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Artikel „Grünrad, Otto von“ von Friedrich Wilhelm Cuno in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 603–605, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gr%C3%BCnrade,_Otto_von&oldid=- (Version vom 4. Oktober 2024, 21:23 Uhr UTC)
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Grünrad: Otto von G., Staatsmann reformirten Bekenntnisses, geboren am 10. September 1545 zu Delitzsch, † am 14. April 1613 zu Heidelberg. Von Jugend auf gottesfürchtig erzogen, widmete er sich auf der Universität Leipzig und Wittenberg neben den schönen Wissenschaften und [604] der Philosophie mit Vorliebe der Theologie. Dreizehn Jahre brachte er mit seinen akademischen Studien zu. Während derselben wurde er in Wittenberg von der damals daselbst herrschenden reformirten Richtung ergriffen, welche unter dem Namen des Krypto-Calvinismus bekannt geworden ist. Melanchthon’s Schwiegersohn, der kurfürstliche Leibarzt Peucer, schätzte ihn seiner gediegenen Kenntnisse halber sehr hoch und empfahl ihn bestens, als im J. 1575 Graf Johann der Aeltere von Nassau-Katzenelnbogen einen Hofmeister für seine Söhne Wilhelm Ludwig, Johann, Georg und Philipp suchte. Mit diesen und vier jungen Grafen von Berg, sowie mit dem Baron Joachim von Büren und dem Prinzen Moritz von Oranien, welche bisher die Dillenburger Hofschule besucht hatten, bezog G. zu Anfang des Jahres 1576 die Heidelberger Universität. Als Lehrer waren diesen jungen Herren beigegeben M. Joh. Müller, M. Paul Crocius und Joh. Nobisius. Nach seiner Rückkehr wurde G. gräflicher Rath. Als solcher führte er mit den übrigen Räthen die Regierung des Landes, als im J. 1578 Graf Johann die Statthalterschaft von Geldern und Zütphen annahm. Im Herbste 1580 kam der Graf in sein Land zurück.

Ein großes Verdienst erwarb sich G. um die Kirche der Grafschaft Nassau-Katzenelnbogen auf der am 8. und 9. Juli 1578 zu Dillenburg tagenden Generalsynode, an der er mit dem Hofmeister von Nymptsch als gräflicher Commissarius theilnahm. Denn seiner Umsicht ist es zu verdanken, daß diese Synode zu Stande kam und derselben die völlige Einführung des reformirten Bekenntnisses gelang. Dadurch wurde der benachbarte Graf Konrad zu Solms veranlaßt, sich ebenfalls seiner neben Olevianus zu bedienen, um in seiner Grafschaft gleichfalls die reformirte Lehre einzuführen.

Als im Spätherbste 1583 der Pfalzgraf Johann Kasimir nach dem Ableben seines lutherischen Bruders, des Kurfürsten Ludwig VI., die vormundschaftliche Regierung für seinen Neffen, den Kurprinzen Friedrich (IV.) übernahm, berief er G. zum Erzieher dieses nach Heidelberg. Mit großer Gewissenhaftigkeit unterzog er sich dieser Pflicht nach den Grundsätzen der reformirten Kirche. Sein hoher Zögling zeigte sich ihm nachher dadurch dankbar, daß er ihn nach seinem Regierungsantritte zum Präsidenten des kurpfälzischen Kirchenrathes machte. Durch diese Ernennung war G. in eine seinen innersten Neigungen entsprechende Stellung gekommen. Nun konnte er nach Herzenslust für das Wohl der pfälzischen Kirche sorgen. In kluger Weise suchte er das aus verschiedenen Gründen damals heruntergekommene kirchliche Wesen der Pfalz zu heben. Dieses Bestreben trieb ihn zu einer Reihe zeitgemäßer Verordnungen. Vorerst rief er die vierteljährliche Abhaltung der Convente der Prediger ins Leben. Sodann führte er die sonntäglichen öffentlichen Katechisationen ein, an denen Jung und Alt sich betheiligen mußten. Eine weitere für jene Zeit sehr heilsame Einrichtung, welche er einführte, waren die Kirchen- und Schulvisitationen, welche er im J. 1594 zum ersten Male vornahm. Sein ausgezeichnetes organisatorisches Talent auf kirchlichem Gebiete verschaffte ihm bald überall bei den Reformirten in Deutschland hohes Ansehen. Bald da bald dort begehrte man seine Dienste. Aber nur Wenigen konnte er sie leihen. Im J. 1596 zog er mit dem Kurfürsten und dem Kirchenrathe Melchior Angerus in die Oberpfalz, wo er durch eine gründliche Visitation von Kirche und Schule innerhalb zwei Jahren alles aufs schönste ordnete. Nach dem Anheimfall des Herzogthums Simmern an Kurpfalz führte G. auch hier das reformirte Bekenntniß ein.

