen Bemühungen steht die von S. betriebene Einführung der Confirmation in der lutherischen Kirche, ein Act, der bei den Lutheranern den Sinn hat, daß junge Christen, ehe sie erstmalig zum Genuß des Abendmals zugelassen werden, erst in ihrem Glauben gehörig unterrichtet und durch freiwillige Ablegung ihres Glaubensbekenntnisses in ihrem Taufbunde „bestärkt“ (confirmirt) werden sollen. So hat auch der kirchliche Jugendunterricht durch S. ganz neue Nahrung bekommen. Beiderlei Arbeiten, die biblische Predigt und der katechetische Unterricht, bewegten sich im Rahmen der bisherigen kirchlichen Ordnungen; über diese selbst aber schritt S. hinweg, als er in Frankfurt 1670 die Collegia pietatis errichtete.

War von Anfang an Spener’s Thätigkeit in allen ihren Beziehungen auf Erweckung eines lebendigen Christenthums ausgegangen, hatte er den todten Mundglauben bekämpft und auf innere Heiligung wie auf deren Bewährung in thätigem Christenthum gedrungen, so mußte es ihn mit Freude erfüllen, als unter dem Eindruck einer von ihm am 6. Sonntage nach Trinitatis 1669 gehaltenen Predigt über das Sonntagsevangelium von der falschen Gerechtigkeit der Pharisäer eine Anzahl seiner Zuhörer in bußfertiger Gesinnung den Entschluß faßte, nach der Gerechtigkeit zu trachten, die vor Gott gelte; hier und da traten in einzelnen Häusern heilsbegierige Seelen Sonntags Nachmittags zusammen, um die am Tage gehörte Predigt zu wiederholen, einen Abschnitt der Bibel mit [106] einander zu lesen und sich gegenseitig zur Frömmigkeit zu ermuntern. Da S. die Besorgniß hegte, daß solche Versammlungen ohne Leitung eines Geistlichen leicht ausarten könnten, so erbot er sich selbst, daran theil zu nehmen und gab zur Abhaltung derselben sein eigenes Studirzimmer her. Dies geschah im August 1670 und wurde der Anfang der alsbald viel genannten „Collegia pietatis“. Mit wenig Theilnehmern begonnen, erweckten sie bald solches Interesse, daß sich an den beiden Versammlungstagen, Montags und Mittwochs, Menschen aller Stände und beiderlei Geschlechts einfanden. Die meisten hörten zu; es sprachen gewöhnlich nur studirte Männer; die weiblichen Theilnehmerinnen saßen so, daß sie von den Männern nicht gesehen werden konnten und mußten zuhören. Nachdem S. die Versammlung mit einem Gebet eröffnet hatte, legte er in den ersten Jahren erbauliche Bücher, seit 1675 aber nur das Neue Testament der Unterhaltung zu Grunde, welches letztere dann capitel- und versweise erklärt und besprochen wurde, alles zu dem Zwecke, persönliches, glaubensvolles und werkthätiges Christenthum in den Theilnehmern zu erwecken und zu pflegen. Ohne selbst den Reformator spielen zu wollen, that er dies alles mit der bewußten Absicht, auf diese Weise der Kirche von innen heraus zu einem lebendigen Christenthum zu verhelfen, denn nicht von außen oder von oben her, nicht von Fürsten oder Obrigkeiten werde die der damaligen Kirche nothwendige Reform zu theil werden, sondern kommen werde sie, wenn fromme und kirchliche Theologen an vielen Orten in gleichem Sinne wirken würden. (Theol. Bedenken Th. III, S. 115, wo er die „Hof- und Regimentsteufel des Fürsten dieser Welt an hohen Orten“ als Hindernisse des Reiches Gottes anführt.) Als sich daher für S. eine Gelegenheit bot, sich über seine reformatorischen Arbeiten näher auszusprechen, glaubte er mit seinen Gedanken nicht länger zurückhalten zu sollen. Im J. 1675 mußte S. nämlich Johann Arndt’s Kirchenpostille neu herausgeben; in der Vorrede dazu schüttete er sein ganzes Herz aus. Diese seine Worte wirkten so, daß sie noch in demselben Jahre als besondere Schrift erschienen; so führen sie den Titel „Pia desideria oder herzliches Verlangen nach gottgefälliger Besserung der wahren evangelischen Kirche sammt einigen dahin einfältig abzweckenden christlichen Vorschlägen“. Ursprünglich deutsch verfaßt, ist die kleine Schrift seit 1676 auch öfter lateinisch erschienen. Sie war eine kirchengeschichtliche That. Denn Spener’s Worte fuhren zahlreichen Geistlichen in das Gewissen, so daß sich seitdem an vielen Orten Deutschlands ähnliche „Collegia pietatis“ zusammenthaten wie in Frankfurt. So war also der „Pietismus“ als geistige Richtung ins Leben getreten; zunächst allerdings nur in der Form von „ecclesiolae in ecclesia“, zur Belebung der erstorbenen Gesammtkirche von kleinen Brennpunkten geistlichen Lebens aus, alsbald aber auch behaftet mit allen Krankheiten des Conventikelthums und des Separatismus, an welche zwar S. nicht gedacht hatte, welche sich aber nach seinen eigenen Voraussetzungen schwer abweisen ließen. Bei der monumentalen Wichtigkeit der „Pia desideria“ müssen wir auf ihren Inhalt näher eingehen. (Zu Grunde gelegt wird hierbei die Ausgabe „Pia desideria oder Hertzliches Verlangen etc. Ph. J. Spener’s.“ Frankf. a. M. 1680 in 12°.) Um den von ihm gewünschten herrlicheren Stand der Christenheit herbeizuführen, empfiehlt S. erstens (a. a. O. S. 94) „das Wort Gottes reichlicher unter uns zu bringen“, zweitens „die Aufrichtung und fleißige Uebung des geistlichen Priesterthums“ (S. 104), drittens den Leuten wohl einzuprägen, „daß es mit dem Wissen in dem Christenthum durchaus nicht genug sei, sondern daß es vielmehr in der praxi bestehe“ (S. 110), viertens auf ein christlich liebevolles Verhalten in schwebenden Religionsstreitigkeiten hinzuarbeiten (S. 113 ff.). Statt zu disputiersüchtiger Streittheologie sollen daher die jungen Theologen auf den Universitäten zu einfältiger Schrifttheologie erzogen werden [107] (S. 126 ff.), damit sie im kirchlichen Amte ihre Predigten insgesammt dahin richten, daß in den Zuhörern der innere oder neue Mensch genährt werde, in welchem unser ganzes Christenthum bestehe, der neue Mensch, dessen Seele der Glaube und dessen Wirkungen die Früchte des Lebens seien (S. 151 ff.).

