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Artikel „Caselius, Johannes“ von Heinrich Julius Kämmel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 40–43, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Caselius,_Johannes&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 07:56 Uhr UTC)
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Caselius: Johannes C., geb. zu Göttingen 18. Mai 1533, † zu Helmstädt 9. April 1613, unter den späteren Humanisten des 16. Jahrhunderts zwar nicht durch wissenschaftliche Leistungen, wol aber durch hohen Sinn und lauteres Streben und anregende Kraft der bedeutendste, in einer Periode zelotischer Kirchlichkeit, die in den unheilvollsten Krieg hineintrieb, der letzte Vertreter freier, menschlich bildender Studien. Er stammte aus der adelichen, einst reich begüterten Familie v. Chessel in Geldern; sein Vater jedoch war durch den Sturm der Verfolgungen in die Fremde getrieben und zuletzt nach Deutschland geführt worden, wo er doch auch weder als Geistlicher noch als Schulmann zu rechter Ruhe kam. Durch ihn früh in die Elemente der Wissenschaft eingeführt und auf große Vorbilder hingewiesen, gewann Johannes rasch in den Schulen zu Nordheim, Gandersheim, Nordhausen (hier unter Basilius Faber und Michael Mander) die Fähigkeit zu höheren Bestrebungen, und nachdem er kurze Zeit noch die eben erst begründete Schule seiner Vaterstadt besucht hatte, gab ihm [41] Wittenberg durch Melanchthon, Leipzig durch Camerarius jene Vielseitigkeit und Gediegenheit der Bildung, durch welche er später zu weitreichendem Einfluß gelangte. Er begann sein öffentliches Wirken als „Schulgeselle“ zu Neubrandenburg an der Seite des Vaters, der dort 1553 als Rector eingetreten war. Dann nach Rostock gekommen, lenkte er bald die Aufmerksamkeit des Herzogs Johann Albrecht auf sich, der mit Anstrengung bemüht war, in seinem Lande die höheren Studien zu voller Entwicklung zu bringen und namentlich die Landesuniversität mit neuem Leben zu erfüllen. (Vgl. Caselii Or. habita in funere J. Alberti ducis, Rost. 1576 und Laudatio J. Alberti, Helmst. 1605.) Vom Herzoge unterstützt, ging er 1560 nach Italien, wo er zuerst in Bologna unter Sigonius, dann in Florenz unter Victorius den eifrigsten Studien sich hingab, wie damals auch andere junge Männer aus Mecklenburg im Auftrage des Herzogs thaten; mit Victorius blieb er seitdem lange Jahre in freundschaftlicher Verbindung. Nachdem er von Florenz aus ganz Italien durchzogen hatte, kehrte er 1563 nach Rostock zurück; aber widrige Verhältnisse hemmten ihn in den Anfängen seiner öffentlichen Wirksamkeit, und so zog er 1565 zum zweiten Male nach Italien, die geknüpften Verbindungen zu befestigen und neue zu gewinnen. Er befreundete sich jetzt auch mit P. Manutius, Muretus, Robertellus, Riccobonus, erhielt 1566 in Pisa den juristischen Doctorhut und kehrte erst 1568 über Wien, wo Joh. Crato v. Crafftheim, der berühmte Leibarzt des Kaisers Maximilian II., auch sonst voll Wohlwollen für ihn, die Erneuerung des Adels ihm erwirkte, nach Rostock zurück, das dem gereiften und weltmännisch gebildeten Gelehrten großes Vertrauen entgegenbrachte und seine akademische Thätigkeit sehr bald zu einer höchst anregenden werden sah. Als Professor der Beredsamkeit las er meist über Aristotelische Schriften, erklärte jedoch gern auch die rhetorischen und oratorischen Werke Cicero’s. Allein schon 1570 rief ihn der Herzog an den Hof und übertrug ihm die weitere Ausbildung seines Sohnes Johann, die er dann vier Jahre lang mit Hingebung zu fördern suchte, in engster Verbindung mit dem trefflichen Rathe des Herzogs, Andreas Mylius. (Vgl. Caselii Or. funebris scripta Andr. Mylio, Helmst. 1611.) Darauf nach Rostock zurückgekehrt, kam er als akademischer Lehrer zu voller Entfaltung seiner Kräfte, wie zu einer nach allen Seiten bestimmenden Thätigkeit. Unter seinen Schülern hatte er fortwährend auch fürstliche und adeliche Jünglinge, die seiner besonderen Fürsorge anvertraut waren, auch wol in seinem Hause wohnten und an seinem Tische speisten. Sein steigender Ruhm war schon 1575, als Herzog Julius von Braunschweig die Universität Helmstädt zu gründen unternahm, Veranlassung gewesen, daß dieser ihn in seine Nähe zu ziehen suchte, und nur die Scheu vor dem streng lutherischen Corpus doctrinae Julium und die dringenden Wünsche seines fürstlichen Gönners in Güstrow hatten ihn in Rostock festgehalten. Erst dreizehn Jahre später, als auf Julius dessen Sohn Heinrich Julius gefolgt war, bestimmte eine neue Einladung den großen Gelehrten, der nach dem Tode des Herzogs Johann Albrecht (1576) in Mecklenburg eine unerfreuliche Wendung der Dinge erlebt hatte, nach Helmstädt überzusiedeln. Er hat seitdem noch 23 Jahre an dieser Hochschule gewirkt, bald ihr bedeutendster Lehrer