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Artikel „Scultetus, Abraham“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 33 (1891), S. 492–496, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Scultetus,_Abraham&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 17:09 Uhr UTC)
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Scultetus: Abraham S. (auch Schultetus), reformirter Theolog, bekannt geworden durch eine Reihe trefflicher homiletischer, patristischer, kirchenhistorischer und exegetischer Schriften, sowie durch seine Predigt gegen den Bilderdienst zu Prag als Hofprediger des unglücklichen Böhmenkönigs Friedrich V. von der Pfalz, geboren am 24. August 1566 zu Grünberg in Schlesien, † am 24. October 1624 zu Emden. In seiner Jugend hatte S. mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, um sich dem Gelehrtenberuf zu widmen. Mehr als einmal [493] schien es, als sollte er seine Studien aufgeben müssen. – Seine ersten Lehrer in Grünberg sind gewesen M. Petrus Titus, ein standhafter Bekenner des Glaubens und M. Jacob Ebert, in den orientalischen Sprachen sehr berühmt, ein Mann von gutem Leben und Geschicklichkeit, wie er von diesen bezeugt. Im J. 1582 begab er sich nach Breslau, wo die nachmals berühmt gewordenen Theologen Barth. Pitiscus, Amandus Polanus und Christoph Pelargus seine Mitschüler waren. Kaum einige Wochen war er daselbst, als ein Brand, der seine Eltern um alle ihre Habe gebracht, ihn in die Heimath rief, wo er nach dem Willen des Vaters nun ein Handwerk erlernen sollte. S. suchte jetzt durch Information der Kinder des Bürgermeisters zu Freistadt sich die Mittel zu seinen weiteren Studien zu erwerben. Hierauf ging er 1585 nach Görlitz, wo seine Hauptlehrer Laurentius Ludovicus, ein Schüler Melanchthon’s und M. Martin Mylius, ein Schüler Sturm’s, waren. Hier begeisterte ihn der berühmte Pastor Abraham Buchholzer, den er oft hörte, sehr für den Predigerberuf. Von da bezog er 1588 die Universität Wittenberg, wo er bis zum Jahre 1590 verblieb und den in den kryptocalvinistischen Händeln bekannt gewordenen Schwiegersohn Melanchthon’s, Dr. Kaspar Peucer, in Dessau kennen lernte. Sein Sinn stand aber schon lange nach Heidelberg, das er nun mit Wittenberg vertauschte. Hier waren es die Koryphäen damaliger reformirter Theologie in Deutschland, Daniel Tossanus, Franz Junius, Jacob Kimedoncius, welche er drei Jahre hindurch mit dem größten Erfolge hörte und daneben sich die Mittel zu seinem Studium durch Privatlectionen erwarb, welche er einigen vornehmen Studenten ertheilte. In diesen Jahren hat S. auch seine „Medulla theologiae patrum, qui ante concilium Nicaenum floruerunt“, für seine Unterweisungen verfaßt, welche einige Jahre später gedruckt wurde und für immer seinem Namen in den Annalen der theologischen Wissenschaft einen Platz sicherte. In Heidelberg wurde er als Stipendiat in das Collegium Casimirianum aufgenommen, was ihn bestimmte, um den Statuten desselben nachzukommen, sich 1591 den Magistertitel zu erwerben. An dem Tische des Tossanus, der ihn seines näheren Umganges würdigte, lernte S. den Verfasser der reformirten nassauischen und bremischen Bekenntnißschrift, Christoph Pezel (s. A. D. B. XXV, 575) kennen. Eine im Sommer 1593 mit mehreren jungen Adeligen nach Württemberg unternommene Reise erweiterte seinen Blick. Bald darauf nahm ihn der ihm anvertraute Junker Christoph Georg v. Berge anläßlich des Todes des alten v. Berge mit nach Heuendorf in Schlesien, bei welcher Gelegenheit S. seine Eltern begrüßen durfte. Im September 1594 bot S. hierauf dem pfälzischen Kirchenrathe seine Dienste an und wurde geprüft, ordinirt und nach Schriesheim nahe bei Heidelberg gesandt, um als zweiter Prediger dasige Gemeinde zu bedienen. Doch war sein hiesiger Aufenthalt von nur kurzer Dauer. Zu Anfang des folgenden Jahres berief ihn Kurfürst Friedrich IV. an den Hof, um als