Sollte in Anlehnung an diese Wünsche Spener’s die christliche Gemeinde zu neuem Leben gebracht werden, so erwies sich als dringend empfehlenswerth, daß ihr an der Leitung ihrer eigenen Angelegenheiten ein thätiger Antheil gewährt würde. Daher sah sich S. dazu gedrängt, sein Augenmerk auf die gänzlich mangelhafte Verfassung der lutherischen Kirche zu richten und hier Reformen anzustreben. Zu Spener’s Zeiten waren die Gemeinden kirchlich rechtlos; die staatliche Obrigkeit und die Geistlichkeit hatten allein das Kirchenregiment in Händen; der dritte Stand war zur Passivität verurtheilt; wo sollte da in den Gemeinden kirchliches Interesse herkommen. Diesen Zustand beklagte S. oft und tief und wünschte in allen Gemeinden zur Repräsentation des dritten Standes im Kirchenregiment die Einführung von Presbyterien oder Collegien der Aeltesten (Gemeindevorsteher), welche den Predigern in der Seelsorge und Aufsicht über die Gemeinde zur Hand gingen und zwischen ihnen und der Gemeinde stets eine lebendige Vermittlung bildeten (Letzte theol. Bedenken Th. I, S. 575 ff.; Hoßbach a. a. O. I, S. 187 ff.). Blickt man zurück auf die Anfänge der Reformation Luther’s, welcher in seinen reformatorischen Grundgedanken die urchristlichen Rechte der Gemeinde wieder ans Licht gestellt hatte; erwägt man, daß der Augsburger Religionsfriede das Recht zur Reformation nicht den Gemeinden, sondern den „Ständen“, den Obrigkeiten zusprach und so einen von ursprünglich reformatorischem Denken abweichenden Rechtszustand schuf: so wird man in Spener’s Auffassung ein Einlenken in genuin-lutherische Grundgedanken finden und in seinen kirchenrechtlichen Vorschlägen eine gesunde Fortführung der ursprünglich reformatorischen Gemeindeverfassung anerkennen. An eine Befolgung seiner Mahnungen war aber damals noch nicht zu denken; weder die Obrigkeiten noch der geistliche Stand war dazu willig; erst in unserer Zeit ist, seit den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts, in deutschen evangelischen Landeskirchen verwirklicht, was S. für nöthig erachtet.

Neben diesen Bestrebungen principieller Art beschäftigte ihn in Frankfurt die Stellungnahme zu Zeitereignissen, durch welche die kirchlichen Kreise damals tief erregt wurden. Die Universitätstheologen Norddeutschlands führten damals um Calixt’s „Synkretismus“ heftigen Streit; der Helmstedter Calixt hatte, um die Streitsucht der Theologen zu mindern und die getrennten christlichen Kirchen einander näher zu bringen, die Theologie auf die Tradition der alten Kirche der ersten fünf Jahrhunderte gestellt, dadurch aber das innere Recht und die wesentliche Eigenthümlichkeit der Reformation nicht genügend geachtet; die Wittenberger Lutheraner hatten dagegen das Erbe Luther’s als unantastbares Gut gewahrt, aber darüber das evangelische Christenthum in eine scholastische Theologie umgewandelt, wonach selbst die Bibel unter den Buchstaben der lutherischen Symbole gebeugt wurde. In diesen Streit sich zu mischen, hatte S. für seine Person kein Bedürfniß; aber bei dem Ansehen, welches er genoß, war es nicht zu umgehen, daß er sich gelegentlich über den schwebenden Streit äußern mußte. Dies geschah auf eine Aufforderung des Herzogs Ernst des Frommen hin, der 1670 von dem Frankfurter Kirchen-Ministerium darüber ein Bedenken zu erhalten wünschte. Mit gesundem Urtheil hat S. bei dieser Gelegenheit die Verdienste, aber auch die Fehler beider Richtungen besprochen: unter dem Ausdruck seiner Hochachtung vor Calixt erklärt S. doch die von ihm eingeführten Neuerungen in ihren letzten Consequenzen für gefährlich für die Kirche, tadelt aber auf der anderen Seite an den orthodoxen Theologen, daß sie über ihrem Eifer für Aufrechterhaltung [108] der reinen Lehre die Heilung der inneren Wunden der Kirche vernachlässigen. (Letzte Bedenken III, S. 12 ff., Hoßbach a. a. O. S. 195 ff.)