und durch den Glanz seines Namens aus weiten Kreisen Lernbegierige heranziehend, oft als einsichtsvoller Rathgeber gehört, längere Zeit auch als Kanzler der Universität von großem Einfluß. Keiner Facultät ausschließlich zugezählt, wirkte er mehr oder weniger erfrischend auf jede durch die Art, wie er in vielseitiger Benutzung und Erklärung der großen Alten ohne Wortklügelei vor Allem Bildung des Urtheils, des Geschmacks, der Sitten zu vermitteln suchte. Und ganz besonders wirkte er auch in Helmstädt durch seine edle Persönlichkeit, die für die verschiedensten Naturen Anziehungskraft hatte, den verschiedensten Bedürfnissen hülfreich [42] entgegenkam. Im Besitze einer stattlichen Bibliothek legte er es doch nicht grade darauf an, als Schriftsteller sich auszuzeichnen; was er schrieb, erschien meist in der Form von Gelegenheitsschriften, Reden, Briefen, kurzen Anleitungen und empfahl sich mehr durch geistreiche Gedanken und elegante Darstellung, als durch prunkende Gelehrsamkeit. Glücklich in der Mitte seiner Familie, wie ein Vater verehrt von den Studirenden, deren viele Unterstützungen von ihm empfingen, ein Freund der Armen, für welche er stets eine offene Hand hatte, der ganzen Bevölkerung werth durch die Milde und Freundlichkeit seines Wesens, war er auch für die ferner Stehenden Gegenstand herzlicher Anerkennung, ja lauter Bewunderung, und selbst Männer wie Joseph Scaliger und Isaak Casaubonus rühmten seine wissenschaftliche Tüchtigkeit und seinen tugendhaften Charakter. Bei den Theologen freilich fand er keine Gnade. Obwol dem Protestantismus in Treue zugethan und von aufrichtiger Frömmigkeit geleitet, war er doch auch wieder zu sehr Humanist und zu sehr Weltmann, als daß die theologischen Eiferer mit Vertrauen auf ihn zu blicken im Stande gewesen wären. Sie richteten ja ihre Ungunst mehr und mehr gegen den Humanismus überhaupt und verbanden sich zur Bekämpfung desselben zum Theil auch mit den Ramisten, die doch von einem ganz anderen Standpunkte aus wider ihn sich erhoben. C., der von jeher dogmatischem Gezänk mit weitherzigem Sinne und feiner Ironie aus dem Wege gegangen war, ließ auch dann, als neben ihm ein theologischer Amtsgenosse, Daniel Hoffmann, den Gebrauch von Vernunft und Philosophie in Sachen der christlichen Wahrheit als schädlich verwarf (1598), aus seiner ruhigen und festen Haltung sich nicht herausziehen, und erst, als freundliches Zureden eine seinen Wünschen entgegengesetzte Wirkung hatte und nun die ganze philosophische Facultät, um ihre Stellung und Geltung zu wahren, gegen Hoffmann auftrat, nahm der besonders Angegriffene an den Maßregeln theil, welche zur Absetzung des Zeloten führten. Freilich war damit nur vorübergehende Ruhe gewonnen. Der Abgesetzte hatte starke Freunde, wurde wenige Jahre später in sein Amt zurückgerufen und that seitdem das Seinige, dem greisen C. die letzte Zeit des Lebens zu verbittern, was diesen dann gelegentlich zu schmerzlichen Klagen über die hereinbrechende Barbarei gebracht hat. Aber seine lautere und innige Frömmigkeit blieb von diesen Anfechtungen unberührt. Wie er allezeit in der Bibel und den griechischen Kirchenvätern Erquickung und Stärkung seines Glaubens gesucht hatte, so pflegte er noch in mancher schlaflosen Nacht seiner späteren Zeit durch Dichtung geistlicher Oden sein Gemüth zu erheben. Den Tod erwartete er mit christlicher Gelassenheit. – Mit Mecklenburg hatte er stets lebendige Verbindung unterhalten, ja zuweilen mit rechter Sehnsucht dorthin zurückgeschaut, wo er von Haß und Feindschaft so gar nicht berührt worden war. Zu der mecklenburgischen Schulordnung von 1602 hatte er treulich mitgeholfen (Raspe, Zur Gesch. der Güstrower Domschule, 40). Aber es waren in Helmstädt auch wieder Männer um ihn, die aus Rostock dorthin ihm gefolgt waren und wesentlich in derselben Richtung sich bewegten, Albert Clampius, Franz Parcovius, Owen Günther, Duncan Liddel. In welcher Weise die freie und lebendige Wissenschaft, wie er sie mit solchen Genossen pflegte, durch Georg Calixtus auch auf theologischem Gebiete weiter wirkte, davon ist hier nicht zu reden. – Eine Biographie des ausgezeichneten Mannes fehlt uns noch; aber es liegen namentlich in den Briefsammlungen aus jener Zeit reiche Materialien dazu vor. S. besonders Dransfeld, Opus epistolicum Jo. Caselii (Fft. 1687), Commercium lit. clarorum virorum e museo Noltenii (Br. 1737), P. Victorii Epp. ad Germanos missar. libri III, ed. Caselius (Rost. 1574). Clar. Italorum et Germanorum epp. ad Victor., ed. Bandin. (Flor. 1758, 60, 2 Tomi), Jos. Scaligeri Epp. (Lgd. Bat. 1627) 556 ss.

[43] Vgl. E. Henke, Calixtus I; Klippel, Deutsche Lebens- und Charakterbilder I; Lisch, Andreas Mylius und Joh. Albrecht I. von Mecklenburg (Schwerin 1853); Krabbe, Die Universität Rostock, 718 ff.