ADB:Buxtorf, Johann der Jüngere

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Artikel „Buxtorff, Johannes“ von Carl Gustav Adolf Siegfried in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 673–676, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Buxtorf,_Johann_der_J%C3%BCngere&oldid=- (Version vom 2. November 2024, 16:23 Uhr UTC)
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Buxtorff: Johannes B., Sohn des vorerwähnten, geb. zu Basel 13. Aug. 1599, † 17. Aug. 1664. Schon als Kind mit Sprachweisheit gefüttert, ward er im 4. Jahre Schüler, im 13. Student, im 16. Magister der Philosophie. Um sich weiter auszubilden, ging er 1617 nach Heidelberg, wo er Paräus, Scultetus und Alting hörte; 1619 war er zur Zeit der berühmten reformirten Synode zu Dortrecht, bereiste dann die Niederlande, England und Frankreich und kehrte nach Basel zurück. Als er 1623 nach Genf reiste, um Turretin, Clericus u. a. zu hören, stellte es sich heraus, daß er geeigneter war, dieselben zu unterrichten. Er blieb in Basel, verschiedene ehrenvolle Rufe ablehnend, von 1624 an als Diaconus in geistlichem Amte, seit 1630 im Amte seines verstorbenen Vaters als Professor der hebräischen Sprache, seit 1647 in der Professur locorum communium atque controversiarum, von 1654 an war er Professor der Auslegung des alten Testaments. Er war vier Mal verheirathet, von seinen zwei überlebenden Söhnen ist Johannes Jakobus sein Nachfolger im Amte und in der Wissenschaft geworden. – Ueber sein Leben vgl. die Oratio parentalis des Lucas Gernler, vollständiges Schriftenverzeichniß hinter denen seines Vaters in Athenae Rauricae, Bas. 1778, p. 447 sqq. – Buxtorff’s wissenschaftliche Thätigkeit ging nach der einen Seite auf die Verbesserung und Fortführung der Werke seines Vaters. In dieser Beziehung ist dieselbe schon in dem vorhergehenden Artikel mit gewürdigt worden und mag hier nur hinzugefügt werden, daß er bereits 1622 ein „Lexicon chaldaicum et syriacum“ herausgab, in welchem er die chaldäischen Worte des A. T. und der Targumim und die syrischen aus der Uebersetzung des Neuen Testaments erklärte. – Bei weitem wichtiger ist die polemische Thätigkeit, in welche ihn das Verhängniß seines Lebens hineinzog und in der er, wie manche ähnliche Erscheinungen auf dem Gebiet der biblischen Wissenschaft, ein tiefgehendes Wissen und einen glänzenden Scharfsinn an eine unhaltbare Sache setzte. Schon seinem Vater hatte der französische Gelehrte Ludwig Cappellus aus Sedan eine Schrift vorgelegt, in welcher die Aufstellungen der „Tiberias“ einer eindringenden Kritik unterzogen waren. Der ältere B. hatte dieselbe mit einigen Bemerkungen zurückgesandt, welche die Sache unerledigt ließen. Hierauf bewirkte der Orientalist Erpenius die Veröffentlichung des Buches, welches 1624 zu Leyden unter dem Titel „Arcanum punctationis revelatum etc.“ erschien. Die scharfsinnige Beweisführung stützte sich vorzugsweise auf Aussprüche des Ibn-Esra und David Kimchi, [674] auf die unpunktirten Synagogenrollen, auf die ganz unpunktirte samaritanische Schrift, auf den Unterschied des Keri und Chetib (der Rand- und Textlesart), auf die alten Uebersetzungen, auf Citate bei Philo, Josephus und den griechischen und lateinischen Kirchenvätern, welche alle den Gebrauch unpunktirter Exemplare voraussetzen, wies ferner auf die chaldäische Benennung der Zeichen und ähnliches hin und suchte die allmähliche Entstehung derselben deutlich zu machen. Es erschien kaum möglich, so deutlichen