Ergab sich als Wirkung der synkretistischen Theologie auf manchen Seiten, besonders an Fürstenhöfen, die Geringschätzung der Unterschiede zwischen Katholicismus und Protestantismus, so wird es nicht Wunder nehmen, daß die römische Kirche diese Stimmung auszunützen und für sich Propaganda zu machen suchte. Als Unterhändler der darauf zielenden Unions-Verhandlungen fungirte der Bischof Spinola von Wienerisch-Neustadt, der mit Molanus und Leibnitz Unionspläne austauschte, und bekannt ist, daß sich später auch Bossuet an diesem Werke betheiligte. Spinola hat auch S. in Frankfurt besucht; aber dieser ließ sich auf keinen Ausgleich mit dem klugen Emissär ein, weil er der römischen Kirche keine aufrichtige Unionsgesinnung zutraute. Mußte er doch gerade in ihr das Gegentheil von dem sehen, was er erstrebte, statt der Pflege des inneren Christenthums, der Betheiligung der Gemeinde an der Leitung ihrer eigenen Interessen, der Duldsamkeit, wo immer nur noch ein innerer Zusammenhang des Menschen mit Christus vorhanden ist, gewahrte er in der römischen Kirche einen meist rein äußerlichen Mechanismus der Religion, Glaubenszwang, Werkheiligkeit, Unduldsamkeit, und ihren wahren Geist offenbarte sie eben, als in Frankreich durch Aufhebung des Edicts von Nantes (1685) die grausamste Verfolgung über die dortigen Reformirten hereinbrach. Da erschien ihm die römische Kirche als das Babel der Apokalypse, und laut und nachdrücklich warnte er vor allen Unionsversuchen mit ihr, weil durch sie der evangelischen Kirche nur Schaden erwachsen müsse. „So lange Rom oder die römische Kirche, was sie ist, nämlich antichristisch, bleibt und also die Clerisei mit dem Papst die antichristische Gewalt für sich behauptet, und die Uebrigen dieselbe ihr zugestehen, so lange ist keine Möglichkeit der Vereinigung, noch sind wir zu derselben verbunden“ (Bedenken I, S. 114; Hoßbach I, 209). In diesem Sinne verfaßte er „eine der bedeutendsten Streitschriften gegen die Papisten“ unter dem Titel „Die evangelische Glaubensgewißheit“ (1684 zum Theile vollendet; abgeschlossen später zu Berlin unter dem Titel „Der wahre und selig machende Glaube nach seiner Art, wie er ohne gottseliges Leben nicht sein könne“; vgl. Hoßbach I, S. 211).

Nahezu zwanzig Jahre hatte S. in Frankfurt mit voller Befriedigung gearbeitet, als ihn ein Ruf nach Dresden traf. Der damals regierende Kurfürst Johann Georg III. war auf einer Reise durch Frankfurt auf ihn aufmerksam geworden, hatte ihn predigen hören, hatte auch bei ihm communicirt und ihn bei dieser Gelegenheit für seine Oberhofpredigerstelle in Dresden in Aussicht genommen. Noch galt damals Kursachsen, weil es die Wiege der Reformation gewesen und weil seine Kurfürsten das lutherische Bekenntniß vertheidigt hatten, als das vorzüglichste evangelische Land, und von der Dresdener Oberhofpredigerstelle konnte ein sehr weiter Einfluß nicht bloß in das sächsische Land, sondern in das ganze Gebiet des lutherischen Protestantismus ausgehen. Nachdem S. in dieser Vocation einen „göttlichen Ruf“ erkannt hatte, nahm er sie bereitwillig an; in welchem Geiste dies geschah, verdient besonders bemerkt zu werden, denn sein Annahme-Schreiben, das er an den Kurfürsten richtete, bezeugt nicht bloß seine Bescheidenheit, sondern auch seinen evangelischen Mannesmuth – bei dem Eintritt in eine höfische Stellung doppelt bemerkenswerth. S. versprach darin, den ihm anvertrauten Functionen mit Treue, Fleiß und Sorgfalt obzuliegen, lebt aber auch „der getrosten Zuversicht“, daß der Churfürst ihm die „aus göttlichem Rechte“ fließende „Freiheit, das Wort des Herrn getrost und nach der Wahrheit im Gesetz und Evangelio zu treiben“ vergönnen werde (Bedenken III, 692, vgl. Hoßbach I, 218). Mit dieser Gesinnung trat er in sein neues Amt; nachdem er am 16. Juni 1686 in Frankfurt seine Abschiedspredigt gehalten [109] hatte, predigte er am 11. Juli darauf zum ersten Male in der kurfürstlichen Hofcapelle zu Dresden.