Schloßcaplan an der Seite des M. Bartholomäus Pitiscus zu wirken. Im J. 1598 wurde er Prediger an der Klosterkirche und 1600 Mitglied des Kirchenrathes und Inspector der Kirchen und Schulen der Heidelberger Classe. Seine Wirksamkeit ragte aber über die pfälzische Grenze hinaus. Bald dahin, bald dorthin wurde der geschickte Organisator begehrt. So treffen wir ihn im J. 1609 nicht nur in der Oberpfalz, wo er mit Otto v. Grünrade und Stenius das Amberger Gymnasium reformirte, sondern auch mit ersterem in der Grafschaft Hanau-Münzenberg, um dortige Kirchen und Schulen nach dem Muster der kurpfälzischen einzurichten. Im Sommer 1610 begleitete er den Fürsten Christian I. von Anhalt-Bernburg in den Jülichschen Erbfolgekrieg, bei welcher Gelegenheit er mit dem Arnheimer Pastor Johannes Fontanus an der außerordentlichen Synode, den 17. August zu Düren gehalten, Theil nahm, welche die so großartige [494] Idee einer gemeinsamen Synode aller reformirten Kirchen der Fürstenthümer Jülich, Cleve und Berg sammt angehörigen Graf- und Herrschaften realisirte. Bereits am 7. September desselben Jahres 1610 tagte die erste Generalsynode genannter Kirchen zu Duisburg, auf welcher wiederum S. und Fontanus erschienen, um mit ihrem Rathe diese Versammlung zu unterstützen. Und wo immer damals in Deutschland eine reformirte Bewegung sich äußerte, hat S. mehr oder weniger in dieselbe eingegriffen. Im J. 1612 nahm ihn Kurfürst Friedrich V. zu seiner Hochzeit mit der Prinzessin Elisabeth Stuart nach England mit, wo er eine Menge interessanter Beobachtungen über Gelehrte, kirchliche Zustände und Volkssitten machte, welche er in seiner Lebensbeschreibung niedergelegt hat. In ähnlicher Weise hat er auch auf dieser Reise die Niederlande ins Auge gefaßt. Zwei Jahre später, da er nach des Hofpredigers Pitiscus Ableben dessen Nachfolger geworden war, treffen wir ihn in der Hauptstadt des Kurfürstenthums Brandenburg an, wohin er auf den Wunsch des edlen Kurfürsten Johann Sigismund gezogen, um das reformirte Kirchenwesen daselbst zu ordnen. Er blieb mehrere Monate in Berlin, visitirte auch das Joachimsgymnasium und predigte öfters. Seine höchst gediegene Predigt machte u. a. auf den Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg einen tiefen Eindruck. Vor seinem Wegzuge von Berlin stellte er auf Befehl des Kurfürsten in der Domkirche am 9. October zwei Pastoren der reformirten Gemeinde als ihre künftigen Hirten vor: Füssel und Sachse. Im J. 1618 wurde S. zum Professor der Theologie an der Universität Heidelberg berufen und bald darauf mit den übrigen pfälzischen Abgeordneten Heinrich Alting und Paul Tossanus auf die Dordrechter Nationalsynode geschickt. In Dordrecht hielt er am 15. December d. J. eine solenne Predigt über den 122. Psalm, worin er sehr zur Eintracht ermahnte, was eine tiefe Bewegung verursachte. Er kam den Remonstranten in der Synode mit äußerster Milde entgegen, bis er sich überzeugte, daß dieselben absichtlich gegen alle bessere Belehrung sich verschlossen. In der Sitzung vom 28. December 1618 vertheidigte er mit allem Nachdrucke die Gewißheit des Gnadenstandes des Gläubigen u. a. verwandte Materien. In dem Falle des Professor Maccovius von Franeker, der von Sibrand Lubbertus wegen einiger unvorsichtiger Ausdrücke des Manichäismus beschuldigt wurde, äußerte S. vor der Synode mit Recht, diese Sache wäre von so geringem Belange, daß man keine Klage bei der Synode hätte vorbringen sollen. Dieser seiner Nüchternheit und Maßhaltung war es denn zu verdanken, daß diese Angelegenheit in friedlicher Weise beigelegt wurde und keine weitere Streitsache sich ausbildete. Ebenso wurde er im Juli 1619 auf den Kurfürstentag zu Frankfurt a. M. geschickt, wo die böhmische Frage erörtert und sein Kurfürst Friedrich V. zum Könige von Böhmen gewählt wurde. Ein feierlicher Gottesdienst, bei welchem S. die Predigt übernahm, schloß diese Feierlichkeit.

