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Artikel „Calixt, Georg“ von Wilhelm Gaß in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 696–704, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Calixt,_Georg&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 17:18 Uhr UTC)
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Calixt: Georg C. war in dem Dorfe Medelbye bei Tondern, zwei Meilen von Flensburg, geb. 14. December 1586, † 1656. Der jüngste Sohn des dortigen Landpredigers Johann C. (Callisön, vgl. Joh. Leonh. Callisen), blieb er bis zum 12. Lebensjahre im elterlichen Hause und besuchte hierauf die von dem Rector Latomus geleitete lateinische Schule in Flensburg. Ueber des Knaben Fleiß und ausgezeichnete wissenschaftliche Begabung konnte der Vater nicht zweifelhaft sein, und er wählte diejenige Universität für ihn aus, auf welcher er seine eigenen Bestrebungen als die eines freier gesinnten Anhängers der Philippisten-Schule am meisten vertreten wußte. Unter den deutschen Hochschulen nahm damals Helmstädt eine eigenthümliche Stellung ein. Zwar war auch diese Hochschule lutherisch gegründet und wurde unter dem gelehrten Herzog Julius von Braunschweig ziemlich streng lutherisch beaufsichtigt, aber sie blieb von Anfang an in Verbindung mit der älteren von Melanchthon ausgegangenen Ueberlieferung. In das dort zu Recht bestehende Bekenntnißbuch, das Corpus Julium, hatten nur die älteren Confessionsschriften Aufnahme gefunden; eine Verpflichtung auf die Concordienformel fand nicht statt, daher blieb es erlaubt, die Schroffheiten der lutherischen Orthodoxie, besonders die Lehren von der Verbindung der Idiome und von der Ubiquität der menschlichen Natur Christi zu vermeiden. Sehr bedeutend entwickelten sich die akademischen Verhältnisse unter der Leitung des hochgebildeten Herzogs Heinrich Julius (seit 1589); philosophische und Sprachstudien blühten, der anderwärts schon geringgeschätzte Humanismus hatte hier noch eine Freistätte und die reine aristotelische Methode wurde gegenüber den Neuerungen und Erleichterungen des Ramismus eifrig gepflegt. Weniger nahm die theologische Facultät an diesen allgemeineren wissenschaftlichen Interessen Antheil. Das Studentenleben unterschied sich durch bessere Ordnung und [697] Sitte, obgleich es nachher den herrschenden Verderbnissen des Pennalismus gleichfalls verfallen ist. In diese Studienkreise trat der junge C. 1603 mit den frischesten Kräften ein, doch griff er nicht sogleich zur Theologie, sondern schloß sich eng an den geistreichen Humanisten Johann Caselius und den gewandten Dialektiker Cornelius Martini. Beide bildeten den geistigen Mittelpunkt der Universität; von dem ersteren lernte C. seine lateinische Sprachgewandtheit, von dem anderen die sichere Handhabung der aristotelischen Denkbestimmungen und die begriffliche Präcision. Was er als alter Mann von sich aussagt, daß er von Jugend auf eine „unersättliche Begierde gehabt, sein Leben in studiis zu vollbringen“, stimmt völlig überein mit den Erfolgen dieser akademischen Jahre. Er lernte mit einem Eifer, wie ihn nur der angeborene wissenschaftliche Trieb einflößen kann, daher wurde er schon 1605 durch die Magisterwürde ausgezeichnet und erhielt die Erlaubniß, Vorlesungen und Disputationen zu halten. Seit 1607 zur Theologie übergehend warf er sich hauptsächlich auf kirchen- und dogmenhistorische Arbeiten, wobei er aber meist auf sich selbst angewiesen war, da die gleichzeitigen theologischen Fachprofessoren Daniel Hofmann, Pfaffrad, Lorenz Scheurle keine Anziehungskraft auf ihn übten.