Aber die Hoffnungen, mit welchen S. in seinen neuen Wirkungskreis eingetreten war, erfüllten sich nicht, denn der schlüpfrige Boden des Dresdener Hofes war für einen Mann von seiner Frömmigkeit und seinem Freimuth keine geeignete Stätte. Zwar gelang es ihm, im Interesse evangelischer Erbauung der Gemeinden einige für Kursachsen recht wichtige Neuerungen durchzusetzen, so die Einführung einer obligatorischen Katechismuslehre, welche durch einen Landtagsbeschluß allen Pfarrern aufgegeben wurde; der Katechismusunterricht zur Vorbereitung der Confirmation, welche sporadisch schon im 16. Jahrhunderte in einzelnen evangelischen Landeskirchen vorkam, wurde seitdem mit der Confirmation selbst eine allgemein verbreitete kirchliche Einrichtung im evangelischen Deutschland. Auch muß es auf Spener’s Einfluß zurückgeführt werden, daß jetzt in Leipzig, um einen religiös vertieften Predigerstand vorzubilden, Versuche zur Umgestaltung des theologischen Studiums ganz im Geiste seiner Pia Desideria gemacht wurden; es waren dies die kirchengeschichtlich epochemachend gewordenen Collegia philobiblica der Magister Francke, Anton und Schade zu Leipzig, erbaulich praktische Vorlesungen, wie S. sie sich gedacht hatte. Aber gerade sie waren es, welche neben Spener’s eigenem Auftreten eine solche Mißstimmung gegen ihn in Sachsen hervorriefen, daß er auf einen gegebenen Anlaß hin aus seiner Stellung weichen mußte. Der Hergang gestaltete sich folgendermaßen. Auf Anregungen, welche von S. ausgegangen waren, hatten (schon vor seiner Ankunft in Dresden) auf der Universität zu Leipzig zwei Privatdocenten der Theologie, die Magister August Hermann Francke und Paul Anton, zu denen sich noch Johann Caspar Schade gesellte, an einem Sonntage nach der Nachmittagspredigt ein Collegium zu erbaulicher Erklärung der heiligen Schrift aus den Grundsprachen eröffnet, ganz im Geiste Spener’s legten sie dabei den Nachdruck nicht auf theoretische Ausdeutung des Schriftsinnes, sondern auf die eigene Erbauung und auf die Heiligung des Lebens. Da diese Einrichtung unerwarteten Anklang fand, setzten sie die Vorlesungen sonntäglich je zwei Stunden lang in der Art fort, daß in der ersten Stunde ein Capitel aus dem alten, in der zweiten eins aus dem neuen Testamente philologisch erklärt und praktisch angewandt wurde. So entstand das „Collegium philobiblicum“, wie seine Begründer selbst es nannten, und S., welcher im April 1687 einem solchen Colleg in Leipzig beiwohnte, sprach nicht bloß über diese Einrichtung seine Freude aus, sondern gab auch Rathschläge zu weiterem gründlichen Studium der Bibel (Cons. Lat. III, 696 sqq., Hoßbach I, 317), und einer der Begründer dieser Vereinigung, der Magister Francke, war im Januar und Februar 1689 Gast im Hause Spener’s zu Dresden, wo er sich in dessen Geist so innig einlebte, daß er wenige Jahre darauf in Halle dem Pietismus seine pädagogische Aufgabe stellen und lösen konnte. Die Leipziger theologische Facultät, welche fast gerade so wie die Wittenberger die lutherische Orthodoxie vertrat, setzte die Unterdrückung der Collegia philobiblica durch. Wie sich der aufgeklärte junge Jurist Thomasius des guten Rechtes der Pietisten annahm, dafür aber in das kurbrandenburgische Gebiet nach Halle flüchten mußte, wie die angefeindeten theologischen Magister Leipzig verließen, wie im Zusammenhange mit dieser Bewegung die Stiftung der Universität Halle vorbereitet wurde, wird unten näher zu beleuchten sein; hier sei nur erwähnt, daß durch den Sieg der beiden sächsischen Theologenfacultäten über den Pietismus Spener’s Einfluß in Sachsen aufs empfindlichste getroffen wurde; galt er doch als Urheber eines gegen die lutherischen Bekenntnißschriften und gegen die bestehende lutherische Kirche selbst gleichgültigen oder gar feindlich gestimmten Asketismus; und da gleichzeitig auch in Hamburg pietistische Streitigkeiten [110] unter der Geistlichkeit ausgebrochen waren, so trafen ihn jetzt litterärische Anfeindungen schroffster Art. Diesen Umständen verdankt seine bedeutende Vertheidigungsschrift „Die Freiheit der Gläubigen von dem Ansehen der Menschen in Glaubenssachen“ 1691 ihre Entstehung. Der Glaube des Christen, so führte er hier aus, ruht unmittelbar auf der im Worte Gottes vorhandenen Offenbarung, sofern es von dem Leser als das wahre Wort Gottes erkannt und ihm in seinem Herzen durch den Geist Gottes als solches versiegelt sei, keineswegs auf dem Ansehen irgendwelcher vermittelnder Instanzen, seien es die Apostel, die Kirche oder der Predigerstand. Zu diesen pietistischen Streitigkeiten, welche S. schwere Sorgen bereiteten, kam im J. 1689 ein persönliches Erlebniß peinlicher Art. Bei Gelegenheit eines Bußtages im Februar dieses Jahres hatte er (nach dem Beispiele seiner Vorgänger im Amte) in seiner Eigenschaft als Beichtvater dem Kurfürsten über den Zustand seines Gemüthes und seines Lebens bescheidene, aber ernste Vorstellungen gemacht, in welchen indeß der Fürst eine respectwidrige Ueberhebung seines Hofpredigers erblickte (Hoßbach I, 352). Da er aus seiner Ungnade gegen S. vor seiner Hofgesellschaft kein Geheimniß machte, so mußte dieser von da an täglich auf seine Amtsentlassung gefaßt sein. Doch verfuhr der Kurfürst wenigstens insofern noch glimpflich mit ihm, als er sich nicht dazu hinreißen ließ, ihn in Unehren zu entlassen; sondern da sich nicht lange darauf in Berlin, wo man bereits an S. gedacht hatte, eine Gelegenheit bot, ihn dort in eine seiner Persönlichkeit entsprechende amtliche Stellung zu bringen, so wurde (da S. nie aus eigenem Entschluß sein Amt aufgegeben haben würde) von Dresden aus dem Berliner Hofe zu verstehen gegeben, daß dem Kurfürst von Sachsen die Berufung Spener’s nach Berlin nicht unangenehm sein würde. Daraufhin hielt die kurbrandenburgische Regierung bei dem Dresdener Kurfürsten förmlich um Spener’s Entlassung an, welche sofort bewilligt wurde. An dem 31. März 1691 gab ihm der Kurfürst seine Demission, gewährte ihm die Reisekosten für seine Uebersiedlung und sicherte seiner Frau für den Fall des Todes Spener’s eine schon früher versprochene Pension bis zu ihrem Ableben zu. Am zweiten Pfingsttage 1691 predigte S. zum letzten Male in der Schloßcapelle zu Dresden. Von 1691 bis an seinen Tod gehörte seine Wirksamkeit der kurbrandenburgischen Kirche und der großen Gemeinschaft der Pietisten, die in ihm ihren Patriarchen ehrte.

