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Artikel „Sattler, Basilius“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 30 (1890), S. 408–409, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sattler,_Basilius&oldid=- (Version vom 9. Oktober 2024, 01:50 Uhr UTC)
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Sattler: Basilius S., mehrere Jahrzehnte hindurch das geistige Haupt der braunschweigischen Landeskirche, geboren im Jahre 1549 zu Neustadt an der Linde im Württembergischen, † 1624, war der Sohn armer aber rechtschaffener Eltern. Unter mancherlei Entbehrungen gelang es ihm, eine gelehrte Laufbahn einzuschlagen; er studirte im theologischen Seminar zu Tübingen und war hier schon als Privatlehrer thätig, als er 1569 einer Aufforderung des Kanzlers Jakob Andreä, der den Herzog Julius bei der Einführung der Reformation in seinem Herzogthum Braunschweig-Wolfenbüttel unterstützte und insbesondere auswärtige tüchtige Theologen für die neubegründete Kirche zu gewinnen suchte, Folge leistete und seine schwäbische Heimath mit dem braunschweiger Lande vertauschte. Er wurde Anfangs mit dem Unterrichte einiger Adliger beschäftigt, eine Stellung, die ihm keineswegs genügte, so daß er schon im October 1569 nicht übel Lust zeigte, wieder von dannen zu ziehen. Seinem Wunsche gemäß scheint er dann in Wolfenbüttel einen Kirchendienst erhalten und schnell die volle Gunst seines neuen Landesherrn erworben zu haben. Denn schon im October 1571 wurde er für die Generalsuperintendentur in Gandersheim ausersehen. Allerdings kam er nicht in den Besitz der Stelle, da das dortige Stiftscapitel, eifersüchtig über seinem Besetzungsrechte wachend, Weiterungen verursachte. Dafür erhielt er aber 1572 das Amt eines ersten Predigers an der Hauptkirche zu Wolfenbüttel. Vier Jahre später wurde er als Stadtprediger und Generalsuperintendent nach Helmstedt versetzt, und als hier am 15. October desselben Jahres (1576) die Universität eröffnet wurde, gehörte er als außerordentlicher Professor der Theologie unter die ersten Lehrer der Hochschule. Im folgenden Jahre wurde er zum ordentlichen Professor ernannt, im Sommer 1579 war er Vicerector, am 11. April 1586 ward ihm die theologische Doctorwürde verliehen. Daneben wurde ihm im April 1579 noch die Theilnahme an den Geschäften des Consistoriums, das zu dieser Zeit nach Helmstedt verlegt wurde, aufgetragen. Als Malsius wegen calvinistischer Gesinnung sein Amt als Hofprediger in Wolfenbüttel nicht ohne Betreiben Sattler’s verlor, wurde Letzterer 1586 dessen Nachfolger. Als dann 1589 Wolfenbüttel wiederum Sitz des Consistoriums wurde, ward S. unter Beibehaltung seines Hofpredigeramtes aufs neue dessen einflußreichstes Mitglied und erlangte als superintendens generalissimus des Herzogthums die unbestrittene Herrschaft über die gesammte Landeskirche. Diese hat er länger als ein Menschenalter bis zu seinem Tode, der bei voller Geisteskraft am 9. November 1624 erfolgte, im Sinne strengen Lutherthums ausgeübt; unter drei geistig und religiös sehr verschieden gearteten Landesfürsten hat er seine Person und Richtung in gleicher Weise zur Geltung zu bringen gewußt; bei allen stand er in hohem Ansehen; die Kinder des Herzogs Julius wurden zeitweise seinem Unterrichte anvertraut und dessen Enkel Herzog Friedrich Ulrich folgte selbst trauernd seinem Sarge. Eine mächtige Befördererin seiner orthodoxen Bestrebungen besaß er in des Letzteren Mutter, der Herzogin Elisabeth. Mit dieser gehörte er auch der Partei an, der es 1623 gelang, der Mißwirthschaft des Streithorst’schen Regiments ein Ende zu bereiten; mit ehrenwerthem Freimuthe war er gegen die Verschleuderung der Klostergüter, für Beseitigung der allgemeinen Landesnoth bei dem Herzoge eingetreten. Mehrfachen Rufen gegenüber, die aus