ADB:Calixt, Friedrich Ulrich
Georgs (s. d. A.), wird, weil er bei weitem der Geringere war, über seinem Vater oft ganz vergessen. Geboren zu Helmstädt am 8. März 1622, erhielt er im Hause eine durchaus [705] gelehrte Erziehung und lernte früher lateinisch sprechen als deutsch schreiben, ohne jedoch nach dieser Richtung bedeutende Anlagen zu verrathen; daraus erklären sich einige unzufriedene Aeußerungen seines Vaters. Er zeigte viel Vergnügen an gymnastischen Uebungen, wollte Medicin, dann Philosophie studiren, zu welchem Zweck er 1640 nach Leipzig ging, entschloß sich aber, nach Helmstädt zurückgekehrt, doch noch zur Theologie, erhielt Titius zum Hauslehrer und wurde von diesem in die wissenschaftlichen Bahnen seines Vaters eingeführt. Bei Gelegenheit des Thorner Religionsgesprächs begleitete der Sohn den Vater im Juli 1645 nach Thorn und ging im September nach Königsberg, theils um die dortige Universität kennen zu lernen, theils um der Hochzeitsfeier des Herzogs von Kurland mit der Schwester des Kurfürsten von Brandenburg beizuwohnen. Die weitere akademische Laufbahn des jungen Mannes ist durch Unterstützung und Einfluß Georgs erleichtert worden. Die Universität Helmstädt wurde 1650 reorganisirt; bei diesem Anlaß wurde es möglich, Friedrich Ulrich, der sich inzwischen als eifriger Schüler herausgearbeitet hatte, nun auch als Professor für das Fach der Loci communes in die dortige Facultät aufzunehmen. Mit seinem Heirathsproject war Georg nicht einverstanden und bewog ihn daher im Frühling 1651 zu einer zweijährigen Reise nebst Aufenthalt in Italien, Frankreich und Belgien. In diese Zeit fällt der Uebertritt einiger gelehrten und zu Calixt’s Kreise gehörigen Lutheraner zur römischen Kirche. Rudolf v. Rantzau und, theilweise von diesem bewogen, auch der junge Herzog Johann Friedrich von Braunschweig wurden katholisch; der letztere traf noch kurz vorher in Italien mit Friedrich Ulrich zusammen, dem es aber nicht gelang, ihn unter Verweisung auf die Rathschläge seines Vaters umzustimmen. Als nun Friedrich Ulrich 1652 heimkehrend immer noch bei seiner früheren Herzensneigung beharrte, gab Georg nach; die Vermählung mit Anna Margaretha Duwe, Tochter eines Rathskämmerers, wurde feierlich begangen und eröffnete eine fast fünfzigjährige Ehe, aus welcher sieben Kinder hervorgingen, von denen aber nur ein Sohn den Vater überlebt hat. Am 27. Juli desselben Jahres empfing Friedrich Ulrich aus der Hand seines Vaters, des zeitigen Promotors, die theologische Doctorwürde; auch erbat sich dieser nachher, auf Anrathen seines Schwagers Schwarzkopf, den Sohn zum Nachfolger in der Würde des Abts von Königslutter. Nach Georgs Tode ist Fr. Ulrich seinen Pietätspflichten getreulich nachgekommen. Er war ein achtbarer und arbeitsamer Mann, aber es fehlte ihm an selbständigem Geist, weshalb er auch wenig mehr geleistet hat, als was sich aus eben dieser Pietät und aus der Aneignung der Grundsätze und Ansichten seines Vaters ergab; selbst diese hat er mehr abgeschwächt als ergänzt oder neu belebt. Sein Vorhaben, eine Gesammtausgabe der Werke Georgs zu veranstalten, blieb unausgeführt, statt dessen lieferte er ein vollständiges Verzeichniß derselben („Catalogus operum G. C.“), sowie neue Auflagen einzelner. Namentlich sind die Schriften: „Dissertationes de veritate religionis christianae“, „Consultatio de tolerantia Reformatorum“, „Desiderium et studium concordiae ecclesiasticae“ u. a. von ihm neu herausgegeben und mit apologetischen Vorreden begleitet worden. Als nach langwierigen Anstrengungen der zur Verdammung Georgs ersonnene und ausgearbeitete „Consensus repet. fid. Luther.“ endlich zu Wittenberg 1664 gedruckt wurde, trat Fr. Ulrich unerschrocken in die Schranken und vertheidigte in der „Demonstratio liquidissima“, Helmst. 