Als Consistorialrath und Propst an der Nicolaikirche war S. nach Berlin berufen. Mit einer Predigt am zweiten Sonntage nach Trinitatis, am 21. Juni 1691, trat er in der ihm zugewiesenen Kirche sein neues Amt an. Stand dieses auch an äußerem Glanz und an Einkünften hinter der Dresdener Stellung Spener’s weit zurück, so durfte er doch in der großen Nicolaigemeinde auf eine größere Wirksamkeit hoffen, als sie ihm je in der kleinen Hofgemeinde in Dresden hätte zu theil werden können. Dazu kam, daß er von seiten der milden Staatsregierung des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg keinerlei Hinderung seiner geistlichen Wirksamkeit zu befürchten brauchte. Seine Geschäfte gestalteten sich allerdings in Berlin mannichfaltiger, als sie es in Dresden gewesen waren; denn wenn ihm auch in seiner consistorialen Thätigkeit im Vergleich mit der Dresdener Stellung kein Zuwachs an Arbeit erwuchs, und obgleich er als Propst von den sogenannten Amtshandlungen (Casualien) und von der Seelsorge gänzlich befreit blieb, so war er doch zu zwei wöchentlichen Predigten, zur Aufsicht über mehrere Schulen und zur Inspection einer kirchlichen Diöcese verpflichtet; sodann setzte er seine gewohnten Katechismusübungen mit gewohntem Eifer fort; endlich kostete die mündliche und die schriftliche Erledigung von zahlreichen persönlichen Angelegenheiten außerordentlich viel Zeit, sodaß seine Arbeitslast ihm jetzt doch erheblich schwerer wurde. Bei dem heiligen Eifer ferner, welcher [111] ihn beseelte, den gesunkenen Zustand der Kirche zu heben, konnte er sich nicht mit der Erfüllung der ihm amtlich obliegenden Pflichten begnügen; vielmehr that er alles, was in seinen Kräften stand, das kirchliche Leben im Kurbrandenburgischen zu fördern, sei es daß er auf die ihm unterstellten Prediger direct wirkte, sei es, daß er behördliche Verordnungen veranlaßte, durch welche in der Kirche Segen gestiftet werden sollte; wie früher in Frankfurt a. M. und in Dresden, so nahm er auch in Berlin talentvolle Candidaten der Theologie in sein Haus auf und gewährte ihnen durch Umgang und Belehrung eine heilsame Anleitung zu ersprießlicher Führung ihres zukünftigen Amtes; auf dem Gebiete der Armenpflege endlich, welche sich in Berlin damals in großer Unordnung befand, griff er berathend und sonst fördernd auch in die städtischen Angelegenheiten ein (Hoßbach II, 1–6). Arbeit also war ihm im reichsten Maße beschieden; leider aber konnte er sich des Segens derselben nicht ungestört freuen; denn nachdem einmal die Feindschaft zahlreicher Gegner seiner Geistesrichtung auf den Kampfplatz getreten war, hörten für S. die theologischen Streitigkeiten bis an sein Lebensende nicht auf; er aber glaubte, um der Sache willen, die er vertrat, nicht schweigen zu dürfen, und so sah sich der Mann des Friedens und der Erbauung genöthigt, streitend die Feder zu führen, bis ihm die Hand erlahmte. Nicht wenig betroffen wurde er außerdem durch zwei Streitigkeiten, welche von seinen Gegnern mit Recht als durch die pietistische Lehre veranlaßt beurtheilt wurden; in dem einen handelte es sich um die Privatbeichte, in dem andern um den Termin der Bekehrung für die Sünder. Die erste dieser beiden Streitigkeiten wurde im J. 1696 durch Spener’s eigenen Amtsgenossen Schade, Prediger an der Nicolaikirche, einen der ehemaligen Leipziger Magister, welche uns als Stifter des Collegium philobiblicum bekannt find, in Berlin selbst erregt. Derselbe fühlte sich durch die in der lutherischen Kirche beibehaltene Privatbeichte in seinem Gewissen bedrängt, weil er dadurch verpflichtet war, in der Beichte jedem einzelnen Beichtenden die Hand aufzulegen und die Sündenvergebung zuzusprechen, ohne daß er selbst sicher war, ob sich jedes der Beichtkinder auch in dem rechten Seelenzustande befinde, welcher als Voraussetzung der Sündenvergebung vorhanden sein sollte. Nach unaufhörlichen Selbstquälereien machte der scrupulöse Pietist endlich im J. 1696 in einem kleinen Tractate über die „Praxis des Beichtstuhles“ seinem Herzen Luft und brach in die Worte aus: „Es lobe, wer da will! Ich sage: Beichtstuhl, Satanspfuhl, Feuerpfuhl.