Thatsachen, welche den spätern Ursprung der Lesezeichen bekundeten, zu widersprechen. Der jüngere B., welcher diese Aufgabe vom Vater geerbt hatte, zögerte lange, immer sammelnd und prüfend, bis er sich vernehmen ließ. Er griff zunächst einen vereinzelten Punkt der Cappellus’schen Kritik heraus in seiner „Dissertatio de literarum hebraicum genuina antiquitate“, 1643. Cappellus hatte die hebräische Schriftentwicklung so dargestellt, daß er die samaritanische Schrift für die ursprüngliche hebräische erklärte, aus welcher dann Esra das A. T. in die spätere Quadratschrift übertragen habe (Arcan. punct. I, 6 p. 713 ss.). Demgegenüber suchte nun B. auf Grund talmudischer und rabbinischer Autoritäten der Quadratschrift ein weit höheres Alter zuzuschreiben und machte dabei, um die verschiedenen Schriftarten zu erklären, den ganz unhaltbaren Unterschied einer heiligen, priesterlichen Schrift (der Quadrata) und einer Profanschrift, deren man sich im bürgerlichen Leben bedient habe und die im samaritanischen Pentateuch und auf den Münzen wiederkehre. Auf diesen Angriff antwortete Cappellus in einer „Diatriba de veris et antiquis Ebraeorum literis opposita D. J. Buxtorfii de eodem argumento dissertationi“, 1645, in welcher er das höhere Alter der samaritanischen Schrift zu erweisen suchte. – Der ganze Streit wurde aber auf diesem Punkte dadurch verwirrt und die Gewinnung eines reinen Resultats dadurch verhindert, daß man die viel spätere Schrift des samaritanischen Pentateuch mit der auf den sogen. makkabäischen Münzen sich findenden vermengte. – Umfassender ward hierauf die Polemik von B. weitergeführt in seinem „Tractatus de punctorum vocalium et accentuum in libris V. T. hebraicis origine antiquitate et autoritate oppositus arcano Punctationis revelato Lud. Cappelli“, 1648. Die Anlage der Schrift ist der des Gegners genau entsprechend, nur daß die Theile in umgekehrter Ordnung folgen. Voran geht in der pars ἀνασκευαστική die Widerlegung des Gegners, daran schließt sich in der pars κατασκευαστική die Begründung der eigenen Ansicht. Heben wir einige Züge zur Charakterisirung der Beweisführung heraus. Das Zeugniß des Ibn-Esra, welcher in ausdrücklichen Worten sagt, daß man die Punktation von den Weisen von Tiberias empfangen habe, wird (I, 3 p. 11 ss.) dahin gedeutet, daß man durch ihre Vermittelung die bereits seit alter Zeit bestehende Punktation erhalten habe. Die unpunktirten Synagogenrollen finden ihre Erklärung in dem oben erwähnten doppelten Schriftcharakter, dessen sich die Israeliten bedienten; daß Mose die Punkte nicht hatte, geht aus denselben nicht hervor, was er für Gründe hatte, ein unpunktirtes Exemplar ins Heiligthum zu legen, ist uns unbekannt (I, 4). Daß die cabbalistischen und allegorisirenden Schriften der Juden von Vocalen und Accenten bisweilen schweigen, ist erklärlich, denn sie lassen dieselben absichtlich weg, um nun nach ihrer Art den blos consonantischen Worten jeden beliebigen Sinn unterlegen zu können. Daneben aber finden sich mannigfache Stellen, wo die Vocale erwähnt sind und ihr verborgener Sinn erläutert wird. (Der Fehler lag hier in der unkritischen Vermischung der ältern Cabbala und ihren spätern Commentatoren. I, 5) Der Mangel der Accente und die fehlende Erwähnung derselben im Talmud beweist noch nicht, daß es damals keine Punkte gegeben habe, sondern höchstens, daß die Namen derselben noch nicht erfunden waren (I, 6). Keri und Chetib beweisen nur, daß es einige unpunktirte Exemplare