Eine große Sorgfalt ließ G. den gelehrten Schulen zu Theil werden. Die Pädagogien zu Heidelberg, Neustadt a. H., Neuhausen und Amberg hat [605] er auf eine für seine Zeit sehr hohe Stufe gehoben. Seine letzte größere auswärtige Thätigkeit war das Visitationswerk in der Grafschaft Hanau-Münzenberg im J. 1609, welches in der kirchlichen Geschichte derselben epochemachend ist. Der bekannte nachherige Hofprediger des so unglücklichen Kurfürsten Friedrich V., Abraham Scultetus, war ihm dabei behülflich. Im J. 1612 zog sich G. müde von seinen vielen Arbeiten in die Stille zurück. Das Wort Luc. 10, 12: Eins ist noth, war sein Symbolum. Gegen die Armen war er sehr wohlthätig. Sein Haus war, zumal er ehelos blieb, eine Zufluchtsstätte der Leidtragenden, Waisen, Wittwen und unbemittelten Schüler. Ueberall suchte er zu helfen. In einer Hungersnoth ließ er Korn in Scheunen zum Vertheilen sammeln. In seiner Bescheidenheit gab er keine Bücher heraus. Eine von ihm verfaßte katechetische Unterweisung publicirten Freunde. Seine Correspondenz mit Grafen, hohen Herren und Gelehrten war sehr groß, wie heute noch eine Menge handschriftlicher Briefe in den Bibliotheken und Archiven bezeugt. Bei aller confessionellen Entschiedenheit war er doch, wo es die Noth erforderte, sehr milde, wie er denn nach einem Schreiben an Hieron. Zanchius (s. A. D. B. XLIV, 679) seinen reformirten Glaubensgenossen gestattete, auch an solchen Orten das hl. Abendmahl zu feiern, wo etwa nicht das charakteristische reformirte Brodbrechen eingeführt sei. In seinen letzten Lebensjahren wurde er oft von bangen Ahnungen der kommenden schlimmen Zeiten beim Blick auf die Machinationen der Jesuiten in Deutschland erfüllt. Nach dem Züricher Antistes Breitinger ließ er jedoch dabei oft die Worte hören: „Zwei Stücke trösten mich, nämlich mein Alleinstehen und mein Alter“.

Adami, Vitae theol. germ. – Häußer, Gesch. der rhein. Pfalz. II. – Hautz, Gesch. der Univers. Heidelberg. – Medicus, Gesch. der evang. Kirche im Königr. Baiern. Supplementband. – Miscellanea Tigurina III. – Hier. Zanchii Epistolae. – Bezold, Briefe des Pfalzgrafen Joh. Casimir. – Cuno, Graf Joh. der Aeltere v. Nassau-Dillenburg; – Derselbe, Blätter der Erinnerung an Dr. K. Olevianus; – Derselbe, Gedächtnißbuch deutscher Fürsten reform. Bekenntnisses; – Derselbe, Phil. Ludw. II. von Hanau-Münzenberg; – Derselbe, Daniel Tossanus der Aeltere. I. Theil.