“ Als S. diese Worte seines frommen Collegen las, meinte er vor Schreck des Todes sein zu sollen (Bedenken V, 3, 392). S. billigte das Auftreten Schade’s nicht und wirkte amtlich selbst dagegen; aber daß die orthodoxen Gegner desselben in ihrem Kampfe für den Beichtstuhl hauptsächlich den geistigen Führer der Pietisten angreifen würden, war vorauszusehen und ist eingetreten; einer ihrer Wortführer freilich, der Professor Deutschmann in Wittenberg, verirrte sich in einer 1698 veröffentlichten Schrift bis zu dem Grade von Albernheit, daß er den lutherischen Beichtstuhl schon von „dem großen Jehova Elohim im Paradiese für die Sünder gestiftet“ sein ließ; Beichtkinder seien damals Adam und Eva, der (obere) Beichtvater aber der große Jehova Elohim gewesen. (Langathmiger Titel der betreffenden Schrift bei Hoßbach II, 98.) – Auf derselben Linie wie der Streit um den Beichtstuhl, bewegte sich der um den „Termin“ der Bekehrung des Sünders, der „terministische“ Streit. Den Anlaß dazu gab der pietistische Diakonus Johann Georg Böse zu Sorau im J. 1698 durch einen Tractat, welcher betitelt war „Terminus peremtorius salutis humanae, d. i. die von Gott in seinem geheimen Rath gesetzte Gnadenzeit, worinnen der Mensch, so er sich bekehrt, kann selig werden, nach deren Verfließung aber nachgehends keine Frist mehr gegeben wird.“ Der Verfasser hoffte die saumseligen Sünder, welche ihre „Bekehrung“ [112] aufschoben, dadurch zu ernstlicher Buße und Bekehrung anzuspornen, gerieth aber in den Verdacht der Heterodoxie und wurde so der Urheber eines Streites, der um so überflüssiger war, weil darüber in den neutestamentlichen Schriften eine klare Lehre weder vorhanden ist, noch aus ihnen abgeleitet werden kann. Böse starb zwar schon im J. 1700; aber der Streit hörte mit seinem Tode nicht auf, weil der Leipziger Professor Rechenberg, Spener’s Schwiegersohn und Geistesgenosse, den Standpunkt Böse’s in einem fast endlosen Schriftenwechsel mit seinem ihm oppositionell gestimmten Collegen Ittig vertrat. Als Resultat ergab sich nur das Anwachsen des Uebelwollens der Orthodoxen gegen Pietismus.

Trübten diese Streitigkeiten Spener’s Blick, so erlebte er unerwartete Freude durch die Besetzung der theologischen Professuren an der neugestifteten Universität zu Halle an der Saale. Die Ersprießlichkeit der Gründung einer Hochschule im südlichen Theile Kurbrandenburgs leuchtete im Hinblick auf die etwas altersschwache Landesuniversität Frankfurt a. O. den regierenden Persönlichkeiten in Berlin schon geraume Zeit ein, und mit gutem Grunde konnte S. unmittelbar nach seiner Uebersiedelung in brandenburgische Dienste (im J. 1691) darauf hinweisen, daß für einen Staat, welcher 6000 Pfarrämter in seinen Grenzen habe, die bestehenden Bildungsanstalten für Theologie unzulänglich seien; der Besuch von Wittenberg sei aber nicht zu befürworten, da dort der polemische und verketzernde Geist genährt und die jungen Theologen so nicht fruchtbar für ihr zukünftiges Amt vorbereitet würden. In Halle bestand nun bereits seit 1680 eine Ritterakademie, hierher war der junge Rechtslehrer Thomasius gezogen, nachdem er die Leipziger pietistischen Collegen kühn vertheidigt und deShalb hatte fliehen müssen, und viele Studierende waren aus Interesse an seinen Vorlesungen über Philosophie und Rechtsgelehrsamkeit ihm dahin gefolgt. Da auch für Heranbildung von Staatsbeamten eine Hochschule in dem preußischen Antheile der sächsischen Gebiete (in den „Herzogthümern“ Magdeburg und Halberstadt) gute Dienste erwarten ließ, so ging die brandenburgische Staatsregierung alsbald auf diese Gedanken ein und berief für die Theologie noch in demselben Jahre den Senior der Erfurter Geistlichkeit Joachim Just Breithaupt, der schon früher Professor der Homiletik in Kiel gewesen war, und für orientalische Sprachen den ehemaligen Leipziger Magister August Hermann Francke, der zugleich Pastor zu Glaucha vor Halle wurde; fand die feierliche Einweihung der Universität auch erst 1694 statt, so waren doch schon seit 1691 die beiden Männer da, welche den Grundstock der dortigen theologischen Facultät bilden sollten, beide aber waren Freunde, ja im weiteren Sinne Schüler Spener’s und, wie auf seine Empfehlung hin berufen, so auch voll bereit, in seinem Geiste zu wirken. Später trat noch Anton hinzu, Francke’s College und Gesinnungsgenosse von Leipzig her. „So entstand eine theologische Facultät, für welche es nicht erst der Verbesserungsvorschläge Spener’s bedurfte, sondern welche ganz in seinem Geiste dachte und arbeitete, und deren erfolgreiches Wirken die größte Freude seiner alternden Tage wurde. Hier sah er nun realisirt, was er auch bei den kühnsten Wünschen von keiner schon bestehenden Universität gewagt haben würde, zu hoffen.“ (Hoßbach II, 13.) Hier trat freilich auch alsbald die Einseitigkeit des Pietismus in ihren Consequenzen zu Tage, indem die asketische Geistesrichtung den objectiv-wissenschaftlichen Sinn erkalten ließ – ein Umstand, welcher wieder der Aufklärungsphilosophie gerade in Halle zu einem unerwartet schnellen Siege verhalf. Indeß hier haben wir bei S. zu verweilen.