gab, nicht daß [675] man überhaupt damals nicht punktirt habe (I, 8). Aus den Uebersetzungen, besonders der der LXX, folgt nicht, daß es damals keine punktirte Handschriften gab, sondern nur, daß die Uebersetzer bisweilen auf die Punkte keine Rücksicht nahmen oder ausdrücklich den griechischen Heiden den wahren Sinn des Gesetzes zu verschleiern suchten. Außerdem sind die Abweichungen vielfach dem verderbten Zustand der griechischen Uebersetzung zuzuschreiben und beziehen sich nicht blos auf die Vocale, sondern auch auf die Consonanten (I, 9). Wenn aus den chaldäischen Paraphrasen an einzelnen Stellen hervorgeht, daß ihnen unpunktirte Handschriften vorlagen, so folgt auch hieraus nicht, daß es damals keine punktirte gab (I, 10). Das Stillschweigen des Hieronymus über die Punkte ist kein vollgültiger Beweis, denn bei der Seltenheit punktirter Exemplare war es leicht möglich, daß ihm keins zu Gesicht kam, aus einigen Angaben desselben scheint aber sogar hervorzugehen, daß ihm die Punkte bekannt waren (es werden hier Stellen angeführt, bei denen die Vocalisation der Worte entscheidend ist, I, 11). Die von Cappellus scharfsinnig hervorgehobenen Fälle einer durchgehend abweichenden und unmöglichen Vocalisation, die in der Punktation einiger Worte des A. T. vorliegen, aus denen klar die spätere Hinzufügung der letztern hervorging, werden von B. als gerade so von Hause beabsichtigt darzustellen versucht (I, 12). Ebenso bemüht er sich, die aramäischen Namen der Lesezeichen aus dem Hebräischen herzuleiten und die Erfindung derselben durch Esra wahrscheinlich zu machen (I, 13). Die fremdartige und für die lebende Sprache überflüssige Bezeichnung, welche, wie Cappellus richtig herausfand, in den mancherlei Lese- und Accentzeichen liegt, sucht B. mit großer Belesenheit durch die Erklärungen der rabbinischen Grammatiker zu erläutern, aber auf diesem Punkte trifft besonders zu, was R. Simon vom ganzen Werke Buxtorff’s sagt: (Hist. crit. du V. T. p. 479): qu’y a-t-il … sinon une vaine érudition Juive dont on ne peut rien conclure? – Die Absicht der ganzen Beweisführung Buxtorff’s tritt am Schluß des ersten Theils heraus, an welchem er sagt, es komme vor allem darauf an, den hebräischen Text, sowie er ist, als Gegenstand der göttlichen Offenbarung bis zur kleinsten Partikel zu erkennen (I, 16). – Der zweite Theil des Buxtorff’schen Werkes beruht fast ganz auf dem Autoritätsbeweis: Talmudisten, Cabbalisten, jüdische Grammatiker, Historiker etc., alle stimmen überein gegen den einzigen Elias Levita, überall finden wir bei den Juden punktirte Exemplare als das wahre göttliche richtig überlieferte Wort und so haben wir in unserer punktirten Bibel die durch göttliche Vorsehung erhaltene Offenbarung des A. T. – Die talmudische und rabbinische Belesenheit in diesem Werke ist außerordentlich, die Fülle und Gruppirung der Belege vermag wirklich auf Augenblicke den Blick des Lesers zu blenden und ihm die Wahrheit zu verschleiern, aber vor den einfachen Thatsachen schwinden auch die Nebel, welche die Gelehrsamkeit heraufzuführen weiß, und man erkennt bald, wie Simon a. a. O. richtig hervorhebt, als Grundlage des Ganzen la superstition et les rêveries des Rabbins. – Cappellus verfehlte nicht, diesem Werke entgegenzutreten in einer großen Gegenschrift, welche unter dem Titel: „Arcani punctationis Lud. Cappelli vindiciae“ erst durch Bemühung seines Sohnes in die Oeffentlichkeit gelangte (Ausgabe Amsterdam 1689, p. 795–979). Sie vertritt im