Es war am Ende des Monats October genannten Jahres, daß bereits Friedrich V. nach Böhmen zog, dessen Königskrone er so kurze Zeit tragen sollte. In seinem Gefolge befand sich auch S., der nach dem feierlichen Einzuge seines königlichen Herrn in Prag seine denkwürdige Predigt über den 20. Psalm hielt. Friedrich V. hatte allen Bewohnern seines Königreiches gleiche Duldung versprochen, für sich und seinen Hof hatte er sich zum Gottesdienste die Schloßkirche ausersehen und diese alsbald von den vielen Bildern, im Gehorsam gegen das zweite göttliche Gebot, reinigen lassen. Durch dieses Vorgehen rief er aber bei den zähe am Herkömmlichen hängenden lutherischen Czechen viele Erbitterung hervor. Die Predigt, welche S. vor jener Bilderreinigung am 12./22. December 1619 gethan und welche nachher unter der Aufschrift erschien: „Kurtzer aber schriftmäßiger Bericht Von den Götzenbildern: An die Christliche Gemein zu [495] Prag, als auß Königlicher Mayestät gnädigstem befelch die Schloßkirch von allem Götzenwerck gesäubert worden“, muß man lesen, wenn man sich ein richtiges Urtheil in dieser Sache bilden will. Denn nicht bloß, daß man mit größtem Unrechte S. als denjenigen bezeichnet hat, welcher Friedrich V. zur Annahme der böhmischen Krone beredet hätte, hat man auch denselben als den Urheber jener sogen. Bilderstürmerei angesehen. Und doch handelte S. nur im Auftrage seines Fürsten, der vollständig selbständig, wenn auch hier unpolitisch handelnd, lieber sich in Gegensatz zu seinem lutherischen Volke setzte, als daß er im geringsten seinen ihm theuren reformirten Glauben verleugnete. Und Ueberzeugungstreue ist doch zu achten. Die Sätze nun, welche S. in seiner Predigt über 2. Mos. 20, 4–6 behandelte, lauten: „1) Gott wolle, solle und könne nicht abgebildet werden. 2) Gott wolle nicht durch irgend ein Gleichniß oder Bildniß angerufen oder verehret sein. 3) Daraus leicht zu schließen, was einer christlichen Obrigkeit zu thun gebührt, wenn sie in den Kirchen, welche sie zu ihrem Gottesdienst gebrauchen will, Götzenbilder findet, nämlich, daß sie dieselben abreißen und beiseite schaffen lasse.“ Sie geben uns die Gründe an, von denen sich Friedrich V. bestimmen ließ, die Bilder und auch die noch aus der Zeit des Papstthums vorhandenen Altäre in der Schloßkirche zu entfernen. Von wildem Fanatismus oder gar Vandalismus kann da keine Rede sein, noch weniger von Atheismus, deren man nachher S. beschuldigte. Wir finden es begreiflich, daß seine Predigt die Gefühle der Andersdenkenden in einer Zeit, wo wahre Toleranz kaum möglich war vor politischer wie religiöser Erregtheit, heftig verletzte, wie sehr sie auch von beschimpfenden Ausdrücken sich fern hält. Aber ebenso begreiflich müssen wir es finden, daß S. nicht anders predigen konnte, als es seine auf Grund des Decaloges und des reformirten Bekenntnisses ruhende Ueberzeugung ergab. Das ist nicht die Sprache eines Zeloten oder Ikonoklasten. Vielmehr hat S. als ein echter reformirter Theologe bei allen sonstigen Gelegenheiten eine große Mäßigung im Auftreten gezeigt, wie er denn einst in einer Sitzung des pfälzischen Kirchenrathes sich verlauten ließ, daß man alle Controversen gegen die Lutheraner, welche doch nur zum Jubel der Papisten dienen, unterlassen solle, auch allezeit mit größter Entschiedenheit die Idee des gemeinsamen Protestantismus Rom gegenüber vertrat, wenn er auch andrerseits nicht im geringsten geneigt war, ein Jota von dem Dogma seiner Kirche zu Gunsten der Lutheraner aufzugeben.