Durch das Aufblühen der Universität Halle war seine patriarchalische Würdestellung im Kreise aller derer, welche im Gegensatze zum Unglauben und im Unterschiede von todter Orthodoxie persönlich frommes Christenthum erstrebten, noch ganz besonders gehoben, und es entsprach durchaus dieser seiner Stellung [113] und den zahlreichen Wünschen seiner Anhänger, daß er in den Jahren 1700 bis 1702 seine „Theologischen Bedenken und andere briefliche Antworten auf geistliche sonderlich zur Erbauung eingerichtete Materien“ in vier Quartbänden im Druck erscheinen ließ. Diese, sodann die 1709 erschienenen „Consilia et judicia theologica latina“ (3 Tomi, Frankf. a. M.) und die 1711 veröffentlichten „Letzten theologischen Bedenken“ Spener’s sind nicht bloß das treue Spiegelbild seiner außergewöhnlichen theologischen Wirksamkeit, sondern bieten uns heute die wichtigsten Aufschlüsse über die Geschichte seines Lebens und der Kirche seiner Zeit. Kaum gibt es einen wichtigen Punkt der Glaubens- und Sittenlehre, kaum eine wichtige Frage des praktischen Christenthums, der Seelsorge und des kirchlichen Lebens, worüber man hier nicht sorgfältige (wenn auch meist weitschweifig redigirte) Belehrung erhielte. Auch wissenschaftlich hörte S. nicht auf, mitzuarbeiten; gegenüber socinianischen Grundsätzen schrieb er gegen Ende seines Lebens eine Vertheidigung des Zeugnisses von der ewigen Gottheit unseres Herrn Jesu Christi, welche, von ihm im Manuscript vollendet, mit einer Vorrede von D. Anton (Halle) im J. 1705 im Druck erschien. Als S. dieses Werk zu Ende gebracht, hatte er das Gefühl, daß er damit seinen „Lauf vollendet“ habe. Nachdem ihn schon 1704 eine schwere Krankheit befallen hatte, starb er am 5. Februar 1705 zu Berlin in den Armen der Seinen sanft, wie er gelebt hatte, betrauert von Tausenden, welche durch ihn und durch seine Schüler zu lebendiger Frömmigkeit erweckt worden waren. Sein Leichnam wurde am 12. Februar des Abends nicht in der Nicolaikirche, sondern auf dem Kirchhofe an einem von ihm selbst bestimmten Orte feierlich beigesetzt.

Bis in seine letzte Lebenszeit hatte S. eine außerordentlich angestrengte Thätigkeit entfaltet und geradezu bewunderungswürdig vielseitig gearbeitet, was ihm möglich geworden ist, weil er eine ausgezeichnete körperliche Gesundheit besaß und in strengster Lebensordnung sich der größten Mäßigkeit befleißigte. (Vgl. Hoßbach II, 144 ff.) Keiner Anwandlung von Leidenschaftlichkeit fähig, lebte er in ungestörter Ruhe des Gemüths und erfreute sich eines so gesunden Schlafes, daß er selten träumte und nach eigenem Berichte in seinem ganzen Leben nur zwei- oder dreimal einen Theil der Nacht aus Sorge um die Kirche schlaflos zugebracht hat. Da die Sorgen um seine Familie ihm von seiner Ehefrau vollständig abgenommen wurden, so war er in der Lage, sich völlig seinem Amte und seiner Privatarbeit zu widmen. Dabei ging der unermüdlich fleißige Mann so haushälterisch mit seiner Zeit um, daß er in Berlin (also von 1691–1705) selbst seinen Propsteigarten, welcher unmittelbar an seinem Hause lag, nur zweimal auf wenige Augenblicke besucht hat. Wie sehr er zur Ausnützung seiner Zeit gezwungen war, ersieht man z. B. aus seinem Berichte an einen Freund, wonach er einmal im Laufe eines einzigen Jahres 622 Briefe beantwortet hatte, und daß doch noch 300 unbeantwortet liegen gelassen werden mußten. (Hoßbach I, 314.) In jenem Zeitalter der unaufhörlichen theologischen Streitigkeiten und der Verrohung der Sitten nach dem dreißigjährigen Kriege macht seine Friedensgestalt einen ungemein wohlthuenden Eindruck und man kann sich unschwer vorstellen, warum Tausende und Abertausende willig in die Bahnen einlenkten, welche er durch seine Auffassung von Christenthum und Kirche ihnen vorzeichnete. Rein auf die Pflege aufrichtiger Frömmigkeit und ehrlichen sittlichen Lebens gerichtet, wollte er zeitlebens ein Glied der lutherischen Kirche bleiben; nur lag ihm, da ihm das allgemeine Priesterthum aller Gläubigen feststand, jedes hierarchische Streben fern. Sectirer ist er nie geworden; doch darf nicht verkannt werden, daß durch die von ihm betriebene Absonderung von „ecclesiolae in ecclesia“, von „Gemeindlein innerhalb der Gemeinde“, die Gefahr [114] der pietistischen Sectenbildung nahe gelegt war. Warum S. gerade diese Form für die Pflege des christlichen Lebens gebraucht hat? In der Antwort darauf liegt der Schlüssel, der das Geheimniß seines Wirkens uns öffnet und den ganzen Mann uns verständlich macht; diese Antwort steht in seinen Theol. Bedenken IV, 637: in der Zeit des allgemeinen Verderbens, wie er es nach dem dreißigjährigen Kriege in