1667 gegen Calov und Strauch die Ehre seines Vaters und das Recht eines ermäßigten Synkretismus. Seine eigene Hauptschrift: „Via ad pacem inter Protestantes praeliminariter restaurandum“, Helmst. 1700, weist auf die vorangegangenen Friedensgespräche und unionistischen Abhandlungen zurück. Als Inbegriff des unverlierbaren Glaubens wird das apostolische Symbol zum Grunde gelegt; alles andere gehört der auslegenden Lehre, nicht dem Bekenntniß [706] an und gestattet den beiden protestantischen Confessionen selbst bei obwaltender Differenz im Einzelnen doch eine friedliche und brüderliche gegenseitige Anerkennung; folglich ist es auch nur diese duldende und wahrhaft verträgliche Gemeinsamkeit, nicht wirkliche oder vollständige Einigung, was zunächst bezweckt werden soll, und mehr hat auch Georg nicht gewollt. In der Erläuterung dieser Sätze zieht Fr. Ulrich mit seinem Vater verglichen einen Schritt zurück; wenn er aber dabei von der katholischen Kirche absah, folgte er nur einem richtigen Instinct. Demselben irenischen oder synkretistischen Interesse dienen noch mehrere Abhandlungen und Vorreden des Verfassers, andere Schriften und Dissertationen haben dogmatische und dogmenhistorische Gegenstände, z. B. „Tractatus theol. de vario hominis statu“, Helmst. 1695, „De chiliasmo cum antiquo tum pridem renato“, Helmst. 1692, mit Bezug auf die damals vom Pietismus angeregten chiliastischen Hoffnungen, „Beatae Mariae virginis immaculatae conceptionis historia“, Helmst. 1696. Uebrigens taucht der Name dieses Mannes noch in einem andern merkwürdigen Zusammenhange auf. Die Wirksamkeit Georg Calixt’s hatte die nachtheilige Folge gehabt, in manchen Schülern und Nachfolgern das confessionelle Bewußtsein auch nach der römischen Seite hin zu schwächen. Der Gedanke einer römisch-protestantischen Kircheneinigung wurde in weiteren Kreisen lebendig. Mit besonderem Eifer ergriff der Bischof Christoph Rojas de Spinola seit 1675 dieses Unionsproject, welches aber auch andere und zwar höchst ungleich gesinnte und ungleich interessirte Freunde und Theilnehmer fand, wie den Abt Molanus, den Hofprediger Barkhausen zu Hannover, den Philosophen Leibnitz. In ähnlicher protestantischer Weitherzigkeit war auch Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel erzogen worden; dieser aber wurde völlig indifferent gegen das specifisch Protestantische und Katholische, und da er über die Hand seiner Enkelin verfügte, sah er nichts Unrechtes darin, diese für den Fall, daß sie zur Königin von Spanien ausersehen werden sollte, auch zum Anschluß an die römische Kirche zu bewegen. Sein Entschluß begegnete den größten Schwierigkeiten und vieljährigen Weitläuftigkeiten, aber er ruhte nicht und setzte es durch, daß Elisabeth Christine endlich 1707 ihren Uebertritt feierlich, obwol in den für sie selber schonendsten Formen, erklärte. Zu den ersten Vorverhandlungen in dieser Angelegenheit waren um 1695 auch die evangelischen Theologen, unter ihnen Fr. Ulrich C., von Helmstädt herangezogen worden; während aber zwei seiner Collegen, Johann Andreas Schmidt und Johann Fabricius sich zu den stärksten Concessionen, ja zu einer gewissen Anerkennung des Papstes bereitfinden ließen, besaß Fr. Ulrich doch Festigkeit genug, jede Zumuthung zurückzuweisen, welche die Unabhängigkeit seiner Kirche und deren Lehrbestand gefährdete. Durch ein protestantisches Gewissen wollte er das Andenken seines Vaters ehren.
Calixt: Friedrich Ulrich C., zweiter Sohn- Moller, Cimbria Litt. I. p. 460 sqq.; Winkler, Anecdota, I. p. 460 sqq. Zahlreiche Stellen in G. Calixt’s Briefwechsel von Henke, S. 222. 226. 232 ff. 249, und in des letzteren Monographie über G. C. Hoek, Anton Ulrich und Elisabeth Christine. Göttingen 1842. Die wichtigeren Schriften von Friedrich Ulrich C. sind aufgezählt in Walch, Bibl. theol. selecta.