Nach einem kurzen Aufenthalt in der Heimath begab er sich 1609 auf Reisen, besuchte Jena, Gießen, Tübingen, Heidelberg, ging 1610 nach Helmstädt zurück, und edirte 1611 seine erste größere theologische Schrift: „De praecipuis religionis christianae capitibus.“ Es war eine Jugendarbeit von ungewöhnlicher Reife, der man jedoch anmerken konnte, daß der Verfasser wol schwerlich in dem hergebrachten confessionellen Gleise sich fortbewegen werde; einiges Befremden wurde schon damals laut. Sehr nützlich wurde für ihn eine zweite zu Ende 1611 unternommene Reise, welche ihn nach Köln, Amsterdam, Leyden, England und Paris führte und mit Gelehrten wie Casaubonus bekannt machte. Es konnte nicht fehlen, daß durch die empfangenen Anschauungen sein Gesichtskreis erweitert wurde, er lernte die kirchlichen und wissenschaftlichen Gebiete im Großen übersehen und nach allgemeineren Gesichtspunkten beurtheilen und vergleichen. Nach Helmstädt 1613 zurückgekehrt, nahm er Vorlesungen und Disputationen wieder auf, bis jetzt noch ohne feste Stellung. Der Herzog Heinrich Julius starb gleichzeitig und erhielt in Friedrich Ulrich einen ihm nicht ebenbürtigen Nachfolger. Bald nachher fügte es sich, daß ein junger Edelmann, Ludolf v. Klenke, von Helmstädt aus nach Italien gelangend, dort von den Jesuiten bearbeitet und für die römische Kirche eingenommen wurde. Der Fall machte Aufsehen, die eigene Mutter wollte der Verirrung ihres Sohnes nicht müßig zusehen; um ihn zu warnen und womöglich auf der evangelischen Seite zurückzuhalten, wurde daher nach seiner Rückkehr auf dem nahegelegenen Schlosse Hämelschenburg am 30. August 1614 eine Disputation zwischen zwei gelehrten Vertretern beider Kirchen veranstaltet. Für die römische focht der Jesuit Augustin Turrianus, für die protestantische der zu diesem Zweck ausersehene junge C., indem er besonders die päpstliche Unfehlbarkeit bekämpfte und die Wahrheit des Schriftprincips vertheidigte. Der Zweck blieb unerreicht, Klenke ließ sich nicht mehr umstimmen und wurde katholisch. Aber C. hatte sich bei diesem Anlaß als geschickter und sachkundiger Streiter so sehr hervorgethan, daß die Regierung beschloß, ihn vollständig für das akademische Lehramt zu gewinnen. Im December 1614 vollzog der Herzog seine Anstellung, und im Januar des folgenden Jahres wurde C. in die theologische Facultät zu Helmstädt eingeführt.

In dieser Eigenschaft hat er fortan gelebt, und zwar nach der Fächerordnung als professor controversiarum, und als Lehrer, Gelehrter und Schriftsteller unermüdlich gearbeitet bis an seinen Tod (1656). Durch das Verbleiben an demselben Ort gab er auch seinem Wirken Stetigkeit und nachhaltige Kraft. [698] Er wurde 1616 Doctor der Theologie und verheirathete sich 1619. Die Anerkennung seiner Leistungen bewog ihn, einige Berufungen nach auswärts abzulehnen, dafür übernahm er viermal das Prorectorat der Universität, wurde 1633 vom Herzog Ernst zur Theilnahme an einer Visitationsreise in Franken berufen und 1635 zum Abt von Königslutter und zum Mitglied der Prälatencurie ernannt. Nach und nach fand er sich von namhaften Schülern und Freunden wie Konrad Hornejus, Justus Gesenius, Dätrius u. A. umgeben, und sein Name verwuchs mit dem der dortigen Facultät und Theologie. Die Kriegszeit traf die Universität sehr schwer, Verödung, Noth und Pest machten jede geordnete Thätigkeit unmöglich; auch in diesen Jahren (1625–28) ist C. treu am Platze geblieben. Bücher zu schreiben, wurde ihm bald Bedürfniß; kaum ist ein oder das andere Jahr ohne Publicationen vorübergegangen, und eine 1629 im eigenen Hause angelegte Druckerei erleichterte die Herausgabe. Diese zahlreichen Abhandlungen, Einleitungen, Vorreden, Gutachten und größeren Schriften betreffen alle damaligen Zeitfragen, die principiellen sowol wie die rein dogmatischen Controversen; kein Dogma bleibt unbesprochen, keine Hauptdisciplin unberücksichtigt. In der Behandlung dieser Aufgaben wird man überall zwei Eigenschaften wiederfinden, ausgezeichnete Kenntniß des historischen und dogmenhistorischen Materials, welches in weitem Umfange herbeigezogen und bis in damals nur Wenigen zugängliche Regionen verfolgt wird, und Benutzung der philosophischen Hülfsmittel, denn diese werden, obgleich immer noch in bescheidenen Grenzen, aber doch zuversichtlicher als von der Mehrzahl angewendet. Mit dem Untersuchen und mit dem Beweisen nahm er es eben strenger als die Meisten, wurde also genöthigt, manchen dogmatischen Voraussetzungen oder Folgerungen, die für ausgemacht galten, die Gewißheit abzusprechen. Aber mit diesen gelehrten und kritischen Vorzügen verbindet sich ferner in ihm eine bestimmte religiös-kirchliche Richtung und sittliche Gesinnung. Seine Theologie ist erweiternder Art, ohne den lutherischen Standpunkt preiszugeben, will er das Verwandte annähern und nur das Unvereinbare ausscheiden; willkürliche oder übel begründete Consequenzen müssen beseitigt werden, dann werden sich die wirklich vorhandenen Gegensätze milder und richtiger beurtheilen lassen. Der wesentliche oder zur „Seligkeit nothwendige“ Glaubensinhalt wird auf ein geringeres Maß herabgesetzt, was darüber hinausgeht, hat nicht mehr den Werth eines unentbehrlichen Glaubenssatzes, es ist von secundärer Bedeutung, wenn es nicht vielleicht auf bloßer Meinung, auf Wahn und