den Grafschaften Oldenburg und Schwarzburg, den Städten Braunschweig und Soest an ihn ergingen, blieb er der braunschweigischen Landeskirche treu. Er hat hier die zahlreichen Geschäfte [409] seiner verschiedenen Aemter mit rastlosem Fleiße erledigt. Wo es sich um Organisation des Kirchenwesens handelte, wie bei dem Anfalle des Fürstenthums Kalenberg an Herzog Julius (1584), da war er die berufene Person. Die Leitung des Kirchenregiments war ihm die wichtigste Aufgabe seines Lebens. Wohl sehnte er sich 1596, als es sich um eine Erneuerung seiner Bestallung handelte, zurück nach der ruhigen Thätigkeit des Universitätslehrers, dem lebendigen Verkehre mit der Jugend; dennoch hielt er es für seine Pflicht, in seiner mühe- und verantwortungsvollen Stellung zu verbleiben. Er war mehr für praktische als für wissenschaftliche Arbeiten der geeignete Mann. Denn er war weder ein geistreicher Kopf noch ein durch hohe Gelehrsamkeit ausgezeichneter Theologe, sondern eine frühfertige, einseitige und schroffe Natur, ein fester, ehrlicher Charakter, der unbeirrt von Zweifeln zielbewußt seinen Weg ging und bei der Entschiedenheit und Kraft seines Willens Andersdenkende, für deren Auffassung ihm jedes Verständniß fehlte, rücksichtslos sich unterwarf oder zurückstieß. Ein Feind aller Neuerungen, fest am alten haftend, warnte er vor dem Mißbrauch der Philosophie in theologischen Fragen. Sein ganzes Bestreben ging dahin, der braunschweigischen Landeskirche „das Gepräge jener auf seine Landsleute Brenz, Andreä und Hunnius zurückgehenden Doctrinen, Rechtgläubigkeit der Concordienformel in der Lehre, und Prälatenkirchenregiment mit möglichst geringer Mitwirkung von weltlichen Räthen und von Gemeinen in der Kirchenverfassung aufzudrücken“ (Henke I, 331). Erreichte es S. nun auch, in der Landeskirche seine Ansichten zur Herrschaft zu bringen, die einflußreichen Stellen mit Männern seiner Farbe zu besetzen, zum Theil auch, mit Verwandten, – was ihm von seinen Gegnern den Vorwurf des Nepotismus zuzog –: so suchte er vergeblich, diese Absicht auch bei der Universität Helmstedt durchzuführen. Hier behauptete in den bedeutendsten Lehrern der Hochschule, in Joh. Caselius, Georg Calixt u. A. die versöhnliche humanistische Richtung im Geiste Melanchthon’s gegen das starre Lutherthum entschieden die Oberhand. Freieren und reicheren Geistes sahen diese Männer auf S. herunter, der von Calixt als pater et patronus ignorantiae bezeichnet wurde. Der endliche Sieg sollte ihrer Sache nicht fehlen. Die Befürchtung Sattler’s, „daß die Academia ihm zum Haupte wachse“, ging in Erfüllung. Mit seinem Tode endete die Herrschaft der lutherischen Orthodoxie in Braunschweig-Wolfenbüttel; binnen kurzer Zeit war die Richtung von Sattler’s Gegner Calixt an ihre Stelle getreten. Dies war wohl auch der Grund, daß die Beurtheilung von Sattler’s Thätigkeit so schnell eine äußerst abfällige wurde, daß man mehr als billig auch die verdienstvollen Seiten seines Wesens und Wirkens verkannte. – S. vermählte sich am 24. Juni 1572 mit Anna Maeß, einer Tochter des Bürgermeisters Balthasar Maeß zu Wolfenbüttel, die ihm 16 Söhne und Töchter gebar und am 7. November 1617 gestorben ist. Bei seinem Tode belief sich die Zahl seiner Kinder, Enkel und Urenkel auf 99. Ein Sohn von ihm, Julius S., war 1647–59 Generalsuperintendent in Gandersheim, ein anderer, Samuel S., Dr. med. und Leibarzt; ein Mann seiner Enkelin war Heinr. Julius Strube, der 1615 Professor zu Helmstedt wurde und 1629 starb.

Vgl. Petr. Tuckermann’s Leichpredigt (Wolfenb. 1624). – Chrysandri Diptycha professorum theologiae, qui in acad. Julia docuerunt (Wolfenb. 1748, S. 44–49) und die dort genannten Schriften. – Henke, Georg Calixtus und seine Zeit, 1. Bd. – J. Beste, Geschichte der Braunschw. Landeskirche, S. 121 ff.