wesentlichen die Anschauungen der ersten Schrift mit verstärkten und vermehrten Gründen und Beleuchtung der Buxtorff’schen Gegengründe. – Gleichzeitig hatte auch Morinus in seinen „Exercitationes biblicae“ (P. I. Paris 1633. P. II. 1669) mit in den Streit eingegriffen und namentlich heftige Angriffe gegen die Zuverlässigkeit des hebräischen Textes gerichtet, dem gegenüber er die LXX als die brauchbaren Führer zum ursprünglichen Text des A. T. anpries. In die heftige Polemik, die hierüber entbrannte, trat Cappellus mit seiner gediegensten und durchschlagenden [676] Leistung ein, welche in der nach seinem Tode (1650) erschienenen „Critica sacra“ (später hrsg. v. Vogel und Scharfenberg, 3 Thle, 1775–86) vorliegt. Er zeigte, wie der hebräische Grundtext mannigfache Fehler enthalte, wie die Verbesserung derselben am ersten aus den Uebersetzungen zu ermöglichen sei, wobei er den kritischen Werth der LXX freilich etwas zu hoch anschlug, und wie außerdem auch Conjecturen zu wagen seien, über deren Methode er sehr umsichtige Regeln beifügt. – Die Aufzeigung von Fehlern in der Hebraica veritas traf den wundesten Punkt der protestantischen Orthodoxie und es ist natürlich, daß hier wieder B. sich besonders berufen glaubte, dem alten Gegner die Stirn zu bieten. Es geschah in der „Anticritica s. vindiciae veritatis hebraicae adversus Lud. Cappelli criticam quam vocant sacram etc.“, 1653. Diese Leistung ist unter den Buxtorff’schen offenbar die beste. Hatte sich gleich der Verfasser etwas Unmögliches zu erweisen auferlegt in der Behauptung, daß der uns überkommene hebräische Text frei von Fehlern sei, so enthält sein Buch doch eine Verbesserung einer Menge von Irrthümern und Verstößen, die Cappellus begangen hatte, namentlich aber eine viel richtigere Werthschätzung der Masorah und sehr brauchbare Bemerkungen über die Abweichungen der Uebersetzungen vom Grundtexte des A. T. In Folge dessen sind die Theile dieser umfangreichen Schrift von verschiedenem Werth. Der erste Theil, welcher im wesentlichen auf den bereits im Tractatus behandelten Stoff zurückkommt, ist durch Wiederholungen und zahlreiche Persönlichkeiten ermüdend und unerquicklich zu lesen. Im zweiten Theile stößt anfänglich das gewaltsame Verfahren zurück, durch welches die verschiedenen Lesarten der im A. T. selbst uns begegnenden Parallelstellen ausgeglichen werden sollen. Sodann aber bietet die gründliche Untersuchung der einzelnen Varianten, welche Cappellus aus den Uebersetzungen für den hebräischen Text zu gewinnen suchte, außerordentlich reiche Belehrung. – Im Ganzen konnte aber auf diesem Wege nur die Hinfälligkeit mancher einzelner Beweismittel des Cappellus, die Nothwendigkeit einer Verbesserung seiner kritischen Methode, nicht aber die Nichtigkeit seiner Grundansicht erwiesen werden. Tieferblickende Gelehrte erkannten schon das Ueberzeugende derselben, aber die protestantische Kirche fand in Buxtorff’s Vertheidigung der Veritas hebraica die der Veritas divina und verdammte bisweilen in Buxtorff’s eigenen Worten die Gegner desselben (s. Formula consensus helvet. 1675, canon I-III., unter den Lutheranern vgl. Gerhard, Loci theol. ed. Cott. 1762 ss. III. p. 265 ss.) – Von anderweiten Schriften Buxtorff’s wären etwa noch zu nennen: „Liber Cosri“, hebräisch und lateinisch, 1660; lat. Uebersetzung des More Nebochim von Maimonides, 1629, „Exercitatio s. in historiam institutionis s. coenae“, 1642, welche spätere „Vindicias … contra Cappellum“, 1646 zur Folge hatte.