Rechthaberei beruht. Die Behauptung eines unbedingten und ausschließlichen Wahrheitsbesitzes verewigt nur den Zwiespalt, kirchliche Selbsterkenntniß bildet den Uebergang zum Frieden. Der wissenschaftliche Theologe darf auf eine kirchliche Symbolschrift immer nur in der Weise verpflichtet werden, daß er nicht an alle einzelnen Wendungen und Ausdrucksweisen derselben gebunden ist, weil er sonst nicht im Stande sein wird, das Ganze zu würdigen und zu vertheidigen. Hiernach erscheint C. als ein streitbarer Ireniker, d. h. er ist als Freund des Friedens doch bereit, in alle Streitfragen kritisch einzudringen, während er als Polemiker das Ziel der Versöhnung jederzeit hochhält und nicht aus dem Auge verliert; nach beiden Richtungen aber bleibt er gehaltvoll und fruchtbar. Diese Verbindung von religiöser Weitherzigkeit mit kritischer Schärfe und geistiger Productivität erhebt ihn über andere Unionisten, welche sich, wie etwa der Schotte Duräus,[WS 1] ohne mehr zu wollen und mehr zu leisten, ganz in der Wiederholung ihrer Friedensanträge erschöpft haben. Auch zeichnet sich seine Schriftstellerei durch stetigen Zusammenhang aus, denn sie hängt an wenigen Grundgedanken, die er ziemlich früh in sich festgestellt, nachher aber mit einer außerordentlichen Mannigfaltigkeit des Inhalts seiner Arbeiten verbunden hat.

Doch es ist nöthig, C. in den einzelnen Stadien seiner Wirksamkeit und [699] mit Hervorhebung seiner wichtigeren Schriften – denn alle zu nennen würde zu weitläuftig sein – genauer kennen zu lernen. Die ersten Jahre nach seiner Anstellung verliefen noch ziemlich ungestört. Die Universität genoß unter Friedr.[WS 2] Ulrich nur eine beschränkte Lehrfreiheit, sie stand unter Aufsicht des Kanzlers Sattler, eines ängstlichen Lutheraners. C. scheute die Censur, hielt daher manche Druckschriften noch zurück oder ließ sie am fremden Orte veröffentlichen. Seine um 1616 entstandene „Disputatio de immortalitate animae“ beweist, daß es ihm wissenschaftliches Bedürfniß war, biblische Argumente erst auf der Grundlage philosophischer und historischer Voruntersuchungen entscheidend zu verwenden; gerade darum, wegen Ueberschätzung des consensus gentium, wurde sie beanstandet und konnte erst 1627 bei Gelegenheit des Todes seines Sohnes Erich – von welchem Trauerfall auch gemüthvolle Stellen Zeugniß geben – im Druck erscheinen. Zur Ergänzung diente die weit spätere Abhandlung „De statu animarum“, 1653. Geringer und mehr als Collegienhefte abgefaßt waren seine Commentare zum Neuen Testament, sehr werthvoll dagegen[WS 3] die „Epitome theologiae“, Goslar 1619, – eine knappe aber interessante Skizze der Glaubenslehre. Das Princip der Offenbarung wird in ihr besser als gewöhnlich begründet, besonders aber entwickelt der Verfasser nach aristotelischen Grundsätzen, daß die Dogmatik vermöge des praktischen Wesens der Religion nach analytischer Methode bearbeitet werden müsse; er wird auf lutherischer Seite der Anfänger dieser analytischen, d. h. vom Endzweck der Religion ausgehenden Ordnung, welche nachher mehrfach Nachahmung gefunden hat. Im Einzelnen ließen sich in diesem Büchlein mancherlei dogmatische Milderungen wahrnehmen, die für Abweichungen nach der katholischen oder reformirten Seite erklärt werden konnten; wenn daher schon 1621 ein Theologenconvent zu Jena sich ungünstig über die Helmstädter Theologie äußerte: so war dies ein Vorspiel künftiger Befehdung. Zunächst blieb jedoch C. noch unangefochten, obgleich die braunschweigischen Herzöge, welche die Universität gemeinschaftlich unterhielten, zu sehr in eine kirchliche Neutralität gedrängt wurden, um zu deren Gunsten ein kräftiges Schutzrecht zu üben. Neben dieses Compendium stellte C. nachher ein zweites und berühmt gewordenes, die „Epitome theologiae moralis“ von 1634. Die Litteraturgeschichte hat ihn deshalb lange Zeit als den Bahnbrecher der protestantischen Moraltheologie aufgeführt, streng genommen mit Unrecht, denn es waren in beiden Confessionen schon genug derartige Arbeiten vorangegangen; gleichwol hat sein, wenn auch nur unvollkommener und fragmentarischer Entwurf wesentlich dazu gedient, der Ethik innerhalb der theologischen Disciplinen eine feste und fortan unverlierbare Stellung zu sichern. Eine dritte größere Schrift: „Apparatus theologicus“ von 1628, eine Art von Encyklopädie, gab C. Gelegenheit, sich über Aufgabe, Stoff, Methode und Eintheilung der Theologie ausführlich zu verbreiten. Hier wird der Köcher historischer Erudition ausgeschüttet, aber auch die übrigen Fächer erhalten Anweisungen. Die Religion selber, dahin geht die Meinung, möge einfach ihrem praktischen Zweck der Heiligung und Beseligung folgen, die Theologie hat höhere Pflichten, sie soll erläutern, rechtfertigen, bewahrheiten; ihr steht es zu, das Werk der Reformation, Befreiung vom Papstthum und dessen Erfindungen, Herstellung besserer und vollständigerer Erkenntnißmittel, – wissenschaftlich durchzuführen. Damit sie dies könne, muß ihrem Urtheil ein gewisses Freiheitsrecht zugestanden werden. Auch soll sie stets philologisch, historisch und philosophisch gerüstet sein; denn wenn auch die Vernunft das Geoffenbarte niemals aus sich selbst erreichen kann: so liegt ihr doch ob, die Lehrbildung von übereilten Folgerungen zu befreien oder gegen falsche Anklagen zu schützen.