Nach der Schlacht am weißen Berge (8. Novbr. 1620), in der Friedrich V. geschlagen wurde, floh S. durch Schlesien und Brandenburg nach Heidelberg, um seine Professur wieder anzutreten. Aber kaum war er daselbst angekommen, so erschienen die Kaiserlichen vor der Stadt und er mußte abermals fliehen. Er ging nach Bretten und von da nach Schorndorf in Württemberg, wo er mit Genehmigung Friedrich’s V. im Februar 1622 eine Berufung an die reformirte Gemeinde zu Emden in Ostfriesland annahm. Hier stand er bis an sein schon am 24. October 1624 erfolgtes Ende noch in großem Segen im Predigtamte.

Nicht leicht ist ein Mensch mehr ungerecht beurtheilt und gelästert worden als S. In seiner Selbstbiographie hat er in ruhiger und würdiger Weise, fern von aller Leidenschaft, gegen seine römischen, lutherischen und arminianischen Gegner sich zu reinigen versucht. Er stand in einem lebhaften brieflichen Verkehre mit fast allen bedeutenden Zeitgenossen reformirten Bekenntnisses im In- und Auslande. Seine Schriften, die er hinterlassen hat, sind theils historische, unter welchen sein historischer Bericht, wie die Kirchenreformation in Deutschland vor hundert Jahren angangen, immer noch von großem Werthe ist, theils ascetische, theils dogmatische, theils homiletische. Unter letzteren sind auch von geschichtlicher Bedeutung die „Reformations-Jubelpredigt auf das Jahr 1617“, [496] die „Psalmpostille“, von N. Eccius herausgegeben, und vor allen „Die Kirchenpostille oder Auslegung der sonntäglichen Evangelien“, unzählige Male wieder aufgelegt und in früheren Zeiten in vielen reformirten Kirchen zum Vorlesen gebraucht, selbst in Böhmen und Mähren. Auch seine „Idea concionum oder ausführliche Predigtentwürfe zu ganzen Büchern der Bibel“ verdient noch heute von Homileten beachtet zu werden. Einige philosophische Schulcompendien von ihm haben sich zu ihrer Zeit großer Anerkennung erfreut. Was auch immer S. geschrieben, alles ist klar durchdacht und erörtert mit Gründlichkeit den darzustellenden Gegenstand. S. lebte in drei Ehen und hinterließ nur eine Tochter. Seine Hauptschriften sind bei Herzog u. a. angegeben.

De curriculo vitae, imprimis vero de actis Pragensibus Abr. Sculteti, narratio apologetica. Emdae 1625. (Autobiographie, auch in deutscher Uebersetzung). – Gerdesii Miscellan. Groning. VII. – Salmuth, Leichenrede, betitelt: Bildnuß eines Euangelischen Predigers. Emden 1625. – Meiners, Oostvrieschlandts Kerkelyke Geschieden. II. – Hering, Historische Nachricht von dem ersten Anfang der Evang. Reformirten Kirche in Brandenburg. – Reershemius, Ostfries. Predigerdenkmal. – E. Uhsen, Leben der berühmtesten Kirchenlehrer. – Gillet, Crato von Crafftheim u. s. Freunde. – C. J. Bouginé, Handbuch der allg. Litteraturgesch. II. – J. G. Th. Gräße, Lehrbuch d. allg. Literärgesch. aller bekannten Völker III. – Bayle. – Hist. Bibl. Fabricianae. – J. Brandt, Historie der Reformatie der Nederlanden. III. – H. A. J. Lütge, Der Aufschwung der böhmisch-mährischen Kirche. Amsterdam 1888. – Ch. A. Pescheck, Gesch. d. Gegenreformation in Böhmen I. – Cuno, Blätter d. Erinnerung an Olevian; – Derselbe, Gedächtnißbuch; – Derselbe, Franciescus Junius der Aeltere. – Herzog, Realencyclopädie. – Weidner, Apophthegmat. Zincgrefian. III.