Deutschland um und um wahr nahm, wollte er wenigstens die wenigen Seelen retten helfen, welche unter Gottes Fügung der Same einer neuen gottgefälligen Kirche werden möchten; „den übrigen Haufen werden wir nicht bessern, sondern müssen [ihn] endlich in sein Verderben laufen lassen“. Gerade weil er von den Besten in der Kirche seiner Zeit nicht wenige für sich gewann und auf Grund seines Verständnisses des Christenthums die gebildeten Laienkreise christlich interessirte, hat er den vielseitigsten Einfluß auf die lutherische Kirche erlangt: er hat in ihr in den ihm gleichgesinnten Kreisen die Frömmigkeit belebt, hat das Bibelstudium erneuert, so daß ein Albrecht Bengel erstehen konnte; Katechismusunterricht und Confirmation sind von ihm zur allgemeinen Kirchensache gemacht; auf seiner Fürsorge um die einzelnen Seelen ruht die pädagogische Leistung August Hermann Francke’s und das Erwachen des Missionssinnes innerhalb des Protestantismus, speciell die Heidenmission der Herrnhuter Brüdermission; seine kirchenrechtlichen Anschauungen von dem Rechte des dritten Standes, sein echt evangelisches, direct von Luther übernommenes Gemeindebewußtsein, wird in den Gemeindeverfassungen der Neuzeit zur Anwendung gebracht; selbst die Wissenschaft ist bei seinen Anregungen nicht leer ausgegangen, wie er selbst neben der Theologie aus allgemein wissenschaftlichem Interesse Philologie, Geschichte, Genealogie und Heraldik trieb und in der letztgenannten Wissenschaft sogar als Schriftsteller erfolgreich thätig war; hier sei aber nur der Anregungen gedacht, welche von ihm auf theologischem Gebiete ausgegangen sind, auf Gottfried Arnold, den Verfasser der „Unparteiischen Kirchen- und Ketzergeschichte“ (1699) und auf die Theologie eines Buddeus, eines Weismann und anderer gleichgesinnter Zeitgenossen, welchen man bei echt wissenschaftlicher Arbeit doch den warmen Hauch der durch S. erweckten Frömmigkeit abfühlt. Ein „zweiter Luther“ war S. nicht, aber nach Luther die erste epochemachende Persönlichkeit im inneren Leben der lutherischen Kirche. Einen „Reformator nach der Reformation“ hat ihn Stähelin genannt. (Vgl. Stähelin, S. als Reformator nach der Reformation, 1870.) Die krankhafte Seite seines Christenthums aber bestand in individualistischem Asketismus, der Krankheit, welche im späteren Pietismus sich auswuchs, so daß dieser im Conventikelthum endete. Trotzdem reichen seine Nachwirkungen mannichfach bis in die Neuzeit herein.

Spener’s Hauptschriften sind im vorstehenden Artikel erwähnt; ein genaues chronologisches Verzeichniß aller seiner ungemein zahlreichen Schriften gibt es nicht; auch in Jöcher’s Gelehrten-Lexikon IV. Theil (Leipzig 1751) S. 723 bis 727 stehen ihre Titel bunt durcheinander gewirrt. – Eine ausführliche Monographie über S. lieferte Hoßbach (Wilhelm), Philipp Jacob S. und seine Zeit, Berlin 1828 in zwei Theilen, welche den Lebensgang Spener’s eingehend und zuverlässig darstellt, aber fast nur lobenswerthes an S. findet. (2. Abdruck 1853, 3. Abdruck 1861). – Aeltere Biographien Spener’s lieferten K. H. v. Canstein (Halle 1740); Steinmetz, in der Ausgabe von Spener’s kleinen Schriften (1746); Knapp, in Leben und Charakter frommer Männer (1829); Gleich, im Leben der sächsischen Oberhofprediger, Bd. II. Neuerdings behandeln S. die Geschichten der Theologie von Dorner, von Frank II, 130 ff., von Gaß, Gesch. u. Dogmatik II, 377; sodann Schmid in d. Geschichte des Pietismus, S. 42 ff. vom Standpunkt des confessionellen Lutherthums, Tholuck in Herzog’s Realencyklopädie 2 A. Bd. XIV, 500 ff., ähnlich wie Hoßbach [115] vom Standpunkt Neander’scher Vermittelungstheologie (daselbst S. 516 auch noch die Titel der Abhandlungen, welche einzelne Seiten an Spener’s Lebenswerk besonders betreffen); E. Sachse, Ursprung und Wesen des Pietismus (1884), 382 S., das sich vorwiegend mit S. beschäftigt, ähnlich wie Hoßbach und Tholuck urtheilt; A. Ritschl in s. Geschichte des Pietismus, II. Bd. 1. Abtheilung 1884, 97 ff., nach dessen Auffassung S. in die Reihe derjenigen individualistischen Geister gehört, welche mit oder ohne Absicht an der Auflösung der geschichtlich erwachsenen lutherischen Kirche in Conventikel gearbeitet haben. Galt es, wie Ritschl II, 126 schreibt „bis auf den heutigen Tag (d. i. 1884) als streitig, inwieweit S. als Reformator oder als Deformator der Kirche zu achten“ sei, so glaubt Ritschl den Nachweis geliefert zu haben, daß S. kein Reformator gewesen sei (vgl. S. 145 ff.). – Paul Grünberg, Philipp J. Spener. Erster Band 1893 (531 S.). Danach ist S. „religiöser Realist, religiöser Subjectivist und religiöser Moralist“. (S. 527.)