In den genannten Werken hatte C. sich der gelehrten Theologie in historisch-systematischer Richtung mit Glück bemächtigt; wenn er nun auch ein kirchliches [700] Bestreben in seine Thätigkeit verflocht: so sah er sich dazu von außen her aufgefordert. Denn mitten unter den wilden Kämpfen des Schwertes und der Feder regte sich jetzt das Verlangen nach Annäherung der kirchlichen Parteien, und jede Kirche stellte einige Freunde der Eintracht auf den Schauplatz. Der Schotte Duräus verwendete oder verschwendete sein ganzes Leben auf das Unternehmen der Friedensstiftung, in gleicher Absicht wurde das Leipziger Gespräch von 1631 und der Frankfurter Convent von 1634 abgehalten. Auch C. sprach seine Ueberzeugung aus; in ihm hatten diese Gedanken frühzeitig Anklang gefunden, jetzt sollte er sie gestalten. Auch als Lutheraner hatte er niemals auf das Prädicat katholisch verzichten wollen. Katholicismus ist der Name für die Glaubenseinheit des Christenthums, wie sie schon in der alten Kirche vor den Verderbnissen des Papismus einen festen Bestand gewonnen hat. Wie nun diese Einheit vormals die gesammte wahrhaft christliche Kirchengemeinschaft umfaßte: so muß sie sich bei gutem Willen und gegenseitiger Duldsamkeit auch jetzt wieder herbeiführen lassen. Aber alles ist daran gelegen, daß die neueren Confessionen sich dieses gemeinsamen Eigenthums wieder erinnern, daß sie in ihm das Fundamentale des christlichen Glaubens hinreichend sichergestellt finden, daß sie größeren Werth legen auf das Verbindende als auf das Unterscheidende, Bestrittene und Controverse, denn in der letzteren Beziehung soll sich keine der dermaligen Kirchen rühmen, die Wahrheit schlechthin und unbedingt auf ihrer Seite zu haben. Alles kommt auf die richtige Schätzung der vorhandenen Dissense gegenüber dem thatsächlich gegebenen und grundlegenden Consensus an. Gelingt es, diese Auffassung zu verbreiten: so ist damit der Weg zur Vereinbarung betreten; eine Verständigung wird möglich, und wenn diese auch noch unerledigte Differenzen der Lehre zurücklassen sollte: so treten sie doch, weil die Hauptsache nicht betreffend, nothwendig in ein milderes Licht, sie hören auf, feindselig und zerstörend zu wirken. Zum Beweis aber, daß wirklich im kirchlichen Alterthum ein gesundes Verhältniß des Fundamentalen zu den berechtigten Abweichungen herrschte, dient der consensus patrum oder die Tradition der ersten vier bis fünf Jahrhunderte sammt der Glaubensregel und den alten Bekenntnissen. Die Tradition erhält hiernach die Bedeutung eines Hülfsprincips, das ihr beigelegte Ansehen soll die biblische Quelle und Norm keineswegs schwächen, sondern nur den Nachweis desjenigen Glaubens liefern, welchen die alte Kirche wirklich aus der Schrift geschöpft hatte, über den sie einig war, der die Frömmigkeit und Tugend nährte und dessen Herrschaft die noch vorhandene Meinungsverschiedenheit unschädlich zu machen geeignet war. Dies kürzlich das Programm Calixt’s, wie er es zuerst in den Vorreden zu seinen Ausgaben von „Augustini De doctrina christiana“ und „Vincentii Commonitorium“, 1629, niedergelegt und nachher bei vielen Gelegenheiten verfochten hat. Man sieht, seine Absicht reichte weit, nicht allein Lutheraner und Reformirte wollte er versöhnen, sondern auch aus der römischen Kirche den wahren Katholicismus herausziehen und damit die Wiederherstellung einer Gesammtkirche vorbereiten; folglich mußte er auch seinen Standpunkt gegen Romanisten und Jesuiten ebenso wie gegen Lutheraner durchführen, womit er denn auch zweierlei Widersacher gegen sich aufrief. Zuerst trat ihm Barthold Neuhaus (Nihusius) in den Weg. Dieser Jugendbekannte von Helmstädt, nachheriger römischer Apostat und als fähiger Kopf bald in die Künste jesuitischer Polemik eingeweiht, griff in der Schrift: „De arte nova“, 1632, mit Geschicklichkeit C. und Hornejus an; er bestritt und verspottete die moderne protestantische Kunst, mit einzelnen Schriftstellen zu argumentiren, während doch die wahre Kirche von dem exegetischen Glück dieser Biblisten nicht abhängig sei, sondern auf alten Ergebnissen der Vergangenheit ruhe. C. antwortete 1634 in der „Digressio de arte nova“, gleich nach Herausgabe seiner Moral und sehr [701] ausführlich; er vertheidigte das Schriftprincip, sobald es nur richtig verstanden werde, und wies den Vorwurf einer beliebigen und unsicheren Schriftinterpretation damit zurück, daß die altkirchliche Ueberlieferung ja gerade aus klaren Schriftzeugnissen hervorgegangen sei, er wendete die Sache also wieder zu Gunsten seiner altkatholischen Lehreinheit, auf welcher ja auch der Protestantismus ruhen wolle. Aehnliche Ausführungen finden sich in den Abhandlungen: „De religionis christianae“, 1633, „De auctoritate antiquitatis ecclesiasticae“, 1639.

Der von Neuhaus geführte Fechterstreich konnte Calixt’s Ansehen noch nicht erschüttern; empfindlicher wurde für ihn ein Angriff aus der eigenen Kirche. Die strengen Lutheraner waren gegen die Helmstädter Theologen längst höchst mißtrauisch geworden, sie nannten sie Caselianer, Humanisten, Aristoteliker, Rationisten; mit Calixt’s neuen Schriften wuchs nur die Zahl der Bedenken. C. trat in das Licht völliger kirchlicher Untreue und theologischer Incorrectheit, denn er drohte die Confessionen einander gleichzustellen, die neueren Bekenntnisse zu unterschätzen, die lutherischen Lehrsätze preiszugeben; seine eigenen, die Norm des Corpus Julium antastenden Meinungen hatten einen katholisirenden Anstrich. Auf solchen vermeintlichen Thatbestand ließ sich eine weitläuftige Beschwerde gründen, und diese war es, welche C. von dem Stadtprediger zu Hannover, Staats Büscher (Buscherius), in der Schrift: „Cryptopapismus novae theologiae Helmstadiensis“, 1640, mit einer an sich löblichen Offenheit entgegengeworfen wurde. Die Opposition war damit im eigenen Lande eröffnet und blieb nicht ohne Anklang. C. lieferte nun 1641 eine „Widerlegung“ Büscher’s, in welcher er Punkt für Punkt auf die erlittenen Anschuldigungen eingeht, namentlich aber die Anklage der Neuerung zurückweist; denn Neuerungen zu treiben, sei um so weniger seine Absicht, da er ja gerade das Antike und Gemeinsame gegenüber den nicht in gleichem Grade werthvollen noch überall stichhaltigen modernen Sonderlehren zu Ehren zu bringen suche. Da Büscher schon im Februar 1641 starb, so entstand eine Pause, und C. benutzte sie, um abermals mit den römischen Widersachern, wie Franz Veron und Neuhaus, anzubinden. Darauf ist also besonders aufmerksam zu machen, daß C. zwar niemals principiell antikatholisch, aber stets antirömisch geschrieben und gewirkt hat, und daß er den größten Werth darauf legte, die Sünden des Papismus und der papistisch angesteckten Ueberlieferung bloßzulegen. Das beweisen z. B. die Streitschriften „De pontificio missae sacrificio“, 1614, „De communione sub utraque specie“, 1642, eine gründliche und noch jetzt brauchbare Monographie, und „De eucharistia contra Pontificios“, 1643. Dafür ließ sich seine eigene Eintrachtstheorie freilich auch von katholischer Seite anfechten. Wenn die Lutheraner ihn rein dogmatisch beurtheilten, weil er den orthodoxen Lehrbegriff durch Einmischung reformirter oder katholischer Vorstellungen verunreinige, so wurde er von römischen Kritikern mehr als Ideologe behandelt, welcher in chimärischer Verblendung die Kirche zu einigen und zu retten wähne, während er sie eigentlich preisgebe, sie aller Festigkeit beraube und ein gestaltloses Chaos an die Stelle setze. Denn dies wurde ihm von dem Jesuiten Veit Erbermann in Mainz vorgehalten in dessen „Anatomia Calixtina“, 1644, worauf er in zwei Gegenschriften an die Mainzer Theologen antwortete, und zwar mit einer scharfen Gerichthaltung über die Vergehungen der Hierarchie. Nochmals entwickelte er hier die angegebene Anschauung, indem er dabei das apostolische Symbol zum Grunde legte; dieses, sagt er, ist der kurze Inbegriff des zum Heil unentbehrlichen Glaubens, an ihn haben sich die späteren Zuthaten dergestalt angeschlossen, daß ein Stufenverhältniß zwischen dem Primären und dem Abgeleiteten, was mehr die Theologie als den Glauben angeht, und worüber immerhin mehrere Ansichten bestehen dürfen, anerkannt werden muß.

Sein letzter Lebensabschnitt war der schwerste, denn seit 1645 ist ihm keine [702] Ruhe vergönnt gewesen. Der durch ihn angeregte synkretistische Streit nahm größere Dimensionen an. Synkretismus wurde der Tadelname für die von ihm empfohlene Religionsmengerei, d. h. für die Erweichung und Erweiterung[WS 4] der confessionellen Standpunkte, in welcher die Lehrstrenge ihr eigenstes Recht angetastet sah. Zunächst erfuhr er eine ehrenvolle Auszeichnung. Zum Zweck einer Friedensstiftung zwischen Lutheranern, Reformirten, Katholiken und Dissidenten veranstaltete König Ladislaus IV. von Polen 1644 das bekannte Thorner Religionsgespräch und sorgte dafür, daß es von allen Seiten beschickt wurde. Auch C., in gerechter Anerkennung seiner Verdienste und conciliatorischen Absichten wurde von Brandenburg aus zur Theilnahme aufgefordert. Er folgte zuversichtlich dem Antrage, aber die Hoffnungen, die er mitbrachte, sollten unerfüllt bleiben. Schon auf der Reise erregte zu Berlin sein freundliches Zusammensein und Zusammenspeisen mit dem Reformirten Bergius starkes Befremden; in Thorn selber wußten es die lutherischen Parteiführer, Hülsemann und noch mehr Calov so einzurichten, daß er von den Verhandlungen ausgeschlossen wurde. Nur durch Privatgespräch konnte er sich gelegentlich an dem Gang des Colloquiums betheiligen, sowie er auch eine Anzahl von zugehörigen Actenstücken edirte und begutachtete: „Scripta facientia ad colloquium etc.“, H. 1645. Die gemeinsamen Unterredungen begannen am 28. August 1644 und zogen sich, da der Mehrzahl der rechte Wille fehlte, ohne wesentliche Frucht bis zum 11. November hin; unverrichteter Sache kehrte C. am 29. November wieder nach Helmstädt zurück. Ohne Folgen sollte indessen sein Aufenthalt zu Thorn nicht bleiben, denn er hatte ihm Anhänger zugeführt. In Königsberg erklärten sich Dreier und Latermann für ihn, sie wurden daher unter Anführung des herrschsüchtigen Myslenta als die Emissäre der Helmstädter Schule verurtheilt und verfolgt, und ärgerlicher als alles Bisherige entspann sich diese Königsberger Fehde. Was bis dahin einzelne Persönlichkeiten wider einander aufgereizt hatte, rief jetzt ganze Facultäten auf den Kampfplatz, zumal das Streitmaterial inzwischen gewachsen war. C. hatte sich einige freiere biblisch-kritische Urtheile und noch andere Auffälligkeiten erlaubt; er bezweifelte die Sicherheit der alttestamentlichen Trinitätsbeweise, er betonte mit Hornejus die Nothwendigkeit der guten Werke und behauptete, daß das volle und trotzige Beharren bei Sünde und Laster allerdings des Heils verlustig mache. Mit Berufung auf diese dem steifen Lutheranismus befremdlichen Sätze richteten die drei sächsischen Facultäten am 29. December 1646 ein Schreiben an C. und Hornejus, in welchem die Anklage des Synkretismus genauer formulirt wird: C. habe ein doppeltes Erkenntnißprincip eingeführt, die biblische Evidenz und Sufficienz verkürzt, die symbolische Norm geschwächt, kurz eine Mischlehre begünstigt, und dieses alles in der täuschenden Absicht, den kirchlichen Frieden zu befördern. Durch ihn seien die Grundlagen der evangelischen Lehre wankend gemacht. Das war zuviel, C. war bis ins Innerste gekränkt und machte sich Luft in einer leidenschaftlichen Gegenerklärung.

Nach diesem vollständigen Bruch der Facultäten wurden mit dem J. 1648 auch die Höfe von Preußen, von Sachsen und Braunschweig in Mitleidenschaft gesetzt. In dem Herzog August von Wolfenbüttel hatte C. einen aufrichtigen Freund, dagegen waren die Höfe von Celle und Hannover unzufrieden mit ihm und daher geneigt, den Vorhaltungen Gehör zu geben, welche über die bedenkliche Richtung der Helmstädter Theologie an sie gelangten. Von nun an folgen officielle Sendschreiben, Gutachten und Censuren rasch auf einander; die strenge Partei stellt zahlreiche Streitkräfte, die Dorsche, Dannhauer, Myslenta, Scharf, Hülsemann und besonders der unversöhnliche Calov erschöpfen sich in Kritiken gegen das entlarvte Mysterium des Synkretismus. Eine zweimalige Beschwerde Kursachsens an die braunschweigischen Höfe bewog diese, über fünf Anklagepunkte [703] von C. und Hornejus Rechenschaft zu verlangen, und zwar eine möglichst bescheidene; mit der nach Hornejus’ Tode (1649) von C. allein eingereichten und auf alle Vorwürfe eingehenden Verantwortung waren sie nicht zufrieden. Die lutherische Polemik ging indessen fort, in „Hülsemanni Dialysis“ und „Calovii Consideratio“ wurden noch eine Anzahl neuer Verstöße gegen die kirchliche Lehrbestimmung nachgewiesen. Umsonst daß C. jetzt von den braunschweigischen Räthen Stillschweigen auferlegt wurde, denn die Gegner schwiegen nicht, sondern brachen durch wiederholte Angriffe den Frieden, wie Hülsemann und Weller 1650. Das Maß schien voll, die schärfste Gegnerin war Wittenberg geworden. Endlich raffte der alternde C. noch einmal seine Geisteskräfte zusammen, und diesmal wählte er die deutsche Sprache. Seine hauptsächlich gegen Weller gerichtete „Widerlegung der unchristlichen Verleumdungen“, 1651, ist ein dickes Buch und läßt den ganzen Umfang der weitschichtigen Controverse überschauen. Er bekennt sich hier zum alten Symbol und fügt die Augsburgische Confession hinzu, sobald sie nicht buchstäblich gepreßt werde; er erklärt die lutherische Kirche unter den vorhandenen für die reinste, da sie über Vorherbestimmung und Abendmahl die richtige Lehre aufstelle; aber er bleibt auch dabei, daß auch sie in Uebertreibungen wie die Ubiquität verfallen sei, und daß sie daher ihren fundamentalen Consensus mit den übrigen Confessionen höher zu schätzen habe als das Unterscheidende. Und er folgert daraus, daß in dem angegebenen Sinne der Anschluß an die lutherische Kirche mit der von ihm verfolgten friedlichen und unionistischen Tendenz wohl verträglich sei. Da er aber einen andern Maßstab anlegte an dasjenige, was Reformation und Protestantismus, was Bekenntniß, Kirche und Lehrverpflichtung sei, so vermochte er dennoch die Mehrheit nicht auf seine Seite zu ziehen. Wohlthätig wirkte in diesem Zeitpunkt die Dazwischenkunft der Theologen von Jena. Diese nämlich stimmten zwar C. nicht bei, denn sie waren der Meinung, daß die lutherische Kirche auch diejenigen Bestandtheile ihrer Lehre, von denen man nicht sagen könne, daß sie das Heil und die Seligkeit geradehin bedingen, ohne Abzug und sorgfältig zu schonen und zu schützen habe; aber sie sprachen es doch offen aus, daß die reine Absicht Calixt’s nicht verkannt werden dürfe, und die Anfeindung des Synkretismus weit über das Maß der Billigkeit und des Rechtes hinausgegangen sei. Ihre Erklärungen blieben nicht ohne Eindruck, die Folge war, daß die Wittenberger Theologen, die sich als die wahren Vertreter des lutherischen Glaubens betragen hatten, als die exclusive Partei auf sich selbst beschränkt wurden. Daß C. seine Gesinnungen unverändert festhielt, beweisen die Abhandlungen: „De tolerantia Reformatorum“, und „Desiderium et studium pacis ecclesiasticae“, 1650; seine letzte merkwürdige und scharfsinnige Schrift „De pactis“, 1654, führte tief in theologische Schwierigkeiten. Dagegen hat er die öffentliche Fehde seinerseits nicht mehr fortgesetzt. Auch verlor er im genannten Jahre seine Gattin. Die sehr bitteren Invectiven in Calov’s „Syncretismus Calixt.“, 1653 und „Harmonia Calixt. haeret.“, 1655 und in Hülsemann’s „Calixtin. Gewissenswurm“, 1654, ließ er unbeantwortet; auch die schärfste Waffe, die Wittenberg und Leipzig gegen ihn schmiedeten, der „Consensus repetitus fidei Lutheranae“ von 1655 traf ihn nicht mehr, wie denn überhaupt dieses berüchtigte hyperlutherische Product seines Zweckes gänzlich verfehlt hat. Wol aber waren seine Friedenswünsche noch einmal auf dem Reichstage zu Regensburg 1653 und 54, wenn auch vergeblich, zur Sprache gekommen. Zu Anfang des Jahres 1656 verließen ihn die Kräfte, seine Bücher aber folgten ihm zum letzten Krankenlager. Von Schülern und Freunden umgeben, gefaßt und seines Glaubens gewiß, starb er am 19. März dieses Jahres und wurde am 10. April in der Stephanskirche zu Helmstädt beigesetzt.

C. war unstreitig einer der ausgezeichnetsten Männer seiner Zeit. Mochte [704] ihm vielleicht J. Gerhard an Kenntnissen, Calov an Scharfsinn gleichstehen, so übertraf er doch an wissenschaftlichem Geist und Gleichmaß der gelehrten Bildung alle seine damaligen Fachgenossen weit, und von der Treue und Biederkeit seines Charakters, welchem auch ein lebendiges und warmes Gemüth nicht fehlte, zeugt sein Leben und sein Briefwechsel. Was er in kirchlicher Beziehung am meisten anstrebte, die Annäherung und Versöhnung der Confessionen, hat er nicht erreicht, es scheiterte an der Macht der Umstände, theilweise auch an der Eigenthümlichkeit seiner Tendenz. Wenn C. an den Schwächen seiner Gegner selbst Antheil hatte, wenn er also in engeren Grenzen ganz ebenso scharf dogmatisch zu Werke ging als sie, so dürfen wir ihm das nicht zum Vorwurf machen, weil es damals nicht füglich anders sein konnte. Dagegen lag der Fehler seines Standpunktes darin, daß er sein Friedensproject auch auf die katholische Kirche ausdehnte in der Meinung, daß, sobald nur Papismus und Jesuitismus aus dem Wege geräumt seien, so würde sich die Einigung von selber finden. Das war eben leicht gesagt, ließ sich aber mit den von ihm angegebenen Mitteln noch nicht bewerkstelligen. Dabei übersah er oder beherzigte nicht genug, daß die beiden reformatorischen Glaubensrichtungen ganz anders zu einander als zum Katholicismus standen, und daß es vielmehr darauf ankam, sie dem letzteren gegenüber zusammenzuleiten und zu einigen. Daher begegnete ihm, was er von vorn herein keineswegs beabsichtigte, daß er die geistige Frucht und das besondere religiös-kirchliche Erzeugniß der Reformation zu gering anschlug, um dagegen in der Rückkehr zum altkirchlichen Consensus alles Heil zu suchen. Er wollte also zu viel, und indem er zu einer Handreichung nach beiden Seiten gelangte, veranlaßte er den Vorwurf, daß er die Glaubensweisen vermenge und die Grenzsteine verrücke. Seine historisch-kirchliche Theorie, wie er sie aufstellte, war nicht haltbar, aber dies soll uns nicht abhalten, die allgemeinere Wahrheit seiner Bestrebungen vollständig anzuerkennen als eine religiöse, sittliche, wissenschaftliche. Er war religiös im Recht, wenn er den Kern des Glaubens auf einfache Wahrheiten, statt auf complicirte Lehrbestimmungen zurückführen wollte, er hatte dringenden Grund, an die der Religion einwohnenden sittlichen Pflichten zu mahnen, und war endlich befugt, für die Theologie als Wissenschaft eine über den Buchstaben der Bekenntnißschriften erhabene Untersuchungs- und Urtheilsfreiheit zu beanspruchen. Fügen wir noch die einzelnen Verdienste um die systematische Theologie, um Kritik und Dogmengeschichte hinzu: so wird begreiflich, daß er, der vielgescholtene Synkretist, dennoch eine bedeutende und nachhaltige Wirksamkeit auf die Zeitgenossen und die nächste Folgezeit geübt hat. Durch ihn erlitt die Wittenberger Orthodoxie den ersten Stoß, durch ihn wurden viele Kreise der Gebildeten für freiere kirchliche Anschauungen gewonnen, und was er anregte, hat zum Theil in der nächstfolgenden Bewegung des Pietismus Aufnahme gefunden.

Ein Verzeichniß seiner zahlreichen Schriften verdanken wir seinem Sohne Friedrich Ulrich. Uebrigens sind zu vergleichen: J. Moller, Cimbria litterata, III. p. 121–210; H. Schmidt, Geschichte der synkretistischen Streitigkeiten in der Zeit G. Calixt’s. Erlangen 1846; W. Gaß, G. C. und der Synkretismus. Breslau 1846; desselben Geschichte der prot. Dogm. Th. II. S. 67, besonders aber die ausgezeichnete Monographie von E. Henke, G. C. und seine Zeit. Halle 1853–56, 2 Bde., welcher der Verfasser schon früher vorangehen ließ eine Auswahl aus G. Calixt’s Briefwechsel, Halle 1833, nebst zwei späteren Nachträgen, Jena 1835 und Marburg 1840.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. John Durie, siehe Johannes Duraeus.
  2. Vorlage: Fiedr.
  3. Vorlage: dagen
  4. Vorlage: Eweiterung